Erinnerungen eines Großstadtindianers

Eine eindrucksvolle Schilderung der Bewegung, die Nanni Balestrini als die Bewegung der “Streunenden Hunde” auch hierzulande etwas bekannt gemacht hat. Und darüber hinaus eine wichtige Abhandlung über die taktischen und strategischen Fragen eines aufständischen Prozesses, die auch heutzutage nichts an Aktualität verloren hat. Wir haben diesen Text aus der englischsprachigen Version übersetzt, die bei den Gefährt*innen von libcom erschien. Sunzi Bingfa

Es begann alles vor langer Zeit, aber unsere Geschichte überspringt die dazwischen liegenden Zeiträume und beginnt tatsächlich im Frühjahr 1975. Es war ein blutiger Frühling gewesen. Faschisten und Polizei hatten militante Angehörige der Linken getötet. Praktisch über Nacht hatte sich die Situation radikalisiert. In diesem Moment der politischen und ideologischen Stasis ernteten die politischen und ideologischen Kämpfe der späten 1960er und frühen 1970er Jahre ihre vorhersehbaren Früchte.

Es gab jedoch ein Ereignis (eines unter vielen), das fast unbemerkt vorüber ging, aber schnell seine Bedeutung als Zeichen der Zeit offenbaren sollte. Etwa 100 Aktivisten von Lotta Continua spalteten sich ab, um autonome Gruppen, Kollektive und ähnliche Zusammenschlüsse zu gründen, die in die gleiche Richtung zielten. Deren Bedeutung war den jugendlichen Massen, die sich müde dahingeschleppt hatten, um in den schäbigen Grüppchen der außerparlamentarischen Linken zu agitieren, nicht allzu klar. Aber am Ende des Jahres hatten sie eine präzisere Konnotation. Tatsächlich datiert die Entstehung der ersten Gruppen der Arbeiterautonomie (Autonomia Operaia) auf etwa 1972, demselben Jahr, in dem Rosso (1) in Mailand und die Kollektive der Via Volsci in Rom gegründet wurden.

Im Juni 1975 fanden die italienischen Regionalwahlen statt. Die PCI (Kommunistische Partei Italiens) erzielte mit einem Stimmenzuwachs von 7 % einen eindrucksvollen Sieg. Sie war noch nicht die Partei der Mehrheit in Italien, da die DC (Christdemokraten) immer noch einige Punkte Vorsprung hatte, aber sie hatte eine relative Mehrheit in allen großen Städten erobert, sogar in Neapel, dem Zentrum des Klientelismus und der Korruption.

Am Abend des 6. Juni 1975 jubelten in der Bottega Oscura (Sitz der KP in Rom) die Linken – sogar die extremsten der Extremisten. Zerquetscht in einer Menge, die lachte und weinte, dachten sie zutiefst (und doch so tief gesunken), dass sie nicht vergeblich agitiert hatten, dass all die Toten einem Zweck gedient hatten und dass Italien „rot“ war. Es war der Triumph des „historischen Kompromisses“, der Sozialdemokratie von Berlinguer (Generalsekretär der KP), der knapp drei Jahre zuvor am Ende einer Periode intensiven Kampfes für das Proletariat eingeleitet worden war.

Der Sommer verging zwischen mehr oder weniger alternativen Musikfestivals. Bei diesen überfüllten Festivals war die Begeisterung der nach neuen Erfahrungen suchenden Jugend noch nicht erloschen.

Drogen, darunter Heroin, das im Jahr zuvor auf dem italienischen Markt aufgetaucht war, verbreiteten sich und waren – trotz der Feindseligkeit der politischen Formationen – Teil der Suche nach neuen Erfahrungen. Im Herbst 1975 gab es eine weitere Episode, die damals achtlos beiseite geschoben wurde, die aber eine klassische Vorwarnung war und eine Situation ankündigte, die für die jungen Proletarier immer unerträglicher wurde.

Der Anlass war eine große Anti-Franco-Demonstration. In Madrid waren 5 Militante der FRAP (bewaffnete maoistische Gruppe) und der ETA (bewaffnete baskische Partei) hingerichtet worden. Die Zeitungen, die sie heute als Terroristen bezeichnen würden, bezeichneten sie damals als Patrioten. Es war zu zwei Demonstrationen aufgerufen worden, eine von den etablierten Parteien und die andere von den kleineren Parteien (Lotta Continua Avanguardia Operaia, Partito del Unita Proletaria). Diese zweite Demonstration endete auf der Piazza del Popolo im Zentrum von Rom. An diesem Abend, während Versammlungen und Fackelzüge stattfanden, schossen plötzlich ein paar hundert Menschen, die „brennt die Botschaft nieder“ riefen, die Via del Corso, die eleganteste Straße Roms, hinunter und begannen, Geschäfte zu plündern. Man schätzte am folgenden Tag dass 37 Geschäfte geplündert worden. Die Unterdrückung dieser Aktion war nicht von der Polizei ausgegangen, sondern von Ordnern der verschiedenen Gruppen, die bereit waren, einmal mehr loyal ihre bürokratische Aufgabe zu demonstrieren und die Drecksarbeit zu erledigen, die normalerweise der Polizei überlassen wurde.

Auf jeden Fall setzte sich das stille Ausbluten der kleinen Parteien fort, und viele Militante gingen dazu über, im Denken und Handeln autonome Kollektive zu bilden, frei von jeder Logik eines parteipolitischen Charakters.

Im Dezember 1975 fand die erste und vielleicht einzige nationale Versammlung all dieser autonomen Gruppen statt. Sie wurde vom Kollektiv Via Volsci organisiert, das an der Spitze der Kollektive mit einer recht starken Präsenz am Arbeitsplatz stand. Leider konnten wir keine Dokumente finden, die aus der Versammlung selbst stammen, und deshalb sind wir nicht in der Lage, auch nur einen Teilbericht zu liefern.

Im Rückblick können wir jedoch sehen, dass es diese Gruppen waren, die das Spektrum an Ideen und Aktionen bildeten, das die „Arbeiterautonomie“ (Autonomia Operaia) definierte. Sie war auf theoretischer Ebene durch eine Ideologie geeint, die, auch wenn sie in der Praxis nicht homogen war, eine klare Ablehnung des Reformismus, wie er von der PCI und den anderen Gruppen gleichermaßen praktiziert wurde, gemeinsam hatte. Diese Ablehnung sollte sich in einem gewissen Kult, wenn auch nicht ausschließlich, der Straßengewalt und des Rebellentums ausdrücken:

1. Autonome Fabrik- und Stadtteilkollektive, die sich über ganz Italien ausbreiteten.

2. Autonome Versammlungen in den großen Fabriken in Norditalien.

3. Autonomia Operaia (Arbeiterautonomie) Kollektive (Krankenhäuser, ENEL Elektrizitätswerk)). Einige waren aus bestimmten Gruppen hervorgegangen (wie die CUB, die mit der Autonomia Operaia verbunden war), die die Besonderheiten ihrer eigenen Arbeitssituation betonten und dadurch oft einen beachtlichen Erfolg durch die Radikalität ihrer Kampfmethoden erzielten.

4. Die Gruppe „Rosso“. Dies war eine Zeitung der Bewegung (wie sie sich jetzt selbst definierte). Viele waren Kader und Ex-Militante von Potere Operaio (Arbeitermacht). Es ist notwendig, darauf gesondert einzugehen, weil diese Militanten 1977 die einzige Verbindung mit der Bewegung von 1968/’69 und dem Beginn der 1970er Jahre waren.

5. Diejenigen, die Lotta Continua in Rom und Süditalien aus verschiedenen Gründen verlassen hatten.

6. Die „Schöpfer“ – um die kapitalistische Terminologie zu verwenden – Libertäre, Ex-Potere Operaio (Arbeitermacht), Anarchisten. Die bekanntesten waren die aus Bologna, die zusammen mit Radio Alice und der Zeitschrift A/traverso sofort zum Hauptbezugspunkt der Bewegung in der ersten Hälfte des Jahres 1977 werden sollten.

In deren Umfeld fand im Dezember 1975 ein weiteres Ereignis statt, das zwar wenig unmittelbare Folgen hatte, dessen fruchtbarer Einfluss in Italien aber enorm war. Es handelte sich um das Auftauchen des ersten öffentlichen Auftritts der „Großstadtindianer“ oder (genauer gesagt) des Ex-Cassio-Kollektivs „Geronimo“. Die Entstehungsgeschichte dieser Gruppe soll dazu dienen, die Bildung so vieler Gruppen, die aus der städtischen Peripherie kommen, teilweise besser zu verstehen..

Der Hintergrund der Leute, die zu dieser Gruppe gehörten, war sehr unterschiedlich, sie kamen von Lotta Continua, Autonomia Operaia, der PCI, Via Volsci usw. Außerdem umfasste die Gruppe viele isolierte Proletarier, Menschen aus dem Nirgendwo des Hinterlandes.

Es wurden Veranstaltungen, Nachbarschaftstreffen, die Besetzung von Parks, teilweise entkernte Häuser sowie Angriffe auf Bulldozer von Bauunternehmern organisiert. Im Konflikt zu lokalen Sektionen der PCI wurde „Geronimo“ in den Vierteln sehr aktiv.

Die Idee, sich als Großstadtindianer zu definieren, entstand fast zufällig. An einem Abend, an dem die Gruppe eine Aktion organisierte, um Wände in der Nachbarschaft mit Graffiti wie „Tod dem Schuldgefühl“, „Masturbiere friedlich“ usw. zu beschmieren, wurde es notwendig, einen Namen für die Gruppe zu finden. Irgendwann rief jemand: „Lasst uns das Reservat verlassen“ (gemeint sind damit die Ghettos der Großstädte, also die Großstadtghettos). Der Rest kam von selbst. Geronimo war der amerikanische Krieger, der es wagte, das Reservat zu verlassen, ohne um Erlaubnis zu fragen.

Am Heiligabend 1975 organisierte Geronimo eine Reihe von Provokationen gegen die örtliche Gemeinde. Es ging darum, eine Aktion zu einem Paroxysmus zu treiben: Das sollte sogar ihr Wesen sein, eine Parodie der gelebten Erfahrung. Während die einen rote Farbtöpfe auf die Stufen der Kirche verschütteten, schrieben andere auf die umliegenden Wände: „Bürgerliche Bastarde, das ist das Blut, das Christus jeden Tag auf den Straßen und in den Fabriken vergießt“ – es war ein halb bürgerliches, halb proletarisches Viertel.

Geronimo überlebte weitere fünf Monate, in denen es neben dem Besuch von Autonomia (Autonomie)-Demos auch eigene “ acid“-Komitees, selbstkritische Gruppen und Partys organisierte.

In der Tat hatten alle viel Spaß und fühlten sich endlich frei, die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Spontaneität und Parodie verschmolzen mit einer Kritik am Alltag. Um eine theoretische Note einzubringen, versuchten einige Mitglieder der Gruppe, eine kleine Zeitschrift mit situationistischem Inhalt zusammenzustellen. Das Ergebnis war jedoch ein totaler Bruch mit den Herausgebern dieser Zeitschrift, die sich ausgeschlossen fühlten.

Aber die eindeutigen Forderungen von Geronimo fanden sehr schnell einen fruchtbaren Boden, auf dem sie sich ausbreiten konnten. Es war im Februar 1976 und der Anlass war eine Demonstration zugunsten von verhafteten Genossen. Daran nahmen Lotta Continua, Autonomia Operaia, Pdup, Au Communista, sowie Autonomia Romagna teil, die zu diesem Zeitpunkt eine zahlenmäßig kleine Gruppe war, die im Wesentlichen aus dem Volsci-Kollektiv bestand. Geronimo, bestehend aus etwa 50 Personen, versammelte sich hinter den Volsci und trug ein mehrfarbiges Transparent. Die Volsci, durch und durch “Arbeiterkämpfer”, fühlten sich bei dieser Mischung nicht wohl. Zunächst war es jedoch nur ein verbaler Konflikt. Als sich dann später die Volsci von der aus einzelnen Gruppen gebildeten Prozession lösten, um vor dem Gefängnis Regina Coeli die Konfrontation zu suchen, folgte ihnen Geronimo entschlossen. Die Konfrontation mit der Polizei kam nicht zustande. Im Gegenteil, in der kleinen Prozession hatte der verbale Schlagabtausch einen kritischen Punkt erreicht. Die Konfrontation war nicht mehr nur verbal, sondern wurde körperlich. In der Gewissheit, die Oberhand zu gewinnen, griffen die Ersteren mit Stöcken an, aber Geronimo ging prompt auf die Angreifer los und ließ sie wirklich abblitzen. In dem Gerangel geschah das Unvermeidliche, eine große Anzahl von Kameraden, die sich hinter dem Volsci-Banner versammelt hatten, wechselte zu Geronimo über, deren Block am Ende der der Konfrontation etwa 300 Personen hinter seinem Banner zählte. Es war ein weiteres offenkundiges Zeichen dafür, wie stark das individuelle Bedürfnis war, vom unterdrückenden “Militantismus” befreit zu werden. Es war ein großer Erfolg für Geronimo. Sie hatte sich als autonome Gruppe durchgesetzt, was sie auch war, ohne Kompromisse und ohne von irgendjemandem etwas zu verlangen.

Da alle Genossen in Rom über Geronimo Bescheid wussten, war sie von diesem Tag an nicht mehr nur ein Stadtteilphänomen. Ein Artikel in der Zeitung La Republica kam zu dem Schluss, dass es sich um die radikalste Gruppe handelte und endete tatsächlich mit der Aussage „man kann Verbindungen zur NAP (2) nicht ausschließen“. Dies war völlig lächerlich, da genau diese das Ziel der Angriffe von Geronimo war.

Jedenfalls wurde eine Verbindung mit Leuten in Rom geschmiedet, die zu Radio Alice (3) in Bologna schielten. Nachdem die Gruppe aufgelöst wurde (was nicht von irgendeinem aufgesprungenen Niemand dekretiert wurde, sondern einfach der Tatsache geschuldet, dass sie nichts mehr zu sagen hatte), ging die Bewegung unvermindert weiter.

Aus den Verbindungen, die während der Demonstration im Februar geschmiedet worden waren, entstand im Mai desselben Jahres eine Art Vollversammlung, die dazu aufrief, in Rom einen Radiosender für die Bewegung in Kontakt mit Radio Alice zu gründen. Obwohl es an Ideen nicht mangelte, war das Geld knapp, und aus diesem Grund nahm eine größere Gruppe Kontakt zu einem bereits existierenden Radio Bleue auf. Für einen bestimmten Zeitraum von 3 bis 4 Monaten wurde Radio Bleue (dessen Interessen eigentlich ganz in der entgegengesetzten Richtung lagen) in einen Radiosender der Bewegung umgewandelt, im Wechsel mit dem gruppeneigenen Radio Citta Futura.

Es war im Juni 1976. Lotta Continua hatte auf dem Kongress in Rimini beschlossen, sich aufzulösen. Es war klar, dass dort niemand mehr etwas zu sagen hatte und dass es von nun an eine gute Idee war, die PCI zu wählen und den Leuten zu raten, sich der großen Partei der Arbeiterklasse zu fügen.

Bei den Parlamentswahlen im Juni bestätigte die PCI ihren Vormarsch, blieb aber hinter der DC zurück. Trotzdem fand sie sich mit 34%-35% der Stimmen in einer entscheidenden Position, wenn es um die Regierungsbildung ging. In Erwartung des Eintritts der PCI in die Regierung versammelten sich die Gewerkschaften zu einer Vollversammlung im Sportpalast in Rom und beschlossen, einen gesellschaftlichen Sozialvertrag zu initiieren. Diese Entscheidung bestätigte für diejenigen, die daran noch Zweifel hatten, den institutionalisierten Charakter unserer Gewerkschaften. Diese Entwicklung verdient eigentlich eine weitere Erklärung, aber kehren wir zur Bewegung zurück und schauen wir uns an, was mit ihr in Rom geschah.

Im Laufe des Sommers hatte Radio Bleue eine neue Art erfunden, Radio und Politik zu begreifen, indem es Parodien auf Nachrichtensendungen, Informationen über die autonome Bewegung, antistaatliche Sketche und eine Musik versendete, die in Opposition zu den von den multinationalen Plattenfirmen auferlegten Zwängen stand. Der Kern des Streits mit den Eigentümern betraf jedoch die am direktesten politisierten Sendungen, in denen die autonomen Kollektive frei zu Wort kamen. Bis September war das Gerangel unerträglich geworden. Später gab es Versuche, auf Radio Citta Futura zu senden, aber die Direktoren des Senders, Renzo Rossellini und Sandro Silvestri (jetzt Direktor einer multinationalen Firma), erlaubten keine Berichterstattung über die Bewegung.

Die Autonomie war weiter auf dem Vormarsch. Die plumpen politischen Manöver der Gewerkschaften begannen Früchte zu tragen. Die Arbeitslosigkeit stieg unerbittlich an. Die Jugendlichen wurden regelrecht von einem Kopfkissen zum anderen gekickt.

In Mailand wurden “Auto-Reduktionen” (selbstbestimmte Reduzierung der Eintrittspreise, d.d.Ü) in Kinos organisiert. Jeden Sonntag machte sich eine große Anzahl von Menschen unter dem wachsamen Auge von “Gruppenbetreuern” auf den Weg in ein nobles Kino und bezahlte einen reduzierten Preis für die Eintrittskarten. Bis zum Eröffnungsabend der Scala verlief dies mehr oder weniger erfolgreich. Mit dem Ziel, die Bourgeoisie auf dem Weg zur Scala in ihren besten Kleidern anzugreifen, sollten die Kreise der proletarischen Jugend von Mailand und autonome Nachbarschaftsgruppen Guerilla-Aktionen im Zentrum von Mailand durchführen. Das Ergebnis war ein einziges großes Durcheinander. Durch die totale Desorganisation, dank des Verhaltens einiger organisierter autonomer Sektionen, wurden viele junge Genossen bei der Konfrontation verletzt. Die Zeitungen übertrieben die Affäre und die autonomen Gruppen hatten ihren Moment der Berühmtheit.

Auch in Rom wurden an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen Autonomie- Demonstrationen organisiert. Das hatte nichts mit dem zu tun, was in Mailand stattfand, denn in Rom besaßen die Gruppen keine Ordner. So war alles, was die Gruppen betraf, in kompletter Verwirrung. Das Ergebnis waren spontane Konfrontationen.

Beim ersten Mal am 1. Dezember hatten sich etwa tausend Menschen im Nieselregen auf der Piazza Cavour versammelt. Das Ziel war es, in das Adriano-Kino zu gelangen. Ein Polizeiaufgebot genügte, und als die Menge angegriffen wurde, zerstreute sie sich.

Am folgenden Sonntag war alles anders. Während der Woche ohne Aufkleber und Flugblätter verbreitete sich das Gerücht vor allem in den Schulen. Am kommenden Sonntag hatten sich 5000 Genossen auf der Piazza Trilussa in Trastevere versammelt. Das Kino „America“ wurde von Anfang an angegriffen. Einige wollten eine ermäßigte Eintrittskarte kaufen, merkten aber sofort, dass es darum nicht ging; die Menge betrat das Kino, ohne die Absicht, den Film zu sehen. Die Polizei beschuldigte und verhaftete – ein ironischer Schlag – die Leute, die versuchten, selbst ermäßigte Karten zu kaufen. Die Masse der Menschen verließ das Kino und bildete eine Prozession, die in Richtung Testaccio marschierte, ein beliebtes Viertel im Stadtzentrum.

Am Kino Victoria“ stürmten die Menschen diesmal ohne Verzögerung hinein. Nicht allen gelang es, hineinzukommen, und die Polizei stürmte vor und zerstreute die Menge draußen. Drinnen blieben etwa 200 Menschen unter Belagerung. Als die Nacht hereinbrach, wurde nach mehreren Versuchen, das Kino zu stürmen, eine Einigung erzielt. Ohne einen repressiven Gegenschlag zogen sich die verbliebenen Reste aus Testaccio zurück.

Es waren die ersten Symptome eines Unwohlseins, das sich unter der Jugend, ob Studenten, Arbeiter oder Randständige, ausbreiten sollte. Das neue Jahr verging und 1977 kam. Niemand, auch nicht im Entferntesten, ahnte, was passieren würde. In den ersten Januarwochen war die Spannung hoch, aber es passierte nichts.

Am 23. Januar wurde die Fakultät für Geisteswissenschaften besetzt, um gegen die von dem Christdemokraten Malfatti vorgeschlagenen Reformen zu protestieren. Die Zeitungen berichteten kaum darüber. Es schien eine theatralische Besetzung zu sein, die nur von Militanten organisiert wurde. Nachdem sie drei Tage weggeblieben waren, begannen viele, sich selbst ein Bild zu machen. Die ersten Debatten begannen und es wurden Versuche unternommen, die Menschen zusammenzubringen, aber all diese Initiativen schienen immer noch zusammenhanglos und gaben niemandem eine Befriedigung.

Es war nur der Anfang. Innerhalb weniger Tage entlud sich eine lodernde Wut in vielen individuellen und kollektiven Handlungen, die in einem einzigen Moment sowohl Prolog als auch Epilog enthielten und die Wünsche der Beteiligten erfüllten.

Der erste Akt ereignete sich am 1. Februar: Ein faschistischer Angriff fand in der juristischen Fakultät statt. Die Genossen, die die geisteswissenschaftliche Fakultät besetzt hielten, kamen denen in der juristischen Fakultät zu Hilfe. Die Faschisten schossen und verwundeten zwei Genossen, einen davon schwer am Kopf. Am selben Tag begann eine Revolte, die sofort über die unmittelbare Situation hinausging, da die Faschisten nur ein Aspekt der staatlichen Repression waren. Nach der geisteswissenschaftlichen Fakultät besetzten die Studenten die Physikalische-, die Lehramts- und die Ingenieurwissenschaftliche Fakultät. Noch am selben Abend begann das italienische Fernsehen mit seinen Farbübertragungen.

Am nächsten Morgen begann der Kampf und Schusswaffen tauchten auf der Straße auf.

Wir werden nie erfahren, wer zuerst geschossen hat, und es spielt für uns kaum eine Rolle.

Es wurde zu einer Demonstration gegen die Faschisten aufgerufen und es gab Versammlungen in allen Schulen. Während der Demonstration wurden einige Faschisten geschlagen, dann waren Schüsse zu hören – Handfeuerwaffen- und Maschinengewehrfeuer. Ein Offizier der öffentlichen Sicherheit der Polizei fiel zu Boden und wurde in den Kopf geschossen, und zwei Genossen aus dem Autonomiekollektiv, Paulo Tomasini und Daddo Fortuna, wurden durch ein Maschinengewehr der öffentlichen Sicherheit schwer an den Beinen verletzt. Sie wurden verhaftet und wegen versuchten Mordes angeklagt, da sie im Besitz einer Waffe gefunden wurden. Die Geschichte wuchs und die Nachricht verbreitete sich in ganz Rom. Als es Mittag wurde, war die Universität voll mit Menschen. Scharfe Wortgefechte und Beleidigungen flogen gegen Militante aus verschiedenen Gruppen und ihre treuen Anhänger, die die Idee einer Besetzung ausschließlich durch Studenten unterstützten.

Aus allen Vierteln strömten die Menschen in die Universität – Schüler, Arbeitslose, Jugendliche aus den Siedlungen am Stadtrand, Drogenabhängige, Schwule, junge Schwarzarbeiter. Das war die „Bewegung“, die explodierte. Kaum hatte sie das Tageslicht erblickt, begann sie laut und immer lauter zu brüllen und brachte, wenn auch nur für wenige Augenblicke, die Säulen des Gesellschaftsvertrages ins Wanken – also die Gewerkschaften und die Partei -, auch wenn sie weit davon entfernt war, ihre eigentlichen Ziele, die Institutionen des Kapitalismus, zu erreichen.

Es waren die großen Tage, in denen sich die Marginalisierten, die Autonomen aus den Nachbarschaftskollektiven und aus den Betrieben, die ungebundenen Außenseiter jeglicher Couleur in der hitzigen Auseinandersetzung mit den kleinkarierten politischen Parteien vereinigten und ihnen jeden Versuch abtrotzten, die Bewegung auf eine Reihe von Organen zu reduzieren, die im Kleinen die Institutionen selbst widerspiegeln.

„La Rivoluzione“ (eine mao-dadaistische Zeitung aus Bologna) schrieb:

„Auf Demonstrationen schreien wir: „,’Es ist ein anderes 1968’. ‘Nein, es ist nicht ’68’, antwortet Rinascita. Wir sagen, es ist ein anderes ’68 in der Absicht, den Wunsch zu unterstreichen, alles wie damals auf den Kopf zu stellen und einen Prozess des Kampfes einzuleiten, der breit und mächtig sein wird, nicht nur ein Strohfeuer, etwas aus dem Stegreif. Gleichzeitig durchleben wir aber einen anderen Prozess. Er ist viel massiver als früher, viel radikaler, viel entschiedener antireformistisch. Weil er sich aus Proletariern zusammensetzt, aus Menschen, die arbeiten, schon gearbeitet haben oder Arbeit suchen. Er ist nicht auf eine studentische Dimension reduzierbar. Heute ist die Explosion die Fortsetzung einer Geschichte, die im April 1975 begonnen hat, die im Laufe des Jahres ’76 gewachsen ist und sich schließlich zu einer Bewegung von jungen Proletariern ausgeweitet hat. Die Februar Bewegung war die Eroberung eines massenhaften sozialen Terrains und des zentralen Territoriums der Universität durch ein Subjekt, das die Verweigerung der Arbeit verkörperte. Es ist der Moment der Schaffung eines freien Raums.“

La Rivoluzione“ schrieb dann in der Nr. 12, März 1977:

„Die Lösung besteht im Wachstum der Bewegung selbst. Das Zusammenkommen von Marginalisierten an verschiedenen Punkten auf dem städtischen Terrain, die Besetzung von Räumen und Häusern, Treffpunkten und Abteilungen. Inspektionskomitees, z.B. aus Arbeitern und Arbeitslosen, um die neuen Lebens-, Lohn- und Arbeitsbedingungen durchzusetzen, um den Arbeitslosen Arbeit zu verschaffen und die Gelegenheitsarbeit zu regulieren.

Um zu einem verallgemeinerten Bruch zu kommen, machen wir einen Sprung. Das Terrain bleibt das gleiche, aber das Programm wird:

Befreiung der Innenstädte (Arbeiterviertel, Randgebiete), Universitätsviertel. Hier werden wir dem Feind einen ‘politischen Preis’ auferlegen, indem der Zutritt untersagt wird (Bullen, Carabinieri, Faschisten und PCI).

Generalisierte Enteignung des Eigentums der Kirche und des ihr gehörenden Eigentums. Generalisierte Besetzung von leerstehenden Häusern. In den befreiten Gebieten sind die Anzahl der garantierten Arbeitsplätze zu erhöhen, Überstunden sind zu verbieten, Arbeiten, deren Bedingungen die Bewegung bestimmen wird, sind durchzuführen.

All das ist unabdingbar und eine mögliche Form der Organisierung einer Gegenmacht. Ohne zu reflektieren, könnte dies in institutionelle Begriffe übersetzt oder vom Staat übernommen werden.

Die Universität Rom, die kulturelle Festung, wurde für 15 Tage zu einem befreiten Raum (auch wenn dies illusorisch war, weil auf dem Universitätsgelände eine, wenn auch ziemlich inaktive, Polizeistation verblieb, die nach ’68 eingerichtet worden war) mit der Absicht, das zu verwirklichen, was autonome Kreise vor einiger Zeit angekündigt hatten.

In den ersten Februartagen explodierten Wut und Begehren in diesem Raum auf heftige Weise. Einerseits war es flüchtig und illusorisch, aber auch ganz real für alle anwesenden Proletarier. Alle falschen Vorwände wurden beiseite gefegt (die Malfatti-Reform, der Antifaschismus usw.)

So begann eine totale Zerschlagung, die Subversion des täglichen Lebens, die bis zum Paroxysmus getrieben wurde mit dem Wunsch, von allen Zwängen befreit zu werden. Und diejenigen, die sich als soziales Subjekt behaupteten, waren all jene Proletarier, die schon in den Tagen unmittelbar nach den Kämpfen von ’68/69 den Soziologen, Politicos, Psychologen und Fachleuten der Partei der Revolution bekannt geworden waren, die den Massen predigen wollten, ein reines Objekt der akademischen Diskussion. In Schulen und Universitäten hatten sie die Proletarisierung und das Durchlaufen der Schule der Arbeiterklasse gepriesen.

All dieser Bodensatz, die elenden Überbleibsel des Stalinismus und die Epigonen des Reformismus, fanden sich isoliert, verspottet und auf jede erdenkliche Weise lächerlich gemacht. Die Bewegung der “ Nichtgarantierten“, wie sie sich selbst definiert hatte, legte eine immer größere Distanz zwischen sich und den ‘Militantismus’, den sie für immer hinter sich lassen wollte”

Die Phantasie wird die Macht zerstören und das Lachen wird sie begraben’ stand an den Wänden der Universität.

Während die KPI durch ihre Presse eine Terrorkampagne gegen die Bewegung begann, um ihren Freunden in der Regierung ihre Entschlossenheit zu zeigen, in ihrer Rolle als Polizist des Proletariats aufs Ganze zu gehen, ging die Besetzung der Universitätsfakultäten weiter.

Anfang Februar versuchten die PCI und die Gruppen, einige Versammlungen im Miniaturformat einzurichten, um alle wieder in die Schranken des institutionalisierten „geordneten“ und „friedlichen“ Protests gegen die Malfatti-Reform zu weisen. In der Tat wusste niemand mehr, worauf sich das bezog. So sehr, dass „Paese Sera“ (PCI-Zeitung) am 8. Februar in Bezug auf die „Jugend, die die Universität besetzt“ schrieb: „Sie wissen nicht einmal mehr, wofür sie kämpfen“.

Am 5. Februar verbot der Polizeipräfekt die für den folgenden Samstag angesetzte Demonstration. Die bis dahin auf die geisteswissenschaftliche Fakultät beschränkte Besetzung der Universität wurde zu einer totalen.

Im „befreiten“ Bereich gingen die Debatten, Spiele, Vergnügungen, die Fantasie der proletarischen Festlichkeit ungebremst weiter. Es herrschte die Atmosphäre eines befreiten Viertels (eine Mauer trennte es vom Rest der Welt), das die Pariser Kommune nachahmte. Auf einer eher elitären Ebene wurden die Chicagoer Kommune und Paul Mattick (4) von “Marxiana“vom Staub befreit, der einzigen theoretischen Zeitschrift, die damals einige Anerkennung genoss.

Aber die Kreativität der Bewegung kam auf unzählige andere Arten zum Ausdruck. Was in dieser Periode den privilegiertesten Platz einnahm, jenseits des Kampfes gegen die Institutionen, war die ludische Dimension. Dies war fortan der Impuls hinter dem entscheidenden Sieg über die Gewerkschaftspolizisten, die versuchten, dem Schrecken der Besetzung vom 17. Februar ein Ende zu setzen.

Von diesem Datum an verließ die Bewegung das illusorische Terrain der Straßenkonfrontation und explodierte in der Wiederaneignung der Unterhaltung. Jede Versammlung wurde durch theatralische Veranstaltungen unterstützt, die von Gruppen von Menschen inszeniert wurden, die das tägliche Geschwätz der „Politiker“ ins Lächerliche zogen und Slogans erfanden, die sich von Minute zu Minute änderten. Im Laufe eines Tages wurde das CDNA geboren. (Zentrum für die Verbreitung willkürlicher Nachrichten), die Nazichecka, die Craxi-Gruppe („Es lebe der Genosse Bettini Craxi, Geißel der Faschisten, der im Taxi herumfährt“).

Die eher homogenen Gruppen, die schon früher gegen das sozialdemokratische Projekt der PCI gekämpft hatten und die sich hauptsächlich um Radio Bleue versammelt hatten, brachten zusammen mit Radio Alice „La Rivoluzione“ heraus. In der Zwischenzeit hatte Radio Alice eine Bewegung ins Leben gerufen, die weitaus bedeutender war als die in Rom (alles in allem). „La Rivoluzione“ war eine überregionale Zeitung und veröffentlichte einleitend das folgende Manifest:

ARBEIT MACHT FREI UND SCHÖN

In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation laufen Millionen und Abermillionen junger Menschen Gefahr, über einen langen Zeitraum nicht in den Genuss eines Grundrechts/einer Grundpflicht zu kommen, das/die jedoch allen Bürgern, deren einziges Gut ihre Ketten sind, von der Verfassung garantiert wird: die Lohnarbeit.

So geht der Anreiz, vor dem Morgengrauen aufzustehen, eine der lebendigsten und heilsamsten Traditionen unserer Lebensweise, für ganze Generationen verloren. Nebenbei weicht die Regelmäßigkeit und gute Laune, die das Dasein des ehrlichen Arbeiters kennzeichnet, der Verwirrung, der Unruhe und der Abweichung. Wie Psychologen, Kriminologen und Sexualwissenschaftler betonen, ist Arbeit nicht ein hervorragendes Mittel gegen Drogen, Päderastie und Bestialität?

Für Arbeitnehmer, die bereits einen Job haben, eröffnen sich im Gegenteil neue und unerwartete Perspektiven für sich und die Entwicklung ihrer Arbeitsfähigkeit: Von nun an können, vor allem dank der Überstunden, die Kreativität und der Elan der volljährigen Arbeitnehmer wachsen und Grenzen überschreiten, an die vorher niemand zu denken gewagt hätte.

Aber es ist nicht richtig, sich angesichts von solchen Ergebnissen zu Begeisterung hinreißen zu lassen: Während die gesunde Pflanze der beschäftigten Arbeiter wächst und gedeiht, wird der trockene Strauch einer faulen und randständigen Jugend von Tag zu Tag steriler.

Deshalb schlagen die Gewerkschaften und die demokratischen Kräfte zusammen mit dem Verein für die Eltern von geflüchteten Kindern folgende Arbeitsplätze für junge Arbeitslose vor:

1. Beseitigen Sie Graffiti an Wänden, Schulen, Fabriken, Universitäten und Toiletten.

2. Vermehren Sie religiöse und klösterliche Berufe, sowie Berufe bei der Polizei.

3. Forsten Sie die kahlen Berge der Inseln und des Apennins wieder auf.

4. Alle Bände, die in den Bibliotheken herumliegen, Seite für Seite restaurieren, nach den Anweisungen von Giorgio Amendola.

5. Zementieren Sie alle Höhlen der Subversion und des Chaos zu.

6. Bilden Sie erbauliche Gruppen für junge Randständige.

7. Verteilen Sie an Studenten, die in ihrem Studium im Rückstand sind, einen halben Hektar unberührtes Land in Irpinia, Aspromonte oder in der Modonia.

8. Die letzten Spuren und Überreste des Ersten Weltkriegs endgültig wiederentdecken.

9. Einrichtung von Umerziehungszentren für die Behandlung von Arbeiterabwesenheit.

10. Selbstaufopferung ist nicht genug.

11. Selbstverbrennung ist der einzige Weg.

Dieses Manifest, wie viele andere, wurde zwar schon vorher geschrieben, kam aber erst nach dem 17. Februar heraus, dem Tag, an dem Lama (Generalsekretär der CGIL, des von der KP geführten Gewerkschaftsbundes) aus der besetzten Uni hinaus gejagt wurde. Leider habe ich keine Traktate und fotokopierten Flugblätter aus dieser Zeit.

Genau am 17. Februar sah sich die Bewegung mit ihrer ersten Raum/Zeit-Krise konfrontiert, als die Repression begann, die Bewegung auf ein etwas anderes Terrain als die Straßenkonfrontationen zu verlagern, hin zu einer Zusammenrottung und Selbstabsorption. Aber im Februar wurde das nicht als unmittelbare Gefahr empfunden.

Die Bewegung entwickelte sich praktisch vollständig in Richtung Selbstbewusstsein und in Richtung der Unvermeidlichkeit ihrer Existenz und ihres Wesens. So bejahte sie die Ablehnung der Lohnarbeit und damit auch aller Formen der Arbeiter Organisierung, die in den Gewerkschaften endeten. Dieser Gedanke wurde auf die Spitze getrieben, bis zu dem Punkt, an dem die Lohnarbeit als antirevolutionär angesehen wurde, da sie nicht an der unmittelbaren Verweigerung ihrer eigenen Bedingung teilnahm. Damit war jedoch nicht nur ein formaler Bruch mit der traditionellen kommunistischen Bewegung vorgezeichnet, sondern einer, der die Substanz der individuellen Entscheidung jedes Proletariers selbst in Frage stellte. Das Endergebnis war eine Verherrlichung der Gelegenheitsarbeit, der nicht garantierten Arbeit und des Subproletariats als unmittelbar revolutionäres Subjekt im Gegensatz zu den Lohnarbeitern, deren Arbeitsplatz von den Gewerkschaften garantiert wurde. All dies wurde durch Festlichkeit und Parodie ausgedrückt. Es lag wirklich an diesen internen Praktiken, dass die Bewegung alle Versuche der Spektakularisierung und des Starruhmes drastisch zurückwies (dass kein Führer auftauchte, war kein Zufall). Das ging so weit, dass die Versammlung nach einem öffentlichen Prozess gegen Journalisten von PCI, „Corriere della Sera“ und „La Repubblica“ verfügte, dass keine Journalisten die Universität betreten durften. Die Position gegen die Spektakularisierung der Medien, die PCI und ihre polizeiliche Rolle und die bürgerliche Presse, die „zu verstehen“ suchte, war unmissverständlich.

Am 9. Februar demonstrierten 30.000 Menschen in Rom. Es war eine friedliche Demonstration, die praktisch unbemerkt ablief, da die Journalisten anscheinend mehr daran interessiert waren, was sich in der besetzten Universität abspielte.

Zur gleichen Zeit starteten die Gewerkschaften einen Streik in Schulen und Universitäten gegen die „Malfatti-Reform“ (die unbestreitbar reaktionär war, aber es ging nicht darum, auf die Details einzugehen, sondern eher um einen Vorwand für alle Beteiligten). Die PCI und die Gewerkschaften, die stellvertretend das Geheiß der Hohen und Mächtigen ausführen, verbreiteten über ihre Zeitungen eine Einladung zum Dialog mit dem „vernünftigen“ (nicht genau identifizierten) Teil der Bewegung. Das grande finale dieser Music-Hall-Wendung würde, so die Ziele der Organisatoren, das Treffen mit Lama in der besetzten Universität sein. Es wurde im Voraus angekündigt, als ob es eine Einladung von „den Arbeitern“ zu einem Dialog wäre. Es wurde hinausposaunt als „Lama geht zum Gespräch mit den Universitätsbesetzern“, wobei die Macht nur zu gerne der PCI (die ihrerseits weiterhin demonstrieren wollte, dass ihr Eifer unantastbar war) die undankbare Aufgabe überließ, das Geschwür aufzustechen.

Der 17. Februar war für diese Jahreszeit recht warm. Die Sonne schien jederzeit herauszukommen, aber von Zeit zu Zeit verzögerte ein feiner Nieselregen ihr Erscheinen. Das Viereck der Minerva, das Zentrum des Universitätscampus, begann sich langsam zu füllen. Militante Mitglieder der PCI und der Gewerkschaft errichteten eine behelfsmäßige Plattform und eine Lautsprecheranlage neben der juristischen Fakultät, die früher eine faschistische Hochburg war und jetzt von der PCI und einigen anderen Gruppen für ihre Ohrfeigenzeremonien genutzt wird. Auf der anderen Seite des Quadrangels gruppierten sich die Genossen um die Abteilung für Geisteswissenschaften, dem Zentrum der Bewegung.

Vorne waren die „Köpfe“ zu sehen, die die bürgerliche Presse mehr als einmal versucht hatte, in Form eines Spektakels wiederzugewinnen. Gekleidet in bunter Kleidung, die Gesichter mit Schminke beschmiert, trugen sie einen Ausdruck, der irgendwo zwischen Wut und Lachen lag. Bei ihnen sind die nicht organisierten Genossen, die “Streunenden Hunde”. Die organisierteren Genossen aus den verbliebenen autonomen Kollektiven hielten sich zurück – zumindest anfangs. Vor der Humanistischen Fakultät waren kaum mehr als 3000 bis 4000 Genossen gruppiert. Im Vergleich zu den 7000 bis 8000 Militanten, die der PCI als Besatzungstruppe herbeigeführt hatte, waren die Genossen, die der Bewegung angehörten, in der Minderheit.

Zunächst starrten sie sich nur gegenseitig an. Dann, auf dem Podium, öffnete Lama seinen Mund, um zu sprechen, und sofort wurde er ausgepfiffen. Ein Chor von „Schwachkopf, Schwachkopf“ ging ununterbrochen im Hintergrund weiter, unterbrochen von Rufen wie „Lamas sind in Tibet“ und „die PCI und die Gewerkschaften sind Provokateure“. Zitternd vor Angst stehen sie im Dienst des Staates“.

Die PCI-Schwergewichte verloren die Fassung und stürzten sich ins Getümmel. Ein wütender Angriff wurde gegen diejenigen entfesselt, die in diesem Fall die Polizisten des Staates waren. Mit Steinen und Feuerlöschern hatte die Bewegung Minuten später die Provokateure aus dem Weg geräumt und die Plattform und alle Symbole der Mystifizierung zerstört. Mit einer einzigen Stimme wurde der Ruf erhoben: „Dies ist unser Raum und es wird euch nicht gelingen, ihn uns so einfach zu nehmen“.

Die Herde der Militanten der PCI machte sich so schnell sie konnte aus dem Staub. Die Mädchen waren in Tränen aufgelöst. Viele unter ihnen hatten begonnen, nachzudenken, einige wollten sich umziehen und sich der Bewegung anschließen. Während sich die Menge auf dem Vorplatz des Wissenschaftsgebäudes versammelte und ihren Trotz skandierte, bezogen die Kameraden an den verschlossenen Toren Stellung. Währenddessen machte sich das Killerkommando der PCI auf die Suche nach vereinzelten Genossen, die aus den Schulen und angrenzenden Vierteln kommend weiter zur Universität strömten. Viele wurden zusammengeschlagen.

Es war ein großer Sieg gewesen und alle waren glücklich und zufrieden. Aber der Sieg war ebenso süß wie kurzlebig. Während die PCI ihren Truppen den Rückzug befahl, umstellte die Polizei erneut die Universität. Sie kamen super-ausgerüstet mit ihren neuen feuerfesten Panzerwagen und kugelsicheren Westen. Und dieses Mal kamen sie ernsthaft.

Es war Mittagszeit und in der Universität befanden sich nur etwa 2000 bis 2500 Kameraden. Menschen, die es riskierten, einzutreten, um denen zu helfen, die jetzt drinnen belagert wurden, wurden von der Polizei gewalttätig aufgehalten. Eine Versammlung wurde einberufen und nach einer kurzen Diskussion wurde schnell ein unmöglicher Widerstand organisiert. Alle Tore wurden verbarrikadiert, bis auf eines, um eine Flucht zu ermöglichen.

Der Versuch, eine Barrikade über die gesamte Länge des Haupteingangs zu errichten, war ein ziemlicher Scherbenhaufen, indem man versuchte, einen Raum von etwa 30 Metern mit Autos, Blumentöpfen, Bänken usw. zu blockieren. Die Sonne ging unter – sie hatte während der Stunde des Sieges über den Eindringling geschienen. Jeder, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Universität, wusste, dass sie früher oder später geräumt werden würden, aber der Widerstand, der geleistet wurde, war nicht rein formal. Es war eine konkrete Art, „auf Wiedersehen“ zu sagen. Es war die Überzeugung, Teil einer wachsenden Bewegung zu sein, einer Bewegung, die aus Subjekten und nicht aus Objekten bestand. Es war eine Überzeugung, die, obwohl sie innerhalb der Bewegung real war, sich in Bezug auf den Rest der Gesellschaft als illusorisch erwies. Sie sollte zu einer Überschätzung der Ereignisse führen, die folgten.

Gegen Abend trat die Polizei in Aktion. Der Panzerwagen stürmte die instabilen Barrikaden vor dem Haupteingang. Gleich dahinter kamen Marsmenschen in ihren Raumanzügen unbeholfen vorwärts, und beim ersten Anblick fragte man sich, ob sie Laserpistolen hatten!

Das Spektakel endete damit, dass die Universität in Flammen stand. Es war eine militärische Besetzung, die der Bewegung ihren Schauplatz wegnahm. Das war nicht nur eine Formalität, und die Folgen dieser Zerschlagung waren schnell zu spüren. Die Menschen zogen vorerst in die Wirtschaftsfakultät außerhalb des Universitätsgeländes.

Die Universität wurde geschlossen.

Nach dem 17. Februar sollten die Versammlungen, die in der ganzen Stadt in Schulen, Stadtvierteln und an einigen Arbeitsplätzen abgehalten wurden, jedes Mal das Niveau der Konfrontation erhöhen. Die Alternative war von nun an klar: entweder mit uns oder gegen uns. Für die PCI und den Staat war die Frage von vornherein geklärt. Aber erst nach dem 17. Februar entstand ein Riss im Plan zur Unterdrückung der Bewegung. Die PCI, die mit der Aufgabe betraut worden war, hatte versagt: Schlimmer noch, nach der Konfrontation begannen einige Gewerkschaftskader zaghaft mit der Bewegung zu sympathisieren. In einigen Bezirken und Arbeitsstätten war dieses Phänomen besonders ausgeprägt.

Endlich war die Stunde gekommen, in der der Staat die Aufgabe der Repression vollständig übernehmen musste. Da eine „politische“ Aufarbeitung nicht möglich war, bestand die einzige Alternative darin, die Bewegung zu zerstören, indem man sie auf das Terrain der Spektakularisierung von Gewalt zerrte. Das bedeutete, dass ihre konkreten Aspekte nicht mehr in den Vordergrund gestellt wurden, sondern nur noch, unter Ausschluss von allem anderen, ihre formalen Aspekte. Offensichtlich bezog sich das „Komplott“, von dem Richter Catalonsalti gesprochen hatte, auf das vom Staat organisierte, um die Bewegung zu zerstören und zu isolieren.

Die Medien spuckten ihre eigene Version aus, indem sie die folgenden Persönlichkeiten schufen:

1. Die hippieähnlichen indianischen „Köpfe“: reif für die Rückgewinnung.

2. Der Intellektuelle, der immer reif für die Rückgewinnung ist.

3. Der Autonomist, der eine P.38-Pistole schwingt: nicht mehr zu retten, böse, zu eliminieren.

Man muss darauf hinweisen, dass die Bewegung tiefer verwurzelt war, als man die Institutionen hatte glauben lassen, und sie würde noch viel zu kauen geben, bevor sie sich in ein Bühnenkostüm kleiden lassen würde.

In den darauffolgenden Tagen trafen sich die Leute weiterhin an anderen Orten wie dem Fachbereich Wirtschaft und in Studentenwohnheimen. Die Anzahl der Graffiti an den Wänden nahm zu, ebenso wie das ironische Abfeiern von Institutionen. Am 23. Februar schlängelte sich eine große, friedliche Demo spielerisch durch Rom. Die Indianer beschmierten S. Carvieri mit grüner Farbe.

Die Anzahl der Universitäten, die von nun an besetzt wurden, war beträchtlich. Neben Rom und Bologna waren es Florenz und Perugia und dann Neapel, Bari, Sassari, Cagliari und Palermo.

Der Dreh- und Angelpunkt der Bewegung lag in Mittelitalien, unterstützt von Süditalien. An diesen Orten war das Gewicht der Arbeitslosigkeit am stärksten zu spüren und das Konzept der Klasse war weit weniger durch den kapitalistischen Nexus bestimmt. Die Verweigerung von Arbeit wurde so interpretiert, dass es keine Arbeit gab und dass es unmöglich schien, dass es Arbeit gab. Es gab die endemische Weigerung des Staates, eine produktive kapitalistische Struktur aus dem Norden zu importieren, indem er die sozialen Vorteile, die sich aus der Heranziehung von Menschen zur Lohnarbeit ergeben, negierte. In dieser Arbeitsverweigerung der Proletarier waren zwei Tendenzen zu erkennen. Auf der einen Seite gab es den fortschrittlichen Wunsch, die Armut der Menschen zu überwinden. Und andererseits gab es ein spezifisches Gefühl, typisch für eine vorindustrielle Gesellschaft, was darauf hinauslief, ein System staatlicher Unterstützung zu fordern (der Fall des neapolitanischen Proletariats).

Man erwartete ein Signal aus Mailand und dem industriellen Dreieck, d.h. von denjenigen Sektoren des Proletariats, die am unmittelbarsten am Produktionsprozess beteiligt waren. Aber die Bewegung in Mailand, die durch jahrelangen Gruppenzwang in die Knie gezwungen worden war, brachte nichts weiter als Militantismus und Sektierertum hervor. Selbst die jungen proletarischen Kreise waren von diesen sektiererischen Spielen verschlungen worden. Es war kein Zufall, dass einige der Leute, die „Insurrezione“ hervorgebracht hatten, die auch eine Ausbreitung der Bewegung über das gesamte Gebiet forderten, sofort nach Rom zogen. In Mailand gab es das ganze Jahr 1977 hindurch nichts anderes als einen Diskurs des Todes – eine immer extremer werdende Konfrontation der von der produktiven Realität des Nordens abgeschnittenen Repräsentation.

Ende Februar, genauer gesagt am 26. und 27. Februar, fand die erste nationale Versammlung in Rom in der wirtschaftspolitischen Fakultät statt. Der Angriff auf die reformistische und militaristische Tendenz flammte erneut auf. Es war ein heftiger Angriff – der zu Missverständnissen und Verwirrung führte.

Das Folgende ist aus „La Rivoluzione“ (Nr.11): „Die Versammlung in Rom“:

„Der Minoritarismus ist besiegt, bereitet euch sofort auf die Revolution vor. Rom, 26./27. Februar 15.000 Revolutionäre, Ausdrücke von Situationen, in denen die Bewegung bereits in der Offensive ist, von der Bewegung der Arbeitslosen in Neapel bis zu den Vertriebenen von Bari, zu den Großstadtindianern, von den Mao-Dadaisten in Bologna, zu den Arbeiterkoordinationen in Mailand …..

Für diejenigen, deren Blick nicht getrübt ist, ist es glasklar, dass sich in der Versammlung die Gruppen nicht gegenseitig konfrontieren und bekämpfen. Vielmehr zeigt sich in ihren jeweiligen Positionen eine gesellschaftlich fundierte Massenbewegung, die in der Lage ist, mit dem Sturz der kapitalistischen Macht ein erfolgreiches Programm der totalen Transformation zu verwirklichen.

Es ist glasklar, dass der Reformismus und die Partei des Kleinunternehmertums aus dem Rennen sind. Ihre Anwesenheit stellt bereits eine Provokation dar und die “Berlinguisten“ (Berlinguer war damals Führer der PCI, d.engl.Ü) denunziert und verstreut wurden vertrieben, weil es notwendig ist, ein verwundetes Tier von seinem Elend zu erlösen.

Es ist glasklar, dass Adup und Autonomia Operaia widerspenstige Läuse sind, die nicht wissen, ob sie sich auf dem Rücken der Sozialdemokratie oder der Bewegung niederlassen sollen.

Es ist glasklar, dass die Vernichtung von Läusen eine elementare hygienische Vorsichtsmaßnahme ist.

Es ist glasklar, dass Läuse und Faschisten nach Rom gekommen sind, um Unruhe zu stiften, aber überall stießen sie auf die Art von Antwort, die eine Massenbewegung des Proletariats zeigt.

Innerhalb der Bewegung ist kein Zwang notwendig. Wer das nicht begriffen hat, wer glaubt, dass Probleme mit Hilfe von Stoßtrupps und durch die Zurschaustellung von Machogewalt gelöst werden können, der ist im erbärmlichsten Minoritarismus stecken geblieben. Er macht viel Aufhebens und ist ein Überbleibsel am Rande des Aussterbens. Das Verhalten von Sektoren der Autonomia Operaia (Arbeiterautonomie) – der organisierte Teil mit einem großen A -, die sich auf militärisch anmutenden Paraden aufführen, gewalttätig und aggressiv mit Genossen, Jugendlichen und Frauen umgehen, entspricht der Logik von Koalitionen. Es zeigt eine tiefe Unfähigkeit, das Neue in der Bewegung zu begreifen. Aber das Schlimmste ist, dass sie, indem sie jetzt eine minoritäre und organisatorische Logik aufzwingen, sei sie nun militaristisch oder arbeiterisch geprägt, riskieren, der Bewegung eine zentristische Position aufzuzwingen, die ihr fremd ist.

Trotz des militaristischen Drucks, der von diesen Sektoren ausgeübt wurde, ging die Versammlung in Rom siegreich und einheitlich aus dem Prozess hervor. Die Großstadtindianer lehnten die Manipulation durch die erbärmlichen Bleichgesichter der Pdup (Sakko, Krawatte, Kaschmirpullover) ab, der Antrag wurde durch Tausende von Zustimmungsschreien getragen, und das abschließende Gefühl war ein Gefühl der Entschlossenheit, überzeugt, dass die Bewegung nicht wanken würde.

Die Wiederherstellung des paranoischen Stadiums der Politik mit all ihrer aggressiven Bewaffnung, dem Voluntarismus und der Repression droht die Realität zu erdrücken und zu verleugnen, das, was existiert, die Revolte, die aus der Transformation des Alltags und dem Bruch mit den Mechanismen des Zwangs geboren wird.

Aber das Obszöne schwimmt wieder an die Oberfläche und die Leichen der Institutionen und die Paranoiker des Militantismus tragen die Phrasendrescher fort.”

Der von der Versammlung angenommene Antrag war in Wirklichkeit etwas dürftig, denn zu diesem Zeitpunkt war der Großteil der anwesenden Kräfte durch interne Kämpfe vergeudet worden. Der Antrag beanspruchte alle Straßenkonfrontationen, die bis dahin stattgefunden hatten (einschließlich der auf der Piazza Independencia), als Teil der Bewegung und schlug vor, „für eine direkte Verbindung mit Fabriken, Vierteln und Schulen zu mobilisieren, um den Kampf für Vollbeschäftigung, eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit, eine Lohnerhöhung und gegen die Restrukturierung wieder aufzunehmen“. Es wurde beschlossen, eine Massendelegation (praktisch jeder, der wollte) zum Treffen der FLM (Federazione Lavoratori Metal Mecanica) zu schicken, das in der folgenden Woche in Florenz stattfinden sollte.

In Wirklichkeit ging es um Dinge, die viele bereits als selbstverständlich angesehen hatten. Sie hatten gehofft, die Versammlung würde einen Ausgangspunkt für die Festlegung einer revolutionären Strategie bieten, wie minimal auch immer. Die Notwendigkeit, sie erneut zu bekräftigen, legte den Akzent auf den Grad der Desinformation und die Eitelkeit, jeden Raum und jede politische Gruppe in eine vorbestimmte Bahn einzuschließen.

Was sich herausstellte, war ein allgemeiner Mangel an Vorbereitung, der dazu tendierte, isolierte konkrete Aktionen zu bevorzugen, die oft als Selbstzweck und als einzig praktikables revolutionäres Terrain unternommen wurden.

Es wurden Vorbereitungen für die Tage der Revolte getroffen. Über die Diskussionen hinaus brodelte die Bewegung, die ein immer stärkeres Bedürfnis verspürte, sich den öffentlichen Raum wieder anzueignen, um der Stadt zu begegnen. Doch die Repression beschränkte sie auf eine verallgemeinerte Wut. Die Revolte stand unmittelbar bevor. Alle mussten zusammenhalten, um den Universitätscampus wieder zu besetzen, um in der Lage zu sein, mehr zu sagen. Doch die Ereignisse überschlugen sich und verengten den Raum für Gestaltung und Reflexion.

Am 28. Februar wurden zwei Schüler der „Mamiani“-Schule von einem nicht näher identifizierten Faschisten verwundet, einer davon schwer. Im Lichte der folgenden Ereignisse, insbesondere der wichtigsten, könnte der Faschist auch ein staatlicher Agent gewesen sein – ob dies der Fall war, ließ sich jedoch nicht mehr feststellen.

Die „Mamiani“-Schule war eine der Schulen, in der die Bewegung am stärksten war. Es war eine bürgerliche Schule, die bürgerlichste in Rom. Trotz der Tatsache, dass die FGGl (Jungkommunisten) bis zum Ende des Jahres etwa 100 Mitglieder und Aktivisten unter insgesamt 2000 Schülern hatte, hatte die Bewegung dort Wurzeln geschlagen und eine Situation permanenter Agitation geschaffen, wie in vielen anderen Schulen, der sich niemand entziehen konnte. Es wurden spielerische Formen der Selbstverwaltung und Versammlungen organisiert, die es den Funktionären der kleinen Schülerparlamente unmöglich machten, weiterhin irgendeine Art von Aktivität auszuüben. Lehrer, die die 68er verherrlichten, wurden offen herausgefordert, da sie in der Tat die glühendsten Verfechter der sozialdemokratischen Normalisierung waren.

In den Schulen Roms breitete sich eine Kapillare Bewegung aus, die total und in gleicher Weise infantil war, die aber mit Sicherheit die „linke“ Kultur, wie sie durch das Spektakel des Parteispiels wiedergewonnen wurde, herausfordern und angreifen wollte.

Die „Mamiani“-Schule war ein Brennpunkt in diesem Rahmen, da sie eine Schule für die Kinder der aufgeklärten Bourgeoisie war – eine Schule für die Führer der Rekuperation von morgen (in der Tat derselbe Zustand wie heute).

Die Demonstrationen als Reaktion auf den Angriff wurden jedoch von den Antifaschisten der PCI und den Gruppen monopolisiert.

Ende Februar war nicht mehr zu übersehen, dass die Bewegung des Widerstands in den Schulen ein breit angelegtes Phänomen war. Die Zahl der besetzten und selbstverwalteten Schulen betrug mehr als 20, das ist mehr als die Hälfte der Gymnasien in Rom.

Am 1. März wurde die Fakultät für Geisteswissenschaften wiedereröffnet. Aber am 4. März traf eine weitere repressive Provokation die Bewegung. Fabrizio Panzieri, ein Genosse der Bewegung, der beschuldigt wurde, zwei Jahre zuvor einen Faschisten während einer Straßenschlacht getötet zu haben, wurde zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Damit wurde die gerichtliche Praxis der „moralischen Verantwortung“ eingeleitet, die heute von unserem repressiven Justizapparat reichlich ausgenutzt wird.

Noch am selben Abend gab es Unruhe vor dem Gericht. Die für den nächsten Morgen aufgerufene Schülerdemo verlief ohne Zwischenfälle. Doch am Nachmittag hatten sich viele Menschen an der Universität versammelt. Doch die Polizei verweigerte der Demonstration das Verlassen des Universitätsgeländes, weil sie verboten worden war. Während in der Universität noch diskutiert wurde, was zu tun sei, kam es im an die Universität angrenzenden Viertel San Lorenzo zu sehr gewalttätigen Auseinandersetzungen, die sich dann in Richtung Zentrum ausbreiteten. Diesmal wurden wiederholt Schusswaffen eingesetzt, Schüsse ertönten aus allen Richtungen – es handelte sich nicht mehr um einen isolierten Vorfall. Einige Polizeiautos wurden getroffen und ein Kleinwagen angezündet. Zwei Carabinieri erlitten Schusswunden. Im Zentrum Roms vom Largo Argentina bis ins Viertel Trastivere brach der Ärger aus. Praktisch überall fanden Angriffe statt – auf eine Bank, eine Polizeistation an der Piazza Farnese, das Justizministerium und in der Via Avenula. Zuletzt wurde ein Waffenladen angegriffen, derselbe, der eine Woche zuvor geplündert worden war. Die Barrikaden aus brennenden Autos waren nicht mehr zu zählen.

Am folgenden Tag ordnete der Rektor die Schließung der Universität an, die weiterhin von der Polizei bewacht wurde.

Es war der 7. März und in Florenz fand die nationale Konferenz der FLM (der Ingenieurgewerkschaft) statt, zu der die Bewegung eingeladen worden war. Aber während der zwei Tage der Konferenz verschärfte sich die Situation der Unkommunizierbarkeit zwischen der Bewegung und den Arbeitern. Sie erreichte den Punkt, an dem die Bewegung sogar die Idee einer Gewerkschaft in Frage stellte – nicht nur ihre Kontrollfunktion – eine Sache, die in der Tat für die Arbeiterdelegierten zentral war, die anschließend eine Versammlung im Lirico in Mailand abhielten, in der sie die offizielle Position, die von der dreiteiligen Gewerkschaftsversammlung erreicht wurde, ablehnten. Es handelte sich nicht um eine Frage der Schwäche oder Unfähigkeit, sondern entsprang der Tatsache, dass die von der Bewegung als unmittelbar realisierbar vorgetragenen Forderungen von der beschäftigten Arbeiterklasse als utopisch und unrealisierbar angesehen wurden. In die Praxis umgesetzt, wurde die Arbeitsverweigerung zur Arbeitslosigkeit, die das Überleben in der Folge unmöglich machte. In der unmittelbar am Produktionsprozess beteiligten Klasse gab es, kurz gesagt, nicht jenes apokalyptische Endzeitgefühl, das die Bewegung durchdrang und in den Tagen danach zum dominierenden Geist wurde.

Eine landesweite Demonstration wurde für den 12. März in Rom angesetzt.

Aber am 11. März brach in Bologna eine Revolte aus. Die bürgerlichen Zeitungen berichteten sofort, dass an dieser Revolte, die zwei Tage dauerte, Tausende und Abertausende von Genossen, Städtern und Proletariern beteiligt waren. Er war von etwa 50 Autonomen provoziert worden, die nicht richtig identifiziert worden waren, die sich aber weigerten, eine Versammlung der Comunione e Liberazione (einer christdemokratischen Jugendorganisation) in der Universität zuzulassen.

Es war jedoch nicht zu übersehen, dass das Bologneser Proletariat einen äußerst entschlossenen Kampf geführt hatte. Die von den Genossen in der Universität verschanzte Comunione e Liberazione bat den Rektor Rizzoli um Hilfe. Er war es, der die Polizei und die Carabinieri ins Spiel brachte. Die Bewegung organisierte sofort eine Protestdemonstration. Nach Angaben der Teilnehmer dieser kleinen Demo begann ein kleiner Trupp Carabinieri blindlings auf die Genossen zu schießen, die sofort flüchteten. Aber jemand unter ihnen tat es nicht. Es war Pier Francesco Lorusso, der durch einen Schuss in den Rücken getötet wurde. Lorenzo Tramontini war der verantwortliche Carabiniero.

Das war der Funke, der Bologna in Brand setzte. Radio Alice informierte die Genossen sofort über das, was geschehen war. Es wurde nicht einmal zu einer Demonstration aufgerufen. Die Wut des Bologneser Proletariats, obwohl schlecht unterstützt und eingekesselt, explodierte in wütender Revolte.

Das Universitätsviertel von Bologna, direkt im Herzen des historischen Zentrums, wurde für zwei Tage zu einer befreiten Zone, von der aus Angriffe auf alle Symbole der bürgerlichen Ruhe und der lokalen sozialdemokratischen Macht gestartet wurden – Geschäfte, Banken, Waffenläden, der Bahnhof – nichts war vom Zorn des Proletariats ausgenommen.

Es war eine echte, authentische Revolte, auch wenn sie nie im Entferntesten die Züge einer revolutionären Situation annahm, weil sie der Ausdruck einer Minderheit des Proletariats war, unabhängig von ihrer Zahl und Entschlossenheit. Auf jeden Fall erschütterte sie die Institutionen, insbesondere die PCI, denn Bologna war das Juwel in der Krone ihres sozialdemokratischen Projekts. So sehr, dass zu seiner Sicherung am Morgen des 13. März um 6 Uhr gepanzerte Fahrzeuge losgeschickt wurden, um die Barrikaden zu entfernen. Den ganzen Tag über kam es immer wieder zu Gefechten, um sich dann vor den Militärkommandos zu verausgaben, die bis zum Septemberkongress eine feste Größe in Bologna sein sollten. Radio Alice, das ständig versucht hatte, Gegeninformationen zu liefern und die Menschen zu sammeln, wurde durch eine Polizeirazzia geschlossen und die Redakteure verhaftet oder gezwungen, auf der Flucht zu sein, wie alle aktivsten Elemente der Bewegung in Bologna.

Am Morgen des 12. März waren viele Menschen – zu viele Menschen! – aus ganz Italien in Rom eingetroffen. Die für den 11. März angesetzte nationale Schülerdemonstration hatte sich in eine nationale Demonstration gegen staatliche Repression und Mord verwandelt – wie die von Lo Russo. Am frühen Nachmittag hatte sich eine riesige Menge von Genossen auf der Piazza Esedra versammelt.

Das vorherrschende Gefühl in den Herzen der dort versammelten 100.000 Menschen hatte einen apokalyptischen Touch – der ultimative Ausdruck von Wut und Zorn. Verstärkt wurde dies durch das belagerungsähnliche Erscheinungsbild der Stadt: Geschäfte waren geschlossen, keine Fußgänger unterwegs, nur Abordnungen von Polizei und Carabinieri in Einsatzkleidung.

Das klarste politische Urteil über diesen Tag fällten am selben Abend all jene Genossen, die in der Bewegung nicht nur ein spektakuläres Aufflackern suchten, sondern eine Aktion, die kontinuierlich auf die Schaffung einer wirklich revolutionären Situation ausgerichtet war, die sie bewusst als in weiter Ferne liegend empfanden.

Eine solch große Konzentration in Rom leerte alle anderen italienischen Städte von der Avantgarde des Kampfes (wo die Bedingungen existierten, die eine Rebellion schüren konnten) und schuf die Situation eines offenen Kampfes gegen die bewaffnete Kraft der Institutionen, die, obwohl sie nach einer Reise durch die Nacht müde war, gut ausgerüstet und ausgebildet war. Tatsächlich konzentrierte sich die gesamte Anstrengung auf Rom, das militärisch ungünstig lag, weil es besonders gut ausgebildet besetzt worden war. So wurde die Chance vertan, den Kampf auf die gesamte Halbinsel auszudehnen, wo stattdessen Demonstrationen in viel kleinerem Rahmen stattfanden.

Wenn man eine Machtdemonstration machen musste, war Rom wahrscheinlich der richtige Ort, um dies zu tun, insofern es das institutionelle Zentrum einer gut organisierten, mächtigen Bewegung ist. Es bleibt jedoch wahr, dass es eine zum Scheitern verurteilte Taktik war, die Institutionen durch eine totale Konfrontation auf militärischem Terrain anzugreifen. Es ging nicht darum, einen fortan entblößten Winterpalast zu stürmen, sondern eine Kapillaraktion zu organisieren, um alle Normalisierungsversuche zu umgehen. Und darüber hinaus all jene proletarischen Schichten in die Bewegung zu bringen, die noch Zweifel am sozialdemokratischen Programm hatten.

Den Montecitorio (Palazzo Montecitorio, Sitz der Abgeordnetenkammer, d. deutsche Ü.) oder den Palazzo Chiga (Amtssitz des MP, d.d.Ü.) zu stürmen, war eine verrückte Idee, nicht nur, weil sie vom militärischen Standpunkt aus unmöglich durchführbar war, sondern auch, weil wir, selbst wenn sie zustande käme, wieder am Anfang stehen würden. Es galt also, wirklich revolutionäre Ideen auszuarbeiten. Das Fehlen jeglicher Kommunikation mit der Arbeiterklasse war ein Problem, das von der Bewegung tief empfunden wurde und nach den Märztagen in einer noch akuteren Form.

„La Rivoluzione“ vom 19. März 1977 schrieb: „Die Bewegung und die Macht“

„Angesichts des Angriffs der Bosse auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen und auf die Organisation gibt es keinen anderen Weg.

Die bürgerliche Macht hat nur ein Ziel – die Arbeiter in die Knie zu zwingen, die Löhne zu kürzen, die Indexierung der Löhne einzustampfen und die Ausbeutung brutal zu erhöhen.

Wenn es ihr gelingt, die Studentenbewegung und die Arbeitslosenbewegung zu zerstören, wird es ihr gelingen, den Aufstand zu zerstören. Danach wird die Reihe an den Fabrikarbeitern sein. Deshalb ist es notwendig, sofort in den Kampf einzutreten und alle Informationen zusammenzutragen, die von den Barrikaden kommen, die Zehntausende von jungen Studenten und Arbeitslosen zusammen mit fortgeschrittenen Arbeitern in Bologna, Mailand und Rom errichtet haben.

Um zu verhindern, dass die Bewegung massakriert wird, gibt es keine andere Möglichkeit, als den Kampf in die proletarischen Viertel zu tragen.

Um den Weg von Cossigas Faschismus, der bewaffneten Gewalt der Sondereinheiten und des konterrevolutionären Terrors zu blockieren, gibt es keinen anderen Weg, als den Kampf in die proletarischen Viertel zu tragen.

Lasst uns ein Programm ausarbeiten, auf dem wir die Macht aufbauen können: Die Macht ist nicht dazu da, eine Erhöhung der Belegschaft durchzusetzen, Werk für Werk, Quartal für Quartal, die Macht ist dazu da, Überstunden und Erhöhungen der Arbeitsintensität abzubauen. Die Macht ist dazu da, um die Hunderte von Tausenden von leeren Häusern zu besetzen, während Hunderte von Tausenden von Proletariern keinen Platz zum Wohnen haben. Die Macht ist da. Genossinnen und Genossen Arbeiter, es gibt keinen anderen Weg. Genossinnen und Genossen Arbeiter, um Himmels willen, vereinigen wir uns im Kampf.”

Im Nachhinein können wir sagen, die Kraft wäre da gewesen, wenn die Genossen Arbeiter mitgekommen wären. Und am 12. März in Rom drückte die Bewegung statt Macht ihre Emotionen aus, indem sie spontan beschloss, offen zu konfrontieren. Es war also keine vorherbestimmte Entscheidung, aber sie warf ein schlechtes Licht auf die Fähigkeit von Gruppen von Genossen, die die Situation klarer analysiert hatten. In den vorangegangenen Tagen hatten sie ein breit gefächertes revolutionäres Bewusstsein geschaffen, das über einen Rebellismus der Straßenkonfrontation hinausging, der die Bewegung nur zu einem wahnsinnigen, zerstörerischen Militarismus führen würde, wie er schon bei der Nationalversammlung im Februar zu beobachten war.

So hatten sich 100.000 Menschen auf der Piazza Esedra in Rom versammelt. Zitternd vor Wut drängten sie sich an den Zäunen des U-Bahnhofs und standen der Polizei gegenüber, die mehrere Reihen tief in der Via Nazionale aufgestellt war. Rom, die schöne, war menschenleer, der Himmel war bedeckt, die Geschäfte geschlossen und in den Straßen war keine Menschenseele zu sehen. Es schien, als sei die Straße geräumt worden, damit der Kampf stattfinden konnte, ohne zu viel Schaden anzurichten.

Gegen 5 Uhr setzte sich die Demonstration in Bewegung. Selbst die Indianer mit ihren bemalten Gesichtern zeigten unter ihrer fröhlichen Schminke Anzeichen von Wut. Auch sie, wie über die Hälfte der anderen Demonstranten, trugen unter ihren Mänteln Molotows, Ziegelsteine, Steine und einige hatten Gewehre.

Die Demonstration bewegte sich langsam vorwärts, ohne Unterbrechung durch Slogans, die niemand in der Via Cavour hören würde. Es begann zu regnen. Die Ordner versuchten, die Aktion zu koordinieren, indem sie die Anweisung weitergaben, das historische Zentrum zu blockieren, um in größerem Maßstab zu wiederholen, was bereits in Bologna geschehen war (wo die Effektivität der Polizei stark reduziert war, weil sie aus Rom kam).

Die Front der Demonstration überquerte die Piazza Venezia und kam auf der Piazza Argentina an. Der Corso Vittoria war von einem Trupp sehr gut ausgerüsteter Carabinieri abgesperrt worden. In diesem Moment, während der vordere Teil der Demonstration versuchte, den hinteren Teil über die Absperrung zu informieren, brach der Angriff in einer vorhersehbaren, unzusammenhängenden Weise aus. Ein, vielleicht zwei Geschosse wurden auf die Polizei geworfen, die das Hauptquartier der Christdemokraten auf der Piazza del Gesu bewachte. In einem Sekundenbruchteil war die Hölle los. Die lange Prozession zersplitterte in mehrere Fragmente. Einige versuchten, Kameraden zu retten, die nicht für eine Straßenschlacht organisiert waren, und ließen sie den Fluss überqueren, um einen ruhigeren Ort zu erreichen .Gleichzeitig stellten sich andere dem bewaffneten Aufgebot von Polizei und Carabinieri entgegen und bildeten eine Art Brandmauer.

Die Beschreibung der Guerilla-Ereignisse an diesem Tag, den die Presse als „Schwarzen Samstag“ bezeichnete, mag überflüssig erscheinen. Aber es ist nützlich, um die Reichweite der Konfrontation zu messen, die trotz des Wahnsinns immer ein Moment bleiben wird, den man nicht so leicht vergisst.

Nach dem Anschlag auf der Piazza del Gesu warfen ein paar Dutzend Genossen Molotows auf das Justizministerium. Die Carabinieri, verbarrikadiert hinter den Toren, ließen eine mörderische Salve los. Um den Rückzug der Genossen zu decken, wurde ein Bus angezündet. Trotz allem wurden viele von den Carabinieri recht schwer verwundet. Diese und viele andere Verletzte des Tages wurden zu Hause versorgt, in ein Krankenhaus zu gehen, hätte bedeutet, verhaftet zu werden. Die offizielle Zahl zählte nur 4 oder 5 Kameraden unter den Verwundeten – während es unter den Polizisten ein Dutzend war. Aber die Realität war genau das Gegenteil.

Dem Angriff auf das Justizministerium folgte unmittelbar ein Angriff auf ein anderes Waffengeschäft in Ponte Sisto. Eine Gruppe von Kameraden riss das Metallgitter herunter und brach in den Laden ein. Aber die Verwirrung und die Wut gaben dieser Geste, die unter den gegebenen Umständen berechtigt war, keine organisatorische Stärke, die zu einer besser bewaffneten Verteidigung der zerstörerischen Handlungen der Bewegung hätte führen können. Die Gruppe, die den Angriff auf das Waffengeschäft führte, war nicht homogen, sie hatte sich zufällig vor dem Waffenladen zusammengefunden. Es war also eine völlig spontane Aktion. Die Waffen wurden wie Bonbons verteilt und tatsächlich wurden die meisten am Flussufer zurückgelassen, wo die Polizei sie am nächsten Tag abholte. Dasselbe geschah ein paar Stunden später, als das Waffengeschäft von Casciani auf der Piazza Cairoli angegriffen wurde.

Überall im Zentrum Roms kam es bis tief in die Nacht zu Angriffen – auf Geschäfte, Banken, Polizeistationen, Büros multinationaler Konzerne. Die proletarische Wut verschonte nichts, sie handelte in stürmischer, sehnsüchtiger Weise und hoffte auf einen unmöglichen und unvergesslichen revolutionären Tag.

Die Masse der Menschen, die so zerstreut und zersplittert war, dass es nicht einmal der am besten organisierten Gruppe gelang, sich neu zu formieren, stürzte sich in diffuse Guerilla-Aktionen und bildete spontan einen Kern, der dann ein Geschäft, eine Bank, eine Polizeistation usw. angriff und sich sofort wieder auflöste, sobald die Aktion vorbei war. Aber der Plan der Stadtguerilla wurde nicht verwirklicht. Die Bewegung hatte vor, diesen Plan in die Tat umzusetzen, wenn sie ein oder mehrere Viertel im historischen Kern besetzt hatte und diese als befreite Gebiete verwaltete. Von dieser Bastion aus sollten Angriffe auf die Standorte der Institutionen selbst gestartet werden.

Auch wenn dieses Projekt nicht reiner Wahnsinn war, wurde die Chance, es auf das ganze Land auszudehnen, vertan, weil es eine Demonstration der Schwäche und nicht der Stärke war, wie es vielleicht den Anschein hatte.

In CASK, der Zeitung der Großstadtindianer, stand Folgendes:

„Ich griff den Waffenladen an, auf den ich sorgfältig gezielt hatte, als wir angriffen. Weg mit dem Falschen, weg mit dem Neuen. Ein Blitz, Tränengas, ein Knall? Peng, sie schossen. Peng, peng, sie schossen, aber ich konnte sie nicht sehen hinter all den Gesichtern. Scheiße, aber es ist schwer, eine wirklich schwere Sache, wenn man weglaufen muss. Weg damit, Arschloch, weg damit. Weg mit dem Falschen, weg mit dem Neuen. Platsch – direkt in den Tiber. Lass es dort für eine andere Zeit, die nie kommen wird – dies war nicht der richtige Moment. Ich hatte Angst gehabt.”

Allerdings erlaubte es der institutionalisierten Repression mehr Spielraum, um die Genossen zu spalten und Kerne der Revolte zu isolieren und zu unterdrücken. Vor allem die so genannten proletarischen bzw. “arbeiteristischen” Parteien, die aus dieser Erfahrung eine avantgardistische, militaristische Schlussfolgerung zogen und damit das Terrain für das Spektakel des Terrors vorbereiteten, das sich schon bei der Demonstration in Mailand mit dem Angriff auf die Assolombarda abzeichnete.

Am 14. März fand die Beerdigung von Lorusso statt. Eingekesselt von gepanzerten Fahrzeugen, nahmen 5000 Genossen in Bologna daran teil.

Nach den Tagen der Revolte erlitt die Bewegung, die von Verhaftungen und einer beispiellosen Repression heimgesucht wurde, einen kurzen Rückschlag. Damit war das Terrain offen für kleine terroristische Aktionen gegen die Schattenwirtschaft, Sweatshops und ähnliches. Vor allem aber erlaubte es der Presse, sich über die Aktionen der großen terroristischen Organisation aufzuregen. Am 12. März wurde ein Polizeiinspektor, Ciotta, der mit Lotta Continua sympathisierte, in Turin getötet.

Am 6. März wurde die Universität Rom wiedereröffnet. In den Versammlungen, die abgehalten wurden, sollten die Gruppierungen noch einmal ihre institutionalisierte Fixierung zur Schau stellen. Dabei verstrickten sich viele Genossen in langweilige Diskussionen wie die über Prüfungsanforderungen. In der Versammlung vom 22. März zur Vorbereitung des für den nächsten Tag vereinbarten dreigliedrigen Generalstreiks (d.h. der 3 Gewerkschaftsbünde) brach ein Kampf aus zwischen denen, die sich die Farce des „Dialogs“ nicht mehr gefallen lassen wollten (sie waren in der Mehrheit) und denen, die stattdessen auf der gruppenkämpferischen Linie beharren wollten.

Am 23. März gelang es der Gegendemonstration der Bewegung, einen vielfältigen Querschnitt anzuziehen, aber es waren nicht so viele wie zuvor. Es gab viele Binsenweisheiten, aber wenig Überzeugung – es sah so aus, als ob die vorangegangenen 10 Tage der Konfrontation viele Leute ermüdet hatten.

Trotz der Tatsache, dass die Universität inzwischen von der Polizei besetzt war, kam es weiterhin zu Konfrontationen. Es waren die „Roten Barone“ selbst, die die Kosten zu tragen hatten – Lucio Coletti, Albertor, Asor Rosa und andere – wurden gnadenlos verspottet, aber nicht körperlich verletzt. Diese Vorfälle reichten dem Rektor jedoch aus, um die Schließung der Universität zum x-ten Mal zu rechtfertigen. Es war eine Präventivmaßnahme, um erneute Versammlungsversuche zu verhindern. Die Bewegung musste physisch getrennt bleiben. Es war im Grunde die gleiche Taktik, die die PCI gegenüber den Schülern angewandt hatte. Da sie weiterhin Schulen besetzten und weniger stark von der Repression betroffen waren, fanden sich die Schüler im Zentrum der Bewegung wieder. Der FCGI (Jungkommunisten) gelang es, falsche Versammlungen einzuberufen, die als zur Bewegung gehörig angekündigt wurden und von ihren Militanten kontrolliert wurden. Die Absicht war, geeignete Anträge und Resolutionen zu verabschieden, um die wirkliche Opposition zu spalten.

Am 1. April wurde die Universität wiedereröffnet. In den Versammlungen, die sofort in der geisteswissenschaftlichen Fakultät abgehalten wurden, wurde eine Plattform verabschiedet, die die folgenden Forderungen enthielt:

1) Die Polizei soll die Universität räumen.

2) Die Fakultäten sollen von 8 Uhr morgens bis 10 Uhr abends geöffnet bleiben, einschließlich der Wochenenden.

3) Kurse von 150 Stunden Dauer sollen offiziell anerkannt werden.

4) Die 27 soll garantiert werden.

5) Freie Wahl der Prüfungsfächer.

6) Abendliche Universitätskurse für Arbeiter.

7) Hochschullehrer sollen stempeln.

8) Verweigerung der Bindung von Lehrern an Fotokopien und Einrichtung eines Fonds für teure Bücher.

Aber im April sollten sich sensationelle Terrorakte häufen (die Entführung von Costa und De Martino, das Attentat auf den Faschisten Buback in Deutschland). Durch die Prominenz in den Medien sollten sie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken.

Gleichzeitig gingen die Repressionen weiter; am 15. April verabschiedete die Regierung die Malfatti-Reform, als ob nichts geschehen wäre. Am 16. April protestierten die Schüler, die einzigen, denen dies noch erlaubt war. Es waren mehr als 30.000, aber sie mussten mit den Erholungsversuchen des FGCI und der Groupuscules rechnen. Der Kampf wurde mit Parolen ausgefochten, und am Ende war es nur allzu offensichtlich, dass man sich über die Schülerbewegung eine Atempause verschaffen wollte, um den Protest in offizielle Bahnen zu lenken.

Es war jedoch die Bewegung, die im Gegenteil ihren Atem wiederfand. In Bologna wurden, nachdem die gepanzerten Fahrzeuge abgezogen worden waren, mehrere Fakultäten wieder besetzt. Aber ein schwieriger Moment kam am nächsten Tag in Rom, als die Konfrontation erneut ausbrach. Am Morgen des 21. April versammelten sich viele Genossen draußen im Minerva-Viereck der Universität, um die von der Bewegung am 1. April formulierten Forderungen einzubringen. An erster Stelle stand die Forderung, die Polizei aus der Universität abzuziehen. Die Teilnehmerzahl war leicht gesunken, obwohl die Entschlossenheit zum Kampf immer noch sehr lebendig war. Darüber hinaus war die Bewegung trotz der harten Kämpfe so gefestigt wie eh und je. Sie verkündete weiterhin, dass die Universität ein befreiter, freier Raum sei, den man sich aneignen müsse, um einen physischen Raum zu haben, in dem man Aktionen und Ideen organisieren könne – einen Raum, der es Individuen und Gruppen von Individuen erlaube, sich zu versammeln, um sich gegenseitig zu begegnen. Andernfalls würden sie in ihren eigenen privaten Sphären oder durch die sektiererische Logik des Gruppenkuscheln isoliert bleiben. Das war eine Forderung, der sich jeder bewusst war und die die Grundlage für die bis dahin stattgefundenen Massenkonfrontationen bildete.

Die Versammlung organisierte einen Marsch um den Universitätscampus. Sie lieferte dem Rektor Roberti einen neuen Vorwand, um die Polizei erneut zur Evakuierung der Universität zu veranlassen. Die Evakuierung verlief relativ ruhig. Die in der Universität anwesenden Genossen waren nicht im Geringsten organisiert, um eine Konfrontation zu führen. Sie zogen ab, ohne Widerstand zu leisten. Aber nach einer kurzen Zeit, gegen 3 Uhr nachmittags, hatten sich die Genossen wieder im angrenzenden Volksviertel San Lorenzo gruppiert, wo sich einige der besser organisierten autonomen Gruppen befanden. Sie griffen ihrerseits die Zitadelle der Universität an, oder vielmehr die Polizeikommandos, die sie hielten. Sofort bildete sich eine Front in den Zufahrtsstraßen, die von San Lorenzo zur Universität führten, die nicht mehr als einige 100 Meter entfernt war. Die Polizei reagierte, indem sie blindlings schoss und auf Körperhöhe zielte (an den Mauern der Via dei Sardi zeugen die hinterlassenen Löcher noch heute von diesem Tag). Die Genossen reagierten, indem sie von hinter den Barrikaden der Busse Molotows schleuderten und eine Feuerwand errichteten, um zu verhindern, dass ein wütender Polizeiangriff weitere Opfer forderte. Aber die bewaffneten Kräfte der Institutionen ließen nicht locker und schickten eine Truppe von Polizeikadetten, die nach Belieben in Richtung San Lorenzo schossen. Die vom Kugelhagel überwältigten Kameraden antworteten diesmal, indem sie die Polizei ins Visier nahmen. 3 Kadetten fielen zu Boden, einer von ihnen war tot, ein anderer schwer verwundet.

Bei dem Versuch, sich zu verteidigen, hatte die Bewegung einen Polizisten getötet. Er war ein Proletarier, genau wie die vom Staat getöteten proletarischen Kameraden. Auf Befehl zum Abschlachten unterwegs war er im Gegenteil selber abgeschlachtet worden. Die Bewegung hatte keine Opferlämmer, sie wurde nicht von Generälen geleitet, die in keimfreien Räumen weggesperrt waren. Die Bewegung drückte die Wünsche und die Wut eines jeden ihrer Teilnehmer aus, und jeder arbeitete und litt nur so lange, wie Proletarier wie Settimo Passamonti, ein Polizeikadett, ausgebeutet und manipuliert wurden, alles aufgrund ihres proletarischen Status.

Es scheint eine offensichtliche Überlegung zu sein, aber im April 1977 wurde sie nicht einmal im Entferntesten in Betracht gezogen und die Bewegung trug vieles in sich, was fragwürdig war. Die Logik der Spaltung war etabliert.

In der Versammlung, die unmittelbar nach der Konfrontation in der Architekturschule abgehalten wurde, gerieten die Fraktionstruppen und die Militanten aneinander und gaben sich einem parteipolitischen Spiel hin, dem die Mehrheit der Genossen völlig fremd war. Sie spielten schließlich ein Reaktionsspiel, das am folgenden Tag in all seinen Formen entfesselt wurde.

Es bleibt jedoch notwendig, dieser Episode, die bisher nur zu eigennützigen Zwecken beschrieben und analysiert wurde, eine gewisse Beachtung zu schenken. Entweder das, oder, in den meisten Fällen, vergessen.

Die Tötung des Polizeikadetten Passamonti war ein Akt der Verteidigung durch die Bewegung. Er war nicht Teil einer vorherbestimmten Strategie gewesen. Niemand in der Bewegung von ’77 glaubte, dass Lo Russo getötet worden war, um eine Revolte herbeizuführen (wir können diese Art von Spekulationen den Roten Brigaden überlassen). Genauso wollte niemand in der Bewegung einen Polizisten töten, um das Tempo der Kämpfe zu erhöhen (es war schon zu hoch für ihr eigenes Wohl). Tatsache ist, dass dieser letzte Vorfall den Beginn einer Aktion/Reaktion-Spirale signalisierte, die für die Bewegung völlig ungünstig war. Aber wie heute konnte man sich damals nicht die Frage stellen, ob derjenige, der Passamonti getötet hatte, klug oder unklug gehandelt hatte. Denn im Gegensatz zu der Kugel, die Lo Russo tötete und die vom Staat abgefeuert worden war, war die Schießerei in Rom nicht die Tat eines Haufens von Fanatikern, sondern einer ganzen Oppositionsbewegung gewesen. Jeder trug nun die Verantwortung;,es gab kein Abschieben der Verantwortung auf andere. Aber das war kaum das, was am nächsten Tag geschah.

Vielmehr wurde, gespeist von diesem Vorfall, eine konzertierte Reaktion ausgelöst, die nicht nachließ. In den etwa 20 besetzten Schulen in Rom entluden sich die FUGCI und andere Gruppen in einer Anti-Autonomie-Hysterie. Die zur Bewegung gehörenden Genossen konnten nicht die Kraft aufbringen, zu antworten. Der öffentlichen Meinung zum Trotz riskierten die wenigen, die die Bewegung verteidigten, gelyncht zu werden. Die Qualitätszeitungen wie „Il Messaggero“ druckten terroristische Leitartikel wie „es ist notwendig, sie zu isolieren“. Inmitten des allgemeinen Beifalls aller Institutionen und ihrer Informationskanäle erklärte Innenminister Cossiga, „der Staat wird mit Waffengewalt antworten“. In Rom verbot das Hauptquartier der Polizei alle Demonstrationen bis zum 31. Mai.

Aber in San Lorenzo, dem proletarischen Viertel, das am meisten an der Revolte beteiligt war, wurde der Konflikt mit der PCI sehr gewalttätig. Mehr als die Hälfte der Militanten und Kader der lokalen kommunistischen Partei verließen das Viertel, um sich den autonomen Kollektiven anzuschließen.

Am 25. April, dem Tag der Befreiung, bat die PCI darum, entgegen der Verbotsverfügung eine Demonstration durchführen zu dürfen. Die Genehmigung dazu kam zwei Tage später.

Am selben Tag hatte der Senat der Universität beschlossen, die Universität am 2. Mai wieder zu öffnen.

Unterdessen ging das Spektakel des Terrors weiter, dem die Zeitungen besondere Aufmerksamkeit schenkten. In Turin töteten die Roten Brigaden den Anwalt und Präsidenten der Anwaltskammer, Croce. In Rom wurde der Leiter der Staatsanwaltschaft, Rosario Nicolo, entführt und als Geisel für Lösegeldforderungen festgehalten.

In Bologna, wo am 29./30. April ein Treffen der Bewegung stattfinden sollte, wurde die Universität geschlossen und die Stadt mit einer Garnison versehen. Das implizite Ziel war es, sicherzustellen, dass das Treffen ein Misserfolg wurde. Viele GenossInnen aus Bologna waren im Gefängnis oder auf der Flucht. Es war ein schwieriger Moment, und im Verlauf des Treffens, das nur schwach besucht war, wurde die Schwäche der Bewegung offensichtlich. Die dort vorgetragenen Analysen, auch wenn sie nicht völlig falsch waren, basierten auf irrealen Voraussetzungen.

Selbst die Gruppe Zut/Atraverso, die „Rivoluzione“ herausgebracht hatte und die während der Tage der Revolte ein hohes Maß an Klarheit zum Ausdruck gebracht hatte, gab sich einer Überschätzung hin. Die Verwirrung und die Diskrepanz zwischen der Bewegung und der Realität nahmen zu.

In Zut/Atraverso: „Von der Lyrik zur Epik (unter Vermeidung des Tragischen)“ erschien Folgendes:

„Nach den Unruhen im März wurde den Revolutionären die italienische Situation in ihrer ganzen dramatischen Intensität offenbart. Diesmal gibt es keinen Zweifel daran, wir befinden uns in einer revolutionären Situation – das ist nicht nur eine Phrase. Was wollen Sie damit sagen? Wir befinden uns in einem Moment des historischen Bruchs, in dessen Verlauf die gesamte Existenzgrundlage der Massen, des Verhältnisses zwischen den Menschen und zwischen den Klassen, umgewandelt wird. Im undurchdringlichen Geflecht des Alltags, in der Spannung des Begehrens, in den materiellen Bedürfnissen, in der Lebensform, in den Produktions- und Reproduktionsbedingungen – das, was im Winter/Frühjahr 1976/’77 spezifiziert wird, ist ein außerordentlich großer Kristallisationskern. Niemand kann so tun, als ob er das nicht sähe, und auch nicht glauben, dass alles beim Alten bleibt.”

Dass eine Revolution durch die Handlungen einer marginalisierten Minderheit der Bevölkerung zustande kommen kann, wie kämpferisch auch immer, ist eine Illusion. Nicht, dass die französische Bourgeoisie oder die russische Arbeiterklasse, die die größten Revolutionen der Neuzeit durchführten, eine Mehrheit der Bevölkerung waren. Sie waren eine Minderheit, aber sie waren von zentraler Bedeutung für die Produktion, obwohl sie in der Minderheit waren. Die italienischen Marginalisierten, aus denen sich die 77er-Bewegung zusammensetzte, waren faktisch vom Produktionsprozess ausgeschlossen und daher infolgedessen ohne jeden Einfluss auf die kapitalistische Entwicklung. Das heißt nicht, dass sie nicht eine reale Situation des Kampfes und der Opposition zum Ausdruck brachten. Nur dass, so sehr sich die Bewegung auch für die Schaffung einer revolutionären Situation einsetzte, die Unterstützung der lebendigen Arbeit als revolutionäres Subjekt – wenn auch nicht als einziges – für die Bewegung notwendig wurde. Es war diese Prämisse, die die Bewegung radikal auf den Kopf gestellt hatte. Wie von der Bewegung der Marginalen postuliert, war das Ziel, die gesellschaftlich produktiven Strukturen einzukreisen und damit einen Bruch herbeizuführen. Die bestehenden historischen Verhältnisse waren jedoch weit davon entfernt, einen Bruch dieser Ordnung zu erzeugen.

In der Versammlung in Bologna wurde diese Distanz spürbar. Die lautesten Stimmen waren die der Militaristen und die von der bürgerlichen Presse als Solidarität mit dem Terrorismus hervorgehobene von einigen Sektoren der organisierten Autonomie aus Norditalien.

Am 1. Mai in Rom kam es während der offiziellen nationalen Demonstration zu Zusammenstößen zwischen der Bewegung und Gewerkschaftsvertretern. Man zählte auf die Unzufriedenheit der Lirico-Delegierten und der Arbeiter aus dem Süden, vor allem von Italsider in Bagnola, und versuchte, eine Spaltung in den Reihen zu schüren. Obwohl sie in der Minderheit waren, gerieten die Genossen aus den autonomen Kollektiven mit den Vertrauensleuten aneinander und wurden dann von der Polizei angegriffen. Gleichzeitig versuchten Arbeiter aus Bagnola, das Rednerpult zu stürmen. Das ging jedoch ohne ein Echo vorüber, und in wenigen Minuten war alles vorbei.

Es war der Beginn der Minderheitsphase der Bewegung, die nach den tragischen Maitagen nicht mehr die Kraft finden sollte, ein revolutionäres Projekt zu konstruieren.

Tatsächlich erreichte die gegen die Genossen gerichtete Repression im Laufe des Monats Mai südamerikanische Ausmaße, ohne dass es dafür einen Vorwand gab.

Zu Beginn des Monats startete die DC (Christdemokraten) eine Kampagne zur Wiedereinführung des Polizeigewahrsams für 48 Stunden, während auf juristischer und informeller Ebene die Idee eines Komplotts ausgebrütet wurde. Richter Catalonalti (PCI ) in Bologna erließ seine ersten Verhöranordnungen, in denen er bestimmten Genossen die März-Revolte unterstellte. Die Zeitungen wiederholten diese Behauptung und führten den Aufstand auf einen Plan zurück, der im Voraus von organisierten Autonomiegruppen ausgearbeitet worden war.

In diesem Klima der Hexenjagd wurde am 12. Mai in Rom der Versuch unternommen, eine friedliche Demonstration abzuhalten, um den Sieg des Referendums über die Scheidung 1974 zu feiern. Die Polizeiverordnung, die alle Demonstrationen in Rom seit dem 22. April verbot, war immer noch in Kraft. Die Demonstration am 12. Mai, die von der Radikalen Partei organisiert worden war, war als festlicher Anlass konzipiert worden. Auf der Piazza Navona war eine Tribüne errichtet worden, auf der Musikgruppen auftreten konnten. Es war ein Anlass, bei dem sich die Genossen angesichts des Polizeiterrors treffen konnten. Es gab auch die Möglichkeit, bei diesem neutralen Anlass einen mehrheitlichen Diskussionsdiskurs wieder aufzunehmen.

Aber an diesem Tag organisierte der Staat mit bewusster Vorbedacht einen Tag des Terrors. An diesem Tag wurde der von Cossiga einige Tage zuvor angekündigte offene Krieg gegen jede Form der Opposition in seiner ganzen Brutalität zum Ausdruck gebracht. Leider gab es dieses Mal keine bewaffneten Genossen, die bereit waren, den Hauptteil der Genossen zu verteidigen. An einem Punkt, an dem die Schwächen zweifach waren – auf der Ebene der Ideen und der Organisation – wurde die Bewegung frontal angegriffen. Der 12. Mai sollte eigentlich, in der Form, aber nicht im Inhalt, einer Demonstration in Chile im Jahr zuvor ähneln.

Kurz nach Mittag begann die Polizei damit, die radikalen Abgeordneten niederzuschlagen (Mino Puto, dessen Gesicht ganz aufgequollen war, erhob sich, um am selben Abend im Parlament zu sprechen). Dann begannen die Angriffe auf die Genossen, die sich, ohne zu wissen, was vor sich ging, der Piazza näherten. Sie waren alle völlig unbewaffnet. Die Genossen zogen sich zurück und konzentrierten sich in der Gegend zwischen dem Campo di Fiori und Trastevere. Kämpfe brachen aus.

Die Polizei brachte ihre Sonderkommandos. Mit der Absicht, Menschen zu töten, begannen Polizisten in Zivil wahllos zu schießen. Die Kameraden antworteten mit Steinwürfen. Das Hissen der Fahnen von den Bürgersteigen war die einzige Waffe, die zu Beginn der Kämpfe zur Verfügung stand.

Die institutionelle Repression nahm die Gestalt einer wahnsinnigen Hysterie an. In Trastevere feuerten sogar mit Gewehren bewaffnete Verkehrspolizisten ohne Vorwarnung auf einzelne Gruppen von Genossen. Erst später am Abend gelang es ein paar Molotows, der Bewegung ein Mindestmaß an Selbstverteidigung zurückzugeben. Aber spät am Abend gelang es der bewaffneten Hand der Institutionen zufällig, ihr erstes Opfer zu fordern. Giorgiana Masi wurde von der Polizei ermordet, mit einem Schuss in den Rücken, als sie versuchte zu fliehen. So endete ein Tag der Polizeigewalt. Ein Todesfall genügte, um ein Exempel zu statuieren.

Die Ereignisse des 12. Mai waren der maximale Ausdruck des Ausmaßes der Konfrontation, zu der eine für jede Opposition intolerante Macht entschlossen war. Es war ein greifbarer Ausdruck der Entschlossenheit des Staates, jeglichen Dissens in einem kritischen Moment bei der Umstrukturierung der Produktionsmodelle des Kapitalismus zu unterdrücken. Die Tatsache, dass sogar die Verkehrspolizei wie verrückt zu schießen begann, war ein Hinweis auf die Hysterie, die mit der Verfolgung eines solchen Ziels einhergeht.

Am folgenden Tag, nachdem sie beschlossen hatten, noch einmal in die Offensive zu gehen, gab es ein gewisses Wiederaufleben der Bewegung. Aber die Ermordung von Giorgiana löste nichts aus, was auch nur im Entferntesten mit den Tagen im März vergleichbar wäre, die die Ermordung von Lorusso ausgelöst hatte. Es war klar, dass die Bewegung ihren Massencharakter verloren hatte, reduziert auf den Ausdruck von oppositionellen Gruppenzusammenschlüssen. Die um jede Möglichkeit der Debatte und der aktiven Teilnahme beraubte Masse schwand immer mehr.

An diesem Punkt gewannen die kleinen Gruppen, die zur organisierten Autonomie gehörten, an Bedeutung. In Rom war ihr Verhalten tadellos gewesen, wenn es um alle unsere Genossen ging, aber anderswo hatten sie offen eine militaristische Ideologie favorisiert, die sich immer mehr dem Stalinismus der Roten Brigaden annäherte.

Was man also am 13. Mai in Rom vorfand, waren Gruppen und Kollektive der Arbeiterautonomie, die zu diesem Zeitpunkt Kontakt aufgenommen hatten, um eine Gegenoffensive zu starten. Diesmal wurde eine Reihe von kleinräumigen kämpferischen Nachbarschaftsdemos beschlossen. Bis zu einem gewissen Punkt hatte man die Lektion des 12. März gelernt, aber es war zu spät, denn man befand sich jetzt in einer Minderheitenphase. Schwere Kämpfe brachen aus und Schüsse fielen in vielen Stadtvierteln – Garbatello, Prati, Montesacro, Appio. Leider waren die Kämpfe nur von kurzer Dauer, sie dauerten nur ein paar Stunden. In Garbatello, einem beliebten Viertel, fand sich trotz einiger Unterstützung durch die Bevölkerung, die den Genossen Flaschen und Benzin reichte, eine Kraft, die die Konfrontation betonte, ohne Erfolg. Das Ausmaß der Repression erreichte schwindelerregende Höhen. Die Polizei setzte bei unzähligen Gelegenheiten Schusswaffen, darunter auch Maschinengewehre, gegen die Genossen ein, was schnell zum Standard wurde.

Die Genossen, die sich dieser Situation widersetzten, wurden zahlenmäßig immer weniger. Auch wenn das Kampfpotenzial unvermindert blieb, war die Angst groß. Viele waren entweder verwundet, verhaftet worden oder in den Untergrund gegangen.

Am 14. Mai griff die Polizei ein friedliches Sit-in von Feministinnen an der Stelle, an der Giorgiana getötet worden war, brutal an. Die Protagonisten waren bestimmte Sektoren der organisierten Autonomie. Die Opfer, außer Custra, einem grundlos getöteten Polizisten, waren einige junge Genossen, die sich, von der Begeisterung für den bewaffneten Kampf ergriffen, am Tatort fotografieren ließen, als ob es sich um einen Film handelte.

Zwischen der Ermordung von Passamonti in Rom und der von Custra in Mailand gab es sowohl formal als auch inhaltlich einen großen Unterschied. Der erste war als Akt der Verteidigung getötet worden, der zweite von einem Haufen Fanatiker, die der Massenbewegung hinterherliefen, die im Grunde die Gründung einer bewaffneten Avantgardeorganisation anstrebte.

Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass letzteres ein Ausdruck der Mailänder Situation war, in der der Terrorismus bereits seit einigen Jahren tätig war. Infolgedessen war jede Massenaktion, die ein Gegengewicht zur stalinistischen Schocktaktik der Splittergruppen darstellte, verpufft.

Noch andere Vorfälle sollten den Mai in Rom prägen. Zum einen brachen in den Außenbezirken, vor allem im Norden Roms, erneut Kämpfe mit Faschisten aus. Sie lenkten die Bewegung einmal mehr von ihren eigentlichen Zielen ab. Andererseits konnte aus den Versammlungen, die in der Universität abgehalten wurden, nur der Schluss gezogen werden, dass die Bewegung nun extrem schwach war. Infolgedessen beschloss die Bewegung, auf weitere Straßenkonfrontationen zu verzichten. Die Überbleibsel der Splittergruppen begannen, sich als schlecht verdeckte Gruppen innerhalb der Bewegung neu zu formieren.

Ende Mai wurde das Demonstrationsverbot in Rom aufgehoben und die Bewegung organisierte weitere Aktionen in der immerwährenden Hoffnung, neue Arenen zu entdecken.

Während des Sommers und besonders im September veränderte sich die Szene radikal. Aber es handelte sich um eine wesentlich andere Phase, die in einem anderen Text untersucht werden wird.

Hier beenden wir diese Beschreibung. Es folgt eine Chronologie, um das Lesen zu erleichtern.

Chronologische Zusammenfassung

Frühjahr 1975: Konfrontation in Mailand, Florenz und Rom. 4 Tote.

Juni 1975: Die Kommunistische Partei gewinnt die Regionalwahlen.

28. Sept. 1975: Enteignung von Geschäften in der Via del Corso. Die Repression wird von den etablierten linken Gruppen organisiert.

Okt. 1975: Nationale Versammlung der Arbeiterautonomie (Autonomia Operaia) in Rom.

Juni 1976: Die Kommunistische Partei legt bei den Wahlen weiter zu. Der dreiteilige Gewerkschaftsblock weiht auf dem EUR-Kongress den „Sozialvertrag“ ein.

Juli 1976: Parco Lambro.

Nov. 1976: “Auto Reduktionen” in Kinos in Mailand.

Dez. 1976: “Auto Reduktionen” in Kinos in Rom führen zu Konfrontationen.

19. Jan. 77: Besetzung der Fakultät für Geisteswissenschaften in Rom.

1. Jan. 1977: Faschistischer Angriff auf die geisteswissenschaftliche Fakultät in Rom.

2. Feb. 1977: Schusswechsel auf der Piazza Indipendenza.

5. Febr. 1977: Die Universität Rom wird vollständig besetzt.

17. Feb. 1977: Das Lama wird aus der Universität Rom verjagt. Die Universität wird geschlossen.

5. Februar. 1977: Nationale Versammlung der Bewegung in Rom.

5. März 1977: In Rom kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen aus Protest gegen das Urteil gegen Fabrizio Panzieri.

11. März. 1977: Bologna. Francesco Lorusso wird von der Polizei erschossen. Am selben Tag revoltieren die Genossen, eine unglaubliche Konfrontation, eine semiaufständische Situation.

12. März. 1977: 100.000 demonstrieren in Rom. Die Stadt wird mit Feuer und Schwert in Schutt und Asche gelegt.

12. April. 1977: In Rom wird Passamonti, ein Polizist, getötet.

12. Mai. 1977: Giorgiana Masi wird in Rom von der Polizei getötet.

13. Mai 1977: Weitere Auseinandersetzungen in Rom.

14. Mai 1977: Ein hochrangiger Polizeibeamter, Custra, wird in Mailand getötet.

Fußnoten der deutsche Übersetzung

  1. Einflussreiche Zeitung der außerparlamentarischen Linken in Italien
  2. Nuclei Armati Proletari/NAP (Bewaffnete Proletarische Zellen), siehe dazu auf deutsch: https://www.gefangenen.info/1698/knastkaempfe-im-italien-der-1970er-und-anfang-der-1980er-jahre-exkurs-nap-teil-4-letzter-teil/
  3. Siehe dazu die übersetzten Gespräche mit einem der Gründungsmitglieder von Radio Alice: https://radiorevolten.net/ueber-die-legende-unter-den-freien-radios-radio-alice/
  4. Zu Paul Mattick, Rätekommunist und Mitglied der IWW, siehe den wikipedia Eintrag: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Mattick