Erster Mai 2009 Berlin (mit Video Edition)

Der letzte offensive 1. Mai den Berlin gesehen hat. Irgendwie kam er aus dem Nichts, war betörend schön, aber wie alle mysteriösen Geschehnisse, deren Genese sich dem Verstand entzieht, so verschwand all das was an diesem Abend aufblitze, auf genauso geheimnisvolle Weise wieder im Nebel, als wenn es dies alles niemals gegeben hätte. Zwei Berichte die danach auf indymedia erschienen sind, sowie der Verlauf der Demo in Bildern. Sunzi Bingfa

Eine Chronologie

Reichenberger Straße

Die Demonstration formiert sich. (Bundespolizei-)Bullen stellen sich derweil in Zugstärke links und Rechts auf dem Bürgerstreig auf, ziehen sich jedoch zurück, als es zu ersten, noch vereinzelten Steinwürfen kommt. Auch das Kamerafahrzeug, welches bis gerade eben noch auf Wurfdistanz den Frontblock abfilmt, vergrößert seinen Sicherheitsabstand auf rund 100 m.

Reichenberger/Mariannenstraße

Nachdem alle Redebeiträge gehalten und die Acts auf dem Truck mit dem Programm durch sind, setzt sich die Demo in Bewegung. An der Spitze ein (das man sowas für Berlin noch sagen kann) Schwarzer Block, überwiegend vermummt und in Ketten.

Mariannenstraße/Skalitzer Straße (Tankstelle)

Am Gelände einer Tankstelle trifft der Frontblock auf die erste größere Bullenformation. Ein sehr lauter Feuerwerkskörper fliegt, danach folgt ein Hagel von rund drei Dutzend Wurfgeschossen. Die Bullen flüchten sich sichtlich überrascht hinter ihre Fahrzeuge, vereinzelte Schilde sind zu sehen. Die Intensität dieser direkten Aktionen, die unmittelbar aus der Demo heraus stattfinden, überschreitet schon an dieser Stelle die Qualität des vorigen Jahres: Kurz nachdem Glietsch von Demonstranten umringt wurde, waren an der selben Stelle vereinzelt Gegenstände auf die Bullen niederprasselten, worauf die Demo sich allerdings zügig auflöste (2008).

Mariannenstraße/Skalitzer Straße (Kreuzungsbereich)

Kurzzeitige Verunsicherung. Menschen in den hinteren Reihen bleiben stehen, sind offensichtlich überrascht von den Aktionen, auch bei den Militanten an der Spitze kurzzeitig Hektik: So etwas hat es seit Jahren nicht mehr gegeben. Der Puls geht runter, als die hinteren Reihen, wieder zur Spitze aufschließen und der Zug sich geschlossen in Richtung des Myfests bewegt.

Mariannenstraße

Im Myfest ruft die Spitze des Demonstrationszuges gemischte Reaktionen hervor. Viele bejubeln den kämpferischen Block. Acts auf den Bühnen „Grüßen die 18-Uhr-Demo“, beglückwünschen die Demonstranten im „Kampf gegen Umstrukturierung“, andere raunen, schimpfen auf die „Verrückten“ und „Chaoten“. Die positiven Resonanzen überwiegen offenbar, immer wieder Applaus, Schulterklopfen o.ä.

Mariannenplatz

Der Weg durch das Myfest hält an. Die Bullen können hier nicht agieren, höchstens verdeckt Aufklären, ohne Zuzugreifen, da geschlossene Verbände hier schnell eskalieren würden: Sie können hier weder martialisch Auftreten, noch einen Riot in den vollbesetzten Straßen provozieren. Auf Höhe des Mariannenplatzes biegt der Zug rechts in die Muskauer Straße ein und lässt den Strom der MyFestbesucher damit hinter sich.

Muskauer Straße/Manteuffel

Im Bereich der Kreuzung kommt es zu einem ersten massiven Bullenangriff, der jedoch erfolgreich und ohne Festnahmen zurückgeschlagen wird. An der Kreuzung ergibt sich für rund 10 Minuten eine Konfrontation, in der sich ca. 50 Bullen in Schutzanzügen und Tonfas, sowie Demonstranten mit Wurfgeschossen in gerader Linie gegenüber stehen. Die Bullen stehen buchstäblich mit dem Rücken an der Wand, können mir ihren Tonfas gegen den massiven Steinhagel nichts ausrichten (Erinnerungen an den 2.Juni 2007 werden wach), Der Polizei stehen an dieser Stelle weder Fahrzeuge, noch Verstärkungen bereit, wohin Greiftrupps sich mit Gefangenen zurück ziehen könnten. Die Bullen belassen es bei hoffnungslosen Scheinangriffen, nehmen niemanden Fest.

Muskauer Straße

Die Bullen ziehen sich vom Kreuzungsbereich zurück auf die linke Seite des Gehwegs, wo sie weiter massiv eingedeckt werden, Der Demozug setzt sich wieder in Bewegung, Treibt die Bullen am Rand vor sich her „Haut ab!“-Rufe sind zu hören. Weiter massiver Bewurf. Bullen ducken sich, gehen kurzzeitig zu Boden, Kameras zerbersten.

Muskauer/Pücklerstraße/Waldemarstraße/Lausitzer Platz

Hier ist die Polizei allmählich besser aufgestellt. Die Präsenz steigt rasch an auf mindestens zwei Hundertschaften. Viele einzelne Greiftrupps sind im Gelände verteilt, die Bullen bieten keine glatte Angriffsfläche, sind z.T. umringt von Schaulustigen und daher kaum auf Distanz zu halten. Zahl der Wurfgeschosse nimmt ab. Der Demonstrationszug zerfasert über den ganzen Platz. Überall Greiftrupps. Ob es hier unter den Vorbeiziehenden Leuten zu Festnahmen kommt, ist nicht bekannt.

Skalitzer Straße/Lausitzer Str.

Der Demonstrationszug überquert die Skalitzer Straße und bewegt sich in die Lausitzer. Hier stoppt der Zug für mehrere Minuten. Offenbar wird über eine Änderung der Route verhandelt. Nach einer gefühlten Viertelstunde setzt der Zug sich wieder in Bewegung und biegt in die Wiener Straße ein.

Wiener Straße

Auf der Wienerstraße sind die Bullen wiederum kaum dezentral aufgestellt. Große gut sichtbare Formationen bewegen sich auf dem Fahrbahnbereich und ziehen allerhand Wurfgeschosse auf sich. An der ehemaligen Feuerwache zieht eine Einheit massiven Steinhagel auf sich, steht mit dem Rücken zur Wand. Zwei Polizeifahrzeuge, ein Verkehrsauto und der Auswertungswagen einer Videoeinheit stehen plötzlich mitten im Demonstrationszug. Scheiben gehen zu Bruch, Steine fliegen. Dabei werden auch Teilnehmer der Demonstration verletzt, weil einige unnötiger Weise aus 20. Reihe werfen.

Wiener Straße/Görlitzer Bahnhof/Skalitzer Straße

Auf dem Weg zum Kottbusser Tor zerstreut sich die Menge zusehends. Viele, viele kleine Gruppen sind im Laufschritt unterwegs. Kleine Konfrontationen, einzelne Steinwürfe an allen Ecken. Faktisch ist die Demo an dieser Stelle aufgelöst.

Kottbusser Tor

Geschlossene Polizeieinheiten sind kaum aufgestellt. Die Hundertschaften warten noch am Kottbusser Damm, in der Reichenberger Straße (nord-östlich vom Kotti) und in der Skalitzer (westlich vom Kotti). Allerdings sind viele zivile Aufklärer unterwegs, von einigen Dächern filmen Polizisten, ein Hubschrauber mit Wärmebildkamera schwebt über den Köpfen.

Als zum ersten mal massiv Polizeieinheiten aus Richtung Reichenberger Straße auf den Kotti stürmen, werden diese von einem massiven Steinhagel zurück gedrängt. Das Manöver wiederholt sich in den kommenden 15 Minuten noch rund ein Dutzend mal. Festnahmen werden dabei kaum getätigt, sie können nur zerstreuen und sich zurückziehen. Pfefferspray und Tränengas kommen massiv zum Einsatz.. Auf der anderen Seite soll es auch zum Einsatz mehrer Molotowcocktails gekommen sein.

Nach einer halben Stunde haben sich die wartenden Hundertschaften in kleine Gruppen gesplittet und flächendeckend auf dem Kotti verteilt. Die Bühne vor Ort wird gestürmt und abgeschaltet. Es folgen die Scharmützel der letzten Jahre mit kleineren Barrikaden, wobei die Bullen die Oberhand gewinnen. Autonome ziehen sich zunehmend zurück. MyFest Besucher, Hooligans etc. pp. treten an ihre Stelle. Ein Großteil der Festnahmen dieses Tages ist wohl ab hier zu beklagen.

Eine Nachbetrachtung zum Geschehen: 15.000 auf revolutionärer 1. Mai Demo in Berlin

Während und nach der revolutionären 1.Mai-Demonstration in Berlin kam es am Freitagabend zu Ausschreitungen. Die Polizei war von Anfang an sehr präsent und dicht an der Demo. Schon ca. 300m nach Demostart wurden die ersten Polizeihundertschaften verjagt. Bei späteren Angriffen der Polizei auf die Demo gab es etliche Verletzte. Der Aufzug wurde daher frühzeitig beendet und die Route gekürzt. Stärkster 1.Mai in Berlin seit 2004!

Am gestrigen Freitagabend fand in Berlin die alljährliche revolutionäre 1.Mai-Demonstration statt. Während bei den Demonstrationen von Gewerkschaften und dem MayDay-Bündnis lediglich an die 5000 Menschen waren und damit die erwarteten Zahlen(DGB:20000, MayDay: 10000) weit unterboten wurden, konnte die revolutionäre 1.Mai-Demonstration in diesem Jahr wieder an Stärke gewinnen und lief mit etwa 15000 Personen durch Kreuzberg.

Im Vorfeld hatte es die übliche Hetze von CDU und Boulevard-Presse gegeben, aber auch die Linkspartei mischte mit als bekannt wurde, dass ein Linkspartei-Kommunalpolitiker die Demonstration anmeldete. Daraufhin distanzierten sich die Führungsebenen von der Berliner Linkspartei und der Bundes-Linkspartei von der Demonstration. Lediglich die Antikapitalistische Linke innerhalb von Die.Linke solidarisierte sich mit Anmelder und Aufzug. Motto der Demo war „Kapitalismus ist Krieg und Krise!“

Die Demo sammelte sich zunächst in der Reichenberger Straße südlich vom U-Bahnhof Kottbusser Tor und unweit vom MyFest und der dortigen Bühne „Barrio Antifascista“. Es formierten sich zunächst 3 größere Blöcke. Der Größte war wohl der sogenannte Jugendblock von unter anderem der AJAK, AIR und dem Schülerbündnis „Bildungsblockaden einreißen!“. Dieser Block lief an der Front. Dahinter gab es noch einen Solidaritätsblock für Mumia Abu-Jamal und von kurdisch-sprachigen Linken. ALB und ARAB organisierten außerdem erneut einen großen Truck, von welchem aus ein paar Acts spielten.

Gegen 19 Uhr schließlich setzte sich der Aufzug weitestgehend vermummt in Bewegung und bog zunächst in die Mariannenstraße ein. Die Polizei war von Anfang an massiv an der Demo, wurde allerdings auch schon früh attackiert als der Aufzug die Kreuzung Mariannenstraße/Skalitzer Straße erreichte. Mit Polen Böllern, Flaschen- und Steinhagel wurden so zunächst die ersten Einheiten vertrieben ehe es durchs MyFest-Areal ging. Hier wurde gleich zu Beginn von den vorderen Reihen eine Bengalische Fackel entzündet, die dem Aufzug ein imposantes Bild verpasste. Die an die Route angrenzenden Bühnen stellten die Musik ein und grüßten die Demo. An der Ecke Mariannenstraße/Muskauer Straße bog die Demo schließlich ein und verließ das Fest.

Kurz hinter der Kreuzung Muskauer Straße/Manteuffelstraße griffen Einsatzhundertschaften nun zum ersten Mal die Demo frontal an und verletzten dabei etliche Teilnehmer mitunter schwer. Nun gab es abermals einen Flaschen- und Steinhagel, sowie massig Böller, die auf die zahlreichen Beamten niederprasselten. Nach rund 10 Minuten hatte sich der Aufzug wieder formiert, die Situation war allerdings äußerst angespannt und zum Teil unübersichtlich. Langsam zog die Demo nun im Polizeispalier weiter, ehe sie an der nächsten Biegung der Ecke Muskauer Straße/Eisenbahnstraße erneut zum stehen kam, weil die hinteren Teile der Demo zu langsam liefen und aufrücken mussten. Während dessen regneten fortwährend Steine und Flaschen auf die drumrum befindlichen Polizisten nieder. Am Lausitzer Platz kam die Demo erneut zum Stehen, lief dann zur Ecke Lausitzer Straße/Wiener Straße weiter, wo sie nochmals für rund 10 Minuten zum stehen kam.

Hier wurde klar, dass sich das Bündnis dafür entschied doch nicht noch nach Neukölln und dann zurück zum Kottbusser Tor zu laufen, sondern von der Wiener Straße auf die Skalitzer Straße einzubiegen und schließlich den Aufzug am Kottbusser Tor frühzeitig und mit gekürzter Route zu beenden. Der weitere Marsch nach Neukölln wäre sicherlich nach hinten losgegangen, hätten die Cops hier doch weit ab vom MyFest beste Möglichkeiten die Demo anzugreifen und abzudrängen. Gegen 21 Uhr kam die Demo nun am Kottbusser Tor an. Dadurch konnten sicher etliche weitere Verletzte verhindert werden. Die Polizei, die sich dessen bewusst ist, dass sie Feindbild Nr.1 in Kreuzberg am 1.Mai und darüber hinaus ist, war von Anfang an äußerst repressiv an der Demo dran, provozierte so ganz bewusst und trägt definitiv damit zumindest eine Mitschuld an der Eskalation der Demo.

Am Kottbusser Tor ging der Trouble nun weiter. Rannten die Hundertschaften an einer Stelle rein und stifteten Unruhe und Angst, wurden sie ebenso offensiv auch wieder zurückgeschlagen und mussten ein ums andere Mal etwas schneller den Rückwärtsgang einlegen. Es fiel dabei auf, dass die Beamten in diesem Jahr vor allem den Fokus auf das Verletzen von Menschen gelegt hatten und weniger auf das Löschen und Verhindern von Feuern, die schließlich zahlreich rund um das Zentrum Kreuzberg loderten. Auf der Adalbertstraße am Zentrum Kreuzberg errichteten Migranten, Autonome und Punks zunächst Barrikaden aus am Rand stehenden Hamburger Gittern und schützten sich so vor einem Großangriff der Cops. Die Polizei setzte nun unter anderem Tränengas und Pfefferspray ein, sprühte dies sogar Leuten aus unter 0,5m Entfernung direkt ins Gesicht, wodurch diese zum Teil starke Atemprobleme bekamen. Wenn die Beamten rein rannten, dann weniger Knüppel Schwingend, sondern viel mehr exzessiv tretend und schlagend. Einer jungen Schwangeren schlug ein Beamter mit Berliner Stadtwappen am Ärmel mehrmals in den Bauch. Die Auseinandersetzungen dauerten bis etwa 0.30 Uhr an und es wurden etliche Personen verletzt und festgenommen.

Abschließend bleibt zu sagen, dass dies der kräftigste 1.Mai in Berlin seit 2004 war und sich dieser dem positiv-Trend der letzten 2 Jahre anschloss. Im vergangenen Jahr griffen Linke den Berliner Polizeipräsidenten Dieter Glietsch aus dem ca. 12000 Menschen großen Aufzug heraus an, vertrieben die vor der Demo fahrenden und laufenden Polizeikräfte und konnten einen Angriff von Team Green erfolgreich zurückschlagen.