Que l’on touche à la liberté
Et Paris se met en colère
Et Paris commence à gronder
Et le lendemain, c’est la guerre
Paris se réveille
Et il ouvre ses prisons
Paris a la fièvre
-Mireille Mathieu
Sechs Monate Ausnahmezustand. Der wievielte Ausnahmezustand… Sechs Mal hatte die Regierung den Ausnahmezustand verlängert, der nach den islamistischen Anschlägen von 2015 verhängt worden war. Sechs Mal. Als er endlich endete, waren viele Regelungen des Ausnahmezustand in den “Normalzustand” überführt. Praktischerweise auch Regelungen zum Versammlungsrecht, man hatte mit den Protesten gegen die Klimakonferenz Ende 2015 in Paris angefangen, wo fast sämtliche Demos untersagt wurden. Wohlgemerkt, die Verhängung des Ausnahmezustandes wurde mit der “islamistischen Gefahr” begründet. Was natürlich Sinn macht, da das Versammlungsrecht praktisch außer Kraft zu setzen. Seitdem ist Frankreich Spitzenreiter in Europa was das Verbot von Demonstrationen angeht.
Praktisch jedes Wochenende seitdem die Gilets Jaunes aus der Nebelwand des Klassenkampfes auf die Straße getreten sind, gab es Demonstrationsverbote. Die regelmäßig unterlaufen und ausgehebelt wurden. Ganz praktisch. Gegen all das Tränengas dass jedes Wochenende durch die Städte wehte.
Nun also das Ende von 6 Monaten Pandemie Ausnahmezustand. Oder besser eine kurze Pause, denn die Panik Maschinerie läuft schon wieder an, in allen Innenstädten Frankreichs muss man mit Maske im Gesicht an der frischen Luft unterwegs sein, diese wissenschaftlich völlige ohne empirische Evidenz auskommende Anordnung entlarvt das Maskentragen als dass, was es im Kern ist, eine Unterwerfungshandlung, die sich altruistisch tarnt. Nun also wird jeder mit einem Bußgeld von 135 Euro bedroht, der ohne Maske auf einer Demonstration unterwegs ist. Genau der gleiche Satz, der zuvor zu entrichten war, wenn man mit Maske auf einer Demo kontrolliert wurde. Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke. (In den USA hatte man die Fallzahlen von Corona Infektionen in den Wochen und Monaten nach den George Floyd Protesten und Riots verglichen und keinerlei örtlichen Zusammenhang finden können.)
Nun also, zurück auf die Straße. Überall in Frankreich, aber landesweit nach Paris mobilisiert. Es würde kein Triumphzug werden, die Resonanz war verhalten. Aber praktisch die gesamte Innenstadt von Paris ein Flickenteppich von Verbotszonen. Auf den Champs wurden die Luxusgeschäfte verbarrikadiert. Drei von vier Sammlungspunkten schon vorab verboten, Vorkontrollen schon bei der Anreise, rund um die Sammlungspunkte sowieso. Ein paar Tausend sind es dann aber doch. Heute viele ohne gelbe Weste, be water my friend…
An der l’Avenue de Wagram bildet sich schnell ein großer Mob, Angriffe auf die Bullen, kleinere Barrikaden, mobil bleiben, geht eine Weile gut, dann gelingt es den Bullen die Leute zu kesseln. Trotzdem weiter Kämpfe mit den Bullen, die ballern einfach weiter Tränengas in die Menge.
Endlich gelingt der Ausbruch aus dem Kessel, eine große manif sauvage zieht durch Paris, kleinere Gruppen spalten sich ab, versuchen in Richtung Champs zu ziehen, die schon in Sichtweite sind (ein paar Dutzend schaffen es tatsächlich dorthin, was Panik im Bullenapparat auslöst, Hundertschaften werden verlegt, Wasserwerfer fahren auf…
PARIS – Champs-Elysées : une centaine de #GiletsJaunes nassés. Le canon à eau mobilisé.
Circulation bloqué partiellement. #12septembre pic.twitter.com/GFtDaMcvWK
— Clément Lanot (@ClementLanot) September 12, 2020
Zeitgleich zieht eine Demo vom Platz an der Börse aus durch die Stadt, die einzige nicht untersagte Demonstration heute. Läuft über Stunden im dichten Bullenspalier.
Die Bullen haben umgruppiert, kommen vor die grosse manif sauvage, nebeln mal eben so nebenbei einen Wochenmarkt mit Tränengas ein, dann gelingt es ihnen, die Demo zu stoppen. Der Black Bloc gibt noch einmal alles, ein letzter Angriff auf die Bullen, dann ist die Luft raus.
Am Ende über 200 Festnahmen und Personalienfestellungen, die meisten waren schon zur Mittagszeit erfolgt, also im Vorfeld der Demonstrationen.
Der Tag ein Erfolg? Nach welchen Kriterien? Die Bewegung hat ihren Zenit überschritten. Und dabei mehr erreicht als die radikale Linke in Jahrzehnten. Sie kann gehen, abtreten aus der Geschichte, gehobenen Hauptes, sie kann sich transformieren, in anderer Gestalt wieder auferstehen. Nur eines kann sie nicht, ein parlamentarisch-reformistisches Abziehbild werden. Die, die es versucht haben, wurden aus den Demos gejagt, mussten Bullenschutz bekommen. Haben sehr schnell aufgegeben. Etwas wird kommen, die Pandemie Maßnahmen eines überforderten Regimes, dessen Präsident sich gerade für fast eine Million Euro sein Arbeitszimmer mit Blattgold aufhübschen ließ, werden weitere soziale Verwerfungen generieren, der Pöbel weiter aus den Vororten in überfüllten Bahnen und Bussen zu Bullshit Jobs in der Innenstadt fahren müssen, während die Bourgeoisie sich bei steigenden Fallzahlen fürs home office in den Zweitwohnsitz in der Bretagne zurückzieht. Es hat gerade erst angefangen.
Wir kamen gegen 7 Uhr morgens in Paris an, die Metro, die wir nehmen, hält in der für Demonstrationen verbotenen roten Zone (Trocadero) und fährt nicht weiter. Dutzende von U-Bahn-Stationen wurden geschlossen.
Wir müssen also die rote Zone zu Fuß durchqueren, um die geplanten Kundgebungen zu erreichen. Erste Identitätskontrolle durch etwa zwanzig Motorradfahrer der Tapferen (wir waren zu fünft). Zu unserer großen Überraschung waren sie sehr korrekt. Die Frauen wurden nicht durchsucht, weil es in ihrer Gruppe keine Frauen gab. Sie baten uns, unsere Tasche zu öffnen, schauten hinein, kontrollierten unsere Identität und ließen uns gehen.
Wir setzen unsere morgendliche Wanderung fort, und eine zweite Gruppe von Tapferen hält auf unserer Höhe an, hier ist es viel weniger freundlich. Wir alle an die Wand, leere Tüten, Sandwiches und andere Dinge zerdrückt, um zu prüfen, ob nichts drin ist. Beschlagnahme einer Schutzmaske. Es waren 2 Frauen in ihrer Gruppe, also durchsuchten sie alle. Dann fangen sie an, uns eine Strafe nach der anderen aufzuerlegen.
Und das ist das Schema, sie wissen nicht, auf welches Gesetz sie sich beziehen sollen. Sie sind sich nicht sicher. Nun, es ist schwierig, einen legalen Weg zu finden, um 5 Personen für das Betreten des Bürgersteigs mit einer Geldstrafe zu belegen. Sie wählen das falsche Datum für die Verordnung und schließlich wird die Geldstrafe für die Teilnahme an einer verbotenen Demonstration verhängt. Wir haben uns alle geweigert, diesen nicht vorhandenen Verstoß, den wir anfechten werden, anzuerkennen und zu unterzeichnen.
Wir gehen also zurück, nachdem uns eine zweite Geldstrafe angedroht wurde, falls wir erneut im roten Bereich überprüft würden. Wir sitzen in einer Bar und denken nach. Wie werden wir die geplanten Demonstrationen nördlich der verbotenen Zone erreichen? Wir listen die verbotenen Stadtteile und Straßen auf, schauen Sie uns auf der Karte an. Keine U-Bahnen. Also beschließen wir, alles zu umgehen, indem wir an den Kais an der Seine vorbeigehen, uns die Daumen drücken, um nicht wieder erwischt zu werden, und durch die Tuilerien wieder nach Norden zu gehen.
Während unseres touristischen Spaziergangs trafen wir in unserem Fall viele Menschen, einige von ihnen waren verzweifelt und mussten aufgeben. Während unserer Reise zu den Versammlungsorten, über die wir Informationen erhielten, wurden Genossen einfach mitgenommen. Das eingeführte Sicherheitssystem ist reiner Wahnsinn, Alleen voller CRS- oder Gendarmerie Mobile-Lastwagen, Dutzende von BRAV Einheiten, Drohnen, Wasserwerfer und gepanzerte Fahrzeuge.
Viele Verhaftungen vor den Demonstrationen. Man wird verhaftet, bevor man etwas wie in Minority Report tut. Sie setzen Leute in Busse. Wir haben nicht mehr das Recht, in Frankreich zu demonstrieren, und wir haben auch nicht mehr das Recht, uns frei zu bewegen.
Schließlich gelingt es uns gegen 13 Uhr nach einem Gang durch die sehr schicken Viertel (Vendôme, St. Honoré), in denen das Leben der Reichen seinen Lauf nimmt, an den Protestzügen teilzunehmen … Ich denke, dass ein paar Tränen in diesen Straßen ihnen nicht schaden würden. Die erklärten Demonstrationen sind gekesselt und werden mit Tränengas und Offensivgranaten bombardiert.
Eine Menge Verhaftungen für alles und jedes, für nichts. Mehrere Verhaftungen von Journalisten. Viele Menschen wurden verletzt, oft durch Schlagstockschläge.
Also, um die Frage zu beantworten: Waren da Leute? Ja, es gab Leute, aber es wurde alles getan, um sie abzuschrecken und zu vertreiben. Ganz zu schweigen von der beeindruckenden Zahl der präventiven Festnahmen.
Trotzdem ist es uns gelungen, mehrere Tausend zu werden. Die Angabe einer bestimmten Anzahl ist unmöglich, da es nicht nur eine leicht identifizierbare Kolonne gab. Verschiedene Aktionen fanden zur gleichen Zeit in verschiedenen Teilen von Paris statt. Viele waren von diesem Tag enttäuscht, auch ich war an diesem Tag enttäuscht.
Wie viele Verhaftungen, wie viele Verletzte? Wir erschöpfen uns, wir bringen uns in Gefahr, denn am Ende ist es nicht viel. Aber es ist ein langfristiger Kampf, der nicht an einem Tag gewonnen werden kann. Im Nachhinein und angesichts der unterschiedlichen Nachrichten auf nationaler Ebene kamen am 12. September viele Menschen heraus und riefen ihre Wut hinaus, sei es bei Demonstrationen, auf Kreisverkehren oder Punch-Aktionen wie bei BFM oder cnews.
Es ist schon eine Weile her, dass wir darüber gesprochen haben, unsere Vorgehensweise zu ändern, die Demonstrationen, wenn wir nicht die Masse haben, bringen uns in Gefahr und werden stark unterdrückt. Eine interessante Initiative fand statt, ein Aufruf zu einer Kundgebung um 18 Uhr auf dem Champ de Mars wurde außerhalb der sozialen Netzwerke verbreitet, sie fand aber nicht statt, weil sie schließlich doch in den Netzwerken veröffentlicht wurde.
Aber diese Art von Initiative muss erneut ergriffen werden. Orte besetzen, Citoyen Netzwerke errichten, alles muss überlegt und gebaut werden. Aber sicher ist, dass wir andere Mittel als Demonstrationen finden müssen. Und wir alle haben viele Ideen. Es bleibt die Aufgabe, sie umzusetzen.
Wir werden nicht aufgeben!
An diesem Tag ist ein Genosse aus Rennes, Eric, verschwunden, er war in Wagram, wir haben seit mehr als 24 Stunden keine Nachricht erhalten.
Update : Eric kommt gerade aus dem Polizeigewahrsam.