Die unmögliche Flucht

Sante Notarnicola

Genosse Sante Notarnicola hat uns im Alter von 82 Jahren am 22. März 2021 verlassen, nachdem er seinen letzten Kampf mit Covid gewonnen hatte. Sante wurde in Castellaneta, in der Gegend von Taranto, Süditalien, am 15. Dezember 1938 geboren. Traurige Jahre, Jahre, in denen der Süden hungerte: Der Faschismus, der Krieg in Afrika, der Krieg in Spanien hatten nichts gelöst, sie hatten die Menschen nur ausgesaugt. Und der zweiten Weltkrieg lag bereits in der Luft.

Sante Notarnicola verbrachte seine frühe Kindheit in Armut und sozialer Ausgrenzung. Vom Vater verlassen, musste er die Trennung seiner Familie in einer Anstalt für verlassene Kinder ertragen, die er mit 13 Jahren verließ, um zu seiner Mutter zu ziehen, die inzwischen nach Turin ausgewandert war.

In der industriellen Hauptstadt des Nordens zieht er in die „Barriera di Milano“, bekannt als neuralgisches Viertel für die gesamte Arbeiterwelt und Sitz einer der wichtigsten und historischsten Sektionen des PCI der Stadt Turin, die berühmte Sektion „Antonio Banfo“, die ein Protokoll mit Aufzeichnungen eines Treffens führte, an dem Gramsci, Togliatti, Tasca und andere teilnahmen, und dieses Relikt war der Stolz aller ihrer Aktivisten zusammen mit den unzähligen Geschichten derer, die Zeugen wichtiger historischer Ereignisse waren.

Notarnicola begann seine politische Militanz unter dem Einfluss seines Onkels, eines ehemaligen Partisanen, er verkehrte in Gruppen von Arbeitern und ehemaligen Partisanen und trat mit ihnen zunächst der FGCI, dann der PCI bei. Es waren die Nachkriegsjahre, Jahre, in denen in den Kreisen der italienischen Linken weiterhin revolutionäre Hoffnungen genährt wurden, insbesondere der Traum, den während des Widerstands geführten Kampf fortzusetzen, um die am Ende des Zweiten Weltkriegs abrupt unterbrochene Umgestaltung herbeizuführen, es waren die Jahre, in denen sich angesichts der Träume einer Generation die institutionelle Wende der Kommunistischen Partei abzeichnete, die sich zunehmend von revolutionären Ideen distanzierte.

Vor dem Hintergrund dieses komplexen Szenarios reift Notarnicolas politische und menschliche Erfahrung heran, und von dieser Erfahrung müssen wir ausgehen, um die Bedeutung seiner Poesie zu verstehen, einer Poesie, die von der Geschichte, der Menschlichkeit, den Gefühlen, mehr als von Worten genährt wird.

Im Jahr 1959 begann er mit einigen Genossen eine Serie von Enteignungen, indem er Überfälle auf Banken und Juweliere organisierte, um Geld für die Befreiungsbewegungen in den Kolonialländern zu sammeln, bei einem dieser Überfälle (dem blutigen Raubüberfall auf Largo Zandonai in Mailand) wurde er im Jahr 1967 zusammen mit Piero Cavallero und zwei anderen Genossen verhaftet und zu lebenslanger Haft verurteilt.

Im Gefängnis begann er zu studieren, zu schreiben und vor allem dafür zu kämpfen, was in jenen Jahren in den Gefängnissen geschah. Von diesem Moment an (die 68er und die Rote Brigaden waren noch nicht da) wird man ihm eilig verschiedene Etiketten verpassen, vom Unruhestifter zum Subversiven, vom Nappisten [1] zum Brigadisten [2], vom Uneinsichtigen zum Unverbesserlichen.

Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er in Bologna. Seit 1995, in einem halbfreien Knast Regime, leitete er die Kneipe Mutenye, widmete sich der Jugend und vielen sozialen, solidarischen und kulturellen Projekten. Seit dem 21. Januar 2000 war er wieder komplett auf freiem Fuß. Was folgt, ist unsere Übersetzung von Kapitel 1 seines Buches Die unmögliche Flucht, das ursprünglich im Jahr 1972 als L’evasione impossibile veröffentlicht wurde. Ciao Sante! Sunzi Bingfa

Die unmögliche Flucht

Das Buch Die unmögliche Flucht (L’evasione impossibile) ist die Geschichte der Geburt und des Weges jener Gruppe, die Ende der 60er Jahre als Cavallero-Bande die flüchtigen Ruhmesblätter der Zeitgeschichte kreuzte. Es handelte sich um eine Bande von Bankräubern, die sich über Jahre hinweg selbst geschützt hatte, indem sie jede Beziehung zur Unterwelt vermied und damit jede Anstrengung und Aufklärung der damaligen Ermittler nutzlos machte. Eine Anomalie, die sie damals zur Legende machte, die sich aber durch die gar nicht verbrecherische Herkunft ihrer Mitglieder erklären lässt, die in der Welt des Turiner Kommunismus, des Boite-Tals und der Werkstätten des industriellen Wiederaufbaus der Nachkriegszeit verwurzelt sind. Sante Notarnicola war einer der Pioniere der Gefangenenbewegung in Italien. Eine Bewegung, die später die Gefängniskämpfe der vielen revolutionären Gefangenen unterstützte.

Kapitel 1

Ich war es mir schon seit einiger Zeit bewusst und alles wurde immer schmerzhafter, ich musste über die Freiheit aufgeklärt werden, über die Fehler, die Menschen in ihrem Streben nach ihr machen, damit ich sie verstehen und nie wieder begehen kann. Das ist es, so einen Tag ohne Ironie, ohne Witze, lernen, auch mit Worten zu lieben, andere zu lieben. Diese Dinge sind möglich. Ja, ich weiß, vielleicht hätten sie gesagt, Moment der Entmutigung, Sentimentalität der Scheiße, aber tief in mir wusste ich aus Erfahrung, dass manche Menschen sich gerne als hart darstellen und stattdessen so verletzlich sind. Man muss nur den Schlüssel finden und die Seele öffnen und im Menschen, in allen Menschen, findet man Wunder. Ich habe unter harten Menschen gelebt, die von den furchtbarsten Schicksalsschlägen heimgesucht wurden, zu viele von ihnen hatten nicht einmal ein Ideal, dem sie eine Resthoffnung anvertrauen konnten, Menschen, die dahinvegetierten, und doch, unter all dem, wenn man wusste, wie man gräbt, wenn man wusste, wie man das richtige Thema und den richtigen Moment findet, nun, dann hat man gewonnen und man hat den richtigen Menschen gefunden. Ich hatte es schon so oft versucht und ich wusste es. Deshalb habe ich an das geglaubt, was ich tat, trotz der Misserfolge und Enttäuschungen.

Natürlich habe ich manchmal Fehler gemacht, das war fatal, aber es war meine eigene Schuld, weil ich nicht die richtige Taste gefunden habe. Es gab nur einen Typ von Mensch, der mir Angst machte, und ich kannte ihn nur zu gut, denn ich war auch einmal so gewesen: der Fanatiker. Und vor diesen habe ich aufgegeben: in solchen Fällen wie dem meinen kann nur das Leben und die Erfahrung sie ändern, wenn sie nicht böswillig sind.

Ein paar Tage vor Weihnachten kamen weitere 6 Gefangene in die Strafzellen: Ich glaube, es war das einzige Gefängnis in Italien, das zu dieser Zeit Strafgefangene aufnahm. Schließlich endete meine Isolation und ich konnte zu meinen Gefährten zurückkehren und den Kontakt zu den anderen Gefangenen wieder aufnehmen.

Eines Morgens war ich mit A. und C. auf dem Korridor, als C. kam, ein Sardinier, klein von Statur, aber voller Nervosität; ich bemerkte etwas Seltsames an ihm, und die anderen Gefährten bemerkten es auch. Als er an uns vorbeiging, fragten wir ihn: „Was ist los?“.

Wir konnten die Frage nicht beenden und er lehnte sich gegen die Wand und begann zu weinen. Er war ein harter Mann und diese Eigenschaft beunruhigte uns. Wir brachten ihn in seine Zelle und versuchten, ihn zu beruhigen. Er sprach mühsam und schlug die Hände vors Gesicht: „Vor einer Weile ging ich im Hof spazieren, ihr wisst, dass ich die Angewohnheit habe, ein nicht angezündetes Streichholz im Mund zu halten, ich rauche das Streichholz nicht, ich kaue gerne ein wenig darauf herum, dann spucke ich es aus, das war’s, eine Gewohnheit, dann ging ich im Hof vorbei und da war Wachtmeisterl Busti mit diesem großen Unteroffizier, von dem ich nicht weiß, wie er heißt, ich war in Gedanken bei meinen Angelegenheiten und ich hatte sie nicht einmal gesehen, ich spuckte das Streichholz aus, nach ein paar Schritten hörte ich, wie sie mich Busti und den anderen riefen, sie brachten mich ins Büro und zwangen mich, auf die Knie zu gehen, um ihnen die Hände zu küssen.“ Wir mussten ihn festhalten, er war erschüttert von der Demütigung, die er erlitten hatte. „Ich habe nur noch zwei Jahre vor mir. Ich wusste sofort, dass sie mich anzeigen werden, ich will raus, meine Mutter ist eine alte Frau und ich hätte meine Strafe längst verbüßt, diese Jahre, für die ich bezahle, sind alles Schandtaten, die im Gefängnis begangen wurden, sie wollen mich nicht rauslassen, diese Arschlöcher: sie provozieren mich ständig“.

Ich erzählte den Genossen des Nukleus [3] von meinen Erfahrungen in Mailand. Dort in Volterra hingegen waren die Nachrichten spärlich und alle negativ. Die Gefängnisleitung behielt eine eiserne Faust bei, ich wusste auch von mehreren Schlägereien, ich schlug vor, eine Dokumentation zusammenzustellen, nach meiner Rückkehr nach Mailand hätte ich sie an Andrea geschickt, der in der Zwischenzeit eine Zeitschrift gegründet hatte: Re Nudo. In dieser Zeitung gab es eine Spalte mit der Bitte an die Militanten, die Gefangenen zu schreiben und ihnen mit Büchern und Zeitschriften zu unterstützen. Mehrere Leute folgten dem Aufruf, darunter auch Irene und Candido, zwei aktive Kämpfer*innen von Lotta Continua; ich sortierte nach und nach die Adressen zu anderen Genossen aus und begann so eine intensive Korrespondenz mit den Genoss*innen. „Lotta Continua“ begann mit der Veröffentlichung einer Serie von Zeugenaussagen aus dem Gefängnis, dann wurden uns zwei feste Seiten zugewiesen und die Arbeit begann, einen politischen Charakter anzunehmen.

Es gab in der Tat viele Zwischenziele zu formulieren und zu erreichen, während man auf das wichtigste wartete, nämlich die vollständige Abschaffung der Gefängnisse. Es war notwendig, das Recht auf gewerkschaftlich bezahlte Arbeit in den Gefängnissen zu erkämpfen, das Recht auf sexuelle Kontakte mit unseren Frauen, das Recht auf alle von der Verfassung festgelegten Verteidigungsmittel, um der Abscheulichkeit bestimmter Urteile ein Ende zu setzen, die nur deshalb verhängt werden, weil der Angeklagte nicht die Mittel hat, sich zu verteidigen. Und schließlich wollten wir das Recht erkämpfen, keine weiteren Verbrechen zu begehen, wir wollten sicher sein, dass die Gesellschaft einen Proletarier aufnimmt, der bereit ist, sich wieder in das Leben des Landes zu integrieren, und nicht einen Mann voller Hass und Ressentiments, den man am Rande hält, um ihn wieder ins Gefängnis zu sperren.

Wir haben daran gearbeitet, aus dieser Spirale herauszukommen. Ich war überzeugt, dass die Politik, das gesellschaftliche Interesse eine wichtige Quelle ist, die positive Ergebnisse bringen kann. Die Menschen, die sich in der Vergangenheit auf paternalistische Weise um uns gekümmert hatten, hatten in ihrer Mission kläglich versagt, und es konnte nicht anders sein, da sie Nächstenliebe und Resignation anboten. Diese Leute konnten sich nicht mit einem einzigen erlösten Gefangenen rühmen. Wir hatten auf eigene Faust entschieden, dass unsere Wiedereingliederung möglich war. Wir lernten von den Kämpfen der Arbeiter, unsere waren ähnlich, und die Arbeiter, die immer zahlreicher wurden, zeigten Sympathie für unsere Anstrengungen, auch wenn die gesamte bürgerliche Presse versuchte, sie in die entgegengesetzte Richtung zu beeinflussen. Von den Arbeitern hatten wir die Lektion gelernt, die in der Einheit liegt und darin, die Dinge einzufordern, die das System uns geben muss, weil wir Gläubiger sind. Wir lernten, uns nicht vom gemeinsamen Kampf abzukoppeln, wir steckten jetzt bis zum Hals drin und das war ein Punkt zu unseren Gunsten. Unsere Forderungen wurden immer mehr streng politischer Natur, und das war ein durchschlagender Beweis dafür, dass es nicht nur Delinquenten in den Gefängnissen gibt, sondern dass die Masse aus Proletariern besteht, und das rechtfertigte das Interesse der äußeren Avantgarde, bestimmte Räume im Lande zu füllen, so wie sie es mit den Slums, den Vorstädten und all jenen Interventionspunkten tun, wo politisch berechtigte Kämpfe ausbrechen.

Das Interesse von Re Nudo und Lotta Continua und die ganze Arbeit, die wir leisteten, konnte der Leitung des Gefängnisses nicht entgehen und viele Briefe wurden gestoppt, bis wir klandestine Kanäle fanden. Im April 1971 kam es im Turiner Gefängnis zum x-ten Mal zu einem Aufstand, die „Ordnungskräfte“ gewannen nach hartem Kampf die Oberhand, fanden sich aber in einem völlig zerstörten Gefängnis wieder. Die inhaftierten Genossen hatten sich die Parole „Das Gefängnis wird abgerissen, nicht reformiert“ auf die Fahnen geschrieben. Der Generalstaatsanwalt der Provinz Turin, der berüchtigte Dr. Colli, hatte den Befehl gegeben, alle Häftlinge, die sich in die Nähe der vollständig von der Polizei umstellten Mauer wagten, sofort zu erschießen. Es scheint, dass Schüsse auf wehrlose Menschen abgegeben wurden, die nur ein paar Steine und einen Haufen Verzweiflung als Waffen hatten. Dreißig Personen wurden nach Volterra verlegt. Sie waren nicht die, die als „Rädelsführer“ bezeichnet wurden, tatsächlich kamen sie mit all ihren Sachen an, sie gehörten zu den letzten, die evakuiert wurden und zwar auf eigenen Wunsch.

Normalerweise werden die „Rädelsführer“ so überführt, wie sie gefangen werden und in dem Zustand, in dem sie gefunden werden, manchmal sogar mit nur ihrer Unterwäsche. Diese dreißig kamen um zwei Uhr morgens an und wurden in den großen Hof des Schlosses geführt, wo sie von allen Wachen begrüßt wurden. Sie zwangen sie, sich komplett auszuziehen, und dann gingen sie plötzlich mit Tritten, Schlägen und Gürteln auf sie los. Viele von uns wachten auf; mein Fenster war eine gute Position, und ich wurde Zeuge einer der widerlichsten Szenen, an die ich mich erinnern kann. Die Aktion stand unter dem Kommando von Wachtmeister Cesare Busti. Einige Häftlinge entkamen den Gürteln der Folterknechte und rannten über den großen Hof, gejagt vom Licht der Scheinwerfer, wo ein 20-mm Breda-Maschinengewehr aufgestellt war. Aber es gab zu viele Wärter und sie spielten wie die Katzen gegen die Mäuse. Wir konnten die Schreie hören: „Mami, Hilfe, die Bullen“, riefen sie. Es dauerte eine halbe Stunde: Am Ende konnten wir nur noch die ohrenbetäubenden Kampfgeräusche hören, dann nichts mehr. In dieser Nacht schwor ich, Busti und Direktor Restivo, die von den Lynchmorden wussten, bezahlen zu lassen.

Unter uns wuchs die Unzufriedenheit von Tag zu Tag, es gab einige Vorschläge, die sofort die Ohren der Leitung erreichten. Bald fand sich unsere ganze Gruppe in den Bestrafungszellen wieder, einige von uns wurden verprügelt, es brauchte nur ein paar Worte, um „in den Ratten“ zu landen. Wir gingen erst nach einer kompletten Durchsuchung an die Luft, und das Gleiche passierte, als wir zurückkamen. Die Wärter wurden alle ausgetauscht, in den Strahlen gab es statt eines Agenten fünf oder sechs. Der Priester kam zu mir in die Einzelhaft, ich schlug ihm vor, das Geschehen anzuprangern, er hatte keine Lust dazu, er hatte Angst und sagte es deutlich, er fühlte sich erst wohl, als er sein Gehalt abholte. Wir waren allein. Ich wurde in die Direktion beordert, Busti beschuldigte mich, einen Aufstand vorzubereiten und drohte mit Massakern und Tötungen. Er hielt mir einige meiner Briefpartner vor und drohte, sie abzuschalten, aber er wurde sofort „vernünftig“, im selben Moment wurde mir die Vorladung für den Berufungsprozess zugestellt, bis dahin war mein Aufenthalt in Volterra nur eine Frage von Tagen. Am Morgen meiner Abreise nach Mailand brachten sie mich in den Aufnahmeraum, wo sie mich zwangen, mich für die Durchsuchung auszuziehen, da war ein Wärter mit einem arschähnlichen Gesicht, der mir sagte, ich solle meine Unterhosen ausziehen, er sagte dann „Gìrati“ (schlecht gelaunt), ich drehte mich um, „Piégati“ (Biegen und brechen). Ich drehte mich um, zog mich wieder an und sagte zu ihm auf Augenhöhe: „Wenn du denkst, dass ich etwas in meinem Arsch verstecke, dann rufe einen Arzt; du wirst für diese Aktion bezahlen“. Sie wollten sich gerade auf mich stürzen, als die Carabinieri kamen, um mich aus dieser Situation zu befreien.

Auf dem ganzen Weg nach Mailand habe ich kein einziges Wort gesagt, so dass es der Eskorte unangenehm war. Ich genoss die Aussicht, die Bäume und das viele Grün. Ich blickte auf den Horizont, den ich seit Monaten nicht mehr gesehen hatte. Es war der 1. Mai 1971. In San Vittore gesellte ich mich zu Adriano und Piero, die mir vorausgegangen waren, und ich schlug ihnen vor, den Volterra-Skandal öffentlich zu machen. Ich habe dem Berufungsgericht in Mailand ein Dokument vorgelegt. Über die üblichen klandestinen Kanäle erstattete ich den Genoss*innen Bericht; einige Auszüge wurden in „Lotta Continua“ und in „Re Nudo“ veröffentlicht.

Wir hofften, dass sie uns wegen Verleumdung anklagen würden, um beim Prozess all das herauszubringen, was wir nicht schreiben konnten, aber selbst als die bürgerliche Presse darüber berichtete, kam die Denunziation nicht. Ein positives Ergebnis wurde jedoch erzielt: Restivo, der Direktor von Volterra, wurde seines Amtes enthoben und leitet nun, mit den üblichen Methoden, die er im berüchtigten Gefängnis von Palermo, dem Ucciardone, gelernt hat, die kleine Justizanstalt von Agrigento. Es scheint, dass sich nun auch in Volterra etwas verändert hat. Aber sicher nicht dank des Verdienstes des „aufgeklärten“ Bürgertums, das immer so aufmerksam auf die Dinge jenseits des Vorhangs achtet, sondern dank einer Gruppe junger Menschen, die uns von außen beraten und unterstützt haben. Und Dank vor allem an die vielen unscheinbaren Gefangenen, die unter hohem Risiko den Mut hatten, sich einem Kampf zu stellen, von dem sie wussten, dass er von Anfang an verloren war.

Bei der Staatsanwaltschaft in Pisa liegen Dutzende von Anzeigen gegen Volterra mit genauen Angaben, Daten, Fakten, Namen. Bislang hat die Justiz sie nicht berücksichtigt. Um aus Volterra verlegt zu werden, verschluckten die Gefangenen Nägel, Löffel, Nadeln, Glühbirnen, schlitzten sich die Pulsadern auf und rissen sich den Magen auf, nur um den Klauen von Busti und Restivo zu entkommen. Sie wurden dann in das Gefängniskrankenhaus in Pisa transportiert und danach zurück nach Volterra geschickt.

Fußnoten

[1] Die Bewaffneten Proletarischen Zellen (italienisch: Nuclei Armati Proletari, abgekürzt NAP) waren eine linksradikale Gruppe im bewaffneten Kampf, die in Süditalien aktiv war. Ihre Mitglieder*innen wurden Nappisten genannt.

[2] Die Roten Brigaden (italienisch Brigate Rosse, BR) waren eine bewaffnete kommunistische Untergrundorganisation in Italien. Sie wurden 1970 in Mailand gegründet. Ihre Mitglieder*innen wurden Brigadisten genannt.

[3] Siehe [1]