Stadtplanung – und Architektur im Fokus des Bundeskriminalamtes [Häuserkampf und Klassenkampf Part 5]

Napoleon ll. ernannte Georges-Eugène Baron Haussmann 1853 zum Präfekten von Paris, um die Stadt zum einen zu einer repräsentativen Metropole umzugestalten, aber auch um die Stadt in ihren Grundrissen leichter nutzbar für das Vorgehen von Regierungstruppen gegen Aufständische umzugestalten. Etliche Viertel wurden geschliffen, es entstanden bis heute bestehende Sicht – und Verbindungsachsen, die diesen Vorgaben entsprachen. Die Möglichkeit der Niederschlagung der Pariser Commune 1870/71 war unter anderem auch diesem Umstand geschuldet. Die Kontrolle von Bevölkerungsgruppen durch Architektur ist seitdem eingeschrieben in die modernen Herrschaftsverhältnisse, die Berliner Polizei beschäftigt z.B. eigene Architekt*innen die sich mit genau diesem Instrumentarium von sozialer Kontrolle und Aufstandsbekämpfung befassen. Wir veröffentlichen deshalb an dieser Stelle einen Text von 1980 aus der ‘Autonomie – Materialien gegen die Fabrikgesellschaft / Neue Folge No 3’. Veröffentlicht auch deshalb weil darin auch das Verhältnis zu und die Rolle der Linken in diesen Prozessen angesprochen wird, was gerade angesichts der sozialen Kontrolle im Pandemie Ausnahmezustand hochaktuell ist. Wir haben den Artikel etwas bearbeitet, da er nur als PDF der Originalausgabe vorliegt. Alle Ausgaben der ‘Autonomie’ liegen online im PDF Format hier vor. Wir haben die Fußnoten des Artikels weitgehend gestrichen, weil der Zugang zu den Quellen mittlerweile größtenteils schwierig bis unmöglich sein dürfte. Wir setzen damit unsere Reihe ‘Häuserkampf und Klassenkampf’ fort. Sunzi Bingfa

Aus dem Vorwort der Autonomie:

Die Fronten des Stadtkampfes, in den altstädtischen Quartieren und in den neugebauten Massenlagern, sowie die Rolle der Linken sind also gegenwärtig neu zu bestimmen. Dass das Bundeskriminalamt mehr Interesse am Ghetto und seiner spezifischen Kriminalität als an den Projekten und Kämpfen der Linken in den Vierteln hat, überrascht nicht. Wie es scheint, wird die Kontrolle der Städte durch baulich-strukturelle Maßnahmen der Durchmischung der Sozialstruktur und der Vertreibung, durch Konzepte der Selbstkontrolle der Bewohner und durch Formen präventiver polizeilicher Sozialarbeit heute ergänzt durch die Differenzierung des sozialen Randes selbst: die linken, akademisch qualifizierten Jobberschichten, denen die Rückkehr in den Schoß des Mittelstandes nicht mehr gelingt und die noch nicht von den neu zusammengesetzten Arbeitsmärkten aufgesogen sind, übernehmen auf dem Wege von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder in sozialarbeiterischer Eigeninitiative die Zulieferung von software-Technikern im Umgang mit Asozialität und den Kontakt zu den Opfern staatlicher Planung. Es ist immer dringlicher, die Frage nach der Identität der Subjekte zu stellen, die in den neuen Massenquartieren leben und immer zahlreicher leben werden. Gibt es hinter der Jugenddelinquenz, hinter der Selbstzerstörung, der Bandenbildung eine Widerstandslinie, die sich die Selbstbestimmung durch Zerstörung der Kontrollinstrumente und der verordneten Kommunikationswege zurückerobern könnte? Wird sich in den Ghettos der 80er Jahre eine neue sozialrevolutionäre Bewegung entwickeln? Werden ihr die Linken als Sozialpädagogen oder als Kampfgenossen begegnen? Wir haben uns gefragt, ob es überhaupt eine Möglichkeit der nicht-sozialarbeiterischen Strategie und Intervention der Linken in der Stadt gibt. Die Antwort lautet in den Artikeln des vorliegenden Heftes unterschiedlich; die Konzeption des Heftes ist nicht bruchlos. Aber es ist wichtig genug, die Fronten zu kennen und zu wissen, was noch ins Planungskonzept paßt und was nicht, welche Stadtteilkämpfe in einen Beitrag zur Modernisierung umschlagen usw. Die Gegenstrategie müßte darauf eingerichtet sein, jede Stadtplanung zu sabotieren und die Entscheidung darüber, wer wo wohnen und leben dar, zurückzufordern.

Städtebau und Kriminalität” – Symposion des Bundeskriminalamtes

Christiane schildert Erfahrungen aus der Gropiusstadt in Berlin (a):

So mit zehn fing ich auch an zu klauen. Ich klaute in den Supermärkten. Sachen, die wir sonst nicht bekamen. Vor allem Süßigkeiten. Fast alle anderen Kinder durften Süßigkeiten essen. Mein Vater sagte, von Süßigkeiten bekäme man schlechte Zähne. Man lernte in Gropiusstadt einfach alles automatisch zu tun, was verboten war. Verboten zum Beispiel war, irgend etwas zu spielen, was Spaß machte. Es war überhaupt eigentlich alles verboten. An jeder Ecke steht ein Schild in der Gropiusstadt. Die sogenannten Parkanlagen zwischen den Hochhäusern, das sind Schilderparks. Die meisten Schilder verbieten Kindem natürlich irgend etwas. Ich habe die Sprüche auf den Schildern später mal für mein Tagebuch abgeschrieben. Das erste Schild stand schon an unserer Eingangstür. Im Treppenhaus und in der Umgebung unseres Hochhauses durften Kinder eigentlich nur auf Zehenspitzen rumschleichen. Spielen, toben, Rollschuh- oder Fahrradfahren – verboten. Dann kam Rasen und an jeder Ecke das Schild: “Den Rasen nicht betreten.” Die Schilder standen vor jedem bißchen Grün. Nicht einmal mit unseren Puppen durften wir uns auf den Rasen setzen. Dann gab es da ein mickriges Rosenbeet und wieder ein großes Schild davor: “Geschützte Grünanlagen”. Unter diesem Hinweis war gleich ein Paragraph aufgeführt, nach dem man bestraft wurde, wenn man den mickrigen Rosen zu nahe kam. Wir durften also nur auf den Spielplatz. Zu ein paar Hochhäusern gehörte immer ein Spielplatz. Der bestand aus verpißtem Sand und ein paar kaputten Klettergeräten und natürlich einem Riesenschild. Das Schild steckte in einem richtigen eisernen Kasten drin, unter Glas, und vor dem Glas waren Gitter, damit wir den Quatsch nicht kaputt schmeißen konnten. Auf dem Schild stand also “Spielplatzordnung” und darunter, dass die Kinder ihn zur „Freude und zur Erholung benutzen“ sollten. Wir durften uns allerdings nicht .. “erholen“, wann wir gerade Lust hatten. Denn was dann kam war dick unterstrichen: „… in der Zeit von 8 bis 13 Uhr und 15 bis 19 Uhr.“ Wenn wir also aus der Schule kamen, war nichts mit Erholung. Meine Schwester und ich hätten eigentlich gar nicht auf den Spielplatz gedurft, weil man dort laut Schild „nur mit Zustimmung und unter Aufsicht des Erziehungsberechtigten“ spielen durfte. Und das auch nur ganz leise: „Das Ruhebedürfnis der Hausgemeinschaft ist durch besondere Rücksichtnahme zu wahren.“ Einen Gummiball durfte man sich da gerade noch artig zu werfen. Ansonsten: „Ballspiele sportlicher Art sind nicht gestattet.“ Kein Völkerball, kein Fußball. Für die Jungens war das besonders schlimm. Die ließen ihre überschüssige Kraft an den Spielgeräten und Sitzbänken und natürlich an den Verbotsschildern aus. Es muß einige Kohle gekostet haben, die kaputten Schilder immer wieder zu erneuern.

Über die Einhaltung der Verbote wachten die Hauswarte. Ich hatte schon ziemlich schnell bei unserem Hauswart verschissen. Nach unserem Umzug in die Gropiusstadt langweilte mich der Spielplatz aus Beton und Sand mit der kleinen Blechrutsche schon wahnsinnig. Da fand ich dann doch noch etwas Interessantes. Die Gullys im Beton, durch die das Regenwasser abfließen sollte. Damals konnte man das Gitter über dem Abfluß noch abheben. Später machten sie es dann fest. Ich hob also das Gitter ab und warf mit meiner Schwester allen möglichen Mist in den Gully. Dann kam der Hauswart, griff uns und zerrte uns in das Büro der Hausverwaltung. Da mußten wir beide, sechs und fünf Jahre alt, unsere Personalien angeben. So gut wir das schon konnten. Meine Eltern wurden benachrichtigt, und mein Vater hatte einen guten Grund zum Prügeln. Ich begriff noch nicht so ganz, warum das so schlimm war, den Abfluss zu verstopfen. ln unserem Dorf am Bach hatten wir ja ganz andere Sachen gemacht, ohne daß je ein Erwachsener gemeckert hätte. Ich begriff aber so ungefähr, daß man in Gropiusstadt nur spielen durfte, was von den Erwachsenen vorgesehen war. Also rutschen und im Sand buddeln. Daß es gefährlich war, eigene Ideen beim Spielen zu haben ….

Bei Regen zwischen den Hochhäusern rumzuhängen, macht echt keinen Spaß. Wir mußten uns schon etwas einfallen lassen. Etwas, was wahnsinnig verboten war. Das gab es auch: mit den Fahrstühlen spielen. Zunächst ging es natürlich darum, andere Kinder zu ärgern. Da griffen wir uns ein Kind, sperrten es in einen Fahrstuhl und drückten alle Knöpfe. Den anderen Fahrstuhl hielten wir fest. Dann mußte der bis zum obersten Stockwerk hochjuckein mit einem Halt in jedem Stockwerk. Mit mir haben sie das auch oft gemacht. Gerade wenn ich mit meinem Hund zurückkam und rechtzeitig zum Abendbrot zu Hause sein mußte. Dann haben die alle Knöpfe gedrückt, und es dauerte eine elend lange Zeit, bis ich im elften Stock war, und Ajax wurde dabei wahnsinnig nervös. Gemein war es, jemanden alle Knöpfe zu drücken, der hoch wollte, weil er mußte. Der pullerte am Ende in den Fahrstuhl. Noch gemeiner allerdings war es, einem Kind den Kochlöffel wegzunehmen. Alle kleinen Kinder gingen nur mit einem Kochlöffel nach draußen. Denn nur mit einem langen hölzernen Kochlöffel kamen wir an die Fahrstuhlknöpfe ran. Ohne Kochlöffel war man also total aufgeschmissen. Wenn man ihn verloren hatte oder andere Kinder ihn weggenommen hatten, konnte man elf Stockwerke zu Fuß hoch latschen. Denn die anderen Kinder halfen einem natürlich nicht, und die Erwachsenen dachten, man wolle nur im Fahrstuhl spielen und ihn kaputt machen. Die Fahrstühle waren oft kaputt, und daran waren wir nicht schuldlos. Wir machten nämlich auch richtige Wettfahrten mit den Fahrstühlen. Die fuhren zwar gleich schnell, aber es gab einige Tricks, mit denen man ein paar Sekunden einsparen konnte. Die äußere Tür mußte man schnell, aber mit viel Gefühl zu machen. Denn wenn man sie zu heftig zuschlug, ging sie noch einmal wieder ein Stück auf. Die Sicherheitstür ging automatisch zu, aber wenn man mit den Händen nach half schloß sie schneller. Oder ging auch mal kaputt. Ich war ziemlich gut im Fahrstuhl-Wettfahren. Unsere 13 Stockwerke reichten uns schon bald nicht mehr. Außerdem war uns natürlich der Hauswart ständig auf den Fersen. Das Pflaster wurde also immer heißer in unserem Haus. Das Betreten anderer Häuser war aber für Kinder streng verboten. Wir kamen da auch nicht rein, weil wir keinen Hausschlüssel hatten. Aber es gab immer einen zweiten Eingang. Für Möbel und irgendwelche großen Gegenstände. Der war mit einem Gitter abgesperrt. Ich fand heraus, wie man durch das Gitter kam. Mit dem Kopf zuerst. Es war richtig trickreich, wie man den Kopf drehen musste, um durchzukommen. Den Körper quetschten wir dann irgendwie durch. Nur die Dicken konnten nicht mit. Ich habe uns so den Weg in ein richtiges Fahrstuhl-Paradies geöffnet. ln ein Haus mit 32 Stockwerken und unheimlich raffinierten Fahrstühlen. Da entdeckten wir dann erst, was man mit Fahrstühlen alles machen kann. Besonders gern haben wir hopsen gespielt. Wenn alle zusammen während der Fahrt hochsprangen, blieb das Ding stehen. Die Sicherheitstür ging auf. Oder die Sicherheitstür ging erst gar nicht zu. So eine Hopse-Fahrt war jedenfalls eine ziemlich spannende Sache. Dann ein sensationeller Trick: Wenn man den Schalter für die Notbremse nicht nach unten, sondern zur Seite drückte, dann blieb die Sicherheitstür auch während der Fahrt auf. Da merkte man erst, wie schnell die Dinger fuhren. ln einem irren Tempo sausten Beton und Fahrstuhltüren an uns vorbei. Die schärfste Mutprobe war es, den Alarmknopf zu drücken, Dann ging eine Klingel los, und die Stimme des Hauswarts kam durch einen Lautsprecher. Dann hieß es türmen. ln einem Haus mit 32 Stockwerken hat man eine gute Chance, dem Hauswart zu entkommen. Der lag sowieso immer auf der Lauer, erwischte uns aber selten.

Das spannendste Spiel bei schlechtem Wetter war das Keller-Spiel. Das war auch das verbotenste. Wir haben irgendwo einen Weg in den Hochhaus-Keller gefunden. Da hat jeder Mieter eine Box aus Maschendrahtgitter. Die Gitter gingen nicht bis zur Decke. Man konnte also oben rüberklettem. Da haben wir dann verstecken gespielt. „Verstecken mit alles“ hieß das. Das war wahnsinnig gruselig. Es war an und für sich schon unheimlich zwischen all dem fremden Kram in ziemlich schummrigem Licht. Dazu kam die Angst, daß jemand kommen könnte. Wir ahnten ja, daß wir so ungefähr das Verbotenste überhaupt machten. Dann haben wir auch gespielt, wer die tollsten Sachen in den Verschlägen fand. Spielsachen, Trödelkram oder Kleider, die wir uns anzogen. Nachher wußten wir natürlich nicht mehr so genau, wo wir den Kram herhatten, und schmissen ihn einfach irgendwo rein. Manchmal ließen wir auch was ganz Tolles mitgehen. Natürlich kam es raus, daß da unten jemand „eingebrochen“ war. Aber uns schnappten sie nie. So lernte man also ganz automatisch, daß alles, was erlaubt ist, unheimlich fade ist, und daß das Verbotene Spaß bringt. Das Einkaufszentrum, das unserem Haus gegenüber lag, war für uns auch mehr oder weniger verbotenes Viertel. Da war ein ganz wilder Hauswart, der uns immer verscheuchte. Am wildesten war er, wenn ich mit meinem Hund in die Nähe kam. Er sagte, wir machten den ganzen Dreck im Einkaufszentrum. Es war wirklich stinkig da, wenn man genau hinsah und hinroch. Die Läden taten einer feiner und vornehmer und moderner als der andere. Aber die Müllkisten dahinter quollen ständig über und stanken. Man trat überall in geschmolzenes Speiseeis oder Hundescheiße und trat gegen Bierdosen und Coladosen. Der Hauswart da sollte das abends alles sauber machen. Kein Wunder, daß er den ganzen Tag lauerte, um jemanden zu erwischen, der Dreck machte. Aber gegen die Geschäftsleute, die den Müll neben die Kästen warfen, konnte er nichts machen. An die betrunkenen Halbstarken, die mit den Bierdosen rumwarfen, traute er sich nicht ran. Und die Omas mit ihren Hunden gaben ihm auch nur patzige Antworten. Da hielt er sich in seiner urischen Wut eben an die Kinder.

Es geht vielmehr darum, daß sich „Experten“ der Herrschenden – die herrschende Klasse also – überlegen, wie sie in einer weiter sich verschärfenden Weltwirtschaftskrise die Massen im Stadtteil unter Kontrolle halten können. Zweitens finde ich, daß die Probleme der Linken mit jugendlichen Rebellen, mit deren Aggressivität oder Selbstzerstörung sie nicht viel anfangen kann, anhand der sichtbar werdenden Strategien der Gegenseite neu aufgerollt werden müßten.

Das Verhalten von Christiane als Problem des BKA

Im Dezember 1978 veranstaltete das BKA eine internationale Tagung zum Thema „Städtebau und Kriminalität“. Außer Polizeifachleuten beratschlagen Soziologen, Architekten, Politiker, Kriminologen und Experten der Neuen Heimat, was im ln- und Ausland die Zunahme krimineller Taten in bestimmten Stadtteilen bewirke und wie Abhilfe zu schaffen sei. Inzwischen werden die weitreichenden Ergebnisse in der Linken diskutiert und Beispiele praktischer Umsetzung im Stadtteil dokumentiert (Hannover-Garbsen). Ich finde den Band mit den Referaten (die Diskussionen sind nicht abgedruckt) aus verschiedenen Gründen wichtig: es geht nicht nur um eine Klärung von Fehlern im Städtebau und Schlußfolgerungen für eine Strategie für den Massenwohnungsbau der Zukunft. Es geht nicht nur um ein vergangenes Bauen und neue Architektur, die sich mit Randerscheinungen von Kriminalität auseinandersetzt. Es geht vielmehr darum, daß sich „Experten“ der Herrschenden – die herrschende Klasse also – überlegen, wie sie in einer weiter sich verschärfenden Weltwirtschaftskrise die Massen im Stadtteil unter Kontrolle halten können. Zweitens finde ich, daß die Probleme der Linken mit jugendlichen Rebellen, mit deren Aggressivität oder Selbstzerstörung sie nicht viel anfangen kann, anhand der sichtbar werdenden Strategien der Gegenseite neu aufgerollt werden müßten. Drittens ist das Symposium ein Gegenbeweis für diejenigen, die immer abstreiten, daß das Kapital gesamtgesellschaftlich bewußt handele und uns vorwerfen, wir würden fälschlich „Superverschwörungstheorien“ aufstellen. Die Kombination von Zuckerbrot (Sozialarbeit) und Peitsche (Sonderstreifen im Stadtteil mit Verhaltensmeldung in den Computer, Kontaktbereichsbeamte, Jugendpolizei) wird für alle Eventualitäten abgestuft vorbereitet und mit strukturellen Maßnahmen wie Steuerung der sozialen Zusammensetzung verbunden. ln dem Artikel werde ich nicht die Feinheiten der Analysen wiedergeben oder kritisieren, sondern versuchen darzustellen, in welche Hauptrichtungen die Kontrolle im Stadtteil weiterentwickelt werden soll. Das Phänomen „Jugendkriminalität“ ist dabei der Ausgangspunkt – es ist die Spitze des Eisberges von Verhaltensweisen, die den Herrschenden nicht in den Kram passen.

Was ich an Ergebnissen abgelesen habe, möchte ich als Zusammenfassung kurz voranstellen:

1. Maßnahmen für die bestehenden Großsiedlungen:

Die in den fünfziger Jahren bis Anfang der sechziger errichteten Großsiedlungen, Betonghettos genannt, sind eine städtebauliche Fehlentwicklung. Ohne gezielte Gegenmaßnahmen werden sie sich zu Slums entwickeln, weil dort immer mehr Sozialhilfeempfänger, Ausländer, Arbeitslose bzw. Gelegenheitsarbeiter und Alte wohnen, während sich die Anzahl der Besserverdienenden ständig verringert und unter diesen die Fluktuation besonders hoch ist. Diese Tendenz zur sozialen Ghettobildung soll durch vermehrte Anreize für die Mittelschicht (Eigentumsbildung) und Zuzugssperren entgegengewirkt werden. Als besonderes Krisensymptom in den Betonstädten ist die weit über dem Durchschnitt liegende Jugendkriminalität anzusehen, die sowohl in architektonischen Mängeln als auch fehlender Kontrolle durch die Bürger selbst wesentlich begründet ist. Mit einer neuen „kommunikativen Gemeinschaftlichkeit” soll gleichzeitig informelle Sozialkontrolle unter den Bewohnern und Nachbarschaft zur Überwindung von Isolation und Anonymität geschaffen werden. Um diese herbeizuführen wird die Einstellung von ein paar tausend zusätzlichen Sozialarbeitern durch die Wohnungsbaugesellschaften vorgeschlagen. Zusammen mit Bürgerinitiativen und Leuten, die Kulturarbeit machen, sollen sie die „community“ organisieren, also Gemeinschaftsleben zustande bringen und Mißstände beseitigen, wobei die Bekämpfung von Kriminalität und das Weitermelden von Ausgeflippten und Problemfamilien an Soziale Dienste und Polizei mit als Hauptaufgabe dazu gehört. Sozialfürsorge, Polizei, Schulen und therapeutische Krisendienste sollen eng zusammenarbeiten, um vorbeugend besser koordiniert eingreifen zu können. Für das, was dann noch übrig bleibt, wird die Polizei ein effektiveres System der Überwachung, sogenannte „Regionalstrategien“ ausarbeiten, das praktisch jedes auffällige Verhalten, auch das nicht strafbare, mittels Sonderstreifen, Kontaktbereichsbeamten, Jugendpolizei, V-Leuten (Spitzel) zu erfassen versucht.

2. Vorstellungen für den künftigen Wohnungsbau

Aus der Kritik an den monofunktionalen Wohnsiedlungen, speziell in Hochhausform, ergibt sich, daß der Städtebau der Zukunft anders aussehen muß. Durch die Zusammenführung verschiedener Bauformen soll von vorneherein gewährleistet werden, daß eine im Sinne von Kontrolle funktionierende Durchmischung der Bevölkerung erhalten bleibt. Beim Bauen sollen die Erkenntnisse über den „defensible space“ berücksichtigt werden, was besagt, daß zwischen Wohnung und öffentlicher Straßen Sphäre (wozu in den Hochhäusern die praktisch öffentlichen Treppen und Flure gehören) ein halbprivater bzw. halböffentlicher Zwischenbereich geschaltet wird, der eine informelle Kontrolle durch die Bewohner ermöglicht. Außerdem soll die in den letzten Jahrzehnten übliche Trennung von Wohnquartieren, Dienstleistungszentrum und Gewerbegebieten soweit als möglich vermieden werden.

Jugendkriminalität als aktuelles Krisensymptom

Die genaueste Analyse eines Stadtteils stammt vom Ltd. Kriminaldirektor Herbert Schäfer aus dem LKA Bremen. Aufgrund des „Erkenntnisprivilegs erster Ordnung, das die Polizei besitzt“ hat er die Informationen, um präzis das Desaster zu beschreiben, das die Herrschenden mit ihrem Demonstrativbauvorhaben Osterholz-Tenever in Bremen erlitten haben. Osterholz-Tenever, im allgemeinen „Klein-Manhattan“ genannt, wurde erst Anfang der siebziger Jahre als Forschungsmodell für ursprünglich 4.000 Wohnungen begonnen, von denen allerdings nur 2652 Wohnungen fertiggestellt wurden. Angeblich wegen einer nicht zustande gekommenen Flächensanierung in der Innenstadt und wegen des Pillenknicks mussten die Bedarfsprognosen nach unten korrigiert werden. Heute machen „Objektive Sicherheitsstörungen“ und „kommunal- und sozialpolitische Unruhe in der Bevölkerung“ eine polizeiliche „Regionalstrategie Tenever“ erforderlich.

Es ist vielleicht ganz interessant, wie ein höherer Polizeioffizier die Dinge sieht:

Eines der deklarierten Hauptziele des Demonstrativbauvorhabens war die Wohnverdichtung, d. h. die preiswerte, kostensparende Akkumulation von zahlenden Mietern in modernen Wohntürmen. Dieses Ziel wurde offenbar erreicht: die durchschnittliche Wohndichte in Bremen beträgt 18 Einwohner pro Hektar, im Bereich des Demonstrativbauvorhabens 86 Einwohner pro Hektar. (Zwei Drittel der Mieter wohnen in Häusern mit 30 und mehr Wohneinheiten). Am 01.04. 78 waren 5682 Personen im Demonstrativbauvorhaben polizeilich gemeldet. 966 Personen waren Sozialhilfeempfänger. Die vom Sozialamt errechnete „Sozialhilfeziffer“ liegt für die Stadt Bremen beim Wert 55, im Ortsteil Demonstrativbauvorhaben bei 170 (01.04.1978), oder offener formuliert: über 16% der Bewohner erhielten Sozialhilfe.

Der Anteil der Wohngeldempfänger lag am 01.11 .1976 im städtischen Durchschnitt bei 4,3%, im Demonstativbaukomplex bei 8,3% der Bewohner und dürfte sich inzwischen (nach Mietanhebungen) erhöht haben. Wenn hier versucht wird, mit Hilfe der relativ einfach zu erreichenden kriminalökologischen Daten eine regionale Präventionsstrategie anzubahnen, dann wird damit der Erkenntnis gefolgt, daß es für die Kriminalpolizei weniger darauf ankommt, auf der taktischen Ebene in der Arbeit am Einzelfall den multifaktoriellen kriminogenen Ursachen im Leben des einzelnen bis in die letzten Verästelungen hinein nachzuspüren. Es kommt vielmehr für strategische und operative Zwecke ausreichend darauf an, die Indikatoren für eine drohende oder bereits eingetretene oder sich noch verschärfende Kriminalitätslage zu erkennen und danach die polizeipräventiven und die sozialprophylaktischen operativen Maßnahmen zu bestimmen. Auf kriminologische Ziselierungskünste darf dabei verzichtet werden.

Je mehr Indikatoren vorliegen, um so leichter ist die Analyse der Situation und umso treffsicherer die Prognose der kurz und mittelfristigen Kriminalitätsentwicklung. ln Bezug auf den Demonstrativbaukomplex Tenever könnte dies umgekehrt den Einwand begründen, daß zu wenig kriminalökologisch interessante Daten vorliegen, welche entsprechende Schlussfolgerungen ermöglichen könnten. Diese wenigen und durchaus ergängzungsbedürftigen kriminalökologischen Indikatoren zeigen aber immerhin an, daß Personenmehrheiten mit sozialen Noxen und Läsionen (Schäden und Verletzungen, d. Verf.) in einem überproportional starken Maß offenbar schon in den ersten Jahren dort zuzogen. Damit wurden möglicherweise Schwellenwerte in den einzelnen sozialen Zuordnungs- und Eigenschaftsbereichen überschritten, die in ihrer Addition und Akkumulation zu einer „kritischen Masse“ führen können, von der dann im Wege der Induktion und Irradiation Situation- und Klimaverschlechterungen sowohl in den einzelnen Familien wie auch bei der Mehrheit der Bewohner eintreten können. Es kann arbeitshypothetisch davon ausgegangen werden, daß die rückkoppelnden Folgen der Schwellenwertüberschreitung (also die Folgen der Belegung) vor allem diejenigen treffen, für welche das Leben – aus welchen Ursachen auch immer – schon an sich schwerer zu bewältigen ist: das sind in erster Linie die sozial noch nicht angepassten Minderjährigen und die „sozialen Sitzenbleiber“. Diese werden aber auch durch die Unwirtlichkeit des modernen Massengebäudekomplexes wahrscheinlich am ehesten tangiert. Selbst die Flucht in die gut ausgestatteten Wohnungen entlastet dann nicht. Damit wird die Frage nach der Zusammensetzung der Bewohner dieses Viertels scheinbar zur Hauptfrage und das Problem der wenig anheimelnden Architektur tritt unzulänglicherweise in den Hintergrund.

Erst aus Gesprächen mit Vertretern der Mieterinitiativen wird wieder erkennbar, wie sehr sich die durch die Umgebung gesetzten Bedingungen auf das subjektive Lebensgefühl auswirken und wie stark sie das sozial angepaßte oder sozial abweichende (ggf. strafbare) Verhalten beeinflussen. Davon werden vier Gruppen betroffen

1. Die Gruppe der interessierten Wohnungssuchenden, welche nach einer Besichtigung des Viertels, nach Gesprächen mit Bewohnern und spätestens nach dem Lesen der Mietverträge erst gar nicht einziehen.

2. Die nicht sehr große zweite Gruppe besteht aus älteren Mietern, welche zurückgezogen leben, die den Vorteil der über kurze Strecken zu erreichenden Versorgungseinrichtungen des Viertels gern nutzen und die im übrigen sich hier endgültig niederlassen möchten und ohne Umzugsfurcht und Umzugsabsichten selbst unter lnkaufnahme gelegentlicher sozialpsychologischer Entzündungspunkte wohnen bleiben möchten. Als Rentner und Pensionäre werden sie auch in Zukunft nicht durch die alle fünf Jahre automatisch anzuhebenden Mieten so bedroht werden wie etwa die Gruppe drei, weil bei höheren Mieten auch das ihnen zu zahlende Wohngeld angehoben werden würde.

3. Die dritte Mietergruppe setzt sich aus den dynamischen, biologisch und begabungsmäßig begünstigten, vitalen Personen zusammen, welche entweder mit einer nur auf einige Jahre befristeten Verbleibensabsicht zuziehen oder aber durch die ihnen nicht zusagenden Einzelsituationen bzw. durch die Gesamtlage bewogen, sich nachträglich zum Auszug – in der Regel in ein Eigenheim – entschliessen.

4. Die vierte Gruppe ist die problematischste. Könnte die dritte Mietergruppe als die der „Sozialen Durchsteiger“ bezeichnet werden, so könnte für die vierte Gruppe der Begriff der „Sozialen Sitzenbleiber“ zutreffen. ln dieser Gruppe häufen sich die Träger sozialer Noxen und Läsionen überproportional stark. Hier tauchen die Problemfamilien auf, welche sozialprophylaktisch zu betreuen sind und welche – mit dem eigenen sozialen Überleben ausschließlich überlastet und beschäftigt – keine aus diesem Viertel hinausführende Zukunftsplanung erfolgreich durchdenken, betreiben und verwirklichen können. Es kann hier dahingestellt bleiben, wie groß z. Z. der Anteil dieser vierten Mietergruppe an der Gesamtmieterzahl ist, da sich dieser Anteil durch den Abzug der sozialen Durchsteiger und das Auffüllen des V.ertels mit einer offenbar immer größer werdenden Zahl von Mietern der vierten Gruppe ständig verändert. Diese Veränderung wird um so schneller vonstatten gehen, als sich der Ruf dieses Viertels verschlechtert und die Baugesellschaften als die vermietenden Eigentümer schon aus wirtschaftlichen Gründen daran denken müssen, die große Zahl der leerstehenden Wohnungen mit Mietern zu füllen: wer aber leistet zuverlässigere Mietzahlungen, als diejenigen, deren Mieten durch die Sozialbehörde und via Wohnungsgeld gesichert sind? …

Durch die Schwierigkeit der Anpassung an die Widrigkeiten dieses VIertels sind aber vor allem diejenigen betroffen und gefährdet, welche die soziale An- und Einpassung erst noch am Vorbild der Erwachsenen orientiert erleben und nachahmen sollen: die Kinder und Jugendlichen und die Heranwachsenden im Sinne des § 1 05 Jugendgerichtsgesetz. Es wird also nicht ausbleiben, daß gerade deshalb – und nicht allein nur wegen der großen Zahl der dort lebenden Minderjährigen – die Jugendkriminalität besonders stark ansteigen wird.

Die Minderjährigen vor allem sind durch die interfamiliäre Induktionswirkung und durch die Irradiation der näheren Umwelt besonders betroffen und beeinflußbar. Sie zeigen u.U. Reaktionen nach latenten Anlässen, die der Erwachsene als solche gar nicht mehr empfindet und versteht. Es ließe sich nun dagegen einwenden, daß sich gegen subjektives Unbehagen im spannungsreichen Mieter-Vermieter-Verhältnis nichts unternehmen lasse und daß man diese Redereien am besten ignorieren sollte, da sie nicht genügend substantiiert seien. Ein solcher Einwand hieße die Problematik unterschätzen, zumal das subjektive Unbehagen sich nicht nur im sozial motivierten Protest einschließlich politischer Aktionen und Wahlen, sondern auch im abweichenden Verhalten und schließlich in gewissen Formen der Kriminalität äußern kann. Darunter leidet schließlich das subjektive. Gefühl der Sicherheit in diesem Viertel.

An erster Stelle aller Beanstandungen steht der Begriff der „Anonymität“, der mit dem der „Isolation“ gekoppelt wird. Es gebe keine Gemeinsamkeiten. („Die Anonymität ist schrecklich.“) Selbst das Treppenreinigen werden entgeltich (eingeschlossen im Mietpreis) durch anonyme Reiniger von Reinigungsfirmen vorgenommen. Die Bewohner träfen sich nicht einmal im Fahrstuhl („Wie schön war das, als einmal der Fahrstuhl ausfiel und wir alle die Treppen herunterlaufen mußten, uns dabei kennenlernten und gemeinsam schimpfen.“) Wohnten drei Familien auf einer Etage, so bestünde die Chance, daß man sich nach und nach kennenlernt. Bei sechs bis acht Familien sei dies praktisch ausgeschlossen. Es werde nicht bekannt wer einzieht und nicht wer auszieht. Die „Kommunikationshöfe, in die im Herbst und im Frühjahr lange Häuserschatten fallen“, seien schöne Anlagen „ohne Sommeraktivitäten“ (es sei denn, die Mieterinitiativen versuchten eine gemeinsame Veranstaltung zu organisieren). Zwar würden die großen Sandkisten durch die unbefangenen Kinder angenommen, doch fehle diesen Höfen die „Intimität“, da sie von oben, d.h. aus allen Fenstern schutzlos eingesehen werden könnten.

Für die Innenhöfe seien Grillstellen, Feuerstellen (mit Wasserhähnen zum Löschen), hölzerne Sitzgruppen, Schachbrett, Bocciabahn u.ä. vorgesehen, die teilweise nach und nach demontiert und bisher nicht wieder erneuert worden seinen. Selbst die Einkaufszentren beseitigen nicht die Anonymität; so wird geklagt, daß die Frauen sich dort kaum zweimal begegnen würden. Auch die kostenlosen Saunen würden zwar eifrig besucht, aber nur von einer exklusiven Minderheit, die mit Mißtrauen betrachtet würde („Sozial Schwächere gehen nicht in die Sauna“). Die „Zuwanderer“ aus anders strukturierten Stadtteilen fühlten sich nach ihrer „Entwurzelung“ (Abreißen der alten Verbindungen und Beziehungen) allein. Sie würden sich auch nicht bei neuen Nachbarn vorstellen. (,.Da war ein Mann aus Walle, der muschelte dort mit seinen Hühnern und Kaninchen herum. Er hat sich die neue Wohnung angesehen, sich über den Fahrstuhl gefreut und darüber, daß aus allen Hähnen heißes Wasser kommt. Er zog mit seiner Familie ein, hatte nach einigen Monaten 4 000 Mark Schulden, fühlt sich allein und unglücklich.“)

Wenn man jemanden vom Sehen her kennt, wird er trotzdem nicht gegrüßt. Leute, die morgens Papier auf den Verbindungswegen wegwerfen, meckem abends darüber, daß alles so schmutzig sei und der Hausmeister nicht für Ordnung sorge …. Die Aufgliederung der Straftaten nach Deliktsgruppen ergibt ein erhebliches Übergewicht der Diebstähle unter erschwerenden Umständen, vor allem in den “jugendtümlichen“ Begehungsweisen.

(Es folgt im Original eine Statistik zu Straftaten nach Deliktgruppen, die wir weggelassen haben, Sunzi Bingfa)

Nach der sog. Häufigkeitsziffer ist die Gesamtkriminalität im Stadtteil doppelt so hoch wie im Bremer Durchschnitt. Diese Häufigkeit basiert ausschließlich auf den “jugendtümlichen Delikten“, die 88,6% der Gesamtkriminalität ausmachen. Dabei handelt es sich um den ,.Diebstahl unter erschwerenden Umständen“, der dreimal so häufig vorkommt, wie sonst in Bremen, und die Sachbeschädigung. Bei den „Tatverdächtigen- „sieht es so aus, daß 60,7% unter 21 Jahre alt sind, während diese Altersgruppe im Bremer und im Bundesdurchschnitt nur mit etwa etwas mehr als 35% vertreten ist. Die Delikte sind im Einzelfall kaum als „objektive Sicherheitsstörung“ erkennbar, sie sehen eher wie Streiche aus. Im halbjährigen Rhythmus bilden sich immer wieder Jugendgruppierungen, aus denen heraus Eigentumsdelikte verübt werden. Sie holen sich z.B. das Eingemachte aus den Lattenverschlägen im Keller, sie treiben sich auf den Böden oder in der Tiefgarage herum und machen aus Bock irgendetwas kaputt, sei es die Autoantenne oder das Telefonhäuschen. Bargeld lockt ebenfalls. Es ist in Form von 50-Pfennig-Münzen in den Waschautomaten im Keller erhältlich (Hamburg/ Kirchdorf-Süd). Jetzt sind die Geldautomaten allerdings unter Strom gesetzt, was die Jugendlichen dazu nötigt, vorher die Stromzufuhr zu unterbrechen.

Mit anderen Worten: was in Klein-Manhattan als besonders hohe Kriminalität ausgewiesen wird, sind die zahlreichen Aneignungs- und Zerstörungsakte Jugendlicher. Es ist klar, daß wir nicht lange nach den Ursachen für die Jugendkriminalität suchen müssen. Christianes Bericht am Anfang macht da, glaube ich, einiges deutlich. Ich habe keine Lust, die kriminologischen Theorien und weiteres sozialstatisches Material aus dem Symposiumsband hier zu dokumentieren. Es stellt sich für mich – und den Leser wahrscheinlich auch – die Frage, ob sich aus den Verhaltensweisen der jugendlichen Rebellen eine sozialrevolutionäre Perspektive im Stadtteil ergibt. Wir wissen, daß wir das Verhalten der Jugendlichen, so wie es ist, nicht einfach unter die Widerstandsformen, die uns weiterbringen, subsumieren können. Dazu ist zuviel Selbstzerstörerisches in ihm enthalten. Viele haben das Buch von Christiane weitergelesen und kennen ihren Leidensweg. Wir wissen über Alkohol und Heroin, über Gewalt und Schwäche, über Rassismus, über das Klauen untereinander und über die Behandlung von Außenseitern genug, als daß wir uns an den polizeilichen Problemen mit zunehmender Kriminalität als Zeichen für die Auflösung des Systems von unten nur freuen könnten. Wir wissen aber auch, daß jeder Reformismus – wie jede Erziehung – an der Aggressivität, die das System produziert. scheitern wird. Für mich sind die Jugendlichen angepaßt an die zerstörerische Umgebung. Es geht darum, mit ihrer Kraft und Stärke eine Praxis von Militanz und Verweigerung zustande bringen, die unmittelbar angreift und nicht künstlich Bewußtsein einpflanzen will. Vielleicht kennt ihr die Klagen von ML-Gruppen über den ,.Anarchismus“ von politischen Jugendlichen. Positive Beispiele einer Praxis mit Jugendlichen im Stadtteil, wie die vom SSK in Köln, aus dem Häuserkampf, von Fahrpreis Demonstrationen und aus der Jugend- und Lehrlingszentrum Bewegung wären aufzuarbeiten.

In Hamburg beteiligten sich die Rocker aktiv an den Kämpfen gegen Springer 1968, 1972 stürmten und besetzten Rocker die Polizeiwache 70 in Hamburg Wilhelmsburg, 1973 fanden Hausbesetzungen in HH-Wilhelmsburg und in der Ekhofstraße statt, an denen militante Arbeiterjugendliche beteiligt waren. Die damaligen „Avantgarden“ der Banden sind wohl ausnahmslos in den Knast gewandert. Ich weiß nicht, ob sich jemand aus der Linken um sie gekümmert hat. Die Verbindung von jugendlicher Militanz und politischer Praxis wird von den Herrschenden wie Tod und Teufel gefürchtet, besonders, wenn dabei Klassenschranken verschwinden.

Die Rockerbanden waren die historischen Vorläufer der heutigen Jugendbanden. Sie wurden von der Polizei systematisch zerschlagen. Nach den Krawallen auf einem Rolling Stones

Konzert im Jahre 1966 wurde in Hamburg bereits eine Jugendpolizei aufgebaut unter der Bezeichnung „Abt. Jugendschutz“. ln Zivil trieben sich die Jugendschutz Bullen in den Freizeitheimen und an den Treffpunkten der Gangs herum, versuchten sich im Umfeld der Banden anzubiedern und Erkenntnisse über die „Rocker Kartei“ zu sammeln. ln Hamburg beteiligten sich die Rocker aktiv an den Kämpfen gegen Springer 1968, 1972 stürmten und besetzten Rocker die Polizeiwache 70 in Hamburg Wilhelmsburg, 1973 fanden Hausbesetzungen in HH-Wilhelmsburg und in der Ekhofstraße statt, an denen militante Arbeiterjugendliche beteiligt waren. Die damaligen „Avantgarden“ der Banden sind wohl ausnahmslos in den Knast gewandert. Ich weiß nicht, ob sich jemand aus der Linken um sie gekümmert hat. Die Verbindung von jugendlicher Militanz und politischer Praxis wird von den Herrschenden wie Tod und Teufel gefürchtet, besonders, wenn dabei Klassenschranken verschwinden.

Im folgenden soll skizziert werden, wie sich die Planer erhoffen, solche Solidarisierungsprozesse unterlaufen zu können.

Das BKA auf der Suche nach kommunikativer Gemeinschaftlichkeit

Historisch kann man davon ausgehen, daß die Zersplitterung von Lebenszusammenhängen, das Durcheinander Mischen verschiedener Klassen und die Auflösung von Nachbarschaften mit Leuten gleichlaufender Lebenserfahrungen kein bedauerlicher Nebeneffekt, sondern politisches Ziel der Sanierungen und Umsiedlungen gewesen ist. Mit den Kriegszerstörungender alten Arbeiterviertel der Großstädte wurde praktisch endgültig reiner Tisch gemacht: nachdem 1933 die Parteien und Organisationen zerschlagen worden waren, nachdem im Laufe der folgenden Jahre der NS-Herrschaft die Produktion endgültig zur Massenproduktion mit entsprechender Zersplitterung der Arbeiter auf betrieblicher Ebene umgestaltet worden war, kann man die Zerbombung der Städte als vorläufig letzten Akt auf Stadtteilebene sehen. Äußerlich mag es in der Wiederaufbauphase so ausgesehen haben, als wären die Gesichtspunkte zur Neugestaltung der Städte durch technische Notwendigkeiten, wie den wachsenden Autoverkehr bedingt. Tatsächlich ist

es umgekehrt: die Städte wurden so umgemodelt, daß selbst Arbeiterfamilien immer mehr auf diese Verkehrsmittel angewiesen waren, um die steigende Zeit, die sie für die Fahrt zur Arbeit brauchten, etwas zu vermindern. „Urbanität“, Lebendigkeit:Tante Emma-Laden, das Kino und die Kneipe um die Ecke wären ohne andere Strukturen in den Neubauvierteln nicht so leicht gestorben. Ob nun das Auto, die Zentralisierung des Einzelhandels oder auch das Fernsehen selbst die Haupttriebkräfte waren oder diesen Atomisierungsprozeß nur flankiert haben, kann ich nicht auseinander fieseln. Alles paßt zusammen und dient demselben Ziel: Auslöschung von gemeinsamer Erfahrung, über die im Alltag kommuniziert werden kann, die politische Qualität hat und somit zum Widerstand gegen das System sich verdichten könnte.

Die Technik der Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse ist uns aus der Fabrik als entscheidendes Herrschaftsinstrument bekannt. Mit Hilfe der angewandten Sozialwissenschaft wird nun seit zwanzig Jahren das Beton Ghetto so konstruiert, daß eine Wiederaneignung des Stadtteils durch die selbstorganisierte Community möglichst unterbleibt. Was sollte da auch passieren, was von den zusammenlebenden

Menschen selbst kommt. Kein Umbau, kein Anbau, keine Kneipe, kein Stein keine Wiese keine Blume, die nicht von oben exakt vorberechnet wären. Die Verhinderung des Sich-Kennenlernens als Programm. Die Lüge der äußeren Ordnung. Außen

glatt und kahl und in den Menschen das Chaos: die Wut, die die

Männer an der Frau und den Kindem auslassen. Die Anonymität schafft Distanz nach außen und verringert sie innerhalb der Kernfamilie. Somit frißt sich die äußere Gewalttätigkeit von Arbeitszwang und Betonstrukturen in den Menschen und zwischen die Menschen.

Vieles von dem, was nur in einer neuen Anonymität möglich wurde, haben wir selbst als Befreiung erlebt. Die traditionellen Normen haben wir im Bereich von Sexualität und Ehe gern mit zerstört. Auf kleinbürgerliche Kontrolle durch die klatschende

Nachbarin konnten wir pfeifen. Dieser Auflösungsprozess von Traditionen und Ritualen bedeutet in den Vorstädten ohne Szene jedoch, daß nur noch die nackten materiellen Tatsachen übrig bleiben. Die vereinzelte kleine Keimzelle der Gesellschaft ist hilflos der Konkurrenz um das höhere, gesicherte Einkommen mit repräsentativem Konsum als Selbstdarstellung nach außen ausgeliefert. Soweit, so gut – für die Herrschenden.

Warum wird plötzlich die fehlende „kommunikative Gemeinschaftlichkeit“ auf einem BKA-Symposium diskutiert und zum erstrangig Forschungsgegenstand erhoben? Sind es Kritik und Unzufriedenheit der Betroffenen, die sich eine andere Wohnumwelt wünschen? Anonymität und Isolation stehen immerhin an erster Stelle, wenn nach Mängeln in den Siedlungen gefragt wird.

ln einer Studie der GEWOS wird berichtet, daß in 10 untersuchten Neubausiedlungen ca. 60% der Bewohner keine Freunde in der Siedlung haben und zwischen 30% und über

50% selten oder nie Gespräche mit Nachbarn haben. Für die Polizei geht es kaum darum, die erfolgreiche Zersplitterung von Lebenszusammenhängen wieder rückgängig zu machen. Sie bedauert nur die bei diesem Prozess ebenfalls verlorene soziale Kontrolle. Die jeder staatlichen Repression vorgeschaltete lnstanz: die wachsamen Augen der Nachbarn fehlt in der Anonymität des Ghettos. Bisher ist das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Kommunikation dessen Nichtbefriedigung ein emotionales Grunddefizit im Kapitalismus darstellt und deshalb Basis der diversen Triebmanipulationen ist, sowohl ökonomisch als auch in der Ideologie der Klassenharmonie und des Nationalgefühls ausgebeutet worden.

Über den Umweg der Ware („die gemütliche Wohnungseinrichtung“, „der Stereo Hörgenuss“, „die tolle Urtaubsreise“) werden Teilbefriedigungen angeboten, die Medien schaffen verlogene Interpretationen des gesellschaftlichen Lebens. Nun sind wir auf dem perversen Stand, das BKA forschen zu sehen, wie man die Emotionalität des isolierten Individuums für eine Strategie der gegenseitigen Kontrolle auf Stadtteilebene benutzen kann.

Ausgangspunkt der Forschungen ist die sog. empirische Krimlnalltätsgeographle. Für den interessierten Laien ist der „Kriminalitätsatlas Bochum“, vom BKA im Jahre 1978 herausgegeben, als Standardwerk und Einführungsliteratur empfehlenswert. Er enthält nämlich einen historischen Einführungsteil, in dem z.B. auf das wahrscheinlich interessante

Werk eines Herrn Walther aus dem Jahre 1936 verwiesen wird, der eine Stadtplanung ermöglichen will 2 in deren Vordergrund die „soziale Gesundung“ gerückt wird. Dieser Gesichtspunkt wird vom BKA-Autor als „recht anrüchig“ bezeichnet, vielleicht weil zu offensichtlich davon gesprochen wird, „die nicht Besserungsfähigen unter Kontrolle zu nehmen und das Erbgut der biologisch hoffnungslos Defekten auszumerzen.“

In der Methode gibt es allerdings keinen Unterschied zum konkreten Teil des Bochumer Atlas. Damals (wie auch heute wieder) war es wegweisend, die Häufung der Wohnungen von Familien mit Hilfsschulkindem und Fürsorgezöglingen mit der Konzentration von Kriminalitätszahlen in den einzelnen Wohngebieten zu vergleichen. Früher wurden auch noch die „Nester“ der Wohnungen der kommunistischen Wähler erfaßt. Heute müßten die

Wohngemeinschaften mit erfasst werden, was für die Verfassungsschutzausgabe bestimmt angestrebt wird. ln dem Bochumer Atlas geht es im empirischen Teil um die Verteilung von

Wohnsitzen von Tätern, um Tatorte, um die Bauformen der entsprechenden Gebiete und die sozialen Tatbestände wie Alter der Bevölkerung, Ausländeranteil, Einkommen, Gewerbegebiet oder City usw. All das wird durch Computer miteinander in Beziehung gesetzt und auf zig-verschiedenen Karten automatisch ausgedruckt. Besonders wichtig scheint den Experten das Abgehen vom Planquadrat und die Umstellung auf das Stadtviertel und den Häuserblock. Einmal programmiert kann der Computer monatlich die aktuelle Entwicklung auf neuen Karten ausdrucken und macht den räumlichen Schwerpunkteinsatz der ausführenden Organe möglich. Mit einiger Phantasie läßt sich beim Anschluß an die Datei der Krankenversicherungen auch ein Krankfeiern Atlas“ vorstellen. Dann gibt es noch das sog. Dunkelfeld , das die gar nicht gemeldete bzw. angezeigte Kriminalität wiedergeben soll. Leider ist das Bochumer Werk in seinen Ergebnissen für die Polizei nicht deutlich genug ausgefallen. “ Rückständige“ Gebiete mit schlechtem Altbaubestand, die als slumverdächtig mit hoher Anzahl an Täter Wohnsitzen erwartet worden waren, erwiesen sich gar nicht so kriminalitätsfördemd. Es wurden zwar Gebiete sei es mit vielen Tatorten, sei es mit vielen „Aktivitäten Ausgängen“ (da, wo die Kriminellen wohnen) oder mit beidem gefunden, die aber alle irgendwelche (historisch zu erklärenden) Sondermerkmale hatten, die ein einfaches Erklärungsmuster z.B. nach dem schlechtesten Baubestand verhinderten. Eine besondere These hinsichtlich der Neubaughettos bestand offensichtlich nicht.

Der Atlas geht von recht traditionellen sozialen Merkmalen und einer einfachen Charakterisierung der Baulichkeiten aus. Er ist auch mehr als Instrument für die praktische polizeiliche Arbeit gedacht. Das ist bei dem geplanten BKA-Forschungsprojekt “Kriminalitätsabwehrende Architektur“ anders. Hier wird versucht die aus der Untersuchung besonders ausgewählter Wohngebiete gewonnenen Erkenntnisse in ein umfassendes präventiv ausgerichtetes Städtebaukonzept einfließen zu lassen.“ Zunächst werden die von Oscar Newman in den USA entwickelten Theorien des „defensible space“ aufgegriffen. Newman geht von der Variable „architektonische Gestaltung“ von Wohnhäusern und Wohnhauskomplexen aus, und zwar von einem „defensible space”. Hierunter versteht er eine bauliche Anordnung, – die den Bewohnern suggeriert, ihren Verantwortungsbereich von ihrer Wohnungstür bis an die Straße hinaus zu verlegen, – die eine Sichtkontrolle der Fremden durch die Bewohner ermöglicht (surveillance) und – die eine höhere Kommunikation unter den Bewohnern fördert und Anonymität abbaut.“

„Defensible space“ wird erreicht, indem der halböffentliche Raum – wie Wege von der öffentlichen Straße zum Gebäude, Eingänge, Eingangshallen, Treppenhäuser und Aufzüge, Flure – durch bauliche Gestaltung als zum Bereich der Bewohner gehörend definiert wird. Deutliche Markierungen wie Hecken und Zäune, einsehbare Eingänge und Eingangshallen durch Anordnung von Fenstern, ferner geringe Anzahl von Wohnparteien in einem Flur u.ä. vermitteln dem Bewohner unmittelbar das Gefühl, in seinen erweiterten Wohnbereich einzutreten und dem Fremden, auch potentiellen Straftäter, in den Bereich anderer einzudringen. Der Aufbau einer informellen Sozialkontrolle führt mithin zu einem größeren Entdeckungsrisiko für den Täter und damit zur Verringerung von Kriminalität in diesem Bereich.“ Das BKA kritisiert aber diesen Ansatz als nicht umfassend genug, da hierbei nur die von außen auf die Bewohner zukommende Kriminalität erfasst werde. Die Kriminalität bzw. das sozial unerwünschte Verhalten der Bewohner selbst bleibe unberücksichtigt. Es soll deshalb erforscht werden, welche Variablen in Osterholz-Tenever des Städtebaus wieder eine Gemeinschaftlichkeit unter den Bewohnern herstellen, die eine Sozialisation zu gesellschaftlich erwünschtem Verhalten herbeiführt, also die kaputt gegangene ehemalige “ kleinbürgerliche“ Kontrolle wieder in Gang setzt.

„Wir fragen nicht nur, welche Architektur Form macht seine Bewohner wehrloser oder wehrhafter gegen eindringende Kriminalität, sondern darüber hinaus, welche Architektur, fördert Sozialisationsbedingung unter denen sozial-angepaßte Handlungsmuster optimal ausgebildet und vorhandene kriminelle Handlungsmuster möglichst abgebaut werden.“

Gemeinschaftlichkeit kann durch Architektur gehemmt und gefördert werden, aber es gibt noch andere Gründe für einen hohen Grad an kommunikativer Gemeinschaftlichkeit. Diese anderen Gründe enthält uns das BKA leider vor: sie sind noch nicht operationalisiert, (sollen es aber für das Projekt noch werden). I

Ich stelle mir vor, dass da von der Liebenswürdigkeit des Kneipenwirts bis zum Vereinsleben und der Bürgerinitiative einiges operationalisiert werden kann. Im Bereich der Architektur ist an folgende Indikatoren für Gemeinschaftlichkeit gedacht: „Im gegenwärtigen Stadium der Untersuchung liegen noch keine Operationalisierungen für die Variablen vor. Die Kennzeichnung der Variable „architektonische Gestaltung“ dürfte aber kaum Schwierigkeiten machen. Zunächst ist an die Indikatoren gedacht, die auch Newman zur Charakterisierung des Begriffs „defensible space“ benutzt hat:

  • Größe des Wohngebäudes
  • Anzahl der Stockwerke, Anzahl der abgeschlossenen Wohnungen auf einem Korridor etc..
  • Gute oder schlechte Einsehbarkeit des halböffentlichen Raumes: Weg von der Straße zum Wohngebäude, Hauseingang, Korridore, Treppe, Aufzug, Eingänge der anderen Wohnungen, besondere Sicherungsvorkehrungen: Sprechanlage, Sicherungskette, Türauge etc.

Sodann sollen ergänzende Merkmale hinzukommen wie z.B.:

  • Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Gemeinschaftseinrichtungen: Gemeinsame Waschküche, gemeinsamer Trockenraum, Schwimmbad, Tischtennisraum, Kinderspielplatz, Bolzplatz für Jugendliche, gemeinsamer Grillplatz, gemeinsame Umzäunung (Hecke) für alle Wohnungen etc.
  • Ausstattungen und Eigentumsverhältnisse: Eigentumswohnungen, Mietwohnungen, Luxusausstattung (Marmorbäder. Wohnungsgröße etc.), einfache Ausstattung.
  • Integration des Gebäudes in der weiteren Umgebung: Nähe Innenstadt, Trabantenstadt mit gleichartigen Gebäuden in unmittelbarer Nachbarschaft, Anordnung der einzelnen Wohngebäude zueinander etc.
  • Geschätzte Deliktsanfälligkeit: Drei Kriminalbeamte als „Rater“ schätzen aus der Rolle des potentiellen Täters das konkrete Gebäude daraufhin ein, ob es sich als Ort eines Deliktes (Einbruch, Raub) eignet.

Sehr viel schwieriger ist die sozialstrukturalle Variable zu oparationalisieren. Demzufolge liegen auch noch keine auswertbaren Vorformulierungen vor. Soweit es geht, wollen wir bewährte Indikatoren aus der Kommunikationsforschung benutzen.

Informationsfluss unter den Nachbarn: Schwatz auf der Treppe, Grüßen, Reichweite des Informationsflusses u.a.

  • Umfang der sonstigen Kontakte: Gegenseitige Besuche, gemeinsame Aktivitäten, gegenseitige Hilfe,. Wohnungsverwahren während des Urlaubs, Kinder vorübergehend überwachen u.a.

Einschätzung des Umfangs des privaten und halböffentlichen Wohnbereichs. – Grad der Angst, Opfer eines Verbrechens zu werden.

  • Fluktuation der Bewohner.
  • Analyse der Bedürfnisse, die an ein zufriedenes Wohnen in einem Wohngebäude gestellt werden, u.a.

Die empirische Überprüfung der Hypothesen soll in folgender Form erfolgen: ln Regensburg und in München sollen je zwei abgrenzbare Wohngebiete unter dem Gesichtspunkt unterschiedlicher Baugestaltung ausgewählt werden.

Experimente für eine zukünftige Kontrolle: Stadtteilgruppen als Bindeglied im flexiblen Ausnahmezustand

Vielleicht schafft das BKA es ja mit seinen angelaufenen Forschungsprojekten herauszubekommen, wie man beim Massenwohnungsbau der Zukunft eine verbesserte Kontrolle unter den Bewohnern selbst von vornherein einbaut. Zur Zeit ist man sich noch nicht ganz einig, ob es tatsächlich der Beton ist, der die Unangepasstheit hervorruft oder ob sich in den Ghettos nur anhäuft, was sonst in anderen Stadtteilen ebenfalls verstärkt aufgetreten wäre.

Das spielt auch keine so große Rolle, weil der Schwerpunkt im Wohnungsbau der Zukunft nicht beim Neubau ganzer Stadtteile liegen wird, sondern in der Erneuerung alter Quartiere. Die Neue Heimat ist sowieso der Ansicht, daß sich der Mensch gefälligst den – vorhandenen – Bauformen anzupassen hätte und nicht umgekehrt, die Bauten dem Mensch. „Baumassen dagegen sind statisch und allenfalls innerhalb langer Zeiträume veränderbar. Die laufende Anpassung vorhandener Baumassen kann daher – selbst wenn dies erwiesenermaßen heilsam wäre (was ich nicht glaube) – schon aus ökonomischen Gründen – nicht der entscheidende Lösungsansatz sein, wenn es darum geht, Kriminalität abzubauen.“

Nach Vormbracks Überzeugung liegt der „entscheidende Hebel“ gegen die Kriminalität in „Organisationskonzepten“, die geeignet sind, eine Prävention zu bewirken. Damit befindet er sich in Obereinstimmung mit sehr vielen Diskussionsteilnehmem, denen es darum geht, im Vorfeld der offenen Repression die Bewohner selbst für eine Kontrolle ihrer Mitbewohner zu mobilisieren. Natürlich wird das Ziel der Kontrolle gerade von den hauptsächlich Angesprochenen, den wissenschaftlichen Vertretern der Sozialarbeit, nicht genannt. Herr Kapius beispielsweise, der die sozial kulturelle Aufbauarbeit vertritt, spricht von Emanzipation, Befreiung, Partizipation und Selbstverwirklichung unterprivilegierter Gruppen usw.. Insgesamt sind sich alle aber in der Analyse und Schlussfolgerungen einig, wenn das Vokabular auch unterschiedlich ist und verschiedene Methoden zur Erreichung des gleichen Ziels bevorzugt werden.

Im folgenden möchte ich zeigen, wie die Konzepte einer progressiven Sozialarbeit ebenso wie die guten politischen Absichten mancher Bürgerinitiative in den Klassenkampf von oben eingebaut werden. Es geht darum, daß sich seltsamerweise im Ziel „Gemeinschaft und Kommunikation schaffen“ sowohl Linke und fortschrittliche Sozialarbeiter als auch die Planer vom BKA, Neuer Heimat und Unis einig sind. Bei der Linken erkläre ich mir das folgendermaßen: Vor ein paar Jahren haben wir den „proletarischen Lebenszusammenhang“, später unter dem Begriff „community“, als wesentliche Voraussetzung des Widerstands der Arbeiterklasse entdeckt und als Widerstandszusammenhang für den Stadtteil thematisiert. Uns kam es vor allem darauf an, neben den formellen Organisationsstrukturen einer Partei oder Gewerkschaft die Bedeutung informeller Zusammenhänge unter den Arbeitern zu begreifen. Diese Erkenntnisse haben damals den Abschied von unseren eigenen Organisationsstrukturen erleichtert. Als Alternative wurden damals Stadtteilzentren vorgeschlagen und teilweise auch realisiert, immer unter der Perspektive einer offensiven Politik gegen das Ausbeutersystem. Die linke Sozialarbeit geht von ähnlichen Gedanken bei den neueren Ansätzen zur Gemeinwesenarbeit aus, allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, daß es um den Zusammenschluß „Unterprivilegierter“ zur Wahrnehmung ihrer Interessen im Rahmen dieses Systems geht. Also erst einmal Ausschöpfung der legalen Möglichkeiten zur Durchsetzung berechtigter Ansprüche. Wenn sich kollektive Ansätze zur Beseitigung von Missständen in der Wahl der Kampfformen von vornherein eingrenzen lassen oder eingegrenzt sind, weil die Sozialarbeiter sonst ihren Job verlieren würden, lassen sie sich als “ Frühwarnsysteme“, aber mehr noch zur Unterdrückung weitergehender Aktionen einbauen. Von den Konzepten einer aggressiven, konfliktorientierten Sozialarbeit scheint man in den letzten Jahren unter den gegebenen Verhältnissen ohnehin abgekommen sein, obwohl dies in der Zeitschrift „päd. extra SOzialarbeit“ als vorschnelle Resignation in Frage gestellt wird. Merkwürdigerweise wird als Ersatz statt des Rückzugs in die Einzelfallhilfe nun Mut gemacht für die Gemeinwesenarbeit mit dem Ziel „Neue Nachbarschaft entwickeln“.

Die Methoden „ein entwickeltes Stadtteilleben herzustellen“ werden exemplarisch an der Stadtteilarbeit in Duisburg-Neumühl vorgestellt: Videoarbeit, Stadtteilfeste, Stadtteilwoche mit Veranstaltungen, Stadtteilzeitung, Vorschläge zur baulichen Veränderung ausarbeiten wie die Begrünung von Flächen oder die exemplarische Gestaltung eines Innenhofes. Die ganze Diskussion um Nachbarschaft oder, schlimmer noch, Koordinierung von Freizeitaktivitäten, egal ob sie mit den Mitteln einer Bürgerinitiative oder denen der professionellen Sozialarbeit hergestellt werden soll, geht zwar berechtigterweise von den Leiden des anonymisierten Individuums in der modernen Stadt aus. Sieht man sich aber Literatur und Praxis genauer an, entdeckt man, daß Widerstand – falls er überhaupt erwähnt wird – nur im Rahmen des Machbaren, des legalen, institutionellen Weges vorstellbar scheint. Letztendlich geht es darum, die kleinen Ärgernisse zu beseitigen, während das zerstörerische Grundübel als nun einmal gegeben und unveränderbar akzeptiert werden muß: Identifikationen mit dem Stadtteil, Integration und Verhaltensänderung sind die Schlagworte. Trotzdem wäre an sich nichts gegen die guten Absichten von Sozialarbeitern und Initiativen zu sagen, wenn sie wirklich darauf hinausliefen, einen solidarischen Zusammenhang aller Bewohner, auch der „kriminellen“ und “ arbeitsscheuen“ zu schaffen. Dazu müßten sie den kollektiven Ladenklau („Bezahlt wird nicht!“) oder Aktionen für Erhöhung der Sozialhilfesätze organisieren. Oder die Bestimmungen für den Erhalt des Arbeitslosengeldes angreifen. Das Gegenteil ist das Ziel, wenn das BKA von Gemeinschaftlichkeit redet. Ein Hauptinstrument der Planer ist die Entsolidarisierung mittels heterogener Zusammensetzung. Ursprünglich ging man wohl davon aus, daß die Durchmischung schon eine disziplinierende Wirkung haben würde, die das Unterklassenverhalten genügend domestizieren könne. “ Heterogenität war für die Nachbarschaftsplaner eine wichtige Voraussetzung für solche sozialen Lernprozesse: die entstehende Mannigfaltigkeit bereichere das Leben jedes einzelnen, durch die unterschiedlichen Gruppen entstehe praktisch eine Art ‚Kulturaustausch‘. Unterschicht Angehörige könnten z.B. von dem höheren Standard des Mittelstandes profitieren.“

Dieses Ziel des gegenseitigen Achtens auf Einhaltung der Mittelstandsnormen wird aber nicht erreicht, wenn erstens die Anonymität zu groß ist, so daß jeder sowieso unkontrolliert macht, was er will und zweitens die Mittelschicht aus den Ghettos wegzieht, weil sie es nicht aushält und sich noch leisten kann, ein Häuschen im Vorort zu erstehen. Dann käme der Gemeinwirtschaft in der Arbeit der Planer die doppelte Aufgabe zu, erstens die Besser Situierten und Angepassten durch stärkere soziale Bindungen im Stadtteil zu halten und zweitens diese sozialen Bindungen, die neue Gemeinschaftlichkeit, gegen den unangepassten Rand der Ausgeflippten, jugendlichen Kriminellen usw. einzusetzen. Ich behaupte also, daß es die Absicht der Planer ist, die angepassten Bürger im Stadtteil durch Gemeinwesenarbeit gegen die Kriminalität formell und informell zu organisieren. Vormbrack von der Neuen Heimat spricht das als Aufgabe der Sozialarbeiter offen an: “ käme es … nun darauf an, bei der Bevölkerung in den vornehmlich durch Mietwohnungen geprägten Wohngebieten das Bewußtsein für die Notwendigkeit zu wecken, sich viel mehr als bisher mit potentiellen Delikten in ihren Quartieren zu befassen … also neben der generellen Aufgabe, bei der Bildung stabiler Nachbarschaften erfolgreich behilflich zu sein, wäre jene Aufgabe ein neuer wichtiger Akzent in der Bewohnerbetreuung durch den Sozialarbeiter ….

Um aber an einem Beispiel deutlich zu machen, was in der Praxis gemeint sein kann, nur eine Anregung aus dem sehr breiten Spektrum denkbarer Möglichkeiten etwa zu der Überschritt Sicherheit der Kinder. Hier könnte man sich vorstellen, daß der Sozialarbeiter, nachdem er eine entsprechend positive Resonanz bei den Bürgern, auch selbst mitzuhelfen, sicherlich mühsam erwirkt hat, Rundgänge von Erwachsenen organisiert, deren Präsenz alleine bereits, im Sinne einer sozialen Kontrolle, delikt mindernd wirken könnte. Darüberhinaus wäre fallweise auch zu prüfen, ob und wenn ja, in welcher Form eine Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei sinnvoll ist. „

Ähnliche Gedanken zum Thema Prävention äußert der Kriminologe: Günter Kaiser auf dem Symposion: „Ferner könnte man in Anlehnung an schwedische Vorschläge an Mieter- und Lehrerräte denken, um dem ansteigenden Vandalismus durch junge Menschen wirksamer Einhalt zu gebieten.“ Vormbrock schlägt vor, pro 800 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau jeweils 1 Sozialarbeiter durch die Wohnungsbaugesellschaften einzustellen (bisher 1 Sozialarbeiter auf 12 000 Wohnungen bei der Neuen Heimat). Es würden dann 6 000 neue Sozialarbeiter eingestellt werden, wofür die Miete nur um 10 Pf. pro qm im Monat erhöht werden müßte. (Für die anerkennenswert große Zahl junger Menschen, die sich auf diesem Gebiet beschäftigen möchten … vom Motiv her sehr überzeugende Arbeitsplätze.“

Wahrsacheinlich werden sich die offen repressiven Varianten durch Bürgerpolizeien nicht durchsetzen lassen, dafür könnten aber die nach außen hin fortschrittlichen Ansätze die gleiche Funktion bekommen. Ansätze nämlich, die das Stadtteilleben mit Festen, Kommunikationszentren und eventuell Beratungsstellen bereichern, und die sich tatsächlich gegen die Gesellschaften für die Bewohnerinteressen einsetzen. Die aber, da sie von anständigen, politikfähigen Leuten getragen werden, sich von allem kriminellen und illegalen Tun distanzieren. Interessant wird es dann, wenn die anständigen Politmenschen und Sozialarbeiter ihre Informationen über den Stadtteil Untergrund der Jugendlichen an die Polizei, die zukünftigen Kontaktbereichsbeamten oder Jugendpolizisten weitergeben. Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß sich dies in den normalen Stadtteilinitiativen gar nicht vermeiden lässt, falls nicht vorher eine knallharte Diskussion darüber stattgefunden hat. ln den Jugendzentren läuft es ja meist so, daß die links eingestellten Sozialarbeiter oder Erzieher sich nicht gegen „Hauer“ oder Zerstörungswütige zu helfen wissen und der zivile Jugendschutzbulle dann zu Hilfe geholt wird, um durch seine ständige Präsenz bei den Discos etc. vorzubeugen und die entsprechende Vorinformation für das spätere Eingreifen der Normal Bullen zu haben. ln absehbarer Zeit wird der Staat versuchen, all das, was auf Stadtteilebene an Initiativen und Sozialarbeit läuft, für ein neues Konzept von Kontrolle zu benutzen. Er wird versuchen, Bürgerinitiativen, vielleicht im Zusammenhang mit den „Grünen“, offiziell als „4. Gewalt“ anzuerkennen und damit den Spielregeln institutioneller Politik unterwerfen. Wie die Gewerkschaft die Arbeiter schon seit langem in der Fabrik an die Kette legt, so braucht man heute, als Antwort auf die steigende Unzufriedenheit in der Region und die Anti-AKW-Bewegung, einen neuen Grundträger von Herrschaft.

Man wird eine flexiblen Puffer einrichten, der aus Elementen von Sozialarbeit, Bürgerinitiativen, Freizeiteinrichtungen, Vereinen und Nachbarschaftsorganisationen zusammensetzt ist und der für sich in Anspruch nimmt, im Namen der Bürger zu bestimmen, was im Stadtteil laufen soll und darf und was nicht. Einen vielsagenden Versuch in diese Richtung unternimmt man bereits in Bremen. Für den Arbeiterstadtteil Hemelingen soll eine eigens dazu bestellte Diplom-Sozialpädagogin die Stadtteilarbeit koordinieren. Sie wird sämtliche Vereine und Stadtteilgruppen für eine Koordination der Aktivitäten unter ihre Fittiche nehmen. Offiziell heißt das Ziel: Förderung der Freizeitaktivitäten. Dies dürfte aber nur eins unter vielen Experimenten in ähnlicher Richtung sein. Ziel aller Experimente ist es, das „unanständige“ und „kriminelle“ Element im Stadtteil zu isolieren und damit einer Slumbildung vorzubeugen.

Die neuen Koordinationen o.ä. werden sich als legale Organismen ja nur konstituieren können, wenn eine autonome, auf unmittelbar praktischen Kampf gerichtete Stoßrichtung unterbleibt. Eines wird in Zukunft nicht gemacht werden: daß man den Menschen, heute kann man schon sagen dem größten Teil der Gesellschaft, da auch die Mittelklasse längst zum Objekt einer umfassenden Gesellschaftsplanung geworden ist, einen Einfluß auf Strukturen, auf etwas Grundsätzliches, ein Recht auf etwas von unten organisch Wachsendes zugestehen würde. Der Verzicht auf differenzierte Planung von oben, käme einem Verzicht auf die Klassenherrschaft gleich, wäre in den Augen der Herrschenden das Chaos. Der Prozeß des Entzugs von Einflussmöglichkeiten und damit des Denkens ist bereits soweit vorangetrieben, daß er nur immer neue Antagonismen hervorruft, von steigender Kriminalität, Krankheit, Arbeitsunlust und Verzweiflung bis hin zur Parteimüdigkeit auch bei den integrierten Schichten, daß die Antwort darauf nur in einer neuen Ebene von besserer, präventiver Planung zu bestehen scheint. Die Taylorisierung der Stadt, ist nicht mehr zurückzunehmen, sie ist in der Logik dieses Systems nur durch dasselbe zu bekämpfen, was ihr Ausgangspunkt war: Soziale Kontrolle und Stabilisierung der Ausbeuterherrschaft durch Planung des gesellschaftlichen Lebens. Die entsubjektivierende Planung bleibt – bis wir ihr durch die soziale Revolution eine Ende setzen.

Martin Schaub

Fußnoten:

  1. Christiane F.: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, 5. Auflage, Hamburg 1979, S. 23-25