Ein unvergessener, magischer Augenblick: nachdem der black bloc über Stunden an diesem ungewöhnlich grauen 1. Mai durch Mailand gezogen war und kaum eine Schaufensterscheibe heil geblieben ist. löst er sich ins Nichts auf. Zurück bleiben nur Helme, Knüppel, schwarze Jacken und Umhänge. Ein zeitgenössischer Bericht, der wenige Tage danach veröffentlicht wurde. Sunzi Bingfa
Zu den Aktionstagen gegen die Expo waren viele Leute aus Italien sowie vielen anderen Ländern der Einladung verschiedener Gruppen Mailands gefolgt und trafen bereits Anfang der Woche in der Stadt ein.
Aus dem Aufruf des No Expo-Bündnis:
„Das Großevent, welches unsere Stadt zerstört und welches sich als Laufsteg darstellt, um die Mechanismen der Prekarisierung des Lebens und der Arbeitswelt zu festigen und zu intensivieren, die unsere Generation an eine Nicht-Zukunft fesseln. Sich gegen die Expo zu wehren, bedeutet für uns, sich gegen ein sozio-ökonomisches Modell zu wehren, das auf Ausbeutung beruht, sei es der Natur oder des Menschen“.
Die Gegner*innen der Expo hatten viele Gründe auf die Straße zu gehen: Gegen die Stadt Umstrukturierung, prekäre Arbeitsverhältnisse und eine vermeintlich “gute Zukunft und Wachstum für alle” die von Regierung des Premiers Renzi versprochen wird. Rund 2,5 Milliarden Euro hat die Mailänder Expo gekostet und wurde von Korruptions Skandalen überschattet.
Mindestens 145 Länder beteiligen sich an der Expo und einige Länder haben sich ihre Ausstellungs – Pavillons einiges kosten lassen. Die Vereinigten Emirate gaben 72 Millionen Euro aus, China 60 Mill., Deutschland 58 Mill., USA und Japan jeweils 48 Millionen und Mexiko und Russland an die 42 Millionen Euro. 40 bis 70 Staatschefs/chefinnen und 1000 Minister*innen werden auf der EXPO erwartet, die in 184 Tagen 23.000 Veranstaltungen und Events anbieten wollen.
Interessant zu beobachten ist auch die Tatsache, dass insgesamt 600 Militärs mit Maschinengewehren und Militärfahrzeugen die EXPO schützen und somit einer Militarisierung der Gesellschaft vorantreiben.
Bereits im Vorfeld in den Tagen vor dem 1. Mai kam es zu diversen Aktionen, Demos sowie staatlichen Repressionsschlägen.
Aktionen gegen Nazis in Mailand
In der Nacht zum 29. April wurden vier Anschläge gegen Einrichtungen Mailändischer Neonazis und eine Sicherheitsfirma verübt. So wurde das Büro der Fuerza Nuova (FN) mit Farbe angegriffen und die Einrichtung zerstört. Die Bullen nahmen dies für erste Repressionsmaßnahmen zum Anlass.
Am Dienstag wurden in den frühen Morgenstunden drei besetzte Wohnungen sowie das soziale Zentrum „Base di solidarietá popolare“ in der Via Emanuele Odazio im Stadtteil Giambellino durchsucht und geräumt.
Sie beschlagnahmten verschiedene Gegenstände wie Gasmasken, Helme, Feuerwerkskörper, Hämmer und Material, das angeblich zum Bau von Molotow Cocktails verwendet werden kann.
Im Rahmen der Räumung sowie bei Personenkontrollen wurden insgesamt 26 Personen in Gewahrsam genommen, darunter 16 Leute aus Frankreich und vier aus Deutschland. Eine Person wurde bis über den 1. Mai hinaus in U-Haft gehalten und am 2. Mai nach Deutschland abgeschoben.
Das soziale Zentrum ist ein wichtiger Ort für die Stadtteilkämpfe, die sich hauptsächlich gegen Zwangsräumungen richten. Autonome Aktivist*innen begannen solidarische Strukturen mit Anwohner*innen in dem Viertel aufzubauen und gemeinsam leerstehende Wohnungen zu besetzen.
Als Reaktion auf die Räumungen und Festnahmen gab es am Dienstagabend eine Spontandemo in Giambellino mit über 300 Leuten aus dem autonomen Spektrum sowie vielen Anwohner*innen des Viertels. Die Demo endete mit einer Besetzung in Giambellino von Räumlichkeiten für ein neues soziales Zentrum mit Kindergarten.
Am Mittwoch, den 29. April wurde eine von rechten und faschistischen Gruppen geplante Demo mit circa 500-1000 Teilnehmer*innen zum Gedenken an einen getöteten Nazi aus dem Jahr 1975 erfolgreich durch eine antifaschistische Gegendemo verhindert. Über 2000 Demonstrant*innen beteiligten sich an den Gegenprotesten. Die massiv von der Polizei geschützten Nazis konnten lediglich eine Kundgebung am Versammlungsort abhalten.
Auch in den nächsten Tagen wurden weitere Wohnungen geräumt, in denen internationale Aktivist*innen vermutet wurden. Dabei kam es zu weiteren vorläufigen Ingewahrsamnahmen.
30. April: Demo der Schüler*innen und Student*innen gegen die Expo
Am Donnerstagnachmittag startete eine lautstarke und kämpferische Demo mit schätzungsweise 2000-3000 Leuten durch die Innenstadt. Die Demo richtete sich unter anderem gegen die Ausbeutung von Schüler*innen und Student*innen durch unbezahlte Arbeit auf der Expo. Und dies vor dem Hintergrund einer Jugendarbeitslosigkeit von 47%.
Unterwegs wurde aus der Demo heraus das Gebäude der entsprechenden EXPO-Jobbörse „Manpower“ mit Farbbeuteln und Hämmern angegriffen.
Weil ein Teil der dem Disobbedienti – Spektrum zugehörenden Demonstrant*innen das Bearbeiten der Fensterscheiben durch Hämmer nicht akzeptieren konnten, kam es erfreulicherweise zu verbalen und handgreiflichen Auseinandersetzungen, als sie einzelne körperlich und verbal angingen und versuchten, ihnen die Vermummung zu entreißen.
MAY-DAY und NO-EXPO am 1. Mai
Am 30. April begann sich das NO-EXPO-Camp am Stadtrand Mailands zu füllen. Von dort zogen am Freitag einige hundert Menschen Richtung Innenstadt zum Auftaktort der Demo. Zu der Demo anlässlich des 1.Mai und der EXPO-Eröffnung kamen über 30.000 Menschen aus verschiedenen sozialen Kämpfen. Es gab Blöcke unter anderem von Disobbedienti, „Social Struggles“ und Gewerkschaften wie COBAS sowie Unorganisierten und der Mayday-Party. Da am Tag zuvor die Innenstadt zu einer sogenannten Roten Zone erklärt wurde, konnte die geplante Demoroute durch die Innenstadt nicht wie geplant stattfinden.
Das No Expo-Bündnis musste auf eine alternative Route entlang der süd-östlichen Grenze der Zone ausweichen. Schon während der Tage vor dem ersten Mai tummelten sich um die 5000 Bullen in der Stadt.
Die Polizei riegelte entlang der Demoroute die Zugangsstraßen in die Rote Zone mit einem starken Aufgebot ab. An einigen Stellen mit gepanzerten Fahrzeugen samt Gitter und Wasserwerfern, an anderen „nur“ mit Bullenketten, die Schilder trugen.
Ein sich während der Demo formierender Schwarzer Block mit ca. 1000 – 1500 Menschen befand sich im hinteren Bereich des langen Demonstrationszuges. Schon an einer der ersten Zugangsstraßen zur Roten Zone gab es einen Versuch, eine Bullenabsperrung mit einem bunten Feuerwerk symbolisch anzugreifen. Diese war massiv gesichert und schließlich hielt ein Wasserwerfer die Leute wieder auf Abstand, der Demozug bewegte sich weiter.
Zu einem späteren Zeitpunkt wurden an mehreren Stellen gleichzeitig Nebelbomben und Bengalos gezündet, die den Block in dichten Rauch hüllten. In dieser Situation ermöglichte es einem Großteil der Versammelten, geschützt vor den Augen der Digos (italienische politische Polizei, die auf Demos oft in Zivil, mit Helmen und Schlagstöcken auftauchen) und den massenhaften Kameras in den Straßen, sich zu vermummen und mit Gasmasken, Helmen, Stöcken, etc… auszurüsten. An einer Straßenecke entlang der Demoroute, einem weiteren Eingang zur Roten Zone, der durch Bullenketten geschützt wurde, startete dann ein massiver Angriff mit Steinen, Flaschen, Bengalos, Böllern etc. auf die Polizeibeamten, der einige Minuten andauerte und die Polizeiketten phasenweise weiter in die Rote Zone hinein drängte. Die Polizei ihrerseits antwortete mit einem massiven Tränengasbeschuss.
Die Luft war extrem vernebelt durch Tränengas, farbige Bengalos, Feuerwerkskörper und Rauchbomben – die Sichtverhältnisse waren dadurch ein wenig eingeschränkt. Ein Eindringen in die Innenstadt, in der sich viele Orte und Institutionen staatlicher Einrichtungen und das Herz des Mailänder Kapitalismus befinden, fand nicht statt. Der Innenstadtbereich war massiv gesichert.
Einzelne Gruppen (mit Schutz-Schildern und Stöcken) schützten die Demo, die weiterging und ständig in Bewegung blieb.
Nach diesem ersten Angriff entwickelte sich rasch eine Dynamik innerhalb des Blocks, in der Wut ungebremst ihren Ausdruck gefunden hat. Es wurden u.a. Symbole des Kapitalismus angegriffen: Banken, Bankautomaten, teure Boutiquen, Geschäfte von Konzernen, Immobilienfirmen, sowie einige Automobile aus dem Luxussegment und viele Überwachungskameras.
Die Straßen entlang der Route wurden nahezu komplett mit anti-kapitalistischen und Anti-Expo Graffitis und Parolen besprüht.
Wenige Scheiben wurden dabei verschont. Barrikaden wurden vereinzelt errichtet, darunter auch einige in Brand gesetzte Autos. Der hintere Teil der Demo, also die Blöcke, die nach dem schwarzen Block liefen – Gewerkschaften und ein unorganisierter, lockerer „Party Block“ – blieben ab dem zweiten Angriff auf die Bullen zurück und wurden im weiteren Verlauf umgeleitet, sodass der schwarze Block nun das Ende des Demozuges bildete.
Die Polizeikräfte antworteten auf die Attacke und die Entglasungen mit stetem Gas – Granatenbeschuss, blieben meistens aber auf Abstand. Der hintere Teil des Blocks verteidigte diesen mit Steinen und Feuerwerk gegen einzelne Einheiten von nach setzenden Bulleneinheiten.
Die Straßen waren in dichten Rauch und beißendem Tränengas gehüllt. Die Sicherheitskräfte waren weder in der Lage, die Demo von hinten anzugreifen, noch von einer Seitenstraße oder von vorne dazwischen zu gehen.
Als der Block als letzter den Abschlussplatz der Demo erreichte, wurden erneut Rauchbomben, Nebelkerzen und Bengalos gezündet und setzten ganze Straßen in dichten Rauch. Viele Leute entledigten sich so ungesehen ihrer Vermummung, schwarzen Kleidung, Masken und allen weiteren Aktionsmaterialien und tauchten in die Demonstration ab. Das Bild der von schwarzen Jacken, Helmen, Stöckern und Hämmern übersäten Straße, die einfach auf der Straße liegen gelassen wurden, war beeindruckend.
Die Sachen wurden aber später von den Bullen eingesammelt und der Presse präsentiert. Mögliche DNA-Proben der eingesammelten Sachen sind allerdings nicht auszuschließen.
Die Bilanz der Mailänder Anti-Expo – Revolte sind laut Angaben der italienischen Zeitung La Repubblica 27 zerstörte Autos, davon 17 angezündet, 13 zum Teil komplett zerstörte Banken, 12 Läden, sowie zahlreiche unbrauchbar gemachte Bankautomaten und Überwachungskameras.
Der Sachschaden wird auf mindestens ca. 1,5 Millionen Euro geschätzt.
Allerdings kam es auch zu Aktionen, die aus autonomer/ anarchistischer/ linksradikaler Perspektive als kritikwürdig und umstrittenen eingestuft werden (könnten) und in Zukunft sicherlich noch zu Debatten über die Zielgenauigkeit organisierter und spontaner Massenmilitanz beitragen werden. Neben in Mitleidenschaft gezogenen Schildern, Ampelanlagen und Bushaltestellen, deren zerborstenes Glas Umstehende gefährdete, zählt dazu sicherlich der Versuch, eine Bank in Brand zu setzen, da sich über den brennenden Räumen Wohnungen befunden haben können. Das Ausschließen der Gefährdung von Menschenleben sollte hier höchste Maxime sein.
Auch waren manche der zerstörten Autos sichtbar keine Nobelkarossen und auch einige bis nicht wenige angegriffene Läden waren offensichtlich eher „kleinere“ Läden. Kritik einzelner Aktionen schmälert jedoch nicht den Gesamteindruck eines entschlossenen Protest gegen die menschenverachtende und mörderische Politik der Expo und des kapitalistischen Systems.
Eine Nachdenken und eine Diskussion über die politischen Ziele des Widerstandes sowie der politischen Vermittelbarkeit von Aktionen bleibt jedoch unabdingbar, nicht nur um die Herzen der Menschen zu gewinnen, sondern auch der politischen Glaubwürdigkeit und des Selbstverständnisses wegen.
Resonanz und Festnahmen
Insgesamt kam es während der Aktionstage in Mailand nach Medienberichten zu mindestens 30-40 Festnahmen.
Zehn Personen wurden noch am 1.Mai im Zusammenhang mit der Demo festgenommen und erhielten Anklagen wegen Störung der öffentlichen Ordnung, Körperverletzung, Widerstand, illegale Bewaffnung, dem Gebrauch von Stöcken und Steinen und wegen der Zugehörigkeit zum „black bloc“. Fünf der auf der Demo Festgenommenen sitzen noch im Untersuchungsgefängnis San Vittore in Mailand.
Am 2. Mai wurden dann 14 Leute aus Griechenland in einer Wohnung in der Nähe eines besetzten Hauses in Via Washington in Mailand aufgrund des Verdachts der Teilnahme am Schwarzen Block festgenommen. Bei ihnen wird eine DNA-Abnahme angestrebt um einen Vergleich mit Spuren an beschlagnahmten Stöckern, Helmen und Molotow – Cocktails durchzuführen.
Inzwischen sind sie nach Griechenland abgeschoben worden.
Fünf weitere Festnahmen fanden in Genua statt. Dort wurden nach Zeitungsbericht eine Frau und vier Männer französischer Nationalität in einer Wohnung festgenommen. Laut Zeitungsmeldungen wurde dort in der Wohnung schwarze Kleidung, Gasmasken, Karten von Mailand sowie Adressen, Spray, Bulloni, cérano Biglie, Anti-Expo Material und Mautquittungen gefunden.
Bei zumindest einer Person werden direkte Verbindungen zur NO TAV – Bewegung in Valsusa nachgesagt. Alle 5 wurden in die Gefängnisse Marassi und Pontedecimo gebracht.
Vorwürfe sind Beschädigung und Widerstand.
Generell könnte im Extremfall, je nach politischem Verurteilungsdruck, existierender oder fabrizierter juristischer Beweislast, den „Anstiftern der Gewalt“ laut Nachrichtenagentur ANSA wegen der Verwüstung des Stadtzentrums eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren drohen.
Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella verurteilte die massiven militanten Proteste aufs Schärfste und forderte schon mal, die Randalierer zu bestrafen. Die Bullen teilten mit, massiv Videomaterial auch der Presse und der Überwachungskameras auswerten zu wollen, um „Verantwortliche“ für die Zerstörungen zu identifizieren.
Am 3.Mai demonstrierten ca. 20.000 Menschen in Mailand mit vereinzelten Italien Fahnen gegen die “Gewalt“ der 1. Mai Demo gegen die EXPO unter dem Slogan Fasciamo ripatire Milano (Wir beschützen Mailand) und „Nessuno tocchi Milano“. Etliche Menschen, ausgestattet mit allerlei Putzutensilien und mit gelben Leuchtwesten der Freiwilligen Bürger*innen Cittadino Voluntario beteiligten sich daran, die Stadt zu säubern, Graffitis zu entfernen und Wände zu streichen.
„Es bleibt ein ruiniertes Fest, das ist sehr schade“, sagte abschließend Expo-Chef Giuseppe Sala.