Gerald Grüneklee
Ihr findet in dieser Ausgabe nun den dritten Auszug aus dem Manuskript von Gerald Grüneklee, das nun erfreulicherweise auch endlich in gedruckter Form vorliegt. Bezeichnenderweise musste das Buch „Corona – Gegenwart und Zukunft unter dem Virus“ letztendlich in Kooperation mit dem Packpapier Verlag im Eigenverlag erscheinen, weil die deutschen linken Verlage Zusagen zurückgezogen haben, bzw. es sich offensichtlich nicht mit dem linken Mainstream verderben wollten. Wir finden dies bezeichnend, denn weitaus oberflächlichere Beiträge zu dem Thema sind in den letzten Monaten durchaus verlegt worden. Die Bezugsquelle für das Buch, das wir Euch ausdrücklich ans Herz legen wollen, auch wenn wir nicht alles inhaltlich teilen, findet Ihr am Ende dieses Artikels. Sunzi Bingfa
„Die Maschine ist die souveräne Beherrscherin unseres gegenwärtigen Lebens“ (Erich Friedell)
Technologiekritik als nötige, noch unerfüllte Aufgabe
Die Corona-Krise wird für einen gigantischen technologischen Umbau genutzt. Ausgehend von den später durch diese Techniken beherrschten kann man auch von einem technologischen Angriff sprechen. Nur mal so zum Mitschreiben: nein, es gibt keinen großen Plan dahinter. Das Coronavirus kam, und die kapitalistische Welt reagierte, so wie sie es am besten kann, eben mit kapitalistischen Antworten. „Freier Markt“ hin oder her, am besten reagieren konnten jene, die zuvor schon am finanzstärksten waren. Die Digitalkonzerne reiten als apokalyptische Reiter auf dem Pferd der Digitalisierung (es gibt ein sehr schönes Plakat des Künstlers Klaus Staeck dazu).
Dabei gilt es erst zu klären: nein, ich bin nicht technikfeindlich, ich bin technologiekritisch. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Technik kann das menschliche Leben erleichtern. Technik ist, so heißt es, nicht gut oder böse, sie ist „wertfrei“. Wenn einem Menschen damit kommen, muss man immer aufhorchen. Technik ist ebenso wenig wertfrei oder objektiv wie Wissenschaft oder Forschung. Immerhin wird Technik mit großen Summen entwickelt – dahinter stecken private Gewinnerwartungen, staatliche Überwachungsansprüche, nach Hegemonie strebende und militärische Interessen. Die technische Entwicklung ist also nichts Zufälliges. Dennoch habe ich nichts gegen die Waschmaschine, nicht einmal etwas gegen Fernseher, auch nicht gegen technische Fortbewegungsmittel (kommt halt auch darauf an, wie Technik genutzt wird), und ich benutze einen Computer. Technologiekritisch zu sein heißt Technik auf die dahinterstehenden Interessen zu befragen, die gesellschaftlichen und ökologischen Folgen von Technik zu analysieren, die Durchsetzungsstrategien von Technologien und den normativen Anpassungsdruck zu kritisieren sowie den ideologischen Charakter von Technologien als Apparaturen der Macht und Herrschaftsmittel herauszuarbeiten.
Während der Pandemie stiegen die Aktienkurse von Google, Apple, Microsoft, Facebook, Tesla (der Inhaber, Digital- und Tech-Unternehmer Elos Musk, wurde 2020 zum reichsten Menschen der Welt) und Amazon steil an. Amazon- Chef Jeff Bezos verdiente 2020 15 Millionen Dollar. Pro Stunde (Haas 2020). Der Amazon-Umsatz stieg von 2019 auf 2020 in Deutschland um 33%, in USA um 36%, in Großbritannien um gut 50%, in Japan um rund 28%, in einem einzigen Jahr wohlgemerkt. Die wirtschaftspolitischen Machtverhältnisse verschieben sich. Der Kapitalismus ist wachstumsabhängig, und es ist egal, wer dafür Federn lassen muss, Hauptsache die Gesamtsumme passt. In einer Zeit sinkenden Wachstums seit einigen Jahren ist die massive Digitalisierung eine Option auf weitere Wachstumsschübe. Während Einzelhandelsketten oder die kulturell-kreative Szene in den Bankrott getrieben werden, profitiert die Elite der Digitalkonzerne vom Umbau.
Die Digitalwirtschaft ist allerdings nicht einfach eine andere Branche, ihr Geschäftsmodell unterscheidet sich im Streben nach Vernetzung und Kontrolle sowie der immateriellen Grundlage des Geschäfts – der Daten. Google, Apple & Co. verbinden „autonomes“ Kaufen, Wohnen, Fahren etc. Man kauft nicht einfach ein Produkt, man begibt sich mit Haut und Haaren in die Hände eines einzigen Anbieters, der Suchergebnisse „optimiert“, den Kühlschrank füllt, das Auto und später auch den Pflege-Roboter steuert, die Gesundheitsinformationen auswertet, zielgerichtete Konsumangebote macht– und dabei die gesamte Wahrnehmung erfasst, jede Bewegung registriert und jedes Wort hören kann. Seit langem wird an Hirnimplantaten gearbeitet, mit denen „die Suche in das Hirn der Menschen integriert“ werden soll, so bereits 2004 Google-Gründer Larry Page (Jansen 2015: 227). Der ganze Lebensalltag wird Google.
Gefahren der Digitalisierung
Dabei sollte es buchstäblich hellhörig machen, wenn Bill Gates die Chancen der Pandemie für eine umfassende Digitalisierung lobt (FAZ, 8.12.2020) oder Klaus Schwab (WEF), Eric Schmidt (Google) oder Elon Musk (Tesla) von der Überwindung der menschlichen Grenzen durch einen mittels Digitalisierung herbeigeführten „Transhumanismus“ träumen (erhellend zu den Forschungen und bereits in Entwicklung befindlichen Möglichkeiten: Jansen 2015). Ein Traum, der auf die „künstliche Intelligenz“ (KI) setzt – und ein Traum, der wohl eher ein Albtraum wird, da gerne vergessen wird, dass die KI nur so gut sein kann, wie die Gesellschaft, in der sie eingesetzt wird. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Reproduktion von Rassismus und Sexismus in der KI, die dann gar nicht mehr so „intelligent“ rüberkommt, sondern dazu verhilft, Herrschaftsverhältnisse festzuschreiben. Die Foucault analysierte Bio-Macht kann sich dabei zu ungeahnten Höhen aufschwingen.
Einen Strukturwandel hin zur durchdigitalisierten Gesellschaft haben nicht nur die WEF-Protagonist*innen im Sinn, die Digitalisierung wird als wichtiger Baustein eines konjunkturellen Erholungspaketes auch vom deutschen Sachverständigenrat, den „Fünf Weisen“, hervorgehoben. Insofern ist das Coronavirus tatsächlich ein „digitalisierendes Virus“ (Steinbeiß 2020). Eine Technologiekritik kann an dieser Stelle nicht ausformuliert werden (vgl. dazu Capulcu 2019). Kurz gesagt verschiebt die Digitalisierung, in der Weise, wie sie jetzt durchgesetzt wird, den Parameter entscheidend hin zu menschlicher Fremd- statt Selbstbestimmung, entgegen einstiger Hoffnungen in die Technologie.
Bereits der Blick auf ökologische Aspekte müsste den digitalen Wandel nicht mehr als die Lösung von allem wirken lassen, sondern als Teil des Problems. Zentrale Wirtschaftsakteure wie Klaus Schwab, die so gern von Nachhaltigkeit reden, unterschlagen vollkommen den immensen Energiebedarf – und somit auch CO2-Ausstoss ´der Digitalisierung. Bei aller Widersprüchlichkeit – schließlich sitze ich selbst gerade am Rechner -: die Serveranlagen haben einen gewaltigen Energiehunger, der sich, bisher weithin unbeachtet von den Klimaschutzbewegungen, permanent erhöht. Der Anteil digitaler Technik könnte nach Schätzungen in absehbarer Zeit ein Viertel des gesamten Energiebedarfs steigen (Steinbeiß 2020). In Frankfurt beispielsweise ist der Energieverbrauch der Rechenzentren seit Jahren schon höher als der des Flughafens (FAZ, 14.12.2016), eines Flughafens immerhin, der hinsichtlich seiner Größe global auf Platz 14 ist. Mit Blick auf die Folgen eines unkontrollierten Klimawandels lässt sich sagen; wir googeln uns zu Tode. Da hilft auch keine Maske mehr.
Abschaffung des Bargelds
Wir werden animiert, bargeldlos zu zahlen. Das sei hygienischer, tönt es seit aus den Lautsprechern der Supermärkte. Allein 2020 fanden im Vergleich zum Vorjahr in Deutschland eine Milliarde Einkäufe mehr bargeldlos statt. Die Bargeldabschaffung wird massiv forciert, die Europäische Zentralbank will mit dem „digitalen Euro“ das Bargeld überflüssig machen – bereits seit 2019 werden die Pläne intensiviert, man spricht von der „digitalen Revolution“ und nutzt die Pandemie als Katalysator. „Risikofreier“ soll das digitale Zahlen werden – fragt sich nur, für wen. Denn die Mär des „unhygienischen“ Bargeldes ist längst widerlegt. Zwar haften am Münzen und Scheinen wie an allem, was wir anfassen, zunächst unter Umständen Bakterien(!). Doch mögen Bakterien Feuchtigkeit, weshalb sie auch schnell wieder absterben, schließlich ist das Geld meist trocken. In Münzen sind zudem Metalle wie Kupfer enthalten, die Bakterien schneller absterben lassen. Und Viren – und darum handelt es sich schließlich beim Coronavirus – werden ohnehin primär durch Aerosole übertragen, beim Sprechen, Atmen, Husten, Niesen. Bezahlt wird später – bei der Endabrechnung der Virus-Maßnahmen, bei der Abrechnung auf dem Konto, bei der Überwachung, da nun jede Zahlung nachverfolgt werden kann.
Home Office – statt Feierabend: gearbeitet wird immer
Wir werden animiert, ins Home-Office zu gehen. So scheidet sich die Gesellschaft: die einen dürfen sich zuhause schützen, die anderen, die sich noch physisch zu ihren Arbeitsplätzen bewegen müssen, werden als Sicherheitsrisiko betrachtet, sie werden beschimpft, verachtet, ihnen wird aus dem Weg gegangen. Damit verschärft sich die soziale Spaltung. Mag sein, dass die Arbeitswelt der privilegierteren Arbeitenden sich durch verbreitetes Home-Office transformiert. Das klassische „Normalarbeitsverhältnis“ könnte beschleunigt erodieren, damit das an Arbeit – verstanden in der Regel als Vollzeit-Tätigkeit außerhalb des Hauses – gekoppelte Männlichkeitsbild brüchiger werden. Und es könnten sich flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitsalltags eröffnen, die Hierarchien flacher werden. Und doch: am Ende sind es weniger die Beschäftigten die profitieren. Zunächst einmal: es ist unübersehbar, dass die derzeitige Digitalisierung eine Zwangsdigitalisierung ist. Wer hat einmal die Menschen nach ihren Wünschen und Bedürfnissen befragt? Das Home-Office verschlankt die Kostenstruktur vieler Konzerne, die Mieten für Büroräume und die Kosten für den Strom werden gespart, die – wo noch vorhanden – Betriebskantine fällt weg, es müssen keine Sanitärräume zur Verfügung gestellt und die Räumlichkeiten nicht mehr instandgehalten und geputzt werden etc.
Der Anspruch, Arbeit und „Freizeit“ (d.h. die Zeit außerhalb der Lohnarbeit, die nicht wirklich vollständige freie Zeit ist) noch besser verbinden zu können, führt im Home-Office unweigerlich zum Verlust des Feierabends. Gearbeitet wird nun aufgrund der Entgrenzung tendenziell immer, statt – technisch möglich – immer weniger. Eine Umfrage des Digitalverbandes Bitkom zeigte 2020, dass 61% der deutschen Berufstätigen auch im Weihnachtsurlaub dienstlich erreichbar waren – wenig erstaunlich: im Home-Office galt das sogar für 71% der Mitarbeiter*innen, von den klassisch noch auswärts Arbeitenden waren dies „nur“ 48% (FAZ, 22.12.2020). Bezahlt wird später: die dauernde digitale Erreichbarkeit samt sofortigem Reagieren-müssen ist schon jetzt für viele Menschen eine Belastung und Quelle für Erschöpfungssymptome und Depressionen (Riedl: Digitaler Stress, 2020).
Home-Office, das ist totale Überwachung daheim: jede Tastatureingabe kann beobachtet werden, jede mail gelesen werden, und die Videosoftware registriert jeden Blick (Süddeutsche Zeitung, 6.4.2020). Zwar gab es das Tracking schon vor der Pandemie, es wurde in den letzten Monaten aber bis zur permanenten Hyperüberwachung ausgeweitet. Selbst wenn man sich vom WLAN-Netz entfernt – etwa zur Toilette geht -, kann das mit entsprechender Software (die in Deutschland allerdings offiziell noch verboten ist) feststellen. Auf einem Firmenrechner kann aufgrund begrenzter eigener Zugriffsrechte nicht einmal festgestellt werden, ob man mit Spyware ausgespäht wird. Wer ein Firmenfahrzeug nutzt: das zunehmend digitalisierte Auto ermöglicht es auch dort, jeden gefahrenen Meter zu analysieren und jedes Gespräch mitzuhören.
Die Hauptlast und auch die Hauptrisiken des Home-Office tragen einmal mehr die Frauen tragen. Wie hat sich die häusliche Gewalt in Zeiten ständig anwesender Männer aufgrund des Home-Office verschärft? Und es sind die Frauen, die immer noch daheim den größten Anteil der reproduktiven Tätigkeiten übernehmen. Kinder, Küche, Karriere. Hausarbeit, Homeschooling, Home-Office: wie, die Arbeit ist zu viel? Organisiert euch eben besser! Und mit Organisierung ist hier nicht mehr das gemeint, was einst zur Gründung der Gewerkschaften führte, sondern ein erhöhter Druck, an sich selbst – ja: zu arbeiten. Wie alle bestätigen können, die sich mit der Organisierung von Beschäftigten auseinandersetzen, ist im Home-Office jede/r für sich und der gewerkschaftliche Organisationsgrad damit verschwindend gering. Bezahlt wird später – bzw. eher nicht. Denn wo es nur wenig Arbeitskämpfe gibt, weil sich Menschen schlicht nicht begegnen und ihre gemeinsamen Interessen nicht mehr erkennen und wahrnehmen, da geht´s auch mit den Löhnen nicht nach oben. Da hilft auch die digitalisierte Betriebsratsarbeit nicht. Schon jetzt verlieren die Gewerkschaften massiv Mitglieder (angesichts ihrer lammfrommen Selbstanpassung an das Corona-Regime muss man leider sagen: zu recht), schon jetzt ist die Konfliktintensität zwischen Betrieben und Gewerkschaften die geringste seit 2005 (Lesch/ Winter 2021). Ironie der Geschichte: das 100jährige Jubiläum des Betriebsverfassungsgesetzes blieb 2021 ungefeiert. Wegen Corona.
Selbstunterwerfung unter digitale Medien und digitale Kontrolle
Wir werden animiert, permanent unser Smartphone zu nutzen. Sonst macht die Corona-App ja keinen Sinn. Wie „freiwillig“ ist die Nutzung einer App, nachdem den Menschen erst Angst gemacht wird, dann mit viel Brimborium eine App als Lösung versprochen wird und ihnen dann erzählt wird, dass die App ohnehin erst Sinn macht, wenn sie von mindestens 80% genutzt wird (so die Wirtschaftsweise Veronika Grimm)? Die Prozentzahl ist freiwillig nicht zu erreichen, weshalb schließlich „dringende Empfehlungen“ ausgesprochen wurden. Wäre schließlich nicht die Hoffnung auf einen baldigen Impfstoff gekommen, so wäre eine Nutzungspflicht keine abwegige Vorstellung gewesen. In Taiwan wird das Einhalten von Quarantäne bereits per Funkzellenortung überwacht, und wir haben gesehen, wie sehr die Pandemie die Akzeptanz der Digitaltechnologien auch in Europa verstärkt hat.
Die Bereitschaft, sich selbst freiwillig den neuen Technologien zu unterwerfen – und sich damit letztlich fremdbestimmen zu lassen – ist groß (Schmalz 2020), und in den Monaten der Pandemie noch massiv gestiegen. Menschen werden (noch) nicht gezwungen, sich selbst zu vermessen, sie tun das vielfach aus freien Stücken, siehe Self-Tracking. Die dauernde Aufforderung zur Selbstoptimierung hat Früchte getragen, bereitwillig geben viele Menschen ihre Gesundheitsdaten per Fitness-Armbändern weiter. Die eigene Gesundheit gehört nun schließlich nicht mehr mir selbst, sie ist im Pandemie-Zeitalter zum Gegenstand legitimen öffentlichen Interesses erklärt worden. Deutlich zeigt sich die von Michel Foucault skizzierte Biopolitik: Selbstregierung und Einschließung oder Ausschließung, Disziplinierung und Bestrafung. Man hat es ja selbst in der Hand. Wer nicht mitmacht, wird etwas zu verbergen haben, so der gesundheitspolitische Pauschalverdacht.
Am Ende der Entwicklung lauert das allumfassende Kontroll- und Überwachungsregime der „Sozialkredite“, eines Rankings, wo die neue Form des Strafens denen gegenüber, deren Punktekonto beim erwünschten Sozialverhalten zu negativ ausfällt, im Vorenthalten von Privilegien (ansatzweise ist das bereits beim Impfpass erkennbar) sowie ggf. im Einfrieren des Bankkontos und im Jobverlust besteht. Keine bloße Zukunftsvision – in China ist das bereits umgesetzt (Sartorius 2020), die social credits lassen sich dabei bestens in das Stadtkonzept der „Smart Cities“ (Sadowski/ Pasquale 2015) integrieren. Die Digitalisierung wird für die Menschheit so faktisch zur omnipräsenten Fußfessel, und erschreckend viele lassen sich – noch – diese Fesseln ohne Not und Widerstand anlegen. In China ist es unter dem Coronavirus schon zum Zwang geworden, seinen Gesundheitszustand zu melden (Frankfurter Rundschau, 21.5.2020). Die unmissverständliche Botschaft: wir wissen alles über Dich.
Auch wenn wir vielleicht vorerst noch so freundlich sind, das Wissen nicht gegen Dich zu verwenden. Gezahlt wird später – mit sich ständig selbst optimierenden, chronisch überforderten Menschen in einer totalüberwachten Gesellschaft.
Zunehmend sind digitale Medien nun die einzige verbliebene Möglichkeit, noch an der Welt teilzuhaben, die neuen Ausgeschlossenen sind jene, die die technischen Grundvoraussetzungen nicht erfüllen können oder – dafür gibt es schließlich gute Gründe – wollen. Was geht dabei alles verloren? „Digital kann ich nicht lernen, auf einen Baum zu steigen“, schrieb Uwe Kurzbein von der Kommune Olgashof mal in einer Rundmail, und, ja: ist uns eigentlich bewusst, was wir alles zu verlernen drohen? Die erschwerte Teilhabe gilt im Corona-Regime nicht zuletzt für den kulturellen Sektor. Physische Lesungen, Konzerte, Filmvorführungen und Theatervorstellungen existieren schließlich nicht mehr. Digitales Lesen, Filme gucken, Biere trinken ersetzt nicht den unmittelbaren, für die menschliche Sozialität und Emotionalität unabdingbaren Kontakt.
Soziale Kompetenz und soziales Miteinander, psychische Stabilität, Bindungs- und Auseinandersetzungsfähigkeit sind aber nicht einfach nur Luxus. Die Fähigkeit, in direktem Austausch miteinander zu spielen und sich zu erfahren, zu kommunizieren und zu diskutieren, vielleicht auch zu streiten, geht verloren – wer sich einmal die „Streitkultur“ auf Foren und in Blogs angeschaut hat, wird wissen, was ich meine. Gezahlt wird später – mit digitaler Demenz: „Wer keine lebendigen Bedürfnisse mehr hat, wird sich nicht wehren, wenn von ihm verlangt wird, genauso effizient wie ein digitales Gerät zu funktionieren“ (Hüther 2020).
Ergo: in einer nichtkapitalistischen Gesellschaft könnte digitale Technologie vielleicht das Leben erleichtern – im Kapitalismus dient sie letztlich nur der privatwirtschaftlichen Effizienzsteigerung, Arbeitsverdichtung, Überwachung und Selbstüberwachung. Eine Mindestforderung wäre, den Nutzen des Digitalen stets kritisch zu reflektieren und ihn den Schäden gegenüberzustellen. Die ungehemmte Forcierung des Digitalen dagegen ist antiemanzipatorisch, da sie menschliches Leben reduziert, Menschen sozial isoliert, das Leben der Menschen planbar und manipulierbar macht zugunsten von Kapital- und Staatsinteressen macht und schließlich globale ökologische Lebensgrundlagen zerstört. Kurzum: linke, fundierte Technologiekritik ist nötiger denn je.
Gerald Grüneklee: Corona – Gegenwart und Zukunft unter dem Virus, ISBN 978-3-935716-79-6, 15 Euro
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