Maria von M. & Kvasir
Es wurde schon viel zum Volksentscheid geschrieben. Selbst in anarchistischen Kreisen wurde eine Debatte um die Sinnhaftigkeit einer Beteiligung am Volksentscheid bzw. der Kampagne versucht. Es gab jedoch einige Punkte und um die soll es im Folgenden gehen, die in all diesen Diskussionen zu kurz kamen oder erst gar nicht erst auftauchten.
Damit es nicht zu Missverständnissen kommt eines zuerst: Herzlichen Glückwunsch an alle Aktiven des Volksentscheides „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“. Es war bis zum Ende nicht ausgemacht, ob es eine Mehrheit für die Rekommunalisierung großer Wohnungsunternehmen in Berlin geben würde. Es ist schön, dass sich die Mühe so vieler Menschen gelohnt hat. Was aus dem Ergebnis wird, ist natürlich völlig offen und dennoch hoffen wir, dass sich genügend Druck aufbauen lässt für ein Gesetz, um zumindest einem Teil der Berliner Bevölkerung erträglichere Mieten zu garantieren. Eine Rekommunalisierung von Wohnungen kann eine feine Sache für viele Menschen in Berlin sein. Den Begriff der Enteignung wieder ins Gespräch zu bringen ist auch nicht schädlich und erst recht nicht, wenn er in Frontstellung gegen Kapitalinteressen gebracht wird. Das viele Menschen in Berlin sich für ihre Interessen einsetzen und hierfür in ihrer Freizeit auf der Straße stehen und Unterschriften sammeln, super! Wann ist aber der richtige Zeitpunkt für Kritik gekommen? Aus Erfahrung würden wir sagen: Für die Involvierten ist eigentlich fast nie der richtige Zeitpunkt, für Außen oder am Rande Stehende meistens immer der richtige Zeitpunkt. Und dennoch haben wir den Eindruck, dass der Zeitraum nach der Wahl und der damit verbundenen Neuorientierung der Kampagne ein guter Zeitpunkt ist, weil man nicht in den Endspurt reingrätscht.
1.1 Linksradikale und ihr Verhältnis zu sich selbst
Und jetzt: Unsere Kritik und Überlegungen richten sich an die linksradikalen GenossInnen, die sich in DW-Enteignen engagieren und denen unserer Meinung nach eine Selbstreflexion bezüglich ihres eigenen Verhältnisses als Linksradikale zu der Kampagne fehlt. Uns geht es nicht um ein Pro oder Contra DWE, sondern darum, dass eine linksradikale Praxis in DWE fehlt. Schon während der Sammelphase wurde propagiert, alle müssten nun Unterschriften sammeln und sich in den sogenannten Kiezteams engagieren. Dies sei das Mittel der Stunde um der befreiten Gesellschaft ein Stück näher zu kommen. Das sei jetzt die linksradikale Politik. (Vielleicht selbst verräterisch wurde es aber bisweilen und immer öfter bereits vorsorglich „sozialistische Politik“ genannt). Sie besteht also daraus genug Unterschriften zu sammeln um Quoren zu erfüllen. Es gibt Zeitvorgaben und nur bestimmte Vorschläge in bestimmten Formen sind vorgesehen. All dies, damit der Staat, in diesem Fall der Senat, sich überhaupt mit deinem Anliegen befasst. Man fügt sich gänzlich ein in die herrschenden Logiken des bürgerlichen Staates und ist ihm mit Haut und Haaren ausgeliefert: politisch und emotional. „Eine Forderung ist ein Vertrag, das garantierte Ablaufdatum des eigenen Kampfes, die Bedingungen für seinen Abschluss“ (Johann Kaspar 2009).
Kein Regelübertritt, der sich inhaltlich und praktisch gegen die Funktionsweise des kapitalistischen Systems stellt, keine Selbstermächtigung gegen die Funktionsweise (sondern nur mit ihr) und keine Selbstermächtigung, die ansatzweise die Erfahrung einer ganz anderen Gesellschaft in unseren Köpfen und Körpern ermöglicht, geschweige denn ein kollektives Erleben dieser Selbstermächtigung und des Regelübertritts. Nun könnte man einwenden, dass sich all dies doch in den Kiezteams findet, dass sich zwar nur für ein singuläres Ereignis zusammen gefunden wird, es dort aber darüber hinaus darum geht, sich gemeinsam zu stärken und sich gemeinsam zu organisieren. Wir würden dem zustimmen, aber einwenden, dass dieser Einwand von linksradikaler Seite eine Banalisierung von Selbstermächtigung, Regelübertritt und kollektiver Erfahrung und Organisierung ist. Es ist eben maximal all das in seiner banalen bürgerlicher Existenz. Früher sagte man dazu bürgerschaftliches Engagement bzw. Zivilgesellschaft. Antagonismus gegen die Gesamtscheiße taucht in diesem linksradikalen Einwand nicht mehr auf.
[Ein Gedanke, der es nicht in die logische Struktur des Textes geschafft hat: Wenn man Glück hat, landet man in einem Kiezteam von verirrten Linksradikalen, wo doch eher die Frage im Raum steht, warum sich diese nicht anders finden in dieser Stadt, als über einen Volksentscheid.]
1.2 Linksradikale und ihr Verhältnis zu „normalen“ Menschen
Liest man, dass es so toll sei aus der Blase heraus zukommen und bei Haustürgesprächen und beim Unterschriften sammeln „normalen“ Menschen zu begegnen, tun sich direkt mehrere Fragen auf: Was sind „normale“ Menschen? Wir haben eine Vermutung, aber es ist uns zu peinlich diese hier zu nennen, würden wir uns doch mit unserer Vermutung der Überheblichkeit, Selbstverleugnung und Verwirrung gemein machen, die in der Vorstellung von „normalen“ Menschen steckt. Überheblich ist dieses „normal“, weil es von einem elitären Selbstverständnis des eigenen Verhaltens und Wissens zeugt, sich gleichzeitig als aufgeklärte Privilegienreflexion tarnt und damit genauso bürgerlich-akademisch ist, wie das Selbstverständnis der woken leftlibs aka linksgrün Bürgerlichen. Selbstverleugnend ist es, weil zu Gunsten von Anschlussfähigkeit und Gesellschaftlichkeit die linksradikale Subjektivität einer permanenten Verdrängung und Abspaltung unterworfen wird. Resultat davon ist die paradoxe Situation, dass Linksradikale das Normale sakralisieren und darin gleichzeitig ein elitäre Beziehung zu ihm pflegen, was allerdings vielmehr Ausdruck ihrer eigenen Unzulänglichkeit und Selbstzweifel sind. Das Verhältnis der Linksradikalen zum Normalen spiegelt die Verwirrung, die sie mit ihrer eigenen linksradikalen Subjektivität haben, wieder. Verwirrt ist dieses Verständnis also, weil es selbstverständlich einen Unterschied zwischen radikalen Linken und der Restgesellschaft geben muss, der sich darin auszeichnet, dass wir uns außerhalb der Gesellschaft stellen und gleichzeitig Teil von ihr sind. Wir sind Gesellschaftlichkeit und Antagonismus. Das scheint aber für Viele nicht aushaltbar, so dass Teile der radikalen Linken permanent auf das Normale fokussieren, es sein wollen, permanent nach Anschluss suchen, es aber auf Grund ihrer linksradikalen Subjektivität nicht richtig können und letztendlich dadurch eine Art Minderwertigkeitskomplex nach Innen entwickeln. Die spiegelbildliche Projektionsfläche dieses Komplexes nach Außen ist die Liebe gegenüber dem Normalen. Ergebnis: Als Skillsharing getarnte Resozialisierungworkshops von DWE für AkademikerInnenkinder in denen man lernt mit „normalen“ Menschen zu reden? Aufsuchende Sozialarbeit im Crashkurs. Die Psychoanalyse hätte für dieses Phänomen bestimmt ein schönes Wort. Von einem dialektischen Verhältnis zwischen Antagonismus und Gesellschaftlichkeit, in der wir als Linksradikale mit offenem Visier auf Augenhöhe mit unseren Mitmenschen in Kontakt treten, ist das jedenfalls alles meilenweit entfernt. Nebenbei sei angemerkt, dass wir unterstellen, dass mit Menschen nur geredet wird, wenn sie „normal“ in der Projektion der Linken sind. Andere „Normale“ die nicht in das Weltbild der Linken passen sind eben… ja was eigentlich? Eine weitere Frage die sich auftut ist: Was verstehen diese Menschen unter Begegnung? Zu versuchen, eine Person für einen Volksentscheid zu begeistern und sich dabei noch zehn Minuten ihrer Lebensgeschichte anzuhören? Dafür braucht es keinen Volksentscheid, sondern eine halbe Stunde am Tag im Supermarkt, im Hausflur, am Späti oder in der U-Bahn. Diese Zeit muss man sich eben nehmen, wenn es einem wichtig ist.
1.3 Vergesellschaftung, Enteignung, Rekommunalisierung – Drei Schritte Back to the 70s
Ein weiterer Punkt der immer wieder stark gemacht wurde, war der der Diskursverschiebung durch das Einbringen des Begriffs der Enteignung. Ja, er hat sein Schmuddelimage etwas verloren. Doch was bleibt für viele Menschen nach diesem Entscheid hängen? Enteignung ist, wenn das Land Wohnungen aufkauft und der privaten Hand entzieht. Dass der Entscheid selbst vorsieht, dass Wohnungen auch von deren BewohnerInnen verwaltet werden sollen, ist hier unerheblich, da dies keinen Platz im Diskurs fand, mal abgesehen davon, dass in den Sternen steht ob dieser Volksentscheid in irgendeiner Form Gesetz werden wird. Enteignung nur als Rekommunalisierung zu verstehen, wie es der Volksentscheid vorsieht, ist ein Armutszeugnis für eine Linksradikale. Außerdem zeigt sich in der Kampagne wiedermal der Ökonomismus der (radikalen) Linken, der auch schon in der (Nicht-) Coronapolitik der Linken, allen voran ZeroCovid zu fatalen Irrtümern geführt hat. Nämlich die erneute Frontstellung zwischen Kapital und Staat. Der Staat als Verdichtung von Kräfteverhältnissen, in dem nur die richtige Kräutermischung wichtig für den politischen Druck und die Umsetzung ist. Dass der Staat als ideeller Gesamtkapitalist handelt und damit auch Enteignung oder Vergesellschaftung eine kapitalistische bleibt, geht dabei verloren. Zudem ist diese Enteignung oder Vergesellschaftung, die ja als Gesamtstrategie für eine gesellschaftliche Linke in der BRD propagiert und aufgegriffen wird mit einer Regierung wie wir sie hier haben, insbesondere nach Jahrzehnten der Privatisierung, nichts anderes als ein Zurück zu einem wohlfahrtsstaatlichem Modell, das es in einer einzigartigen Phase der kapitalistischen Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg gab. Wo bleibt der Schritt nach vorn (oder zumindest auf der Höhe der Zeit)? Enteignung als selbstgewähltes Mittel der Menschen gegen Staat und Kapital, um sich das zu nehmen, was uns ohnehin gehört, das wäre eine linksradikale Diskursverschiebung, aber doch nicht „back to the 70s“. Man könnte ja meinen der Kommunismus sei ausgebrochen, so wie manche GenossInnen das Ergebnis gefeiert haben. Der Volksentscheid als links-sozialdemokratische Bewegung ist nichts per se Schlechtes. Jedoch auch nichts revolutionäres oder linksradikales. Wenn wir uns darüber einig wären, wäre viel gewonnen. Sollte dagegen gehalten werden, dass, wenn wir es als Linksradikale nicht machen, es aber niemand macht, dann bleibt nur zu sagen: Dann ist die Sozialdemokratie eben tot… Sie wandelt schon zu lange über ihre Zeit hinaus unter den Lebenden. ODER: Viel Glück bei der Konstituierung des NeoSozialdemokratismus.