Osterunruhen statt Osterlockdown

Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke durch Josef Bachmann, der ihn mit dem Ruf „Du dreckiges Kommunistenschwein!“ vor dem SDS Büro am Berliner Kurfürstendamm mit drei Schüsse nieder streckte und als deren Spätfolge Rudi Dutschke am 24. Dezember 1979 einen tödlichen epileptischen Anfall erlitt, breiteten sich die spontanen Proteste zu Ostern 1968 schnell von Berlin aus über das gesamte Bundesgebiet aus. Nicht nur in Berlin kommt es vor dem Springer Hochhaus zu Krawallen, in fast 30 Städten finden Demonstrationen statt, 20.000 Bullen werden landesweit mobilisiert. In Rom fliegen Molotows auf Porsche und – Mercedes Niederlassungen, in London müssen hunderte Bullen die deutsche Botschaft schützen, wütende Demonstranten rufen davor immer wieder “Sieg Heil”. Axel Springer selber flüchtet vorübergehend in die Schweiz. Zu den Geschehnissen in Hamburg nach dem Mordversuch an Rudi Dutschke haben wir einen Text aus den Untiefen der Archive geborgen und stellen ihn bearbeitet online, weil er erstens die deeskalierenden Haltung wesentlicher Strukturen und prominenter Personen aufzeigt, als auch die wahrgenommenen und verpassten Möglichkeiten zur Zuspitzung als auch zum stärkeren Zusammenfinden mit den proletarischen Fraktionen, die sich ebenfalls gegen die herrschende Verhältnisse zu wenden begannen. Sunzi Bingfa

Die Hamburger Osterdemonstrationen 1968 und die sich daran anschließenden Aktionen (von Thomas Thielemann)

In einem Bericht, den die Hamburger Polizei über die Oster-Proteste verfasst hatte, hieß es, die studentischen Aktionen der Ostertage seien „als kalkulierte Provokationen planmäßig vorbereitet und systematisch organisiert“ gewesen. Studentische Vertreter betonten jedoch später immer wieder, es habe sich bei den Demonstrationen vor dem Springer-Verlag um eher spontane Reaktionen auf den Anschlag auf Rudi Dutschke gehandelt. Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 hatte der SDS zu einer ersten spontanen Demonstration am Abend aufgerufen. Einige hundert Studenten versammelten sich vor der Springer Geschäftsstelle am Gänsemarkt. Dort wurden zwei Scheiben eingeschlagen. Dann zog man weiter von einer Springerfiliale zur nächsten. Sprechchöre „Bild hat mitgeschossen“ u.ä. zeigten die Wut und die moralische Empörung, welche die Studenten zur unmittelbaren Reaktion drängte. Bei einem anschließenden Sitzstreik im Hauptbahnhof wurden Bildzeitung Exemplare verbrannt. Eine Gruppe von ca. 10 Polizisten attackierte dann die friedlich sitzenden Demonstranten und griff wahllos einen jungen Mann als „Rädelsführer“ heraus. Später stellte sich heraus, dass der sog. Rädelsführer lediglich ein schaulustiger Fotograf war, der aus einem der umliegenden Lokale an den Ort des Geschehens gekommen war. Noch vor Mitternacht löste sich die Demonstration auf.

Einen Tag später (12.4). am Karfreitag riefen dann SDS, SHB und der ASTA der Universität Hamburg gemeinsam zur Anti-Springer Demonstration auf. 2000 Demonstranten hatten sich gegen 19.00 Uhr auf der Moorweide versammelt, unter ihnen Studierende, Schüler und viele Lehrlinge und junge Arbeiter.

Einzelne Redner forderten zum Marsch durch die Innenstadt und zur Blockade des Springerhauses auf. Jens Litten SHB und ASTA Sprecher: „Unser bisheriger Protest gegen die autoritärfaschistischen Tendenzen konnte diese nur bloßlegen. Jetzt müssen wir jedoch den offenen Kampf gegen sie beginnen!“

Litten rief jedoch nicht zur Blockade der Zeitungsauslieferung vorm Springer Verlag auf. Dazu fehle ihm das Mandat der Studentenschaft und er könne nicht die Verantwortung für eine Aktion übernehmen, deren gewaltloser Ausgang nicht zu garantieren sei. Der SDS hingegen forderte entsprechend dem Beschluss des SDS-Bundesvorstands zu einer Verhinderung der Zeitungsauslieferung auf. Hierfür hatte der SDS Einzelheiten der Lage und Zugänge des Springerverlages ausgekundschaftet und Blockadepläne entworfen. Gegen 20.00 Uhr erreichten die Demonstranten das Verlagshaus Axel Springer, das von einem Polizeikordon umgeben war. Ein größeres Transparent war mit der die Aufschrift „Der Feind steht rechts“ versehen.

Die Zufahrtsstraßen zum Springer Haus waren mit „Hamburger Gittern“ und Polizeiketten abgesperrt. Die Demonstranten verteilten sich und errichteten an den Seiten Ausgängen Barrikaden. Am Hauptausgang Kaiser Wilhelmstrasse blieben über 1000 Demonstranten zusammen. Sie begannen, die Absperrgitter, die den Weg für die Auslieferungsfahrzeuge freihalten sollen, wegzuziehen. Die Polizisten versuchten daraufhin, sie daran zu hindern, schlugen erst auf die Gitter, dann auf Hände, dann auf Demonstranten. Einige wurden festgenommen. Einer von ihnen hatte lediglich nach der Dienstnummer eines Polizisten gefragt. Die Situation beruhigte sich nach kurzer Zeit. Karl Heinz Roth vom SDS und die Asta Vertreter Jens Litten und Sepp Binder riefen über Megaphone zur Besonnenheit auf und organisierten einen Sitzstreik. Außerdem forderten sie die Mehrheit der Demonstranten auf, sich auf die anderen Zufahrtsstraßen zu verteilen.

Um 21.00 Uhr waren alle Straßen in der Umgebung des Verlags von Demonstranten blockiert. Da, wo in unmittelbarer Nähe Baumaterial herumlag, wurden von den Demonstranten aus Brettern, Bohlen und Schubkarren Barrikaden zum Schutz gegen Wasserwerfer und Schlagstock Attacken der Polizei gebaut. Erfolglos versuchten die Zeitungswagen einen ersten Durchbruchversuch gegen 22.40 Uhr in der ABC Straße Richtung Caffamacherreihe/Valentinskamp, wo die Demonstranten eine große Barrikade errichtet hatten. Die Zeitungswagen steckten fest. Sie mussten in die Fuhlentwiete zurücksetzen und drehten in Richtung Valentinskamp und setzten sich mit einem Wasserwerfer an der Spitze in Bewegung. Der Wasserwerfer „verschoss“ seinen ganzen Tankinhalt auf die Demonstranten. Als Antwort wurden auf der U Bahnbaustelle herumliegende Steine gegen den Wasserwerfer geworfen. Daraufhin setzten zwei Züge Polizisten mit gezogenen Knüppeln ohne Deckung und Kopfschutz über die Barrikade. Ein Steinhagel ließ sie zurückweichen. Sechs Polizisten wurden verletzt. Der erste ernsthafte Durchbruchsversuch des Springer Verlages war damit gescheitert. Erst ca. eine halbe Stunde später konnte erstmals ein Konvoi von Zeitungswagen die Blockade an der Ecke Kaiser-Wilhelmstrasse/Fuhlentwiete durchbrechen, als mehrere Hundertschaften der Polizei unter rücksichtsloser Anwendung von Tränengas, Gummiknüppeln und Wasserwerfern gegen die sitzenden Demonstranten vorgingen. Obwohl der Konvoi bereits durch war, schlug die Polizei immer noch weiter auf die Demonstranten ein. Greiftrupps nahmen zahlreiche junge Leute wahllos fest.

Eine weitere Räumaktion in dieser Nacht erfolgte nach dem gleichen Muster in der Kaiser Wilhelmstraße in Richtung Karl-Muck Platz. Hinter der von den Demonstranten errichteten Barrikade saßen die Demonstranten auf der Erde. Gegen 24.00 Uhr entlud ein aufgefahrener Wasserwerfer seine Ladung auf die Demonstranten. Ein erneuter noch brutalerer Knüppeleinsatz durch nachrückende Polizei führte dann zur Räumung der Barrikade. Der Konvoi mit den Springer Zeitungen konnte schließlich passieren. Ebenso verlief es gegen 1.00 Uhr mit einem zweiten Konvoi. Die inzwischen wieder errichtete Barrikade wurde vom vorausfahrenden Wasserwerfer durchbrochen. Erneut warfen die Demonstranten Steine. Bilanz: 40-50 verletzte Demonstranten, 5 stärker verletzte, zahlreiche leicht verletzte Polizisten. 40 Festnahmen. Die Auslieferung der Springer Zeitungen zu verhindern, gelang nicht. Durch die Blockaden wurde sie nur um einige Stunden verzögert. Zum Ostermontag den 15.4. hatte der Ostermarsch 68 zur Kundgebung auf der Moorweide aufgerufen. Für den Asta riet Jens Litten vor 40000 bis 5000 Teilnehmern von weiteren Aktionen ab. Es habe sich gezeigt, dass Gewalttaten nicht ausgeschlossen werden könnten und die Polizei auch gegen gewaltlosen Widerstand brutal vorgehe. Wörtlich sagte er: „Es kann nicht in unserer Absicht liegen, weitere, noch schärfere Auseinandersetzungen zu provozieren. Das gegenwärtige politische Klima lässt offenbar gewaltlose Auseinandersetzungen nicht mehr zu.“

SDS und SHB bestanden hingegen auf der Fortsetzung der Demonstration und setzten diese Forderung auch durch. Wenig später wurde bekannt gegeben, dass die Polizei das SDS Zentrum im von Melle Park ohne Durchsuchungsbefehl besetzt habe und vier SDS Genossen verhaftet worden seien. Das Hamburger Abendblatt schrieb dazu: „Die Polizei besetzte gestern Mittag das SDS Büro am von Melle Park und führte die Verdächtigen ab. Es war beobachtet worden, wie Baubuden aufgebrochen wurden, aus denen dann Schaufeln und Spitzhacken gestohlen wurden. Nach Angaben der Polizei sollen dann diese Gegenstände von Personen getragen worden sein, die aus der SDS Zentrale gekommen seien.“ …“daraufhin wurden auf Anordnung der Staatsanwaltschaft das Gebäude am von Melle-Park 17 durchsucht und einige SDS Mitglieder wegen des Verdachts des schweren Diebstahls verhaftet. Es sind dies die Studenten Reinhold Oberlercher, Arwed Milz, Bernd Rothe, Ursula Berg und Inge Franke.“

Die Demonstranten begaben sich daraufhin von der Moorweide spontan in Richtung SDS Zentrum. Die Aktion wurde jedoch kurz danach abgeblasen und die Protestierenden zogen in Richtung Innenstadt zum Springer Haus weiter. Kurz vor 18.00 Uhr wurde die Durchsuchung abgebrochen. Gegen 18.30 waren erneut alle Zufahrten zum Springerhaus von Demonstranten besetzt. Diesmal war die Polizei mit Schutzhelmen und Tränengas Brillen, die von einem Werftbetrieb in Hamburg ausgeliehen waren, ausgerüstet. Vor den Demonstranten waren bürgerkriegsartig zweireihige Stacheldraht- und Nato-Drahtrollen ausgelegt. Erste Scharmützel mit Knüppel Szenen und Festnahmen fanden beim Eintreffen der Demonstranten am Karl Muck Platz, Jungiusstraße und Drehbahn mit der Polizei statt. Gegen 18.30 versuchte ein VW-Bus des Springer Verlages im Kornträgergang die von Demonstranten noch nicht fest geschlossene Zufahrt zu durchbrechen.

SDS Mitglied Dietmar Schmidt versuchte mit ausgebreiteten Armen den Wagen zu stoppen. Der Fahrer des Wagens erhöhte jedoch die Geschwindigkeit, erfasste den Mann und schleuderte ihn sieben Meter nach links auf die Straße. Der Fahrer beging Fahrerflucht. Dietmar Schmidt wurde schwer verletzt ins Hafenkrankenhaus gebracht. „In einer Stellungnahme bedauert das Verlagshaus Axel Springer den Unglücksfall außerordentlich. Er sei jedoch nicht durch die Schuld des Fahrers, sondern durch den Leichtsinn der Demonstranten verursacht worden.“

Kurz darauf wurde mit Hilfe von Mülltonnen und eines umgestürzten Autowracks von Demonstranten eine Barrikade errichtet. Auf Anweisung des Kommandeurs der Schutzpolizei Herrn Leddin wurde dieser Ort nach kurzer Zeit „hart geräumt“. Die Räumung galt nicht der Freimachung des Zufahrtsweges. Die Hamburger Gitter und Stacheldraht versperrten weiterhin die Straße. Bei dieser Aktion festgenommene Demonstranten wurden über das Absperrgitter geworfen oder darunter durchgestoßen. Sie wurden, Arme auf dem Rücken, vorwärts gestoßen und gleichzeitig an den Haaren gezogen. Asta Vertreter riefen daraufhin über Megaphone zur Räumung der Zufahrtsstraßen auf, um geschlossen durch die Innenstadt zum Audimax zu gehen und dort die Vorfälle zu diskutieren. Asta Referent Sepp Binder führte die Demonstranten von der Ecke Kaiser Wilhelmstraße/Fuhlentwiete zum Kornträgergang, wobei er gerade noch verhindern konnte, selbst als Rädelsführer verhaftet zu werden.

Auf dem Weg zum Audimax wurden einige SDS Mitglieder von Greiftrupps grundlos festgenommen. Bei dem anschließenden Teach in im Audimax wurde der Rücktritt von Innensenator Ruhnau gefordert. Alle Teilnehmer bekannten sich zur strikten Einhaltung der Gewaltlosigkeit bei Demonstrationen. Es wurde beschlossen, eine Delegation ins Polizeipräsidium zu schicken, um die Gründe für die nachmittags erfolgte Festnahme von vier SDS Mitgliedern zu erfahren und die Freilassung aller Festgenommenen zu fordern. Gleichzeitig wurde beschlossen, dass die Delegation von den Anwesenden begleitet wird, um ihre Solidarität mit den Festgenommenen vor dem Polizeihochhaus zu bekunden.

Um 22.45 wurde die sechsköpfige Delegation im Polizeipräsidium abgewiesen. Eine halbe Stunde später traf der Demonstrationszug vor dem Präsidium ein. Die Masse setzte sich unter die Arkade des Polizei Hochhauses auf den Boden. Sprechchöre forderten „Freiheit für den SDS“ „Ruhnau raus“ „wir wollen alle heute noch in Schutzhaft“ „Ruhnau ist ein Hampelmann und da zieht der Springer dran.“

Kurz darauf fuhr eine vom Springer Haus abgezogene Polizei Hundertschaft vor. Mit gezogenen Knüppeln sprangen 150 bis 200 Polizisten heraus, stellen sich in Zugformation auf und begannen sofort ohne Warnung mit äußerster Brutalität auf die Sitzenden einzuschlagen. Ausgelöst wurde dieser umstrittene Einsatz durch die Falschmeldung, die Demonstranten seien drauf und dran in das Gebäude einzudringen. Die Demonstranten wurden dann nach dem „Leberwurstprinzip“ (Duensing/ Berlin) nach zwei Seiten auseinandergetrieben. Danach jagten kleine Polizeieinheiten flüchtende Demonstranten mit Schlagstöcken und Tränengas in Richtung Hauptbahnhof.

Die Bilanz ergab dabei unzählige verletzte und bewusstlos geschlagene Demonstranten. Gegen Mitternacht hatten sich die Demonstranten zerstreut. Damit ging der blutigste Einsatz der Ostertage zu Ende.

Bei den Blockaden hatte sich die durch das Dutschke Attentat ausgelöste moralische Empörung vieler Studenten aber auch Arbeiter und Lehrlinge in konkreten Aktionen gegen den Mitverursacher Axel Springer Konzern entladen. Das brutale Vorgehen der Polizei hatte für einen Teil der Bewegung demoralisierende Wirkung, ebenso wie die Reaktion der Öffentlichkeit (Studenten und Rocker seien Terroristen).

An der Universität löste das in den folgenden Wochen heftige innerstudentische Diskussionen über das weitere Vorgehen aus. Auf einem „Teach in“ am 17. April forderte der Asta in Person Jens Litten eine Demonstrationspause, die solange andauern sollte, bis die Studentenvertreter die Gewaltlosigkeit der Demonstrationen auch dann gewährleisten könnten, wenn sich andere Gruppen in ihre Reihen einschlichen. Karl Fabig vom SDS sagte: „Wir lehnen Gewalt prinzipiell ab. Wir würden es begrüßen, wenn es andere Möglichkeiten des Protestes gäbe als Demonstrationen. Es werde Aufgabe der nächsten Tage sein,sich darüber Klarheit zu verschaffen.“

Erst am 24. April wurde auf einer vom SDS einberufenen Studentenversammlung eine Demonstration zum 1. Mai beschlossen. Dazu wurde ein Aktionsausschuss von Mitgliedern des SHB und des SDS gegründet, um die Demonstration vorzubereiten. Einen Tag später setzte das Studentenparlament die Demonstrationspause per Beschluss durch. Begründung: „Es wäre unvernünftig, weitere Aktionen zu unternehmen, die nur zu einer erneuten Verhärtung der Fronten führen würden. Die Studentenschaft beschließt daher, die Maikundgebungen weder durch Gegenveranstaltungen noch durch Unterlaufen von Gewerkschaftsveranstaltungen unnötig zu stören, weil jede dann entstandene Unruhe sofort den Studenten angelastet würde.“

Dennoch nahm der Aktionsausschuss 1.Mai seine Arbeit umgehend auf. Ziel war es, die erwarteten 100.000 Teilnehmer des DGB durch eine Gegenkundgebung zu politisieren. Studenten der Kunsthochschule druckten Plakate und 40000 Flugblätter. Der AUSS übernahm die Verteilung. Ein anderes Komitee aus Arbeitern und Studenten verteilte über eine Woche täglich Flugblätter im Hafen. Immer mehr Gruppen schlossen sich als Mitveranstalter an. So auch das Sozialistische Lehrlingszentrum SLZ. Es plante am 1.Mai vor der Hauptveranstaltung des DGB ein „Teach in“ um am Beispiel des Korvettenbaus für Portugal bei Blohm und Voss den Zusammenhang zwischen Rüstung und Wirtschaft aufzuzeigen. Die Recherchen der Internationalismusgruppe, des Asta Referats „Dritte Welt“ und des SLZ sollten dazu auf dem „Teach in“ vorgetragen werden.

Vor allem Willy Brandt als Redner des DGB wurde als Exponent für eine Politik ausgemacht, die den Bau von Kriegsschiffen zur Unterdrückung der Befreiungsbewegungen in der dritten Welt förderte. Für das SLZ hatte der 1. Mai die „spezifische Funktion, die verschiedenen dezentralisiert arbeitenden Teile der APO theoretisch wie praktisch in der Aktion zusammenzuführen“. Am 30.4. auf der vom Asta einberufenen Vollversammlung der Erstimmatrikulierten beschloss die Mehrheit der anwesenden Studenten statt vorbereiteter Referate, über den Ablauf der 1. Mai Demonstration zu diskutieren. Der Asta verließ daraufhin die Versammlung. Die APO Gegenkundgebung zum 1. Mai verlief trotz Warnungen führender Gewerkschaftsfunktionäre ohne Zwischenfälle. Sogar die Hamburger Presse anerkannte verhalten „sachlich belegte Stellungnahmen zur Arbeiterbewegung, zu den Themen Pressekonzentration und Springer sowie aufmerksam verfolgte Ausführungen zu den Notstandsgesetzen.“

Nach der Kundgebung zogen einige hundert Demonstranten durch die Innenstadt, wobei das SDS Mitglied K.H. Roth „wegen Verleitung zur Verletzung der Bannmeile“ festgenommen wurde. Am folgenden Tag gab es eine turbulente Sitzung des Studentenparlaments. Angesichts der Verhaftung von K.H. Roth solidarisierte sich jetzt auch die offizielle Studentenvertretung. Die Strategie der „Demonstrationspause“ wurde in einer Resolution als Kapitulation vor der Staatsgewalt verurteilt. Im weiteren Verlauf konzentrierte sich die APO auf das Thema Notstandsgesetze. Am 6.5.1968 beschloss eine studentische Vollversammlung am 9.5.1968 eine weitere Kundgebung auf der Moorweide abzuhalten. Dort sollten Bundestagsabgeordnete auf einen ausgearbeiteten Fragenkatalog zu den Notstandsgesetzen Rede und Antwort stehen.

Die Vollversammlung am 6.5. beschloss außerdem einen Aktionsausschuss des ASTA. Der arbeitete allerdings so langsam, dass es nur Absagen gab. Der ASTA und Teile des SHB und viele Fachschaften befürworteten als Aktionsform gegen die Notstandsgesetze lediglich Aufklärungsveranstaltungen, der SDS und der linke Teil des SHB hingegen votierten für einen konsequenten Vorlesungsstreik mit Streikposten bis hin zu Barrikaden vor Hörsälen und Instituten. Die Vollversammlung war unentschieden. Im Ergebnis beschränkte man sich auf die Teilnahme am Sternmarsch nach Bonn und einen Vorlesungsstreik am 15.5., dem Tag der zweiten Lesung, der von Fach zu Fach unterschiedlich mit oder ohne technische Hilfsmittel gestaltet werden sollte. Am Abend des 6.5. hatte der Asta zu einer Infoveranstaltung mit Politikern und Gewerkschaftsfunktionären eingeladen, auf der deren Haltung zu den Notstandsgesetzen diskutiert werden sollte. Der DGB Vorsitzende Höhne wurde zu gemeinsamen Aktionen von Gewerkschaften und Studenten am Tag der dritten Lesung aufgefordert. Höhne sagte zunächst seine persönliche Unterstützung zu. Eine studentische Verhandlungskommission bestehend aus allen linken Hochschulgruppen sollte die Durchführung von Aktionen mit den Gewerkschaften aushandeln.

Am 7. Mai 1968 machte der SDS ein Notstands-Happening in der Uni und Hamburger Innenstadt, um auf die drohenden Notstandsgesetze aufmerksam zu machen. In Fantasie Uniformen gekleidet, stürmten um die Mittagszeit rund vierzig SDS-Mitglieder zu einem Notstands-Happening in die Mensa der Hamburger Universität. Sie waren mit Gummiknüppeln bewaffnet, gaben sich als Angehörige eines »Universitäts- Schutzkorps« aus und herrschten die perplexen Kommilitonen mit dem Ausruf an: »Dies ist eine Notstandsübung!« Dann »befahlen« sie, ihnen zum Haupteingang des Auditorium Maximum zu folgen und dort in Reih und Glied anzutreten. Wer dazu nicht bereit war, wurde auf der Stelle »festgenommen«.

Auf der Kundgebung am 9.5.1968 erklärte der ASTA Vorsitzende Norbert Jankowski, man werde als Aktionsform gegen die Notstandsgesetze im akademischen Senat für die Dauer der Debatte über die Notstandsgesetze einen Vorlesungsstreik beantragen. Aus der öffentlichen Diskussion mit Politikern wurde nichts, da lediglich der SPD Bürgerschaftsabgeordnete Reinhard Hoffmann erschienen war. Beim entscheidenden Gespräch am 21.5. bezogen sich die Gewerkschaftsvertreter entgegen den vorherigen Zusicherungen nun auf einen DGB Bundesvorstandsbeschluss: „Der DGB wird bis zu 3. Lesung weiterhin die ihm in einer parlamentarischen Demokratie zur Verfügung stehenden Mittel ausschöpfen und …erneut den Bundestagsabgeordneten seine Bedenken vortragen. Wie bisher wird der DGB alle Maßnahmen ausschließlich in eigener Verantwortung durchführen und sich nicht von anderen Gruppen in unkontrollierbare Aktionen drängen lassen.“

Nach dieser Abfuhr beschloss der studentische Ausschuss die Aktionen gegen die Notstandsgesetze selbst in die Hand zu nehmen. Der zum Hamburger Arbeiter und Studenten-Ausschuss HASA umbenannte Ausschuss bestand zu zwei Dritteln aus Arbeitern, Betriebsräten und Vertrauensleuten. 35 Betriebsräte erklärten sich in kurzer Zeit bereit, den Flugblatt Aufruf des HASA zu unterzeichnen. Die geplante Demonstration auf dem Rathausmarkt am 28.5 einen Tag vor der dritten Lesung wurde von den Behörden unter dem Vorwand der Bannmeile Verletzung abgelehnt. Stattdessen wurde eine Kundgebung für den 28.5.1968 auf der Moorweide mit anschließendem Demonstrationszug zum SPD Haus genehmigt. Zu den ca. 10.000 Teilnehmern sprachen Heinz Beier (Ortsausschuss der IG Metall) Horst Bethge (DFU) und Karl Heinz Roth (SDS). Bethge schloss seine Rede mit den Worten: „Wir sollten jetzt mit der Regierung auf Französisch reden“. K.H. Roth rief zu großen gemeinsamen Aktionen auf. Es sei genug deklamiert worden, jetzt müssten Taten folgen. Die Teilnehmer der Kundgebung stimmten dann fast einstimmig für den Zug quer durch die Bannmeile. Die Polizei beschränkte sich darauf, den von der Bild Zeitung erwarteten „Sturm auf das Rathaus“ zu verhindern.

Vorm Schumacher Haus sprachen mit zum Teil sehr schweren Angriffen gegen die SPD Vertreter der politischen Hochschulgruppen, Akademiker und ein Betriebsratsvorsitzender. Jan Schaeffer übermittelte Solidaritätsgrüße der französischen Gewerkschaft CGT. Auf dem Rückweg zogen die Demonstranten dann über die offiziell verbotene Bannmeile am Rathausmarkt. Erhard Neckermann (SDS) kletterte über den Eingang des Rathauses und befestigte dort die rote Fahne.

Danach wurde vielleicht eine Sternstunde zur Entfesselung einer „Pariser Situation“ verpasst, als Tausende von Demonstranten an der hell erleuchteten Staatsoper und ihrem aufgeputzten Pausenpublikum vorbeizogen und erst die Nachhut einen dann sinnlosen Besetzungsversuch unternahm.“

Der Demonstrationszug bewegte sich dann vom Rathaus an der Staatsoper vorbei Richtung Dammtor. Detlev Albers vom SHB schreibt dazu ca. Ende 1968: „Danach wurde vielleicht eine Sternstunde zur Entfesselung einer „Pariser Situation“ verpasst, als Tausende von Demonstranten an der hell erleuchteten Staatsoper und ihrem aufgeputzten Pausenpublikum vorbeizogen und erst die Nachhut einen dann sinnlosen Besetzungsversuch unternahm.“

Außer kleinen Scharmützeln vorm Rathaus und der Staatsoper verlief die Demonstration friedlich und endete im Audimax. Dort waren die zur Diskussion eingeladenen Senatoren Peter Schulz und Heinz Ruhnau, sowie Oswald Paulig und Werner Staak von den Studenten mit einem johlenden Pfeifkonzert empfangen worden. Als sich dann Karl Heinz Roth neben Oswald Paulig aufs Podium setzte, (gegen K.H. Roth lief immer noch ein Haftbefehl im Zusammenhang mit Delikten während der Osterunruhen) verließen die Senatoren und Paulig den Raum. In der anschließenden Diskussion wurde für den nächsten Tag eine weitere Demonstration beschlossen. Noch in derselben Nacht wurden Flugblätter von der HASA gedruckt und die Verteilung zum Schichtwechsel im Hafen und vor großen Fabriken organisiert. Am nächsten Tag den 29.5.1968 hatten sich dann ca. 2000 Schüler, Studenten, Lehrlinge und Arbeiter zu einem Demonstrationszug in Barmbek versammelt. Mit Flugblättern und Plakaten zogen sie vom Barmbeker Bahnhof zum Goldbekplatz. Sprechchöre wie „No-No- Notstand“ und „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ wurden gerufen.

Am Abend wurde von ca. 800 Schülern und Studenten das Hamburger Schauspielhaus besetzt. Der Regieassistent der Intendanz Patrick Steckel brachte die aufgebrachten Demonstranten nach einiger Zeit zur Ruhe und leitete die Diskussion unter den verbliebenen Zuschauern. Man diskutierte die Frage einer dauerhaften Besetzung des Schauspielhauses als Protestform gegen die NSG oder gezielte Aktionen in allen Kulturstätten der Hansestadt, die den Bürgern der Stadt die Gedanken der Notstandsgegner näher bringen sollte. Eine knappe Mehrheit der Anwesenden sprach sich gegen 24.00 Uhr für Letzteres aus. An einer dritten Anti-Notstands Demonstration, diesmal vom Bahnhof Altona aus nahmen nur noch ca. 600-800 Studenten teil. Rückblickend schrieb dazu D. Albers: „Zu deutlich wurde die Aussichtslosigkeit weiterer Proteste angesichts der Akklamationsdebatten im Bundestag, zu deutlich wurden auch die Schwächen der allzu improvisierten Vorbereitung, die sich nicht in 24 Stunden auf die völlig andere Agitation in Arbeiterwohnvierteln umstellen konnte. Der HASA selbst, inzwischen mehr Symbol als Repräsentant der ersehnten Aktionsgemeinschaft von Arbeitern und Studenten… konnte aber trotz mancher Anläufe bis heute keine neue gemeinsame Strategie der APO in Hamburg entwickeln.