Veranstaltung zum 20. Todestag von Ulrike Meinhof

Am 3. Mai 1996 fand im Auditorium Maximum der TU Berlin eine Podiumsdiskussion mit Monika Berberich, Ali Jansen, Johann Kresnik, Ralf Reinders, Karl-Heinz Roth, Monika Seifert, Christian Ströbele und Klaus Wagenbach statt, die von Halina Bendkowski moderiert wurde. Wir veröffentlichen hier die Abschrift der Veranstaltung, weil sich in der Diskussion u.a. das Verhältnis von verschiedenen Segmenten der Linken zum bewaffneten Antagonismus in der BRD abbildete. Wir setzen damit unsere Reihe von historischen Dokumenten zu diesem Thema fort. Sunzi Bingfa

Halina Bendkowski: Ich möchte ich Sie alle sehr herzlich begrüßen; wir sind natürlich erstaunt und erfreut, daß Sie so zahlreich erschienen sind – zum ersten Mal wieder ein Mehr-Generationen-Treffen zu einem linken Thema. Das kann uns nur erfreuen. Ich begrüße Sie also sehr herzlich und insbesondere möchte ich die vielen ehemaligen Gefangenen aus der RAF und der Bewegung 2. Juni sowohl auf dem Podium als auch im Publikum begrüßen. Wenn Sie auch nochmal klatschen könnten… (längerer Beifall, Rufe).

Auf dem Podium links außen sitzt Hans Christian Ströbele, Anwalt mehrerer RAF-Gefangener; neben ihm Johannes Kresnik, Choreograph, der in der Volksbühne Ost ein Stück über Ulrike Meinhof inszeniert hat; daneben Monika Berberich, Ex-RAF-Gefangene, 17 1/2 Jahre in Haft; daneben Monika Seifert, die sich als „alte Freundin von Ulrike Meinhof“ etikettiert hat. Ich bin Halina Bendkowski; ich bin wahrscheinlich neben Johannes Kresnik die einzige, die Ulrike Meinhof nicht persönlich gekannt hat. Neben mir sitzt Ralf Reinders aus der Bewegung 2. Juni, 15 Jahre in Haft; daneben Klaus Wagenbach, der Verleger von Ulrike Meinhof und über Ulrike Meinhof; daneben Ali Jansen, ein Ex-RAF-Gefangener, 16 Jahre in Haft; und daneben Karl-Heinz Roth; hier ist er als Buchautor aufgeführt, aber wie ich der Lektüre entnommen habe, ist er ein Zaungast und ein intimer Mitdiskutant der RAF und auch durch viele Veröffentlichungen zur neuen Strategie der Linken bekannt.

So, also noch einmal, nachdem ich jetzt alle vorgestellt habe und Sie noch einmal applaudieren, dankeschön (Beifall), möchte ich ihnen gleich sagen, welche Schwierigkeiten mir mit dieser Veranstaltung entgegengekommen sind. Ich bin kritisiert worden von meinen feministischen Freundinnen, wie ich nur auf einem Podium sitzen kann und dann auch noch zu Ulrike Meinhof, wo nur drei Frauen beteiligt sind, ansonsten Männer (Beifall), weil ja Ulrike Meinhof auch eine Identifikationsfigur, eine Wegbereiterin der feministischen Bewegung war, wie wir heute der taz dank Ulrike Helwerth entnehmen konnten. Weshalb das so ist und die Besetzung des Podiums wird Monika Berberich erklären. Ich selbst möchte sagen, daß wir in einem „konkret“-typischen Dilemma sind. Oliver Tolmein hat es in der aktuellen „konkret“ beschrieben: Entweder wird Ulrike Meinhof als Ikone oder als Präparat für ideologische Bewältigung verarbeitet. Wir werden diesem Dilemma wahrscheinlich auch hier nicht entgehen, und dennoch ist es wichtig, daß diejenigen, die mit Ulrike Meinhof direkt zu tun hatten, mit der Wahrheit einem journalistischen Dilemma entweichen.

Im aktuellen „Freitag“ von heute ist ein Gespräch mit Renate Riemeck von Marina Achenbach, die gesagt hat, ihre Verzweiflung war unser aller Verzweiflung. Ich möchte dazu sagen, daß Ulrike Meinhof ansonsten eigentlich eine Unperson ist. Sie werden vielleicht das Munzinger-Archiv kennen, was für Journalisten die Quelle ist nachzugucken, was Menschen des Zeitgeschehens zu sagen haben oder wo sie aufzufinden sind. Ulrike Meinhof ist als einzige nicht im Munzinger-Archiv existent. Die Sorge, die ihre Tochter im Spiegel-Artikel geäußert hat, daß Ulrike Meinhof in der Stuttgarter Zeitung damals als die „negativste Symbolfigur der BRD“ gesehen worden ist, scheint absolut nicht zu stimmen, wie wir auch heute der Veranstaltung, der Quantität oder hoffentlich auch der Qualität entnehmen können (Beifall).

Es gibt auch noch einen Unterschied, den ich selber bemerkt habe. Ich bin ja politisch aktiv als Feministin, und wenn ich losgehe und Plakate kleben will, dann wollen meistens die Leute die Plakate nicht, dann sagen sie, zwischen Klo und irgend so ner Kammer kann ich die Plakate aufhängen. Diesmal war es so einfach wie noch nie, die Plakate, die ja auch sehr schön geworden sind, zu hängen; auch ganz junge Leute erkannten Ulrike Meinhof sofort und hingen andere Plakate ab, die noch nicht abgelaufen waren, und ich durfte Ulrike Meinhof überall ganz prominent plakatieren. Ich denke, daß das einiges sagt zum Bedarf, sich anders mit Ulrike Meinhof auseinanderzusetzen, als es die Medien gemacht haben und wahrscheinlich auch am 9. Mai betreiben werden. Weshalb wir also mit Realität dem zuvorkommen wollen, soll jetzt Monika Berberich erklären. Danke.

Monika Berberich.: Zunächst will ich hier kurz drauf eingehen, was Halina gerade sagte in Bezug auf Frauen. Wir haben eine ganze Reihe von Frauen angesprochen in der Vorbereitungsgruppe und haben eine ganze Menge von Absagen bekommen. Wir hätte auch gerne mehr Frauen hier auf dem Podium gehabt, es hat aber leider nicht geklappt. Die Absagen waren aus ganz unterschiedlichen Gründen, die wir auch alle respektiert haben, aber es war nicht so, daß wir uns nicht drum bemüht hätten. Ich find es selber auch schade, aber so ist es nun.

Ich wollte was dazu sagen, wie diese Veranstaltung überhaupt zustande gekommen ist. Die Idee kam aus der Überlegung von einigen von uns, ehemaligen Gefangenen vor allen Dingen, daß wir zu diesem 20. Todestag doch auch von uns aus, d.h. von denen, die mit Ulrike zusammen in der RAF und im Gefängnis gekämpft haben, an sie erinnern könnten; daß wir öffentlich über sie reden, mit unseren Erinnerungen, und es nicht den Medien, sei es den bürgerlichen, sei es den linken, überlassen. Wir haben ein paar Leute angesprochen und angefangen, diese Idee zu diskutieren. Es kam sehr schnell die Frage: Ulrike ist eine von vielen Toten aus dem bewaffneten Kampf, die anderen waren auch wichtig, weshalb werden die anderen nicht erwähnt? Wo bleiben die dann? Wir haben das diskutiert, denn das ist natürlich ein Einwand. Wir haben uns trotzdem entschieden, diesen Tag zu nehmen und an Ulrike zu erinnern, zum einen, weil sie für uns, die da diskutiert haben, ganz direkt eine sehr wichtige Funktion hatte, weil sie für uns eine Orientierung war, eine große Bedeutung hatte damals in den Anfängen der RAF, und weil diese Bedeutung korrespondiert mit der Bedeutung, die sie für die gesamte Linke hatte. Wir haben uns klargemacht, daß, wenn wir hier über Ulrike reden, allen anderen nichts abgeht, daß sie dadurch nicht irgendwie in den Schatten gestellt werden; und auch, daß wir über Ulrike nur reden können, wenn wir über die Politik reden, für die sie steht – vor ihrer Entscheidung, in die RAF zu gehen, in der RAF, im Gefängnis – und auch über die Menschen reden, mit denen sie diese Politik gemacht hat, und das wollen wir hier dann auch versuchen.

Ihre Bedeutung für uns… Ulrike war diejenige in der RAF, die die längste politische Geschichte hatte; wir, die meisten, praktisch alle Anderen, sind gekommen aus der Studentenbewegung und der APO, wir haben uns darin, also Ende der 60er Jahre, politisiert. Sie hatte eine sehr viel längere Geschichte. Sie war aktiv in der Bewegung gegen die Wiederbewaffnung, also gegen die Schaffung der Bundeswehr, gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr; sie war in der illegalen KPD; sie war weiter aktiv in der Bewegung gegen die Notstandsgesetze, im Protest gegen den Vietnamkrieg, sie hat über 10 Jahre lang als engagierte linke Journalistin gearbeitet und war bekannt, war anerkannt bis weit in bürgerliche Kreise rein; all das, diese Erfahrung hat sie mitgebracht in die RAF, als wir angefangen haben, und es war für uns enorm wichtig, daß sie diese Erfahrung weitergeben konnte; auch ihre moralische Integrität, die für uns einfach Orientierung und Beispiel war. Ich denke, da kann ich reden für alle, die sie damals mitgekriegt haben, Ali wird das sicher bestätigen können.

Wir waren dann bei unseren Überlegungen auch damit konfrontiert, daß über Ulrike bestimmte Bilder existieren. Ich will das kurz umreißen. Das ist einmal das absolut und schlechthin Böse, das ist das Bild von rechts, das für uns eigentlich relativ uninteressant ist; von da ist nichts anderes zu erwarten. Sie wird da abgetan als Kranke und Irre, die sich schließlich ihrem gerechten Schicksal selbst zugeführt hat. Sie ist für die radikale Linke die Ikone, die hehre Kämpferin, die Märtyrerin, die vom Staat umgebracht worden ist, die Kämpferin ohne Fehl und Tadel. Sie ist für die eher alte, eher reformistische Linke eigentlich eine der Ihren, die in die RAF reingestolpert ist, eigentlich diese Politik gar nicht wollte und dann in diesem Widerspruch, weil sie ihn nicht lösen konnte, den Ausweg gesucht hat, sich selbst zu töten. Das sind ungefähr, jetzt mal etwas vergröbert, die Klischees, die Bilder, mit denen wir konfrontiert sind.

Alle, die sie kannten, wissen, daß es nicht stimmt. Die haben eine ganz andere Erinnerung; ich habe eine völlig andere Erinnerung an eine Frau, eine politische Frau, einen sehr lebendigen Menschen, mit der man streiten konnte, mit der man zusammenarbeiten konnte; wir haben uns oft gestritten, wir haben viel zusammengearbeitet; es ist fast banal, es zu sagen, ja, sie war eine von uns, und real hat das Bild, was von ihr existiert, nichts zu tun mit dem, wie sie war. Trotzdem könnten wir uns hinstellen, könnten über sämtliche Medien in der BRD das verbreiten, wie wir sie kennen – ich glaube, jeder, der das sich durch den Kopf gehen läßt, merkt es, spürt es, weiß es: Es würde nichts ändern an diesem Bild. Das Bild würde nicht mal angekratzt vermutlich. Ich denke, das ist deswegen so, weil dieses Bild im Grunde gar nicht Ulrike meint, sondern es meint eine bestimmte Politik. Sie ist da, in diesen verschiedenen Versteinerungen, diesen verschiedenen Bildern, einfach ein Symbol für eine ganz bestimmte Politik, und die Existenz dieser Versteinerungen verweist meiner Meinung nach. auf die Existenz von unausgetragenen politischen Konflikten, von dem Widerspruch zwischen dieser alten linken Politik und der Politik, die die RAF versucht hat, der bewaffneten Politik – dem ungelösten Konflikt, wo mit ihrem Tod eine Situation eingetreten ist, in der er nicht mehr lösbar war oder wo das auch nicht mehr versucht worden ist; wo andere Momente in den Vordergrund gestellt worden sind.

Es ist an ihrem Tod und später auch am Tod der anderen Gefangenen in Stammheim hauptsächlich diskutiert worden, war es Mord oder Selbstmord, das hat einen enormen Stellenwert bekommen. Das ist natürlich eine wichtige Frage, ich denke aber, der Stellenwert, den sie hatte, der war falsch. Es blieb kein Raum mehr, um zu überlegen, wie war die Situation, hätte es sein können, daß sie einfach einen selbstbestimmten Schritt vollzogen hat, wie das Jan-Carl Raspe als grundsätzliche Möglichkeit ja auch kurz angedeutet hat in der allerersten Erklärung, über die nicht mehr gesprochen worden ist. Ich will das ganz klar machen, ich persönlich war damals überzeugt und bin bis heute absolut davon überzeugt, daß sie ermordet worden ist (Beifall), aber für mich hat es nicht mehr diesen Stellenwert, diese Absolutheit, d.h. ich kann mich auch mit denen an einen Tisch setzen und diskutieren, die es anders sehen, weil ich denke, wir müssen ganz anders schauen auf die Politik, die da aufgehört hat, sich auseinanderzusetzen; auf die Widersprüche, die erstarrt sind und die m.M.n. bis heute nicht gelöst sind. Ich denke, daß Ulrikes Tod eigentlich nie wirklich verarbeitet worden ist, politisch verarbeitet. Es hat keine wirkliche politische Antwort darauf gegeben, nicht von uns, also von der radikalen Linken, auch nicht von der alten Linken, von der linken Intelligenz. Es hat die persönlichen Verarbeitungen gegeben, eher schlecht als recht, aber das hat keinen politischen Ausdruck gefunden.

Die Reaktion oder die Antwort der RAF war eine militärische, nämlich der Versuch bzw. die Anstrengungen, die anderen Gefangenen zu befreien, um zu verhindern, daß sie auch umgebracht werden; es war aber keine politische Antwort. Wie die hätte aussehen können, weiß ich auch nicht, das will ich hier auch nicht vorgeben, es wäre aber das, worüber zu diskutieren wäre: Was ist in diesem Moment, was ist am Tod von Ulrike auseinandergegangen, was ist falsch und in eine Richtung gelaufen, die diese militärische Antwort, diese Zuspitzung in der Auseinandersetzung um diese Gefangenen möglich gemacht hat. Das wäre etwas, was ich hier zur Diskussion stellen möchte. Ich denke, wir sollten wieder drauf zurückkommen, diese Widersprüche auszugraben, zu gucken, worin bestanden sie eigentlich, und vor allen Dingen: Haben sie heute noch eine Relevanz?

Denn natürlich erinnern wir uns nicht an Ulrike, weil wir nur in der Vergangenheit leben oder so zum Gedenken, sondern weil wir nach vorne wollen; weil die Verhältnisse, aus denen wir uns damals entschieden haben, sie nicht zu ertragen und zu versuchen, sie grundlegend zu verändern, weil diese Verhältnisse sich im Kern nicht verändert haben. Das kapitalistische System hat sich in seinen Grundmustern nicht verändert. Die Rahmenbedingungen sind sehr anders, das wissen wir alle: Der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten usw., aber das Grundmuster: Das Kapital, das als Kapital fungieren muß mit seinen Sachzwängen und all dem, das hat sich nicht verändert. Wir wollen uns weiterhin nicht damit abfinden, und wir wollen mit all denen, die sich weiterhin nicht damit abfinden wollen, darüber in die Diskussion kommen.

Es gibt revolutionäre Politik nicht mehr als relevanten Faktor; es gibt ganz viele einzelne Ansätze, Leute, GenossInnen, Gruppen, die nachdenken, die diskutieren, die wieder versuchen, etwas in Gang zu bringen. Ich denke, es gibt auch keine Reformpolitik mehr, weil in der Krise jetzt dafür eine Basis fehlt. Eine grundlegende Veränderung gegenüber der Situation des Aufbruchs Ende der 60er ist, daß wir heute keine Perspektive mehr haben.

Deswegen haben wir ein breiteres Podium hier, deswegen haben wir breit eingeladen und hoffen, daß es möglich ist. Die Situation, wir haben das auch gesagt in den Flugblättern und Einladungen, ist so für uns: Wir gehen aus vom Scheitern der RAF, d.h. vom Scheitern des Projektes RAF, d.h. nicht nur die Letzten jetzt, die noch illegal sind, die sind gescheitert, sondern dieses ganze Projekt, wie es konzipiert war von Anfang an, nämlich sich als Stadtguerilla, als eine Metropolenguerilla zu verankern, die sich begreift als Fraktion einer linken Bewegung, die sich insgesamt zum Ziel gesetzt hat, das System umzuwälzen – dieses Konzept ist gescheitert. Das spricht nicht gegen die Einzelnen, die darin gekämpft haben, es soll auch überhaupt nichts abwerten, aber das müssen wir zur Kenntnis nehmen.

Es gibt revolutionäre Politik nicht mehr als relevanten Faktor; es gibt ganz viele einzelne Ansätze, Leute, GenossInnen, Gruppen, die nachdenken, die diskutieren, die wieder versuchen, etwas in Gang zu bringen. Ich denke, es gibt auch keine Reformpolitik mehr, weil in der Krise jetzt dafür eine Basis fehlt. Eine grundlegende Veränderung gegenüber der Situation des Aufbruchs Ende der 60er ist, daß wir heute keine Perspektive mehr haben. Wir hatten sie damals; wir haben uns begriffen als Teil des weltweiten antiimperialistischen Befreiungskampfes, der Befreiungskämpfe v.a. in den Ländern des Trikont mit einer besonderen Verpflichtung hier in den Metropolen. Es gab ja diesen Kampf; das gibts heute kaum noch; die meisten Befreiungskämpfe sind an ihre Grenzen gestoßen; diese Perspektive fehlt uns, wir müssen sie uns neu erarbeiten. Die Belastung einer ungeklärten, unbegriffenen Vergangenheit kann uns da nur hinderlich sein. Das ist für mich z.B. auch ein Moment, weshalb ich gesagt hab, wir machen diese Veranstaltung, wir fangen diese Diskussion an. Wir haben gesagt, es kann nur ein kleiner Anfang sein, aber wir wollen diese Geschichte uns wieder aneignen, wir wollen die alten Widersprüche klären, schauen, was ist noch da. Denn wenn die Politik, deren Ausdruck diese Widersprüche waren, gar nicht mehr existiert, wozu brauchen wir dann noch diese Bilder von Ulrike? Und ich sag mal, meine Idealvorstellung wäre, dass irgendwann alle Ulrike sehen können, wie sie wirklich war, als ein Mensch, der gekämpft hat, und nicht mehr in diesen Bildern. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Monika Berberich. Monika Berberich hat jetzt umrissen, worum es bei dieser Diskussion gehen soll, nur es sollte auch darum gehen. Ich würde jetzt all die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hier bitten, die Widersprüche nicht nur zu beschreiben, sondern sie auch wirklich zu benennen; also nicht nur, daß es Widersprüche gab, sondern welcher Art sie waren und sind im Rückblick. Eigentlich wollte ich jetzt erst Monika Seifert drannehmen, weil sie ja diejenige ist, die sich als Freundin und nicht unbedingt als Genossin präsentiert hat; aber Monika Berberich hat mich dazu verführt, an Karl-Heinz Roth weiterzugeben, weil Karl-Heinz Roth in einem Aufsatz ganz deutlich gesagt hat, daß diese These über Mord und Selbstmord durchaus eine große Relevanz hat für die politischen Konsequenzen daraus. Wäre es möglich, daß du jetzt sprichst?

Und von daher glaube ich, wird es möglich sein, auf die Person Ulrike Meinhof zurückzukommen, eine integrale Person, eine enorme Persönlichkeit, die, wie Monika gesagt hat, eine längere politische Geschichte hatte als wir, die über einen politischen Pazifismus gekommen war, über eine politische Staatskritik, sich neue soziale Fragen vorgelegt hat, z.B. über Frauen in Leichtlohngruppen oder über Frauen und Jugendliche in Fürsorgeheimen, und von daher einen Sprung gemacht hat, der vielleicht heute so schwer zu erklären ist; nämlich einen Sprung von der eigenen Solidarität mit einer entdeckten neuen sozialen Konstellation von unten zur eigenen persönlichen und politischen Konsequenz.

Karl-Heinz Roth: Diese Debatte hat jahrelang eine große Rolle gespielt und sie hat die Diskussionen der verschiedenen Fraktionen der illegalen und bewaffneten Linken sehr lange blockiert; ich glaube, der Linken überhaupt, nicht nur in Westdeutschland. Wir sollten vielleicht heute abend diese Frage aus diesem Grund auch erst einmal zurückstellen, weil damals Positionen gegen Positionen standen. Es gab interne Untersuchungsausschüsse der Linken, die aufzuklären versuchten, was damals 1976 geschehen war und die auch dann aufzuklären versuchten, was ein Jahr später in Stammheim passiert ist. Wir sollten, mein ich, zurückgehen auf die Vorgeschichte dieser Tragödie und sollten heute abend, und das wäre vielleicht ein erster Widerspruch oder eine erste kritische Bemerkung, vielleicht auch an die eigene Adresse, unsere eigene Adresse, davon ausgehen, daß der Tod, ob Ulrike nun durch die Repression, durch die Isolationshaft, also durch den Staat in den Tod getrieben wurde, also sich selbst getötet hat oder ermordet worden ist, daß der Tod zunächst einmal ein Zeichen der Niederlage war und daß diese Niederlage sich mehrfach wiederholt hat.

Die bewaffnete Linke der BRD, die ja nicht nur aus der RAF bestand, hat eine Niederlage erlitten, und ich glaube, es ist wichtiger, gerade in der heutigen Zusammensetzung dieser Veranstaltung über die Frage zu diskutieren: Was hat diese Niederlage bedingt, war sie unausweichlich? Welche Rolle hat der bewaffnete Kampf in den 70er Jahren innerhalb der Neuen Linken gespielt? Wie ist diese Rolle zu bestimmen? Und von daher glaube ich, wird es möglich sein, auf die Person Ulrike Meinhof zurückzukommen, eine integrale Person, eine enorme Persönlichkeit, die, wie Monika gesagt hat, eine längere politische Geschichte hatte als wir, die über einen politischen Pazifismus gekommen war, über eine politische Staatskritik, sich neue soziale Fragen vorgelegt hat, z.B. über Frauen in Leichtlohngruppen oder über Frauen und Jugendliche in Fürsorgeheimen, und von daher einen Sprung gemacht hat, der vielleicht heute so schwer zu erklären ist; nämlich einen Sprung von der eigenen Solidarität mit einer entdeckten neuen sozialen Konstellation von unten zur eigenen persönlichen und politischen Konsequenz. Und diese persönlichen und politischen Konsequenzen hat ein Teil von uns, die hier oben sitzen, und sicher auch Menschen, die hier im Saal sind, mit-erlebt. Und wir sollten darüber vielleicht heute abend sprechen.

Halina Bendkowski: Dankeschön, Karl-Heinz Roth (Beifall). Aber so darf das jetzt nicht weitergehen; jetzt müssen die Konsequenzen auch mal benannt werden. Aber zunächst möchte ich doch Monika Seifert bitten, als älteste Freundin von Ulrike Meinhof ihr Statement abzugeben.

Monika Seifert: Daß ich ihre älteste Freundin bin, das glaub ich nicht. Wir haben uns im Sommer 58 bei einer Konferenz der Anti-Atom-Ausschüsse kennengelernt. Witzigerweise haben wir damals uns und unsere beiden späteren Ehemänner auch gleichzeitig kennengelernt. Es ist so, daß ich, wenn ich an Ulrike gedacht habe in all den Jahren seit sie tot ist, aber eigentlich auch schon seit sie untergetaucht ist, immer ein Gefühl von jämmerlicher Ohnmacht hatte, gepaart mit Verzweiflung und auch Wut. Ihr Tod hat mich dann sehr depressiv gemacht, und daran hat sich auch in den 20 Jahren danach nichts geändert. Der ihr vorbehaltene Ort in meiner Seele blieb schwarz, nie konnte ich ihrer auch einmal heiter gedenken. Als ich gefragt wurde, ob ich hierher kommen würde, hab ich ohne nachzudenken einfach ja gesagt; und es war schon eine erste Erleichterung. Ich rede jetzt erst einmal über die persönlichen Sachen, weil ich denke, daß die mit der Politik etwas zu tun haben. Und dann hatte ich ein paar Tage später plötzlich die Idee: Was wäre eigentlich gewesen, wenn der Genosse Rodewald damals nicht die Polizei, sondern seine Freunde alarmiert hätte und wir die Ulrike festgenommen hätten; und zwar wirklich gedacht hätten, daß wir sie hindern müssen, d.h. diejenigen, die meinten, daß auch damals die RAF schon gescheitert war oder die von vornherein das für ein Unternehmen hielten, das zum Scheitern verurteilt war. Also wir hätten, find ich, das übernehmen müssen und wir habens nicht getan. Wir kamen nicht auf die Idee, daß wir notfalls auch mal unser eigenes Gefängnis machen müssen; mit Kindergärten konnten wir das ja. Es ist komisch, dieser Gedanke hat mich von dieser total depressiven Starre und der Unfähigkeit, irgendeinen Gedanken über dieses ganze Unglück hinaus zu haben… ich war wie befreit, als ich das gedacht habe. Es war vorher furchtbar.

Ich hab die Ulrike z.B. nie im Gefängnis besucht. Ich war nicht dazu in der Lage, weil ich gedacht hab, da trennt uns nicht nur eine Glasscheibe, wir werden auch beide nicht wissen, was wir zueinander sagen sollen. Dieser schreckliche Zustand, der hat sich plötzlich aufgelöst, und es passierte, daß ich plötzlich ganz viel Wärme für die Ulrike empfunden habe und auch eine Leichtigkeit, die wir zwei Frauen – wir waren ja junge und ziemlich ernsthafte Frauen – selten hatten. Diese Freundschaft war persönlich, aber meistens haben wir natürlich doch über Politik geredet, und über Männer schon seltener, obwohl wir das auch gemacht haben. Und wenn ich mich frage, was es war, was mich so blockiert hatte, dann denke ich, daß wir uns alle einig waren in der Kritik der repressiven Seiten des Staates. Die RAF konfrontierte uns mit einem Aspekt der Folgen von Unterdrückung, nämlich der Gewalt, nicht nur des Staates, sondern eben auch von Bürgern. Theoretisch waren wir uns alle einig, daß die Gewalt die Folge von von von von… ist. Aber praktisch gibt es Situationen, wo es nötig ist, Menschen möglicherweise auch einmal zu isolieren und sie vor sich oder auch uns vor ihnen zu schützen. An dieser Stelle hatte man die Praxis dann doch der Staatsmacht überlassen. Einzelne haben versucht, diese Institution, die die Staatsmacht dafür zur Verfügung hatte, zu verbessern. Das war auch eines der Dinge, die Ulrike, bevor sie untergetaucht ist, gemacht hat. Sie hat sich ganz intensiv um die Mädchen in den Heimen gekümmert. Wenn ich jetzt das beschriebene Gefühl zu analysieren versuche, denke ich, es liegt wahrscheinlich daran, daß ich mich auch erleichtert gefühlt habe, daß ich plötzlich nicht mehr das Gefühl hatte, ja, sie ist soweit weg, und ich bin hier. Das, was uns eigentlich verbindet, das konnte die 20 Jahre überhaupt nicht lebendig sein. Ich hab plötzlich gedacht: Ja, wir sind ja eigentlich wirklich am selben Problem gescheitert. Sie, indem sie diese Staatsmacht gewalttätig angegriffen hat, und ich, weil ich von dieser Gewalt – des Staates, aber auch von der der RAF – völlig handlungs- und denkunfähig war.

Ich weiß nicht, aber ich vermute, daß es auch anderen Leuten so gegangen ist. Ich denk, daß dies ein unaufgearbeitetes Thema ist. Was Monika Berberich gesagt hat, die Bilder, die es über Ulrike gibt, und die so weiterleben, denk ich, das ist so, weil ganz viele Menschen genau diese Angst hatten, die damals ja wirklich geherrscht hat. Die Situation ist nicht mehr so schlimm, aber dieser Teil ist, denk ich, auch immer noch ein angstbesetzter, weil wirs nie haben aufklären können. Ich denke, daß z.B. im Moment der Prozeß gegen Monika Haas ein deutliches Beispiel dafür ist. Daß es jetzt so wenig, ich will gar nicht sagen Solidarität, sondern nur rechtsstaatlichen Protest gibt gegen das, was mit Monika Haas im Moment passiert, das führ ich auf diesen Punkt zurück; erstmal denken die Leut: Es wird schon was dran sein, wenn das alle behaupten. Aber auch wenn was dran wäre, wovon ich übrigens überzeugt bin, daß das nicht so ist, auch dann wäre das, was da passiert, immer noch ein Skandal. Daß nichts passiert, das ist doch schrecklich und zeigt mir, wie wenig wir bis jetzt geschafft haben, aus dem wirklich was zu lernen. Ich hoffe, daß es hier vielleicht einen Anschub gibt, daß wir doch versuchen können, etwas offener miteinander umzugehen und es uns vielleicht gelingen könnte, das Gewaltproblem nicht auszuklammern. Ich muß gestehen, daß ich auch Schiss hab, daß das heut abend wieder so ausgeht, daß man sich nur noch anschreit. Das Gewaltproblem ist eines der wichtigen Probleme, die dieser Starre, dieser bleiernen Zeit und diesem bleiernen Gefühl gegenüber bestanden. Was damit zu tun hat, davor sollten wir uns vielleicht nicht mehr drücken, sollten es nicht immer nur irgendjemandem hinschieben.

Halina Bendkowski: Dankeschön, Monika Seifert (Beifall). Monika Seifert hat mich auf die Idee gebracht, die Gretchenfrage zu stellen. Es ist tatsächlich so gewesen vor 20 Jahren, und wahrscheinlich sind auch deswegen so viele mobilisierbar, zu einer Veranstaltung zu Ulrike Meinhof zu kommen; nämlich damals haben sich ja alle Linken und Feministinnen die Frage gestellt: Was wäre, wenn Ulrike Meinhof vor unserer Tür stünde? Die meisten von uns haben dann das Weite gesucht, aber es gab ja welche, die die Nähe gesucht haben. Genau der Unterschied scheint mir interessant zu sein, und deswegen haben wir ja auch Ex-RAFler und von der Bewegung 2. Juni eingeladen, damit die uns darüber berichten. Ich war eine derjenigen, die das Weite gesucht haben, obwohl ich wohl wie 1000 andere ihre Kolumnen vorher gelesen hatte; und nachdem, wer die alles gelesen hat, muß damals die „konkret“ ein Massenblatt gewesen sein, weil alle begeistert waren von ihren Kolumnen; aber dann haben Ulrike Meinhof und die RAF es m.M.n. allen Kritikern leicht gemacht. Das erste RAF-Papier, das uns, die wir etwas zögerlich waren, ob wir denn diese Gretchen-Frage überhaupt beantworten können, gleich so quasi als Sesselhuber bezeichnet hat, die nur über Solidarität palavern und angeben, uns so zu solidarisieren – mit dieser Sprache, mit diesem Duktus hat die RAF oder Ulrike Meinhof es m.M.n. sehr vielen von uns, also mir zumindest, leicht gemacht, mich wieder zu distanzieren. Wie war das aber, Ali Jansen, daß das bei dir anders war?

Ali Jansen: Naja, das war nicht anders, weil ich an diesem Papier mitgeschrieben oder mitdiskutiert hab, und deswegen konnte mich der Duktus dieses Papiers nicht entfernen; es war mit meine Arbeit. Also insofern ist die Frage ein bisschen, naja, sie geht an mir vorbei. (Unklarheit um die Frage, welches Papier.) Das erste RAF-Papier war natürlich … (Kunzelmann jodelt im Publikum). Kunzelmann, kannst du das vielleicht draußen machen; ich fänds besser. Oder dann sag, was du zu sagen hast, aber jetzt im Moment pfeifen ist sicher ein bißchen blöde.

Also das erste RAF-Papier ist natürlich weder 72 noch 71 geschrieben worden, sondern das, was letztendlich auch ein RAF-Papier war, ist nach der Befreiung von Andreas geschrieben worden, und in 883 hieß es: Die Rote Armee aufbauen. Ich hatte das Gefühl jetzt, du hast genau das Papier gemeint, was in 883 geschrieben worden ist. Also wie gesagt, das war unsere Diskussion damals, und das war auch die Konsequenz, die wir aus dem, ja wie soll ich sagen, Scheitern der alten Linken gezogen haben, die bis zur Selbstaufgabe legalistisch war, die die bürgerlichen Regeln und Normen zu ihren eigenen Normen gemacht hatte und die an dieser Orientierung – Verteidigung der bürgerlichen Demokratie – auch festgehalten hat, unabhängig davon festgehalten hat, als sich die Situation global und auch national sehr stark verändert hat.

Die Entwicklung in Vietnam oder wo auch immer, die ist an dieser alten Linken völlig vorbeigegangen. Sie hat ihre alte Politik weitergemacht. Das war dann ja auch der Einstieg, warum sich die APO eigentlich entwickelt hat. Da war dann nicht mehr die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie angesagt, sondern Revolution, zumindest für den radikaleren Teil der APO. Im Scheitern der APO haben wir dann versucht, auch die Inhalte der APO, die uns wichtig waren, aufzunehmen und weiterzuentwickeln. (Rufe aus dem Publikum) Ja, das kann ich dann halt eben noch sagen. Also für uns wars wichtig, uns in diesem, wie soll ich sagen, internationalen Zusammenhang auch weiter zu begreifen und zu intervenieren und auch ein Organisationsmodell zu entwickeln, das zumindest vom Versuch her so war, daß jedwede Arbeitsteilung und Hierarchie aufgehoben werden sollte. Also Emanzipation und Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit – Gudrun hat das mal „tiefempfundene Freiwilligkeit“ genannt – irgendwie nicht als Fernziele zu entwickeln, sondern wir wolltens direkt haben und auch leben. Gut, inwieweit wir da den Anspruch und Realität immer so zusammenbekommen haben, das ist dann noch ne andere Frage; aber genau das war für uns wichtig, und das haben wir, wie gut oder auch schlecht auch immer, in diesen ersten Papieren versucht auszudrücken.

Halina Bendkowski: Danke, Ali Jansen (Beifall). Weil ich etwas näher an die Unattraktivitäten auch der RAF ran will: Dieses Papier, von dem die Rede war, hat ja ein Avantgarde Verständnis, was nicht nur die alte Linke, sondern auch die neue Linke eigentlich in Diskredit gebracht hat. Jetzt frag ich Ralf Reinders von der Bewegung 2. Juni, was die Differenzen zwischen Euch und der RAF waren und ob es bei euch das gleiche Avantgarde-Verständnis gegeben hat und inwieweit ihr euch da so wohl gefühlt habt, daß ihr auf den Rest der neuen Linken auch gerne verzichtet habt?

Ralf Reinders: Ich hab jetzt hier ein paar deutliche Probleme mit all dem, was hier gesagt wurde (Beifall), weil ich bin nicht von der RAF, ich bin vom 2. Juni und gehörte von Anfang an zu den schärfsten Kritikern der RAF. Es geht, find ich, hier vieles daneben. Kunzelmann bringt die Alt-68er-Stimmung in den Saal. Ist nicht schlecht. Ich finde, alles, was hier gesagt wird, ist Zeitgeschichte, ohne den Zeitgeist rüberzubringen. Ich krieg den Eindruck, als ob wir damals durchgeknallt waren, als ob wir die waren, die aus irgendwelchen merkwürdigen Situationen heraus Aktionen gemacht haben, und das war nicht so. Es kommt hier die Stimmung nicht rüber, einfach die optimistische Stimmung, die damals herrschte…(Beifall)

Es gibt als Beispiel immer so diesen lockeren Spruch – wir saßen in Kneipen, und es kamen Leute rein, haben was getrunken, gingen wieder raus und sagten: Wir treffen uns wieder zur Revolution. Und das war vom Gefühl her genau, was die meisten Leute betraf. Ich denk, vielleicht wirds ein bischen lang, die Differenzen zur RAF aufzuzeigen. Es ging um Punkte, daß die Bewegung 2. Juni nicht den Avantgarde-Anspruch hatte und nicht den Anspruch hatte, für die Linke oder für die 3. Welt stellvertretend Aktionen durchzuführen. Wir wollten und waren, und ich denk aus den ersten Papieren der RAF, daß es auch bei ihr so war, Teil der Linken und wollten Aktionen im Zusammenhang mit der legalen Linken durchführen. Diese Diskussionen haben damals auch stattgefunden. Stattgefunden mit Personen, die sich heute von der RAF distanzieren, die sich von uns distanzieren, die uns sehr sehr sehr nahe gestanden haben, um nicht zu sagen, mit dem linken Fuß drin, mit dem rechten in ner anderen Partei.

Ulrike Meinhof hat mich fasziniert, weil sie eine von den Intellektuellen war, die sich entschlossen hatten, mehr zu machen als nur zu sprechen, zu reden, und dadurch, daß sie was getan hat, hatten ich und andere nicht mehr den Eindruck, daß wir als Arbeiterkinder von diesen Intellektuellen verheizt werden. Das, was uns damals teilweise belastet hat, unser Verhältnis zu Intellektuellen, war eigentlich immer das Gefühl, über Jahrzehnte: Die Intellektuellen sind abgesprungen; die aus den ärmeren Schichten standen etwas dümmer da, die hatten nicht so ne finanzielle Grundlage.

Was ich nochmal kurz ansprechen will, weil hier die Frauenfrage gestellt wurde – ich würde sagen, mir fehlt die Klassenfrage hier (Beifall), weil, hier sitzt, glaub ich, ein Arbeiter auf der Bühne, und die Bewegung 2. Juni und auch die RAF setzten sich personell ähnlich wie die Gesellschaft zusammen; beim 2. Juni war die Arbeiterklasse stärker vertreten (Gelächter, Beifall), die Reinickendorfer, von mir aus auch die Tegeler. Es ist so, ich bin mit Ulrike Meinhof ein Stück des Weges gemeinsam gegangen, als wir alle noch viele Unklarheiten hatten, als Theorien für mich und für andere nicht so wichtig waren, sondern vielmehr anstand, daß wir diese Situation in Deutschland oder den Krieg in Vietnam, diese Verbrechen, daß wir dem irgendwas entgegenstellen.

Ulrike Meinhof hat mich fasziniert, weil sie eine von den Intellektuellen war, die sich entschlossen hatten, mehr zu machen als nur zu sprechen, zu reden, und dadurch, daß sie was getan hat, hatten ich und andere nicht mehr den Eindruck, daß wir als Arbeiterkinder von diesen Intellektuellen verheizt werden. Das, was uns damals teilweise belastet hat, unser Verhältnis zu Intellektuellen, war eigentlich immer das Gefühl, über Jahrzehnte: Die Intellektuellen sind abgesprungen; die aus den ärmeren Schichten standen etwas dümmer da, die hatten nicht so ne finanzielle Grundlage. Ich will auch was zu dieser Mordnacht sagen. Als ich in meiner Zelle saß und diese Nachricht gehört hab, gings mir und anderen ähnlich: Es konnte sich keiner vorstellen, daß Ulrike Selbstmord gemacht hat. Auch zu dieser Nacht denke ich, daß man nicht darüber reden kann, ohne das Klima der Angst in der Bundesrepublik zu verbreiten. Diese Angst, die draußen geherrscht hat bei Leuten, die sich auf der Straße nicht bewegen konnten, weil sie permanent kontrolliert wurden, weil ihnen und ihren Kindern Maschinenpistolen ins Auto und den Kinderwagen gehalten wurden, weil Wohnungen durchsucht wurden, weil sie einfach terrorisiert wurden; weil Besucher in den Knästen terrorisiert wurden, Anwälte teilweise nicht hinkamen, nicht zugelassen wurden.

Und erst in diesem ganzen Klima gab es auch diese Möglichkeiten, so wird man es besser verstehen. Ich hab schon mal bei einer anderen Veranstaltung ausgeführt: Es gab nachweisbar konkrete Mordvorbereitungen an den Gefangenen, die wir mit der Lorenz-Aktion befreit haben. Diese Aussage hat der damalige Pastor Albertz bei uns im Prozeß getan und diese Aussage wird von den Medien total unterdrückt, seit nun fast einem Jahrzehnt. Die Gefangenen, die von uns befreit wurden, waren auf einem Flug nach Aden, wo ihre Freilassung gesichert war. Der Flug sollte laut Bestimmung – wer dafür die Verantwortung trägt, wissen wir nicht – in Äthiopien zwischenlanden, die Maschine sollte gestürmt werden, und es sollten alle, inklusive Pfarrer Albertz, umgebracht werden. Das hat er bei uns im Prozess ausgesagt, und wir wundern uns immer wieder, wieso nie Nachfragen kommen, oder wundern uns nicht.

Ich denk, bei dem, was hier jetzt so geredet wurde, geht Ulrike, und da muß ich sie einfach wieder verteidigen, es geht einfach unter, daß sie diesen sozialrevolutionären Ansatz am Anfang hatte, daß sie sich selbst als Kommunistin begriffen hat, auch wenn heute diesen Ausdruck kaum noch jemand benutzt, und daß sie nicht nur für die Studentenbewegung stand, sondern für einen Teil der Jugendbewegung. Daß gerade in den Jahren 70 – 72 wir nicht nur ganz alleine und nur isoliert dastanden, denk ich, ergaben Umfragen der Bundesregierung, wo gesagt wurde, daß 30 % der Jugendlichen bereit wären, jemand von uns aufzunehmen, wenn wir an der Tür klingeln. Und das war so. Ich hab an Türen geklingelt, andere haben an Türen geklingelt, und das waren nicht immer so die Leute, die die großen Worte geführt haben, die uns in die Wohnung gelassen haben; das waren oft Leute, die politisch nicht so bekannt waren, die unbekannt waren und die dafür teilweise in die Knäste gegangen sind. Es war auch nicht so, daß wir irgendwie das Gefühl hatten, alleine zu stehen, denn selbst in diesen komischen Studenten-Organisationen, KPD und wie sie alle hießen, war die Diskussion über bewaffneten Kampf und über die Vorbereitung einer Revolution breit angelegt.

Sie war oft so angelegt, daß wir zwar das Falsche tun, aber daß natürlich irgendwann die Frage des bewaffneten Widerstands auf der Tagesordnung steht. Oft wurde diskutiert, daß wir viel zu früh dran sind, wobei wir manchmal den Eindruck hatten, zu spät dran zu sein. Ich will auch noch ein bißchen sagen zu diesem Bruch, den Ali erwähnt hat, mit der Reform Bewegung. Ich find, es ist ein bißchen diffamierend, große Teile der Linken nur als Reform Bewegung zu bezeichnen. Die Schwierigkeit zwischen Revolution und Reform, ich denk, die hat Rosa Luxemburg schon lange dargelegt, daß es immer so ein breites Feld gibt der Betätigung zwischen revolutionären Zeiten, zwischen reformistischen Zeiten, wie man Reformen nutzt, um weiter voranzukommen; ob man sie nutzt, ob sie uns schaden. Ich finde grad in diesem Zusammenhang diesen Raum als Veranstaltungsort sehr gut, weil die Studenten hier und in Berlin schon wieder so’n bißchen dabei sind, sich zu formieren; und bevor sie sich richtig formiert haben, möchte ich sie nicht als reformistisch bezeichnen, sondern ihnen erst die Möglichkeit der Entwicklung geben, und dann diskutieren wir darüber (Beifall).

Halina Bendkowski: Du erinnerst mich gleich, bei wem ich mich noch zu bedanken habe für die Vorbereitungsgruppe. Der AStA hat es organisiert, daß wir hier in diesem historischen Raum wieder tagen konnten. Das ist ja der Raum, wo damals die Vietnamkonferenz stattgefunden hat. Dankeschön also dem aktuellen AStA. Jetzt möchte ich gerne Klaus Wagenbach befragen, der das Buch herausgegeben hat von Peter Brückner: Ulrike Meinhof und die deutschen Verhältnisse. Das Buch zu lesen ist übrigens sehr empfehlenswert, weil ich glaube, daß sowohl Junge als auch Alte sich nochmal an die Zeiten erinnern können, die Peter Brückner sehr dezidiert herausgearbeitet hat; Peter Brückner, das will ich zitieren, dann an Klaus Wagenbach übergeben, hat von dem Amoklauf der Abstraktion geredet. Den Menschen, die hier auf dem Podium sind, hab ich vorher angedroht: Sollten sie wieder im Amoklauf der Abstraktionen weglaufen wollen, würde ich ihnen hinterherrennen, weil das nicht geht, es bei dieser Veranstaltung dabei zu belassen. Ralf Reinders hat es aber schon sehr konkretisiert, und jetzt bitte ich um eine intellektuelle Kritik von Klaus Wagenbach dazu, um die Intellektuellen nicht zu sehr zu denunzieren.

Klaus Wagenbach: Mal sehen, ob ich dafür der Richtige bin. Was man vielleicht vorher erklären muß ist, daß Ulrike Meinhof wie auch Monika Seifert wie auch ich einer etwas älteren Generation angehörten als es damals die Studenten waren. D.h. wir hatten alle schon bestimmte politische Erfahrungen, die weit vor 1968 lagen, 1966, Erfahrungen, die z.T. noch in der Nazizeit wurzelten und besonders aber in den 50er Jahren. In den 50er Jahren, nur zur Erinnerung, waren die Studenten keineswegs links, sondern rechts, und der SDS, dem ich damals angehörte wie Ulrike auch, das war ein Häuflein von wenigen Leuten; meistens übrigens Naturwissenschaftler, die Geisteswissenschaftler kamen erst später (Heiterkeit). Während es später z.B. bei einer solchen Versammlung – ich erinnere mich sehr gut an die Vietnamveranstaltung – üblich war, daß, wenn Mikrofone ausfielen, 500 Geisteswissenschaftler fragend sich umsahen: Weiß hier jemand mit Mikrofonen Bescheid?, war das in den 50er Jahren anders. Da konnte man sofort so ein Mikrofon reparieren.

Ulrike hatte in dieser Generation, der etwas älteren, eine außerordentliche Fähigkeit, das ist ja auch schon gesagt worden; nicht nur eine Formulierungfähigkeit, eine Spachfähigkeit, sondern auch eine Fähigkeit, bestimmte Sachverhalte zuzuspitzen, so auf einen Punkt hinzuführen, daß die Entscheidung erleichtert wurde. Das war ihre große Wirkung, und das war der Grund dafür, daß die Zeitschrift, in der sie schrieb, „konkret“, eine gewaltige, heute ganz unvorstellbare Auflage für ein linkes Blatt von 200- bis 250.000 Exemplaren hatte und praktisch an jedem Bahnhof, auch in Gießen an der Lahn, verkauft werden konnte. Das war wichtig für die Mobilisierung überhaupt der Linken. Sie hatte auch das Talent, nicht nur Dinge zuzuspitzen, sondern die Linke zu vereinen, sie zusammenzuführen. Es war das eigentliche Problem in der Mitte der 60er Jahre, bestimmte Dinge bekannt zu machen. Sie dürfen nicht vergessen, daß z.B. bis 1968, bis es hier in diesem Saal durchbrochen wurde, Vietnam ein vollständiges Tabu war.

Einer der wenigen, der dieses Tabu durchbrochen hat, war zwei Jahre zuvor Erich Fried gewesen mit seinem Gedichtband „Und Vietnam und“, und eben auch Ulrike, die schon sehr früh diesen berühmten Text geschrieben hat: „Vietnam und die Deutschen“. Das war die Vorbereitung; das Wort „Gegengewalt“ taucht zum ersten Mal 1968 auf, und zwar im Zusammenhang mit der Universität. Es handelt sich um einen berühmten Text von Ulrike Meinhof über „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren“. Ich wollte Ihnen eigentlich dieses Stück vorlesen, was außerordentlich prägnant ist und die Wut und die Verärgerung der Studenten formuliert darüber, daß ihnen das Wort abgeschnitten wurde. Es war das Versprechen von Thielecke und anderen, daß die Studenten hinterher diskutieren dürften, und dann marschierten die Herren wieder raus und ließen das Orchester spielen, und die Studenten sahen sich um die Diskussion betrogen; das war ein ganz entscheidender Punkt in der Mobilisierung.

Ich blieb in Kontakt mit Ulrike Meinhof. Es ging dann sehr schnell, dieser Aufsatz ist 1968, und 1970 im Mai ging sie bereits in den Untergrund. D.h. es zeigte sich in diesen zwei Jahren zweierlei: Erstens war diese Mauer offensichtlich undurchbrechbar. Sie dürfen nicht vergessen, es handelte sich um die Gesellschaft der Adenauer-Zeit, eine unbelehrbare Nazihorde, die sicher saß, ein Bürokraten Pack allererster Ordnung, mit dem man überhaupt nicht reden konnte, das auch gar nicht diskutierte. Es war eine sehr schwerwiegende Erfahrung für die Studenten damals, dieses Nicht-Reden. Die älteren waren etwas gewappnet, weil sie’s schon länger kannten. Es wurde von den Studenten damals im Widerspruch zu ihren Eltern, zu diesen schweigsamen Elternhäusern, eine Zivilcourage abgefordert, die sich viele heute nicht vorstellen können. Das waren diese schweigenden Elternhäuser des sog. deutschen Wirtschaftswunders, und das forderte ein großes Maß an Zivilcourage. Diese Zivilcourage, d.h. der persönliche Mut, einzeln aufzutreten, das waren oft einzelne Studenten, einzelne Schüler, die vereinzelt kämpfen mußten und sich erst dann zu Gruppen zusammenschließen konnten, dieser Mut wurde dann abgerufen: von der KPD-ML, von den maoistischen Organisationen und in Teilen auch von der RAF.

Ulrike Meinhof kam dann im Mai zu mir, am 13. Mai, einen Tag vor der Befreiung; sie hat gesagt, wir machen jetzt einen Vertrag, damit Baader rauskommt; hab ich natürlich sofort eingesehen, Gefangenenbefreiung ist immer gut (Heiterkeit, Beifall). Wir haben diesen Vertrag gemacht über die Ausführung von Baader. Trotzdem hab ich Ulrike gesagt, leider vergeblich: Geh nicht mit. Bleib das was du bist und was du kannst. Es ist mir nicht gelungen, sie zu überzeugen, und wie einige von Ihnen ja wissen, blieb ich natürlich in Kontakt mit der RAF und habe dann nochmal versucht… dies zum Gefängnis, was Monika (Seifert) gesagt hat; ich habe einen anderen Weg versucht, leider vergeblich. Ich hatte einen fertigen Fluchtplan; es ist mir leider nicht gelungen, sie zu überzeugen zu fliehen, und so kam es, daß sie wenige Wochen später verhaftet wurde. Wenige Wochen vor ihrer Verhaftung war ich in Hamburg noch, um sie zu überzeugen, aufzugeben. Es ist mir nicht gelungen. So, ich kann noch viel erzählen, ich hör hier mal auf…

Halina Bendkowski: Dankeschön, Klaus Wagenbach (Beifall). In dem Buch könnt ihr vieles nachlesen (Heiterkeit, Beifall), u.a. etwas, was durch ein Beispiel die Ausführungen von Klaus Wagenbach kenntlich macht. Ihr kennt alle Joachim Fest, der früher mal Panorama-Chef war; er ist später Herausgeber der FAZ gewesen und dann Hitler-Biograph. Als der 1976 eine kritische Sendung hat machen wollen zur Notstandsgesetzgebung, ist er entlassen worden wie vor ihm Kogon und Proske. Ich finde das deswegen erwähnenswert, weil das wirklich das Klima, was Klaus Wagenbach beschrieben hat, kenntlich macht.

Ich hab in einem Text von Karl-Heinz Roth gelesen, daß man mit Mythen keine revolutionäre Politik machen kann. Es werden ja die Mythen, die existieren über Ulrike Meinhofs Einstieg in die RAF, ob freiwillig oder nicht freiwillig, immer ganz nach Anschauung oder ganz nach der Person dargelegt. Es ist sehr kompliziert, irgendwie eine Form von Wahrheit da herauszudestillieren; aber das sag ich jetzt nur bei Mythen und weil Karl-Heinz Roth sagt, daß man damit keine Politik machen kann und Johann Kresnik ja mit dem Mythos Ulrike Meinhof Karriere auf einer Tanztheater-Bühne gemacht hat. Ist das erlaubt, Herr Kresnik?

Johann Kresnik: Auch wir im Theater wollten in den 60er, 70er Jahren natürlich politisch denken (Heiterkeit), aber das war nicht so einfach, da wir genau die gleichen Holzköpfe im Theater hatten, die noch von der Nazizeit übriggeblieben sind; die wollten politisch überhaupt nicht arbeiten, und uns ging der ganze Theaterbetrieb in den 60er Jahren schon ein bißchen auf die Socken. In den 70er Jahren hab ich versucht schon Theater zu machen, was ein bißchen links angehaucht ist. Es wurde sofort verboten. Die Stadt Heidelberg, die Politiker, die Parteien und der Intendant haben gesagt, es kommt nicht in Frage. Ich hatte Verbindungen zu Peter Paul Zahl, der mir ein Stück schreiben wollte – verboten. 70er Jahre, Ende 70er, 80er Jahre war das Gespräch über Bambule. Die Stadt Heidelberg hat es sofort abgelehnt, daß wir überhaupt sowas am Theater bringen. Es gelang mir erst in den 80er Jahren, darüber nachzudenken, ob wir Theater jetzt über einen Mythos Ulrike Meinhof machen können. Es war sehr schwierig.

Das war eigentlich meine Antwort auf den Fall der Mauer. Auch die Stadt Bremen hat gesagt: Nein. Der Intendant hat gesagt: Nein. Darauf hab ich gesagt: Wenn ich das nicht machen darf, dann geh ich vom Theater weg von Bremen. Mit viel Widerstand ging es. „Ulrike Meinhof“ hat dann im Prinzip einen sehr großen Erfolg gehabt. Was das Erstaunliche war: Nach den Vorstellungen gab es unglaublich viele Diskussionen mit Schülern, mit Studenten, mit Arbeitern, mit älteren Leuten v.a. über die gesamte RAF-Entwicklung, was da alles passiert ist. Es kam mir so etwas vor, wie ich in den 50er, 60er Jahren in die Schule ging in Österreich und nichts gehört hab von der Nazivergangenheit. Keiner von uns wußte, was eigentlich los war. Genauso kam es mir mit der RAF vor. Der Pförtner beschimpfte meine Mädchen, die Tänzerinnen, was für ein Schweinestück die da machen: Die Ulrike Meinhof mit der Kalaschnikow. Und die Mädchen kamen zu mir, da es meistens Amerikanerinnen, Engländerinnen oder Französinnen waren: Ja, warum ist denn die so gehasst, diese Ulrike Meinhof? Bis wir dann zur Diskussion kamen, ich anfing mit Proben und sich die Älteren im Haus, im Theater, auch dafür interessierten: Was macht denn der da fürn Schweinkram?

So ist eine Entwicklung entstanden, eine politische Entwicklung im Tanztheater, wie sie vielleicht Kurt Joos vor vielen Jahren, in den 30er Jahren hatte mit dem „Grünen Tisch“. Und es sehen heute noch Leute nicht gerne, daß man Tanztheater oder überhaupt Theater macht, was politisch engagiert ist. Aber ich denke nicht daran, darüber nachzudenken, weil ich nämlich auch die Einstellung habe, daß Theater wieder politischer werden muß und mitdenken muß und nicht in der Zeit stehen bleiben darf (Beifall). Ich glaube, daß dieses Stück „Ulrike Meinhof“ sehr viel ausgelöst hat, genau wie dieses Stück, was ich jetzt am Schauspielhaus in Hamburg bringe, „Pasolini“. „Pasolini“ ist genauso gefürchtet und gehasst von irgendwelchen Leuten. Ich weiß zwar nicht warum, er ist für mich einer der großen Schriftsteller und Denker gewesen, über seine gesamte politische Einstellung; immerhin war Pasolini einer der ersten in den 60er Jahren, der gesagt hat, der neue Faschismus ist der Konsum… (Halina: …aber wir reden über Ulrike Meinhof.) Ich wollte nur etwas in die Richtung sagen, daß Pasolini gesagt hat: Der neue Faschismus ist der Konsumterror (Beifall). Und ich glaube, das Gefühl, am Theater politisch zu denken, muß weitergehen. Danke. (Beifall)

Halina Bendkowski: Dankeschön, Johannes Kresnik. Ja, jetzt last not least Hans Christian Ströbele; überall dabei und immer noch dabei (Heiterkeit, Beifall), was meine absolute Hochachtung abverlangt; er gehört ja nicht zu denen, die irgendwie Schlustriche gezogen haben auf Kosten seiner selbst oder anderer. Hans Christian Ströbele, wie bist du zu den Grünen nach all den RAF-Erfahrungen gekommen? (Heiterkeit, Beifall)

Christian Ströbele: Also die Frage beantworte ich gleich am Ende. Ich will zunächst was anderes sagen. Vor 20 oder 30 Jahren war ja hier in diesem Saal vieles anders, übrigens auch die Akustik; damals konnte man sich sehr viel besser verständlich machen. Ich war immer in einer Doppelrolle und konnte wegen der Inhaftierung der Leute aus der RAF und der Bewegung 2. Juni und den anderen militanten Gruppen eigentlich bei solchen Veranstaltungen immer nur der Rechtsanwalt sein, der Verteidiger, weil die saßen ja im Gefängnis, und von mir erwartete man, daß ich nun sage, was die meinen, was die für richtig halten, wie die sich fühlen, wie’s ihnen geht usw..

Nun sind wir hier heute gottseidank, hat lange genug gedauert, in der Situation, daß wir die Betroffenen, die Personen, die Akteure, die Frauen und Männer selber hier auf dem Podium haben. Ich denke, das ist ein Fortschritt, aber wir sollten eben nicht vergessen: Da stehen, wenn ich das richtig zähle, etwa zwölf Namen – die gehören hier auch noch hin, auf das Podium zur Diskussion. (Beifall) Hanna Krabbe, Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und die anderen, weil, und das ist auch meine Frage oder auch ne provozierende Frage, die ich an die, die schon hier sind, dann zu stellen habe, die ja all die Zeit nicht gestellt werden konnte, wenn ich dann meine Rolle als Anwalt heute endlich aufgeben darf.

Ich bin nur beauftragt, und das ist dann mein letzter Satz als Rechtsanwalt, von Andreas Baader zu sagen zu diesem Thema: Wenn jemand behauptet, ich bin auf der Flucht erschossen worden oder irgendeiner von uns ist auf der Flucht erschossen worden, dann glaubt das nicht. Das war der Auftrag, der mir als Anwalt von Andreas Baader gegeben worden ist, nach außen zu tragen.

Ich will nur noch eins sagen zu der Frage, die ja auch angesprochen worden ist: Was ist in dem Gefängnis Stuttgart-Stammheim passiert, 1976, Oktober 1977? Das bin ich natürlich auch immer gefragt worden. Alle dachten, der muß das ja wissen, der kennt sich in der Justiz aus, der kennt die Richter, die Staatsanwälte, und der kennt die Gefangenen, der muß es wissen. Ich kann nur sagen: Ich weiß es auch nicht. Ich bin nur beauftragt, und das ist dann mein letzter Satz als Rechtsanwalt, von Andreas Baader zu sagen zu diesem Thema: Wenn jemand behauptet, ich bin auf der Flucht erschossen worden oder irgendeiner von uns ist auf der Flucht erschossen worden, dann glaubt das nicht. Das war der Auftrag, der mir als Anwalt von Andreas Baader gegeben worden ist, nach außen zu tragen. (Beifall).

Wir haben als Rechtsanwälte, als politische Verteidiger, als politische Anwälte immer diese Doppelrolle gehabt. Ich war auch beteiligt, ja auch mit Monika Berberich, 1967, 1968 bei den vielen politischen Aktionen hier in der Stadt, hier in dem Raum auch. Ich weiß deshalb, was vielleicht die Frage erklärt, die Monika Seifert in den Raum gestellt hat: Warum haben du oder andere Ulrike Meinhof nicht festgenommen oder gehindert, das zu tun, was sie getan hat? Das erklärt sich aus der Situation von 1968/69, 1970. Wir waren der Meinung, ich auch, es gibt eine revolutionäre Situation in Berlin-West und in der Bundesrepublik. Wir waren fest dieser Auffassung, Und nicht nur die, die dann tatsächlich den militanten Kampf, den bewaffneten Kampf angefangen haben, waren der Meinung, es geht mit Demonstrationen, Sit-ins und Ähnlichem nicht mehr weiter. Da ist man an einer Grenze angelangt. Die Grenze wurde sichtbar an einer großen Demonstration am 4. November 1969, die sog. Stein-Schlacht am Tegeler Weg; da wurde deutlich, da wurde gesagt, es geht so nicht weiter, wir müssen neue Formen des Kampfes, des politischen Widerstandes entwickeln und praktizieren.

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