Veranstaltung zum 20. Todestag von Ulrike Meinhof Seite 2

Da waren sehr viele von denen, die dann einen ganz anderen Weg gegangen sind, theoretisch auch der Meinung: Man muß militant werden. Ich kenn eine ganze Reihe, die heute in ganz etablierten Stellungen sind, die damals losgefahren sind nach Holland oder nach Italien und Waffen gekauft haben, die aber die Waffen nicht benutzt haben, die nicht in militante Gruppen gegangen sind. Einige wenige, das waren, so hieß das damals, der Blues oder nachher Bewegung 2. Juni und andere Gruppierungen und eben auch die RAF, die haben gesagt: Wir machen nicht nur Theorie, sondern wir setzen das um. Als sie dann ihre ersten Aktionen, ihre Anschläge gemacht haben, vor allen Dingen die Anschläge, die gerichtet waren gegen das amerikanische Hauptquartier der US-Armee in Frankfurt und in Heidelberg, da gab es in der damaligen, in der Neuen Linken, und ich glaube nicht nur da, auch politische Sympathien mit den Aktionen, mit den Leuten. Ausdruck davon war, daß eben Ulrike Meinhof, wenn sie angeklopft hat, nicht festgenommen worden ist von ihren politischen Freunden oder von ihren früheren oder derzeitigen Genossen, sondern daß sie auch unterstützt worden ist und andere auch. So muß man das verstehen und so kann man das eigentlich nur verstehen, weil das waren nicht in unserer Wahrnehmung damals eine Reihe von verrückten Desperados, das waren politische Menschen, das waren unsere Genossinnen und Genossen, die das gemacht haben. (Beifall)

Als die dann, ein ganzer Teil von ihnen im Gefängnis gewesen sind und die Kommunikation nach außen nicht mehr möglich war, da war Ulrike Meinhof, ich hab sie in der Zeit jede Woche fast besucht in Köln-Ossendorf in dem dortigen Gefängnis, da war Ulrike Meinhof die Sensible, die Sensibelste, muß man sagen, von den Gefangenen, die als erste auf den Punkt gebracht hat, was dort mit den Gefangenen passiert, nämlich die Isolationshaft, die genauso Körper und Geist und Psyche schädigen kann oder schädigt, genauso wehtun kann wie körperliche Folter. Sie war es, die das formuliert hat, die das auf den Punkt gebracht hat, die Texte dazu geschrieben hat, die ja auch veröffentlicht worden sind. Das war meine Erfahrung mit Ulrike Meinhof auch in den Jahren danach. Die Diskussion, die danach gewesen ist, das war im Wesentlichen eine Diskussion, die sich beschränkte auf die Auseinandersetzung mit den Rechtsanwälten, weil andere Kommunikation untersagt worden ist, weil andere Kommunikation so gut wie unmöglich gewesen ist. Aber das, und jetzt komm ich dann zu meiner Frage, das ist ja nur die eine Seite der Medaille.

Sicherlich haben die staatlichen Organe, hat die Justiz, hat die Generalbundesanwaltschaft, die Gerichte die Isolation angeordnet und haben es verhindert, daß eine Diskussion mit den Genossinnen und Genossen draußen möglich gewesen ist, auch über die politische Entwicklung, die reale politische Entwicklung in Deutschland, in der Welt weiter. Aber, und das, denk ich, ist auch ein großer Fehler, den man jetzt auch mal auf den Tisch legen muß und fragen muß, wie konnte es dazu kommen? – auch die Gefangenen selber, die Genossinnen und Genossen aus der RAF im Gefängnis, in den Gefängnissen haben eine Haltung an den Tag gelegt, haben sich der Diskussion, jedenfalls der offenen, der nicht voreingenommenen Diskussion verweigert. Sie haben die Leute, ihre Partner der Auseinandersetzung, allein danach bestimmt: Wer ist für uns und wer ist gegen uns, wer unterschreibt unsere Politik mit allem, was wir machen, mit dem reden wir, mit den anderen reden wir nicht, die sind auf der anderen Seite der Barrikade. Und ich denke, das war ein ganz wesentlicher Fehler von Euch, daß ihr den Kontakt zu der Bewegung, aus der ihr gekommen wart, und der Bewegung, die euch auch ne Zeit lang getragen hat, daß ihr diesen Kontakt nicht gesucht und in einer offenen Diskussion auch andere Wege und andere Auffassungen zugelassen habt, daß ihr das nicht möglich gemacht habt. (Beifall)

Jetzt will ich mich um die letzte Frage nicht drücken, auch wenn die ein bißchen an die Seite führt. Es gab u.a. auch einen, der damals zu den ersten Leuten gehörte, die sich für den bewaffneten Kampf entschieden hatten, der aus ner bürgerlichen Existenz in den Untergrund gegangen ist, zur Waffe gegriffen hat, einer, das war ein Kollege von mir, der mit mir im Anwaltsbüro gewesen ist, der damals, und das waren die unterschiedlichen Wege, nachdem man feststellte 69, es geht nicht weiter, der gesagt hat, ihr müßt in die Institutionen gehen, ihr müßt in die Parteien gehen und müsst auch von da heraus versuchen, eine grundsätzliche Veränderung der Gesellschaft herbeizuführen. Ich bin einer von denen, der solidarisch war mit den Gefangenen, der sich für sie eingesetzt hat und auch vor allen Dingen dafür eingesetzt hat, daß sie weiterhin in dem Diskussionsprozess mit uns Genossen gewesen sind, aber der diesen anderen Weg gegangen ist, der dann in die Parteien gegangen ist und später mit bei den Grünen und bei der AL hier mitgewirkt hat.

Halina Bendkowski: Dankeschön, Hans Christian Ströbele (Beifall). Ich bin besonders dankbar, weil Hans Christian Ströbele das klare Wort ausgesprochen hat, auch an die Adresse jetzt der RAF-ler und der Bewegung 2. Juni und vielleicht Zaungästen und gesagt hat, als es dann soweit ging, daß die Entscheidung zwischen Schwein oder Mensch anstand, das war ja auch ein Begriff von euch, man zwischen Sympathie und Antipathie sich zu entscheiden hatte, daß das zum Niedergang der Linken auch geführt hat. Ich hab mich gewundert über ein Papier von Karl-Heinz Roth, der den Niedergang der Linken damit erklärt hat, was in der DDR und der Sowjetunion passiert ist. In meiner Erinnerung waren die 80er Jahre schon vorher von dem Verlust des linken Kollektivs bestimmt und das Denken über solidarische Gesellschaft verschwunden. Und deswegen, weil Karl-Heinz Roth vorhin nur so wenig Gelegenheit hatte, was zu sagen, und weil er doch als einer der Theoretiker derer gilt, die nach vorwärts gucken, und das müssen wir ja an einem solchen Abend, bitte ich ihn, jetzt was zu sagen, was die Fehler der RAF waren und all derjenigen, die dazu gehörten, und zum Niedergang der Linken beigetragen haben.

Karl-Heinz Roth: Die Moderatorin stellt wirklich sehr harte Fragen, und es ist nicht leicht, eine solche Bilanz in wenigen Sätzen zu versuchen. Ich will es probieren, um die Diskussion nicht zu blockieren. Ich glaube, es hat zwei Phasen gegeben. Eine Phase, die etwa bis zur Verhaftung von Ulrike reichte, bis 1972/73 etwa, in der innerhalb des militanten Spektrums der Linken eine breite Diskussion auch in der Illegalität stattgefunden hat über strategische Wege. Ich kann hier nur an das anknüpfen, was Christian und v.a. auch Ralf gesagt haben. Wir haben damals bis 1972/73 alle an die soziale Revolution in der Welt und in Europa geglaubt. Das war keine Fiktion, wir haben nicht gesponnen. Bspw. unser Engagement gegen den Indochina-Krieg hatte ganz handfeste Hintergründe. Wir haben jahrelang, bevor Gruppen in den Untergrund gingen, Deserteure der amerikanischen Armee in ganz Europa unterstützt, die wegen des Indochina-Kriegs aus der US-Army verschwunden waren, und wir haben plötzlich den geheimen Verfolgungsapparat der US-Army kennengelernt.

D.h. also, wir haben in unserem Alltag in dieser Zeit politische Erfahrungen gemacht, die uns auf der einen Seite ungeheuer nach vorne katapultiert haben und die uns auf der anderen Seite aber auch überrollt haben. Es gab also in diesem Kontext Erfahrungen, die über uns herein gestürzt sind und die nicht nur mit Indochina zu erklären sind, sondern auch bspw. mit den Entwicklungen in Indonesien oder den sozialrevolutionären Befreiungsbewegungen in Afrika, wo es völlig selbstverständlich war, daß Delegierte dieser Befreiungsbewegungen aus Angola oder sonstwo 67/68 zu uns kamen und Unterstützung einforderten, und zwar sehr handfeste Unterstützung. Es gab also ein Klima, wo wir Teil eines weltweiten Prozesses waren, und ich spreche jetzt bewusst nicht von der studentischen Seite, von Berkeley usw., die auch eine Rolle gespielt hat. Black Panthers haben uns viel mehr geprägt aus den USA, nämlich die schwarzen Deserteure der US-Army, als die amerikanische Studentenbewegung. Und in dieser Situation entstand eine Strategiedebatte; die Strategiedebatte der RAF ist diskutiert worden. Sie ist m.E. sehr schnell auf eine Position gegangen: antiimperialistische Positionen in der Metropole zu vertreten. Sie hat in dieser Diskussion alle Versuche blockiert, eine soziale Basis für diesen sozialrevolutionären Befreiungskampf in der BRD und in Europa selbst zu finden. Ralf Reinders hat das aus seiner Sicht für die Bewegung 2. Juni gesagt. Es gab andere Gruppierungen und andere Zusammenhänge, die zwischen, ja die wirklich zwischen den Stühlen saßen und die auch ganz andere Kontakte hatten, bspw. nach Frankreich oder v.a. nach Italien, wo es eine Studentenbewegung gegeben hatte, die sich mit einer jungen und ganz neuen Arbeiterbewegung und Technikerbewegung in Italien verbunden hatte. Und da entstanden in den Fabriken bewaffnete Gruppen, die Roten Brigaden. Es gab also viele Alternativen.

Es gab das Konzept, das Gegenkonzept 2. Juni, das eine proletarische Antwort, eine Antwort der Subkultur auf die Ansprüche der RAF gab. Es gab andere Versuche, bspw. im Kontext der italienischen Erfahrungen, von den Betriebsstrukturen aus eine Guerilla aufzubauen. Es gab später, Mitte der 70er Jahre, Versuche, die Massenbewegung, soweit sie noch existierte oder neu entstand, z.B. die Anti-AKW-Bewegung, militärisch sozusagen zu konsolidieren, d.h. also Operationen zu machen gegen die Infrastruktur des Nuklearkapitals, um die Massenbewegung voranzutreiben. Der Begriff ist hier noch überhaupt nicht gefallen, nämlich die Gruppierung der Revolutionären Zellen, die in diesem Kontext und in der Debatte entstand. Es gab also eine Phase der breiten geheimen Diskussion, der illegalen Diskussion. Mein politischer Zusammenhang hat mit Ulrike und anderen Genossinnen und Genossen aus der RAF knapp bis vor ihrer Verhaftung diskutiert.

Ich möchte das hier auch noch einmal ansprechen: Wir haben alle Tragödien über uns herkommen sehen. Wir kennen alle wahrscheinlich hier auf dem Podium mindestens 30 bis 50 Menschen, die umgekommen sind, die sich selbst getötet haben, die irgendwo untergegangen sind, deren Spuren sich verloren haben und über die wir teilweise bis heute nichts wissen. Auch das sollte heute abend gesagt werden, wenn wir über Ulrike Meinhof sprechen.

In dieser Situation waren die Optionen offen, und es gab eine offene Diskussion; es gab sozusagen die Entwicklung unterschiedlicher Konzeptionen. Gemeinsam war, dass, und das hat Ralf formuliert, die Intellektuellen, die nur auf der verbalen Ebene bleiben wollten oder geblieben sind, nicht mehr dabei waren. D.h. also, in diesem Diskussionsprozess erfolgte ein Umschlag. Dieser Umschlag war bedingt einmal durch die Zügellosigkeit der Repression, und durch die Tragödien in den Gruppen. Ich möchte das hier auch noch einmal ansprechen: Wir haben alle Tragödien über uns herkommen sehen. Wir kennen alle wahrscheinlich hier auf dem Podium mindestens 30 bis 50 Menschen, die umgekommen sind, die sich selbst getötet haben, die irgendwo untergegangen sind, deren Spuren sich verloren haben und über die wir teilweise bis heute nichts wissen. Auch das sollte heute abend gesagt werden, wenn wir über Ulrike Meinhof sprechen. (Beifall)

Der zweite Grund, weshalb der Dialog abgebrochen ist, das war die Tatsache, daß der globale Prozeß gegen uns stand. Wir waren nicht mehr in der Lage, unter dem Zugzwang der Auseinandersetzung über illegale und bewaffnete Optionen die Veränderungen der gesellschaftlichen Prozesse zu begreifen, die seit Mitte der 70er Jahre einsetzten. Und da, glaube ich, setzt eine zweite Isolierung ein, v.a. deshalb, nachdem die Gruppen, die genau auf solche Mobilisierungsstrategien gesetzt hatten wie der 2. Juni, ihrerseits Tragödien erlebt hatten. D.h. also, die revolutionäre Euphorie, die revolutionäre Hoffnung ist verloren gegangen, und wir waren, und vor allem diejenigen, die wirklich die Schritte bis in den bewaffneten Kampf gegangen sind, in einer Situation, in der keine Möglichkeit mehr bestand, den Dialog fortzusetzen. Das ist die andere Seite. Ich glaube also, daß es zwei Ebenen gibt: Es gibt die Ebene der Diskussionsverweigerung, v.a. durch die RAF, und es gibt viele Menschen, die durch die Härte und durch die Bedingungslosigkeit, mit der die RAF seit 73/74 Unterstützung eingefordert hat, demoralisiert worden sind.

Aber es gibt auch die Tatsache, daß die Optionen nicht mehr rückgängig zu machen waren, d.h. also, daß der Dialog in der Illegalität kaputt gegangen ist. Jetzt möchte ich zumindest einige Punkte diskutieren oder zumindest sozusagen in Nebensätzen formulieren, die eigentlich ungelöst sind. Z.B. was vorhin kurz angedeutet wurde von Monika Seifert. Ich teile überhaupt nicht ihre Position, aber das Problem der Gewalt war ein Problem in den Debatten: Wie weit darf revolutionäre Gewalt gehen? An welchem Punkt werden die Mittel zu einer Konstellation führen, wo das Ziel zerstört wird? Ich erinnere nur an die Problematik z.B. der Flugzeugentführungen. Wer sitzt denn eigentlich in den Flugzeugen und wer saß in den Flugzeugen? Diese Diskussionen sind nicht mehr geführt worden. Es sind viele andere Diskussionen nicht mehr geführt worden, weil sie nicht mehr geführt werden konnten, denn die Genossinnen und Genossen saßen im Knast. Der Prozeß ist über sie und über uns hinweggegangen. In anderen Ländern viel dramatischer als hier; auch das sollte heute abend gesagt werden. In Italien bspw. gab es eine ganze massenhafte Bewegung zur militanten oder bewaffneten Autonomie, und 81/82 saßen zeitweise 7-8000 Genossinnen und Genossen im Knast. Nur zum Vergleich für die BRD-Situation, weil dort der bewaffnete Kampf eine viel breitere soziale Basis erobert hatte; weil er sehr viel stärker verankert war.

Auch diese bewaffneten Bewegungen sind untergegangen, und es stellt sich überall die gleiche Frage: An welchem Punkt waren wir nicht mehr in der Lage, den Umschlag der gesellschaftlichen Prozesse zu definieren, der unsere revolutionären Erwartungen, die akute Erwartungen waren, wie alle hier eben bestätigt haben, desavouiert hat? Warum haben wir es nicht geschafft, aus der Illegalität zu neuen Formen herauszukommen, warum sind keine neuen Formen des Dialogs entstanden? Das sind Fragen, die wir versucht haben, in den 80er Jahren zu diskutieren. Ich freue mich, daß sie heute abend zum ersten Mal vielleicht öffentlich thematisiert werden. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Karl Heinz Roth. Die Frage ist konkret gestellt, und jetzt bitte ich wirklich um den Versuch konkreter Antworten, und das sollen die Leute aus der RAF oder der Bewegung 2. Juni machen. Ali Jansen bitte.

Ali Jansen: Ich denke, daß wir in der Tat nach dem Tod von Ulrike nur noch tiefer in die Falle des Staates reingestolpert sind. D.h. nach dem Tod kam die Konzentration der Politik der RAF auf die Gefangenen, verstärkte sich noch mehr; diese Konzentration hats schon vorher gegeben, dazu werd ich dann gleich was sagen; da verstärkte sie sich noch mehr, und die eigentlich längst – also das kann ich von heute aus so sagen, damals hab ich das so nicht gesehen – die eigentlich längst fällige kritische Reflexion des Konzepts RAF trat darüber nochmal weiter in den Hintergrund. Ich denke mir, das fing nicht erst nach dem Tod von Ulrike an, sondern das fing an nach 72, als wir praktisch alle in den Knästen waren. Wir sind da mit einer Situation konfrontiert worden, in der wir, wie der Christian eben ganz treffend beschrieben hat, die erste, bei der da die Sensoren etwas empfindlicher waren oder genauer, die das mitbekommen hat, war dann Ulrike – wir sind auf jeden Fall in den Knästen mit einer Situation konfrontiert worden, in der wir, ja man kann das so sagen, um unser Leben kämpfen mussten. Wir waren in einer Art und Weise isoliert, die man sich heute so schlecht vorstellen kann.

Ich denke mir, die Situation, mit der wir im Knast konfrontiert waren, ist ganz ursächlich mit dafür verantwortlich, daß wir nicht in der Lage waren und auch nicht willens waren, das Konzept RAF – also 72 wär das sowieso noch nicht möglich gewesen, aber ich denke mir, spätestens 75 hätte es eigentlich, ja spätestens dann hätte es angestanden, das Konzept RAF einer, ja ich sag kritischen Reflexion zu unterziehen.

Als Beispiel nur mal: Bevor ich zum Duschen rausgeführt wurde, wurde der ganze Knast geräumt, damit ich keine Gefangenen sah, Hausarbeiter wurden weggeschlossen, ich ging durch den ganzen Knast und habe keinen Gefangenen gesehen. Wenn in der Freistunde ein Gefangener am Fenster war und mir irgendwas zurief, wurde die Freistunde abgebrochen; das hieß, weil ich dann natürlich nicht freiwillig gegangen bin, wurde ich mit Gewalt aus dem Freistundenhof raus geholt, und weil ich nicht freiwillig gegangen bin, kam dazu auch noch zusätzlich Arrest und dieser ganze Terror. Ich denke mir, die Situation, mit der wir im Knast konfrontiert waren, ist ganz ursächlich mit dafür verantwortlich, daß wir nicht in der Lage waren und auch nicht willens waren, das Konzept RAF – also 72 wär das sowieso noch nicht möglich gewesen, aber ich denke mir, spätestens 75 hätte es eigentlich, ja spätestens dann hätte es angestanden, das Konzept RAF einer, ja ich sag kritischen Reflexion zu unterziehen. Dazu waren wir aufgrund der Umstände und der Situation nicht in der Lage, weil wir mit uns beschäftigt waren.

Und ich denke mir, da sind wir auch in die Falle des Staates reingestolpert oder reingegangen oder reingezwungen worden. Es hat sich ein Zweikampf Staat – Guerrilla entwickelt, an dem andere nur noch teilnehmen konnten dadurch, daß sie entweder ihre Sympathien zu der einen Seite oder zu der andern Seite verteilten; aber unmittelbar Teil dieses Kampfes sein, das war schon sehr schwierig. Gut, ich denke, daß ist das, was ich da im Moment so zu sagen kann. Monika, ich weiß nicht, wie du’s siehst, ob du’s ähnlich siehst oder ob du noch was anderes dazu zu sagen hast.

Monika Berberich: Ich seh das fast gleich. Wir können das aus heutiger Sicht sagen, das soll aber nicht heißen, daß es damals möglich gewesen wäre und wir es eigentlich hätten schaffen können, weil die Situation richtig beschrieben worden ist: Wir haben um unser politisches Überleben gekämpft, d.h. um unser Überleben als Subjekte, als politische Persönlichkeiten, und das hat den allergrößten Teil der Energie erfordert. Es war 75 die Situation, daß der Prozeß in Stammheim anfing. Dieser Prozeß ist inszeniert worden von den Gerichten, von Seiten des Staates Bundesrepublik als die Abrechnung mit der RAF, und es war absolut notwendig, dem was entgegenzusetzen und in diesem Prozeß auch deutlich zu machen, weshalb sind diese Angriffe gelaufen 72, darum gings hauptsächlich; was war die Rolle der BRD im Vietnam-Krieg? Sie war nicht unbeteiligt, sondern sie war direkt beteiligt als Hinterland für die US-Soldaten, sie hat finanziell unterstützt, es waren sogar auch Bundeswehr-Soldaten teilweise da unten.

Das zu thematisieren, daran haben alle, nicht nur die Gefangenen, die direkt angeklagt waren, mitgearbeitet. Es wäre auch gar nicht möglich gewesen in der Situation, plötzlich anzufangen und zu sagen: Das war ja vielleicht doch nicht alles richtig …Wir hätten es vielleicht unter uns machen können, aber das hätte einfach die Kapazitäten überfordert. Das wollte ich jetzt nur nochmal dazu sagen. Das soll nichts rechtfertigen. Es war eine ungeheuer schwierige Situation. Wir hatten gesagt: Es wird sich zeigen an der Praxis, ob das Konzept richtig ist; das war eine Festlegung, da haben wir uns selber auch ein bißchen die Falle gestellt wahrscheinlich, nämlich daß wir auch wollten, daß es richtig ist, und deswegen versucht haben, auch nach außen durch die verschiedenen Hungerstreiks zu mobilisieren wiederum in diese Richtung statt, als es dann möglich war, darüber nachzudenken. Aber speziell zu der Zeit, die du genannt hat, so 75, 76 war es erstmal gar nicht möglich. Dann kam der Tod von Ulrike, wo ich denke, der hat es auch nochmal sehr erschwert; die ganze Zuspitzung dann. Es hätte bedeutet, eine Niederlage einzuräumen in einer Situation, in der wir absolut unter Druck waren. Ich denke, das war das Moment, weshalb wir da auch gar nicht anfangen konnten. Wie gesagt, was nicht heißt, daß es nicht richtig gewesen wäre. Das können wir heute sagen, und wir können heute versuchen, daraus zu lernen.

Ali Jansen: Ganz kurz zur Gewaltfrage. Ich denke mir, daß man mit der Liquidation eines Menschen sehr skrupelvoll umgehen muß und daß sie nur dann legitim ist, wenn sie den revolutionären Prozeß wirklich voranbringt. Daß in der Entwicklung damit sehr oft, ich sag mal vorsichtig, fahrlässig umgegangen worden ist oder sehr ungenau, ist unbenommen. Trotzdem, die Gewaltfrage ist eine akute Frage, und wir leben hier in Gewaltverhältnissen. Auch wenn wir im Moment keine Orientierung haben, die uns überhaupt ermöglicht, von Revolution zu reden – es ist klar, daß ein revolutionärer Prozeß auch ein gewalttätiger Prozeß sein wird, auch in Zukunft. Das schließt nicht aus, daß wir mit der Gewalt sehr skrupelvoll, sehr genau umgehen müssen und genauer als es speziell in den 80er Jahren passiert ist. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön Ali Jansen und dankeschön vorher Monika Berberich. Ich denke, jetzt spricht noch Ralf Reinders, und dann eröffnen wir die Diskussion mit dem Publikum.

Ralf Reinders: Ich wollte zuerst auf die Frage von Christian eingehen. Isolation angeordnet von der Bundesanwaltschaft, von der Justiz, und ob wir die Isolation angenommen haben. Für einen großen Teil der Bewegung 2. Juni, für die Gefangenen, kann ich klar sagen: Wir haben diese Isolation nicht so angenommen. Wir hatten aber, und das darf man nicht vergessen, nicht ganz so grobe Haftbedingungen. Die alten Knäste wie Moabit haben mehr Möglichkeiten der Kommunikation mit anderen Gefangenen, und unser Ziel war es von Anfang an, die Isolation, die für uns verordnet war, zu durchbrechen, indem wir auch mit den sog. kriminellen Gefangenen zusammenkommen, weil wir für uns die Möglichkeit gesehen haben, nicht nur unsere politische Identität zu erhalten, sondern auch unsere menschliche; d.h. die menschlichen Bedürfnisse, die Gefangene, die sich nicht so politisch artikulieren können, rüberbringen, daß wir die mitleben können im Knast. Weil Knast halt immer ein Stück Leben ist, das man leben muß, zwangsverordnet, aber das man auch leben kann. Es hat, und da komm ich jetzt zu der Gewaltfrage, bei uns einen Bruch gegeben zwischen den Gefangenen, der zur Spaltung geführt hat. Konkretisiert hat er sich, und das bezieh ich jetzt wirklich nur auf die Bewegung 2. Juni erstmal, an der Flugzeugentführung nach Entebbe. Ich stand damals selbst mit auf der Liste der zu befreienden Gefangenen. Für viele, die es vielleicht nicht wissen: Es war eine Aktion palästinensischer Genossen und Genossinnen; an der Aktion waren eine Frau und ein Mann aus der RZ beteiligt. Für uns, den größten Teil der Gefangenen, haben wir Flugzeugentführungen, Aktionen gegen Unbeteiligte abgelehnt. Es kann und darf nicht sein, daß sich die Leute, mit denen wir irgendwann die Befreiung anstreben, daß die sich von uns bedroht fühlen. (Beifall) Es ist richtig, und vorhin haben ja einige gestöhnt, daß es natürlich im revolutionären Prozeß und im Kampf zu Verlusten auf beiden Seiten kommt; unser Bestreben als Organisation war immer stark darauf ausgerichtet, daß wir die Verluste auf beiden Seiten so gering wie möglich halten, und daß die Gewaltanwendung so gering wie möglich gehalten wird. Ich denk, die größten Sympathien kriegen wir immer noch, wenn wir genau das richtige Augenmaß bewahren.

Halina Bendkowski: Dankeschön, Ralf Reinders. (Beifall) Das war jetzt etwas abstrakt. Es gab auch einen Bruch unter den RAF-Gefangenen. Mit den Brüchen ist es so: Es ist notwendig, wird uns erklärt, daß man kritisch mit der Vergangenheit umgeht, aber wers dann tut, gerät vielleicht, weil er Erster ist oder Zweiter, in Gefahr, als Verräter zu gelten, innerhalb zumindest der Einschätzung von anderen. Ich möchte gerne noch denjenigen die Chance geben, die über diese Debatte sich verquert haben und würde fragen, Karl Heinz Dellwo, ob er was dazu sagen will, und damit jetzt mit dem Publikum die Debatte eröffnen. Möchtest du? (Karl-Heinz D. gibt zu erkennen, daß er nicht will.) Er möchte nicht. Dann darf jetzt Peter Rambausek sprechen, der vorhin was sagen wollte.

Peter Rambausek: Sowohl von dem Christian als auch von dem Karl Heinz Roth wurde schon wieder an einem neuen Mythos gebastelt, nämlich an dem, daß es Anfang der 70er Jahre noch diesen Optimismus gab, der uns 68 vielleicht ausgezeichnet hat. Ich möchte euch in Erinnerung rufen, daß der eigentliche Abbruch der Dialoge, nicht nur der zwischen den Spontan-Linken und den RAF- oder 2. Juni-Leuten, sondern innerhalb der Linken Ende Herbst 69 stattfand, als nämlich die verschiedenen ML-Gruppen sich gebildet haben und keine Diskussion mehr stattfand, sondern nur jede Partei ihre eigene Wahrheit sozusagen an den Himmel gehangen hat und damit war die Diskussion beendet. Und die RAF war Ausdruck dieser Situation; sie war nicht mehr Ausdruck eines Bewußtseins, daß die Revolution vor der Tür steht, sondern sie war meiner Meinung nach Ausdruck oder der letzte Versuch, noch was umzubiegen des sich schon bildenden Scheiterns der linken Bewegung. Und darum find ich eure Beiträge falsch. (Beifall)

Halina Bendkowski: Ich denke, weil jetzt nicht mehr so viel Zeit ist, daß wir die Voten sammeln und daß ihr dann darauf zusammen reagieren könnt. Bitte andere Stimmen.

Amerikanerin: Herr Roth hat impliziert, daß die RAF irgendwie besonders der GI-Bewegung, Deserteuren und dem Widerstand in der US-Armee geholfen hat und daß deswegen dieser Abbruch war. Ich will sagen, historisch gesehen haben sehr viele verschiedene Gruppierungen diese Bewegung unterstützt und die RAF hat tatsächlich diese Diskussion mit diesen Gruppen abgebrochen damals.

Halina Bendkowski: Weitere Stimmen. Ja bitte.

Mann: Ich wollt das nur mal in Zweifel ziehen. Herr Ströbele hat eben hier die Freiheit der Gefangenen gefordert, die hier oben an der Wand stehen. Ich will nur kurz daran erinnern, daß sein Parteikollege, der erste grüne Justizminister in Hessen, Rupert von Plottnitz, sagt, die Zusammenlegung oder ein Zusammenkommen von Christian Klar, Rolf Heißler, Rolf Clemens Wagner und Helmut Pohl in Schwalmstadt ist momentan nicht möglich, die Situation wird beibehalten, und er hats zynisch damit begründet, darum müsste es schon eine gesellschaftliche Bewegung geben. Das ist Ausdruck, wie die Leute, die aus der Bewegung kommen, heute ihren Hass auch immer noch genauso durchziehen. (Beifall)

Halina Bendkowski: Danke. Gibt es noch Kommentare, Fragen oder Wortmeldungen?

Frau vorne: Es ist wieder mal sehr viel zur Kritik der RAF gesagt worden, was sicher notwendig ist, und die Diskussion ist sicher darüber noch nicht beendet. Ich möchte nochmal was zur Kritik der damaligen Linken beisteuern, die schon vorhin angeschnitten wurde. Ich habe damals sehr stark erlebt, wie sehr die übrige Linke sich von den Gewalttaten der RAF sozusagen in einer übereifrigen Anbiederung an den Staat distanziert hat. Ich glaube, daß das im Grunde daher kam, daß dieser Generation der damaligen Linken das Schweigen der Eltern, was vorhin Klaus Wagenbach angesprochen hat, zur Fußangel geworden ist. D.h. die relativ geringe Auseinandersetzung mit dem Faschismus zu der damaligen Zeit hat im Prinzip dazu geführt, daß diese Gewalttaten der RAF ganz selten, eigentlich fast nie in einen Zusammenhang gestellt worden sind mit den Gewalttaten des Staates, mit dem unglaublichen Gewaltpotential im Faschismus und auch in der nachfolgenden, unserer Gesellschaft nämlich, die den Faschismus ja vordergründig zwar kritisiert, aber man muß nur die Peggy-Parnaß-Protokolle gelesen haben, die ja allseits zugänglich waren, wo man lesen konnte, daß große Naziverbrecher mit 100.000en Toten auf dem Buckel freigesprochen worden sind, daß sie mit den Richtern zusammen gekungelt haben, daß keinerlei tatsächliche und wirkliche Aufarbeitung stattgefunden hat.

Es wurde als Gewalttat schon gewertet, als die RAF anfing, das wissen wir alle. Der Kaufhaus Brandsatz in der Nacht, das war schon Gewalttat. Und noch früher war der Farbeimer, den Teufel geschmissen hat, das war Gewalt, das wurde in der Bild-Zeitung zu einem unglaublichen Gewaltakt hochstilisiert; große Teile der Linken, die dann später sich distanziert haben, sie haben sich dadurch zu schnell von der RAF wegbewegen lassen. (Zwischenrufe zu Springer) Ich denke, es wurde zu schnell zurückgeschreckt vor diesem, was dann schließlich als Riesen-Gewalt hochstilisiert wurde. Wenn man das vergleicht mit dem, was wir heute an Gewaltpotential wieder von Rechten haben, dann müßte sich eigentlich jeder, der sich damals öffentlich distanziert hat – und es gab Linke, die sich öffentlich und es wär gar nicht nötig gewesen, lauthals distanziert haben von den Gewalttaten oder angeblichen und großartigen Gewalttaten der RAF – die müssen sich heute eigentlich schämen, wenn sie mit ansehen müssen, daß heute Rechte ganze Häuser, ganze Massen von Ausländern dem Tod preisgeben und das Ganze keinerlei Erwähnung oder kaum irgendeine Justiz-Folge hat. Das möchte ich zu bedenken geben. (Beifall)

Andere Frau: In einem Spiegel-Artikel äußert sich die Tochter von Ulrike Meinhof traurig oder auch traumatisch über die Abkehr ihrer Mutter von der Familie, über die Opferung ihres persönlichen Lebens für das politische Leben. Meine Frage wäre an Leute, die das auch so, in dieser Weise gegangen sind: Gibt es da Momente der Reue, wo man sagt: Warum hab ich nicht, meinetwegen, eine Familie gegründet oder mich um meine Familie gekümmert? (Große Unruhe) Warum hab ich nicht mal versucht, mich im individuellen Bereich stärker zu verwirklichen usw? War das nötig, daß ich dieses Opfer, mein persönliches Opfer, für die Politik gebracht habe?

Halina Bendkowski: Dankeschön. Ja, bitte.

Anderer Mann: Eine Frage, verbunden mit ner These, und zwar möchte ich fragen, was ihr mit dieser Veranstaltung wolltet und jetzt wollt, da ich meine, es ist eine Vermengung passiert zwischen Aufarbeitung einer politischen Diskussion der Strategie, die passierte, und der Person Ulrike Meinhof. Ich fand das jetzt ein Sammelsurium von Aussagen, das sehr unstrukturiert war von verschiedenen Seiten. Ich denke, die Vermengung können wir nicht machen. Einmal gehts um Geschichtsschreibung, zum andern eben um Politik, um praktische. Und das ist die Frage, was soll diese Veranstaltung. Ihr habts ein stück weit beantwortet, also Ulrike Meinhof als Symbol, d.h. machen Verhältnisse oder Personen Geschichte? Und es geht auch um eine Geschichtsschreibung. Wir wissen alle, wenn wir Akademiker sind, nicht Naturwissenschaftler (Halina: Die sind ja auch Akademiker!) ja aber Naturwissenschaftler haben nicht mit Geschichte und mit gesellschaftlichen Verhältnissen so stark, direkt zu tun – daß es immer von herrschenden und von anderen Seiten zwei verschiedene Wahrheiten gibt, und ich denke, wenn es heißt, 20. Todestag von Ulrike Meinhof, daß es darum geht, Geschichtsschreibung auch von dieser Seite zu betreiben. Das fehlte mir eben neben dem Sammelsurium. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön. Wenn jetzt nicht noch ganz nötig irgendwelche Anfragen und Kommentare sind, dann sollten wir das zurück ans Podium geben. Jede Person auf dem Podium soll die Fragen beantworten, to whom it concerns, also was sie betrifft, und nicht zu allem was sagen. Monika Berberich, bitte.

Monika Berberich: Weil das angesprochen worden ist von dir, Ulrikes Rolle als Mutter, das schwingt ja sicher bei allen im Raum mit. Viele werden diesen Spiegel-Artikel gelesen haben; ich weiß, daß es sehr sehr viele Reaktionen darauf gegeben hat, nicht nur die offiziellen Briefe im Spiegel: Ich benutz einfach mal die Gelegenheit, um ein bißchen genauer die Situation zu schildern, wie sie damals war, als Ulrike in den Untergrund ging und sich von diesen Kindern getrennt hat. Ich denke, es werden viele hier sein, die ganz konkret darüber was wissen wollen, auch um die Frage zu beantworten, die ja immer wieder mal im Raum stand: Warum mußte Andreas Baader denn befreit werden? Es war die Situation: In der Phase, wo Genossinnen und Genossen sich zusammengefunden hatten, um die Aufnahme des bewaffneten Kampfes zu diskutieren, und auch konkret anzugehen, ist Andreas verhaftet worden.

D.h. es gab eine Gruppe, es war kein lockerer Haufen, der nur so diskutiert hat, wie das manchmal gesagt worden ist; es war aber noch nicht so, daß es irgendeine Strategie gegeben hätte oder eine konkrete Vorstellung. Es ist sehr viel diskutiert worden. In der Situation ist Andreas verhaftet worden. Es ist sehr schnell nach der Verhaftung darüber diskutiert worden, ob und wie er befreit werden soll. Der Grund war, das ist in der ersten sog. RAF-Zeitung 1971 genauer erläutert worden: Er hätte noch fast zwei Jahre sitzen müssen, und die Einschätzung war, daß es sehr schwierig sein würde, ohne ihn tatsächlich diese Gruppe aufzubauen. Das mag jetzt, aus heutiger Sicht, vielen absurd vorkommen: Wie kann das sein, daß es an einem Menschen hängt? Es hing auch nicht an einem Menschen, aber man muß sich halt vorstellen, wir sind aus ganz ganz unterschiedlichen Zusammenhängen gekommen mit unterschiedlichen Politisierungen, hatten erstmal nicht mehr als unsere Entschlossenheit aus unseren Erfahrungen, das jetzt anzupacken, weil wirs für richtig hielten. Das war aber auch schon fast alles. Jeder, der versucht, eine Gruppe zu organisieren, weiß, was da an Problemen auftritt, an persönlichen Problemen, an Widersprüchen und und.

Andreas hatte die Fähigkeit, auf eine Weise zwischen Leuten zu vermitteln, die es möglich gemacht hat, emanzipativ damit umzugehen, es nach vorne zu lösen und nicht sich in irgendwelchem Hickhack auseinanderzusetzen. Das war der Grund, warum die Gruppe beschlossen hat, ihn zu befreien. Es gab eine Reihe von Überlegungen dazu; Ulrike war Teil dieser Auseinandersetzung, sie hat sich an allen Diskussionen beteiligt. Es gab einen ganz konkreten Plan, der ohne Einsatz von Waffen hätte laufen sollen, per Trick; ich denke, es hätte geklappt; es war aber daran gebunden, daß Andreas in Moabit blieb, wo er zu der Zeit noch war. Er ist dann nach Tegel verlegt worden und damit war dieser Plan erledigt.

Damit ist die Variante in den Vordergrund gerückt, die dann letztendlich auch durchgeführt worden ist, nämlich, ihn mit einem Scheinvertrag als Buchautor zu bestimmen, ein Buch, das er zusammen mit Ulrike schreibt, und ihm dafür eine Ausführung zu beantragen in dieses Institut in Dahlem, wo er dann befreit worden ist. Der Plan sah vor, daß Ulrike dabei ist zunächst, daß sie dann weggeht, daß sie etwa eine halbe Stunde oder länger weg ist und dann erst die Leute kommen, die Andreas rausholen. Das war nicht, weil sie nicht in den Untergrund gehen wollte; ihr war sehr klar, daß diese Aktion Untergrund bedeuten konnte, darauf hatte sie sich vorbereitet. Was nicht klar war, und das ist ganz wesentlich, war, was daraus folgen würde, weil überhaupt nicht vorgesehen war, daß auf Menschen geschossen wird. Klar – diejenigen, die Andreas rausgeholt haben, hatten Schußwaffen dabei, um zu bedrohen, vielleicht auch um einen Warnschuss abzugeben. Es war aber total diskutiert und eine total klare Sache: Es soll nicht auf Menschen geschossen werden, weil allen klar war, daß das ein politisches Desaster sein würde, wenn das passieren würde.

Geplant war also, daß Ulrike vorher weggeht und erstmal offen ist, ob sie beteiligt ist – sie wollte dann mit den Kindern in Urlaub gehen, nicht mehr greifbar sein und gucken, was passiert, weil es unnötig war abzutauchen in einem Moment, wo du noch nicht gesucht wirst. Das war für uns immer so, daß wir solange wie möglich legal geblieben sind. Ich war z.B. in dieser ersten Phase nie illegal in dem Sinne, daß ich nicht meine Pappe noch gehabt hätte; ich hatte auch eine andere, ich war nicht abgetaucht, aber ich war trotzdem zu dem Zeitpunkt, wo ich verhaftet worden bin, bei der Gruppe. Das war auch möglich damals. Noch ein Detail, das den Umgang mit Gewalt beleuchtet, das find ich ganz wichtig: Der Plan war fertig, und es waren nur Frauen, nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil die Gruppe zum Großteil aus Frauen bestand zu dem Zeitpunkt, die die Befreiung durchführen sollten. Dann gabs nochmal die Überlegung: Moment, wenn da Frauen reingehen und da sind zwei Beamte zur Bewachung – da wars nicht wie heute, wo man ständig im Fernsehen Frauen mit Knarre in der Hand sieht, das war überhaupt nicht so – und die nehmen das einfach nicht ernst, und damit musste man rechnen, was macht man dann? Es sollte nicht geschossen werden, deswegen kam die Überlegung: Nehmen wir noch einen Mann mit dazu, dann schüchtert das eher ein, dann merken die, daß es ernst gemeint ist. Und daß dieser Mann dann geschossen hat, das war nicht vorherzusehen, das war für uns alle ganz furchtbar, also kann ich nur so sagen.

Natürlich kann man sagen: Wenn ihr mit Waffen rein geht und so, aber es sollte so nicht laufen. Das andere war, daß einen Tag vorher von der Knastleitung gesagt worden ist, daß Ulrike drinbleiben muß. Sobald sie rausgeht, wird Andreas weggebracht, d.h. sie mußte die ganze Zeit dabei bleiben und ist dann mit den anderen weg, und das hat auch bedeutet, daß die Kinder sehr schnell aus Berlin weggebracht worden sind. Es war auch nicht vorgesehen, daß sie sich ständig von den Kindern trennt, sondern eben in der ursprünglichen Planung hat sie damit gerechnet, daß sie sie relativ bald wiedersehen kann, daß sie sie auch immer wiedersehen kann. Da kann man auch nicht zugrunde legen, was heute Stand der Fahndung ist. Es war damals möglich, daß Gudrun Enßlin mit ner falschen Pappe Andreas Baader im Knast besucht hat. Das waren unsere Ausgangspositionen. Von daher war es nicht so absurd wie es heute scheinen mag, daß sie auch mit den Kindern noch weiter hätte zusammenkommen können. Noch ein Wort dazu: Es war damals voll in der Diskussion, und es gab sehr viele Frauen, ich hab das jetzt inzwischen noch mehrfach mitgekriegt, die sich von ihren Kindern getrennt haben, teilweise vorübergehend, teilweise dauernd, weil es ungeheuer schwer war, politische Arbeit und mit Kindern zusammenzuleben zu verbinden.

Halina Bendkowski: Danke sehr. Ich glaub, sie hat es jetzt hinreichend historisch und mental beantwortet. (Beifall) Ich möchte gerne, daß jede Person auf dem Podium nur noch ganz kurz zu den Fragen Stellung nimmt, und zwar dazu, was Peter Rambausek am Anfang gesagt hat, also quasi gegen die rasenden Monologe der einzelnen linken Gruppierungen, wo es keine Kommunikation mehr gab, und daß die RAF Ausdruck dessen war; und diese Frau hier vorne hat gesagt, daß ein Teil der Schuld der Linken in ihrer übereifrigen Distanzierung liegt.Ich bitte Sie, das kunstvoll miteinander zu verbinden und dann die Veranstaltung auch wirklich zu beenden. Karl Heinz Roth, bitte fang an.

Karl Heinz Roth: Leider nur in Stichworten: Es gab – und dabei bleibe ich – bis 1972 noch eine Diskussion, eine sehr harte Diskussion, und von sozialrevolutionärer oder anarchistischer Seite wurden damals die RAF-Genossinnen und Genossen ja schon als „Leninisten mit der Knarre“ kritisiert. D.h. die Diskussion war da, aber sie war noch offen. Ich glaube, daß der Prozeß der Bildung neostalinistischer, neoleninistischer und sonstiger Parteiorganisationen, den wir hier heute abend überhaupt nicht diskutiert haben, sicher im Zusammenhang mit dieser Diskussion steht, aber die Diskussion auf dieser Ebene nicht so beeinflußt hat.

Geschichte und Politik gehören zusammen, aber auch nicht. Wir können im Augenblick, in der jetzigen Situation, wo noch Prozesse laufen, wo Genossinnen und Genossen im Knast sind, wo viele Dinge noch nicht benannt werden können, noch keine Geschichte von unten schreiben. Wir müssen aber diese Geschichte von unten vorbereiten, und das ist eine sehr wichtige Aufgabe, das sollte hier mit rüberkommen, daß wir alle unsere Erinnerung sammeln, daß wir Material sammeln und daß wir die Enteignung unserer Geschichte durch die Medien nicht zulassen.

Das wäre ein zweites großes Thema – die Geschichte und die Entstehungsgeschichte der KPD-Gruppen Anfang der 70er Jahre. Zum Zweiten: Es haben sich sicher sehr viele Linke voreilig distanziert. Auch dazu wäre sehr viel zu sagen und haben wir damals auch sehr viel Kritisches gesagt und auch getan. Nur – ich kann leider nur in Stichworten reden – wir können nicht in der Auseinandersetzung mit dem Staat oder gar noch mit Rechtsextremisten Gleiches mit Gleichem vergelten (Beifall). Die Mittel sind ein Teil unseres Ziels. Wir dürfen die sozialrevolutionäre Befreiung, die soziale Befreiung der Menschen nicht durch das Mittel diskreditieren. Das ist das große Problem. (Beifall) Ganz kurz zu einem Punkt, der zuletzt angesprochen war, da ich selber professioneller Historiker bin: Geschichte und Politik gehören zusammen, aber auch nicht. Wir können im Augenblick, in der jetzigen Situation, wo noch Prozesse laufen, wo Genossinnen und Genossen im Knast sind, wo viele Dinge noch nicht benannt werden können, noch keine Geschichte von unten schreiben. Wir müssen aber diese Geschichte von unten vorbereiten, und das ist eine sehr wichtige Aufgabe, das sollte hier mit rüberkommen, daß wir alle unsere Erinnerung sammeln, daß wir Material sammeln und daß wir die Enteignung unserer Geschichte durch die Medien nicht zulassen. Das war ja Sinn dieser Veranstaltung. (Beifall)

Halina Bendkowski: Ali Jansen!

Ali Jansen: Sicher war die Gründung der verschiedenen KPD-ML oder -AO-Gruppen und was es da sonst noch an Gruppen gab, ein Moment des Scheiterns der Studentenbewegung. Wie weit sie jetzt diese Nicht Kommunikation beeinflußt hat oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. Es hat aber durchaus auch Diskussionen mit K-Gruppen, Mitgliedern und auch z.T. nicht nur individuellen Mitgliedern, sondern auch von den Organisationen mit uns gegeben hat. Das muß man dann auch mal irgendwie zur Ehrenrettung dieser Organisationen sagen. Von denen ist nicht nur die Kommunikation von vorn bis hinten verweigert worden. Gut, das wars.

Halina Bendkowski: Dankeschön, Ali Jansen. Außer der Reihe laß ich Sie noch einmal ganz kurz dran.

Frau vorne: Mein Eindruck ist, daß ein großes Bedürfnis besteht, diese Diskussion zu vertiefen und zu verlängern. Da das nun heute nicht geht, würde ich den Vorschlag machen, an die Veranstalter oder an uns alle, ob nicht eine längere Tagung zu diesem Thema günstig wäre, z.B. vielleicht zur Volksuni oder an irgend einem anderen Ort, vielleicht auch hier, wo sich viel breiter noch und viel intensiver mit diesen Problemen beschäftigt werden kann. Ich glaube, eine Aufarbeitung dieser Geschichte ist sehr notwendig. Und die Zahlen hier zeigen das auch, und auch die am 1. Mai, wo sehr sehr viele zu linken Parolen auf die Straße gegangen sind. Ich glaube, daß die Linke hierzulande ihren Kopf wieder erhebt momentan. Aus diesem Grunde möchte ich gerne, daß diese Geschichte lang und tief und intensiv aufgearbeitet werden kann. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, ein guter Vorschlag. Ich denke, er wird aufgegriffen werden. Das soll ein Anfang sein. Klaus Wagenbach!

Klaus Wagenbach: Ich stimme Karl Heinz Roth zu, wenn er sagt, wir dürfen uns unsere eigene Geschichte nicht enteignen lassen, und natürlich zählt die RAF zur linken Geschichte. Das einzige, was mir einfällt jetzt, ist, Ihnen etwas zu dieser Geschichte beizutragen. Ich lese Ihnen einfach neun Sätze vor, die ich vor 20 Jahren am Grab von Ulrike gesprochen habe, und Sie sehen daraus vielleicht ein Stück Verzweiflung und auch ein Stück eines Versuchs, die Linke zusammenzuführen:

Ulrikes Überlegungen, die von den Betroffenen ausgingen, vom tatsächlichen Elend, nicht von der theoretischen Entfremdung, und da waren es die Randgruppen, die in den Blick gerieten, die Eingesperrten, die Fürsorgezöglinge, die Weggelaufenen und Durchgedrehten. Ulrike Meinhof nahm damit sehr früh etwas wahr, was wir heute erst zu begreifen beginnen, die psychischen Kosten des Kapitalismus, die innere Verelendung. Ulrike Meinhof war eine der klarsten Kritikerinnen des Kapitalismus in der Bundesrepublik. Diejenigen, die ihre Taten als Anarchistin kritisieren, sind fast stets diejenigen, die sie in den Jahren zuvor als Kritikerin bekämpften und lächerlich machten; das wollen wir nicht vergessen. Es sind unsere Verhältnisse, die wir nicht vergessen wollen. Ulrike starb am 8. Mai. An diesem Tag wurde vor 31 Jahren der Krieg beendet. An diesem Tag eröffneten die Christdemokraten den diesjährigen Bundestagswahlkampf mit der Parole „Freiheit oder Sozialismus“. Wir sagen mit Rosa Luxemburg und Ulrike Meinhof: „Freiheit und Sozialismus“. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Klaus Wagenbach. Wir haben wider Erwarten doch noch ein paar Minuten mehr Zeit…

Ralf Reinders: Dann machen wir weiter. Ich will die Frage beantworten, was mit solchen Veranstaltungen bezweckt wird. Als die Leute hier an mich herangetreten sind, ob ich teilnehme, hab ich ja gesagt, weil ich denke, daß ein Teil unserer Geschichte verteidigt werden muß, selbst wenn Personen dabei sind, zu denen ich kritisch stand; daß es nicht gelingen darf, daß Ulrike Meinhof von bürgerlichen Kräften zurückgezogen wird, sie Ulrike für sich beanspruchen können, weil sie war Teil des Aufbruchs damals und so soll es stehenbleiben. (Beifall) Der andere Teil ist…(Zwischenruf: Das solle jetzt diskutiert werden). Wir könnens diskutieren, ich denke, dieses Podium, die Zusammensetzung dieses Podiums kanns teilweise; hier sitzen Leute, die jahrelang nicht miteinander gesprochen haben, jetzt wieder miteinander reden (Beifall). Das gleiche gilt im Publikum. (Gelächter, Beifall) Die Frage, die kurz im Raum stand, über Reue: Es gibt Leute, die bei uns reuig abgetreten sind. Es wird immer Leute geben, die nach vielen Jahren andere Überlegungen haben, andere Wege gehen. Ich denk, für uns – und so wars für mich auch im Knast die ganze Zeit – ist entscheidend, wie sauber wir rauskommen, und entscheidend ist, daß wir mit solchen Veranstaltungen dazu beitragen, daß es wieder weitergeht und daß der Optimismus von damals eventuell zurückkehrt. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Ralf Reinders. Monika Seifert!

Monika Seifert: Also ich finds außerordentlich schwierig, weil ich diese Diskussion als sehr disparat empfunden habe, jetzt was anderes zu sagen. Vielleicht sollte ich zum Schluß doch noch mal sagen, daß dieses Auseinanderfallen der Diskussionszusammenhänge, und da würd ich dir recht geben, früher anfing; und diese Art von Gewalt, die da sich gegenseitig angetan worden ist, die lebt einfach weiter. Ich fürchte, wenn es länger hier dauern würde, daß es auch passieren würde. Ich weiß auch nicht, wie man das eigentlich ändern kann. Dieses Gefühl, man weiß es wie es richtig ist, das sich so schnell einstellt, wenn man der Meinung ist, daß man jetzt schon das Richtige gefunden hat. Ich weiß es nicht, aber ich empfinde es als bedrückend, weil das wirklich Gewaltformen sind, wie da miteinander kommuniziert wird. Ich bin ganz im Gegensatz zu den meisten, die hier auf diesem Podium sitzen, der Meinung, daß ich das nie vertreten hab, aber daß es nach dem Scheitern dessen, was wir in den letzten 20 Jahren erlebt haben, für mich eine Frage ist, die schwierig ist zu diskutieren, aber ich würd sie gerne mit den Leuten diskutieren, aber dazu muß es irgendwie die Möglichkeit geben zu sagen: Ja gut, wir sind alle infiziert, auf die ohnmächtige Art oder auf die gewalttätige. Das sind nur zwei Seiten der Medaille. Ich empfinde, daß diese ohnmächtige Seite doch sehr tabuisiert wird. Es wird dann zwar gesagt, wir sind gescheitert, aber wenn ich ganz ehrlich bin, fühlen tu ich das im Moment nicht. Ich hab eher das Gefühl, das muß man jetzt sagen… (Intervention einer Frau aus dem Publikum).

Halina Bendkowski(zu der Frau): Das letzte war nicht zu verstehen. Am Anfang hast du gesagt, daß die Jüngeren wie Du nur von dieser Ohnmachtsseite erfahren hatten und daß man das in Psychotherapien erörtern könnte; daß es jetzt darauf ankam und richtig war, den Aufbruchscharakter dieser Zeit auch mitzubekommen, ja? Also der Vorschlag von der Frau hier, der ist natürlich absolut aufzugreifen. Ihr Jungen sollt das organisieren, eine Veranstaltung, die länger ist und mehr Zeit bietet. (Heiterkeit) Jetzt dankeschön, Monika Seifert. Monika Berberich, bitte kurz!

Monika Berberich: Ich find auch, daß ein bißchen disparat diskutiert worden ist. Wahrscheinlich ist es gar nicht anders möglich, wenn nach so langer Zeit sich so viele verschiedene Leute zusammensetzen. Ich finde es schon einen großen Erfolg, daß es so gelaufen ist. Ich kann zum Schluß nur sagen: Ich gehe aus, immer noch, von der Lernfähigkeit der Menschen, von unserer Lernfähigkeit und davon, daß sich das Bedürfnis nach mehr Menschlichkeit, mehr Gerechtigkeit, nach einer Gesellschaft, die das möglich macht, durchsetzen wird, auch wenn es lange dauern wird und noch harte Kämpfe erfordert. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Monika Berberich. Johann Kresnik!

Johann Kresnik: Also grundsätzlich, ich bin gegen jede Gewalt! (Beifall, Pfiffe). Da helfen auch die Buhrufe nichts. Ich kann nichts dafür, aber wenn unschuldige Menschen irgendwo zu Tode kommen, durch irgendwelche Demonstrationen, irgendwas…(Beifall, Zurufe). Also, ein Chauffeur, der umkommt beim Attentat, ist unschuldig für mich. (Beifall) Aber ich bin der gleichen Meinung, was da schon anklang und auch rückwärts anklang, daß wir viel zu wenig Zeit haben, sowas zu diskutieren. Es müßte wirklich politisch darüber geredet werden. Auch ich, der, der von dieser Zeit kommt, steh öfters noch ganz im Unklaren, weil ich gar nicht weiß, was ist da eigentlich so richtig passiert? Ich kann nur sehen, was heute da für eine Entwicklung ist. Und ich glaube, am Theater ist es sehr wichtig, daß auch Figuren, die ja für mich im Zusammenhang mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht stehen, wichtige Leute, diskutiert werden und auch Stücke darüber von Schriftstellern gemacht werden. Ich glaube, das muß ein großer Beitrag von uns werden, wenn wir alles aufarbeiten wollen einmal. Und das Jahrtausend ist bald vorbei. Danke! (Heiterkeit, Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Johann Kresnik. Hans-Christian Ströbele!

Christian Ströbele: Diese Veranstaltung war einfach notwendig, weil wir solche Daten wie den 9. Mai 1976 und den 18. Oktober 1977, das ist der Todestag von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe in Stammheim, nicht den Medien überlassen dürfen, sondern weil wir informieren müssen, möglichst authentisch informieren müssen über das, was geschehen ist und was die Hintergründe dieses Geschehens gewesen sind. Vorhin ist hier in den Raum gestellt worden die Behauptung, sag ich mal zu Rambausek, daß 1970 bereits die APO, die Neue Linke, in die K-Gruppen abgewandert ist und die RAF sowas ähnliches gewesen ist. Ich will jetzt hier keine Geschichtsdiskussion anfangen am Ende, aber das ist nicht richtig! 1970, 1971, 1972 hat es neben diesen K-Gruppen, diesen leninistischen, maoistischen Gruppierungen, eine sehr starke undogmatische Neue Linke gegeben, die 1.000e, 5.000, 10.000 allein in Berlin auf die Straße gebracht hat und die solidarisch gewesen ist (Beifall), die weitgehend solidarisch gewesen ist in Wort und Schrift mit den politischen Ansätzen, von denen auch die RAF gekommen ist.

Das dürfen wir nicht vergessen. Und ich frage mich, wenn wir nicht nur Geschichtsaufarbeitung machen wollen, wie’s jetzt weitergeht, was wir heute für Schlußfolgerungen daraus ziehen. Versuchen wir uns doch mal vorzustellen, wir haben hier ja authentische Vertreter auch der RAF am Tisch und noch ne ganze Reihe zusätzlich im Saal: Was hätte denn Ulrike Meinhof, was hätten die andern, die sich damals zu dem bewaffneten Kampf entschlossen haben, was hätten die in unserer Situation hier heute getan? Ich denke, die große undogmatische Neue Linke 1971/72, die kann man sich heute noch als Vorbild nehmen, wenn man sich fragt etwa, ob die NATO-Tagung, die Anfang Juni hier in Berlin stattfinden soll, oder das große Spektakel des ersten öffentlichen Gelöbnisses der Bundeswehr, ob das hier in Berlin so einfach über die Bühne gehen kann und alle schweigen dazu. (Beifall) Das wäre 1972 hier nicht möglich gewesen! Auch sicherlich aus zahlreichen anderen Gründen. Aber auch deshalb, weil das die undogmatische Neue Linke nicht zugelassen hätte damals. Und ich denke, das sollten wir uns als Beispiel nehmen, und da haben wir einen Auftrag auch für die nahe Zukunft, außer Bildungsveranstaltungen auch noch was konkretes zu machen. (Beifall).

Halina Bendkowski: Noch einmal kurz Peter Rambausek.

Peter Rambausek: Ich finde das demagogisch. (Beifall, Pfiffe) Ich war selbst Teil dieser undogmatischen Linken, und natürlich waren wir noch viele, aber wenn wir aus der Geschichte lernen wollen, dann müßten wir begreifen, daß sowohl die K-Gruppen als auch die RAF Organisationsformen sind, die auch wir mitbestimmt haben, und wir müssen uns doch fragen, was ist innerhalb der Linken falsch gelaufen. Es war doch der Anfang des Auseinandergehens. Da retten uns auch nicht diese paar Aktionen, die wir gemacht haben, noch, daß die Tagung und jene Tagung und was weiß ich was nicht stattgefunden hat. Ergebnis ist, daß der Dialog unter Genossen, die ehemals zusammengearbeitet haben, daß dieser Dialog abgebrochen wurde; daß z.B.dadurch, daß die Parteien sich gebildet haben, die Basisgruppen kaputt gegangen sind, daß also der Teil, den der Ralf gemeint hat, wo wir Zugang zur Arbeiterklasse hatten, verloren gegangen ist; da kann man nicht sagen: Wir waren doch noch so stark. Also darum gehts doch gar nicht. Es geht darum, daß das der Anfang des Endes war. Und daß es jetzt vielleicht neu beginnen wird und wenn wir den Neubeginn nicht wieder so haben wollen, dann müssen wir das mitbedenken. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Peter Rambausek. Ich danke Ihnen jetzt erstmal auf jeden Fall allen hier auf dem Podium und Ihnen im Publikum, daß sie gekommen sind. Ich denke, man muß daran erinnern…die Linke hat alles falsch gemacht hat, wenn es sie nicht mehr gibt. Wenn das der Auftakt heute zu einer Veranstaltung ist, sich der Linken und gar der revolutionären Linken so zu erinnern wie das hier getan worden ist, also wenn es wieder einen Verstand dafür gibt, daß es nötig ist und notwendig ist, gegen das Rechte, was existiert, etwas Linkes wieder zu entwickeln, dann war es gut. Dann haben wir es gerne gemacht, und ich hoffe, daß Sie die Staffel weiter tragen. Und Sie haben Gelegenheit dazu eben nicht nur in Psychotherapien, sondern bei all den Veranstaltungen, die demnächst vonnöten sind. Ich danke Ihnen allen, auf Wiedersehen, guten Abend. (Beifall, Aufbruchslärm)