A propos Pass (Sanitaire)

Jeanne Casilas

In einer Zeit, zu einem Zeitpunkt, an dem die Segregation zwischen Geimpften und Ungeimpften zu einem bestimmenden Merkmal der staatlichen Pandemie Politik im Ausnahmezustand wird, haben wir in dieser Ausgabe gleich zwei Beiträge zum “Gesundheitspass” übersetzt, der in Italien Grüner Pass und in Frankreich Pass Sanitaire heisst. Letztens haben wir uns noch geweigert , einen Text zu diesem Prozeß zu übersetzen, weil in ihm von Apartheid die Rede war, angesichts der Dynamiken der Maßnahmenpolitik und der Verrohung in der Gesellschaft selbst fragen wir uns, ob diese Zuschreibung nicht doch die Dystopie der unmittelbaren Zukunft zutreffend beschreibt. Eine Übersetzung aus der Lundi Matin #299. Sunzi Bingfa

Letztendlich werden Terrassen der Gaststätten nicht vom ‘Gesundheitspass’ ausgenommen, da „der Unterschied zwischen draußen und drinnen seine gesundheitliche Bedeutung verloren hat“, wie Philippe Bas, Senator und Berichterstatter des Gesetzestextes, erklärte.

Nach dem Gesetz gibt es in Frankreich keinen Außenbereich mehr, sondern nur noch den Begriff des ‘Gesundheitsraums’. Der ‘Gesundheitsraum’ ist total, im Gegensatz zum Äußeren, das in Beziehung zum Inneren existiert und die Bewegung des Wesens in sich trägt, das zu ihm hinstrebt. Im Gegensatz dazu existiert der ‘Gesundheitsraum’ nur in Bezug auf das Subjekt, das ihn benennt, und ausschließlich für dieses. Es handelt sich nicht mehr um einen (eigentlichen) Raum, sondern um den Traum von der unendlichen Ausdehnung des Körpers des Subjekts überall auf der Erde.

Hier gibt es keinen Unterschied mehr zwischen außen und innen, das heißt, alles ist jetzt innen. Im Inneren des bürgerlichen Körpers, dessen Bewahrung dem Begriff des Raums, der Äußerlichkeit und des Andersseins übergeordnet wäre, bereit, durch Wort und Gesetz unterdrückt zu werden, um das Fortbestehen der bürgerlichen (parlamentarischen) Spezies zu sichern. Denn es geht nicht darum, alle im “Gesundheitsraum” zu schützen, sondern nur diejenigen, die es sich leisten können, Angst zu haben und das Gesetz durchzusetzen.

Der ‘Gesundheitsraum’ ist der Raum der Angst und der Kontrolle, in dem der ganze Reichtum der Wege, die von innen nach außen führen, auf eine Opposition ohne jede reale oder wissenschaftliche Grundlage zwischen den Kranken und den Gesunden reduziert wird, die auf einem papierenen Schwindel zwischen den Eingeschlossenen und den Ausgeschlossenen beruht.

In etwa zehn Tagen wird der ‘Gesundheitsraum’ sichtbar sein, angewandt von allen Dienern des bürgerlichen Gesellschaftskörpers, von denen keine Rebellion zu erwarten ist: Ladenbesitzer, Freizeit- und Kulturbedienstete, Diener der Bahn und des Vergnügens. Sie wird von all jenen verkörpert werden, die in sie einbezogen werden und die, um zu existieren, keine andere Wahl haben werden, als auszuschließen, um einbezogen zu werden. Dann wird sich die Frage nach unserem Platz in dieser Welt stellen.

Wenn man bedenkt, dass es möglich ist, ohne die zahlreichen Aktivitäten zu leben, die der Gesundheitspass zulässt, wird man jedes Mal, wenn man einer dieser vom Staat als heilig bezeichneten Aktivitäten nachgehen will, die durch die Einrichtung einer Kontrolle von anderen Aktivitäten abgetrennt sind, selbst in Frage gestellt. Es wird zweifellos darum gehen, einen Weg zu finden, nicht mehr mitzumachen. Das ist alles, worum es seit langem geht. Eine Art und Weise, nicht mehr ins Café oder ins Theater zu gehen, was die Etablierung anderer Praktiken sein wird, wenn diejenigen, die wir aufgeben, irgendeinen Sinn haben und wenn wir weiterhin den öffentlichen Raum bewohnen und in ihm existieren wollen, ohne uns seinen Gesetzen zu unterwerfen.

Das Straßencafé und alle Aktivitäten auf dem Bürgersteig im Allgemeinen, die nach Ansicht der zuständigen Behörden eindeutig ein Ausflugsziel bleiben, stehen uns wie ein Boulevard offen. Es ist an der Zeit, die Gesetzesüter vor echte Probleme zu stellen, indem wir die unregulierten Bereiche zum Leben erwecken und uns in den großen Lücken ausbreiten, die uns die Parlamentarier als Trümmer hinterlassen.

Alleen, Felder, Gassen, Boulevards, Strände, Wälder, Kreisverkehre. Man kann immer hoffen, dass sie zu weit gegangen sind, um so eine De-facto-Opposition zu konstituieren, deren Vertreibung und Revolte sich empirisch wie in Moskau manifestieren könnte. In Moskau, wo das Putin-Regime zumindest Nicht-Pass-Inhabern die Möglichkeit der Gaststättenterrassennutzung einräumte, verließ die Bevölkerung den Innenraum in einem Maße, dass die Maßnahme rückgängig gemacht werden musste. In Frankreich wird im Jahr 2021 sogar die Außenluft per Dekret beschlagnahmt, und dennoch werden wir dies noch eine Weile als Demokratie bezeichnen.

Der Angriff auf das Leben ist so heftig, dass es möglich ist, dass diejenigen, die dafür verantwortlich sind, unwissentlich ein Außen geschaffen haben, das aus der offensichtlichen Opposition all derer besteht, die nicht in einem Pflegeheim leben können und wollen. Dies geschieht simultan mit dem wachsenden Hass der Eingeschlossenen und der Unvermeidbarkeit der Separation. Schon in den Zügen erlauben sich die Kontrolleure, offen über die Gefahren der Pandemie zu sprechen, über das Nichttragen einer Maske, immer wieder, zwischen jedem Halt, bis hin zu Begründungen wie „man kann sich mit einer Geliebten, einem Liebhaber treffen, aber mit Maske“ und anderen Wahnvorstellungen des ohnmächtigen Königs, denn alles ist drinnen, schon rülpst der Polizist in jedem von ihnen, schon ist der Bourgeois im Ausdruck seiner ewigen Verachtung erstarrt, schon ist die Welt ekelhaft und obszön.

Diese Zivilisation liegt im Sterben und wünscht sich hartnäckig ihre Verewigung, obwohl es offensichtlich ist, dass sie es nicht wert ist. Hier eine nicht erschöpfende Liste von Aktivitäten, die ohne Kontrolle erlaubt sind: in den Supermarkt gehen, öffentliche Verkehrsmittel benutzen, spazieren gehen, Liebe machen, schlafen, auswärts oder zu Hause essen, Drogen kaufen, Musik hören, tanzen, schwimmen, einkaufen gehen, draußen trinken, Tiere streicheln, lesen, Filme unter vier Augen ansehen, reden. Es scheint, dass sie uns das Wesentliche überlassen und die Privilegien des Nebensächlichen behalten haben.

Der Zeitpunkt des Übergangs ist entweder der der Inkorporation (des neuen dominanten Modells) oder der der Abweichung. Bei der Abweichung geht es nicht darum, das Bestehende zu bewahren, sondern eine andere Art des Seins zu schaffen als die, die uns die Zukunft vorgibt, nicht darum, reinen Tisch zu machen, sondern das Verbotene als Hebel für das Neue zu nutzen. Die ultimative Gefahr, die uns bedroht, wird von unseren Feinden definiert, insofern sie sich als Feinde des Lebens erweisen, und erweist sich als Kollaboration mit einem Rahmen, mit Lebensformen, die durch Geld reguliert werden und deren Befolgung von nun an eine Form der Negation aller anderen Formen der Handlungen impliziert. Es geht darum, Widerstand gegen unsere eigene Lebensweise zu leisten, denn in unserem Leben werden wir regiert. Die Bourgeoisie und die Anhänger des ‘Einheitsmodells’ zu betrachten und sie als Figuren einer sterbenden Welt auszulachen und die Zeit auf den Terrassen der Cafés, Restaurants und Kinos als Museen unseres eigenen Lebens zu verbringen. Dieses Leben ist vorbei, ja, es ist bereits vorbei. Es ist an der Zeit, uns von dieser Welt zu trennen, die es nicht wert ist, dass wir sie bewahren. Es wäre an der Zeit, diese radikale Trennung, die durch die Abwesenheit von „Papers“ entsteht, jeden Tag an neu entdeckten Orten zu manifestieren.

Denn die Welt des Passes verdient es nicht, gerettet zu werden. Eine andere Welt verlangt danach, gerettet zu werden, und wir müssen uns ihr anschließen oder sie untergehen sehen, jedes Mal, wenn wir an ihr vorbeikommen.