Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen – Wir müssen diesen Kampf in unsere eigenen Hände nehmen

Health Workers United (GB)

Dies ist eine längere Version eines Flugblattes, das wir für die aktuelle Lohnkampagne im Allgemeinen und den Aktionstag am 3. Juli im Konkreten geschrieben haben.

Wir müssen Euch nichts Neues über die Situation erzählen. Wir alle haben seit 2010 real 10% Lohn verloren, das Angebot von 1% oder gar 4% ist eine Schande, die Inflation steigt. Es ist genug Geld im Umlauf, aber es landet in den falschen Taschen, bei diesem oder jenem CEO oder Investor oder Freund von No.10 (gemeint ist Downing Street 10, Sitz des PM, d.Ü.). Wo das Geld landet, ob in unserer oder deren Tasche, ist eine Frage der Macht. Wie können wir unsere Macht ausbauen?

Macht ist etwas anderes als Appellieren oder Lobbyarbeit. Sie werden uns nicht mehr Geld geben, weil wir während der Pandemie einen großartigen Job gemacht haben und die Leute für uns geklatscht haben. Sie werden uns nicht bezahlen, weil wir freundliche und sanfte Seelen sind. Sie werden uns nicht bezahlen, weil dieser oder jener Abgeordnete ein Wort für uns einlegt oder wir 100.000 Follower auf Twitter haben. Sie werden nicht genug Druck verspüren, wenn wir nur auf einen weiteren eintägigen Protestmarsch gehen.

Die einzige Chance, die wir haben, ist, echten Druck auszuüben. Eine Menge Arbeit, die wir machen, schafft Gewinne für Trusts und auf Umwegen für ausgelagerte Unternehmen. Wir können streiken, andere Beschäftigte im Gesundheitswesen auf der ganzen Welt tun das jeden Tag, ohne das Leben der Patienten zu gefährden. Es stimmt, wir arbeiten nicht in einer Autofabrik oder in einem Callcenter einer Bank, wir kümmern uns um kranke Menschen. Aber wir wissen selbst am besten, welche Arbeit unmittelbar notwendig ist, um Leben zu retten, und welche nicht.

Es gibt auch andere Möglichkeiten, Druck auszuüben. In Argentinien mobilisierten die Beschäftigten des Gesundheitswesens kürzlich andere Menschen aus der Arbeiterklasse und blockierten gemeinsam den Zugang zu den örtlichen Ölfeldern, um höhere Löhne und bessere Gesundheitsdienste für alle zu fordern. Vielleicht ist kein Ölfeld in der Nähe, aber vielleicht ein Amazon-Depot oder der morgendliche Berufsverkehr im Finanzdistrikt!

Jede Aktion erfordert ein gewisses Maß an Vertrauen und Einigkeit. Jeder wird Euch sagen, dass es daran mangelt. Wir müssen Wege finden, uns zu organisieren, die uns helfen, das Vertrauen ineinander und in uns selbst wieder zu erlangen. Oft können wir einen kollektiven Funken finden, wenn wir uns anschauen, wie wir in den ersten Monaten der Pandemie zusammengearbeitet haben. Wir waren es, die uns gemeinsam durch diese Tage gebracht haben, während das Management und die Politiker herumwurstelten. Gemeinsam wussten wir, wie man mit minderwertiger Ausrüstung und unklaren Richtlinien arbeitet, wir hielten die Show am Laufen. Auf einigen Stationen, in einigen Krankenhäusern setzten unsere Kolleginnen und Kollegen Gesundheits- und Sicherheitsstandards, eine Erhöhung der (Schicht-)Personalstärke und Bonuszahlungen durch. Das ist ein Anfang.

Die Art und Weise, wie die Arbeit organisiert ist und sogar wie die Gewerkschaften organisiert sind, schafft Spaltungen. Spaltungen zwischen verschiedenen Berufsgruppen, verschiedenen Bereichen, internen und ausgelagerten Arbeitnehmern, dieser oder jener Gewerkschaft. Wir müssen Versammlungen und offene Treffen auf Krankenhausebene einberufen, bei denen alle Arbeitnehmer zusammenkommen und diskutieren können, wie es weitergehen soll. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir dies auch in der Gemeinde tun können, wo wir noch mehr verstreut und von unseren Arbeitskollegen getrennt sein können.

Die Beschäftigten des Gesundheitswesens haben es schon einmal getan, wir können es wieder tun. Noch bevor es soziale Medien und Mobiltelefone gab, bildeten Gesundheitsarbeiter in Frankreich und Deutschland in den späten 1980er Jahren solche Versammlungen und verbanden sie in einer nationalen Koordination – siehe den kurzen Artikel darüber auf unserer Website. Nicht die verschiedenen Gewerkschaftszentralen entschieden, wofür der Kampf sein und wie er geführt werden sollte, sondern die Gesundheitsarbeiter selbst.

Wir sehen bereits einige Probleme mit den Gewerkschaftsspaltungen. In Schottland empfahl Unison, ein Lohnangebot von 4% zu akzeptieren, während andere Gewerkschaften dies ablehnten. Was ist das für ein Signal an die Politiker und Manager?! Ja, wir fordern offiziell 2.000 Pfund Lohnerhöhung pro Jahr, aber wenn ihr uns einen Knochen hinwerft, dann nehmen wir ihn?! Der RCN ist vielleicht bereit, die Krankenschwestern zu mobilisieren, aber es interessiert sie nicht sonderlich, was mit den Pflegehelfern, Pförtnern oder Reinigungskräften passiert. Es hat viele Streikaktionen des Hilfspersonals gegeben – von den Pförtnern im Cumberland Trust bis zu den Laborarbeitern im Blackburn-Krankenhaus -, aber diese Kämpfe blieben isoliert, nicht nur innerhalb ihres eigenen Krankenhauses, sondern sogar innerhalb ihrer eigenen Gewerkschaft. Wir brauchen Kampfformen, die uns zusammenbringen und uns erlauben, zu diskutieren, wohin wir gehen wollen.

Wir müssen diese Mobilisierung nutzen, um all die anderen Anliegen vorzubringen, die wir haben. Es geht nicht nur um das Geld, es geht darum, wie wir arbeiten und unser Leben leben! Der ständige Stress und die Hetze, weil es zu viel Arbeit gibt. Die Hierarchien, die uns daran hindern, wirklich zusammenzuarbeiten. Die Art und Weise, wie uns das selbst krank macht. Die Tatsache, dass mit all dem gestressten Gesundheitspersonal und den gekürzten Geldern Krankenhäuser zu Orten werden, an denen die Patienten kränker werden, statt gesünder. Wir können sehen, dass die meisten Patienten durch diese gestresste, deprimierende Gesellschaft krank geworden sind, in der es eher darum geht, sich gegenseitig zu fressen, als miteinander zu leben. Krankenhäuser und Kliniken werden wie die Mülltonnen für diese Gesellschaft behandelt. Das alles können wir gemeinsam mit den Patienten aufheben!

Was können wir hier und jetzt tun?

* Trefft euch mit euren Mitarbeitern, die ihr kennt und denen ihr vertraut, und besprecht die Situation. Wen kennt ihr noch am Arbeitsplatz? Was tun die Gewerkschaften? Gibt es andere Gruppen, die sich an der Lohn Kampagne beteiligen?

* Wenn die Gewerkschaften nicht bereit sind, eine für alle Arbeitnehmer offene Versammlung im Krankenhaus einzurichten, übt Druck auf sie aus, dies zu tun. Wenn sie sich weigern, beruft ihr selbst eine Versammlung ein. Diskutiert, wie ihr Druck auf die Geschäftsleitung ausüben könnt, damit sie euch mehr bezahlt. Die Geschäftsleitung wird sagen: „Das ist eine nationale Angelegenheit, das entscheiden die Politiker“. Natürlich werden sie das sagen. Aber es ist möglich, einen legalen Streik für 15% „Einstellungs- und Beibehaltungszahlungen“ zu führen, sogar auf der Ebene des NHS-Trust. In einigen Krankenhäusern erhöhte das Management während der Pandemie die Bonuszahlungen und reagierte damit auf den Druck von unten. Lasst euch nicht täuschen, indem ihr sagt, dass „Löhne nur auf nationaler Ebene entschieden werden“.

* Ladet Patienten und andere Menschen aus der lokalen Arbeiterklasse zu eurem Treffen ein. Fragt sie, was sie tun können, um eine gemeinsame Sache für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu unterstützen. Schaut, ob es in der Gegend andere Kämpfe gibt, z. B. gegen „fire-and-rehire“ oder gegen Schulschließungen, und knüpft Kontakte zu den beteiligten Leuten. Schaut, wie ihr euch gegenseitig stärker machen könnt.

* Vernetzt euch mit Leuten in anderen Konzernen. Es gibt bereits einige Facebook- und Kampagnen Gruppen, aber es ist am besten, auch Möglichkeiten zu finden, sich persönlich zu treffen. Jedes Krankenhaus oder jeder Konzern kann Delegierte entsenden, die nicht ihre eigene Meinung vertreten, sondern das, was auf Krankenhaus- und Konzernebene diskutiert und beschlossen wurde. Diese Delegiertentreffen können dann weitergehende Aktionen koordinieren.

All das mag sich ziemlich groß anhören, aber die Arbeiter haben es schon einmal getan und sie tun es auch anderswo. Wir müssen aus diesen Erfahrungen lernen und unsere eigenen Geschichten von kleinen Schritten des Widerstands, die wir selbst unternehmen, teilen. Einige Beispiele findet ihr unten.

All das wird nicht an einem Tag zu schaffen sein. Aber wir werden diese Art von Strukturen für die Zukunft brauchen. Wir brauchen mehr Solidarität und Unterstützung in unserem Leben. Wir, die Menschen, die die Dinge am Laufen halten, die Menschen warm halten und ernähren und für sie sorgen, sollten das Sagen haben. Wir brauchen die Macht der Arbeiterklasse und die Kontrolle über die Mittel für ein besseres Leben für alle.

Wenn ihr ähnlich denkt, meldet euch! Wir sind ein Netzwerk von ArbeiterInnen im Gesundheitssektor. Wir sind nicht noch eine weitere Organisation, die will, dass du Mitglied wirst, sondern wir wollen unsere Erfahrungen bei der Arbeit und im Kampf gemeinsam diskutieren. Wir wollen Wege finden, die uns und unseren KollegInnen helfen, die Kontrolle über unsere eigenen Kämpfe zu gewinnen.

Health Worker United

Die folgenden Berichte beschreiben kleine und große Aktionen, die von Mitarbeitern des Gesundheitswesens durchgeführt wurden. Einige Aktionen wurden von lokalen Mitarbeitern durchgeführt, andere im Ausland. Einige wurden in der Vergangenheit ergriffen, andere heute. Wie klein die Aktion auch sein mag, wir können von ihnen lernen. Wir sind immer daran interessiert, von Ihren Erfahrungen zu hören.

Jüngste lokale Aktionen…

Aktion von ITU-Schwestern zur Erhöhung der Zahlungen für Dokumentation Schichten

Auf dieser speziellen ITU (Intensivstation, d.Ü) sahen einige der Mitarbeiter, dass der Einsatz von Leihkräften zunahm. Es gab auch einige Bedenken, dass der Papierkram nicht immer von den Leiharbeitskräften erledigt wurde und daher auch das Stammpersonal mehr Arbeit übernehmen musste. Eine Krankenschwester stellte eine Kalkulation zusammen, die bewies, dass, wenn der Konzern den Lohn für Dokumentation Schichten für sein Stammpersonal erhöhen würde, die Inanspruchnahme dieser Schichten größer und der Bedarf an Leiharbeitskräften geringer wäre – mit einer allgemeinen Kostenreduzierung. Das Management stimmte dem zu, und die Mitarbeiter begannen, mehr Dokumentation Schichten zu übernehmen.

Das ging ein paar Monate so weiter. Doch dann entschied die Geschäftsleitung, dass sie sich nicht länger an diese Gehaltserhöhung halten wollte, und die Anreize für Dokumentation Schichten wurden gestrichen. Daraufhin beschlossen die ITU-Mitarbeiter, ihre Dokumentation Schichten auf der ITU zu streichen, um gegen die Streichung der Anreize zu protestieren. Dies hatte zur Folge, dass mehr Leihkrankenschwestern benötigt wurden und auch Lücken im Dienstplan entstanden. Dies zwang das Management dazu, die Gehälter für das Dokumentationspersonal auf der ITU dauerhaft zu erhöhen.

Es gibt etwa 250 festangestellte Krankenschwestern auf der Intensivstation, von denen etwa die Hälfte regelmäßig Dokumentationsarbeit leistet (eine Schicht pro Monat oder mehr). Dieser kurze Bericht wirft wichtige Fragen für unseren aktuelle Kampf für höhere Löhne auf. Die Aktion der Krankenschwestern zeigt, dass das Management auf kollektiven Druck von unten reagiert, auch wenn nur eine kleine Gruppe von Arbeitern beteiligt ist. Es zeigt auch, dass wir einige Barrieren überwinden müssen, um den Kampf zu verbreitern. Wir sehen die Spaltung zwischen den lokalen ITU-Schwestern und den Leiharbeitskräften – die ITU-Schwestern wollen beweisen, dass sie „kosteneffektiver“ sind, während einige der Leiharbeitskräfte vielleicht kein Interesse an der allgemeinen Arbeitsatmosphäre haben, da sie „nur für ein paar Schichten bleiben“. Wir müssen diese Spaltungen ansprechen und überwinden.

Azubi-Betrug in Bristol

Der Konzern, in dem ich arbeite, beschäftigt über 500 Auszubildende, die nur 75 % des Lohns der Stufe 2 verdienen, aber eigentlich einen ganz normalen Job machen. Das meiste, was wir lernen müssen, sei es als HCAs oder Hauswirtschaftskräfte, lernen wir bei der Arbeit. Weil die Regierung Lehrstellen unterstützt und weil sie die Lohnkürzung von 25 % rechtfertigen muss, wird behauptet, dass 20 % unserer Arbeitszeit auf das Lernen außerhalb der Arbeit entfallen. In Wirklichkeit wird uns gesagt, dass wir jede Kleinigkeit als „off-the-job“ aufschreiben sollen. Wenn Ihnen jemand erklärt, wie man Toast macht oder mit jemandem auf der Demenzstation Händchen hält, schreiben Sie es einfach als ‚außerhalb der Arbeit‘ auf! Weil auf den Stationen so viel los ist, auch nachts, bittet man Sie, Dienstbücher ‚in Ihrer eigenen Zeit‘ auszufüllen. Wenn Sie sich beschweren und sagen, dass Sie das Programm verlassen könnten, sagen sie, dass Sie den Lehrlingslohn zurückzahlen müssen! Leute, die jahrelang als Krankenpfleger gearbeitet haben, aber nicht das richtige ‚Zertifikat‘ hatten, wurden gezwungen, in die Lehre zu gehen. Es ist im Grunde ein Betrug, um Ihren Lohn für ein ganzes Jahr oder länger um ein Viertel zu kürzen. Bis jetzt scheinen alle mitzuspielen. Wir brauchen eine Versammlung der Auszubildenden, um die Situation zu diskutieren!

Widerstand gegen Kürzungen für psychisch Kranke in London

Im Jahr 2018 kämpfte ein britisches Team von Gesundheitsberatern für Obdachlose im Bereich der psychischen Gesundheit gegen die Kürzungen, indem sie sich mit den lokalen Krankenhaus- und Gemeindediensten zusammenschlossen. Zu ihrer Taktik gehörte es, dass die Arbeiter Zeugenaussagen sammelten, um sie den Entscheidungsträgern zu übergeben, um zu zeigen, wie schädlich die Kürzungen sein würden. Die Berichterstattung in einer überregionalen Tageszeitung brachte professionelle, akademische und kommunale Unterstützung, was wiederum dazu führte, dass Kommissare/Leiter die Kürzungen in einer öffentlichen Deputation verteidigen mussten. Diese Aktionen trugen dazu bei, den Großteil der Kürzungen auszugleichen, und halfen den Beschäftigten, ihre Erfahrungen und ihre Unterstützung mit anderen zu teilen, die in dem umfangreichen Dienstleistungsgebiet für psychische Gesundheit vor ähnlichen Herausforderungen stehen.

Erfolgreicher Streik im St. Mary’s Krankenhaus in London

Jahrelang wurden die Reinigungskräfte, Caterer und Pförtner im St. Mary’s Hospital im Westen Londons vom französischen multinationalen Unternehmen Sodexo entsetzlich behandelt. Niedrige Löhne, unbezahlte Überstunden, nur das gesetzliche Minimum an Krankengeld. Im Oktober 2019 begann sich das zu ändern, als eine Gruppe von 200 Arbeitern zu einem der längsten Streiks in der Geschichte des NHS (National Health Service, das britische Gesundheitswesen, d.Ü) aufbrach. Ihre Forderungen waren einfach: Sie wollten zu direkten Angestellten des NHS gemacht werden und die gleiche Bezahlung und die gleichen Rechte wie andere NHS-Mitarbeiter genießen. Das Management erklärte ihnen, dass dies unmöglich sei. Aber nach nur drei Streiktagen erreichten sie, was ihnen ebenfalls als unmöglich erklärt worden war: den Londoner “existenzsichernden Lohn”. Aber diese Arbeiter ließen sich nicht kaufen. Sie blieben hartnäckig, zusammen mit ihrer Gewerkschaft UVW (Basisgewerkschaft “United Voices of the World” d.Ü., siehe auch ak 666). Sie besetzten Krankenhausflure und stürmten am 9. und letzten Streiktag eine Vorstandssitzung, um den NHS-Managern endlich die Schrecken der Arbeit für Sodexo vor Augen zu führen. Der Sieg führte dazu, dass 1.200 Arbeiter in fünf Krankenhäusern zu direkten Angestellten des NHS wurden, wobei jeder von ihnen eine Lohnerhöhung von mehreren tausend Pfund und erheblich verbesserte Bedingungen erhielt.

Kämpfe im Ausland…

Rebellion der Gesundheitsarbeiter in Argentinien: „Lasst uns die Straßen zu den Ölfeldern blockieren!“

Im Februar 2021 einigten sich die Gewerkschaft der öffentlichen Angestellten (ATE) und die lokale Regierung in Neuquen auf eine Lohnerhöhung von 12% für die Beschäftigten im Gesundheitswesen. Die Arbeiter waren wütend über diesen Deal, zum Teil wegen der hohen Inflation, aber auch, weil die Gewerkschaftsführung die Versammlungen der Krankenhäuser ignoriert hatte, die das Lohnangebot ablehnen wollten.

Am 2. März trafen sich Arbeiter aus Krankenhäusern der ganzen Region zu einer „Generalversammlung“ auf dem öffentlichen Hauptplatz. Sie beschließen, in den Streik zu treten, ohne auf die Erlaubnis der Gewerkschaft zu warten. Sie fordern eine Lohnerhöhung von 40 %, unbefristete Verträge für Leiharbeiter und bessere Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen. Ihren Protesten und Streiks schlossen sich die örtlichen Lehrer an. Als die örtliche Regierung eine beleidigende Lohnerhöhung von 3 % anbot, begannen Arbeiter und Unterstützer, die Zufahrtsstraßen zu den wichtigsten Öl- und Fracking-Feldern zu blockieren, um zusätzlichen wirtschaftlichen Druck auf den Staat auszuüben. Sie blockierten auch Straßen zu den wichtigen Touristenorten. Die Blockade der Ölfelder dauerte drei Wochen lang, und viele LKW-Fahrer schlossen sich zur Unterstützung an. Die Ölfirmen versuchten, Arbeiter mit Hubschraubern einzufliegen, mussten aber viele Ölquellen schließen.

Nach 55 Tagen Kampf stimmte die Regierung einer 53%igen Lohnerhöhung zu, gestaffelt bis Ende 2021. Die Arbeiter sagen, dass sie ohne die Unterstützung von anderen Menschen aus der Arbeiterklasse, wie Lehrern, Fabrikarbeitern und Arbeitslosen, niemals erfolgreich gewesen wären. Diese Menschen hatten nicht vergessen, wer sich während der Pandemie um sie gekümmert hatte und schlossen sich den Straßenblockaden an. Die Abschlussversammlung, die mit einem Musikfestival für alle endete, fügte eine weitere Forderung für zukünftige Kämpfe hinzu: die Einführung des 6-Stunden-Tages.

Selbstorganisation der Krankenschwestern in der Tschechischen Republik: Work-to-rule

Die Beschäftigten von NPK, einer Gruppe von fünf Krankenhäusern in Ostböhmen mit über 5.000 Beschäftigten, sind dabei, ihren Kampf zu organisieren. Es ist schwierig: fünf Krankenhäuser bedeuten unterschiedliche Arbeitsbedingungen, Löhne, unterschiedliche Arbeitsorganisation, Taktiken des Managements. Der anfängliche Grund für den Kampf waren magere Covid-19-Boni, aber dieses Thema öffnete nur die Tür für andere: Arbeitsbedingungen, Löhne, Machthierarchien, Unterdrückung durch das Management. Es kursierten Petitionen, die manchmal von einzelnen, manchmal von mehreren Stationen unterzeichnet wurden.

Intensivstationen und Anästhesieschwestern übernahmen die Führung. Einzelne Schwestern und Stationen kontaktierten die unabhängige “ Krankenpfleger-Initiative“, die dann alle miteinander in Kontakt brachte, zunächst über Zoom, dann durch direkte Treffen. Der Kampf wurde zum ersten Mal während einer Vollversammlung von einhundert Arbeitern Anfang Mai 2021 diskutiert. Auf der Versammlung wurde beschlossen, jede Abteilung zu analysieren, in der Arbeiter anwesend sind, und zu sehen, wie die Arbeiter direkten Druck auf das Management ausüben können, vor allem durch „work-to-rule“. Das Management ist für diese Taktik anfällig, weil es den Personalmangel durch das Brechen seiner eigenen Regeln kompensiert.

Die Arbeiter hatten bereits während eines langen Kampfes in den Jahren 2017/2018 Erfahrungen mit dieser Methode des ‚work-to-rule‘ in den KKN-Krankenhäusern in Westböhmen gesammelt. Die rebellischen Arbeiter zwangen die lokale Regierung, die Eigentümerin des Krankenhauses ist, die Löhne zu erhöhen. Dies führte z.B. zu einer 30%igen Lohnerhöhung für erfahrene Anästhesie Krankenschwestern zwischen März 2017 und März 2018.

Der Kampf am KKN (wie auch jetzt am NPK) wurde von der Krankenpfleger-Initiative geführt, einer 2016 gegründeten unabhängigen Selbstorganisation mit eigenem Arbeiter-Newsletter. Er wurde außerhalb der offiziellen Gewerkschaften und in notwendigen Momenten gegen sie geführt.

Selbstorganisation von Krankenschwestern in Deutschland: Kollektive Aktionen gegen neue Schichtmodelle

Seit zehn Jahren organisiert sich ein Netzwerk von Beschäftigten eines Krankenhauses in Dachau selbstständig. Sie organisieren ihre eigenen Treffen und eine Krankenhauszeitung, ohne Unterstützung durch die großen Gewerkschaften. Gemeinsam haben sie verschiedene Aktionen durchgeführt. Im Jahr 2012 wollte die Geschäftsleitung die Nachtschicht auf mehreren Stationen abbauen, indem sie eine 4-Stunden-Schicht mit Krankenschwestern einführte, die nur Medikamente ausgeben. Das Management versuchte verschiedene Spaltungstaktiken, aber die Stationen unterstützten sich gegenseitig und lehnten das neue Schichtmodell ab und schickten einen Protestbrief an das Management und die Gesundheitsbehörden. Sie taten dies gegen ihre offiziellen Vertreter im „Betriebsrat“ (Arbeitnehmervertretung).

Im Jahr 2014, nach der Übernahme des Krankenhauses durch den Helios-Konzern, wollte das Management die Arbeiter dazu zwingen, an zwei ihrer freien Tage pro Monat „auf Abruf“ zu sein. Dies hätte nicht nur zu zusätzlichem unbezahltem Stress geführt, sondern langfristig auch zum Abbau von Arbeitsplätzen. Erneut wurde versucht, ‚Testläufe‘ auf einigen ausgewählten Stationen einzuführen, aber die Stationen sprachen sich untereinander ab und lehnten allesamt ab.

Im Jahr 2017 rief die Gewerkschaft während der Tarifverhandlungen zum Streik auf. Das unabhängige Netzwerk schaffte es, 90 % aller Delegierten des Streikkomitees zu wählen, was bedeutete, dass alle Arbeiter, nicht nur Gewerkschaftsmitglieder, im Streikkomitee sein konnten. Die Gewerkschaft wollte zunächst keine Streikposten oder lautstarke Proteste, aber die Delegierten organisierten sie trotzdem. Sie organisierten drei spontane Protestmärsche durch die Stadt. Sie marschierten auch zum Gewerkschaftsbüro, um den Hauptgewerkschaftssekretär bei seinem Besuch unter Druck zu setzen, weil sie befürchteten, er würde sich mit einer geringeren Lohnerhöhung zufrieden geben.

Wochenlanger Streik der Krankenschwestern im St. Vincent Krankenhaus in den USA

700 Krankenschwestern und -pfleger des Saint Vincent Hospitals in Worcester, Massachusetts, streiken seit dem 8. März 2021 und fordern eine sichere Personalausstattung für Patienten und höhere Löhne. Das private Krankenhausunternehmen Tenet hat Millionen von Dollar für den Streik ausgegeben, einschließlich der Einstellung von Ersatz Krankenschwestern und der Zahlung von 30.000 Dollar pro Tag an das Worcester Police Department, um an der Streikpostenkette zu patrouillieren. Der Streit dauert schon lange an, aber Covid war der letzte Strohhalm. Es herrschte ein absoluter Personalmangel.

Also organisierten die Krankenschwestern selbst den Aufwachraum in eine Intensivstation um, damit alle COVID-Patienten, die Intensivpflege benötigten, auf die Intensivstation gehen konnten. Auch in anderen Krankenhäusern in den USA kam es zu spontanen Streiks und Sitzstreiks, um bessere PSA und mehr Personal durchzusetzen. Seit Covid gab es fast ein Dutzend Streiks von Beschäftigten im Gesundheitswesen in verschiedenen privaten und gemeinnützigen Krankenhäusern. Die Arbeiter bei Tenet sind engagiert, aber sie sind zunehmend isoliert. Die Gewerkschaft Massachusetts Nurses Association (MNA) hat in den gesamten USA rund 23.000 Mitglieder, aber bisher haben sie keine anderen Arbeiter zu Protesten oder Streiks in Solidarität mit ihren Kollegen in Worcester aufgerufen.

Kämpfe in der Vergangenheit…

Krankenschwestern Streik 1982 in Großbritannien: Solidarität unter Arbeitern bricht das Gesetz

1982 gab es einen Lohnkonflikt innerhalb des NHS durch Beschäftigte des Gesundheitswesens, darunter Krankenschwestern, Pförtner, Büroangestellte und Hilfskräfte. Mitglieder der Gewerkschaften COHSE und NUPE forderten eine Lohnerhöhung von 12 %, die von der Regierung abgelehnt wurde. Der Streik begann im Mai ’82 und wurde zum größten Konflikt in der Geschichte des NHS. Er bestand hauptsächlich aus weiblichen Arbeitern und wurde in den Jahren danach weitgehend ignoriert, im Gegensatz zu anderen Auseinandersetzungen, wie z. B. den Bergarbeitern.

Während des Streiks wurden nur Notstandsarbeiten durchgeführt. Die neuen Streik Gesetze, die 1982 eingeführt wurden, machten “Nebenstreiks” oder Solidaritätsstreiks anderer Arbeiter illegal. Andere Gewerkschaften ignorierten das Gesetz und hielten einen eintägigen Sympathiestreik ab, von Werft- bis zu Fabrikarbeitern oder Schulen und Freizeitzentren in ganz Großbritannien. Der größte „Aktionstag“ am 22. September sah Streiks, die die meisten Gruben schlossen, den ITV-Sender, die Automobilproduktion und Postämter störten. All diese Solidarität trotz ihrer Illegalität! Der Konflikt wurde jedoch weitgehend vom Krieg der britischen und argentinischen Bosse im Südatlantik überschattet, der die überwiegende Aufmerksamkeit der Medien auf sich zog. Am Ende wurden die Verhandlungen von der Streikbrecher Gewerkschaft RCN dominiert, und die Führer von COHSE und NUPE senkten ihre Forderungen. Obwohl nicht alle Beschäftigten im Gesundheitswesen Lohnerhöhungen erhielten, bekamen einige Krankenschwestern eine Lohnerhöhung von 14 %. Allerdings begann die Regierung bald darauf mit der Privatisierung von Hilfsdiensten.

Krankenpflegekoordinationen in Frankreich, 1988: Eine nationale Koordination ohne Facebook und WhatsApp

Im Herbst 1988 riefen die etablierten Gewerkschaften zu einem symbolischen Streik und Protestmarsch der Beschäftigten im Gesundheitswesen auf. Nach der landesweiten Demonstration trafen sich rund 2.000 Beschäftigte des Gesundheitswesens und gründeten eine unabhängige Koordination. Die nächsten Streiks wurden direkt von dieser Koordination ausgerufen und nicht von den Gewerkschaften, die auf der Stelle traten.

Außerdem waren zu dieser Zeit nur 5 % der Beschäftigten im Gesundheitswesen in Frankreich Mitglied einer Gewerkschaft, so dass die meisten Streikenden gar nicht erst in den Gewerkschaften waren. Lokale Krankenhaus Versammlungen und regionale Koordinierungen waren das Rückgrat der Streikbewegung. Damals mussten die Arbeiter all dies ohne Facebook, Zoom oder WhatsApp organisieren!

Damit die Krankenhaus Versammlungen die Entscheidungsgremien blieben, aber nicht isoliert wurden, entwickelte sich ein typisches Muster: Nach jedem Aktionstag am Donnerstag wurde der Streik am Freitag fortgesetzt, damit in den Krankenhäusern Versammlungen abgehalten und Delegierte gewählt werden konnten, die am Samstag zur nationalen Koordination gingen. Die Forderungen waren ähnlich wie bei uns heute: deutliche Lohnerhöhungen und eine bessere Personalausstattung. Die meisten der Forderungen wurden von der Regierung erfüllt.

Aber es gab auch Probleme. In vielen Fällen überwanden die Koordinierungen die beruflichen Spaltungen nicht. Erst später kämpften Krankenpfleger und Hilfskräfte gemeinsam. Der Streik blieb weitgehend auf die Krankenhäuser des öffentlichen Sektors beschränkt, obwohl die Streikenden forderten, dass die Forderungen auch im privaten Sektor erfüllt wurden. Während in Paris und anderen Großstädten bis zu 90 % aller Krankenschwestern dem Streikaufruf folgten, waren die Zahlen in den ländlichen Gebieten deutlich geringer. Die Regierung versuchte zudem, die Koordination zu spalten und bot einigen Delegierten beratende Positionen im staatlichen Gesundheitsvorstand an. Dennoch kann man aus den Erfahrungen von damals viel lernen. Kurz nach der Bildung der Koordinationen in Frankreich bildeten die Krankenhausmitarbeiter in Deutschland ähnliche Strukturen. Selbst der Krankenschwesternstreik in Großbritannien 1988 kann als Teil dieses internationalen Lernprozesses gesehen werden.