Aus der anarchistischen Zeitung ‘Der Communist’ [London] Nr. 6, erschienen am 30. April 1892 (!!). Wiederveröffentlicht 2014 in dem kurzlebigen Zeitungsprojekt ‘Wolja’ aus Wien. ‘Der Communist’ war eine anarchistische (Exil) Zeitschrift mit dem Untertitel „Eigentum ist Diebstahl“. Insgesamt erschienen knapp 20 Ausgaben, zwei in italienischer Sprache, ‘Il Communista’, und eine in französischer Sprache, ‘Le Communiste’. Sunzi Bingfa
Seit auf dem, 1889 in Paris stattgefundenen socialdemokratischen Congresse ‚beschlossen‘ wurde, den 1. Mai in Zukunft als einen Feiertag in der ganzen civilisierten Welt festlich zu begehen, hört man alljährlich, kurz vor dem 1. Mai ein grossartiges Summen und Brausen, als rüste man sich zu einem entscheidenden Kampfe, und wenn der 1. Mai dann vorüber ist, und man erhält die ersten Nachrichten von der Bewegung, dann hört man nichts anders, als dass das Ganze nur ein klägliches Spiel war: Je grösser das Geschrei vorher, desto grösser war auch jedesmal der Reinfall.
Es ist auch gar nicht anders möglich. Es lässt sich auch gar nicht denken, dass diese ‚organisierten‘ 1. Mai- Demonstrationen etwas erspriessliches hervorbringen werden. In vielen Fällen sind diese Demonstrationen, welche für den ‚Achtstundentag‘ Propaganda machen sollen (wie zu erwarten war), in die reinsten Saufgelage ausgeartet.
Für uns Anarchisten hat diese Spielerei, dieses ewige demonstrieren und protestieren absolut keinen Werth, wir müssen mit Thaten aufwarten, mit individuellen Actionen; wir müssen unser ganzes Ich einsetzen, im anderen Falle bleiben wir nur leere Schwätzer und blosse Maulhelden. Für einen Anarchisten soll jeder Tag der 1. Mai sein.
Man hat bisher geglaubt, die Mai Demonstrationen für anarchistische Propaganda ausnutzen zu können, weil dann die Massen einmal zusammen waren, wer jedoch dieses versucht hat, wird sich bald von der Nutzlosigkeit seines Beginnens überzeugt haben, denn bei diesen Demonstrationen ist alles andere eher, wie eine revolutionäre Stimmung zu suchen, und ohne eine solche ist verflucht wenig zu machen. Bei Zusammenrottungen von Arbeitslosen und Hungrigen, wie vor kurzem in Berlin, hat man viel mehr Aussicht auf Erfolg, hauptsächlich deshalb, weil hier die alles hemmende Organisation fehlt, wo jeder durch die elementare Gewalt des Hungers zu Handlungen, zu individuellen Handlungen getrieben wird, und hier soll jeder Revolutionär den Massen mit gutem Beispiel vorangehen.
Wir wollen hier freilich nicht sagen, dass man die Demonstrationen gänzlich meiden soll, denn das wäre ebenfalls nicht richtig (ein aufrichtiger Revolutionär muss immer am Platze sein), aber man soll nicht zu hochgespannte Erwartungen an derartige Demonstrationen knüpfen. Wenn sich am 1. Mai die Gelegenheit bietet zu einer rebellischen That, dann muss man unbedingt diese Gelegenheit benutzen, wie man sie überhaupt immer benutzen soll. Aber den 1. Mai zu ‚feiern‘, nur um zu demonstrieren, dürfen wir ganz entschieden nicht. Thun wir es, dann verleugnen wir den revolutionären Charakter.
Die ewige Träumerei und Dahinschlepperei muss endlich ein Ende nehmen, wir müssen uns stets unserer Sache klar bewusst sein, wir dürfen uns nicht mit unseren Todfeinden, den Bourgeois in Unterhandlungen einlassen. Die friedlichen Demonstrationen werden von den Schurken nur belächelt, weil sie in denselben absolut keine Gefahr für sich erblicken, aber ihr Lächeln wird verstummen, wenn sie sehen, wie Dynamit-Bomben links und rechts ihre Reihen lichten. Glühender Hass den Bourgeois und denen, die bourgeoismässig handeln, denken und sprechen! Das sei unsere Losung!