“Der Häuserkampf” war Anfang der 1980er Jahre nicht nur eine Angelegenheit größerer Szenestädte wie Berlin, Göttingen oder Hamburg, bis weit in die Provinz hinein tobte der Kampf einer rebellischen Jugend, der sich häufig im Ringen um ein autonomes Zentrum manifestierte. Viele der Kämpfe jener Tage sind jenseits der Erinnerungen der Beteiligten in Vergessenheit geraten, außerhalb des Ruhrgebietes z.B. wird sich kaum jemand daran erinnern, dass im Bochumer Heusnerviertel 1986 noch über 150 Wohnungen in 40 Häusern besetzt waren, die dann nach und nach von den Bullen geräumt wurden. Geschichte von unten sollte vorzugsweise immer von unten erzählt werden, wir veröffentlichen deshalb an dieser Stelle ein Interview mit einem ehemaligen Protagonisten des Kampfes um ein Autonomes Kulturzentrum in Bochum Anfang der 1980er, der sich eine chronologische Einordnung anschließt. Beides haben wir der Broschüre “Zentrums-Bewegung Bochum 1981/82” entnommen, die vor wenigen Tagen von Heiko Koch veröffentlicht wurde. Die komplette Broschüre im “Retro Look” der 80er kann hier als PDF heruntergeladen werden. Wir haben die Auszüge entsprechend bearbeitet, um sie in dieser Form online stellen zu können. Im Anschluss findet Ihr die liebevoll rekonstruierte Fassung des 1987 entstandenen einstündigen Dokumentationsfilm “Tanz auf dem Vulkan” über die Besetzungen und den Widerstand im Bochumer Heusnerviertel Mitte der 80er. Sunzi Bingfa
Interview mit Bernd Kreienbaum: „Das war dann ein Schritt in eine andere Richtung.“
Heiko: Hallo Bernd. Schön das Du für ein Interview über die Kulturzentrumsbewegung in Bochum Zeit gefunden hast.
Bernd: Gerne.
Heiko: Zunächst zu Dir. Wie alt bist Du und woher kommst Du?
Bernd: Ich bin 61 Jahre alt – Jahrgang 1959. In bin in Bochum geboren und in Altenbochum aufgewachsen. Die Grundschule habe ich in der Liebfrauenstraße direkt gegenüber der katholischen Kirche besucht. Dann wechselte ich zum Schulzentrum Wiemelhausen, das, was jetzt das neue Gymnasium ist.
Heiko: Also waschechter Bochumer. Kannst Du Dich an die Zeit Ende 70er, Anfang der 80er Jahre erinnern? Was hast Du damals gemacht? Was beschäftigte Dich?
Bernd: In den Jahren direkt nach der Schule, also ab 1979, habe ich als Kriegsdienstverweigerer im Haus der Deutschen Katholischen Jugend meinen Zivildienst gemacht. Ich bin an die Stelle sehr leicht gekommen. Aber ich habe mich später geärgert, weil ich da relativ wenig gemacht habe. Also ich habe dort geholfen eine Zeitung herauszugeben, aber viel Schach und Tischtennis gespielt. Ich war eindeutig unterfordert. Das war auch die Zeit, als ich mit der Beratung für Kriegsdienstverweigerer begonnen habe. Die machte ich bis 1983, 1984. Direkt nach dem Zivildienst begann ich zum Wintersemester 1980 in Dortmund Deutsch und Sport auf Lehramt zu studieren. Studiert habe ich aber nur zwei, drei Semester, weil die Politik – so würde ich es sagen – kollidierte mit meiner Frustration über die Universität. Also beim Sport hatte ich alle Scheine gemacht, einfach weil es Spaß machte, aber im Lehrfach Deutsch merkte ich, dass es dort nicht das Lehrangebot gab, was mich interessierte. Ich wollte nicht mehr Lehrer werden. Das war nicht mehr „mein Ding“. Ich machte dann verschiedenste Jobs (z.B. im Kinderladen) und das, was damals auf der Straße stattfand. Ich fühlte mich sehr hingezogen zu den Aktionen und Leuten, die sich an den verschiedensten Orten getroffen und versammelt haben. Die Szene, die sich damals entwickelte. Leute, die aus meiner damaligen Sicht mehr im Kopf hatten, als die Personen, die ich bis dato kennengelernt hatte. Also aus der Schule oder dem Sport, meinem bisherigen Bekannten- und Freundeskreis. Das war dann ein Schritt in eine andere Richtung.
Heiko: Was verstehst Du unter „mehr im Kopf haben“?
Bernd: Na, dass die Menschen mehr politisch denken und sich bestimmte Themen bewusst machen. Also sich ganz allgemein Gedanken über Ungerechtigkeiten in der Welt machen. Gerechtigkeitssinn, das war mir schon immer wichtig. Das war mir schon als Jugendlicher wichtig. Und wurde mir später immer wichtiger. Das hat mir bei diesen Leuten gut gefallen. Das ist nicht so, dass ich mich damals unbedingt zu einer bestimmten politischen Richtung zugehörig empfand – obwohl es durch meine Schwestern und mein Elternhaus schon zwei klare Lager gab. Meine Eltern waren katholisch-konservativ, also CDU-Wähler, also in einer eher krassen Art. Und meine älteren Schwestern, vor allem die eine, die haben schon früh rebelliert. Die Beiden waren entsprechend älter als ich und haben quasi schon die Vorarbeit geleistet, so dass bei meiner Revolte meine Eltern keine großartige Lust oder Kraft mehr hatten, dagegen zu halten. Von daher war ich schon auf eine gewisse Art von meinen Schwestern geprägt. Und dann natürlich durch meine Kriegsdienstverweigerung und die Uni. Also man beschäftigte sich dort mit den Themen „Gegen den Krieg“, „Gegen den Faschismus“, „Gegen den Imperialismus“. Ende der 70er, Anfang der 80er war das schon die Entwicklung, die mich dann auch weiter geprägt hat. Dann kam die „Demo-Zeit“, also die Demonstrationen gegen die Atomkraftwerke – Brokdorf – und die ganzen Demonstrationen für ein Autonomes Kulturzentrum in Bochum, die man nicht in der Theorie, sondern ganz hautnah (mit)erleben konnte.
Heiko: Hatte sich das irgendwie „angekündigt“ mit den Haus- und Fabrikbesetzungen? Oder „floppte“ das Thema 1981 eruptiv auf?
Bernd: Das ist eine interessante Frage. Also ich kann mich natürlich an die Zeiten im Rotthaus erinnern. Das war eine Kollektivkneipe in Langendreer. Da gab es neben kleinen Konzerten und Disco ein sehr politisches Programm. Zum Beispiel machte ich dort auch die Kriegsdienstverweigerungs-Beratung. Ich war oft dort. Da wird man natürlich sensibilisiert und mobilisiert. Eine weitere Szene-Kneipe war das Ahorn-Eck an der Rottstraße. An solchen Orten trafen sich dann Leute, die sich besprachen und austauschten. Also zeitlich fällt mir das schwer alles genau einzuordnen. Also aus dieser Szene gab es, so glaube ich, im Februar 1981 den spontanen Einfall einen Bus für die Brokdorf-Demo in der Nähe von Hamburg zu mieten. Das verlief aus meiner Erinnerung relativ spontan. Und da war ich dann auf einmal dabei. Das ist die erste größere Sache, an die ich mich erinnern kann. Ich hatte natürlich vorher schon Sachen mitbekommen, aber die Teilnahme an dieser Demo war für mich der Startschuss.
Heiko: Du sprichst von Treffpunkten, wo man die aktuellen Diskussionen mitbekam. Welche sogenannten Szene-Kneipen gab es denn noch in Bochum?
Bernd: Das Oblomow war natürlich meine Stammkneipe in Schulzeiten. Und der Club am Hellweg. Ich war auch mal im Rub-Pub an der Uni. Aber da war ich noch zu jung, da war ich nur ein-, zweimal. Das war wie der Club Liberitas am Nordring. Da waren mehr meine Schwestern. Das waren damals so die Szenekneipen.
Heiko: Das Bermuda-Dreieck gab es damals weder als Amüsiermeile noch als Begriff?
Bernd: Nein. Dort gab es seit Mitte/Ende 70er das Intershop, das Mandragora, die Pinte und vielleicht auch schon das Sachs. Das war`s, glaube ich. Das weiß ich aber nicht mehr so genau. Da war ich selten. Also die Leute, die später das Cafè Konkret machten, Ingrid und Elke, die kannte ich. Die hatten vorher das Ahorn-Eck in der Rottstraße gemacht, zusammen mit nem Schulfreund von mir.
Heiko: Die Brokdorf-Demo Ende Februar 1981 war also deine erste größere Demo-Erfahrung. Wie viele Demonstrant*innen waren damals dort?
Bernd: Puh. 50.000 und mehr waren da. Ich kann mich nur daran erinnern, dass wir alle zu dünn angezogen waren. Es war arschkalt. Wir mussten ewig laufen, bis wir zu einer Demo Sammelstelle kamen, wo sich Leute getroffen haben. Wir kamen nicht weiter. Leute vor uns wurden irgendwie abgeriegelt, andere kamen in Hubschrauber Attacken des BGS. Das war alles ziemlich frustrierend. Es gab schon das Gemeinschaftserlebnis unter uns, was zu machen. Aber im Nachhinein glaube ich war das von der Polizei genau so organisiert, dass die Demonstrant*innen keine zentrale Kundgebung abhalten konnten. Leute, die es weiter Richtung Bauplatz geschafft hatten, die sind aufgespalten, voneinander isoliert, aufgerieben und auch verhaftet worden. Es war ein apokalyptisches Schauspiel, wie der BGS mit dem Hubschrauber gekommen ist. Gesehen habe ich sie nicht, aber gehört habe ich sie. So laut waren die. Und dann gab es die ganzen Erzählungen. Und für jemanden wie mich, der noch so wenig Erfahrungen hatte, war das schon ziemlich krass. Es hatte einen Anflug von Bürgerkrieg.
Heiko: Folgt man der Zeitleiste aus der Fotodokumentation, wo Du ja viele Bilder beigesteuert hast, so ist die nächste größere Aktion in Bochum einen Monat später. Am 28. März 1981 fand die Demonstration „Gegen Alles“ statt. Die startete damals am Schauspielhaus. Kannst Du Dich an die erinnern?
Bernd: Gute Frage. Ich habe sie in meinen Kalender von `81 notiert, aber keine Erinnerung an die, ob ich da war oder nicht. Ich meine ich wäre da gewesen, kann es aber nicht genau sagen. Leider.
Heiko: Geht man nach der Zeitleiste der Dokumentation, so folgt dann im Juni die Besetzung der Hermannshöhe. Kannst Du Dich daran erinnern?
Bernd: Da fehlt aber die Besetzung der Alten Mensa an der Uni. Die war noch vorher, laut meinem Kalender am 20. Mai 1981. Am Tag der Besetzung der Alten Mensa war ich nicht anwesend. Ich bekam das direkt mit, da am nächsten Tag schon Geier Sturzflug ihren Auftritt dort hatten, am nächsten dann Ohrwärts (die Bandmitglieder kannte ich aus Schule, Zivildienst und Uni) und viele haben sich dort versammelt, die das Ganze mit der Besetzung spannend fanden oder einfach Bock auf Musik hatten.
Es gab natürlich schon länger eine Truppe, die in der Stadt was machen wollte und die sich dort eher nicht haben blicken lassen. Also der Kern der Szene, die die Besetzung in der Stadt vorangetrieben hat, der war nicht in der Mensa. In der Alten Mensa fanden viele Konzerte statt. Bands wie Geier Sturzflug, Extrabreit, Pivis Bluesband und viele andere spielten dort. Ich glaube Cochise aus Dortmund haben dort auch gespielt. Bei der Gruppe bin ich mir aber nicht ganz sicher.
Also es gab eine relativ große Gruppe, die nach diesem Treffen dort in der Alten Mensa aktiv geworden ist. Man hat dort seinen Tag verbracht. Ich war zu dem Zeitpunkt nicht mehr so regelmäßig selbst an der Uni, für mein Studium. Ich bin dann mit einem Freund, mit dem ich zusammen wohnte, regelmäßig zur Alten Mensa hoch gefahren und war vor Ort. Wir haben renoviert, haben im Cafè geholfen, usw. Was wir genau gemacht haben, kann ich in allen Einzelheiten gar nicht mehr sagen. Aber wir waren oft da. Es ging um das Zusammensein, das aktiv sein. Ich kann mich nicht dezidiert an Dinge erinnern, wo wir formuliert hätten was wir eigentlich wollten. Wichtig war, dass da Essen und Trinken war, Musik und Disco, das man sich treffen konnte, das man zusammen Spaß hatte.
Na und dann kam schon die Auseinandersetzung mit der Uni-Verwaltung. Die sorgte dann dafür, dass die Alte Mensa dann mal wieder „Geschichte war“. Und während die Alte Mensa lief wurde am 16. Juni die Fabrik an der Hermannshöhe besetzt. Und da ich auch zu der Szene … das war jetzt nicht … also die Szene, die an der Uni war, hatte eine große Schnittmenge mit der Szene, die dann auch in die Hermannshöhe gegangen ist. So kannte ich im Prinzip alle, die die Hermannshöhe besetzten.
Die Hardliner davon waren aber nicht von der Uni, die sind erst aktiv ans Besetzen gegangen an der Hermannshöhe. Man könnte sagen, dass die Besetzung in der Innenstadt auf der Hermannshöhe der eigentliche Startschuss für Bochum war.
Heiko: Aus den damaligen Artikeln der Lokalzeitungen geht hervor, dass die Stadt vorgab, die Halle an der Hermannshöhe selbst zu brauchen, sie drei Tage später räumen ließ und dann abriss. Bei der Räumung seien 133 Leute inhaftiert worden. Das sind ganz schön viele Menschen. Wenn es also bis dato keine Besetzer*innen-Szene gab, aus welchen Szenen setzte sich jetzt diese erste Besetzung zusammen? Gab es da politische Gruppen, oder war das mehr so frei fliegendes Volk?
Bernd: Also, ich war am Tag der Besetzung dabei. Da waren wir so 20 bis 30 Leute. Als die Info rum ging, es gibt in der City eine besetzte Fabrik, da kamen natürlich alle möglichen Leute vorbei. Es gab viel Unterstützung. Und aus meinen Augen war das eine ganz junge Geschichte. Sicherlich wird es da noch jede Menge Zusammenhänge aus dem Ende der 70er Jahre gegeben haben, die da auch involviert waren. Vielleicht Leute aus den ehemaligen K-Gruppen, oder dem Rotthaus, als einer der Treffpunkte. Leute, die sich im Club und Oblomov trafen.
Heiko: Also ein Art definierte Szene war das nicht?
Bernd: Nein, aus meiner Sicht nicht. Also irgendwo, muss es eine Szene oder Szenen gegeben haben, sonst wäre zum Beispiel der Bus nach Brokdorf nicht zustande gekommen. Also wie der und wo der entstanden ist kann ich gar nicht sagen. Ich kam zum Ende des Zivildienstes … ich weiß noch nicht einmal wodurch … also es gab da so ein Bewusstsein … Also ich persönlich habe seit 1980 meine Clique, meinen Freundeskreis, gewechselt. Das waren Leute aus der Schule und die waren weitgehend anders drauf. Da wurde ich etwas mehr politisiert und habe dann Leute getroffen, wo ich mich einfach mehr hingezogen gefühlt habe. Die einfach cooler drauf waren und coolere Sachen gemacht haben. Die andere Ansichten hatten, nicht so in den Tag hinein gelebt haben, sich nur um sich selbst, Autos oder Fußball gekümmert haben, sondern … wo eine andere, eine linke Denke hinter war. Seit dem hatte sich mein Freundeskreis schon sehr gewandelt. Wie es dazu kam … ich kann mich noch erinnern, wie ich damals Kontakte erst geknüpft habe, auf der Fahrt nach Brokdorf … Leute, die man schon vorher vom Sehen kannte, die man dann erst einmal kennengelernt hat. Der Bus nach Brokdorf fuhr schon am Vorabend gegen 22.00 Uhr von Bochum ab, das war ja insgesamt ne 28 Stunden-Aktion. Danach kannte man dann schon viele Leute, die später auch bei den Besetzungen aktiv waren. Durch die Hausbesetzungen hatte man dann irgendwann eine Gruppe, mit denen man sich auch zu den Zeiten getroffen hat, in denen es keine Besetzungen gab. Da bekam man dann auch die Informationen, was geht wo ab.
Heiko: Wofür sollte das Kulturzentrum sein? Was hast Du Dir und die anderen sich gewünscht und vorgestellt?
Bernd: Wie schon vorhin erwähnt, die meisten wollte einfach einen Treffpunkt finden, wo man gemeinsam Kultur erleben konnte, Musik, Kabarett, Theater, Disko. Dazu Essen und Trinken, und dass eben am liebsten selbst organisiert, nicht kommerziell und eben anders, „gegen das Establishment“. Natürlich auch einen Raum für linke Politik, für Diskussionen und Aktionen.
Heiko: Die Halle auf der Hermannshöhe war drei Tage lang besetzt. Gab es in der kurzen Zeit auch schon so etwas wie Renovierungsarbeiten?
Bernd: Ja, es musste aufgeräumt werden, Platz geschafft werden. Es wurde gestrichen, eine Bühne wurde gebaut. Das waren die ersten Aktionen und mehr oder weniger auch die Letzten. Es gab ein Konzert, wenn ich mich nicht irre. Ich weiß aber nicht mehr welche Band gespielt hat. Und am nächsten Tag war schon alles vorbei.
Heiko: Warst Du auch bei der Räumung dabei?
Bernd: Nein. Ich war nicht bei der Räumung dabei. In meinem Kalender hab ich das so nachgeschlagen: Die Räumung war am 19. Juni, schon um 5.15 h. Ich habe die Räumung irgendwie begleitet, aber selbst bin ich nicht geräumt worden. Um 15.00 gab es dann eine Demo am Schauspielhaus und abends war ich dann wieder in der Alten Mensa.
Heiko: Ja, 40 Jahr sind eine lange Zeit. Es ist ja schon ein Wunder, dass Du deine alten Kalender aufbewahrst hast. Viele schmeißen solche Sachen ja weg.
Bernd: In dieser Zeit habe ich echt viele Sachen gleichzeitig gemacht, neben der Uni noch Sport, Theaterbesuche, Kino, Konzerte, kurze Reisen, und eben Alte Mensa und die anderen Fabrikbesetzungen
Heiko: Was ist mit der Demo nach der Räumung? Kannst Du dazu etwas sagen?
Bernd: Wie gesagt, es gab eine Demo nachmittags nach der Räumung, inhaltlich weiß ich dazu aber nichts mehr. „Das hat noch mal für eine andere Stimmung gesorgt.“
Heiko: Laut Chronik fand an dem darauffolgenden Freitag der nächste Besetzungsversuch an der Universitätsstraße statt. Zunächst gab es eine Versammlung im Innenhof des Schauspielhauses und von dort aus zog man zur alten Seifert-Fabrik, die damals dort stand, wo sich heute das Arbeitsamt befindet. Warst Du an der Aktion beteiligt?
Bernd: Da habe ich es auch schwer mich daran zu erinnern. Man hat zwar das Gefühl, das man überall dabei war. Aber da kann auch Einiges an Fiktion dabei sein. Also an den Innenhof des Schauspielhauses erinnere ich mich kaum noch, an die Seifert Fabrik sehr wohl. Der ganze Abend war ja eine einzige Aktion. Hängen geblieben ist mir vor allem die Sitzblockade vor dem Polizeipräsidium und das prügelnde Rollkommando.
Heiko: Wie kam es zu dieser Sitzblockade?
Bernd: Vor der Seifert-Fabrik war ein ziemlicher Aufruhr. Die Polizei war dort und verhaftete Leute von uns. Wir zogen mit 200 bis 300 Leuten zum Polizeipräsidium, hockten uns da relativ friedlich hin und verlangten die Freilassung der Verhafteten. Nach 1 bis 2 Stunden stürmten plötzlich Polizisten aus dem Gebäude – ohne das vorher etwas passiert war – knüppelten die Leute nieder, setzten CS-Gas ein und jagten die Leute in die Innenstadt. Ich als Sportstudent kam relativ schnell hoch und konnte weg ohne verletzt zu werden. Dann flogen Steine Richtung Polizei und die Heckscheibe eines Polizeifahrzeugs ging zu Bruch. Das habe ich noch vor Augen. Und das meine schwangere Schwester mit ihrem Freund neben mir lief. Das war ziemlich aufregend, weil das die erste massive Polizeireaktion war… also das hat etwas verändert, weil man hautnah erlebte, was da … also Brokdorf war die eine Geschichte. Da habe ich Polizeigewalt aus der Entfernung mitbekommen. Aber das an dem Abend war dann hautnah und ziemlich drastisch. So mittendrin zu sein und zu merken Huch, die gehen jetzt ja richtig hart vor und das obwohl von uns nichts ausging. Das hat noch mal für eine andere Stimmung gesorgt.
Und da waren viele dabei, die so etwas auch noch nicht erlebt hatten. Die verabschiedeten sich von der Denke, dass das was die Staatsmacht macht, alles so koscher ist. Was immer das auch heißt. Das schnell die Schuld bei den Leuten gesucht wird, die links sind und Veränderung wollen. Die bestimmte Sachen fordern, weil sie das auch für gerechtfertigt halten. Das dann die Sorge da ist, dass man die Leute unter Kontrolle bringen muss. Besser noch, diese zu instrumentalisieren und sie als aggressiven Mob zu definieren, der Gewalt für seine Ziele nutzt. Da ist man ja schnell bei der Hand, dass der Bürger, der von Nichts mitkriegt, die Meinung entwickelt, dass die Polizei halt eingreifen musste, weil die Polizei macht ja keine Fehler. Die Polizei schlägt ja nicht grundlos. …
Da waren schon einige dabei, die hinterher stark desillusioniert waren, also was so das Ursache – Wirkung – Prinzip anging.
Heiko: Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass das auch bei uns in der Schule in den folgenden Tagen Thema war.
Bernd: Am Tag darauf gab es eine wesentlich größere Versammlung an der Seifert-Fabrik. Fast doppelt so groß. Vielleicht 1000 Leute. Und die haben dann das Gelände besetzt. Da gab es auch Polizeipräsenz, aber die Beamten sind nicht eingeschritten. Man merkte … also es waren viel mehr Leute gekommen als bisher. Es gab auch erheblich mehr Berichte in der Presse. Und man spürte aus Teilen der Bevölkerung eine gewisse Solidarität.
Heiko: Lag das auch an der Berichterstattung des WDR am Vortag?
Bernd: Die Berichterstattung im Fernsehen habe ich nicht mitbekommen. Ich war vor Ort und hatte auch keinen Fernseher. Überhaupt, war man damals dabei und hat nicht so viel Fernsehen geguckt. Die unterschiedlichen Artikel zu den Ereignissen kannte ich dann aber. Natürlich die Taz, aber auch die konträre WAZ. Obwohl es gab in der WAZ solche und solche Artikel. Ich kann mich an den Artikel „General mit zwei Streifen“ erinnern. Das war schon ziemlich plump und damals der Mainstream. Es gab aber auch Stimmen, die kritischere Artikel in der WAZ verfassten. Um diese Polizeiaktion einzuordnen. Die Polizeigewalt hat die Szene mehr zusammengeschweißt und Teile der Bochumer Bevölkerung sympathisieren lassen.
Heiko: In der Folgezeit war die Seifert-Fabrik an der Universitätsstraße ca. 5 Wochen lang besetzt. Das war ein sehr zentraler Ort, nah am Hauptbahnhof, gut erreichbar für viele. Was passierte in kultureller und politischer Hinsicht in dieser Zeit in der Fabrik?
Bernd: Ich kann mich nur an die Anfangszeit in der Seifert-Fabrik erinnern. Ich hab dort renoviert, gestrichen und gemacht. Aber im Juli war ich sehr oft unterwegs. Ich hab meiner Schwester bei ihrem Umzug nach Schweden geholfen, usw.. Ich kann mich an einige Vollversammlungen erinnern, bei der auch die Presse vertreten war. Ich kann mich noch an die riesige Schaukel erinnern, die aufgehängt war. Aber eine richtig intensive Erinnerung an diese Fabrik habe ich nicht. Ich habe auch nicht in Erinnerung, dass die Besetzung fünf Wochen lang andauerte. Ich hab gedacht, dass wäre kürzer gewesen. Ich kann mich noch nicht einmal an ein Konzert erinnern, ob es Theater gab, oder sonst etwas lief. Ich glaube, dass ich einen Großteil der Zeit nicht da war. An die Demonstration am 4. Juli kann ich mich aber gut erinnern. Die war noch getragen von den Ereignissen eine Woche vorher. Die Leute, die an dem Abend dabei gewesen waren, wirkten mit ihren Erzählungen als Multiplikatoren in ihrer Verwandtschaft, ihrem Bekanntenkreis und bei ihren Freunden. Auf der Demo kamen ungefähr 2500 Leute zusammen und waren ziemlich empört über das Verhalten der Polizei und hatten sich auch mit dem Wunsch nach einem Kulturzentrum auseinandergesetzt. Da gab es sehr viele Sympathiebekundungen aus der Bevölkerung. Vom Gefühl her war das ein Sprung nach vorne. Man merkte, man kann etwas bewegen. Das Ganze nannte sich ja auch „Die Bewegung“. Das war ein gutes Gefühl … was erreicht zu haben… das man gemerkt hat, dass es da Leute gab, die sich vorher für das Anliegen der Leute nicht interessiert haben, Interesse zeigten.
Die mitbekommen haben wie von der Stadt und der Polizei vorgegangen wurde und die den Kopf geschüttelt haben und gesagt haben „so geht es nicht“. Und es waren auch fast alles Bochumer. Es waren wenig Leute von außerhalb. Aber wie gesagt, ich war danach viel unterwegs und kann mich nicht genau erinnern. An den gescheiterten Besetzungsversuch des Schultheiss Gebäudes in der Diekampstraße kann ich mich noch erinnern. Da habe ich fotografiert. Und an die öffentliche Frühstücke auf der Kortumstraße, mit Musik, Theatersketschen, Clownerie, Straßenmalerei und Informationen.
Also wir hatten Litfasssäulen gemacht, an denen der NormaloBürger dann auch stehen blieb und wir mit denen ins Gespräch kamen. Aber da weiß ich nicht, ob das vor oder nach der BoFabrik war. Man wollte mit seinem Anliegen in der Öffentlichkeit bleiben. Na, und nach der Bo-Fabrik Räumung die Rosenmontagsdemo. Wo man sich mit Verkleidung und Pappmache-Figuren ziemlich kreativ präsentiert hat. Es gab ja auch immer die tollen selbstgemalten Transparente von der Kunstgruppe.
Heiko: Bei der BO-Fabrik warst Du aber wieder öfters dabei?
Bernd: Ja. Ich weiß noch, es hat am Tag der Besetzung geschneit und eine der ersten Aktionen war, das der Heinz auf der Leiter stand und über den Torbogen am Hauptgebäude „Autonomes Kulturzentrum“ schrieb. Die BO-Fabrik bestand aus einer großen Halle und vielen kleinen Räumen. In der Halle hatte das Schauspielhaus u.a. „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ aufgeführt. Das war ein tolles Stück in der tollen Kulisse der BO-Fabrik.
Die BO-Fabrik war sehr verwinkelt und schwer zu heizen. An die Kälte kann ich mich gut erinnern. Vor allem, als die SPD uns die Heizung abdrehte. In der Halle gab es dann eine Empore aus Metallgittern. Da schliefen kurz vor der Räumung diejenigen, die bei der Räumung im Gebäude sein wollten – wegen der Kälte.
Heiko: Was für Gruppen gab es in der BO-Fabrik?
Bernd: Also eine Volksküche, Cafè-Gruppe, Kunstgruppe, usw. Kabaretts, wie die „Drei Tornados“ und viele Bands traten auf. Geier Sturzflug war da. Die spielten überall. Im Rotthaus, in der Alten Mensa. Also die habe ich in dieser Zeit gut ein Dutzend mal gesehen. Und die waren auch in der BO-Fabrik. Neben vielen anderen. Cochise, die Mobile Einsatz Kapelle (MEK), Fritz Brause, Konditors, usw.
Und es gab das große „Ton, Steine, Scherben“ Konzert. Und das war natürlich der Wahnsinn, 2500 Leute und vorne die Scherben. Kulturell war das Konzert das Highlight in der BO-Fabrik.
Heiko: Im Februar 1982 wurde die BO-Fabrik geräumt. Hast Du damals in der Fabrik geschlafen und wurdest mit geräumt?
Bernd: Ich stand vor der Fabrik. Vor den Absperrungen der Polizei und habe Fotos gemacht. Da wurden dann Leute raus getragen und abgeführt. Das Verhalten der Polizei bewegt sich noch im Rahmen. Viele Zivilbullen waren da und beobachteten uns, wer denn alles anwesend ist. Es war klar, dass es mit der Fabrik-Bewegung zu Ende geht. Die Stadt hatte ihr Ziel erreicht.
Nach den ganzen Mühen und Anstrengungen, der ganzen Arbeit – das war ja jetzt die dritte besetzte Fabrik seit dem Juni – war da langsam die Luft raus. Man spürte unter den Leuten eine Ermüdung. So habe ich das in Erinnerung, dass danach eine Zeit lang erst einmal nichts passiert ist. Also es gab noch die Rosenmontagsdemo im Februar, die Demo „Kein schöner Land“ im April und im Juni das Anti-Nato-Fest im Stadtpark. Da war ich dabei. Und zwischendurch gab es zu Pfingsten eine große Gruppe, die eine Fahrradtour machten. Aber das war Freizeit. Du merktest es hatten sich über die Zeit Gruppen gebildet, die dann auch privat sehr viel gemacht haben. Das war sowieso ein Merkmal, dass in dieser Zeit viele Freundschaften entstanden sind. Das diese Besetzungen von daher auch eine lebensbereichernde Geschichte waren.
Obwohl ich eigentlich oft nicht gut drauf war, aus unterschiedlichen Gründen, z.B wegen Uni- und Beziehungsfrust.
Heiko: Wie ging es für Dich weiter nach der Besetzungszeit?
Bernd: Kurz nach der BO-Fabrik habe ich im Kinderladen gearbeitet. Anschließend fing ich bei einem Reiseführerverlag an. Für den bin ich durch ganz Deutschland gefahren und habe die Reiseführer in Buchhandlungen angepriesen. Das war eine schöne Zeit. Ich war viel unterwegs. Mitte 1983 arbeitete ich dann in dem Verlag in Düsseldorf bis ich 1984 in der Bäckerei anfing. In der Zeit hatte ich noch viel freie Zeit, Zeit für die Szene. Das was ich in der Zeit nicht gemacht habe, war zum Fußball zu gehen. In den 70er Jahren bin ich mit meinem Vater entweder nach Bochum oder Schalke gegangen. In den 80er Jahren hat das ein bisschen geruht. Ich war zwar mal im Stadion, aber das war ja eher verpönt ein Fußballfan zu sein. Weil es halt nicht politisch war, sondern Mainstream oder wie auch immer kommerziell. Es gab unter den Linken nicht viele die offene Fußballfans waren.
Ich ging mehr ins Stadion. Und in der Bäckerei gab es auch noch viel Politisches. Allein durch die Arbeit, Biobäckerei und Selbstverwaltung. Man traf sich mit den anderen Bäckereien bundesweit. Das war auch sehr spannend.
Heiko: Was würdest Du sagen. Was hat dieses Jahr 1981 mit seinen Haus- und Fabrikbesetzungen für Dich bedeutet. Für dein Umfeld und für Bochumer Verhältnisse.
Bernd: Puuh … Das hat schon viel ausgemacht … Die Zeit hat mich schon in vielerlei Hinsicht geprägt. Ich habe mich mit viel mehr Sachen auseinandergesetzt. Politische Themen haben mich interessiert. Ich habe sehr viel gelesen. Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen hat mich sehr beschäftigt. Eine frühere Freundin nannte mich irgendwann mal den „Frauenversteher“ , kurz bevor sie sich dann trennte. Eine Rolle, wo ich mich rein fand, aber auch wieder nicht. Ich hatte mit meinem Selbstbild als Mann so meine Probleme. Politisch war das eine Zeit gewesenen …. pfff, was soll ich sagen… also ich bin nie der Typ gewesen, der inhaltlich, z.B in Versammlungen, eine Rolle gespielt hätte. Ich war mehr der Typ der mitmachte, der praktisch anfasste, der renovierte, der im Cafè arbeitete, der dies und das besorgte, der Fotos gemacht hat. Auch immer so etwas wie ein Beobachter. Ich habe viel und gerne Leute beobachtet, kennengelernt und dadurch ganz viele verschiedene Erfahrungen gemacht. Erfahrungen mit Leuten. Das ist auch heute noch so. Das war so mit das Wichtigste. Leute haben mich schon immer fasziniert. Wenn ich Leute kennen gelernt habe und mitbekommen habe, was die für Erfahrungen gemacht haben. Man stellte halt fest, man hat zum Teil die gleichen Erfahrungen gemacht.
So war das damals im Großen auch. Man hat ganz viele Leute gehabt, die ähnliche Einstellungen zu Sachen hatten wie ich. Also Einstellungen, die sich nicht nur auf das Kulturzentrum bezogen.
Sicher gab es auch ein pauschales schwarz-weiß Denken unter uns. Das man alles was links war als gut ansah und alles was rechts war Scheiße fand. Aber… ja das war und ist ja auch Scheiße… Und es wird natürlich auch viel noch mit dieser Revolte gegen meine Eltern zu tun gehabt haben. Also meinen kirchlich-rechtskonservativen Elternhaus. Ich hatte eigentlich ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern. Aber ich hatte das Gefühl, ich muss da total ausbrechen. Und das habe ich auch gemacht. Raus aus der Kirche, raus aus der Enge dieser Werte. Das war für mich persönlich eine Befreiung, Sachen zu machen, die ich aus Verklemmung und Unsicherheit, wie auch immer du das nennen willst, nicht machen konnte. So war ich in der Schule in einer reinen Jungenklasse, bis ich nach einmal Sitzenbleiben in eine Klasse kam, in der es auch Mädchen gab. Für mich war das gut, dass da auch Mädchen in der Klasse waren. Und in der Szene später waren dann auch Frauen, die taffer und selbstbewusster waren und mich schon beeindruckt haben. Das war … das hatte auch ein bisschen mein Frauenbild geprägt. Respekt, Anerkennung und zum Teil Bewunderung für das, was diese Frauen gemacht haben und in welcher Art. So etwas kannte ich aus meinem katholischen Elternhaus nicht. Außer von meinen Schwestern.
Aber das ist irgendwie was anderes. Da war ich jünger und konnte das noch nicht so einordnen. Auch was da so politisch dran war. Das ging im Studium dann auch Hand in Hand mit der Entscheidung, kein Lehrer zu werden. Ich bin nicht der Typ, der ein Leben lang vor der Klasse steht und pädagogisch arbeitet. Ich merkte, das ist nicht mein Ding. Ich muss was mit meinen Händen machen. Und das habe ich letztendlich auch gemacht. Und dann war da natürlich der enorme Aspekt der Selbstverwaltung. Das da niemand ist, der mir bestimmt, was ich zu tun und zu lassen habe. Wenn, dann ist das eine gemeinsame Entscheidung. Und das war ja ein verbindendes Element und Antrieb in der Zeit des Autonomen Kulturzentrums, die Autonomie.
Heiko: Also deine Biografie, dein weiterer Berufsweg in einem selbstverwalteten Bäckereibetrieb, hat auch etwas mit den Gewünschten und Erlernten in der Fabrikbewegung zu tun?
Bernd: Genau. Ich glaube schon, dass das der Grundstein dafür war. Gut, ich hätte auch im Fahrradladen anfangen können. Da war die Art der Arbeit vordergründig nicht so wichtig. Wichtig war die Idee der Selbstverwaltung, der gemeinsamen Verantwortung. Das war mein Ding. Das war auch ausschlaggebend um zuzuhören, wenn andere Leute andere Ideen hatten, das zu akzeptieren und dann zu einem gemeinsamen Nenner zu kommen. Also in der Geschichte der Bäckerei gab es diejenigen, die mehr bestimmt haben als andere. Das war damals so und das ist auch heute so. Heute ist das auch kein Kollektiv mehr, sondern eine GmbH. Aber wir haben noch viele Merkmale eines selbstverwalteten Betriebs. Also unterhalb der Geschäftsführung gibt es keine großartige Hierarchie. Also eine die von außen aufgedrückt wird.
Heiko: Als ehemaliges Mitglied eines selbstverwalteten Betriebs kann ich nur sagen: So etwas produzieren die Leute dann selber.
Bernd: Ja, mit Vor- und Nachteilen. Manchmal gibt es Probleme. Es hat sich ja schon in der Fabrik-Bewegung gezeigt und den Kollektiv-Gedanken etwas abgenutzt. Also wo man die gleichen Problem und Themen der Verantwortlichkeit immer wieder hatte. Die Fragen danach, wer denn putzt, wer die Küche aufräumt, die Klos sauber macht, wer einkauft, woher kommt das Geld, usw. Das kann sein, dass nach der BO-Fabrik der Gedanke nicht mehr mit so einem Enthusiasmus betrieben wurde, etwas abgenutzt war. Das vielleicht auch Leute abgesprungen sind, sich beruflich umsortierten, älter geworden waren, das kann ich für die Einzelnen nicht so sagen.
Heiko: Nun, es war ja auch alles sehr labil. Die erste Fabrik wurde nach drei Tagen geräumt und ließ keine Zeit und Raum, um Erfahrung zu sammeln. Bei der zweiten Fabrik war klar, die wird abgerissen, und viele fuhren im Sommer 1981 lieber in Urlaub, als sich um ihr Projekt zu kümmern. Und da nahmen die sozialen Probleme bei den in Bochum gebliebenen so überhand, dass sie beschlossen, die Fabrik freiwillig zu räumen. Und die dritte, am längsten besetzte Fabrik, wurde durch Strom und Heizung abstellen torpediert und dann nach 2 Monaten geräumt. Und das alles bei fortlaufender polizeilicher, juristischer und administrativer Repression. Da stellte sich ja auch die Frage, wie viel Raum und Zeit hatten die sich gerade kennenlernenden Leute, um in diesen labilen Provisorium neue und andere Projektideen zu entwickeln und aus den Erfahrungen zu lernen.
Bernd: Das war ja auch das Ziel der Stadt Bochum, dass sich so etwas nicht verfestigt und institutionalisiert. Sie hat versucht die Bewegung so früh wie möglich zu zerschlagen, damit sich keine tragbaren Strukturen aufbauen.
Heiko: Was meinst Du, hat die Fabrik-Bewegung auch für andere eine solch wichtige biographische Rolle gespielt wie bei Dir?
Bernd: Das glaube ich ganz bestimmt. Viele Leute aus der Zeit haben sich ja in irgendwelchen Zusammenhänge noch eigentlich bis zum Ende der 80er Jahre und sogar darüber hinaus weiterhin getroffen, zusammen gewohnt (WGs), zusammen Musik gemacht oder Politik, sich dann später auch im Bhf Langendreer getroffen. Die Zeit hat sicher die meisten stark geprägt, auch wenn viele dann, älter werdend, Familien gegründet und ins Private reingerutscht sind.
Heiko: War die Bochumer Szene im Jahr 1980 eine andere Szene als im Jahr 1982? Waren es mehr Leute geworden? Hatten sich andere Strukturen entwickelt? War sie ausdifferenzierter? Was wurde mit den Erfahrungen gemacht? Konnte man da einen Unterschied nach diesem Bewegungsjahr sehen?
Bernd: Ich glaube die Szene vor den Besetzungen, die wird wohl ihren Ursprung in der 68er Bewegung, den Erfahrungen der 70er Jahre und dem Deutschen Herbst `77 gehabt haben. Im Jahr 1980, also mit dem etablierten Rotthaus, da waren ältere Leute zugegen. Ich würde das mal als linksintellektuelle Szene beschreiben. Viele Studenten oder ähnliches … also … das war nicht so ein Spektrum, wie es das später gab, wo auch nicht nur aus bürgerlichen Schichten Leute dabei waren. Also Auszubildende, Handwerker, Arbeitslose, Rocker, Punks. Die Szene war anders geworden. Klar dachten bei denen auch viele diffus links. Aber sie handelten auch aus ihrer eigenen Situation heraus. Also die in ökonomischen Notsituationen steckten, die billigen Wohnraum brauchten, die wenig Geld für Essen und Trinken hatten, die Bedürfnisse nach Räumen für sich und ihre Gruppen suchten. Und die organisierten sich das mit der Bewegung über eine größere Gemeinschaft.
Die Szene wurde breiter. Und war vielleicht auch nicht mehr so zielgerichtet. Ich weiß auch nicht wie zielgerichtet, die vor der ersten Besetzung war. Also wer da welche Ziele genau hatte. Also wie ich die Szene 1984 bis 1988 wahrnahm, war die nicht mehr so breit und homogen. Vielleicht lag das auch in Ermangelung eines übergreifenden Projekts. Da gab es natürlich das Projekt Bahnhof Langendreer. Aber der stellte ja nur einen Teil der damaligen Szenerie dar.
Ich kann mich nur an die verschiedenen Wohngemeinschaften erinnern, die wieder rum so etwas wie Interessengemeinschaften bildeten. Dort traf man sich dann.
Heiko: Was hat die Kulturzentrumsbewegung der Stadtbevölkerung gebracht?
Bernd: Tja, die Frage würde ich gerne streichen…
Heiko: Wie und wann entstand die Foto-Dokumentation? Mit wem hast Du die gemacht? Sie war im Format ja wie die Dokumentation über das Dreisameck in Freiburg. War die das Vorbild für Eure Dokumentation?
Bernd: In meiner Erinnerung gab es eine Gruppe aus ca. 4-6 Leuten, die da mitmachten. Ein, zwei Leute aus der Kunstgruppe (Michael), mein Freund Frank, mit dem ich damals zusammen wohnte, an Suse kann ich mich erinnern und an einen Typen, der an seiner Arbeitsstelle schon Repros machen konnte. Ob die Doku über das Dreisameck Vorbild war weiß ich nicht, kann aber gut sein.
Heiko: Herzlichen Dank für das Interview.
Chronologie Bochum 1981/82
28.02.1981: Brokdorf-Demo
27.03.1981: Das städtische Haus Auf den Holln wird besetzt.
28.03.1981: erste Demonstration „Gegen Alles“ – ca. 500 Personen nehmen teil (Scheiben des Beate Uhse – Laden und der Stadtwerke gehen zu Bruch, Redebeiträge zu den politischen Gefangene, Atomenergie und Hausbesetzungen. 1. Flugblatt „Zombies im Rathaus“ erscheint
04.05.1981: Diskussion über ein selbstverwaltetes Jugendzentrum und Fest im Rotthaus, Hauptstraße 172 in Bochum-Langendreer
20.05.1981: auf Initiative des AStA wird die „Alte Mensa“ besetzt, die Uni-Verwaltung dreht das Wasser und den Strom ab, die Arbeit gestaltet sich dort als schwierig, angeblich waren ca. 20 Initiativen hier aktiv, nach ca. 3 Monaten wird das Projekt ohne viel Widerstand geräumt, Die alte Mensa lag zu weit ab und viele Personen wollten ein Zentrum in der City.
16.06.1981: Besetzung auf der Hermannshöhe, die vier Jahre leer stand
18.06.1981: OB Eickelbeck verkündet auf der Hermannshöhe Eigennutzungsabsichten der Stadt
19.06.1981: Räumung und Abriss der Fabrik auf der Hermannshöhe, brachialer Polizeieinsatz um 5:30 Uhr morgens, Festnahme von 133 Jugendlichen, die in das Polizeipräsidium gebracht und erkennungsdienstlich behandelt werden, 133 Anzeigen wegen Hausfriedensbruch, auch wegen Beleidigung und Körperverletzung. Am Nachmittag demonstrieren hunderte Jugendliche in der Stadt, einige Scheiben werden eingeworfen
20.06.1981: Demonstration gegen die Räumung, für ein „Autonomes Zentrum“ und für die Rücknahme aller Strafanträge, dem Oberbürgermeister wird am Flohmarkt ein Reifen seines Mercedes zerstochen.
23.06.1981: Den Besetzer*innen wird eine baufällige Lagerhalle an der Zechenstraße angeboten. Vollversammlung in den Kammerspielen – die Vertreter*innen der Stadt erscheinen nicht Spaziergang zum Terminal von Richard Serra am Hauptbahnhof, das zur Wand der Demokratie ernannt wird. Die abziehenden Demonstrant*innen werden von der Polizei angegriffen, sieben Demonstrant*innen werden verhaftet, eine Hundestaffel mit Hunden ohne Maulkorb zerstreut die Demonstrant*innen, die Demonstrant*innen ziehen vor das Polizeipräsidium , fordern die Freilassung der Verhafteten, nach einer Stunde werden die Verhafteten freigelassen
24.06.1981: Die Vollversammlung erwartet OB-Eickelbeck in der angebotenen Halle, OB-Eickelbeck erscheint nicht, die Vollversammlung beschließt die Vorbereitungen zu einer Neubesetzung
25.06.1981: Infostand auf der Kortumstraße in der Innenstadt
26.06.1981: 400 – 500 Menschen treffen sich zur Vollversammlung im Innenhof des Theaters. Es wird der Beschluss gefasst, die leere Seifert-Fabrik an der Universitätsstraße zu besetzen. Die Menschen demonstrieren zur Universitätsstraße, die Polizei riegelt das Gelände ab, greift die Demonstrant*innen an und verhaftet mindestens drei BesetzerInnen. Daraufhin demonstrieren die Menschen zum Polizeipräsidium. 200 bis 300 Menschen veranstalten eine Sitzblockade vor dem Polizeipräsidium. Ein Rechtsanwalt, der sich nach den Verhafteten erkundigen will, wird aus dem Polizeipräsidium geschmissen. Eine Gruppe von 15 – 20 Polizisten stürmt aus dem Präsidium und beginnt auf die Sitzenden einzuschlagen. Zivilpolizisten beteiligen sich umgehend an der Prügelei.
Die Menschen die fliehen können, rennen in die Innenstadt, werden verfolgt, getreten und geschlagen. Es kommt zu weiteren Verhaftungen. Einige Scheiben werden eingeschlagen. Die lokale Presse stellt am nächsten Tag die Besetzer*innen an Verursacher der Auseinandersetzungen dar. Das anwesende Fernsehen (WDR) stellt die Polizei als Aggressoren dar.
Im Laufe der nächsten Tage ändert das WDR seine Position: Zunächst spricht sie von der Polizei als Aggressoren, dann werden die Besetzer*innen via Polizeipräsident Behrnd zu Gewalttätern erklärt.
27.06.1981: Demonstration von 1.000 Menschen und Besetzung der Seifert-Fabrik an der Universitätsstraße. Aus der „Putz“ Nr. 4 (Besetzer Zeitung) geht hervor, dass es in NRW 129 Besetzungen bis 1982 gegeben habe. Es wäre zu 1.000 Strafverfahren und bis dato zu 30 Verurteilungen gekommen. Dies sei auf eines (nicht weiter genannten) Symposium diskutiert worden. Die Schwierigkeit in den Verurteilungen läge in dem Umstand, dass das Besetzen eines leeren Hauses (damals) kein Strafstandbestand des Hausfriedensbruchs darstellen würde.
Die „Welt am Sonntag“ meldete am 28.06.1981, dass gewalttätige Demonstranten Polizisten verletzt und den Bochumer Oberbürgermeister aus seinem Auto gezerrt und bedroht hätten.
28.06.1981: Brandanschlag auf einen benachbarten Lagerraum. Im Atombüro in der Alsenstraße wird eine Scheiben eingeworfen.
29.06.1981: Vollversammlung und Pressekonferenz in der Universitätsstraße, 1.000 Menschen kommen. Auch der Oberbürgermeister Eikelbeck (auf den fast täglichen VVs sollen 200 bis 500 Leute kommen)
04.07.1981: Demo für ein „Autonomes Kulturzentrum“ und Einstellung aller Strafverfahren, ca. 2.500 Leute beteiligen sich an der Demonstration (die WAZ spricht von 2.000) Forderungen : (lt. Bo-Fabrik-Dokumentation) – Rücknahme sämtlicher Strafanträge und Ermittlungsverfahren – Keine Kriminalisierung unserer Bewegung – Sofortiger Rücktritt des Polizeipräsidenten Behrndt – Keine weiteren Terroraktionen durch die Polizei – Für ein autonomes Kulturzentrum
https://www.waz.de/staedte/bochum/70-jahre/bochumer-themen-1981-id213850277.html
12.07.1981: Eine Arbeitsgruppe „Hallenkontakt“ der Stadt verkündet im Namen der Stadt Bochum: – zum 01.08.1981 steht die Schule an der Pestalozzistraße 21 oder die Halle an der Oskar-Hoffmann-Straße 61 als Kulturzentrum zur Verfügung – bis zum 14.07.1981 soll sich die Bewegung entscheiden – die von der Stadt gestellten Strafanträge wurden zurückgenommen – an der Stelle der Seifert Fabrik soll das neue Arbeitsamt gebaut werden, – der Hallenkomplex würde abgerissen, – ab den 01.08.1981 drohen rechtliche Konsequenzen für weiteres Besetzen des Geländes.
18./19.07.1981: 2 Tage Fest in der Seifert Fabrik
24.07.1981: Die Vollversammlung schreibt an die Stadt Bochum: Ablehnung der Angebote durch die Vollversammlung am 21.07.1981 1) Schule an der Pestalozzistraße 21 geeignet, aber zu weit weg 2) Halle an der Oskar-Hoffmann-Straße 61 ungeeignet.
Ein Bedürfnis – Katalog wird aufgestellt. Öffentliche Frühstücke in der City, Aktionen und Infostände werden in der Innenstadt gemacht um in der Öffentlichkeit sichtbar zu bleiben. Ende des Monats führt der anhaltende Druck der Stadt, das Chaos und die Widersprüche untereinander zu desolaten Zuständen in der Seifert Fabrik.
01.08.1981: Im Stadtrat werden die Einwände gegen den Bau des Neuen Arbeitsamts an der Universitätsstraße besprochen und abgelehnt
03.08.1981: Die Vollversammlung beschließt die freiwillige Räumung der Universitätsstraße
10.08.1981: Die Besetzer*innen machen mit Informationsständen in der Innenstadt Öffentlichkeitsarbeit. Die Vollversammlungen werden erst in der Alten Mensa, dann im BVZ abgehalten
19.08.1981: Die Hallen an der Universitätsstraße werden endgültig abgerissen. Seit der Aufgabe der Seifert Fabrik gab es mehrere neue Besetzungen: die Velsstraße 123, Am Trottenberg 9, und die Alleestraße 30A. Zerstörungen durch die städtische VEBA an der Velsstraße 123 lassen die Besetzer*innen die Alleestraße 30 A besetzen. An der Alleestraße wird das Wasser und der Strom gekappt, ebenso wie Am Trottenberg 9. Im Heusnerviertel werden weitere Wohnungen und Häuser durch die Stadt Bochum demoliert und unbewohnbar gemacht.
14.09.1981: Die Heusnerstraße 16 wird instandbesetzt.
22.09.1981 Der Senat in Berlin lässt acht von 157 besetzten Häuser räumen, der neue CDU – Innensenator Heinrich Lummer hält eine Pressekonferenz in einem der geräumten Häuser, Auf einer Demonstration der Hausbesetzerbewegung wird der 18 jährige Klaus Jürgen Rattay vor einen Bus getrieben und stirbt
23.09.1981 Demonstration in Bochum anlässlich des Todes von Klaus Jürgen Rattay (Sprayereien erscheinen „Mord in Berlin“)
10.10.1981: Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten mit 350.000 Teilnehmer*innen (Nato-Doppelbeschluss)
15.10.1981: Besetzung des leerstehenden Schultheiss-Verladehof an der Diekampstraße Über 40 Besetzer*innen dringen ein. Benachrichtigte können nicht nachkommen, da die Polizei das Gebäude mit Einsatzkräften und Hunden absichert. Die Besetzer*innen werden festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. 43 Strafbefehle werden erlassen. Bis 6:00 Uhr morgens warten Unterstützer*innen vor dem Polizeipräsidium auf Inhaftierte.
29.10.1981: Besuch der öffentlichen Ratssitzung 50 Besetzer*innen fordern lautstark ein Autonomes Zentrum
30.10.1981: Vollversammlung
07.11.1981 Demonstration in Dortmund gegen die Startbahn-West (Treff: Reinoldikirche) 500 Demonstrant*innen werden von der Polizei mehrmals angegriffen bei dem Versuch die B1 – Kreuzung zu besetzen. Mehrere Demonstrant*innen müssen auf Grund ihrer Verletzungen ins Krankenhaus.
12.11.1981 Brandanschlag auf die städtische Verwaltungsstelle am Werner Hellweg in Lütgendortmund, Graffito an der Häuserwand: „Rache für den 7.11. – RZ“. Der 21 jährige Andreas S. aus Bochum, Mitglied der Besetzer*innen-Szene, stirbt an den Folgen des Anschlags an seinen Brandverletzungen. Zwei Hausdurchsuchungen erfolgen in der besetzten Alleestraße und in einer Wohngemeinschaft in der Wohlfahrtstraße
18.11.1981: 50 Hausbesetzer*innen besetzen die lokale WAZ-Redaktion und erzwingen die Veröffentlichung eines Nachrufs der Besetzer*innenbewegung für den verstorbenen Schüler Andreas S.
28.11.1981: Besetzung der Friederikastraße („Putz“)
30.11.1981: Räumung der Friederikastraße , 150 Polizisten („Putz“)
11.12.1981: Besetzung der Bo-Fabrik (ehemalige Heintzmann Fabrik) im Anschluss einer Aufführung der „Die Hausbesetzer“. Pläne der Stadt zum Abriss der Bo-Fabrik waren vorher bekannt geworden. Die Besetzung kündigten die Besetzer*innen per Flugblatt vorher an, sprachen von einem erweiterten Konzept mit anderen Gruppen und selbstkritisch über die Notwendigkeit eines tragbaren Nutzungsplan für die Fabrik.
In der besetzten Bo-Fabrik finden zu El Salvador, der Startbahn West, Stadtsanierung, usw. Veranstaltungen statt. Diverse Filme werden gezeigt. Es gibt Arbeitsgruppen, Vollversammlungen, eine Küche, eine Kneipe, ein Cafe. Es finden diverse Konzerte statt.
19.12.1981: Es findet ein Solidaritätsveranstaltung zur polnischen Solidarnosc-Bewegung in der Bo-Fabrik statt.
26.12.1981: Die Stadt kappt am 2. Weihnachtstag Strom und Heizung. Die erste Ausgabe der Bewegungszeitung „Putz“ erscheint
05.01.1982: Das SPD-Büro in der Innenstadt wird besetzt. Nach sechs Stunden wird Strom und Heizung in der Bo-Fabrik wieder angestellt.
18.01.1982 :Die Band „Ton, Steine, Scherben“ spielt vor einigen tausend Menschen in der Bo-Fabrik.
24.01.1981: Öffentliche Podiumsdiskussion „Rettet die Bo-Fabrik“ im Bildungs- und Verwaltungszentrum Vorher wurde von der SPD und der CDU beschlossen die Bo-Fabrik abzureißen. Dementsprechend scharf werden mittels Sketchen und Wortbeiträgen die städtische Politik kritisiert.
28.01.1982: Stadtratssitzung mit Beschluss des Abriss der Bo-Fabrik. Es findet eine Demonstration unter dem Motto „Schluss mit der Baggerpolitik! Wir bleiben in der Bo-Fabrik.“ statt. Trotz der Polizei gelangen 150 Besetzer*innen in die Ratssitzung, protestieren dort, werden rausgeschmissen und demonstrieren durch die Innenstadt. CDU und SPD beschließen den Abriss, die FDP stimmt dagegen. Das WDR berichtet positiv, Schauspielhaus Intendant Claus Peymann nimmt zu Gunsten der Besetzer*innen Stellung. Der WDR-Reporter wird abgestraft und Claus Peymann erfährt eine Kündigungsandrohung seitens der Stadt. Ab den 28.01. gibt es Nachtwachen in der Bo-Fabrik und Besetzer*innen übernachten dort.
30.01.1982: Demonstration gegen den Abriss der Bo-Fabrik
05.02.1982: Veranstaltung gegen die türkische Militärdiktatur in der Bo-Fabrik. Diverse weitere Veranstaltungen, Konzerte, etc. finden in der Bo-Fabrik statt. Infostände auf der Kortumstraße.
10.02.1982: Räumung der Bo-Fabrik. Umgehender Abriss über zwei Tage und nachts bei Flutlicht. Es kommt zu brutalen Polizeieinsätzen. Ein am Kortländer besetztes Haus wird gleich mit geräumt Es findet eine Demonstration von ca. 1.000 Menschen gegen die Räumung statt. Ungefähr 1.000 Polizisten sind im Einsatz und begleiten die Demonstrant*innen in Ketten. Ein Flugblatt der Besetzer*innen listet später die massive Polizeigewalt auf.
12.02.1982: Vollversammlung im Bildungs- und Verwaltungszentrum (BVZ)
13.02.1982: Frühstück um 11:00 Uhr am Husemannplatz, Demonstration
16.02.1982: Vollversammlung im Bildungs- und Verwaltungszentrum (BVZ)
18.02.1982: Prozess gegen den Besetzer Hermann
22.02.1982: Rosenmontagsumzug der Besetzer*innen
24.02.1982: Prozess gegen den Besetzer Ulli. Bei den Schultheiss Prozessen gibt es viele Geldstrafen
03.04.1982: Demonstration „Kein schöner Land in dieser Zeit …“ – eine Demonstration „Für Alles“ zum Jahrestag der Demo „Gegen Alles“
14.04.1982: Offener Brief an die Justizminister von NRW mit der Forderung der Strafverfolgung der Polizisten von 26.06.1981, 10.02. und 13.02.1982
12.05.1982: Besuch bei dem maßgeblichen Spekulanten der Schultheiss-Brauerei, der die Besetzer*innen der Diekampstraße verurteilen ließ.
20.05.1982: Erste Sendung des „Stadtradios Bochum“
06.06.1982: Anti-Nato-Fest im Stadtpark
Zu den Besetzungen im Heusnerviertel: Tanz auf dem Vulkan
Nachdem Mitte der 70er der Beschluss zum Bau einer Westtangente durch das kleine, alte Arbeiter*innenquartier gefasst worden war, begann die systematische Vertreibung der alten Bewohner*innen. Da sich der geplante Prozess dann doch hinzog, wurde zuerst etliche Wohnungen an Student*innen als Zwischennutzer vermietet, nach und nach wurden aber auch immer mehr Wohnungen besetzt, Mitte der 80er müssen es an die 150 besetzte Wohnungen gewesen sein. Gegen anhaltenden Widerstand wurden dann in einem Prozeß von gut zwei Jahren alle Besetzungen geräumt, der Dokumentarfilm “Tanz auf dem Vulkan” berichtet vom Leben und Widerstand im Viertel.