Freizeit 81

Hommage

„FREIZEIT 81 ist Widerstand aus dem Bauch, eine unkontrollierte Reflexbewegung. Niemand kann mit jeder Aktion einverstanden sein, aber jeder sollte seine eigenen Sachen machen. Nur Mut, aber PASST BLOSS AUF! … FREIZEIT 81 ist ein Symbol der Unzufriedenheit. FREIZEIT 81 ist eine Festveranstaltung gegen die BRD!

Chronologie

Am 30. Januar 1981 veranstaltet die FREIZEIT 81 ihr erstes „U-Bahnfest“, das von „Schwarzen Sheriffs“ gewaltsam aufgelöst wird. Noch im Winter finden Aktionen statt, die die Stadt, von der die Akteure nicht viel halten, etwas farbiger gestalten.

FREIZEIT 81 beginnt in München, ist aber schon bald an Hauswänden in Würzburg und sogar in Berlin zu entdecken.

Am 11. Februar werden aus Solidarität mit Berliner Hausbesetzern Schaufensterscheiben von Münchner Banken eingeworfen.

Polizeipräsident Dr. Manfred Schreiber meint im Februar: „In München – das garantiere ich – bleibt kein Haus länger als 24 Stunden besetzt.“ Und zu Verhaltensweisen bei Räumungen sagt er: „Tragen statt schlagen … Aber immer kann man das nicht machen. Das Recht bietet dazu keine Möglichkeiten.“ Prompt kommt es am 20. Februar zu einer 30-Minuten-Schein-Hausbesetzung in der Türkenstraße 30 in der Maxvorstadt. Der Sichtziegelbau, ein schützenswertes, verwittertes, mit Plakaten zu gepflastertes Denkmal, steht seit 1973 leer. „Eine halbe Stunde lang besetzten sechs Leute das Haus in der Türkenstraße 30 ‚schein’ und verlangten ein Gespräch mit dem Besitzer des Hauses. Statt dessen erschien die Polizei und nahm die Besetzer fest. Es wurden zwei Haftbefehle erlassen, die jedoch später außer Kraft gesetzt wurden.“ In derselben Nacht löst die Polizei im Milbertshofener Zentrum eine „Hausbesetzerparty“ mit der Begründung „Überschreitung der Sperrstunde“ auf. OB Kiesls Büro: „Die Feier war angeblich die Vorbereitung zu einer Hausbesetzung …, wozu ca. zweihundert Leute bereit waren.“

Die Münchner Polizei hat sich inzwischen Blanko-Strafanträge von Hausbesitzern für den etwaigen Fall einer Hausbesetzung geben lassen. Auch die Landeshauptstadt München hat bei zwei ihrer leerstehenden Anwesen in der Steinstraße 17 und Heidelärchenstraße 23 solch eine Blanko-Strafanzeige der Polizei auf deren Wunsch übergeben. Nachdem diese Blanko-Strafanträge in der Öffentlichkeit bekannt werden, hinterlegt der Kritiker des überbordenden Individualverkehrs, Rechtsanwalt Konrad Kittl, bei der Staatsanwaltschaft einen Blanko-Strafantrag, gültig bei der Gefährdung von Leib und Leben von Herrn Kittl im Straßenverkehr, der auch formgültig entgegengenommen wird.

26. Februar: Scheinbesetzung in der Schellingstraße 5 in der Maxvorstadt. Polizei dringt nach ca. einer Stunde in das Haus ein, drinnen ist keiner, draußen sind etwa dreihundert Leute. Im März stehen in München etwa 850 Wohnungen in dreihundert Häusern leer, allein in Neuhausen elf Häuser. Zugleich sind beim Sozialamt 16.000 Wohnungssuchende unter der Rubrik „Höchste Dringlichkeitsstufe“ registriert.

In Nürnberg werden am 6. März massenhaft Hausbesetzer festgenommen. 141 Haftbefehle lauten auf „schweren Landfriedensbruch“. In München kommt es am 10. März zu einer Protestkundgebung gegen die „Bayrische Linie“ mit vierhundert Demonstranten auf dem Odeonsplatz, die im Anschluss an die Kundgebung unangemeldet durch die Stadt demonstrieren. Niemand wird festgenommen. Ein weitere Protestmarsch erfolgt am 12. März mit dreitausend Teilnehmern. „Am 13. März folgten ca. sechzig Leute dem Aufruf Freiburger Hausbesetzer, die Polizei zu beschäftigen. Dies gelang dann auch, es gab zehn Festgenommene. Dieses Ereignis motivierte am nächsten Tag dreißig bis vierzig Leute, vor der Ettstraße ihr ‚eins, zwei, drei…’ zu rufen.“ Am 17. März sind immer noch fünfundvierzig Besetzerinnen und Besetzer inhaftiert.

das kann nicht alles gewesen sein

– unsere wut darf nicht kampflos sterben — ich wil mich einfach nicht ängstlich in meinem zimmer verkriechen und warten, dass plötzlich alle sieben vor mir stehen — wir uns in die arme fallen la-chen — das sind tolle träume klar — aber sie werden ganz bestimmt nicht wirklichkeit — wir müs-sen here and now für sie für uns alles aufs spiel setzen — und mich törnts auch immer noch gewal-tig an mit ner ganzen wilden horde durch die strassen zu wetzen — aber ich will nicht allein da sein oder zu zehnt — ich will euch alle sehn — und will endlich wissen wer wirklich mit mir geht — mit allen konsequenzen — ich brauch euch alle — will nicht so verdammt feige und harmlos werden — ich kann nicht schlafen — alles in mir taumelt zwischen denen im knast und uns hier draußen — und ich muss heulen darüber wie wenig neues uns einfällt — wo seid ihr alle wenns um lärm und unruhe, um klirren und flammen lodern geht??????? daheim im versteckten kämmerlein geht nichts — wir gehören auf die strassen — is schon klar dass wir cooler werden müssen — die anderen sind zwar mehr aber wir viel klüger — come on baby!

Nach einer DKP-Demonstration kommt es am Sonntag, 15. März, zwischen 19 und 20 Uhr zur Hausbesetzung des seit dem Herbst des vergangenen Jahres leerstehenden ehemaligen Kreiswehrersatzamtes in der Albrechtstraße 31. Neununddreißig Hausbesetzer wollen ein selbstverwaltetes Jugendzentrum in Neuhausen und demonstrieren Solidarität mit den Nürnberger Verhafteten. Schon bald sind etwa hundertfünfzig Sympathisanten da, die den Zugang zum Haus blockieren, unter ihnen August Kühn („Zeit zum Aufstehn“) und etwa Tausend Schaulustige. Die Hausbesetzer bestehen darauf, dass ihre Aktion gewaltfrei war und bleibt. Dann splittert die verbarrikadierte Eingangstüre an der Rückfront des Hauses. 614 Polizisten, 305 von ihnen kommen von auswärts, räumen von 2 bis 4 Uhr früh und nehmen neununddreißig HausbesetzerInnen und vier SympathisantInnen (25 Männer, 16 Frauen, der DKP-Kreisvorsitzende Matthias Oberhofer und der SDAJ-Vorsitzende Klaus Brütting) fest. Viele werden später wegen Haus- und Landfriedensbruchs verurteilt.

Am Abend des 16. März veranstalten die inzwischen wieder Freigelassenen eine Mahnwache vor der Albrechtstraße 31, gleichzeitig machen etwa zweihundert Menschen eine Spontandemonstration vom Sendlinger-Tor-Platz über den Marienplatz, Löwengrube, Lenbachplatz zum Hauptbahnhof. Einige versuchen im Anschluss an die Demo vergeblich ein neues Haus in der Karlstraße 32 zu besetzen. Vor dem Hauptbahnhof: Die Heckscheibe eines Autos, das einem „Schwarzen Sheriff“ gehört, geht zu Bruch. Zwei Sheriffs packen den, der den Stein geworfen hat, dieser wird von anderen Punkern befreit, er rennt los mit einer Sheriff-Mütze in der Hand. Ein anderer, der gerade das entglaste Auto besprühen will, wird festgenommen und bekommt später, weil er angeblich auch noch den Stein geschmissen haben soll, sechs Monate auf Bewährung. Ministerpräsident F.J. Strauß meint: „Unter den Hausbesetzern gibt es Personen, die eng mit dem Kern der Terrorismus verwandt sind. Es besteht die Gefahr, dass aus dem Umfeld der derzeitigen Hausbesetzer eine neue terroristische Bewegung erwächst.“

Die FREIZEIT 81 nimmt an vielen Demos und Besetzungen teil. Am 18. März findet eine neue Solidaritätsdemonstration von 3.000 Menschen statt, die Straffreiheit für die Hausbesetzer in der Albrechtstraße fordern. Auf dem Front Transparent ist zu lesen: „Bleibt froh und heiter – der Häuserkampf geht weiter.“ Die Demo wird von vielen behelmten Polizisten begleitet. Der Block der Punker ist durchsetzt von zivilen Beamten. Es kommt zu einem Scharmützel mit Ordnungshütern sowie zu einer Verhaftung. OB Kiesl meint, die Münchner Wohnungsnot resultiere auch aus der Tatsache, „dass die jungen Leute heute nicht mehr mit einem winzigen Appartement zufrieden sind, sondern gleich eine Zwei- oder Drei-Zimmer-Wohnung haben wollen“.

Am 24. März besetzen Studierende 2½ Stunden lang das Haus in der Lothstraße 52. Man kommt nach Verhandlungen mit dem Vertreter des Präsidenten der Fachhochschule Dr. Kessler zu einer Einigung.

4. April, 11.30 bis 14.50 Uhr: Etwa 2.500 Demonstrantinnen und Demonstranten protestieren gegen Wohnungsnot und Spekulantentum. Die Möglichkeit, dass sich daraus stärkerer Widerstand entwickeln könnte, veranlasst die Polizei dazu, sofort einzugreifen. Nach dem Ende der Demo provozieren Zivis aus nichtigem Anlass eine Schlägerei, Vorwand für das Eingreifen der Uniformierten. Neunzehn Männer und drei Frauen werden festgenommen, gegen elf von ihnen, darunter drei Jugendliche, ergeht Haftbefehl. Später ist die Rede davon, die Polizei hätte schon während der Demo einen Teil der später Herausgegriffenen »markiert«. Die sich im Polizeipräsidium wiederfinden, sind natürlich nicht alles Unschuldslämmer. Einige haben sich zur Wehr gesetzt, weil sie sich nicht jede Provokation der Polizei gefallen lassen wollten, einige haben sich im Laufe der Demo am Werfen von Krachern und Farbeiern (hauptsächlich gegen die Türen und Fenster der Münchner Banken, die Spekulation und Mietwucher durch ihre Kredite finanzieren) beteiligt, sind aber nicht erwischt worden, wieder andere wurden wahllos herausgegriffen. Mit Sicherheit wurden die Aktionen der Polizei auf höhere Weisung und nach einem gut kalkulierten Konzept durchgeführt.

Die Haftgründe, die eilig gezimmert werden, laufen bei allen auf dasselbe hinaus: mangelnde soziale Bindungen, Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr. Gegen die unberechtigte Inhaftierung sowie gegen die verschärften Sonderhaftbedingungen (Einzelhaft, Einzelhofgang, Ausschluss von Gemeinschaftsveranstaltungen – also Isolierung) treten am 9. April zehn der Verhafteten in einen Hungerstreik. Die Anwälte beantragten Haftprüfungstermine, durch die bis Montag, 13. April, alle aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Von den zwanzig eingeleiteten Verfahren werden nur zwei eingestellt, bei allen anderen kommt es zur Verhandlung. Trotz harter politischer Linie von Richtern und Staatsanwälten werden vier Leute freigesprochen. Die anderen Urteile allerdings sind horrormäßig: Insgesamt wurden zweimal Haftstrafen von acht Monaten und dreimal Haftstrafen von sechs Monaten auf Bewährung wegen angeblichem Widerstand, Körperverletzung und Landfriedensbruch verhängt. Außerdem Geldstrafen von dreißig bis zu sechzig Tagessätzen und gegen die Jugendlichen Arrest von sechs Tagen. Zwei Polizisten werden von der Verteidigung wegen falscher Aussagen und falscher Anschuldigungen angezeigt, deren Verfahren erwartungsgemäß eingestellt.

Die Festnahmen und der Erlass von Haftbefehlen wirken auch als Abschreckung.

Dem Aufruf eines „Antispekulationskomitees“ zu einer Demo folgen am 5. April rund 2.000 Menschen. Zum Abschluss gibt es Krawall und elf Festnahmen. Am 6. April ziehen vierhundert Hausbesetzer-Sympathisanten durch die Innenstadt und fordern die Freilassung der Verhafteten. Am 7. April drohen die Festgenommenen mit Hungerstreik. Am gleichen Tag: Spontandemo mit 500 Teilnehmern auf beiden Fahrspuren der Leopoldstraße. Zivile Beamte trauen sich nicht, im Zug mitzumarschieren. Einer, ders versucht, wird verprügelt.

Im Milbenzentrum findet am 8. April ein Soli-Konzert mit Embryo und Kakalaken statt. Am 9. April veranstalten etwa zweihundert Leute eine Kundgebung mit Konzert um 17 Uhr vor der JVA Neudeck und um 19 Uhr vor der JVA Stadelheim.

Am selben Tag wird Anklage gegen acht Demonstranten vom 4. April erhoben. Egon G. warf ein Farbei und wird jetzt dafür zu 35 Tagessätzen verknackt. Anderen geht es noch viel schlimmer. Am selben Tag protestieren Studenten der Fachhochschule gegen Raummangel und Jugendliche gegen die Verhaftungen der letzten Tage.

selber was machen

nachts im winter. fünf autos fahren hintereinander zum einsatz. die dunkelheit schluckt den lärm, die kälte, die bewegung. fünf autos halten, die türen öffnen sich, ca. 15 personen entwinden sich den blechkästen, stehen in der nacht. gespräche, gelächter, handschuhe werden angezogen. 15 personen bewegen sich über die straße auf die hochhäuser, betonklötze zu. autofahrer schauen, fußgänger auch, die personen sind mit lederjacken bekleidet, zumindest zum größten teil. – punks, rocker, spontis oder gerillja? – eine nacht in neuperrllaacchh. farbanschlag der bewegung. sprühdosengeräusche in der schwärze. ganze wände bunt gemacht, überall sprüche. auf dem rückweg der einzelnen gruppen entdecken wir die sprüche der anderen. ein buntes neuperlach. es lohnt sich immer dort zu sprühen. es ist nicht langweilig. erfolgserlebniss, geil, wenn du am tag etwas liest und es ist von dir, oder von leuten, die du kennst. die wände der stadt gehören uns, nehmen wir sie und färben die stadt ein. bildet farbgerillja. sprüht was das zeug hält. neulich gesehen, die schöpfer sind mir unbekannt, anerkennung + solidarität – … – spontandemonstrationen sind einfach toll. man muß halt schauen, daß man nicht abgegriffen wird. so wie beim punkermarsch, waren damals ganz schön blöd, weißt du noch, aber totalgefühl laufen lachen rein ins kaufhaus raus aus dem kaufhaus fußgänger zone schreien laufen münchen wie ich es will. oder damals isartor rauf zum sendlinger tor, wo die bullen nicht nachkamen, weil wir nicht in die fußgängerzone, sondern zum viktualienmarkt eingebogen sind. es war eine einbahnstraße und die 4 konnten mit dem auto nicht nach, das hat uns leid getan,was? oder wie wir in das haus sind in schwabing alle in den hauseingang, um uns zu verstecken, räuber und gendarm, oder sprühend am tag in schwaBING aktion ist aktion, vielleicht nicht effektiv genug für andere. aber toll einfach toll unsagbar toll.

ich steh auf unangemeldete demos mit richtungswechsel und tempo, und weißt du noch die sdaj kundgebung und die demo dann, wo uns niemand packen konnte, war doch auch geil, wo an der spitze der zivilbulle von maskierten verjagt wurde und wie im sein verächtliches grinsen in den arsch rutschte und er fettwabernd um die ecke raste, bilder die die welt bewegten, toll, ich kann mich immer noch kranklachen, wenn ich daran denke. also was wir brauchen sind spontandemos, aktionen, sprühunternehmen, vollversammlungen, actions jeder art, und ein autonomes jugendzentrum, lasst euch etwas einfallen und teilt es allen mit.

Am30. April besetzen etwa fünfzig Jugendliche ihr Zentrum in Sendling; sie verlangen erfolgreich die Selbstverwaltung.

Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Polizei, Prügelknabe oder Helfer“ kommt es am 13. Mai unter Einsatz von Tränengas zu acht Festnahmen.

Am 22. Mai besetzen Jugendliche für vier Stunden die Ursula-Kirche. „Sieben Kleinkinder und fünf Frauen besetzten am 23. Mai ein Haus in der Winthirstraße. Nach 35 Minuten verließen sie nach Aufforderung der Polizei freiwillig das Haus. Es wurden keine Strafanträge gestellt.“

2. Juni: Die Erinnerung an den Mord an Benno Ohnesorg vor vierzehn Jahren dient als Anlass für eine Kampfansage in einem Flugblatt.

3. Juli: Sachbeschädigung und eventuell versuchter Brandanschlag, Fraunhoferstraße 2.

4. Juli: Hausbesetzung in der Blutenburgstraße 57 in Neuhausen. In der „Blubu“ müssen die wartenden Hundertschaften allerdings zunächst unverrichteter Dinge abziehen. Die Besetzer schließen einen Vertrag mit dem Eigentümervertreter und ziehen erst nach der Durchbrechung der 24-Stunden-Schallmauer wieder ab.

11. Juli: Die Hausbesetzer in der Blutenburgstraße feiern ein Fest. Hier kommt es zur Idee einer Scheinbesetzung. Man zieht in die Gümbelstraße, begibt sich in ein leerstehendes Haus und verziert es mit einem Transparent. Als die Polizei anrückt, verlassen die Besetzer das Haus und mischen sich unter die Schaulustigen, die Beamten stürmen das Haus, entfernen das Transparent. Ohne jemanden festnehmen zu können, versuchen die Polizisten das Gebäude zu verlassen, werden aber dabei mit einem Hagel von Feuerwerkskörpern eingedeckt. Irgendwann gehen die Knallkörper aus, die Polizei verlässt das Haus, FREIZEIT 81 fährt inzwischen mit dem Auto durch die Stadt und entglast elf Banken und diverse andere Gebäude bis in den Morgen des 12. Juli.

Am 16. Juli nimmt die Polizei in einer überraschenden Aktion achtzehn Menschen vor dem besetzten Haus fest. Am vorletzten Tag der Besetzung, am 17. Juli, wurden einunddreißig Sympathisanten festgenommen.

9. Juli: großangelegte FREIZEIT 81 Sprühaktion Neuaubing/Westkreuz sowie Winthirschule und Umgebung in Neuhausen.

18. Juli: Sachbeschädigung Türkenstraße 30, FREIZEIT 81 Entglasung Bankhaus Reuschel, Friedenheimerstraße.

30. Juli: FREIZEIT 81 großangelegte Sprühaktion in der Innenstadt.

Nach dem Molotow-Anschlag am 24. August auf die Filiale der Dresdner Bank in der Fürstenrieder Straße 34 in Laim durchsuchen Polizeikräfte siebzehn Wohnungen und verhaften unter anderen auch Andrea Wolf.

„Presseerklärung: Verantwortung für den Anschlag auf die Bank in der Fürstenrieder Straße trägt die Bewegung FREIZEIT ’81. Wir erklären allen konsumgerichteten Einrichtungen und überhaupt jeder Institution den Krieg. PASST BLOSS AUF. BEWEGUNG FREIZEIT ’81! Jetzt noch härter“

6. September: FREIZEIT 81 Versuchter Brandanschlag auf Camerloher Schule.

11. September: FREIZEIT 81 Versuchter Brandanschlag auf Filiale der Raiffeisenbank, Gelbhofstraße.

18. September: FREIZEIT 81 Brandanschlag auf Süß & Bierl Kücheneinrichtungshaus, Eduard-Schmid-Straße 18.

22. September: In Berlin werden acht Häuser geräumt. Innensenator Lummer hält im zuletzt geräumten Haus, vor dem mehrere hundert Leute protestieren, eine Pressekonferenz ab. Die Polizei treibt die Protestierenden in den offenen Verkehr. Dabei wird der 18jährige Klaus-Jürgen Rattay von einem fahrenden Bus erfasst und zu Tode geschleift. Am 23. September findet in München ein Demonstrationszug zum Gedenken an Rattay statt. Bei der anschließenden Spontandemo in Altschwabing mit Glasbruch (Springerhaus) kommt es zur Festnahme von fünf Leuten, drei Haftbefehle. Am folgenden Tag demonstrieren spontan dreihundert Leute gegen die Festnahmen.

24. September: Brandanschlag auf das Bürogebäude der Gewerkschaft der Polizei.

Am 26./27. September kommt es zur vierstündigen Hausbesetzung in der Eduard-Schmid-Straße 19 in der Au. Nach der brutalen Räumung werden fünf Personen mit Schädelplatzwunden ins Krankenhaus eingeliefert, auch Schaulustige werden niedergeknüppelt.

26./27. September: Die FREIZEIT 81 versucht einen Brandanschlag auf die Filiale der Bayerischen Vereinsbank, Richard-Strauß-Straße 24.

27. September: FREIZEIT 81 Brandanschlag auf Filiale der Bayerischen Vereinsbank, Burgkmairstraße, Sprühaktion KZ Dachau.

2. Oktober: Filmvorführung im Café Ruffini zu Klaus-Jürgen Rattay, danach Sachbeschädigung Feinkost Käfer (Besprühung der Lieferfahrzeuge, mit Bekennerschreiben REIZEIT 81) und rund um den Ostbahnhof.

Ein Flugblatt informiert über die Autonummern von Zivilstreifen. Anfang Oktober erscheint ein Fahndungsplakat: „Zivilpolizisten – Vorsicht Schusswaffen!“

In der Nacht zum 7. Oktober erfolgte ein Brandanschlag auf das Büro der Lufthansa am Lenbachplatz. Eine Person wurde in der Nähe des Tatortes festgenommen. Da bei der Person Flugblätter mit der Unterschrift ‚Freizeit 81’ gefunden wurden, sitzt sie seitdem in U-Haft. Am selben Abend gab es aus diesem Anlass eine Razzia in einer Schwabinger Kneipe.”

7. Oktober: Knallhart wird beim Benzinklauen erwischt, Hausdurchsuchung (Flugis, Freizeit-Hefte, Briefe …)

10. Oktober: Versuchte Brandlegung in der Sedanstraße.

Am 16. Oktober werden siebzehn Wohnungen durchsucht und zwei Frauen und fünf Männer der FREIZEIT 81 verhaftet. „Zwei Leute wurden, nachdem sie Aussagen gemacht hatten, auf freien Fuß gesetzt. Am 3. November wurde im Zusammenhang mit den Hausdurchsuchungen eine weitere Person verhaftet. Alle acht Gefangenen sitzen seither in strenger Einzelhaft.“ Was ist geschehen? Knallhart hat als Kronzeuge der Staatsmacht alles erzählt, was diese hören wollte. Unter den Verhafteten sind Florian Süßmayr, Anatol Nitschke und Andrea Wolf. Am 5. November findet ein Benefizkonzert für die Verhafteten in Ampermoching statt. Es spielen The Schrott, Checkpoint Charlie und Schäggy Bätsch.

Wolfgang Bihlmeir vom Werkstattkino muss als „Rädelsführer“ über ein Jahr hinter Gitter: „Ich war eine Zeit lang in Zürich, so Ende der 70er, Anfang der 80er, als es da total abgegangen ist (‘Züri brennt’). Und wie ich wieder zurück in München war, hab ich mir gedacht: hier ist es total fad. Überall gabs Hausbesetzungen und Action, nur in München nicht (‘Zürich brennt – München pennt’). Es musste einfach was passieren und da hab ich mir gedacht: jetzt mach ich was. Als erstes hab ich einen Flyer gemacht mit einem Aufruf zu einer Spontan Demo in der Innenstadt. Veranstalter gabs natürlich keinen. Da kamen dann ein Haufen Punks. Mit solchen Aktionen hab ich dann die richtigen Leute kennen gelernt und daraus hat sich dann schnell Freizeit 81 entwickelt. Mit Freizeit 81 haben wir dann verschiedene Aktionen gemacht: Filmprogramme, Veranstaltungen, Demos, Konzerte, Flugblätter, Zeitungen, Sprühaktionen, Bankenschlösser zukleben, Steine und Mollies und andere Aktionen. Jetzt ist endlich auch in München was passiert. Und das Wichtigste dabei war: selber was zu machen, nicht nur rumhängen und sich ärgern. Freizeit 81 hat im Jahre 1981 stattgefunden – der Name war programmatisch. Was macht man in seiner Freizeit? Man macht Unsinn oder man schmeißt Mollies. Freizeit 81 war ein lockerer Verbund von Leuten, die viel gemacht haben, die aber auch sehr naiv waren und nicht aufgepasst haben. Als uns dann ein Spitzel verpfiffen hat, sind wir zu siebt in den Knast gewandert. Das war die logische Folge, wenn man so offen agiert. Wir wollten aber so agieren, wollten nicht vorsichtig und konspirativ als abgeschottete, kleine Gruppe vorgehen. Am Schluss haben sich bestimmt 50 bis 100 Leute zu Freizeit 81 gezählt und bekannt. Den harten Kern bildeten vielleicht zehn Leute. Freizeit 81 hieß auch unsere Zeitung, wo wir zwei Ausgaben veröffentlichten. Eine dritte und letzte Ausgabe wurde dann noch herausgebracht, als wir im Knast waren.“

31. Oktober: Versuchte Entglasung bei der Bank für Gemeinwirtschaft, Albert-Schweitzer-Straße in Neuperlach, Entglasung/Versuchter Brandanschlag beim Büro der Neuen Heimat.

Seit Februar 1980 gab es bis zum Winter 1981/82 in München dreihundert Festnahmen, dreißig Haftbefehle und hundertsiebzig rechtskräftige Verurteilungen mit Freiheitsstrafen bis zu 30 Monaten. Manche Aktivisten überlegen, ob sie nicht einfach abhauen sollen. Sie vermuten, dass das, was in München geschieht, Modellcharakter hat dafür, wie es nach der Vorstellung der Herrschenden überall sein sollte.

Noch Jahre später ist die Freizeit 81 Thema. Es dominieren Fehleranalysen, Trotz, Wut und Resignation.

bei dem gedanken, dass die bewegung der 80er wirklich vorüber ist bzw. auch nur eine bewegung war, wirds mir einfach nur noch schlecht. dann brauchen wir uns ja um nichts mehr zu kümmern, alles bleibt beim alten, und die nächste generation wirds schon machen, den aufstand und die revolution, und wesentlich härter als wir, natürlich, weil dann sind auch die lebensbedingungen härter, welch ein glück, endlich kann ich mich der kunst widmen und beruhigt in die zukunft schaun … die letzten organe einer nicht vorhandenen bewegung sind am auseinandergehen. das blatt liegt in den letzten atemzügen. Der drang nach freiheit ist dem dauerrausch gewichen. beziehungskisten, selbsterfahrung und sentimentale sentimentalitäten verwischen sich mit fließband und akkordarbeit. die, denen immer noch was fehlt, gehen zu bagwahn oder in die sedan-tagöll-größenwahn-tanzlokal-combo-gmbh. mit neuem schwung in die 80er. was sonst noch so übrig ist aus der konkursmasse, bewegt sich auf den verschiedenen akw-frontkämpfen und träumt von der großen, ewigen, allumfassenden massenmillimillitanz und zündelt ein wenig an der großstadtluft.

die zustände, gegen die etwas getan werden sollte, haben sich um keinen deut gebessert.

Dokumente

… stark sein – stärker werden …“

samstagmorgen, aprilwetter, erstmal kaffee saufen, ins auto stürzen und zum königsplatz, demo gegen wohnungsnot, für mehr spaß auf der straße. natürlich wieder zu spät, und mann, ich kanns nicht fassen, 2.000 leute, ein einziger schwarzer haufen, panx mit ordnerbinden, vw-bus mit bester, wildester musik, bierflaschen, pogo am karolinenplatz, scheißegal, natürlich, was jucken euch unsere forderungen, was kümmert uns eure ignoranz, wir wollen alles. die welt ist schlecht, das leben schön, farbbeutel an nobelhotels noch schöner. ich seh vor lauter irokesen die bullen-massen nicht mehr, nur ab und zu einen hochhüpfen, wenn ihm schon wieder ein kracher zwischen die beine geflogen ist. tja jungs, in diesen stunden habt ihr nix zu melden, wild in the streets und das musikauto kriegt ihr auch nicht, keine chance, spießrutenlauf, da lacht das herz. die zivis gehen auch nicht leer aus, mit zerrissenen hemden, verbrannt, fußball-spielen mit pflastersteinen, den pigs wirds immer ungemütlicher, ungehaltener, schon wieder eins auf die nase, spaliere abdrängen, gnadenlos der zeit voraus.

jacken tauschen, in der menge untertauchen, denn sie haben schon ein auge auf uns geworfen, odeonsplatz, strauß-gesabber über lautsprecher, es liegt was in der luft. plötzlich schreit einer ins mikro, die zivis greifen leute ab, massenhysterie, alle rennen hinter, wir lassen euch nicht allein, wannen fahren auf, jederzeit einsatzbereit. die schlacht ist schon in vollem gang, jeder gegen jeden, bullenärsche schleifen leute an den haaren über die straße, sie knallen köpfe gegen hauswände, fesseln mit seilen, stiefel ins gesicht, eine verhaftung nach der anderen, sie machen keine gefangenen mehr, diese miesen ratten. wir befreien einen aus den klauen der ss, krieg eine ladung chemical mace ins gesicht, torkle weiter, muss fast kotzen, irgendwoher plötzlich eine zitrone in der hand. wie ich wieder klar seh, schon alles aufgeräumt, saubere arbeit, 20 leute verhaftet, na wartet, schweinepack, vielleicht bist du der nächste. die marstallstraße abgesperrt, wir brechen durch die kette, rennen zur telefonzelle, rufen anwälte an.

30 leute auf zur ettstraße. das gibt terror meine herren, nochmal zum telefonieren, ungutes gefühl, stehen zu zweit in der telefonzelle, ich halt den hörer in der hand als ein zivi die tür aufreißt, schreit, sie sind verhaftet, wieso, auf beschreibung, leg auf, dreh mich um, ich bin mir keiner schuld bewußt, abhauen geht nicht, handschellen, zerren uns in einen bus, lang mich bloß nicht an, arme ausstrecken, keine falsche bewegung, wachhund neben mir, kapier nix.

im revier verwahrungszellen, wir spielen amikrimi, ich laß die flugblätter verschwinden, unsere personalien dürften ja wohlbekannt sein, nach drei stunden werden auch wir in die ettstraße verladen, natürlich durch den hintereingang, denn noch halten die anderen stellung, und dann hock ich da auf der pritsche, einzeln.

ich hör sie draußen schreien: police, police, i don’t care, solang ihr da draußen unser gefängnis bewacht, ihr gebt sicher ein nettes gruppenfoto ab für den bullen, der versteckt hinterm vorhang vorblitzt, euch fotografiert beim schreien, kaffee, bier saufen, kichern auf der straße, eure wut springt ihnen ins gesicht, every cop is a criminal, man o man, tote hunde mit der post verschicken und in jeden bullenarsch eine handgranate. schon wieder ed-behandlung, die alten akten seien abhanden gekommen. in wessen hände wohl. führ mich auf, wieso ich auf einzel liege. komme also in die gemeinschaftszelle.

zwei andere frauen sind da. mädels, denen machen wir die nächsten 24 stunden zur hölle, sie holen mich ins erdgeschoß, immer diesen haß im rücken, wenn sie jeden schritt hinter dir her marschieren, einen telefonhörer in der hand, kontakt zur außenwelt, aber mein anwalt is nich da, zum glück kommt grad ein anderer rein, nimm mich, mein junge, und danke dem polizeistaat für die arbeitsbeschaffung, im anwaltszimmer hab ich immer das gefühl, irgendwo müssen die wanzen sein, oder sie filmen uns von oben. wies weitergeht ist ihm auch nicht viel klarer als mir, aber zigaretten gibts und ein paar spöttische witze, die mein ehrenvolles geleit überhört und mich wieder ins loch bringt, das wars dann wohl für heute.

die nacht vergeht kriechend. wir rauchen eine nach der anderen, und irgendwie das gefühl, so schnell nicht mehr rauszukommen, der harte kopfkeil verursacht alpträume. klar, die müssen uns rauslassen, alle zwei minuten zum pissen und dann erzähl ich witze. der morgen bringt gute laune und lauwarmen malzkaffee und wir sind zu dritt, und überhaupt es reicht, wir malen mit schwarzem benzinstift die ganze zelle an, den haben sie bei der filze übersehen, schmeißen die blech-aschenbecher durch die gegend, klatschen die frühstückssemmel in den spion, hüpfen auf den holzpritschen rum, kreischen, hämmern an die wände, keine wachtel traut sich in unsere nähe, plötzlich geht die tür auf, und die wachtel schreit, die zwei anderen sollen ihre sachen packen und können gehen, einfach gehen, und was is mit mir, hey, ihr wixer, ihr könnt mich doch nicht hier hocken lassen.

verdammt, macht was, draußen hör ich wieder unsere freunde schreien, auf einmal bekannte stimmen vom hof her, ich angele mich aufs fensterbrett, seh die anderen gierig am fenster hängen, die gitter drücken gegen die schläfen, alle angst wie weggeblasen, wir sind zu elft. da kann ich nur noch grinsen. ich merk null wie die wachtel reinkommt, mich vom fenster runterzieht, und dann bin ich plötzlich in einer einzelzelle.

im hof is es mittlerweile auch still. sie wollen mich in eine dunkelzelle stecken, falls ich noch einmal den mund aufmach, und dann führen sie mich zum haftrichter, eine männliche wachtel zieht mich am arm den gang runter ins richtige zimmer, mein anwalt ist auch schon da und meine mutter, im vernehmungszimmer, der verkehrsrichter, ich auf dem bänkchen, alles geht in drei minuten über die bühne, unterschriebener haftbefehl, wegen fehlender sozialer bindung, körperverletzung eines beamten, wenn ich sie nur gefotzt hätte, die pigs.

mein gott, der typ da vorne ist ja noch nicht mal fähig mich anzuschauen; krieg einen durchschlag in die hand gedrückt, und dann schieben sie mich wieder in die zelle ab, treffe einen von uns auf dem gang, ein kuß, schon wird er abgeführt zur gleichen prozedur, auch fehlende soziale bindung. kaum bin ich oben, häng ich wieder am fenster, von allen 28 ist gegen 11 haftbefehl erlassen worden. eins ist sicher, wir werden ihnen das alles heimzahlen. für jede minute einen von ihnen … ich les den rosa wisch zum hundertsten mal, kann ihnen nur noch in die fresse spucken, führ mich auf, schmeiß die alarmglocke, will baldrian und dann penn ich durch.

morgen, freu mich drauf mit den anderen zusammen im schubbus durch münchen zu fahren, um sechs is abtransport, außer mir keiner weit und breit, dafür 20 türken, denen fast die augen ausm kopf fallen, scheiße, war nix mit verabschieden. wie lang ich euch wohl alle nicht mehr seh? die straßen durch gitter und tausend roboter auf arbeitsgang, alltag, fünf semmeln bitte, wer hat euch bloß euer hirn so leer gepumpt?

auf nach neudeck, voll rein in die mühle erstmal wartezelle, gestank, muß meine klamotten abgeben, ab jetzt nur noch anstaltskleidung, grau und steif, einzelhaft, einzelzelle, viel zu weiß und ein viel zu schmales bett, keine bücher, nur fantasie, tagsüber keine matratze, 1 stunde im kreis laufen, die hyänen sind sprungbereit: amokkoma, das war noch lang nicht alles.

wir sind im hungerstreik für zusammenlegung, die tage verlaufen monoton, keiner da zum reden, wieder mal glocke schmeißen, will papier und stift und endlich duschen und klarheit. in meinem kopf nur konfus, ungewißheit macht mürbe, schreibe briefe, albtraum, pläne schmieden, uns gehört die zukunft, verlege alle sinneswahrnehmungen aufs hören, is nich gerade viel, nach 4 tagen erlösung, haftbefehl is aufgehoben, die tür fällt das letzte mal hinter mir zu, stürze die treppen runter, gnädige blicke, und dann bin ich draußen, steh auf der straße, die sonne blendet mich, frühling, keine ahnung, was nun, erstmal richtig rennen, fahren mit dem taxi nach stadelheim, doch die anderen sind noch in den händen unserer entführer, keiner weiß was genaues. am nächsten tag 500 leute vor stadelheim, 500 mal freiheit für alle, 500 mal gebrüll gegen die mammut-mauer, drinnen is der teufel los, eine halbe revolte, brennendes papier zum fenster raus, nur noch geschrei, zellen werden zertrümmert, das ist rhythmus.

Andrea Wolf , 4. April 1981

Bayerisches Sibirien

Der Apparat existiert nicht nur in München, wieso ist das die einzige Stadt, in der eine Organisation wie die Schwarzen Sheriffs die U-Bahnhöfe beherrscht, in deren Knästen CS-Gas eingesetzt wird, Polizeitaktiken ausprobiert werden, in der die größte psychiatrische Versuchsstation ist, die die meisten Todesschüsse von Bullen vorweisen kann? Und es trotzdem noch nie eine kontinuierliche Form von Widerstand gab?

Ein wichtiger Punkt, der selten öffentlich beredet wird, ist Angst, Angst vor Knast, Angst vor Prügel, Angst vor der Klapse, Angst, dass sie mal wieder einfach abdrücken. Uns nicht von dieser Angst bestimmen zu lassen, besser damit umzugehen, bedeutet, wir müssen uns über die Repressionsmittel klar sein, d.h. überlegen, wie Knast ausschaut, wie sie ihn einsetzen, wie der Kampf drinnen ablaufen kann, warum Knastkampf und der Kampf draußen nicht zu trennen sind.

Aus dem Lehrbuch der sauberen Folter

Die wichtigsten Techniken (Ziel: der totale Gehorsam; Aufweichung der Persönlichkeit des Gefangenen) zusammengefasst in einem Schema:

1. Isolierung:

Die Isolierung entzieht dem Opfer jegliche soziale Unterstützung seiner Widerstandsfähigkeit, es entwickelt intensives Interesse an sich selbst, macht das Opfer vom Verhörenden abhängig.

Varianten: totale Einzelhaft, vollständige Isolierung, Halb- oder Gruppenisolierung.

Nach unserem Sitzstreik kam das Rollkommando, sie haben dir die Arme verbogen, dich über Glassplitter geschleift und auf dich eingeprügelt, dann haben sie dich in irgendeine Zelle gesteckt, egal welche. Hauptsache, du warst erst mal weg. Eine Frau hat plötzlich total geschrien, weil sie ihr den Arm gebrochen haben bei der Schlägerei. Wir haben einen Arzt verlangt, stattdessen ist sie in den Bunker geschleppt worden. Wir haben gebrüllt, dass sie die Frau wieder aus’m Bunker holen sollen. Plötzlich geht die Tür auf, eine ganze Horde, zwei packen dich an jedem Arm: »Schau immer grad aus und nicht umschauen, und mach bloß nicht den Mund auf, sonst passiert was (schon wieder ein Schlag in die Rippen), und jetzt links und dann die Treppe runter.«

Keller, Bunker, doppelte Türen, einer ist schon besetzt. Ausziehen, sie nehmen dir alles ab, Tabak, Schmuck, dann stehst du nackt vor den Schweinen wie der letzte Depp. Ein Nachthemd, dann biste drin im Loch. Eine absolut sterile Zelle, weiß, geräuschisoliert, nur Milchglas, Neonlicht Tag und Nacht, einbetoniertes Klo, ein Holzbrett mit hauchdünner Matratze, ein Brett als Tisch, alles hundertprozentig zerstörungssicher. Eine Stunde mussten wir ums Bettzeug kämpfen, außerdem wars saukalt, Winter, und die haben nicht geheizt, und dieser Steinboden. Wir haben dann einen Luftschacht entdeckt, wo sie vergessen hatten, die Klappe zuzumachen, dadurch konnten wir miteinander reden, haben geschrien, Mörder, Mörder, aber gehört hats keiner. Am nächsten Morgen sind wir in einen unbefristeten Hunger- und Durststreik getreten. Nach zwei Tagen schon fast Koma, wir konnten nicht mehr aufstehen, total ausgetrockneter Mund, dauernd schwarz vor Augen, waschen durften wir uns auch nicht, unsere Forderungen haben sie nicht mal angehört, wir haben die ganze Zeit nach einem Arzt und unseren Anwälten verlangt, irgendwann kam dann mal eine Schwester, die keine Ahnung hatte, und uns ein Glas Milch andrehen wollte.

2. Monopolisierung der Wahrnehmung:

Lenkt die Aufmerksamkeit auf die augenblickliche Lage, fördert die Selbstbetrachtung, beseitigt alle Regungen, die nicht vom Wachpersonal kontrolliert werden können, verhindert alle Handlungen, die nicht der Forderung von Gehorsam entsprechen.

Varianten: körperliche Isolierung, Dunkelheit oder helles Licht, kahle Umgebung, eingeschränkte Bewegungsfreiheit, gleichförmige Nahrung.

3. Herbeiführen von Entkräftung, Erschöpfung:

Schwächt geistige und körperliche Widerstandskraft.

Varianten: Unterernährung, Entblößung, Kälte, unversorgte Wunden, Schlafentzug, lange Haft, lange Verhöre, erzwungenes Schreiben, Überanstrengung.

Wenn du schlafen willst, machen die Wachteln Kontrollen, da ist das Licht schon aus, so alle ein bis zwei Stunden gehen sie durch die Gänge und rütteln an der Kostklappe oder hauen mit dem Schlüssel gegen die Tür. Da wachst du jedes mal auf, hockst senkrecht im Bett. Oder sie machen alle halbe Stunde das Licht an mit der Begründung, du wärst selbstmordgefährdet. Da kommst du dann überhaupt nicht mehr zum Schlafen, kriegst Halluzinationen, Paranoia, dauernd Kopfweh, zitterst …

4. Drohungen:

Fördert Angst und Verzweiflung.

Varianten: Todesdrohungen, Drohungen, nicht mehr nach Hause zurückkehren zu können, Androhung endloser Verhöre und Isolierung, Drohungen gegen Familie, unbestimmte Drohungen, unerklärliche Änderung der Behandlung.

Da gab es einen Bürokurs, Schreibmaschine lernen und Steno. Eines Tages stand an der Tafel: »Ponto, Buback, Schleyer, die nächste ist die Meyer.« Das war die Knastleiterin. Sie haben das ganze Stockwerk auseinandergelegt, alle 40 Frauen isoliert, tagelang verhört wegen Todesdrohung, bis dann irgendeine gequatscht hat. Die Frau haben sie zwei Monate lang isoliert, den Briefkontakt gesperrt, weil die nichts gestehen wollte. Plötzlich haben sie sie wieder raus gelassen. Das war mir völlig unerklärlich, aber ziemlich schnell habe ich geschnallt, um was es ging. Sie haben den restlichen Frauen Freizeitsperre gegeben und zu denen gesagt, dass sie das der einen Frau verdanken würden. Als die dann im Hof war, ist sie brutal zusammengeschlagen worden von den Mitknackis, und die Wachteln haben weggeschaut; dann ist sie wieder isoliert worden, Die Wachteln kamen die ganze Zeit und haben ihr erzählt, dass sie bestimmt noch ein Jahr dazu kriegt wegen Todesandrohung. Die Frau war irgendwann fertig.

5. Gelegentliche Gefälligkeiten:

Bewirkt positive Motivation zum Gehorsam, verhindert Anpassung an Deprivation.

Varianten: Wechselndes Verhalten des Verhörenden, Versprechungen, Belohnung für Teilgehorsam, zappeln lassen.

6. Demonstration von »Allmacht«:

Lässt Widerstand sinnlos erscheinen.

Varianten: Konfrontation, Zusammenarbeit als selbstverständlich voraussetzen, Demonstration vollständiger Kontrolle über das Schicksal des Opfers.

Als ich dann die ganze Aufnahme hinter mir hatte, dass sie dir ins Arschloch schaun, dir deine Klamotten abnehmen und dich in Uniform stecken, war ich erst mal eine Woche isoliert, absolut nix, auch kein Hofgang, kein Papier und gar nichts. Dann kam die Knastpsychologin in meine Zelle, so als ob’s völlig selbstverständlich wäre, dass ich jetzt ein bisschen mit ihr plaudere. Sie wollte wissen, was ich denn »gerne« arbeiten würde. Ich hab nur gesagt, dass ich die Arbeit verweigere. Dann kam gleich die übliche Leier, du bist doch so ein intelligentes Mädchen, willst dir doch nicht etwa selber Schwierigkeiten machen??? Als sie gemerkt hat, dass ich da nicht drauf anspring, ging’s gleich mit den Hausstrafen los …

Oder die Knastteitung kommt in meine Zelle. Ich lieg im Bett, weil ich krank bin. Diese SS-Frau, zwei Meter groß, fängt gleich irre das Schreien an, wieso ich nicht beim Hofgang bin, und überhaupt wär’s hier so dreckig. Ich sag ihr, dass ja ich hier lebe und nicht sie, dann sieht sie ein Bild an der Wand: so ein Gitter, wo ’ne geballte Faust rausragt, und drunter steht: Noch scheißen wir auf unser Todesurteil. Sie dreht voll durch: Wenn das bis morgen nicht von der Wand runter ist, kriegen Sie vier Wochen Bunker (Arrest) und Einkaufssperre. Ich hab’s dran gelassen, aber bei der nächsten Zellenfilze haben sie’s mir total zerrissen.

7. Demütigung:

Lässt Widerstand für die Selbstächtung schädlicher erscheinen als nachgeben. Erniedrigt den Gefangenen bis auf das tierische Niveau.

Varianten: Verhinderung persönlicher Hygiene, verdreckte Umgebung, erniedrigende Strafen, Beleidigungen und Hohn, keine Intimsphäre.

Und bei der Zellenfilze haben sie echt jeden Winkel durchsucht, auch Wände und die Gitter abgeklopft, ins Klo haben sie auch rein gelangt und den Abfluss vom Waschbecken weggeschraubt, alles durcheinander geschmissen, Tabak auf’n Boden und drüber Kaffee geleert, die ganzen Bilder konnste wegschmeißen, einfach so ziemlich alles im Arsch. Wir haben einmal eine Beschwerde geschrieben wegen des Essens, also zu wenig Obst und Gemüse und fast kein Fleisch, hauptsächlich war’s echt nur irgendwelcher Mehlpansch, wir haben das so richtig formell gemacht, dass alle unterschrieben haben. Da gab’s dann als einzigste Reaktion eine Woche lang Tiroler Gröstl, also Kartoffeln mit allen Abfällen drin, Hühnerknochen, Brotkrusten usw.

8. Erzwingen von banalen Forderungen:

Entwickelt gewohnheitsmäßigen Gehorsam.

Varianten: Erzwungenes Schreiben, erzwingen unbedeutender Vorschriften.

Zum Aufnahme-Zeremoniell musstest du auch einen Lebenslauf schreiben, aber keinen tabellarischen, sondern mit der jeweiligen Beschreibung deines Arbeitsplatzes … Was die auch oft machen, ist, dass du einen Aufsatz über deine Straftat schreiben musst, und natürlich, dass du dich jetzt davon distanzierst, da haben wir dann immer nur Mist reingeschrieben. Oder wenn den Wachteln irgendwas nicht in den Kram gepasst hat, musstest du die Gittertüren, die die jeweiligen Gänge von den Treppen trennt, oder die Gitter, die um die Vorsprünge der jeweiligen Stock-

werke sind, putzen. Die absolute Sinnlosigkeit dieser Bestrafung ist ihnen ein wahres Vergnügen.

Knast ist eines ihrer stärksten Repressionsmittel. Leute, deren Persönlichkeit drinnen gebrochen worden ist, die rauskommen und nichts mehr wollen, sollen lebende Beweise für ihre Allmacht sein. Sie arbeiten wie immer nach dem Erpressungsprinzip: Verhältst du dich ruhig, ist deine politische Aktivität noch in ihrer Toleranzgrenze, wirst du zwar registriert, im wesentlichen aber in Ruhe gelassen. Sobald du jedoch zu offensiv auftrittst, setzen sie alles daran, dich fertigzumachen.

Sie sagen dir immer wieder, dass sie drinnen alles mit dir machen können.

Wollen dich einschüchtern, abschrecken. Dabei sind genug Leute erst durch den Knast politisch geworden.

Die Willkürlichkeit, mit der sie bei Demos z.B. Leute rausgreifen (11.6.), soll dir dieses Ohnmachtsgefühl vermitteln; wenn sie schon uns nicht hinrichten können, wollen sie wenigstens, dass wir resignieren.

Aber Knast ist nicht viel anders als hier draußen zu sein, mit dem Unterschied, dass du dauernd mit dem Feinden konfrontiert bist, sie mehr Möglichkeiten haben, auf dich einzuwirken, du aber auch mehr Möglichkeiten hast, ihnen den Kampf anzusagen.

Dass Reformen in den Knästen witzlos sind, ich will keinen angenehmeren Knast, sondern ein System ohne Knäste, heißt noch nicht, dass Knastarbeit von außen nicht gemacht werden soll. Gerade das Bewusstsein, dass draußen noch Leute sind, die weitermachen, was für dich machen, stärkt deine politische Identität ungemein. Der Spruch, was eine Bewegung für ihre Gefangenen tut, so stark ist sie auch, ist absolut zutreffend.

In Bayern gibt’s bezeichnenderweise, seitdem sich die Rote Hilfe aufgelöst hat, überhaupt keine Form von Knastarbeit mehr.

Zu den sonstigen Kriegsvorbereitungen gehören auch die Verschärfungen der Knastsituationen. Wenn wir gegen den Kriegswahnsinn kämpfen, können wir die Entwicklung in den Knästen nicht einfach außer Acht lassen. Im Ernstfall sind wir die ersten, die sich in den Kerkern wiederfinden.

Deshalb – auf zu neuen Taten!!!

Anmerkungen

Wir haben die Chronik sowie die beiden Dokumente zum Geschehen in München und zur Freizeit 81 dem wunderbaren Archiv “Sub Bavaria – Proteste in München seit 1945” entnommen und lege Euch ans Herz die Arbeit der Leute mit zahlreichen Besuchen auf der website zu honorieren. Andrea Wolf dürfte den meisten bekannt sein, nach der Zeit bei Freizeit 81 war sie in autonomen und antiimperialistischen Zusammenhänge aktiv, 1995 tauchte sie unter, nachdem ein Haftbefehl gegen sie erlassen worden war und ging anschließend zur PKK nach Kurdistan. 1998 wurde sie nach ihrer Gefangennahme vom türkischen Militär ermordet. Freund*innen und Genoss*innen haben das Buch “Im Dschungel der Städte, in den Bergen Kurdistan” herausgebracht, das Texte von und über Andrea Wolf enthält. Leider ist das Buch mittlerweile vergriffen, wurde aber hier online gestellt. Sunzi Bingfa