Arbeiterkampf [1977]
Zu den toten Genossinnen und Genossen aus der RAF in Stuttgart-Stammheim am 18.10.1977 und im Knast in Stadelheim am 11. November 1977 ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Immer noch sind zahlreiche staatliche Akten unter Verschluß, aus der Gruppe der ehemaligen RAF Mitglieder*innen gibt es widersprüchliche Aussagen zu der Frage ob es sich um staatliche Morde oder um Suizide der gefangenen Genoss*innen gehandelt hat. Unstrittig ist die Tatsache, dass die Haftbedingungen ganz klar auf die (psychische) Vernichtung der Gefangenen abzielten. Ebenso unstrittig ist, dass damals in höchsten Kreisen der Politik und des staatlichen Apparates offen über eine Liquidierung der Gefangenen nachgedacht wurde, selbst der damalige Generalbundesanwalt beim BGH, Klaus Rebmann, hat dies später in einem Interview eingeräumt. Wir wollen am Jahrestag des Geschehens im siebten Stock der JVA Stammheim erneut an die toten Genoss*innen erinnert und auch daran, wozu dieser Staat, mit dem viele ‘radikale Linke’ in den letzten Jahren ihren Frieden zu machen bereit waren, ohne Zweifel in der Lage ist, wenn er sich entscheidend herausgefordert fühlt.
Der folgenden Text erschien im November 1977 im ‘Arbeiterkampf’, der zur damaligen Zeit vom Kommunistischen Bund (KB) herausgegeben wurde. Wir haben ihn entsprechend umfangreich bearbeitet, um ihn digital reproduzieren zu können. Sunzi Bingfa
Die Welle von ,,Selbstmorden“ an politischen Gefangenen in westdeutschen Gefägnissen geht weiter: Nach dem ,,Selbstmord“ an Ulrlke Meinhof 1976 und den ,,Selbstmorden“ an Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan Carl Raspe in der Nach vom 17. zum 18. Oktober (und einem “Selbstmordversuch“ an Irmgard Möller) wurde am Nachmittag des 11. November lngrid Schubert in Ihrer Zelle in München-Stadelheim erhängt aufgefunden. Wie in solchen Fällen schon üblich, deuten nach offiziellen Angaben „alle Anzeichen“ zweifelsfrei auf einen Selbstmord hin. Der ,,Selbstmord“ an lngrid Schubert stelllt eine gefährliche Stufe in der Eskalation zur Vemichtung der politischen Gefangenen dar. Dieser ,,Selbstmord“ deutet darauf hin, dass nun, unabhängig von konkreten Anässen wie der Flugzeugentführung und der Mogadischu-Aktion der GSG 9, an die Liquidierung der ,,prominentesten“ Gefangenen gegangen werden könnte.
Die ,,Selbstmord“-Aktion vom 18. Oktober und die darauf folgenden immer tolleren ,,Entdeckungen“ in Stammheim haben entscheidend dazu beigetragen, in breiteren Teilen der Bevölkerung eine Stimmung zu schaffen, in der auch weitere „Selbstmord“-Märchen Glauben finden könnten. Nur in dieser Atmosphäre sind auch die zahlreichen grellen Skandale möglich, die in den „Ermittlungen“ nach der Stammheimer ,,Selbstmord“-Aktion bisher schon zutage getreten sind. Man mußi es noch einmal ganz klar sagen: Es gibt bei klarem Verstand nicht den geringsten Grund, an einen Selbstmord der Gefangenen zu glauben! Selbst wenn man der These des Staates von einer ,,Selbstmord-Strategie“ der Gefangenen Glauben schenken sollte, wäre es absurd, dass sich ausgerechnet die fünf “prominentesten Gefangene”, die “Staatsfeinde No1” innerhalb von kaum einem Monat umbringen, bzw. versuchen würden, sich unzubringen.
Welchen Sinn sollte eine solche Häufung von Selbstmorden haben? Es zeigt im Obrigen die Perfidie der Hernchenden, wenn sie auf der einen Seite in letzter Zeit immer wieder die Terroristen als Feiglinge hinzustellen versuchten, die mit der Todesstrafe zu schocken wären, während andererseits denselben Menschen unterstellt wird, sie wären bereit, sich selbst umzubringen, nur um ein ,,Fanal zu setzen“. Nach dem ,,Selbstmord“ an Ingrid Schubert ist jetzt auch das Leben der anderen politischen Gefangenen in höchster Gefahr. Besondere Gefahr besteht für Imgard Möller, die einzige Uberlebende der Stammheimer ,,Selbstmord“·Aktion. Diese Zeugin aus dem Weg zu schaffen, könnte das Ziel eines weiteren „Selbstmords“ oder auch „medizinischer Komplikationen“ an Irmgard Möller sein.
Man mag darüber spekulieren, ob die „Selbstmord“-Welle gegen die politischen Gefangenen direkt vom Bundeskanzleramt angeordnet ist oder ob (mit halboffizieller Duldung und Protektion) innerhalb des Staatsapparats faschistische Mordkommandos nach dem Vorbild der argentinischen ,,AAA“ und der brasilianischen „Todesschwadron“ ihr blutiges Handwerk betreiben. Tatsache ist jedenfalls, daß es hier nichtt nur um die Solidarität mit den Gefangenen geht, die aktuell bedroht sind, sondern daß es auch für die ganze gesellschaftliche Entwicklung, für alle demokratischen Kräfte dieses Landes, verhängnisvoll und lebensgefährlich wäre, wenn diese Mord-Praxis, unterstützt von einer zu jeder Schändlichkeit bereiten Lügen-Presse, fortgesetzt und ausgeweitet werden könnte.
Das Klima des risikolosen und ungestraften staatlichen oder halbstaatlichen Mordes darf nicht geduldet werden! Dagegen muß eine breite Kampffront aufgebaut werden, weit über das bisherige Niveau hinaus. Verhindern wir weitere ,,Selbstmorde“ des Staates!
Stammheim: Beweise werden pulverisiert
Am 11. November, drei Wochen nach den Stammheimer „Selbstmorden“ vom 18. Oktober, ereignete sich in Stammheim ein neues Wunder: In der Zelle 721 im 7. Stock (neben der Zelle, wo zuletzt Gudrun Ensslin untergebracht war) wurde wiederum Sprengstoff „entdeckt“. Bereits kurz nach den „Selbstmorden“ waren in der leerstehenden und angeblich als Lagerraum benutzten Zelle 723 270 Gramm Sprengstoff „gefunden“ worden. Beim neuen Fund in der Zelle 721 waren es sogar 400 Gramm. Bei dem wunderbaren Fund in Zelle 723 mußte noch eingestanden werden, daß die Gefangenen mit diesem Sprengstoff gar nichts hätten anfangen können – vorausgesetzt, sie hätten ihn überhaupt gehabt! -, weil keine Sprengkapseln da waren, um den Stoff zu zünden. In der Zelle 721 waren die Wunder-Produzenten offenbar schon gewitzter: diesmal wurden auch drei Sprengkapseln „gefunden“. In der Zelle 721 war zuletzt, und zwar von 25. Juni bis 18. August dieses Jahres Ingrid Schubert untergebracht, die nur einen Tag nach dem neuen Fund einem weiteren „Selbstmord“ zum Opfer fiel. An der Reaktion der bürgerlichen Presse in den nächsten Tagen wird sich erweisen, wieweit das neue Wunder in der Zelle 721 auch direkt als Teil der psychologisch-propagandistischen Vorbereitung des „Selbstmordes“ zu sehen ist, wieweit es also dazu dienen sollte, die Gefangene Schubert als besonders gefährliches Subjekt erscheinen zu lassen, an deren „Selbstmord“ kein Zweifel bestehen darf.
Die Springer-Presse scheint schon auf dieser Tour abgefahren zu sein: “…In Stammheim hatte sie jedoch offensichtlich ein lebensgefährliches Souvenir hinterlassen: Am Freitag wurden in ihrer alten Zelle 400 Gramm Sprengstoff und drei Sprengkapseln entdeckt“ (“BamS“, 13.11.). Die Zelle 721, die nach dem 18. August leer gestanden hatte, war bereits nach den „Selbstmorden“ vom 18. Oktober gründlichst durchsucht und in ihre Einzelteile zerlegt worden. In dieser Zelle wurden damals angeblich Rasierklingen und eine Magensonde in einem Versteck gefunden. Die amtliche ,Untersuchung‘ der Zelle war also abgeschlossen. Über den neuen Sprengstofffund heißt es daher, er sei „zufällig” entdeckt worden, nämlich von einem Gefängnisbaukommando. Schon die Annahme war eine geistige Zumutung, dass die nach dem 18. Oktober zahlreich „entdeckten“ Funde in den Stammheimer Zellen wirklich bei den täglichen oder fast täglichen Zellen-Durchsuchungen durch das Wachpersonal übersehen worden sein könnten.
Mit dem neuen Fund in der Zelle 721 verhält es sich noch weitaus krasser: Diese Zelle war nach dem 18. Oktober, wie die anderen Zellen dieses Trakts auch, von den fähigsten Spezialisten des Bundeskriminalamts, zweifellos auch des VS, und anderer Stellen zentimeterweise durchwühlt worden. Wie hätte da der Sprengstoff “übersehen“ werden können, wenn er wirklich schon in der Zelle war? Es gibt nur zwei mögliche Schlussfolgerungen: – Entweder ist dieser Sprengstoff nach der amtlichen Durchsuchung in der Zelle platziert worden, wobei sogar die totale Unwahrscheinlichkeit dieses Fundes und ein neuer Skandal in Kauf genommen wurden, um neue Provokationen vorzubereiten. – Oder aber dieser Fund war tatsächlich so gut in der Wand versteckt, daß er normalerweise nicht zu finden war, sondern wirklich nur bei einem Abbruch der Wand entdeckt werden konnte. Ein solches Versteck anzulegen, wäre aber für die Gefangenen zweifellos mit ihren Mitteln nicht möglich gewesen. Die Frage wäre also in diesem Fall, ob der Sprengstoff (und andere Überraschungen) vielleicht schon bei der Errichtung des Stammheimer Gefängnisses – in erster Linie eine „Sonderanfertigung“ für die RAF, wie man sich erinnern wird! – mit eingemauert wurde, sozusagen als jederzeit benutzbare “Zeitbombe“ für die Inszenierung von Provokationen gegen die Gefangenen. So oder so wurde das neue Sprengstoff-Wunder in der Zelle 721 zum Anlaß genommen, um eine “Radikalkur“ anzuordnen: Baden-Württembergs neuer Justizminister Palm ordnete an, “daß alle nichttragenden Wände der Terorristenzellen in der Stammheimer Haftanstalt abgerissen werden. Ferner erhielt das Baukommando den Auftrag, alle Fußböden aufzureißen und den Putz von den tragenden Wänden zu stemmen“ (“Hamburger Abendblatt“, 12.11.).
Nachdem schon bei den ersten Durchsuchungen nach dem 18. Oktober der Inhalt der Zellen weitgehend zerstört und in Kleinstteile zerlegt wurde, bedeutet die neue Anordnung praktisch die endgültige Pulverisierung der Umgebung, in der sich das Wunder von Stammheim ereignet hat. Hier wird man nie mehr beweisen können, was wirklich in den Wänden usw. war – und wer es dort hingesteckt hat!
Warum durfte die Todeszeit von Baader und Ensslin nicht ermittelt werden?
Es dürfte ziemlich einmalig in der Kriminalgeschichte sein, wie bewußt und systematisch versucht wird, die Todeszeit von Andreas Baader und Gudrun Ensslin zu verschleyern. Sie ist angeblich bis heute nicht festgestellt worden, obwohl sie zur Ausstellung eines Totenscheins und zu den Aufgaben der die Obduktion (Leichenuntersuchung) vornehmenden Ärzte gehört! Einer der beiden obduzierenden Ärzte, Prof. Mallach (Tübingen) erklärte dazu am 26. Oktober, die Ärzte hätten “noch nicht den Auftrag bekommen, das zu tun“, d.h. die Todeszeit festzustellen. Den Auftrag dazu haben die Ärzte offensichtlich immer noch nicht bekommen. Richtiger gesagt: Da es eine normale Pflicht und Routine-Übung der obduzierenden Ärzte gewesen wäre, die Todeszeit festzustellen, muß man wohl davon sprechen, daß ihnen dies direkt verboten wurde! Zu diesem Punkt führte Prof. Mallach aus: “… Wir haben zur Todeszeit überhaupt noch nicht Stellung genommen, aus dem einfachen Grund, weil wir erst abends an die Leichen heran durften. Wir durften also gar nichts machen, und je länger Sie warten, desto ungenauer wird das.“ (Feststellung der Todeszeit). So sei selbst die Temperatur der Leichen erst abends gemessen worden, von anderen für die Ermittlung der Todeszeit wichtigen Daten ganz zu schweigen. Mallach: “… Wir durften ja die Leichen nicht berühren …Es ist ein Vertreter des Justizministeriums gewesen, der uns gebeten hat, nichts zu unternehmen, bis nicht alle Gerichtsmediziner aus dem Ausland zusammen sind … Wir haben die Leichen überhaupt nicht berührt, ich habe sie gar nicht angefasst, nur einen Blick hineingeworfen in die Zelle.“
Der Vorwand ist natürlich mehr als lächerlich. Nichts hätte dagegen gesprochen, sofort bei Auffinden der Leichen deren Temperatur zu messen und einige andere Daten zu ermitteln, auch ohne die ausländischen Mediziner. Die Einladung ausländischer Gerichtsmediziner – ein außerordentlicher Vorgang und begleitet von entsprechenden gehässigen Kommentaren der Springerpresse – sollte ja angeblich gerade demonstrieren, daß der westdeutsche Staat in dieser Sache absolut nichts zu verbergen habe, sondern der Weltöffentlichkeit seine Leichen ungeniert vorführen könne. Es ist also makaber und absurd, wenn dann das Warten auf die ausländischen Ärzte benutzt wurde, um eine Verschleierung der Todeszeit zu rechtfertigen. Umso mehr, da anscheinend nach der Obduktion bis heute den obduzierenden Ärzten sogar verboten wurde, wenigstens mit den von ihnen am Abend des 18.10. ermittelten Daten eine Schätzung der Todeszeit zu treffen. Kackfrech erklärte dazu der zuständige Staatsanwalt Hermann: ,,Ich habe noch keine Todeszeit. Wenn ich weiß, daß einer einen Brief geschrieben hat, daß er sich aufhängen wird, und er sich dann aufhängt, dann interessiert es mich gar nicht, ob er sich morgens oder abends aufgehängt hat“ (“Informationsdienst für unterdrückte Nachrichten, ID“ vom 5.11.77).
Logisch, daß der bürgerliche Staat kein Interesse hat, irgendwelche Dinge zu untersuchen, die mit der offiziell vorgefassten Selbstmord hese nicht übereinstimmen. Tatsache ist aber auch, daß gerade um die Obduktion der drei toten Gefangenen von der Bundesregierung ein riesiger internationaler Wirbel gemacht wurde und daß publizistisch-propagandistisch einiges auf die Beine gestellt wurde, um den Anschein zu erwecken, als würde wirklich eine ehrliche und vorurteilsfreie Untersuchung stattfinden, und als würde penibel jedem Hinweis nachgegangen, daß vielleicht doch ein “Fremdverschulden“ (=Mord) vorliegen könnte. Unter diesen Umständen kann es weder mit staatsanwaltlicher Arroganz begründet werden, noch mit Schlamperei dass die Todeszeit von Baader und Ensslin nicht ermittelt wurde. Man kann vernünftigerweise nur schlussfolgern, dass das Interesse des Staates an einer Verschleierung der Todeszeit so groß ist, daß dafür sogar die internationalen Zweifel in Kauf genommen werden, die diese Verschleierung hervorruft! Vermutlich wird, nach der bisherigen Erfahrung, in nächster Zeit doch noch eine “amtlich festgestellte“ Todeszeit veröffentlicht werden, um auch diese Lücke in der “Selbstmord“-Legende noch zu schließen. Überprüfen wird das dann keiner mehr können.
Steht die Verschleierung der Todeszeit etwa in Zusammenhang mit dem seltsamen und bisher unerklärlichen Befund an den Schuhen des toten Baader? Rechtsanwalt Heldmann, der die Obduktion teilweise beobachtete, erklärte dazu: “Baader hat feste Schuhe angehabt, praktisch ungebrauchte Schuhe, die er nie getragen hat. An ihren Sohlen befand sich ein sehr intensiver Belag mit feinkörnigen Sand. Es waren nicht nur einzelne Körnchen, sondern mehr eine flächenweise Sand Anhaftung … Das habe ich selbst gesehen. Dies ist insbesondere auch dem Wiener und dem Züricher Pathologen bei der Leichenbeschau aufgefallen, und der Wiener hat in meiner Gegenwart gefragt: ,Wo kommt denn der Sand an den Schuhen her?‘ Der Beamte hat jegliche Auskunft verweigert … Dieser Sand kann weder vom Hof in Stammheim kommen, auf den Baader ohnehin nicht gekommen ist, noch von dem überdachten Dach, wo die Gefangenen ihren Freigang hatten, da dieser betoniert ist“ (Interview mit dem Arbeiterkampf, AK 116, S. 7). Steht der Sand an Baaders Schuhen in Zusammenhang mit der in Mogadischu zur Erstürmung der Lufthansarnaschine angewendeten ,,Kriegslist“ (Wischnewski)? Oder handelt es sich lediglich um ein weiteres Stammheimer Wunder? Der Wiener Gerichtsmediziner Prof. Holczabek, der an der Obduktion teilnahm, hat bestätigt, daß sich an Baaders Schuhen “Fremdkörper“ befanden, die wie Sand aussahen. Er selbst hat daraufhin eine mineralogische Untersuchung dieser „Fremdkörper gefordert, aber vergeblich. Im Übrigen betonte Prof. Holczabek, daß weder er noch einer der anderen mit viel Trara von der Bundesregierung angekarrten ausländischen Gerichtsmediziner an der Obduktion mitgewirkt hat. Sie hätten der Obduktion vielmehr nur „beobachtend beigewohnt“. Seither habe er „überhaupt nichts mehr aus der BRD von der offizieller Seite gehört“ (alles Angaben nach ,,ID“, 4.11.77).
Die Heranziehung ausländischer Gerichtsmediziner war also offensichtlich nicht” anderes als eine Propaganda-Show. Alle Untersuchungen, z.B. auf Giftstoffe oder Betäubungsmittel im Körper oder auf die Todeszeit, wurden ausschließlich von den zwei westdeutschen Gerichtsmedizinern vorgenommen – bzw. oder auch nicht …
Wie weitere Beweise vertuscht wurden
Würde unter normalen Umständen ein Mann mit einem Einschuß im Hinterkopf aufgefunden, so würde kaum derart dreist ausschließlich auf Selbstmord “ermittelt“ werden. In so einem Fall würden normalerweise z.B. sehr gründlich alle feststellbaren Fingerabdrücke gesichert und geprüft werden (Man vergleiche die Fahndung nach den angeblichen Schleyer-Entführern!). In Stammheim ist das offenbar nicht geschehen. Erstaunen löste besonders die Behauptung aus, an allen drei „Selbstmordwerkzeugen “ (Zwei Pistolen, ein Essmesser) seien keine Fingerabdrücke gewesen, da sie zu blutverschmiert gewesen seien. Ein Fall, von dem man in der Kriminalistik nur selten oder gar nicht gehört hatte.
Während der Vernehmung bestritt überdies ein Mann des Wachpersonals dass die in Raspes Zelle gefundene Pistole blutverschmiert gewesen sei. Er selbst habe die Pistole mit einem Taschentuch gefaßt, um sie vom Boden aufzuheben. Er habe in seinem Taschentuch kein Blut feststellen können. Diese Meldung wurde in der BRD und Westberlin nur von der “Stuttgarter Zeitung“ veröffentlicht, ansonsten aber verschwiegen, während die großen ausländischen Zeitungen darüber berichteten (z.B. „Le Monde“, vom 10.11.). Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft sah sich gezwungen, zuzugeben, daß die Pistole in der Tat nie blutverschmiert gewesen ist – es seien aber trotzdem auf der Waffe “keine verwertbaren Fingerabdrücke festgestellt“ worden” (“Stuttgarter Zeitung“, 9.11.). Dieser Vorgang veranlaßte die Stuttgarter Zeitung“ zu dem Kommentar: “… Der Ausschuß (gemeint ist der Untersuchungsausschuß des bad.-württ. Landtags – Anm. AK) wird jetzt klären müssen. wie es zur ersten, offenbar falschen Mitteilung kommen konnte, und wie es sich die Staatsanwaltschaft erklärt, dass an der Waffe keine Fingerabdrücke waren“ (ebenda). Wahrscheinlich hat Raspe die Abdrücke nach seinem „Selbstmord“ abgewischt? Fingerabdrücke hätten z.B. auch auf den Patronen sichergestellt werden können, die angeblich um Raspe herum / verstreut lagen. Die Frage ist, ob nicht auch auf den insgesamt vier abgeschossenen Patronen Abdrücke sein könnten. Weiter: Falls Gudrun Ensslin sich selbst am Fenster aufgehängt haben sollte, so müßte sie an bezeichnenden Stellen eine Fülle von Abdrücken hinterlassen haben. Auch davon hat man nichts gehört.
Experten haben darauf hingewiesen, daß ihrer Meinung nach das Rätsel um die drei Schüsse, die aus der bei Baader gefundenen Pistole abgegeben wurden, leicht zu lösen wäre: Werden mehrere Schüsse aus einem Lauf abgeben, so weist die zuerst abgeschossene Patrone andere Kratzspuren auf als die später, aus dem erhitzten Lauf abgeschossenen. Es wäre also zu ermitteln, ob Baader zuerst in die Wand geschossen hat und danach sich in den Kopf – oder umgekehrt! … Das heißt, es könnte eventuell nachgewiesen werden, daß Baader die zwei Schüsse in die Wand gar nicht selbst abgegeben haben kann (da der Kopfschuss sofort tödlich war).
Nachdem Irmgard Möller gegenüber ihrer Verteidigerin angegeben hatte, sie sei vor dem an ihr vorgenommenen „Selbstmordversuch“ möglicherweise betäubt worden, wurden angebliche Untersuchungsergebnisse aufgetischt, die diese Möglichkeit ausschließen sollten: “In ihrem Blut und Urin fanden die Ärzte keinerlei Rückstände von Betäubungsmitteln“ (“Spiegel“, 45/77). „… Bel Baader, Raspe und Ensslin sind Reste von bewußtseinsbetäubenden Mitteln im Körper nicht festgestellt worden“ („FAZ“, 4.11.). Diese Darstellung nährt die Zweifel eher, statt sie zu beseitigen. Ist es überhaupt glaubhaft, daß an Irmgard Möller nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus entsprechende Untersuchungen auf mögliche Rückstände von Betäubungsmitteln vorgenommen worden sein sollen? Wenn ja, so fragt sich doch: Warum?! Schließlich ist das keine Routineuntersuchung, die in so einem Fall automatisch vorgenommen wird. Im Übrigen müßten zwischen der mutmaßlichen Betäubung (die nach Angaben von Irmgard Möller zwischen 4.30 und 5.00 Uhr geschehen sein müsste) und einer eventuellen Untersuchung im Krankenhaus (wo sie frühestens gegen 8.45 eingeliefert wurde) rund gerechnet mindestens vier Stunden vergangen sein – ein Zeitraum in dem sich bestimmte Mittel gar nicht mehr nachweisen lassen, wohl selbst nicht wenn mehr man es wollte. Was die Toten angeht, so dürften zwischen dem „Selbstmord“ und einer toxikologischen Untersuchung (auf Gifte und Betäubungsstoffe), falls überhaupt eine vorgenommen wurde, mindcstens zwölf Stunden vergangen sein. Es ist ohnehin kaum überprüfbar, was sich bei derartigen „Ermittlungen“ an Schiebungen, Fälschungen usw. abspielt. In diesem Fall sind die Beispiele für auf Vertuschung zielende „Ermittlungsmethoden” aber noch weitaus dicker und zahlreicher als üblich! Die inländische und ausländische demokratische Öffentlichkeit muß dafür sorgen, daß über diesen Sumpf kein Gras wächst!