Eine Materialsammlung über eine der gelungensten Antifa Massenaktionen nach der Wiedervereinigung am 1. Mai 1998 in Leipzig, bei dem etliche Nazis ordentlich was abbekamen und 4000-5000 angereisten Faschisten am Ende, entgegen aller vollmundigen Ankündigungen, nur eine stationäre Kundgebung gelang. Neben etlichen kaputten Nazikarren litt auch die Moral der ‘kämpfenden Truppe’ und Worchs missglückte Versuche in den Folgejahren die “Schmach von Leipzig wiedergutzumachen”, waren auch nicht gerade von Erfolg gekennzeichnet. Möglich wurden die antifaschistischen Erfolge an diesem Tag vor allem durch ein massenhaftes dezentrales Vorgehen und eine gut vorbereitete Logistik, worauf auch der Auszug aus dem VS Bericht verweist. Aus der Geschichte lernen heißt…Sunzi Bingfa
Mythen aus dem Jungbrunnen (Conne Island Newsflyer #43)
Wer hätte das gedacht? Der 1. Mai 98 in Leipzig geht auf das Haben-Konto der Antifa. Doch trotz der Erkenntnis ‘was noch alles geht’, das DVU-Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt hat gezeigt, daß keine Zeit für linken Freudentaumel bleibt.
Das „Nationale Infotelefon Thüringen“ machte erst gar keine Anstalten, irgendetwas zu verhehlen. Der Opener der Ansageschleife ab dem 2. Mai hieß: „Das Debakel von Leipzig“. Und dann ningelte die gewohnte Stakkato-Stimme über beschädigte Reisebusse, lädierte Kameraden und den parteiischen Einsatz der „Systempolizei“. Es muß schon etwas besonderes passiert sein, wenn die Nazis gegen eine Hauptregel der Propaganda verstoßen, die besagt, daß auch noch die größte Schmach als Erfolgsmeldung verbreitet werden muß. Hatten die Nazis nicht Grund zur Freude?
Im Gegensatz zum letzten Jahr konnte ihre zentrale Kundgebung zum 1. Mai weder von den juristischen Bemühungen der Stadt Leipzig noch von den antifaschistischen Gegenaktionen gänzlich verhindert werden. Und kamen auch nicht die angestrebten 10.000-15.000, so lagen die Teilnehmerzahlen doch fast auf demselben Niveau wie bei den bisherigen Events in München und Passau. Aber die harten Fakten – etwa 4000 Nazis folgten dem Aufruf der NPD – müssen sich an dem Popanz messen, den der „Nationale Widerstand“ im Vorfeld des 1. Mai immer mehr aufgebauscht hatte. Leipzig sollte den endgültigen Aufbruch der „Nationalen Bewegung“ markieren. Als ein unübersehbares Fanal, daß das zweifelsohne vorhandene Potential der Nazis nicht nur bei Wahlen, sondern auch auf der Straße nicht mehr aufzuhalten sei. In diesem Sinne war die „Nationale Kundgebung zum Tag der Arbeit“, sowohl was ihre Außenwahrnehmung als auch ihre Wirkung auf die „Szene“ betrifft, nur ein blasser Schatten der hochgesteckten Erwartungen.
Was kann eigentlich im Unterbewußtsein des normalen Zeitungslesers hängengeblieben sein, außer „Ausschreitungen bei NPD-Kundgebung“ (SZ)? Das Medienecho war jedenfalls angenehm gleichlautend und läßt sich auf die Formel reduzieren, welche in Zukunft jede Verbotsverfügung vergleichbarer Aufmarschversuche untermauern muß: NPD = Randale.
Daß die Nazis auch noch das Ihrige dazu beitrugen, den Wahrheitsgehalt jener Aussage zu bestätigen, indem sie mit dem Aufmarschversuch in Richtung Innenstadt das bayerische USK zum öffentlichkeitswirksamen Einschreiten veranlaßten und damit die minimale Chance, die ihnen die
Autonomen ließen, als gesetzestreue Saubermänner zu erscheinen, in den Wind schossen … nun gut, soviel Dummheit muss einfach bestraft werden.
Für die innnere Verfaßtheit des reisewilligen NPD-Anhangs war der Tag gerade wegen der ausgebliebenen Marschroute durch die Stadt ein eher zermürbendes Erlebnis. Denn es blieb nicht viel mehr als eine 3-Stündige Aneinanderreihung von Redebeiträgen, umrahmt von einem Polizeikordon, der den „öffentlichen und volksnahen Charakter der Kundgebung einschränkte“, so die Organisationsleitung über den Ticker der Nazi-Internet-Zeitung „BBZ“. Die Stimmung bei den Nazis muß so schlecht gewesen sein, daß sich ein Sprecher des NPD-Bundesvorstandes dazu genötigt sah, sich für den „Ablauf der Veranstaltung zu entschuldigen“: „Wir hatten keinen Spielraum für ein größeres Rahmenprogramm… Eine ordentliche Feier mit Infoständen und Getränkeausschank wurde uns ebenso verboten wie ein Demonstrationszug durch die Innenstadt“ (BBZ).
Die tiefe Enttäuschung wird in solchen Aussagen evident. Gelangweilt von den lange schon verinnerlichten nationalsozialistischen Tiraden, welche vom Rednerpodest schallten, schwitzten die meist jungen Nazis in der Sonne. Kein Bier, kein Spaß, nur Rennicke mit seiner alten Leier. Dazu mußte der Nazi-Mob dann auch noch die Hiobsbotschaften, die vom Tohuwabohu im Umfeld des Kundgebungsplatzes zeugten, taten- und teilweise fassungslos verkraften.
Im Prinzip gab es nur eine einzige Straße, auf der es den Nazis möglich war zum Veranstaltungsort zu gelangen. Alle anderen wurden von Antifas blockiert. Wer hier als bekennender Nazi provozierte, büßte seine Selbstsicherheit nicht selten mit Blessuren. Für nicht wenige Versicherungspolicen dürften in Folge des 1. Mai die Beiträge steigen, aber gewichtiger als der materielle Schaden und die Spekulation darüber, welche Busunternehmen für die NPD nicht mehr auf Reise gehen werden, bleibt der symbolische Aspekt. Nur unter dem Schutz der Polizei konnten die Nazis ihre Kundgebung vollziehen, denn „Vermummte aus der linken Szene versuch(t)en, zum Völkerschlachtdenkmal durchzubrechen“ (LVZ).
Das in letzter Zeit den Nazis so geläufige „Antifa – ha, ha, ha.“ dürfte einigen in Zukunft in der Kehle stecken bleiben und so mancher wird überlegen, zu welchen Anlässen er als Musterarier durch die Gegend spaziert.
Schade nur, daß es nicht gelang, die Nazi-Kundgebung völlig zu verhindern. Dabei standen die Chancen gar nicht so schlecht. Immerhin 10.000 Menschen fanden sich am Vorabend des 1. Mai zum „Rock gegen Rechts“ am Platz vor dem Völkerschlachtdenkmal ein. Sie mögen in ihrer Mehrzahl nicht gerade blockadegeschulte außerparlamentarische Linke gewesen sein. Aber trotzdem, hätten die Bands ihre großen antifaschistischen Gesten nur ein bißchen ernst genommen und zu einer Blockade des Platzes aufgerufen, oder hätte der DGB sein Versprechen wahr gemacht, eben dieses Ansinnen zu unterstützen, dann wäre die Besetzung aussichtsreich gewesen. Aber wie zu erwarten war, hat der 1. Mai in Sachen antifaschistischer Bündnispolitik keine neuen Erkenntnisse gebracht. Die IG-Metall zog im vorauseilenden Gehorsam still und heimlich noch während des Konzertes ihre Anmeldung für eine Kundgebung am Völkerschlachtdenkmal zurück. Die rechtliche Grundlage für die Platzbesetzung fiel damit weg und die nichtsahnenden Antifas, die am frühen Morgen am Völkerschlachtdenkmal demonstrieren wollten, liefen der Polizei ins jetzt offene Messer.
Zur selben Zeit, als die Polizei mit Wasserwerfern und Knüppeleinsatz die Nazis vor den Antifas in Schutz nahm, zelebrierten die Gewerkschaften und ein Großteil der PDS-Anhänger business as usual in der Innenstadt. Wenigstens waren deren Veranstaltungen so peinlich schlecht besucht, daß man um sie nicht weiter Aufhebens machen muß. Zweitausend bei der Kundgebung auf dem Markt und die Tandem-Fahrt um den Ring mit Zonen-Täve interessierte nicht mal die LVZ so richtig. Fazit: Besagte Organisationen bekommen also trotz des „DVU-Schocks“ kaum mehr Anhänger auf die Straße. Ihr antifaschistischer Anspruch, der von ihnen immer wieder, wie auch diesmal, mit Füßen getreten wird, steht nur noch auf dem Papier und wird bestenfalls noch von einigen Einzelpersonen engagiert vertreten.
Die waren dann wahrscheinlich vor Ort, blockierten gemeinsam mit tausenden Autonomen, Migranten, Antifa-Kids und Punkern die Anfahrtswege der Nazis. Etwa 8.000 Antifas agierten so über den ganzen Tag und erst als sich ein riesiger Demozug auf der Prager Straße formierte, ließ sich absehen, wieviele dem Aufruf zur Verhinderung des Nazi-Aufmarsches gefolgt waren. Die Stimmung der Linken war weitaus besser als die der Nazis, hatte man diese doch, so gut es eben ging, behindert. Dazu das schöne Wetter und spannend war es auch…
„Linksradikale Randale“, sollte es später heißen und so mancher Antifa fühlte sich von solcherart Schlagzeilen falsch verstanden. Dabei haben die Autonomen lange nicht mehr so gute Presse bekommen und soviel Inhalte vermittelt, wie an diesem 1. Mai.
Natürlich geben die Vertreter der Stadt nicht zu, wie dankbar sie über die „Ausschreitungen“ sind, die ihnen die Möglichkeit eröffnen, die nächsten Verbotsverfügungen für die kommenden Nazi-Veranstaltungen weniger dilletantisch zu belegen. Und auch davon abgesehen, daß die Vehemenz der Proteste dafür sorgte, daß das „weltoffene“ Leipzig im Ausland auch nach dem 1. Mai den Anspruch behaupten darf, daß sich hier noch Protest gegen die besorgt beobachtete Rechtsentwicklung regt (The Guardian: „…young lefting radicals who tried to confront the skinheads…“), symbolisieren die brennenden Barrikaden, die übrigens in keinem realen Verhältnis zu dem stehen, was medial daraus gemacht wurde, ein gewichtiges Argument gegen die Nazis.
Am 1. Mai trafen nicht nur in Leipzig, sondern ebenso am Abend in Berlin zwei gegensätzliche Wertesysteme aufeinander. Auf der einen Seite, beim Aufmarsch der NPD, die radikalste Verkörperung der deutschen Sekundärtugenden „Ordnung, Disziplin, Sauberkeit“, welche in nur graduell entschärfterer Form durch das martialische Auftreten der Polizei in Berlin, durch die „Inneren Sicherheitskonzepte“ von CDU-SPD, durch das Kleinbürgertum der PDS etc. vertreten werden. Dem augenscheinlich entgegengesetzt war an diesem Tag das Prinzip „Chaos“, die antiautoritäre Unordnung.
In Leipzig scheiterte die Selbstdarstellung der Nazis komplett. Ihr Werbesignal ging in der Aura des Chaotentums, daß die Autonomen über sie stülpten, unter. Die Nacht in Berlin blamierte Innenminister Schönbohms „Zero Tolerance-Fanatismus“, mit dem der kleine Diktator aus Berlin den Nazis kaum hinterherhinkte.
Hätte es an diesem 1. Mai noch geklappt, den Arbeitsfetischismus von NPD bis DGB mit der Parole „Arbeit ist Scheiße“ zu konterkarieren, so wäre der politische Lackmustest, die Scheide zwischen rot und braun, fast vollständig symbolisiert gewesen. Aber auch so ging der PR-Effekt für die Autonomen in Ordnung. Daß sie ihre Attraktivität mit Aktionen aus der Mottenkiste bewiesen, mußte nach den letzten Events – den versuchten Demonstrationen in Saalfeld, zum Beispiel – überraschen. Jetzt, wo sich der gute alte Mythos „Riot“ mal wieder aufs neue als ganz praktisch erwiesen hat, dürfte den Autonomen nicht jede Perspektive im tiefschwarzen Licht erscheinen.
Natürlich muß man sich vor Überbewertungen vorsehen, aber falls es in diesem Land noch junge Leute gibt, die nicht wissen, wohin mit ihrer wirklichen Antihaltung, und das meint gerade nicht den vermeintlichen Protest der Nazis, die nur die Stammtischparolen der Elterngeneration radikalisieren, dann haben sie am 1. Mai ihren politischen Ansprechpartner dargestellt bekommen.
Der Offensive der Nazis und der Rechten ist trotz dieser recht erfreulichen Bilanz natürlich noch lange keine Grenze gesetzt. Es bleibt Spekulation wieviel solche Debakel sich die NPD noch leisten kann. Mittlerweile häufen sich die Stimmen, die wie Werner Schulz, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, ein Verbot der NPD fordern. Auch das wird die Klientel der Partei verunsichern. Man muß kein Hellseher sein, um zu vermuten, daß der nächste zentrale Aufmarschversuch viel über das außerparlamentarische Konzept und generell die Akzeptanz der NPD als Organisation mit Führungsanspruch entscheidet. Bis jetzt sind die Ausmaße der Spaltungstendenzen im Lager des „Nationalen Widerstandes“ noch nicht abzusehen. Es scheint jedoch so, als wären die norddeutschen Truppenteile, die auch am 1. Mai den vergeblichen Demo-Versuch starteten, besonders sauer.
Wenn zwei sich streiten freut sich der Dritte. Dies muß nicht die Antifa, sondern könnte zum Beispiel die DVU sein. Seit ihrem Wahlerfolg in Sachsen-Anhalt in aller Munde, hat sie nicht nur bewiesen wie man völkischen Trotteln das beachtliche Salär eines Landtagsabgeordneten verschafft, sondern vor allem, wie offen sich Teile der Bevölkerung mittlerweile zu den Nazi-Parteien bekennen. Zwar war die Entrüstung angesichts des Wahlergebnisses groß, nicht zuletzt deshalb, weil man wie die großen Handels- und Wirtschaftsverbände in der Sachsen-Anhalt-Wahl eine „schwere Hypothek für den Standort Deutschland“ (FAZ) sieht. Doch wer genauer hinschaute, bemerkte schnell, dass auch in Zukunft kein antifaschistischer Ruck die Gesellschaft erschüttern wird. Ganz im Gegenteil. Schon jetzt steht fest, welche Perspektive der Rechtsentwicklung, unabhängig von eventuellen Allianzen, gemeinsamen oder getrennten Machtambitionen der Nazi-Parteien, auf jeden Fall verwirklicht werden wird. Mit der Übernahme der Nazi-Ideologeme in die Programmatik der großen Parteien wird dem Volke nach dem Mund geredet, der nationalistische und rassistische Diskurs aufs neue verschärft.
In der LVZ bemängelt der sächsische CDU-Vorsitzende, Fritz Hähle, daß sich die Partei in letzter Zeit mit ihrem Bekenntnis zum Deutschtum zu sehr zurückgehalten hätte: „…Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. Das muß man öffentlich sagen dürfen, ohne sofort gebrandmarkt zu werden.“
Am offensichtlichsten wird der parteipolitische Rechtsruck bei der CSU. Sie will es nicht länger den noch rechteren Parteien überlassen, über den „Mißbrauch des Asylrechts, die Ausländerkriminalität und die innere Sicherheit zu sprechen“, so der Landesgruppenvorsitzende Glos in der FAZ. Und weiter: „Eine echte Volkspartei muss sich mit den Themen befassen, die das Volk tatsächlich interessieren.“ Dabei werde die CSU auch „ganz bewußt die Gebote der ‘political correctness’“ ignorieren.
Neben der NPD, der DVU, den Reps ist mit der CSU also bald die vierte Nazi-Partei im Rennen. Wer soll die aufhalten?
Die CDU mit „keine Wählerschelte-Kohl“ wirft nach dem anhaltinischen Wahlergebnis ebenfalls alle Regeln des demokratischen Geschmacks über Bord. Der Bundeskanzler „warnt vor Ausgrenzung und Diffamierung der DVU-Wähler“ (FAZ), hieß es allerorten.
Auf „Ich bin bereit-Schröder“ kann sich die Linke auch nicht verlassen, denn der steht bekanntlich rechts vom Kanzler.
Der DVU-Vorsitzende Frey findet beide Politiker ganz passabel. Vor der Niedersachsenwahl hatte er zum Votum für Gerhard Schröder aufgerufen, „weil dieser sich wenigstens in Ansätzen vaterländisch äußere“ (FAZ). Und an Kohl sei begrüßenswert, daß dieser begriffen habe, „wie nötig deutsche Politik für deutsche Wähler sei“ (FAZ).
Bleiben die Grünen und die PDS. Erstere werden sich wahrscheinlich noch an Schienenstränge ketten und um Benzinpreise fetzen, wenn über dem Reichstag in Berlin schon wieder die Hakenkreuzfahne weht. Hingegen sollte sich die PDS schon bald auf die erste Antifa-Demo vor der sächsischen Landeszentrale gefaßt machen. Die jüngsten Äußerungen der sächsischen Spitzenkandidatin der PDS für den Bundestag, Christine Ostrowski, haben aufs Neue die nationalsozialistische Option der SED-Nachfolgepartei ins Spiel gebracht: „Warum gelang es der PDS nicht, viele von denen, die jetzt DVU gewählt haben… für sich zu gewinnen?“, fragt die, für ihre Kontakte zu Nazi-Organisationen bekannte Kommunalpolitikerin aus Dresden, in einem Leitartikel des PDS-nahen ND rhetorisch. Und ihre Antwort lautet: „Jeder dritte Bauarbeiter im Osten ist arbeitslos. Gleichzeitig arbeiten nicht wenige ausländische Beschäftigte auf dem Bau. Kann man es einem hiesigen Bauarbeiter verdenken, daß er die Wut kriegt, wenn er nicht zuletzt deswegen seine Arbeit verliert?… Also seien wir die Stimme seines Protestes und denken wir darüber nach, warum wir es nicht sind, jedenfalls nicht genug.“
Summa Summarum, „der Trend läuft auf unsere Forderungen hinaus“, konstatierte der DVU-Chef auf einer Pressekonferenz in München. Angesichts dieser Parteienvielfalt im rechten Spektrum können einem die Deutschen vor der Bundestagswahl ja schon richtig leid tun – frey nach dem Motto: Wer die Wahl hat, hat die Qual. Die autonome Antifa allerdings auch.
Frank
Das „dezentrale Konzept “ (aus dem VS Bericht Sachsen von 1998)
Eines der wichtigsten Aktionsfelder der Autonomen ist der „Antifaschismus“. Sie sehen im „antifaschistischen Kampf“ ein Mittel der Politisierung und Förderung der Militanzbereitschaft in ihrem Umfeld. Dabei richtet sich ihr Kampf nur vordergründig gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, im Kern kämpfen sie gegen den Staat, der ihrem Selbstverständnis nach die materielle Basis und sozialökonomische Wurzel des Faschismus bildet. Auch 1998 räumten sächsische linksextremistische Autonome dem „Antifaschismuskampf“ wiederum einen hohen Stellenwert ein. Allerdings änderte sich ihr Protestverhalten. Sie entwickelten eine neue Strategie, um wirkungsvoller gegen Demonstrationen vorgehen zu können: das sogenannte „dezentrale Konzept“. Mit der Anwendung des „dezentralen Konzeptes“ ist bei entsprechender Ausgangslage auch in Zukunft zu rechnen.
Am Beispiel der „antifaschistischen“ Aktivitäten zum 1. Mai in Leipzig und am 11. Juli in Chemnitz wird im Folgenden dieses Konzept dargestellt sowie seine praktische Umsetzung und die damit verbundenen Gefahren beschrieben.
Entwicklung
Über Jahre hinweg bildete die geschlossene Demonstration mit das wichtigste strategische und taktische Mittel von Autonomen zum öffentlichen Protest gegen Rechtsextremismus. Die Großdemonstration bot Anonymität und Schutz. Innerhalb des Demonstrationszuges bildeten linksextremistische Autonome in der Regel einen sogenannten „Schwarzen Block“, aus dem heraus insbesondere Straftaten begangen wurden.
In jüngerer Zeit traten rechtsextremistische Organisationen verstärkt mit eigenen Aktionen in Form von Kundgebungen und Demonstrationen an die Öffentlichkeit. Daraufhin bemühten sich auch in Sachsen linksextremistische Autonome im Rahmen des „antifaschistischen Kampfes“, zunächst ein sogenanntes Bündniskonzept zu verwirklichen. Mit ihm sollten linksextremistische wie nichtextremistische Organisationen zu gemeinsamen Demonstrationen gegen den Rechtsextremismus mobilisiert werden.
Bereits im Frühjahr 1998 deutete sich unter sächsischen linksextremistischen Autonomen jedoch aus folgenden Gründen eine Abkehr von dieser Protestvariante an:
In vielen Fällen gelang es den Autonomen nicht, sich in nennenswertem Umfang Unterstützung außerhalb der extremistischen Gruppierungen zu sichern. In der Konsequenz waren die gewaltbereiten Linksextremisten weitgehend auf sich selbst gestellt und ihre Demonstrationen schon von vornherein ganz verboten oder mit einschränkenden Auflagen versehen worden. Darüber hinaus waren sich die Autonomen bewusst, dass sie in dieser Situation den Verbotsbehörden durch die Anmeldung einer eigenen Demonstration eine Argumentationsgrundlage lieferten, um mit Verweis auf die zu erwartenden gewalttätigen Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner auch dessen Veranstaltung zu verbieten.
Dies lag jedoch gerade nicht im Interesse der Autonomen: Die Verbotsbehörde, das heißt der Staat, sollte zu einer inhaltlichen Bewertung der rechtsextremistischen Veranstaltungen gezwungen werden und sich nicht auf drohende linksextremistische Gewalt zurückziehen können.
In anderen Fällen des Bündniskonzeptes duldeten die nichtextremistischen Gruppierungen eine Federführung durch autonome Zusammenhänge nicht und drängten sie konzeptionell an den Rand. Ein direktes Vorgehen gegen die politischen Gegner war dann kaum möglich, da es vom Konsens mit den Bündnispartnern nicht getragen wurde. Das Ergebnis bestand nach Auffassung der linksextremistischen Autonomem in sogenannten „Latschdemos“, die diesen nicht genügten. Der Szene reichte es nicht mehr aus, nur ihren politischen Willen öffentlich zu machen, zumal sie feststellen musste, dass dies in der Bevölkerung nicht auf die erhoffte Resonanz stieß. Die Bevölkerung zeigte sich – so schien es den Autonomen – relativ teilnahmslos und unbeeindruckt.
Letzter Auslöser dafür, dass die Autonomen das Bündniskonzept weitgehend als gescheitert ansahen, war die „Antifa-Demonstration“ am 14. März 1998 in Saalfeld (Thüringen). Hierzu stellte das an der Organisation beteiligte Leipziger BÜNDNIS GEGEN RECHTS (BGR) in einem Nachbereitungspapier fest, dass diese Demonstration nur unter restriktiven Auflagen habe stattfinden können und eine repressive Politik nur ein Ziel gehabt hätte, nämlich die Demo de facto unmöglich zu machen. Deshalb müßten künftig Aktionsformen gefunden werden, um effektiv auf „staatliche“ und „faschistische“ Gewalt zu reagieren. Die bis dahin gebräuchlichen Konzepte seien an eine Grenze gestoßen. Es gehe darum, auch auf unvorhergesehene Situationen selbstbestimmt reagieren zu können. Hierfür seien angemeldete Demonstrationen selten das richtige Mittel.
Daher sahen sich insbesondere die Leipziger Autonomen veranlaßt, im Vorfeld des 1. Mai 1998 ein neues Konzept zu entwickeln, mit dem es gelingen sollte, den politischen Gegner erfolgreich zu bekämpfen und in seinen Aktionen erheblich zu stören.
Erste Anstöße, in welche Richtung das Konzept gehen könnte, lieferte ein Ereignis, das sich den Leipziger Autonomen als gelungene Behinderungsaktion darstellte: Die Aktionen am 1.März 1997 in München gegen eine Demonstration der NPD, die sich ihrerseits gegen die Wanderausstellung „Vernichtungskrieg, Verbrechen der Wehrmacht von 1941 bis 1944“ richtete. Dort war es gelungen, den Rechtsextremisten den Zugang zu dem ursprünglich vorgesehenen Kundgebungsplatz zu versperren, so dass die Abschlußkundgebung der NPD zeitlich verkürzt und an einem anderen Ort durchgeführt werden mußte.
Das „dezentrale Konzept“
Aufbauend auf diesen Erfahrungen entstand das „dezentrale Konzept“, wie es zunächst am 1.Mai 1999 in Leipzig und dann – leicht modifiziert – am 11. Juli in Chemnitz umgesetzt wurde:
Eine Vorbereitungsgruppe richtet eine „Infozentrale“ vor Ort ein. Von verschiedenen, vorher festgelegten Sammelstellen im jeweiligen Stadtgebiet aus agieren die einzelnen, unterschiedlich großen Gruppen Autonomer unabhängig voneinander. Das Ziel besteht darin, zum Veranstaltungsort des politischen Gegners vorzudringen und dort dessen Aufmarsch zu verhindern oder zumindest erheblich zu behindern. Die einzelnen Gruppen stehen mit der „Infozentrale“ in Verbindung, die beim Vorgehen als Einsatzleitstelle fungiert.
Dabei obliegt die Entscheidung über die Intensität der anzuwendenden Mittel und die Auswahl des konkreten Angriffszieles jeder Gruppe selbst. Die Maßnahmen können von der passiven Blockade bis hin zu gewalttätigen Angriffen auf gegnerische Demonstranten und/oder Polizei reichen. In einem „Diskussionspapier“ beschreibt die „ANTIFA CHEMNITZ“ das so: „Dies kann so erfolgen, daß die Fascho Demo gestört wird, daß einzelne Faschogruppen am Besuch ihrer Kundgebung gehindert werden oder daß sich um die Fahrzeuge der Faschos gekümmert wird.“
Ausgangspunkt der Aktionen ist also nicht ein gemeinsamer Sammelpunkt, sondern verschiedene Anlauforte. Hierfür bieten sich insbesondere auch angemeldete Kundgebungen anderer Organisationen an, die einen engen zeitlichen und räumlichen Bezug zur gegnerischen Veranstaltung besitzen.
Zum 1. Mai 1998 in Leipzig erklärten die Organisatoren vom BGR hierzu in einem Infobrief: Eine zentrale antifaschistische Gegendemonstration solle nicht durchgeführt werden, da diese nur im Polizeikordon enden würde; mit einer solchen Demonstration sei „eine antifaschistische Präsenz, dort wo Nazis ihre Parolen skandieren nicht möglich“. Deshalb müßten mehrere Kundgebungen in Nähe oder auf „Fascho Route“ am 1. Mai als Anlaufpunkte genutzt werden. Zu diesen solle mobilisiert werden, um von dort zu den Nazis zu gelangen.
So gaben die Organisatoren des dezentralen Konzeptes für den 1. Mai neben weiteren Treffpunkten auch solche Orte als Sammlungspunkte der Autonomen an, an denen angemeldete Veranstaltungen (insbesondere nichtextremistischer Organisationen) angesiedelt waren. Hier wurde die Tageszeitung „Junge Welt“ als entsprechendes Medium für die Verbreitung der letzten Hinweise genutzt.
Ähnlich erfolgte am 11. Juli 1998 in Chemnitz die Vorbereitung: In autonomen Szenezeitschriften wurde landes- und bundesweit aufgerufen, eine NPD-Wahlveranstaltung zu verhindern. Mehrere Treffpunkte in Chemnitz waren angegeben, von denen aus die Autonomen zum Kundgebungsort des politischen Gegners ziehen sollten.
Flankierend zum „dezentralen Konzept“ wurden Maßnahmen getroffen, um die anreisenden Autonomen polizeilichen Kontrollen zu entziehen.
Entscheidend war jedoch die Informationsgewinnung und -umsetzung über den politischen Gegner und die polizeilichen Maßnahmen am Veranstaltungstag. Zu diesem Zwecke wurden Kontroll- und Streifenfahrten von Pkw- und Motorradaufklärern wie auch Fahrradkurieren im gesamten Stadtgebiet organisiert, die per Handy die „Infozentrale“ laufend über die aktuelle Entwicklung unterrichteten.
So bemühte man sich darum, potentielle Teilnehmer bereits vor dem Ereignistag anreisen zu lassen. Zu diesem Zwecke wurde in Chemnitz am Vortag ein Konzert veranstaltet, um die Interessenten zur frühen Anreise zu bewegen. Im Fall Leipzig blieben Teilnehmer der von Autonomen am 24. und 25. April inszenierten „Weltfestspiele der HausbesetzerInnen“ bis zum 1. Mai in der Stadt. Die Leipziger Szenenzeitschrift „Klarofix“ sprach davon, dass sich etwa ein Drittel der Teilnehmer bereits vor dem 1. Mai in Leipzig aufhielt.
Eine sogenannte Pennplatzbörse war von den Organisatoren in Leipzig und Chemnitz eingerichtet worden, so dass für Übernachtungsmöglichkeiten gesorgt werden konnte.
Für den Demonstrationstag selbst waren sich die Organisatoren jedoch darüber im Klaren, dass die Umsetzung des „dezentralen Konzeptes“ vor allem von der Qualität des Informationsflusses an die selbständig agierenden Gruppen vor Ort abhängt.
Aus diesem Grunde bereitete man sowohl die Informationserhebung als auch deren Weitergabe planmäßig vor.
Organisiert wurde insbesondere die Informationssammlung. Bereits im Vorfeld wurden Informationen über die Veranstaltungen des Gegners aus dem Internet und von den Infotelefonen abgerufen.
Entscheidend war jedoch die Informationsgewinnung und -umsetzung über den politischen Gegner und die polizeilichen Maßnahmen am Veranstaltungstag.
Zu diesem Zwecke wurden Kontroll- und Streifenfahrten von Pkw- und Motorradaufklärern wie auch Fahrradkurieren im gesamten Stadtgebiet organisiert, die per Handy die „Infozentrale“ laufend über die aktuelle Entwicklung unterrichteten.
Eine solche „Zentrale“ konnte während des 1. Mai in Leipzig festgestellt werden. Als Sammel- und Steuerungsstelle hatte sie die wichtigste Funktion innerhalb des „dezentralen Konzepts“ inne. Von der „Infozentrale“ aus erfolgte nicht nur die „Einweisung“ der anreisenden Autonomen; es liefen bei ihr auch alle Informationen über Polizeieinsatz und -taktik sowie über den Stand der „rechten“ und „linken“ Aktivitäten zusammen.
Die logistische Ausstattung der Autonomen ermöglichte eine reibungslose Informationsweitergabe. So konnten Multiplikatoren vor Ort per Handy Informationen aus der „Zentrale“ abfragen und entsprechend die agierenden Gruppen über Lautsprecherwagen, Megaphone oder direkt per Handy dirigieren. Ein zusätzliches Element in der Infokette soll ein angeblich am 1. Mai betriebener „Piratensender“ gewesen sein, über den ebenfalls aktuell Informationen weitergegeben worden sein sollen. Ein Austausch von Informationen erfolgte auch wechselseitig zwischen den einzelnen Gruppen. Über eine Leipziger Telefonnummer, die bereits weit im Vorfeld als „Antifaschistisches Infotelefon“ Leipzig bekannt gemacht worden war, konnten ebenfalls Informationen abgerufen, aber auch mitgeteilt werden.
Auch in Chemnitz wurde am 11. Juli eine „Infozentrale“ eingerichtet. Durch polizeiliche Ingewahrsamnahmen von „Aufklärern“ aus der autonomen Szene wurde der Informationsfluss jedoch erheblich gestört.
Neben diesem „zentralen Angebot“ der Informationsgewinnung versorgten sich einzelne Gruppen auch selbst mit Informationen. So gehörten beispielsweise zu manchem Konvoi auswärtiger Autonomer vorausfahrende Spähfahrzeuge, wodurch Vorkontrollen der Polizei umgangen werden sollten.
In Leipzig und Chemnitz selbst blieben die auswärtigen Teilnehmer zumeist in kleineren Gruppen zusammen, die sich untereinander abstimmten. Unter ihnen befanden sich auch Aufklärungskräfte, die sich bewußt unauffällig gekleidet hatten, um nicht als Szene-Angehörige erkannt zu werden.
Resultat
Aufgrund der Kleingruppentaktik und wellenartiger Angriffe auf die Polizeikräfte war es am 1. Mai 1998 Autonomen vereinzelt gelungen, bis zum Völkerschlachtdenkmal – dem Veranstaltungsort der NPD – vorzudringen.
Die Autonomen sahen es als besonderen Erfolg ihrer Aktionen an, dass sie außerhalb des eigentlichen NPD-Veranstaltungsortes weitgehend handlungsfähig blieben. Das ermöglichte es ihnen, NPD-Teilnehmer bei der Anfahrt und insbesondere bei der Abreise massiv anzugreifen.
Da die NPD-Veranstaltung in Leipzig durch sehr hohe Polizeipräsenz konsequent abgeschirmt wurde und die Autonomen dadurch die Veranstaltung selbst nicht wesentlich stören oder gar verhindern konnten, richteten sie ihre Gewalt schließlich gegen Fahrzeuge mit tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten sowie gegen die Polizeieinsatzkräfte.
Die Autonomen sahen es als besonderen Erfolg ihrer Aktionen an, dass sie außerhalb des eigentlichen NPD-Veranstaltungsortes weitgehend handlungsfähig blieben. Das ermöglichte es ihnen, NPD-Teilnehmer bei der Anfahrt und insbesondere bei der Abreise massiv anzugreifen.
Eine veränderte Polizeitaktik erschwerte am 11. Juli in Chemnitz den Autonomen eine ähnlich gewalttätige Umsetzung dezentraler Aktionen wie am 1. Mai in Leipzig. Ein großer Teil Autonomer wurde bereits vor Beginn der NPD-Veranstaltung in Gewahrsam bzw. vorläufig festgenommen. So kam es nur zu vereinzelten Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und Rechtsextremisten.
Resonanz
Während der Vorbereitungsphase zu den Aktionen in Leipzig hatten sich traditionelle autonome Zusammenhänge – vor allem aus den alten Bundesländern – eher skeptisch zu dem „dezentralen Konzept“ geäußert und erklärt, es zeige zu wenig strategische und taktische Planung. An der Umsetzung des Konzepts sowohl in Leipzig als auch in Chemnitz beteiligten sich dann aber trotzdem Autonome aus weiten Teilen des Bundesgebietes. (z. B. aus Berlin, Hamburg, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen). Schon nach dem 1. Mai sprach sich ein Großteil der beteiligten Autonomen für das neue Konzept aus und wertete es als brauchbar und ausbaufähig. Die Wirksamkeit sei größer als bei einer für die Polizei berechenbaren „revolutionären“ Demonstration. Insbesondere die Organisatoren des „dezentralen Konzeptes“ sprachen sich für die Wiederholung solcher dezentraler Protestaktionen gegen rechtsextremistische Veranstaltungen aus.
Einige Monate später wies das Leipziger BGR in einem Aufruf zu Protestaktionen gegen die für den 19. September in Rostock (Mecklenburg- Vorpommern) geplante Wahlkampf-Abschlussveranstaltung der NPD auf Folgendes hin: „Uns sollte es an diesem Tag (…) weniger um den guten Ruf Rostocks gehen, sondern nur um die Verhinderung des Naziaufmarsches. Und dies geht bekanntlich nur dort, wo die Nazis sind. Da wir weder mit einem Verbot der Nazidemo, noch mit einer Antifademo im selben Ortsteil rechnen, sollten wir die angemeldeten Kundgebungsplätze nutzen, um den Naziaufmarsch zu verhindern.“
Die Absicht des Leipziger BGR bestand somit offensichtlich in der direkten Konfrontation mit den Rechtsextremisten nach dem Vorbild des 1. Mai in Leipzig. Die Organisatoren vor Ort teilten diese Auffassung des Leipziger BgR jedoch nicht. Deshalb formierte sich schließlich in Rostock nur ein „spontaner“ Demonstrationszug. An diesem beteiligten sich zwar mehr als 2.000 Personen, darunter ein Block mit etwa 500 vermummten – z. T. mit Pflastersteinen und anderen Wurfgeschossen bewaffneten – Autonomen. Da jedoch Polizeikräfte den Aufzug unter Kontrolle hatten, blieben Versuche, zum Veranstaltungsort der NPD vorzudringen, erfolglos.
Die Enttäuschung der Leipziger Autonomen über den „unfruchtbaren“ Ablauf der Protestaktionen in Rostock drückte sich in mehreren Artikeln in lokalen Szenezeitschriften aus.
Trotz der geringen Wirkung der dezentralen Aktionen am 11. Juli in Chemnitz und der ernüchternden Erfahrungen in Rostock wird diese Protestvariante unter den sächsischen Autonomen nach wie vor favorisiert: „Perspektivisch gesehen glauben wir, dass die einzig effektive Aktionsform gegen Nazidemonstrationen nur darin bestehen kann, genau dort zu agieren, wo auch die Nazis sind.“ Damit ist gemeint, dass auch künftig die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner anderen, friedlicheren Protestformen vorgezogen werden soll.
Erste Ansätze, dezentrale Aktionen gegen Veranstaltungen von Rechtsextremisten durchzuführen, gab es auch in den alten Bundesländern. So wurde durch Autonome bereits die Anreise von Teilnehmern einer NPD- Kundgebung am 12. September in Münster (Nordrhein-Westfalen) gestört. Nur durch den verstärkten Einsatz polizeilicher Kräfte konnten größere Ausschreitungen verhindert werden.
Rückblick NPD-Kundgebung 1. Mai 1998 Leipzig (Antifa-Info-Blatt, AIB #44)
„Über 7.000 Nationalisten ließen sich von dem undurchsichtigen Verbotsgerangel nicht beirren und fanden sich in Leipzig ein.“ Mit diesen Worten kommentierte das NPD-Parteiblatt „Deutsche Stimme“ (1) den Aufmarsch von vorwiegend jungen Neonazis am 1. Mai vor dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal. Wie nicht anders zu erwarten, sollte die von der Neonazi-Partei organisierte und als »erste große öffentliche Wahlkampfkundgebung« deklarierte Veranstaltung zu einem vollen Erfolg hochgejubelt werden. Daß im Vorfeld – und wohl mehr der Mobilisierung dienend – Zahlen von 15.000 zu erwartenden TeilnehmerInnen ausgegeben worden waren, scheint vergessen. Parteichef Udo Voigt (Moosburg) versteigt sich gar in den Glauben, den 1. Mai bereits in der Tasche zu haben: »Die Gewerkschaften spüren Konkurrenz und fürchten, daß es uns nun gelingt, den 1. Mai inhaltlich zu besetzen.« (2)
Tatsächlich waren es 4.000 bis 5.000 Neofaschisten gewesen, die am 1. Mai dem Aufruf der NPD gefolgt waren, nachdem die Gerichte mehrere Verbote der Neonazi-Demonstration/Kundgebung aufgehoben hatten, und lediglich der geplante Aufmarsch untersagt blieb. Ein Teilerfolg für die im Aufwind befindliche Partei und ihre Anhängerschaft: Einerseits ist es ohne Rückendeckung durch CSU und Braunzone gelungen, eine ähnliche Teilnehmerzahl zu mobilisieren wie ein Jahr zuvor in München und somit die größte neofaschistische Kundgebung in Ostdeutschland seit Kriegsende auf die Beine zu stellen. Andererseits blieben die Teilnehmerzahlen hinter den Erwartungen zurück und die geplante Spektrumserweiterung aus. Über die Tatsache, daß die von der Parteiführung herbeigesehnten »deutschen Arbeiter« der Kundgebung fernblieben, konnte auch nicht hinwegtäuschen, daß vereinzelt Neonazis in neuem Overall und blitzblanken Bauhelm erschienen waren. Mehr als ein Ärgernis für die Neofaschisten stellte der Widerstand von Tausenden von AntifaschistInnen in Leipzig an diesem Wochenende dar.
Erfolge und Probleme der Antifa
Bereits am Vorabend des 1. Mai fand am Völkerschlachtdenkmal ein antifaschistisches, von GewerkschafterInnen organisiertes Konzert mit BAP, Messer Banzani, Mitgliedern der Prinzen und anderen statt: Tausende von tanzenden BesucherInnen vom Punk bis zum Gewerkschafter im besten Alter setzten einen kulturellen Kontrapunkt zu den gleichförmigen Reihen und Gestalten der NPD und den dumpfen Parolen, die am kommenden Tag an dieser Stelle zu hören sein sollten.
Am 1. Mai selbst zog ein in luftiger Höhe am Völkerschlachtdenkmal über den Nazis wehendes Transparent besonderen Haß auf sich, das in riesigen Lettern die Botschaft »Nie wieder Faschismus« weithin sichtbar verkündete. Ein breites Spektrum von Autonomen bis hin zu PDS und Gewerkschaften zeigte mit unterschiedlichsten Aktionen aktiven Widerstand gegen die Neonazi-Veranstaltung.
Während sich in der Innenstadt eine Bündnisdemonstration formierte, die bis zum Schluß versuchte, zu dem Platz vor dem Denkmal zu kommen, hielten andere die Viertel rund um das Völkerschlachtdenkmal besetzt: Straßen wurden blockiert, Barrikaden errichtet und immer wieder neu entstehende Demonstrationszüge versuchten, zu den Neonazis vorzudringen. Die anreisenden NPD-Anhänger konnten zumeist nur im Konvoi, unter Polizeischutz oder im Spießrutenlauf zu der NPD-Kundgebung gelangen. Zahllose Busse und PKWs der NPD-Anhänger erlitten Glasbruch, und nicht wenige der anreisenden Neonazis fanden sich in Auseinandersetzungen mit Antifas wieder, bevor sie überhaupt einen ihrer 4.000 »Kameraden« zu Gesicht bekommen hatten.
Letztendlich aber war der antifaschistische Widerstand an diesem Tag auch nur zum Teil ein Erfolg: Einerseits gelang es, eine Neonazi-Kundgebung so massiv zu behindern wie schon lange nicht mehr; der breite Widerstand war unübersehbar und überlagerte teilweise sogar die Berichterstattung über die NPD. Die meisten Menschen gingen mit einem guten Gefühl nach Hause. Andererseits wäre an diesem Tag in Leipzig politisch mehr möglich gewesen; zumindest die Chance, den Kundgebungsplatz der NPD zu besetzen, hat sich die antifaschistische Bewegung aus der Hand nehmen lassen: Zwar war geplant, den Platz vor dem Denkmal nach dem Konzert am Vorabend besetzt zu halten. Da aber niemand kontinuierlich zu diesem Vorhaben aufrief, mobilisierte und es organisatorisch trug, waren es schließlich gerade einmal 200 Menschen, die in den frühen Morgenstunden vom Platz geräumt wurden, um diesen für die Neonazis freizumachen. Nach einer organisierten Möglichkeit zur Platzbesetzung hatten wesentlich mehr AntifaschistInnen gesucht. Die IG Metall nahm nach dem Konzert am Vorabend Abstand von einer von ihr für den nächsten Morgen auf dem Platz angemeldeten Kundgebung, da diese nur aus taktischen Gründen angemeldet worden sei, und man nun zur zentralen Kundgebung in der Innenstadt mobilisieren wollte.
Die AntifaschistInnen aber, die am Morgen des 1. Mai direkt vor Ort gegen die Neonazis protestieren wollten und sich größtenteils auf die Kundgebung der Gewerkschaft verlassen hatten, standen nun mit leeren Händen da: Sie wurden von der Polizei nicht in die Nähe des Völkerschlachtdenkmals gelassen. Wäre es gelungen, den Platz vor dem Denkmal am 1. Mai mit einigen tausend Menschen zu besetzen – sei es, indem man über Nacht dort geblieben wäre, sei es, daß im Vorfeld stärker auf die Durchsetzung der Kundgebung am Morgen gesetzt worden wäre – hätte dies die Auseinandersetzungen um die Neonazi-Kundgebung politisch auf die Spitze getrieben. Entweder wäre den Neonazis der Platz versagt geblieben, oder die antifaschistische Fassade, die sich die Stadt Leipzig zugelegt hatte, wäre zusammengebrochen, indem sie den Platz am Morgen hätte räumen lassen. So konnte sich die Stadt noch relativ galant aus der Affäre ziehen und die Neonazi-Veranstaltung wie geplant stattfinden. Die örtlichen MetallgewerkschafterInnen müssen sich nun den Vorwurf gefallen lassen, daß ihr antifaschistisches Engagement nicht viel mehr als ein fauler Zauber ist und daß sie kein Interesse an einer wirklichen, konsequenten Verhinderung der Neonazi-Kundgebung hatten.
Die antifaschistische Bewegung muß sich zumindest fragen lassen, warum sie sich in der Bündnisarbeit so sehr auf die Gewerkschaft verlassen und sich nicht selber um die Kundgebung am Morgen gekümmert hat. Oder warum sie nicht stärker auf eine politische Verhinderung/Behinderung der Neonazi-Veranstaltung gesetzt hat, sondern vor allem auf die direkte Auseinandersetzung, die letztendlich übrig blieb. Zwar war dieser Weg im Fall Leipzig so erfolgreich, wie sonst selten. Auf der Hand liegt aber auch, daß es sich dabei um eine Ausnahme handelt und daß eine Verhinderung der NPD-Kundgebung so nicht zu bewerkstelligen war.
Erfolge und Probleme der NPD
Mit ihrem Teilerfolg am 1. Mai in Leipzig setzen die NPD und die sich in weiten Teilen an ihr orientierende Neonazi-Szene ihren Aufschwung fort, dessen Ende bislang noch nicht in Sicht ist. Nach München, Dresden und Passau konnten beide zusammen erneut mehrere tausend Anhänger und ein Spektrum von einzelnen REP’s über die den größten Teil ausmachenden Neonazis und NPD-Anhängern bis hin zu NS-Nostalgikern zu einer der für sie wichtigen Massenveranstaltungen mobilisieren. Mit unverhohlenen Bezug zum Nationalsozialismus, stärker werdender antikapitalistischer Rhetorik und Thematisierung der sozialen Frage ist die NPD insbesondere in Ostdeutschland bemüht, ihren Aufschwung weiter in Steigerungen der Mitgliederzahlen, feste Strukturen und somit mittelfristig in Wahlerfolge umzusetzen. (3)
Nach wie vor bedient sich die Partei dabei der Neonazi-Szene unter dem Label von der „nationalen außerparlamentarischen Opposition«, die für die Partei den »Kampf auf der Straße« führen soll. Neben dem »Kampf um die Köpfe« und dem »Kampf um die Parlamente« nehme dieser in dem Konzept, das »derzeit die Arbeit« bestimme, »eine herausragende Position« ein. (4) Schon die Formulierung macht deutlich, daß die NPD keine Skrupel hätte, sich auch wieder von der radikaleren Neonazi-Szene loszusagen, wenn sie selbst genug Stärke erreicht hat.
Ein Teil der Nazi-Szene, allen voran die alteingesessenen NS-Kader um Christian Worch (Hamburg) und Thomas »Steiner« Wulff (Hamburg), hat Lunte gerochen und will sich von der NPD nicht vor den Karren spannen lassen. Dieser zumeist als „Freie Nationalisten“ und „Kameradschaften“ auftretende Teil der Szene arbeitet zwar punktuell mit der NPD zusammen und kann sich deren Aufschwung nicht gänzlich entziehen, aber der Konflikt gärt, wie sich insbesondere in Leipzig gezeigt hat. Hier traten der NPD-Parteivorsitzenden Udo Voigt, der JN-Bundesvorsitzende Holger Apfel (Hildesheim/Eningen), der sächsische NPD-Landesvorsitzende Winfried Petzold, der „nationale Publizist“ Wolfgang Juchem (Hessisch Lichtenau) und als Vertreter des neonazistischen „Deutschen Arbeitnehmer-Verbandes“ (DAV) der NPD-Kader Peter Marx auf. Auch der NPD-Kader Per Lennart Aae und der Liedermacher Frank Rennicke (Ehningen) durften aufs Podium des Lautsprecherwagens. Doch die NPD weigerte sich, den Hamburger NS-Kader Christian Worch als Vertreter der »freien Strukturen« sprechen zu lassen. Daher verteilten diese „freien Strukturen“ auf der Kundgebung Flugblätter. (5) Dort mokiert man sich über das Verhalten der NPD und wirft dieser »Schar politisch mittelmäßiger Parteifunktionäre« vor, »große Teile des nationalen Widerstandes für die Selbstdarstellung und Interessen ihrer Partei vereinnahmen« zu wollen.
Die alten NS-Kader sind offensichtlich beleidigt, daß angesichts ihrer Erfolge in den vergangenen Jahren die NPD sich nun der »bisherigen ‚Schmuddelkinder‘ der Szene, die man lange Zeit (…) fernzuhalten suchte«, bedient, um »gegen die Übermacht vor allem der in Sachsen-Anhalt unlängst erfolgreichen Rechtspartei überhaupt noch ‚im Geschäft‘ zu bleiben«. Doch mit dem Flugblätter-Verteilen war es nicht getan, man wollte auch eigene Akzente auf der Kundgebung setzen. Einige hundert rechte Skinheads und »freie Nationalisten«, versuchten sich gegen Ende der Kundgebung darin, den verbotenen Aufmarsch doch noch durchzusetzen. Nicht nur, daß dieses Vorhaben nach kurzer Zeit und wenigen hundert Metern von gerade mal zwei Dutzend Beamten der bayerischen USK-Sondereinheiten beendet wurde. Die alte NS-Fraktion zog sich mit dieser Aktion selbstredend auch den Unmut der NPD zu, deren Ordnerdienst nicht in der Lage war, die Randale zu verhindern.
Im NPD-Parteiblatt ist von »außenstehenden Provokateuren« die Rede, die Idealismus und Opferbereitschaft für ihre Ziele verheizen würden. Dort beeilt man sich, zu beteuern, daß die »oberste Maxime« sein müsse, »gewaltfrei für seine Ziele einzutreten«. (6)
Andere Anhänger der NPD fanden mitunter noch härtere Worte, als die Partei offiziell verlauten ließ. So heißt es in einer unter dem Pseudonym »Hagestolz« (7) im „Thule-Netz“ verbreiteten Nachricht:
„Doch wer waren die Separatisten? Der Steiner soll dabei gewesen sein, Worch auch, vermutlich auch unsere Thekla. Dem Schweigert bin ich auf unserem Weg zur Kundgebung begegnet wie er gerade in anderer Richtung ging – ich hatte mich noch gewundert…??? (…) Wo es gilt Geschlossenheit und Disziplin zu zeigen, versuchen die ihr destruktives NS-Süppchen zu kochen! (…) Die NPD ist die einzige Partei, die den Mut hat, auch den ‚rechten Narrensaum‘ bei ihren Veranstaltungen zu dulden. Das heißt aber nicht, daß sie sich von ihm an der Nase führen lassen will! (…) Wenn der NS-Szene die Vorgehensweise der NPD nicht paßt, so soll sie einfach weg bleiben und ihre eigenen Dinger machen (…) zur eigenen Selbstdarstellung umfunktionieren zu wollen, ist einfach asozial, zeckenmäßig!«
Der frühere Neonazi-Skinhead und heutige JN-Kader Sascha Wagner (Herzogenrath) hatte daher tatsächlich erhebliche Probleme bei der Leitung des „NPD-Ordnerdienstes“ in Leipzig, da er auch auf „innere Feinde“ reagieren musste. Die NPD hatte den Neonazi-Mob, der immer wieder an die Absperrungen stürzte und ganz offensichtlich die Auseinandersetzung suchte, alles andere als unter Kontrolle. Seine Kameraden werfen ihm nun öffentlich vor, vollkommen versagt zu haben. Außerdem nutze der JN-Kader jede »Gelegenheit, um gegen ‚NS-Nostalgiker‘ und ‚Nazi-Spinner‘ zu wettern.« Besonders Skinheads seien ihm »ein Graus, er hält sie ganz pauschal für dumm und versoffen.«
AGnS statt „Die Nationalen“ ?
Zwischen der alten NS-Fraktion auf der einen und der NPD auf der anderen Seite zu vermitteln, versucht die „Aktionsgemeinschaft nationaler Sozialisten in und außerhalb der NPD“ (AGnS) (8). Der frühere Funktionär von „Die Nationalen e.V.“ aus Berlin Christian Wendt erklärte in seiner Internet-Publikation „BBZ-Aktuell“ hierzu:
„(..) Noch vor ein paar Jahren galt die NPD als verstaubter Hinterzimmerverein, der in seinem gesamten Erscheinungsbild ebensowenig anziehend auf die nationale Jugend wirkte, wie in seiner Programmatik. (…) Doch mit der massiven Eintrittswelle vor allem Jugendlicher Nationalisten, die Öffnung der Partei für neue Konzepte und die enge Zusammenarbeit mit den Strukturen der freien Kameradschaften hat sich das Bild der NPD in den zurückliegenden Monaten radikal verändert. An die Stelle unattraktiver Hinterzimmer-Versammlungen sind massive und eindrucksvolle Kundgebungen getreten, die jeweils mehrere tausend Nationale auf die Straße brachten. Um die Partei nach den jüngsten Erfolgen auch weltanschaulich auf den richtigen Kurs zu bringen, denken ehemalige Kader des inzwischen aufgelösten mitteldeutschen Vereins Die Nationalen derzeit über den Aufbau einer Aktionsgemeinschaft nationaler Sozialisten in und außerhalb der NPD (AGNS) nach. (…) Seit langem wird innerhalb der nationalen Opposition das Konzept der befreiten Zonen diskutiert. Insbesondere in Mitteldeutschland sind dabei schon einige örtliche Erfolge zu verzeichnen. Doch eine befreite Zone ist nicht nur als ein räumlich begrenzter Bereich vorstellbar. Auch im Bestreben um die geistige Lufthoheit und die Schaffung einer kulturellen Hegemonie können befreite Zonen geschaffen werden. In diesem Sinne kann für die nationale und soziale Bewegung auch eine legale Partei innerhalb des BRD-Regimes eine befreite Zone darstellen. (…) (9)
Der AGnS werden u.a. Thekla Kosche (Betreiberin der „Asgard Mailbox“ im Thule Netz aus Bad Segeberg) und die Berliner Christian Wendt („Die Nationalen e.V.“) , Mike Penkert („Die Nationalen e.V.“) und Andreas Sch. zugerechnet. Die Neonazis plädieren für eine vorsichtige, kritische Zusammenarbeit mit der NPD, »dem kleingeistigen Gehabe der zum Teil selbsternannten Führungsfiguren zum Trotz«, in dem Glauben, daß die Einheit mit der NPD zum Erfolg verhelfen werde oder man die Partei zumindest für die eigenen Zwecke nutzen könne. Dieser Glaube gipfelt in der Vorstellung, »daß eine parlamentarische Vertretung als quasi ‚legaler Arm‘ (nach dem Motto SinnFein/IRA) durchaus nützlich sein kann«. (10)
Den »freien Nationalisten“ wirft die AGnS, die sich nach eigenen Angaben mit Inhalten und Strategien befaßt und bereits mehrere interne Seminare mit einigen Dutzend TeilnehmerInnen durchgeführt haben will, vor, sie seien lediglich regionale Stammtische ohne Konzept und Führungspersonal, die nur vom Selbstzweck getrieben würden. Nötig wären statt dessen »’zielorientierte Aktions- und Arbeitsgemeinschaften‘ (…), aber auch Initiativen mit durchaus gesellschaftlichem Anspruch, wie etwa nationale Mietervereine, Bürger- oder Arbeitsloseninitiativen«. (11) Damit sei man von der NPD unabhängig und im Falle eines Parteiverbotes nicht betroffen.
Im Zuge ihres Aufschwungs gelingt es der NPD noch, ihre Gratwanderung fortzusetzen. Wie lange sie die gärenden Konflikte deckeln kann, scheint aber fraglich. Während die Partei mittel- und langfristig auf Wahlerfolge setzt und dementsprechend Gewaltfreiheit heuchelt, machen Teile der Neonazi-Szene, auf die die Partei immer noch angewiesen ist, keinen Hehl daraus, daß sie andere Ziele haben. »Über die Aussichten, Sitze in Parlamenten erringen zu können, muß wohl kein weiteres Wort verloren werden. Ebenso wenig wie über den Nutzen einer in Parlamenten vertretenen Rechtspartei, die nur vorgibt, den ganzen Widerstand zu repräsentieren.« (12)
Selbst die der NPD gegenüber aufgeschlossene AGnS setzt auf andere Konzepte, auch wenn sie sich Vorteile von einer in Parlamenten sitzenden Partei verspricht.
Offenes Ende
Ob die Konflikte zwischen NPD und „freier“ Neonazi-Szene eskalieren, weil die NPD der alten NS-Fraktion nicht den von dieser geforderten Einfluß und Mitsprache einräumt, oder weil die unterschiedlichen Vorstellungen und Konzepte in einem Ende des derzeitigen Aufschwungs oder beispielsweise bei Wahlerfolgen aufeinanderprallen; denkbar wären zwei Ergebnisse:
Einerseits könnten sich mit der „freien“ Neonazi-Szene auch weite Teile des Potentials von der Partei abwenden, Strukturen wegbrechen und die NPD damit wieder zu dem machen, was sie war: Eine erfolglose Kleinpartei mit überholten Konzept.
Möglich wäre aber auch, daß es der NPD bis zum Zeitpunkt des Bruchs gelungen ist, eine weite Einigung rechts der DVU und eine Integration größerer Teile der Neonazi-Szene zu erreichen, mehr Strukturen aufzubauen und Mitglieder zu werben, so daß sie das Abwenden eines Teils der „freien“ Neonazi-Szene ruhig mit angucken kann, da dieser damit seine Schuldigkeit getan hätte.
Fußnoten AIB
- „Deutsche Stimme“ Nr 4-5/98, April/Mai 1998, S.1
- „Deutsche Stimme“ Nr 4-5/98, April/Mai 1998, S. 2
(3) Siehe Artikel »Alle gegen Alle« im AIB Nr. 44
(4) „Deutsche Stimme“ Nr 4-5/98, April/Mai 1998,S.8
(5) Flugblatt »Kampftag des Nationalen Widerstandes oder Bundestreffen nur einer Partei?« vom Nationalen Widerstand Villingen-Schwenningen, April/Mai 1998; Flugblatt „Der Nationale Widerstand hat viele Gesichter!« vom „Nationalen und sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland“, April/Mai 1998
(6) „Deutsche Stimme“ Nr 4-5/98, April/Mai 1998, S. 8
(7) Laut Recherchen antifaschistischer JournalistInnen ist „Hagestolz“ der Betreiber der „Thule-Netz“ -„Box“ mit namen „Propaganda BBS“ in Karlsruhe. Es handelt sich laut Antifa Recherchen dabei um den 41jährigen Norbert Golenia aus Karlsruhe. Golenia trat demnach zuletzt bei der Bundestagswahl für die NPD auf der baden-württembergischen Landesliste an und war Schatzmeister im rechten „Literaturkreis Baden e.V.“.
(8) Offensichtlich eine Kopie der „Arbeitsgemeinschaft Autonome Gruppen in und bei der PDS“
(9) Christian Wendt, »NPD: ‚Erfolg durch Einheit‘?«, Internetausgabe der Berlin Brandenburger Zeitung vom 14. Mai 1998
(10) Christian Wendt, »NPD: ‚Erfolg durch Einheit‘?«, Internetausgabe der Berlin Brandenburger Zeitung vom 14. Mai 1998
(11) Christian Wendt, »NPD: ‚Erfolg durch Einheit‘?«, Internetausgabe der Berlin Brandenburger Zeitung vom 14. Mai 1998
(12) Flugblatt »Der Nationale Widerstand hat viele Gesichter!« vom „Nationalen und sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland“, April/Mai 1998