Vadim Riga
Geschichte wird bekanntlich von den Siegern geschrieben, oder zumindest von denen die über die Macht und die Werkzeuge verfügen ihre Geschichte aufzuschreiben und unter die Leute zu bringen, im Zweifelsfall am besten nachdem man das Lager gewechselt hat. Mit den Büchern über “die 68er” könnte man eine mittelgroße Lagerhalle füllen, wichtige Aspekte dieser Revolte, wie die Anteile von Migrant*innen oder jugendlichen Proletarier*innen werden sich darin nur als Randnotiz finden. Der folgende Text von Vadim Riga über die Lehrlingsbewegung der 60/70er ist daher eine wunderbare Ausnahme. Er erschien im Original im Oktober 2007 auf trend infopartisan, wir haben ihn leicht überarbeitet. Sunzi Bingfa
Die Lehrlingsbewegung der 60er und 70er in der BRD und Westberlin
Die sog. Lehrlingsbewegung, die eigentlich eine allgemeine Bewegung jugendlicher Proletarier war, wurde zur Legende. Es existiert kaum Literatur darüber, geschweige denn authentische. Dafür umso mehr Hörensagen, mündliche Überlieferungen ehemaliger Mitstreiter, oft romantisch verklärt zum Lehrlingsblues. Das liegt z.T. daran, dass es den einstigen Protagonisten bis heute kaum gelungen ist aus ihren Reihen adäquate Geschichtsschreiber hervorzubringen. [1] Ein anderer Grund ist sicher, dass die „Lehrlingsbewegung“ eine Randerscheinung im Aufstieg und Niedergang der weltweiten sozialen Bewegungen dieser Zeit war. Eine Fußnote der „68’er Revolte“. Fußnoten werden gerne übergangen. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass sie bedeutungslos sind.
Diese Bewegung der Lehrlinge und jungen Arbeiter in Westdeutschland zwischen ca. 1967 und 1974 war zweifellos Ausdruck einer wirklichen proletarisch-subversiven Strömung innerhalb der Klassenkämpfe dieser Zeit. Sie bewegte sich, der spezifischen Lage ihrer Militanten entsprechend, im Spannungsfeld zweier, in der Tendenz gegengesellschaftlicher Strömungen, welche hierzulande jedoch nur vereinzelt von gemeinsamen Interessen bestimmt wurden, die aber in solchen seltenen Momenten dem Klassenkampf eine konstruktive Dynamik verleihen konnten. Meist standen diese unterschiedlichen Strömungen, wie wir noch sehen werden, in einem nicht im gemeinsamen Kampf aufgehobenen Widerspruch zueinander, in dem die Emanzipationsbemühungen dieser Jugendlichen schließlich aufgerieben wurden.
Diese beiden Strömungen innerhalb der allgemeinen sozialen Bewegung in Deutschland bestanden auf der einen Seite in den Arbeitskämpfen dieser Zeit, in denen die „Lehrlingsbewegung“ ihren Anfang nahm, und auf der anderen Seite in der gleichzeitigen und (zeitlich wie inhaltlich) darüber hinaus gehenden allgemeinen Jugendbewegung, in der sie sich weiter entwickeln konnte. Die Verhältnisse erlaubten es diesen Jugendlichen aber nun einmal nicht den Widerspruch, welcher mitten durch sie durch ging, auf Dauer konstruktiv zu wenden. Oswald Todtenberg brachte bereits 1971, als die Bewegung sich selbst noch im Aufwind sah, dieses Dilemma vorhersehend auf den Punkt: „Entweder ist sie… (die Lehrlingsbewegung)… in erster Linie erfolgreich – in der Mobilisierung und Politisierung weiterer Jugendlicher – dann scheitert sie langfristig daran, dass die Jugendlichen allein weiter relativ unbedeutend für den Kampf um die Veränderung der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung bleiben. Oder sie wenden sich unmittelbar an die wichtigsten gesellschaftlichen Gruppen, an die Arbeiter und Angestellten, und scheitern dabei vorläufig an der politischen Unbeweglichkeit dieser Gruppen, an der Tatsache also, dass diese nicht nur aktuell unpolitisch, sondern entpolitisiert worden sind.“ [2] Solcherlei Prognosen, und seien sie noch so richtig, werden jedoch in einer Bewegung von 15 – 20jährigen, welche sich gerade völlig erstaunt dabei zusehen wie sie ihrer Klasse den aufrechten Gang demonstrieren, nicht zur Kenntnis genommen. Niemand von denen wollte mehr werden was „die Alten“ waren: Krumm gemacht!
Ein Blick in diesen Mikrokosmos des weltweiten Kampfzyklus der 60er und 70er Jahre lohnt sich indes allemal, denn er trägt möglicherweise dazu bei, sich am konkreten Fall einen Begriff von der Bewegungsdynamik moderner sozialer Kämpfe und Klassenauseinandersetzungen anzueignen. Zudem ist es längst angezeigt, die Emanzipationsbemühungen dieser Abteilung der Arbeiterklasse zu würdigen.
Worum es sich dreht: Einige Basics zur Berufsausbildung im Kapitalismus
Die Berufsausbildung im Kapitalismus unterliegt, wie jede andere Verkehrsform der Gesellschaft auch, der Dynamik des Marktes. Die revolutionäre Theorie hebt als Grundlage der Marktbewegung die Totalität der Warenproduktion und das generalisierte Konkurrenzprinzip hervor. Diese Faktoren finden sich im Abhängigkeitsverhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital auf eigentümliche Art und Weise wieder in der Verwandlung von Arbeitskraft in Ware: „Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden“ [3] Berufsausbildung ist bestimmt durch den Charakter der Arbeitskraft als Ware. Zugleich ist sie Voraussetzung des Fungierens der Arbeitskraft im Produktionsprozess. Arbeitskraft setzt Wert für das Kapital, indem sie verausgabt wird. Jedoch nur unter der Voraussetzung, dass Arbeit in konkret nützlicher Form geleistet wird. Ein Produkt kann nicht „Wert sein, ohne Gebrauchsgegenstand zu sein, ist es nutzlos, so ist auch die in ihm erhaltene Arbeit nutzlos, zählt nicht als Arbeit und bildet daher keinen Wert.“ [4] Der Gebrauchswert der Arbeitskraft ist folglich daran gebunden, dass diese über die erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse verfügt um zweckmäßig auf den gegebenen Arbeitsgegenstand einwirken zu können. Um „die allgemein menschliche Natur so zu modifizieren, dass sie Geschick und Fertigkeit in einem bestimmten Arbeitszweig erlangt, bedarf es einer bestimmten Bildung oder Erziehung.“ [5] Die verwertbare Arbeitskraft wird „durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter“ [6] bestimmt. Das heißt auch, „dass unter kapitalistischen Bedingungen die Qualifikation des Arbeitsindividuums nicht seine Qualifikation, sondern Qualifikation des Kapitals darstellt.“ [7]
Die Berufsausbildung ist also ihrem Inhalt und ihrer Form nach gebunden an den Selbstverwertungsprozess des Kapitals. Dass Arbeit „bestimmter Qualifikationen bedarf, ist Naturbedingung der Arbeit überhaupt, der demzufolge das Kapital auch Rechnung tragen muss.“ [8] Diese Rechnung trägt das Kapital, wie es zugleich von ihr getragen wird: wohl oder übel. Die Kosten der Ausbildung gehen in den Wert der Arbeitskraft ein. Da der Erfolg der Selbstverwertung des Kapitals durch das Verhältnis von notwendiger Arbeit und Mehrarbeit entschieden wird, ist das Kapital daran interessiert Ausbildungskosten gering zu halten. [9] Hier tut sich der Widerspruch auf: Als Arbeitsprozess erfordert die kapitalistische Produktionsweise bestimmte, definierte Qualifikationen – als Verwertungsprozess drängt sie auf Niedrighaltung der Ausbildungskosten und damit auf die Qualifizierung selbst. (Dieser Widerspruch betrifft im weitesten Sinne auch die akademische Ausbildung). Dieses Verhältnis war den meisten Protagonisten der „Lehrlingsbewegung“ seinerzeit theoretisch kaum gegenwärtig. Sie mussten dennoch in diesem Verhältnis leben, sich darin bewegen, darin tätig werden. Das wurde zunächst oftmals bloß empfunden als eine Art übergeordnete Macht, welche nicht genau zu fassen und daher bedrohlich schien. Im Alltäglichen des Arbeitsprozesses kam dieser Widerspruch jedoch für viele allmählich zum Bewußtsein und nahm für die zu Bewusstsein gekommenen in gleichem Maße an Bedrohlichkeit ab.
Auszubildende haben als Individuen zunächst einmal das Interesse durch niveauvolle und variable Qualifikation den späteren Verkaufswert ihrer Arbeitskraft zukunftssicher und unter möglichst günstigen Bedingungen gestalten zu können. Dem steht diametral die notwendige Minderqualifikation entgegen, die meist auf die spezifischen Interessen des Einzelbetriebes ausgerichtet ist. (Ohne Garantie auf Weiterbeschäftigung im Ausbildungsbetrieb). Die mangelhafte Qualität der Berufsausbildung spiegelt sich zudem in den erzieherischen Maßnahmen gegenüber den Auszubildenden wider, welche sich inhaltlich und formell in der Eingliederung in die Betriebshierarchie auf unterster Ebene erschöpfen. Um das wahrnehmen zu können, ohne zugleich das Bedürfnis zu entwickeln es verdrängen zu müssen, bedarf es zunächst weniger der Einsicht in die Komplexität der Kritik der politischen Ökonomie, als vielmehr der Hoffnung, der Würde, des Willens und der Lust zur Selbstermächtigung. „Nur wer sich bewegt spürt seine Ketten“ [10] war eine weitverbreitete und tief wirkende Parole der jungen Arbeiter. Auf die eine oder andere Art steckt hier sicher der Teufel im Detail. Der Plan wird in dieser Phase der Entwicklung des Klassenbewusstseins jedenfalls noch nicht geschmiedet. Auf alle Fälle aber ging eine spürbare Kraft von der Bewegung der jungen Arbeiter aus. Im revolutionären Lager wird gegenüber dem, was hier geschah, gelegentlich von einem Klasseninstinkt gesprochen. Ich finde diesen Begriff sehr reduzierend. Er verführt zur Verwechslung, bzw. Gleichsetzung von Bewusstsein und Wissen. Eben so, als könnten Menschen mit eingeschränktem Zugang zur Bildung kein wirkliches, also zukunftsträchtiges Bewusstsein ihrer Lage und ihrer Interessen entwickeln, sondern bloß Instinkt. „Wissende“ wissen oft nicht sehr viel von diesem Bewusstsein. Dabei fällt es so manchem selbstbewussten „Unwissenden“ leichter sich Wissen anzueignen, als es manch „Wissenden“ gelingen mag, sich Bewusstsein anzueignen.
Zweierlei 68 in Westdeutschland
Die sog. 68er Bewegung unterzieht sich heute meistens einer reduzierten, verzerrten Wahrnehmung. Im deutschen bürgerlichen Diskurs erscheint sie als Studentenbewegung oder gelegentlich etwas weiter gefasst als Jugendkulturbewegung. Letzteres wird dann aber sogleich auf einen Generationenkonflikt herunter gebrochen. „So führt man eine neue Jugend der Revolte auf die ewige Revolte der Jugend zurück.“ [11] Hin und wieder wird in der bürgerlichen Betrachtung auch der Einfluss der damaligen Geschehnisse in den unterentwickelten Ländern, wahlweise auch die Aufarbeitungsbemühungen gegenüber der faschistischen Vergangenheit mitgedeutet: Als „schlechtes“ soziales Gewissen der Jugend. [12]
Aber abgesehen davon, dass auf internationaler Ebene das Proletariat den vielfältigen Bewegungen überall eine Prägung verliehen hat [13] und diese Bewegungen stellenweise sogar dominieren konnte,[ 14] kam es selbst in Westdeutschland und Westberlin zu massiven Klassenkämpfen. Im Gegensatz zu anderen Regionen dieser Welt gelang hierzulande jedoch nur vereinzelt der Schulterschluss zwischen den kämpfenden Arbeitern und den Studenten. Innerhalb der Studentenbewegung gab es indes sehr wohl Bemühungen sich mit den Klassenkämpfen zu verbinden. [15] Diese Versuche stießen aber nur selten auf Gegenliebe seitens der Arbeiter. [16] Die Gründe hierfür sind vielfältig und in der speziellen Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung zu suchen. Man kann aber zwei eng miteinander verbundene, m. E. zentrale Gründe dafür hervorheben: Ein in der deutschen Gesellschaft zu dieser Zeit tief verankerter Antikommunismus [17] (und eine damit einhergehende Intellektuellenfeindlichkeit), sowie die starke gesellschaftliche Integrationskraft der deutschen Arbeiterbürokratie .[18]
Im öffentlichen Bewusstsein wurde die westdeutsche Studentenbewegung stets als Agentur des „Ostblocks“ wahrgenommen. Solcherlei Identifizierungen, sowie ein allgemeines, z.T. durch Sozialneid geschürtes Misstrauen gegenüber der akademischen Jugend, welches tief hinein in das Bewusstsein vieler Arbeiter wirkte, blockierte hierzulande massiv die Einsicht in durchaus vorhandene gemeinsame Interessen. SPD und DGB sorgten zudem gegenüber dem Teil der Arbeiterklasse, welcher sich von solcherlei Propaganda nicht beeindrucken ließ, für Verunsicherung und Spaltung [19] und trugen so ihrem Auftrag gemäß zur Schwächung der Bewegung bei.
Für die Lehrlingsbewegung galt es von Beginn an sich diesen Schwierigkeiten zu stellen, sie zu erkennen und ihnen standzuhalten. Denn in dem Maße, wie sie verwurzelt war in der Bewegung der Arbeiter dieser Zeit, war sie zugleich inspiriert und eingebunden in die subversiven Handlungen und die gesamtgesellschaftliche Kritik der rebellierenden Studenten. In der Niederlage der jungen Proletarier, ihrer Reintegration auf der einen, und ihrer Kämpfe auf verlorenen Posten auf der anderen Seite, zeigte sich, dass sie dieser Herausforderung nicht gewachsen waren. Sie verschwanden förmlich im Nichts, hinterließen kaum Spuren und stießen ihre Aktivisten zurück in die bloße Agonie des Arbeitsalltags oder „vorwärts“ ins Abseits des Sektierertums, was meistens nur ein Umweg zurück in die Agonie und die Vereinzelung am Arbeitsplatz war. In der Niederlage ist Kollektivität nur schwer möglich.
Der Klassenkampf – Geburtsstätte der „Lehrlingsbewegung“
Ab 1967 vermeldete die bürgerliche Presse hektisch die Infizierung der Gesellschaft mit der „englischen Krankheit“, also die Wiederbelebung einer kämpferischen Streikkultur in Deutschland. Zuvor plätscherten zwar hier und da Arbeitskämpfe vor sich hin, aber von einigen Ausnahmen abgesehen waren zumindest die bis dahin von der Öffentlichkeit wahrgenommenen Kämpfe unter dem Diktat der „Sozialpartnerschaft“ – welche selbstredend stets von beiden „Konfliktparteien“ hochgehalten wurde – geführt worden. (So heute auch). Ansonsten war die junge Republik stolz auf ihre Errungenschaften. Im Bereich der Arbeitswelt hieß das „Vollbeschäftigung“ und „Arbeitsfrieden“. (So heute nicht mehr). Allerdings stand der Chance, auch auf dem Weltmarkt wieder eine wichtige Rolle zu spielen, die immer noch vorhandene Verstrickung der Bürokratie der Herrschenden in den überlebten Strukturen des Nazi-Regimes genauso entgegen, wie die Einbindung in das westliche Bündnis. Dieser Widerspruch beherrschte die deutsche Bourgeoisie und ihre politische Kaste stets aufs Neue. [20] Dies alles sorgte hin und wieder für Unruhe, und löste den ein oder anderen (auch größeren) politischen Protest aus. Die deutsche Arbeiterklasse ließ das im Großen und Ganzen kalt. Eine Ausnahme bildete lediglich das Eingreifen des DGB in die Debatte um die Notstandsgesetzgebung. Für einen erfolgreichen politischen Eingriff in dieser Angelegenheit durch die Klasse reichte es jedoch, trotz großer Bemühungen der Linken, nicht aus. Im Klima vernebelter Widersprüche durch Kriegstraumaverdrängung und nachholender Befriedigung der eigenen Bedürftigkeit mittels Konsum, importierte eine (leider eher unpolitische) rebellische Jugend den Soundtrack für das Wirtschaftswunderland: Rock’n’Roll.
Was war also geschehen? Ab Mitte der 60er Jahre veränderte sich das gesellschaftliche Klima für Jedermann merklich. Die Gelüste des deutschen Imperialismus drängten zunehmend auf eine eigenständige Außenpolitik, die sich u.a. im Begehren um die Märkte des COMECON und die von diesem beeinflussten Regionen bemerkbar machte. [21] Das beeinträchtigte vorübergehend die nationale Disziplin der Bourgeoisie – da einige ihrer Fraktionen sich nur schwer von den diesen Bestrebungen entgegenstehenden Vorgaben des westlichen Bündnisses und den o.g. Verstrickungen ihrer Bürokratie lösen konnten – und schwächte für einen Moment die politische Integrationskraft der Herrschenden.[ 22] Entscheidender jedoch waren grosse Einschnitte in die Nationalökonomie. Wie in allen anderen Industrienationen zogen neue Technologien [23] in die Arbeitswelt ein und wirbelten überkommene Strukturen auf. Wichtige Schlüsselindustrien waren von diesen für den Akkumulationsprozess notwendig gewordenen Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen. Die Arbeitswelt veränderte allmählich ihr Gesicht. Der Arbeitstakt erhöhte sich spürbar. Eine Ahnung von der Rückkehr der Arbeitslosigkeit griff um sich. Dies hatte u.a. eine zunehmende Desillusionierung innerhalb der Arbeiterklasse gegenüber den staatlichen Interventionen in die Wirtschaft (Konjunkturpolitik) zur Folge. Eine deutlich wahrnehmbare Ausbreitung des Dienstleistungssektors konnte die allgemeine Krise zunächst noch überdecken. Ebenso die damit zusammenhängende relative Ausweitung des Zugangs für Arbeiter und ihre Kinder zur (Weiter)Bildung. Solcherlei Entwicklungen und Maßnahmen konnten die Krise jedoch nicht stoppen. Die Illusionen in das Wirtschaftsprogramm des Keynesianismus, hierzulande unter den Begriffen antizyklische Wirtschaftspolitik oder Konjunkturausgleichsrücklage bekannt geworden, platzten, als klar wurde, dass es sich um mehr als eine vorübergehende Konjunkturkrise handelte. Die Krise wurde nun „Strukturkrise“ genannt, und die Maßnahmen zur Neustrukturierung dienten vorgeblich der Anpassung an diese „Dienstleistungsgesellschaft(!)“. (Heute nennt sich dieser Verblendungszusammenhang zur Rechtfertigung von Umstrukturierungsmaßnahmen „Informationsgesellschaft“ oder wahlweise „Globalisierung”). Die Botschaft an die Proletarier bestand (besteht) in der Behauptung, dass deren gesellschaftliche Stellung an Wert und Kraft verloren gin und dass ihre spezifischen Interessen hierdurch obsolet geworden seien. Die Wirkung dieser Botschaft trug seinerzeit stark dazu bei, dass viele junge Lohnabhängige ein Gespür dafür entwickelten, dass sie bald nichts mehr zu verlieren hätten – was in diesen Zeiten eher günstig als bedrohlich für den Emanzipationsprozess war.
Vor all diesen Hintergründen kam es ab ca. 1967 wieder vermehrt zu Klassenkämpfen, [24] die sich bis September 1969 wellenartig hochschaukelten, um dann in einer in der BRD bis dahin nicht gekannten Ausdehnung und Tiefe gegen den Fels des deutschen Kapitals zu schlagen. Der sog. wilde Streik trat als Aktionsform wieder vermehrt in Erscheinung. [25] Diese Streikform, die sich direkt gegen gesetzliche Reglementierungen und die Vereinnahmung durch die Gewerkschaftsbürokratie richtete, und daher den Arbeitern ein hohes Maß an Risikobereitschaft abverlangte, wurde zu einem wichtigen Aktionsrahmen der Lehrlinge, denn das „Recht“ auf Streik war für die Auszubildenden seinerzeit stark eingeschränkt. Im Betriebsverfassungsgesetz (und auch in der alltäglichen Praxis) wurde deren Zugehörigkeit zur Belegschaft weitgehend als abgespalten betrachtet. Auf diese Weise boten vor allem die illegalen, „wilden“ Streiks, jenseits staatlicher und gewerkschaftlicher Einschränkungen, ihnen die Möglichkeit sich aktiv und gleichberechtigt zu beteiligen. Einer der ersten allgemein formulierten Forderungen der jungen Arbeiter war dementsprechend ein generelles Streikrecht für Lehrlinge. So kam es bis in die 70er Jahre hinein immer wieder zu spontanen Lehrlingsstreiks. Bis zu einem gewissen Punkt wurden diesen Aktionen auch Verständnis von Seiten der älteren Kollegen entgegengebracht, was gelegentlich zu Teilerfolgen der Lehrlinge führte. Ein Beispiel dafür war der Lehrlingsstreik bei den Frankfurter Stadtwerken im September 1970, in dem es den Streikenden gelang, all ihre Forderungen gegenüber dem Unternehmen durchzusetzen. Alle 121 Lehrlinge des Betriebes waren von Beginn an in den Kampf eingebunden. Während des einwöchigen Arbeitskampfes fanden täglich Vollversammlungen der Lehrlinge statt, zu denen stets auch Vertreter der älteren Kollegen eingeladen wurden. Es wurden Kontakte zu den Gruppen der jungen Arbeiter im ganzen Land hergestellt und öffentliche Aktionen durchgeführt. Am Ende des Streiks erklärten die Lehrlinge: „Unsere Stärke liegt in unserer Kampferfahrung! Was wir in der Woche vom 23. – 27. 9. 1970 gelernt haben, werden wir nie vergessen… stärker als wir ihn begonnen haben beenden wir auch diesen Streik.“ [26]
Die Erfahrungen der Solidarität in den Arbeitskämpfen ließen die Lehrlinge immer mutiger werden, und es bildeten sich immer mehr Gruppen innerhalb und außerhalb des gewerkschaftlichen Rahmens, in denen die besonderen sozialen und ökonomischen Bedingungen der Arbeiterjugend diskutiert wurden. Weitere Forderungen bezüglich der Arbeitsbedingungen wurden verallgemeinert. Zunächst die Ausbildung selbst betreffend, wie z.B. die Forderung nach Verbot ausbildungsfremder Tätigkeiten (unbezahlte Privatarbeiten für Chefs, Putzen, Einkaufen usw.), nach strafrechtlicher Verfolgung von körperlichen Züchtigungen durch Vorgesetzte u.a.m. Die tiefgreifendste ökonomische Forderung der Lehrlinge war zweifellos die nach einem garantierten Mindesteinkommen („Existenzlohn“). Hierin wurde zum ersten Mal der Zusammenhang zwischen Produktions-, und Reproduktionsbereich thematisiert. Die Arbeiterjugend strebte nach Eigenständigkeit. Die Vorstellung von einer Möglichkeit, die engen Wohn-, und Lebensverhältnisse innerhalb der Arbeiterfamilien zu durchbrechen griff unaufhaltsam um sich und wurde zunehmend zum zentralen Thema der Jugendlichen. Inspiriert durch die Aktionen der Studentenbewegung entstanden so u.a. auch Lehrlings-Kommunen, welche allerdings weniger Ideologisch besetzt waren sondern in erster Linie dem Zweck dienten, der familiären Enge zu entfliehen und in einem solidarischem Verhältnis aufgehoben zu sein. Als „Antizipation einer Utopie“ wurden solche Wohnverhältnisse in diesem Milieu jedenfalls nicht propagiert.
Während der Kampfjahre vor den Septemberstreiks 1969 waren in vielen Betrieben bereits Aktionsgruppen entstanden, welche später eine wichtige Rolle für die Ausdehnung und Vertiefung der Klassenkämpfe in diesem „heißen Herbst“ in Deutschland einnehmen konnten, und in denen die jugendlichen Arbeiter – neben den Arbeitsmigranten – eine wichtige Rolle spielen sollten. So z.B. bei Klöckner in Köln und Bremen, auf der Bremer Vulkanwerft, bei HDW in Hamburg und Kiel, in verschiedenen Stahlwerken an der Ruhr und im Saarland (Hösch, Salzgitter Stahl), in diversen Fabriken der Elektro-, und Chemieindustrie usw. Diese Arbeitskämpfe waren anfänglich (und später, gegen Ende der Bewegung z.T. erneut) von massiven Gewaltausbrüchen der Polizei und des Werkschutzes begleitet, denen sich die Arbeiter entschlossen entgegenstellten (Hanauer Gummiwerke, Druckerstreik, Streik bei Stella…). Während der umfangreichen und massiven Streikbewegung im „heißen Herbst“ 1969 selbst „wagte jedoch niemand wirklich die Arbeiter offen anzugreifen“.
[27] Schon zuvor kam es am Rande der allgemeinen Klassenkämpfe zu eigenständigen, öffentlichen Auftritten von Lehrlingen. 1968 kam es in Hamburg das erstmals zu einer aufsehenerregenden Aktion (siehe weiter unten).
Im „Vorherbst“ 1969, während der Maikundgebungen des DGB, auf der sich vielerorts die Lehrlinge zu eigenen Blöcken innerhalb der Demonstrationen zusammen taten, dehnten sich diese Aktionen aus und erhoben sich zugleich auf ein höheres politisches Niveau. Herausragend war in diesem Zusammenhang die Beteiligung der Lehrlinge an den Maikundgebungen in Hamburg, Berlin und Köln, [28] wo diese offen mit Parolen wie „Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft“ gegen die Gewerkschaftsstrategie in Erscheinung traten. Bereits am 25. April 1969 war es in etlichen Städten zu Mobilisierungsaktionen der Lehrlinge für die bevorstehenden Maikundgebungen gekommen. [29] Der 1. Mai 1969 wurde für den DGB absehbar und unausweichlich im ganzen Land zum Debakel. Derlei ermutigt riefen die bereits überall im Land entstandenen Gruppen junger Arbeiter gleich im Anschluss – für den 7. Juni 1969 – zu einer Großdemonstration der Arbeiterjugend in Köln unter dem Motto „Selbstbestimmung und Klassenkampf – statt Mitbestimmung und Gewerkschaftskrampf!“ auf, an der nach Einschätzung der Organisatoren schließlich ca. 10.000 Jugendliche aus dem gesamten Bundesgebiet teilnahmen. Innerhalb der Gewerkschaftsjugend kam es deshalb bereits im Vorfeld zu einem Riss. Selbst die sonst so gewerkschaftsfreundliche Jugendorganisation der DKP, die SDAJ, sah sich genötigt, nach einigem Zögern und dem abgewiesenen DGB – Vorschlag eine gewerkschaftliche Jugenddemonstration in Bonn durchzuführen (als Alternative zur Kölner Demo), zur Demo der gewerkschaftsunabhängigen Arbeiterjugendbewegung aufzurufen. Am 22. Mai 1969 „bedauert der Bundesvorstand der SDAJ, dass keine Aktion in Bonn stattfinden soll. Um der Einheit der Arbeiterjugend willen und um einen machtvollen Höhepunkt der Bewegung zu unterstützen, ruft er deshalb zur Teilnahme an der Kundgebung in Köln auf.“ [30]
Vor diesem Hintergrund betrachtet ist die legendäre Streikwelle von 1969, welche nur wenig später ihren Auftakt während eines 2tägigen Spontanstreiks bei Hoesch in Dortmund nimmt, an dem sich ca. 27.000 Arbeiter beteiligten (entgegen allen Maßregelungsversuchen des DGB), ohne die vorwärtstreibende Kraft der jungen Arbeiter in den vorangegangenen Jahren eigentlich nicht mehr vorstellbar. Wenn in den Einschätzungen zur Bewegung der Arbeiter 1967 – 1969 in verschiedenen revolutionären Zusammenhängen gelegentlich von einer „neuen Arbeiterbewegung“, oder einer „neuen Generation von ungeschlagenen Proletariern“ die Rede ist, also von denen, die nicht persönlich verstrickt waren in die unzähligen Niederlagen der alten Arbeiterbewegung, dann sind es konkret diese jungen Menschen gewesen. Nur ihnen konnte es zu dieser Zeit gelingen mit den überlebten Strukturen und Traditionen (der alten Arbeiterbewegung) zu brechen, da sie nicht in diesen verheimatet waren. Sie waren somit zugleich diejenigen, welche die schwierige Aufgabe hatten nach neuen Formen des Kampfes und der Vereinigung zu suchen. Besonders letzteres stellte, wie wir noch sehen werden, eine völlige Überforderung für sie dar. Für die Streikwellen dieser Zeit im Allgemeinen, und für die Bewegung der jungen Arbeiter im Besonderen, trifft jedenfalls zu, dass sie die Traditionen und Strukturen der alten Arbeiterparteien und Gewerkschaften zeitweise hinter sich lassen konnten, und es ihnen in diesen Momenten gelang, für ihre Klasse deren Autonomie zu behaupten.
Damit bestätigte sich interessanterweise auch eine zuvor eher spekulativ erscheinende Sichtweise der Rätekommunisten der 30er und 40er Jahre. Die Niederlage der alten Arbeiterbewegung schmerzlich vor Augen schrieben sie 1935 in ihrer Exilzeitung „Räte-Korrespondenz“: „Der indirekten Unterordnung der Arbeiter unter die Interessen des Kapitals durch den Reformismus folgte die direkte Unterordnung durch den Faschismus. So kann man… ohne Zweifel sagen, dass die bisherige organisierte Arbeiterbewegung geschichtlich ihr Ende gefunden hat. Sie kann nicht neu hergestellt werden. Womit wir uns beschäftigen, in Verbindung mit den kommenden revolutionären Auseinandersetzungen, ist die Bewegung der Arbeiter. Diese Bewegung der Arbeiter… wird durch die kapitalistischen Notwendigkeiten selbst geschaffen.“ [31] Und einer ihrer bekannteren Theoretiker fügte sinnierend hinzu: „Die neue Arbeiterbewegung … erscheint.. in der Form von kleinen … Propagandagruppen, die hier und dort auftauchen, in vielerlei praktischen und theoretischen Fragen verschiedener Meinung sind und auch wohl noch fürs erste bleiben werden. Aber so wie sie sind, sind sie doch die Organe, wodurch die Klasse um ihre Selbstverständigung ringt. In diesen Gruppen, die in der Masse verwurzelt bleiben, offenbart sich die Neuorientierung des Denkens der Klasse, zunächst noch spontan; hier und dort bilden sich Gruppen ohne viel Zusammenhang und darum auch noch mit auseinandergehenden Auffassungen. Aber je mehr sich diese Gruppenbildung durchsetzt, zur allgemeinen Regel wird und schließlich als notwendige Schulung der Arbeiterklasse erkannt wird, um so mehr werden auch die auseinandergehenden Auffassungen zur Einheit verschmelzen.“ [32] Am 7. Juni 1969 in Köln zeigte sich diese Verschmelzung, deren Anziehungskraft sich auch die Lehrlinge und jungen Arbeiter, die sich innerhalb der Gewerkschaftsjugend bewegten, nicht entziehen konnten. Die Politisierung und Assoziierung tausender junger Arbeiter wirkte sodann als kraftvolles Element auf die 3 Monate später folgenden Klassenkämpfe in Deutschland zurück.
Reintegrationsversuche
Infolge des Mai Debakels (und im Vorfeld der Septemberstreiks) kam es zu hektischen Aktivitäten auf Seiten der Arbeiterbürokratie. Nur wenige Tage später, am 6. Mai 1969, kam es zu einer außerordentlichen, zentralen Konferenz der DGB Betriebsräte und Vertrauensleute zum Thema gewerkschaftlicher Jugendpolitik in Hamburg. Diese endete mit dem Beschluss ein „jugendpolitisches Sofortprogramm“ beim DGB-Vorstand in Auftrag zu geben. [33] Angesichts der laufenden Vorbereitungsaktivitäten zur zentralen Kundgebung der autonomen Arbeiterjugend in Köln beschließt der Bundesvorstand des DGB am 13. Mai einen Sternmarsch der Lehrlinge „für eine fortschrittliche Berufsbildung“, (ebenfalls am 7. Juni) in Bonn organisieren zu lassen. (Im Vorfeld wurde am 17. Mai eine zentrale Kundgebung der DGB-Jugend in der Sporthalle Köln aus dem Boden gestampft). Trotz massiver Intervention der SDAJ und der JuSos kann sich dieser Spaltungsversuch jedoch nicht durchsetzen (s. o.). Die Mehrheit der jungen Gewerkschafter war dafür vorerst nicht mehr zu gewinnen.
Nach der am 7. Juni in Köln offenkundig gewordenen Niederlage der Reformisten kam das inzwischen verfügte „Jugendpolitische Sofortprogramm“ des DGB umgehend zur Geltung. Unter dem Sammelbegriff „Jour Fix“ wurde der Aufbau von DGB-Jugendzentren zügig durchgeführt. In allen Städten, in denen die Lehrlingsbewegung bisher in Erscheinung getreten war, wurden Räume angemietet. Gewerkschaftliche Kader (sog. Jugend-Teamer) wurden in Schnellschulungen herangezogen. Zwischen Mitte 1969 und Anfang 1971 stellte der DGB bereits mehr als 100 solcher Jugendzentren zur Verfügung. Dabei wurde betont, dass diese Zentren auch und gerade von den nicht gewerkschaftlich organisierten Jugendlichen genutzt werden sollten.[ 34] Dennoch ließ das DGB-Vorstandsmitglied, Waldemar Reuter, es sich seinerzeit nicht nehmen, während einer DGB-Jugendkonferenz 1969 klar zu stellen, dass „Eine Gewerkschaft… weder politische Partei noch ein Parteiersatz und erst recht kein Tummelplatz für politisch Zukurzgekommene oder revolutionäre Heißsporne zu sein (hat)“[ 35]
Parallel dazu unterbreitete die SPD erste Gesetzesvorschläge für eine umfangreiche Reform des Jugendarbeitsschutzes, des Betriebsverfassungsgesetzes und der Berufsbildung. Erste Teile dieses Reformpaketes sollten bereits am 11. Juni – 4 Tage nach der Demo in Köln – dem Bundestag vorgelegt werden. [36] Das übliche Geplänkel zwischen Gewerkschaften und Regierung bezüglich bestimmter „Nachbesserungen“ der Reformvorschläge setzte umgehend ein. Wie nicht anders zu erwarten gab sich der DGB hier zunächst recht radikal. Insbesondere am Ausbau der Rechte für die betriebliche Jugendvertretung, also der Anbindung an die Betriebsräte, war der Gewerkschaftsführung sehr gelegen. Die SPD preschte zudem mit dem Vorschlag der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters von bisher 21 auf 18 Jahre vor, und hoffte dadurch auf Zustimmung durch die Jugendlichen. Die Lehrlingsbewegung wurde für einen Augenblick zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion – also zum Gegenstand der bürgerlichen Medien. Eine spaltende Diskussion.
Der Ausbruch der Septemberstreiks überschattete vorerst solcherlei Aktivitäten der Arbeiterbürokratie gegenüber der proletarischen Jugend, denn nun fanden sich die Reformisten plötzlich von zwei Seiten bedrängt. Von Hinten drängte die deutsche Bourgeoisie, welche den „Aufweichungsprozess“ des Staates nicht länger dulden wollte, da dies ihren Krisenbewältigungsstrategien entgegenstand. Von Vorne drängte die kämpfende Klasse. Das Dilemma des Opportunismus offenbarte sich und ließ den Staat für einen Moment lang nackt zurück. „Um eine sofortige Erhöhung der Löhne durchzusetzen, legten die Arbeiter der Hoesch- AG Hüttenwerke in Dortmund am 2. September die Arbeit nieder. Sie erhielten sofort 30 Pfennig mehr in der Stunde und beendeten ihren Streik einen Tag später. Der Funke sprang jedoch auf andere Betriebe und Branchen über. Innerhalb von 18 Tagen legten 140.000 Beschäftigte aus 69 Betrieben die Arbeit nieder.“ [37] Die Septemberstreiks stießen auf ein bis dahin nicht gekanntes Echo innerhalb der Bevölkerung. In Betrieben, in denen nicht gestreikt wurde, kam es zu vielerlei Solidaritätsbekundungen. Lehrlingsgruppen machten überall im Land mit Solidaritätsaktionen auf sich aufmerksam. Hierin wurden sie z.T. durch die Studenten wohlwollend unterstützt, welche den Lehrlingen u.a. beim herstellen und verteilen von Flugblättern halfen, und ihnen auch sonst ihre Strukturen bereitwillig zur Verfügung stellten.
Im Anschluss an den „heißen Herbst“ kam es innerhalb der bis dahin inhaltlich noch recht losen, jedoch aktions-, und mobilisierungsfähigen Zusammenhänge der proletarischen Jugend zu einer übergreifenden Debatte. Die Kämpfe wurden reflektiert (ohne jedoch zu diesem Zeitpunkt das Werkzeug der Analyse angemessen zur Anwendung bringen zu können) und die Frage nach einer proletarischen Jugendorganisation drängte sich in den Vordergrund. Die Kampferfahrungen der vorangegangenen Jahre, die starke Politisierungswelle innerhalb der Arbeiterjugend und das damit einhergehende massenhaft entstandene Bedürfnis vieler Jugendlicher sich zu engagieren, konnten von den bestehenden Gruppen nicht mehr angemessen aufgefangen werden. Unter vielen jungen Arbeitern gehörte „links“ zu sein derweil bereits zum guten Ton. Es bildeten sich folglich größere Assoziationen von Zirkeln, welche sich zunächst auf regionaler Ebene vereinigten, Komitees gründeten, Zeitungen herausbrachten, gemeinsame Kampagnen organisierten, die Debatten vereinheitlichten usw. Hierin konnten sich sowohl die schon bestehenden Gruppen der Bewegung engagieren, als auch unzählige einzelne Individuen, die zur Bewegung stießen. Eine der bemerkenswertesten Zusammenschlüsse dieser Art war wohl das Sozialistische Arbeiter und Lehrlingszentrum (SALZ) mit seinem Zentrum in Hamburg. Das SALZ wurde bereits im März 1970, also wenige Monate nach der großen Streikwelle ins Leben gerufen (siehe weiter unten). [38] Auch innerhalb der Gewerkschaftsjugend blieb die Streikwelle zunächst Thema, und auch hier wurde die Frage der politischen Organisation gestellt. In diesem Rahmen gewannen vor allem die SDAJ, aber auch diejenigen Trotzkisten und Maoisten, die bereits einen festen Organisationsrahmen bieten konnten, allmählich an Einfluss. Zudem machten sich die jungen Sozialdemokraten (Falken und JuSos) – flankiert durch die gesamte Gewerkschaftsbürokratie – innerhalb der Jour Fix breit.
Im November 1970 fand ein überregionales Treffen der ersten bereits vorhandenen gewerkschaftlichen Lehrlingszentren auf Einladung des örtlichen Jour Fix und der JuSos in Düsseldorf statt. Die JuSos bereiteten das Treffen vor und deklarierten diesen Kongress als Lehrlingskongress der Jungsozialisten, zu dem breit mobilisiert wurde. Von den Gruppen und Organisationen der gewerkschaftsunabhängigen jungen Arbeiter wurde dieses Treffen weitgehend ignoriert, so dass von diesen keine Störung zu erwarten war. Auch die SDAJ schickte vorerst lediglich Beobachter zu dem Treffen. Dennoch nahmen laut Veranstalter ca. 1500 Lehrlinge an diesem Kongress teil. Sehr zum Verdruss der Gewerkschaftsbürokratie fanden sich die jungen Sozialdemokraten jedoch unerwartet in einer schwierigen Position wieder. Sie wurden dominiert durch eine anwesende Minderheit von Mitgliedern der sich gerade überall im Land formierenden trotzkistischen und maoistischen Zirkel, welche ebenfalls selbstverständlich die Lehrlingsbewegung als Rekrutierungsfeld betrachteten. Das Treffen wurde folglich von deren Rivalitäten überschattet und ging ohne nennenswerte Ergebnisse wieder auseinander. Hier wurde bereits der Grundstein für die nachfolgenden Auseinandersetzungen innerhalb der Jour Fix gelegt. Die Rivalitäten der Linken sollten in den folgenden Jahren zunehmend Kräfte binden und den Kampf der Lehrlinge und jungen Arbeiter erheblich schwächen. [39]
Für den Februar 1971 lud das Jour Fix aus Frankfurt zu einem zweiten überregionalen Treffen ein. Um ähnliche Überraschungen wie im November zu vermeiden, wurde dieses Treffen diesmal nach dem Delegiertenprinzip ausgerichtet. Pro Jour Fix wurde nur eine vereinbarte Anzahl zuvor gewählter Delegierter zugelassen. Aber auch dieses Mal blieben die jungen Sozialdemokraten in ihrer schwachen Position. Und auch die SDAJ konnte vorerst nur relativ wenige gewählte Vertreter vorweisen. Nicht wenige der gewählten Gewerkschaftsdelegationen bestanden weiterhin z.T. aus jugendlichen Mitgliedern trotzkistischer und maoistischer Gruppen, [40] welche in ihrer Hartnäckigkeit den jungen Sozialdemokraten schlicht überlegen waren. Trotz der genannten Schwierigkeiten gelang es diesmal wenigstens einige programmatische Schritte zu formulieren, die jedoch gemessen an der darauffolgenden Praxis weitgehend Makulatur blieben und aus diesem Grund hier keinerlei weitere Beachtung finden sollen. Das Frankfurter Protokoll hielt aber dennoch interessantes fest:
-Es sei allgemein die Erfahrung gemacht worden, dass einzelne Aktionen letztlich nicht ausreichten, um an der Situation der Lehrlinge Wesentliches zu ändern.
-Überall habe man sich mit den Unwillen der Gewerkschaftsverwaltung auseinandersetzen müssen.
-Die Untätigkeit der Gewerkschaft war die erste Erfahrung, aus der heraus die Lehrlingsbewegung entstanden ist. Durch Konflikte mit der Gewerkschaftsverwaltung sei diese Erfahrung verstärkt und politisiert worden und habe zur Erkenntnis geführt, dass es Hilfe vor allem in Form der Selbsttätigkeit geben müsse.
Am Schluss des Protokolls äußern die Autoren die Einschätzung, dass die Lehrlingsbewegung „zu einem politischen Faktor im Kampf der Lohnabhängigen… geworden ist.“ Und beinahe erstaunt fügen sie hinzu, dass die Lehrlinge „in ihrem Kampf um bessere Ausbildung ein antikapitalistisches Bewusstsein entwickeln.“ [41]
Alles in allem sind dies offenbar Hinweise darauf, dass innerhalb der DGB-Jugend zu dieser Zeit noch ein weit verbreiteter antikapitalistischer Geist und ein starkes Bedürfnis nach radikalen Lösungen vorherrschte. Dennoch muss vor allem festgehalten werden, dass sich die Bewegung der jungen Arbeiter nach dem Rückfluss der 69er Streikwelle erstmals spaltete. Vorerst in einen gewerkschaftsorientierten Flügel, dessen Spielregeln sich die Vertreter der traditionellen (Sozialdemokraten, offizielle KP, Trotzkisten) und neuen (Maoisten) Arbeiterbürokratie unterordneten, auch wenn deren verschiedenen Fraktionen sich über Jahre einen erbitterten Konkurrenzkampf lieferten und die eigentliche gewerkschaftliche Jugendarbeit lahm legten [42] – und einen gewerkschaftsunabhängigen Flügel, welcher jedoch in den folgenden Jahren nicht mehr in der Lage war, seine jeweiligen regionalen Grenzen nennenswert zu überschreiten, und schließlich, wie wir noch sehen werden, auf eigene Weise dem Sog linker Ideologien erlag, um dann doch wieder in den Schoß der Gewerkschaft zurückzukehren (als sog. Oppositionelle). „Die antiautoritären und subversiven Ausgangserfahrungen und Errungenschaften gingen somit zumeist verloren, obwohl gerade die junge Arbeiter- und Angestelltengeneration dieser Elemente besonders bedurfte“, sollte Rudi Dutschke später bemerken [43]
Unterdessen setzten sich allmählich die angekündigten Reformen durch, wodurch sich vor allem die Ausbildungssituation in den Großbetrieben merklich verbesserte, wenn auch nur punktuell. Diejenigen Arbeiter dieses Sektors, welche nach der Umstrukturierungswelle übrig geblieben waren, wurden ökonomisch vorübergehend zufriedengestellt. Die Tarifabschlüsse der frühen 70er Jahre, die nach Auskunft des DGB bis dato die besten in ihrer Geschichte blieben, [44] kamen so auch den Lehrlingen zugute. Auch die Volljährigkeit ab 18 Jahren kam, und damit das Wahlrecht. Die jungen Militanten aus der 69er Streikbewegung aber wurden zu einem großen Teil nach Ende ihrer Ausbildung nicht in ein Arbeitsverhältnis übernommen und bekamen aufgrund von „schwarzen Listen“ auch kaum mehr Zugang zu anderen Beschäftigungsverhältnissen in den Großbetreiben, so dass die Bewegung in diesen Betrieben immer mehr an Einfluss verlor, in denen jetzt wieder die Sozialdemokraten das Sagen hatten. Eifrig flankiert von den sich allmählich etablierenden betrieblichen Jugendvertretern, die bald vielerorts von der SDAJ gestellt wurden. [45] Auch diese Entwicklungen trugen zur weiteren Einengung der Bewegung bei.
Im Laufe der Jahre 1970 und 1971 wurde ein großer Teil der Lehrlinge und Jungarbeiter der eigenständigen Bewegung der Klasse entzogen. Obendrein handelte es sich hierbei ausgerechnet um die Sektionen aus den damaligen Schlüsselindustrien. Das bedeutete eine enorme Einbuße der Kampfkraft. In dieser Situation veränderte sich zwangsläufig auch der Charakter der autonomen Lehrlingsbewegung, die sich der Solidarität der jungen Gewerkschafter, auf die sie zuvor noch eine große Anziehungskraft ausübte, nun nicht mehr ohne weiteres gewiss sein konnte.
Die Erweiterung / Verlagerung des Kampfterrains
Berufsschule
Um 1968 wurden lediglich 28% der gewerblichen Lehrlinge in Großbetrieben ausgebildet. Der Anteil der Lehrlinge an der Gesamtzahl der Industriearbeiter in diesem Zeitraum betrug 4 % – während er im Handwerk (verteilt auf ca. 200.000 mittelständische Betriebe) bei 17,4 % lag, also das 4fache umfasste.[ 46] Zugleich wurden aber 40% aller gewerblichen Arbeitskräfte in der Industrie beschäftigt. Das bedeutete für die berufliche Zukunft der Auszubildenden, dass viele von ihnen schließlich, trotz Ausbildung, für einseitige Hilfstätigkeiten in der Industrie unterkamen, da ihre Ausbildung auf die unmittelbaren Erfordernisse ihres jeweiligen Ausbildungsbetriebes zugeschnitten war und den allgemeinen Qualifikationsanforderungen an Facharbeiter oft nicht standhielt. Dessen waren sich die betroffenen Lehrlinge durchaus bewusst. [47] Hinzu kam, dass das Betriebsklima des Mittelstandes von einem reaktionären Arbeitsethos untermauert wurde, in dessen Hierarchie der Lehrling ein modernes Leibeigenendasein fristete – nicht selten begleitet von körperlichen Misshandlungen und anderen demütigenden Willkürmaßnahmen durch Lehrherren, Meister und Gesellen. Dies, sowie der niedrige gewerkschaftliche Organisationsgrad in solchen Betrieben und darüber hinaus die völlig abgesonderte Position dieser Lehrlinge gegenüber ihren älteren Kollegen, zwang sie förmlich dazu sich überbetrieblich und im Gegensatz zur Gewerkschaft zu organisieren wenn sie ihre Interessen wahrnehmen wollten.
Das fand notwendig in der Berufsschule, dem einzigen zentralen Pool innerhalb dieser Beschäftigungsverhältnisse, statt. Dort wurden von der Bewegung vielfältige Aktionsformen entwickelt, die schon sehr früh eine gewisse Systematik aufzeigten: Die Gruppen begannen ihre Arbeit oft mit der Entwicklung von Fragebögen zur Erfassung der Ausbildungssituation in den unterschiedlichen Betrieben, um so einerseits zu verallgemeinerbaren Forderungen zu gelangen und andererseits sinnvolle direkte Aktionen zu entwickeln.
Demonstrationen, Happenings, Flugblattaktionen. Protestkundgebungen zur Unterstützung einzelner Lehrlinge oder Betriebsgruppen durch Jugendliche aus anderen Betrieben usw., usf. Als wirksames Mittel zur Unterstützung von Lehrlingen in klein-, und mittelständischen Betrieben erwies sich u.a. die „Kundeninformation“ (z.B. wurden in der Radio-, und Fernsehbranche in Essen Kunden vor den Betrieben darüber unterrichtet, dass die Reparaturen größtenteils von Lehrlingen ausgeführt werden, später jedoch ein Gesellenstundenlohn auf der Rechnung erscheint).[48] Viele Aktionsformen der Lehrlinge waren bereits den Vorgaben durch die rebellierenden Studenten entnommen.
Die Lehrlinge der mittelständischen Betriebe waren von Anfang an der radikale Kern ihrer Bewegung. Bei ihnen fassten keinerlei Reformvorschläge, da sie in der Regel davon am wenigsten zu spüren bekamen und in ihrer betrieblichen Vereinsamung der Willkür ihrer Herren schutzlos ausgeliefert waren. Diese Auszubildenden waren es vor allem auch, welche ihre Bewegung erstmalig als eine eigenständige Bewegung ins öffentliche Bewusstsein rückten, als sie im Oktober 1968 mit rund 800 jungen Männern und Frauen in die Hamburger Börse eindrangen, um dort anlässlich der öffentlichen „Freisprechungsfeier “[49] Parolen zu rufen und Flugblätter mit ihren Forderungen zu verteilen.[ 50] In der durch die bürgerlichen Medien geformten öffentlichen Wahrnehmung stellten sie sich damit unmissverständlich auf die gleiche Seite wie die ungeliebten „randalierenden“ Studenten. Obendrein waren sie schon äußerlich kaum noch von den Studenten zu unterscheiden. Nicht wenige dieser Lehrlinge erkannten sich in dieser Zuschreibung also sehr wohl wieder und bemühten sich ihrerseits um Kontakte zu den Universitäten. Die APO Basisgruppen setzten sich daher bereits ab 1968 mancherorts sowohl aus Studenten und Schülern, wie auch aus jungen Arbeitern zusammen, wenngleich erstere weiterhin die Gruppen dominierten.
Nach den Septemberstreiks 69 fand sich also ein Teil der Bewegung in der Gewerkschaftsjugend aufgehoben, ein anderer, hauptsächlich aus klein-, und mittelständischen Unternehmen, tendierte zur APO. Zudem gab es weiterhin umherschweifende, gemischte Zirkel, die für einen gewissen Zeitraum noch eine vermittelnde Rolle diesen beiden Flügeln gegenüber einnehmen konnten. Genau dies geschah in den Berufsschulen, in denen sich alle zwangsläufig nach wie vor begegneten. Vorerst waren die Positionen der Jugendlichen noch nicht so ideologisiert, die Debatten wurden weitgehend offen, direkt und solidarisch geführt. Ihre (sub)kulturellen Gemeinsamkeiten und ihr allgemeiner Habitus waren zudem so weit angeglichen, dass das Bemühen um Verständigung noch im Vordergrund der Auseinandersetzungen stand und zuließ, dass es noch zu etlichen gemeinsamen Interventionen kam. Man gehörte halt irgendwie zusammen. (Instinkt? Bewusstsein?)
Jugendzentren
Die Bereitstellung von Jugendzentren durch den DGB fußte auf einer schon früh formulierten Forderung der jungen Arbeiter. Die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung waren für die denkbar schlecht bezahlten Lehrlinge ohnehin stark eingeschränkt. Die oft engen, und damit äußerst lustfeindlichen Wohnverhältnisse boten ebenfalls keinerlei großartige Möglichkeit der Bedürfnisbefriedigung. Die Politisierung schuf zudem neue Bedürfnisse des Zusammenkommens, so dass bereits vorhandene Angebote, von den Kirchengemeinden z.B., trotz großer Anstrengungen von deren Seite relativ wenig genutzt wurden. Es sei denn die Gemeinden boten den jungen Arbeitern bloß Räumlichkeiten ohne Einmischung. Traditionelle religiöse Ideologien hatten ohnehin keine glänzende Konjunktur in dieser Zeit. Staatliche, oder von freien Trägern betriebene Jugendzentren gab es selbst in den großen Städten nur äußerst unzureichend. Zudem beherrschten dort überlebte pädagogische Ideologien und Konzepte das Angebot. Insbesondere für diejenigen Jugendlichen, die ihre Neugier und ihre Lust an der Sexualität (und an Soul und Rock selbstverständlich) entdeckten, also quasi fast alle, befanden sich diese Orte als Begegnungsstätten völlig außerhalb jeder Diskussion. Aber auch der DGB schaffte es kaum, den Bedürfnissen der Jugend ausreichend gerecht zu werden. Man merkte an allen Ecken und Kanten, dass die gewerkschaftlichen Jugendzentren von Kadern der Arbeiterbürokratie aus dem Boden gestampft wurden. Ohne jegliches Verständnis für das Neue, was in dieser Jugendbewegung zum Vorschein kam, und was „die Alten“, ohne es auch nur im Ansatz begreifen zu können, (re)integrieren wollten, auflösen wollten. [51]
Viele Schüler hatten ähnliche Interessen anzumelden und waren ebenfalls von der allgemeinen Politisierungswelle ergriffen. Aus der Forderung nach selbstverwalteten Jugendzentren, die vor allem von Schülern forciert worden war, wurde eine bundesweite Kampagne, die zu zahlreichen Besetzungen von leerstehenden Gebäuden führte. Sowohl in den Metropolen, als auch in Kleinstädten, und vereinzelt gar auf dem Lande. [52] Die Gruppen und Organisationen der jungen Arbeiter nahmen vielerorts an den Besetzungen teil oder unterstützten diese durch Solidaritätsaktionen. Die Aktivitäten der Bewegung im Bereich der Reproduktion nahmen in dem Maße zu, wie die Kämpfe in den Produktionsstätten ausblieben. Das wirkte sich bald auf das allgemeine Verhältnis der jungen Arbeiter zur Arbeit selbst aus, wobei es zu einem massiven Verfall des protestantisch-sozialdemokratischen Arbeitsethos kam. Der Kapitalismus wurde im Arbeitsalltag als Zumutung, als vergeblicher und verschwendeter Kraftaufwand empfunden. Als Zeitdiebstahl. In den „Freiräumen“ der Jugendzentren wurde das kollektiv erkannt und benannt. Mit der sinkenden Lust auf Lohnarbeit vertiefte sich zugleich das Bedürfnis nach alsbaldiger Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse, von der man sich vor allem das allgemeine Diktat der Freiwilligkeit, Freizügigkeit und solidarischem Zeitaufwand (kollektive Bewältigung der notwendigen Arbeit – Abschaffung der Mehrarbeit) erhoffte. Ein zutiefst kommunistisches Prinzip, ohne das dies als solches immer so benannt werden konnte. Robert Schlosser bringt dieses Gefühl, welches Einsichten beschleunigen kann, in einer Beschreibung seiner politischen Tätigkeit dieser Zeit verallgemeinerbar auf den Punkt: „Bei Opel begann damals die Arbeit um 5.45 Uhr, was für mich bedeutete, dass ich um 4.15 aufstehen musste, um meine Straßenbahn zu erreichen … und das nach Sitzungen oder Artikel schreiben, was manchmal bis nach Mitternacht ging. Was Wunder, dass ich oft verschlief und zu spät zur Arbeit kam. Die Frühschichtwochen waren Wochen voller hektischer Aktivität und mit wenig Schlaf. In den Mittagsschichtwochen regenerierte ich mich wieder etwas durch ausgiebiges Schlafen. Meine erste „Operation“ am Band – ich werde sie nie vergessen – war das Auffüllen von Kühlwasser. Ganz genau weiß ich die Anzahl der Handgriffe nicht mehr, ich glaube, es waren so vier oder fünf. Was so schlimm war? 1. Die Kürze der Zeit, die blieb, um die Handgriffe auszuführen und 2. die Schmerzen an einem meinen vom Kühlwasser glitschigen Finger, mit dem ich einen Kontakt stecken musste. Ich war überzeugt, dass ich das nicht lange aushalten könnte. Man muss so etwas selbst erlebt haben, um zu begreifen, was für eine Tortur Arbeit sein kann… Nimmt man die ganzen politischen Phrasen weg, dann war und ist Kommunismus für mich ein gesellschaftlicher Zustand, der sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass kein Mensch mehr solchen Arbeitstorturen unterworfen wird und die Menschen über ihre Arbeit und Arbeitsbedingungen selbst entscheiden – ohne Unterordnung unter fremden Willen und den Sachzwang der Verwertung. Solange Menschen, die diesen Torturen unterworfen sind, stolz darauf sind, diese Torturen aushalten zu können, darauf ihr Selbst- und Klassenbewusstsein gründen, wird es keinen politisch wirksamen Wunsch nach sozialer Revolution – nämlich den Wunsch, solche Arbeits- und Lebensbedingungen zu überwinden -in hochentwickelten kapitalistischen Länder geben.“[ 53]
Der Kapitalismus wurde also völlig zu Recht als (Lebens)Zeitverschwendung begriffen. Die Ungleichzeitigkeit in der Entwicklung des Klassenbewusstseins zwischen den Militanten der neuen Arbeitergeneration und der überwiegenden Mehrheit der Werktätigen wurde spätestens an diesem Punkt unüberwindbar. In der Erkämpfung eigener „Freiräume“ wurde so tragischerweise auch die Dynamik der eigenen Isolierung losgetreten: die in der Rückzugbewegung der Klassenkämpfe angelegte notwendige Abspaltung der radikalsten Elemente der Arbeiter(jugend) von ihrer Klasse. Die Klassenkämpfe von 1967 bis 1969, und die „Rückzugsgefechte“ bis 1973/74 hatten Tausende politisierter junger Arbeiter hervorgebracht, um sie anschließend zurückzulassen. Dies wurde logischerweise beiderseits als ein „im Stich lassen“, also als Verrat empfunden.
Die Kampagne für selbstverwaltete Jugendzentren begünstigte zugleich die Rückkehr der Lehrlingsbewegung zum Lokalismus, welcher eigentlich in den Jahren 1969/70 als überwunden galt. Andererseits bekam die Bewegung dadurch zunächst den Anschein, als würde sie sich ausdehnen, da die Jugendzentrenkampagne dabei half, noch mehr Jugendliche aus ihrer Vereinzelung herauszuholen. Dem herkömmlichen Klassenterrain der Lehrlinge und jungen Arbeiter, dem Betrieb, wurde auf politischer Ebene zunehmend der Rücken gekehrt und zugleich entwickelte sich das proletarisch-politische Bewusstsein dieser Jugendlichen vorerst noch weiter.
Alsbald stießen Sondergruppen zur Bewegung, die sich von diesem Pool der sich verwirklichenden Kritik angezogen fühlten und ihrerseits ihre Problemlagen und Forderungen in die Bewegung hineintrugen, wie z. B. die Subkultur der Rocker. Ebenfalls meistens junge Arbeiter, die schon in der Studentenbewegung aufgetreten waren [54] und denen von Seiten der Medien massiv der Hang zur Gewalt zugeschrieben wurde. [55] In einem Hamburger Demonstrationsaufruf aus dieser Zeit heißt es u.a.: „Warum müssen Rocker und Lehrlinge zusammen demonstrieren? Weil der Rocker ein Lehrling ist oder war. Weil der Rocker sich von sog. Vorgesetzten nicht zusammenscheißen lässt. Weil der Rocker weiß, dass DGB-Funktionäre sich an den Beiträgen voll fressen. Weil der Rocker keine Angst vor der Polizei hat..!“ [56] Heimzöglinge stießen in großer Zahl dazu. Sie waren zuvor schon als anerkannte Minderheit in der Bewegung vertreten, da viele von ihnen ab ca. dem 16ten Lebensjahr auch Lohnabhängige wurden, jedoch bis zur Volljährigkeit weiterhin in Fürsorgeanstalten „wohnen“ bleiben mussten. Mit den Besetzungsaktionen wurde eine Auffangstruktur geschaffen, die jeder Menge sog. Trebern die Möglichkeit verschaffte in der Bewegung unterzutauchen, welche nicht mehr bereit waren in die Heime zurück zu kehren. [57] In einer Münchener Fürsorgeanstalt wendeten sich die Bewohner mit einem Flugblatt an die Öffentlichkeit, in dem es u.a. heißt: „Wir wenden uns gegen die Erziehung, die durch Zusammenarbeit mit Betrieb und Schule Arbeit und Freizeit total reglementiert und uns zu unkritischen Untertanen und willigen Arbeitskräften macht.“[ 58] Besonders in den Metropolen Berlin, Hamburg, Köln und Frankfurt, die ohnehin die Hochburgen der Bewegung waren, wurden die Heimzöglinge von den jungen Arbeitern tatkräftig unterstützt. In einer Unterstützungsaktion für ihre Leute in den Heimen stellte beispielsweise eine Gruppe aus Frankfurt ein 14 Punkte umfassendes Forderungspapier zusammen, um dies vor den Heimen der Umgebung zu verteilen. Es enthielt u.a. die Forderung nach Abschaffung der Prügelstrafe und der Unterbringung im sog. Karzer (Einzelzelle), vollständige Auszahlung der Löhne an die Heiminsassen usw. In ihrem Schlusssatz schrieben sie „Wenn unsere 14 Gebote nicht erfüllt werden, dann folgen unangekündigte Aktionen von den Heiminsassen und von uns, die wir draußen den Kampf… aufgenommen haben. Kämpft mit uns, wir halten zu euch!“ [59]
Die Bewegung der jungen Proletarier nahm bald einen stark aktionistischen Charakter an. Für ihren Hunger nach Veränderung galt das gleiche, wie für den Hunger im Allgemeinen: das Wesen des Hungers besteht in seiner Maßlosigkeit. Das Zusammengehörigkeitsgefühl mit der Mehrheit ihrer Klasse verschwand unausweichlich, da diese keinerlei Verständnis für die Lage ihrer Jugend mehr aufbringen konnte. Sie versagten einander bald jede Solidarität. Sie versagten! Eine Vielzahl Militanter wurde im Zuge dessen zu sog. Aussteigern, was in erster Linie ein Ausstieg aus der Arbeitswelt bedeutete (auch wenn dies meist nur bruchstückhaft gelang), und ein Einstieg in die Subkultur. Diejenigen, die wieder den „traditionellen Klassenkampf“ hochhielten und sich zu diesem Zweck mit der Gewerkschaftsbürokratie und dem Konkurrenzgerangel der Linken rumschlugen, traten als eigenständige politische Kraft schon bald kaum mehr in Erscheinung. Deren „Freiräume“, die gewerkschaftlichen Jugendzentren, wurden immer langweiliger, entpolitisierten sich um dann schließlich ab Mitte der 70er Jahre keine Rolle mehr zu spielen. Sie hatten ihren Zweck erfüllt.
Kasernen
Ab ca. 1971 verstärkte die Bewegung ihre Interventionen innerhalb des Militärs. Hier fanden sich zahlreiche Jugendliche, die nach 1969 ihre Ausbildung beendet hatten, als Wehrpflichtige in den Kasernen der Bundeswehr wider. Im Gegensatz zum studentischen Milieu war die Verweigerung des Wehrdienstes innerhalb der Lehrlingsbewegung nicht sehr verbreitet. Das hatte zwei wesentliche Gründe. Zum einen erforderte der Verweigerungsprozess seinerzeit einen hohen Aufwand an Vorbereitung, rechtlichen Beistand usw. und das alles ohne Erfolgsgarantie.[ 60] Misslang der Versuch der Verweigerung, wurde man umgehend als Drückeberger denunziert und war der besonderen Schikane durch Unteroffiziere und Mannschaftsdienstgrade, und nicht selten dem Mobbing durch die Kameraden ausgeliefert. Zum anderen war innerhalb der Arbeiterjugend die Debatte um die Geschlechterrollen im Kapitalismus zu dieser Zeit noch weniger präsent als innerhalb des studentischen Milieus. Der Wehrdienst wurde von Seiten der männlichen Arbeiterjugend durchaus auch als eine Bestätigung ihrer Männlichkeit verklärt. Der „Bänkelsänger“ der 68er Bewegung und spätere Hausbarde der DKP, F.J. Degenhardt, untermauerte diese Haltung in einem Song Refrain:
„Also wenn du mich fragst Junge, soll ich geh’n in die Armee?
Kann ich dir nur raten Junge, wenn du stark genug bist geh!“[ 61],
Solche Parolen verstärkten das Gefühl, die Herrschenden recht bald entwaffnen zu können. Degenhardt löste damit auf einer Großveranstaltung 1968 in Essen jedenfalls Begeisterungsstürme aus. Die naive Selbstüberschätzung der eigenen Stärke sollte sich innerhalb der Armee jedoch als fatale Illusion herausstellen. Gewohnt sich jederzeit gegen Autoritäten und Hierarchien offen zu behaupten, handelten sich unzählige Jugendliche sehr schnell großen Ärger mit den Feldjägern, Ausgangssperren und Bundeswehrknast ein. Diese „Ausfallzeiten“ wurden in der Regel an die offizielle Wehrdienstzeit angehängt. Derlei ernüchtert entschieden die Aktivisten ihrer Arbeit beim Militär einer konspirativen Struktur zu unterziehen. Statt der offenen Agitation wurden nun illegale Flugschriften verteilt. Z.T. durch Unterstützer von Außen, auf Bahnhöfen in der Nähe von Kasernen, am Wochenende wenn die Wehrpflichtigen auf dem Heimweg waren, oder aber durch die Militanten Soldaten (verdeckt) innerhalb der Kasernen. Die Flugschriften enthielten Forderungen bezüglich der Ausgangsregelung, des Wehrkundeunterrichts u.a.m., politische Stellungnahmen zum Krieg (Vietnam) und gelegentlich auch Aufrufe zur Sabotage (bis hin zu Demontageanleitungen für Kriegsgerät). Unregelmäßige Bulletins unter der allgemeinen Losung „Du bist ein Arbeiter in Uniform“ erschienen hier und dort.
Die Bundeswehr reagierte mit enormer Repression. Jeder der erwischt wurde hatte ab dann mit einer „unehrenhaften Entlassung“ und einem darauf folgenden Strafprozess wegen Wehrkraftzersetzung oder schlimmer noch wegen organisierter Wehrkraftzersetzung zu rechnen. So mancher landete daraufhin hinter Gittern. Die Bewegung konnte diese Repression in keiner Weise angemessen auffangen. Versuche, die darauf ausgerichtet waren Solidaritätskampagnen für die inhaftierten Soldaten zu starten, liefen weitgehend ins Leere. Dort, wo die Kampagnen einigermaßen Fuß fassen konnten, fesselten sie alle vorhandenen Kräfte und schnitten diese von den Aktivitäten der Gesamtbewegung völlig ab. Die naive Vorstellung, die Armee in dieser Zeit unterwandern zu können, stieß innerhalb der Arbeiterklasse auf Unverständnis und Ablehnung. Die Aktivitäten der radikalisierten Soldaten vermittelten daher einen völlig irrealen Glauben an einen baldigen politischen Umsturz, welcher innerhalb der Armee schon mal vorbereitet werden müsste. Stattdessen wurde die Bundeswehr innerhalb der Bevölkerung als „Schutz gegen die Bedrohung aus dem Osten“ wahrgenommen. Die Interventionen innerhalb der Armee wurden in diesem Kontext zu einem fatalen Fehltritt der Bewegung. Hier wurden Kräfte verschlissen und persönliche Schicksale geprägt ohne auch nur die geringste Chance auf nachhaltigen Erfolg zu haben.
Der Einfluss der APO
Innerhalb des SDS hatte sich der Glaube an eine möglich gewordene gesellschaftliche Umwälzung bereits vor 1967 weitgehend durchgesetzt. Diese Haltung übertrug sich auch auf die vom SDS dominierte außerparlamentarische Opposition, die sich zunächst im Protest gegen die Notstandsgesetzgebung formieren konnte, und anschließend immer mehr den Rahmen für theoretische und praktische Gesellschaftskritik in der BRD und Westberlin bildete. Im Juni 1967 konstatierte Rudi Dutschke: „Die materiellen Voraussetzungen für die Machbarkeit unserer Geschichte sind gegeben. Die Entwicklung der Produktivkräfte haben einen Prozesspunkt erreicht, wo die Abschaffung von Hunger, Krieg und Herrschaft materiell möglich geworden ist. Alles hängt vom bewussten Willen der Menschen ab, ihre schon immer von ihnen gemachte Geschichte endlich bewusst zu machen, sie zu kontrollieren, sie zu unterwerfen…“ [62] Geprägt von der Erfahrung ihrer eigenen Begrenzung und beeindruckt von der Bewegung der Arbeiter und Studenten in Frankreich suchten SDS und APO vermehrt nach Anbindung an die Arbeiterklasse. Die Streikbewegung, aber auch das selbstbewusste Auftreten der Lehrlinge gaben ihnen Anlass zu der Hoffnung, dass auch hierzulande in absehbarer Zeit eine revolutionäre Situation entstehen könne. Die „Rote Zelle Germanistik (ROTZEG)“, einer der linksradikalen Strömungen innerhalb des SDS und der APO, ließ im Protokoll einer bundesweiten Arbeitskonferenz im November 1969 festhalten: „Mit den Septemberstreiks wurde die Diskussion auf eine neue Grundlage gestellt. Die Streiks lösten nicht nur Begeisterung aus, sie führten auch zu einer Ernüchterung der Studenten, die erkennen mussten, dass sie trotz aller revolutionären Parolen sich total abstrakt zum Proletariat verhalten hatten, indem sie die Arbeiter als völlig ruhig, immer nur als Objekt der Agitation …, nicht als Subjekt von Klassenkämpfen betrachtet hatten. Die Unfähigkeit der Studentenbewegung, den streikenden Arbeitern sinnvolle Unterstützung zu geben, führte zu der Frage, welche Rolle die revolutionäre Intelligenz im Klassenkampf zu spielen hätte, wobei uns zum ersten Mal klar war, dass nicht wir, sondern das Proletariat den Klassenkampf führen wird.“ [63] Möglichkeiten zur „Transformation eines revolutionären Bewusstseins“ wurden ausgelotet: „In all unseren ersten Aktivitäten… steckte beherrschend noch die Theorie des Kampfes gegen die Institutionen: Die Theorie, dass man die Studentenrevolte immer weiter ausdehnen müsse, bis sie die Schüler, dann die Rocker, dann die Lehrlinge, zum Schluss die Arbeiter selber unter den Prinzipien des antiautoritären, antimanipulativen Kampfes erfassen würde, dass so ein allmählicher Übergang vom Hochschulkampf zum Klassenkampf stattfinden würde, weil der Staatsapparat in immer größere Verlegenheit geriete, mit all diesen Revolten fertig zu werden.“[ 64] Nicht wenige APO – Aktivisten zogen aus solchen Reflektionen den so simplen wie falschen Schluss, dass das Proletariat wohl besser durch autoritäre Strukturen und manipulative Methoden zu gewinnen sei, und hatten zu diesem Zweck vorsorglich schon mal einige Dutzend maoistischer Zirkel ins Leben gerufen, die bald um Vereinigung rangen und schließlich einen Großteil der K-Gruppen hervorbrachten. In diesen Gruppen wurde der Begriff „antiautoritär“ jetzt als arbeiterfeindliche Ideologie übersetzt und als Schimpfwort verwendet. Der Begriff „antimanipulativ“ wurde völlig aus deren Terminologie verdrängt. Ihre Anhänger marschierten in die Betriebsarbeit und den DGB, also in die Hochburg des Opportunismus, um diesen zu unterwandern – was ihnen bekanntlich gründlich misslang. Wie wir bereits vernehmen konnten, hielten sie dabei auch Boxenstop in den Jour Fix und den gewerkschaftlichen Jugendzentren. Nur relativ wenige Militante der APO hielten am Grundsatz antiautoritärer und antimanipulativer Politik zunächst noch fest, und gestalteten örtliche „Basisgruppen“, in denen die bereits o.g. jungen Arbeiter sich z.T. vorerst wiederfinden konnten.
Jedem Sendungsbewusstsein, wenn es sich verwirklichen soll, muss Empfangsbereitschaft gegenüberstehen. Zu keiner Zeit wurde die Agitation und Propaganda der APO vom selbstbewussten Teil der jungen Proletarier als sinnvolle erzieherische Maßnahme angenommen, sondern stets nur als Angebot auf deren jeweilige, der allgemeinen Entwicklung angepasste, kollektive Nachfrage. Oft genug begaben sich politisch gebildete Studenten an die Grenzen ihrer „Frustrationstoleranz“ wenn sie immer wieder feststellen mussten, dass all ihre teils sicher auch richtigen Antworten auf die komplexen Problemlagen der kapitalistischen Gesellschaft nicht auf die dafür geeignete Nachfrage stießen. Die revolutionäre Theorie spricht nicht ohne Grund davon, dass es nicht ausreicht, „dass der Gedanke zur Verwirklichung drängt. Die Wirklichkeit selbst muss sich zum Gedanken drängen.“ [65] Die leninistischen Gruppen (Trotzkisten, Maoisten, offizielle KP) begegneten dem alten marxistischen Grundsatz, dass Kommunisten keine „…von den Interessen des ganzen Proletariats getrennte Interessen (haben), dass sie …keine besonderen Prinzipien auf(stellen), wonach sie die proletarische Revolution modeln wollen…“ [66] voller Ignoranz, folgten allesamt mehr oder weniger einem schwachsinnigem „Proletkult“ und spielten sich als Führer auf. Bekanntlich geht Ignoranz immer einher mit Realitätsverlust und Ideologiebildung. Fragen finden ihre Lösung indes wenn sie gestellt werden. Sie werden gestellt, wenn deren Lösung sich nicht mehr aufschieben lässt. Die Bewegung der Klasse bringt die Theorie hervor und nicht umgekehrt. Das klettern auf Bäumen hat noch keinem Baum geschadet, hingegen haben fallende Bäume schon so manchen erschlagen.
Die Anziehungskraft, welche die APO auf die sich politisierenden Lehrlinge und jungen Arbeiter ausübte, bestand zunächst darin, dass es sich bei diesen ebenfalls oftmals um junge Leute handelte, die zudem den kulturellen Habitus dieser Zeit vorgaben. Für ca. 16 – 18 Jährige sind die wahren Helden stets die 20 – 25 Jährigen. Teens können es nur schwer erwarten endlich Twens zu werden. Vor diesem Hintergrund war das propagieren und praktizieren sexueller Freizügigkeit von Seiten der Studentenschaft – im gesellschaftlichem Übergangsvakuum zwischen dem Zerfall der tabuisierenden und tabuisierten Sexualität und dem Siegeszug der Pornographie – ein kaum zu unterschätzender Faktor dieser Anziehungskraft geworden. Zwischen den sich gegenüberstehenden Angeboten der prüden Gründergeneration der Republik, die nicht in der Lage war den Jugendlichen irgendetwas angemessenes über Sexualität und Liebe mitzuteilen, und den Studenten, die bereit waren, alles, was sie darüber wissen konnten, preiszugeben und darüber hinaus zu Experimenten einluden, entschied man sich nur allzu gerne für das zweite Angebot. Das vereinigende Moment der Rockmusik, was immer und überall beschrieben wird wenn von den sozialen Bewegungen dieser Zeit die Rede ist, soll hier ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. Die radikale Linke hatte, im Gegensatz zu heute, zweifellos einen gewissen hegemonialen Zugriff auf die Entwicklung der allgemeinen Jugendkultur. In diesem Punkt war sie unbestritten ein vorantreibendes Element. Eine wirkende Avantgarde, die es zudem oftmals verstand Kultur als politische Kultur zu begreifen und zu kritisieren. Ein sich daraus erhebendes Lebensgefühl wurde dann zugleich zu einem weiteren, notwendig trennenden Moment zwischen den jungen, politisierten Proletariern und den meisten ihrer älteren Kollegen. Und in diesem wichtigen Bereich gab es keinerlei Chance die Trennung zu überwinden – außer sie gelegentlich zu akzeptieren und in den konkreten Klassenkämpfen zum „Nebenwiderspruch“ zu erklären. Ein ohnehin schwieriges Unterfangen, denn nirgendwo sonst kam der Ausspruch „…ich will nicht werden was mein Alter ist“ so spürbar zum Tragen wie in dem Bestreben der Jugendlichen, ihre zwischenmenschlichen Beziehungen auf eine andere Grundlage zu stellen als die vom Kapital vorgegebene. In diesem konkretem Kontext kann man wahrhaftig von einem Generationenkonflikt innerhalb der Arbeiterklasse reden, welcher unvermeidlich war und etliche junge Arbeiter in die Arme der APO trieb. Einige (örtliche) Basisgruppen der APO verstanden es zudem, den kapitalistischen Arbeitsalltag, und die Auseinandersetzungen in den Betrieben angemessen aufzufangen und zu strukturieren.
Während sich die gewerkschaftlich orientierte Strömung der Bewegung 1970/71 auf zwei zentral organisierten Konferenzen (Düsseldorf, Frankfurt, s.o.) um Verständigung bemühte, kam es auf Seiten der gewerkschaftlich unabhängigen Gruppen zu diversen regionalen Konferenzen, die wesentlich von den Basisgruppen der APO organisiert wurden. Auch hier spiegelten sich bereits die aufkeimenden Rivalitäten div. maoistischer Zirkel wider, jedoch ohne den zusätzlichen Ballast des traditionellen Reformismus und unter dem starken Eindruck von selbstbewussten Basisinitiativen der Lehrlinge und jungen Arbeiter, so dass die Arbeitsergebnisse wesentlich klarer in Richtung gesellschaftlicher Umwälzung orientierten und die besagten Rivalitäten vorerst einigermaßen bändigen konnten. Im April 1970 kam es beispielsweise in Hannover zu einem zweitägigen Vernetzungstreffen unter der Bezeichnung: „Konferenz der norddeutschen, auf dem Produktionssektor arbeitenden Gruppen.“ [67] An diesen Treffen nahmen 15 Gruppen, u.a. aus Göttingen, Hamburg, Hildesheim, Hannover, Westberlin… teil. Die Hamburger Sektion war durch mehrere Gruppen vertreten. U.a. durch Delegierte des sich im Gründungsprozess befindlichen SALZ und die „Sozialistische Basisgruppe“ der APO – Bergedorf . [68] Die Bergedorfer stellten für die Konferenz ein umfangreiches Diskussionspapier zusammen, indem sie u.a. sehr detailliert ihre Zusammenarbeit mit Lehrlingen und jugendlichen Arbeitern beschrieben [69] und zur Diskussion stellten. Einige der Delegierten aus Bergedorf waren Aktivisten des örtlichen Lehrlings – Arbeitskreises (LAK) [70] und des Bergedorfer Lehrlingszentrum (BLZ). [71] Der LAK war ein Zusammenschluss von Lehrlingen und jugendlichen Arbeitern aus unterschiedlichen Betrieben aus der Umgebung mit Schwerpunkt bei den Hauni – Werken, einem Herstellerbetrieb für Automaten (hauptsächlich Zigarettenautomaten) zu dieser Zeit mit einer Belegschaft von ca. 2200 Männern und Frauen. [72]
In den Jahren 1970/71 brachte der LAK-Bergedorf u.a. 10 Nummern seiner örtlichen Lehrlingszeitung heraus, die mit 500 gedruckten Exemplaren begann, ab der Nr. 6 eine Auflagenhöhe von 1000, und später 3000 Exemplaren erreichen konnte. [73] Bereits nach der ersten Ausgabe kam es von Seiten der Hauni – Werke zur Drohung, die Jugendvertreter zu entlassen, da diese mit der Herausgabe der Zeitung identifiziert wurden. [74] Die Herausgabe der Lehrlingszeitung wurde von den Studenten der Bergedorfer APO tatkräftig unterstützt. Zum einen dadurch, dass diese den Verkauf vor den Betrieben übernahmen, um die Lehrlinge und jungen Arbeiter in ihren Reihen nicht zu gefährden, zum anderen durch Mitarbeit in der Redaktion usw. Die APO – Basisgruppe aus Bergedorf schreibt hierzu in ihrem Diskussionspapier: „Die studentischen Genossen, die wesentlich am Aufbau der Stadtteilgruppe beteiligt waren, erfüllen gemäß ihres Klassenauftrages in der Stadtteilarbeit Hilfsfunktionen. Sie werden den auf den verschiedenen Gebieten schon vorhandenen qualifizierten Genossen aus dem Produktionssektor zur Unterstützung (zeitweise) zur Seite gestellt. Diese Funktion ist nicht diktiert, sondern ist mit der Zeit gewachsen.“ Hierin lässt sich die Haltung dieser Genossen ermessen, mit welcher sie damals die Einsicht, „dass nicht die Studenten, sondern die Proletarier den Klassenkampf führen“ umsetzen wollten, ohne jedoch immer wahrzunehmen, dass diese Haltung zugleich die Gefahr in sich birgt, die Klasse zu mystifizieren. [75] Sie führen weiter aus: „Bei der Haupt/Real/Handels- und Berufs-schularbeit ist eine enge Koordination mit den Lehrlingsgruppen notwendig. Weiterhin ist es erforderlich, dass die Jugendlichen auch nach der Schule bzw. nach der Arbeit im Betrieb, d.h. im Freizeitbereich, agitiert werden. Hierbei ist wiederum eine enge Zusammenarbeit mit den angehenden Erziehern (Also die Studenten fürs Lehramt, oder die Sozialpädagogen aus den Reihen der APO, d. Vfs.) notwendig. Ein weiteres Projekt der Schüler- und Lehrlingsarbeit muss die Bundeswehr- bzw. Ersatzdienst-, Grenzschutz usw. Agitation sein. Diese Arbeit jedoch kann nur zentral von einer Organisation geleistet werden. Dadurch sind dann auch die o.a. Schwierigkeiten bei der Haupt/Realschularbeit zu überwinden. Langfristig muss also die Schüler- und Lehrlingsarbeit übergehen in der Zusammenfassung in einer proletarischen Jugendorganisation, durch die sich auch die Trennung zwischen politischer Arbeit und privater Freizeitgestaltung überwinden ließe. Ein sinnvolles Übergehen von Schülern in eine Lehrlingsgruppe und somit eine bessere Vorbereitung der Lehrlingsarbeit an den Schulen wird dadurch ebenso besser geleistet werden können.“ Die Behauptung dieser Ziele wurde schließlich zum Vorspiel für die bald darauf folgende Verschmelzung der Bergedorfer mit dem SALZ.
So waren es zunächst die antiautoritären Basisgruppen, die vielerorts das Bedürfnis nach einer politischen Organisierung innerhalb der Bewegung auf den Punkt bringen konnten. Die spätere Entwicklung des SALZ zu einer K-Gruppe war zwar bereits durch die allzu rasche, mechanische Übernahme des leninistischen Organisationsmodells gegeben – man konnte sich halt nichts anderes vorstellen, und man wollte effizient handeln – Die Tücken des „Demokratischen Zentralismus“ sollen aber an dieser Stelle nicht weiter behandelt werden. Deutlich wird hier zunächst nur, dass Teile der APO in diesem Fall eine Arbeit von „Außen“ geleistet haben, die von den Aktivisten in den Betrieben ernstgenommen und angenommen wurde. Zudem behandelte das Diskussionspapier der APO-Bergedorf keine aufgesetzten Themen, sondern dokumentierte vielmehr, was sich in der Bewegung der jugendlichen Arbeiter dieser Zeit abgespielt hat. Die Debatte um die Möglichkeiten politischer Arbeit im Betrieb nach 1969, die Erweiterung des Kampfterrains (Stadtteil/ Jugendzentren, Armee), die Suche nach Bündnispartnern außerhalb der Betriebe (Schüler und Studenten), die Frage der politischen Organisation. All das waren die Themen der Bewegung. Die besagten APO – Genossen haben sich leidlich darum bemüht, dem Rechnung zu tragen und die politische Arbeit effizient mitzugestalten.
Dass das alles nicht vor ideologischer Verblendung schützt sollte klar sein. Die Ideologiebildung beim SALZ in Richtung „Maoismus“, [76] ist m.E. in erster Linie als Resultat des allmählichen Rückzuges der Klasse nach 1969 zu bewerten, welcher nicht rechtzeitig als Rückzug erkannt wurde. So verlor auch der antiautoritäre Flügel der Bewegung schließlich seine Unschuld vor dem Hintergrund des Widerspruches zwischen dem vorläufigen Versagen der Klasse und dem eigenem aussichtslosem Drang nach unmittelbarer revolutionärer Veränderung. Schließlich fanden sich alle diejenigen, die sich noch nicht ins Privatleben zurückgezogen hatten oder in der Subkultur abgetaucht waren, doch in den Fängen des DGB: Als dessen „Verteidiger“ und/oder „Kritiker“, unter dessen Herrschaft oder zumindest in dessen Bann – sowie in den Fängen autoritärer linker Organisationen. Der Leninismus in all seinen Erscheinungsformen aber war schon immer bloß der Ausdruck für die Niederlagen der eigenständigen Bewegung der Klasse. Nie konnte dieser die Bewegung vorantreiben oder gar (neu) entfachen, er konnte die im doppelten Sinne zurückgebliebenen Militanten lediglich verwalten. [77]
Das politische Ende der Bewegung
Ab ca. 1972 kann von einer autonomen Bewegung der Lehrlinge und jungen Arbeiter nicht mehr die Rede sein. Die „Lehrlingsbewegung“ wurde immer mehr zu einer rein gewerkschaftlichen Angelegenheit, die noch bis 1975 einige Höhepunkte zu verzeichnen hatte um dann in der Versenkung zu verschwinden. Die Protagonisten der unabhängigen Bewegung waren zu diesem Zeitpunkt bereits zu einem großen Teil in den sog. K-Gruppen organisiert. Oder aber sie schlossen sich den sog. undogmatischen Linken an. Allesamt gingen schon bald in den sog. Teilbereichskämpfen dieser Zeit auf. Der proletarische Charakter der Bewegung ging hierbei allerdings komplett verloren. [78] Zirkel, die erst nach 1970 gegründet wurden, waren, sobald sie sich öffentlich äußerten, sofort mit diesem Problem konfrontiert.
Hinzu kam die Veränderung der Ausbildungssituation, wie z.B. die Einführung des Blockunterrichts, was dazu beitrug, dass die Möglichkeiten einer breiten, kontinuierlichen ausbildungsjahr-, und firmenübergreifenden Kommunikation unter den Lehrlingen erschwert wurde. Das Einsetzen des Lehrstellenmangels und der Jugendarbeitslosigkeit bei rückläufigen Klassenkämpfen ab etwa 1974 führte noch zu großen Protesten der jungen Arbeiter, die jedoch bereits komplett vom DGB dominiert wurden und in die Sackgasse führten. Auch die Klasse bäumte sich noch einmal mächtig auf. 1973 kam es zu einem zweiten großen Kampfzyklus in Westdeutschland. Diese Kämpfe waren jedoch, anders als 1969, außer Stande einen ähnlichen Pool der Politisierung darzustellen.
Am Beispiel eines Hamburger Zirkels, dem LAK-Barmbek [79], soll hier noch einmal veranschaulicht werden wie die Bewegung zerfiel:
– Im Februar 1970 wurde während einer Diskussionsveranstaltung über die Lage in den Berufsschulen des Jour Fix Hamburg von den Anwesenden eine Kampagne „gegen die Berufsschulmisere“ beschlossen, in der möglichst alle aktiven Lehrlinge der Stadt mit einbezogen werden sollten. Das sog. duale System der Berufsausbildung, also die unterschiedlichen Zuständigkeiten in der Wissensvermittlung (Praxis = Betrieb / Theorie = Schule, also Staat) sorgte selbstverständlich in so einer Kampagne dafür, dass der Staat, in dem Fall der Hamburger Senat, zum Ziel der öffentlichen Kritik wurde. Da der Hamburger Senat in dieser Zeit noch durch eine absolute Mehrheit der SPD gestellt wurde, und man sich zudem im Bürgerschaftswahlkampf befand, bekamen die DGB-Kader damit sehr schnell Bauchschmerzen. Sie wussten sich nicht anders zu helfen als diese Kampagne zu untersagen. Als erstes wurde dem Jour Fix das Geld für Flugblätter und Plakate versagt. Innerhalb des Jour Fix kam es daraufhin zu massiven Auseinandersetzungen. In einem offenen Brief an den DGB-Kreisvorstand heißt es u.a.: „Die Aktionen zur Berufsschulmisere wurden vom Kreisvorstand mit dem Argument verboten, sie beeinträchtige die Chancen der SPD bei der bevorstehenden Bürgerschaftswahl. Wir möchten darauf hinweisen, dass gegen eine starke Minderheit im Jour Fix durchgesetzt wurde, keine direkten Angriffe (auf Flugblättern und Plakaten) gegen die SPD zu unternehmen…die Besucher des Jour Fix Hamburg“ [80] Hier fassten bereits die Spaltungsversuche des DGB nach dem 1.Mai 1969. Die Mehrheit der Hamburger DGB-Jugend wollte an den Geldtopf der Gewerkschaften, um „ihre“ Kampagne durchziehen zu können.
– Im April 1970 rief die DGB-Jugend zu einer Großveranstaltung im Hamburger Audimax der Universität auf, zu der ca. 3000 junge Arbeiter erschienen. [81] Auch hier kam es zu Unmutsäußerungen auf Seiten der besagten „starken Minderheit“, nachdem zunächst ein Referat zur allgemeinen Ausbildungssituation unterschlagen, und dafür das Programm durch „Kulturbeiträge“ völlig überlagert wurde. Man witterte zu Recht wieder einmal den Versuch der Entpolitisierung. [82] Bald nach dieser Veranstaltung kam es dann durch Angehörige dieser „starken Minderheit“ zum Gründungsaufruf eines gewerkschaftsunabhängigen LAK an einer Berufsschule für Groß-, und Außenhandel. Wie alle Lehrlingszirkel dieser Zeit blieb die Gruppe nicht beschränkt auf die Schule oder die Branche. Es wurden Freunde mitgebracht aus anderen Branchen, und es kamen interessierte Schüler und Studenten dazu. Der Einflussradius konzentrierte sich mehr oder weniger auf Barmbek, wo sich auch das Lokal befand in dem die Treffen stattfanden. Es bildete sich ein fester Kern heraus, und ein großes Umfeld, welches zu bestimmten Anlässen mobilisierbar war. Die Diskussionen auf den wöchentlichen Treffen spiegelten die Prozesse der allgemeinen Bewegung vortrefflich wieder:
Ja oder Nein zu den Gewerkschaften? (Es blieb beim JEIN bis der Zirkel zerfiel)
Ja oder Nein zu den politischen Organisationen? (Es blieb beim JEIN bis alle ihren Platz in einem der angebotenen K-Gruppen oder bei den „Spontis“ fanden und damit den Existenzgrund des Zirkels aufhoben).
Verhältnis von Praxis und Theorie (Wobei eine völlig undialektische Gegenüberstellung dieser Elemente vollzogen wurde, die lediglich zu einer emsigen Betriebsamkeit führte, jedoch keinesfalls zu einer revolutionären Praxis). Diese Themen wurden zudem öffentlich in einer Lehrlingszeitung diskutiert. [83]
– Zum Jahresanfang 1971 gründete das SALZ, gemeinsam mit dem Kommunistischen Arbeiterbund (KAB) eine Aktionseinheit für die Aktivitäten rund um den 1. Mai. Zielgruppe waren alle Arbeiter, die mit der Politik des DGB nicht einverstanden waren. Es wurde auf eine eigene Demonstration hingearbeitet, an der dann tatsächlich ca. 5000 Menschen teilnahmen. Es war dem SALZ zu verdanken, dass im Vorfeld überall in Hamburg Mai Komitees auf betrieblicher und bezirklicher Ebene gegründet wurden. Insbesondere in Metal-, Chemie-, und Handelsbetrieben gelang es, größere Kontingente von vor allem jungen Arbeitern zu mobilisieren. Auch der LAK-Barmbek war Teil des Bündnisses.
– 1972 löste sich das SALZ und der KAB größtenteils im Kommunistischen Bund (KB) [84] auf. Der KB hatte in Hamburg eine große Anziehungskraft auf die letzten jungen Rebellen der Lehrlingsbewegung. Schon wenige Monate nach der Gründung traten auch einige vom LAK-Barmbek dort ein.
– 1973 kam es noch einmal zu einer breiten Streikwelle. „Der Tarifabschluss 1973 von 8,5% für die Stahlindustrie provozierte den Unmut der Stahlarbeiter. Sie wollten mehr. Deshalb kam es – Friedenspflicht her oder hin – bereits kurz nach dem Tarifabschluss zu den ersten Streiks. Den Anfang machten hundert Beschäftigte der Schlossfabrik Hülsbeck & Fürst in Velbert. Sie traten in einen zweiwöchigen Streik. Wenige Tage später folgten ihnen rund 15.000 Hoesch-Arbeiter der drei Dortmunder Stahlwerke, die bereits an den Septemberstreiks 69 beteiligt waren. Weiter ging es in anderen Stahlbetrieben des Ruhrgebiets. Bei Mannesmann in Duisburg-Huckingen kam es sogar zu einer 1-wöchigen Betriebsbesetzung. Im April schmissen 10.000 Beschäftigte des VW-Konzerns die Brocken hin. Im August 1973 erreichten die wilden Streiks ihren Höhepunkt. In 100 Betrieben legten etwa 80.000 Beschäftigte die Arbeit nieder. Die Welle wilder Streiks zog sich von Februar bis Ende Oktober hin. Insgesamt beteiligten sich 275.000 Beschäftigte in 335 Betrieben.
Kennzeichnend für die gesamte Streikbewegung war, dass auch viele kleinere und mittlere Betriebe einbezogen waren und dass vor allem die am schlechtbezahltesten Schichten – ausländische ArbeiterInnen und Frauen – eine aktive Rolle in diesen Kämpfen spielten. Und selbst im öffentlichen Dienst wurde wild gestreikt. Im Anschluss an die Tagesschau gab es 1973 eine tägliche Streikkarte. Welch ein Kontrast zu den täglichen Börsenberichten …“ [85] Bei den Solidaritätsbekundungen des LAK bemühte man sich darum, an die Erfahrungen der 69er Streiks anzuknüpfen und zur Politisierung innerhalb der kämpfenden Klasse beizutragen, jedoch sprachen nun viele vorgeblich revolutionäre Stimmen zugleich. Innerhalb des LAK gab es bereits zwei Fraktionen (RKJ [86] und KB), und es gesellte sich noch eine dritte hinzu: der maoistische „Kommunistische Jugendverband Deutschland“ (KJVD), der gemeinsam mit seiner Dachorganisation (KPD/AO) in diesen Streiks rege intervenierte, und einige junge Arbeiter an sich binden konnte. So auch welche aus dem LAK-Barmbek, insbesondere aus den Metallbetrieben. Ebenfalls 1973 findet in Hamburg eine Hausbesetzung statt [87] Der LAK pflegte seinerzeit noch gute Kontakte zum Hamburger Aktionszentrum (HAZ), eine anarchokommunistische Gruppe um die beiden Arbeiter Sigurd Debus und Theo Vetter, [88] die sich um die Solidarität mit den Besetzern bemühten. Nach der Räumung werden einige junge Arbeiter sich das erste Mal mit der Ideologie des „bewaffneten Kampfes in den Metropolen“ beschäftigen, und ihren Weg in das Milieu des linken Terrorismus antreten.
Zu diesem Zeitpunkt hatte der LAK bereits keinen politischen Zusammenhalt mehr. Lediglich die noch funktionierenden sozialen Beziehungen untereinander, das Moment der alltäglichen Solidarität, hielten die Gruppe noch für eine Weile zusammen. Den erneuten Rückzug der Klasse, ab Oktober 1973, und die krasse Konfrontation mit der Staatsgewalt in der Niederlage der Hausbesetzung führte jedoch zu einer völligen Orientierungslosigkeit in der Gruppe. Die verschiedenen Fraktionen drängten darauf, sich ihren jeweiligen Lösungsvorschlägen anzuschließen. Man nahm zunächst allgemein zur Kenntnis, dass die deutsche Arbeiterklasse gegenwärtig nicht befähigt sei einen angemessenen Beitrag zum internationalen Klassenkampf zu leisten. Man kam zudem noch gemeinsam zu der falschen Überzeugung, dass die Revolutionäre befähigt seien die Bewegung der Arbeiter zu diesem Zeitpunkt noch weiter zu beeinflussen, sie in die Kampfarena zurück holen zu können. Allerdings taten sich hier bereits eklatante Unterschiede in den Auffassungen darüber auf, wie dieser Einfluss zustande kommen sollte. Diese Unterschiede im gemeinsam falschen Bewusstsein führten schließlich zum Zerfall der Gruppe. Der größte Teil der Militanten kam bei den K-Gruppen unter, vor allem beim KB, und eine Minderheit hielt sich fortan in sog. undogmatischen Kreisen auf. Der Zirkel hatte gerade einmal 3 Jahre (also eine Lehrzeit) bestanden. Vielmehr brachte kaum ein anderer Zirkel zustande, sowie die Bewegung selbst gerade mal zwei – drei Generationen von Auszubildenden prägte.
Was bleibt?
Jede Rekonstruktion, welche sich die Geschichte der sozialen Bewegungen und des Klassenkampfes wiederaneignet, hat es leicht darzustellen, dass diese bisher objektiv dazu verurteilt waren nicht weiter gehen zu können als sie es taten. Im Nachhinein erscheint dadurch so manches, zu Recht oder zu Unrecht, unvermeidlich. Es ist richtig die Mängel und Versäumnisse der Bewegung aufzuzeigen, schon um des historischen Gedächtnis unserer Klasse willen. Dabei bleibt es jedoch völlig sinnlos den einstigen Protagonisten der Bewegung ihre Fehltritte vorzuwerfen. Noch weniger Sinn würde es machen, diesen oder jenen Flügel der Bewegung für die Niederlage allein verantwortlich zu machen. Die Niederlage ist stets die Angelegenheit der ganzen Klasse – und die Ergebnisse der Niederlage werden von der ganzen Klasse getragen. Das Weitergehen besteht darin, dass die Kritik des Erlebten zukünftigen Klassenkämpfen zur Verfügung steht. Um weiterzugehen blieb der jungen Arbeitergeneration seiner Zeit nichts anderes übrig, als mit der alten Generation politisch zu brechen. Leider wird zu oft vergessen, „dass für diejenigen, die das Ergebnis erlebt haben, das Weitergehen genau darin bestand.“ [89] Denn nichts anderes stellte der Bruch mit dem Reformismus und den Strukturen der alten Arbeiterbewegung dar, welche den neuen Anforderungen schlicht nicht mehr gewachsen waren. So wie die damals neue Bewegung der Arbeiter diesen Anforderungen noch nicht gewachsen war. [90]
Der ungeheure ökonomische und technologische Sprung, den das Weltkapital ab Mitte der 60er Jahre vollzog, zerschmetterte etliche althergebrachten Vorstellungen über das Zusammenleben der Menschen im Kapitalismus und über die sich daraus ergebenden Alternativen. Selten zuvor wurden so viele moralische Werte, kollektive Umgangsformen und individuelle Lebensplanungen derart infrage gestellt wie in dieser Zeit. Nie zuvor wurde auf globaler Ebene die Entfremdung durch die Lohnarbeit in den Klassenkämpfen so direkt benannt und negiert. „Die weltweite Welle von Streiks und Aufruhr lässt sich nicht verstehen, wenn man ihre zugrundeliegende Dynamik nicht benennt: die massenhafte Entfremdung gegenüber dem Fabrik – und Büroleben. Wer will noch Arbeiten? fragte Newsweek Mitte der 70er Jahre.“ [91] Der Sieg in der Niederlage der weltweiten Kämpfe zwischen 1967 und 1974 bestand darin, dass diese in der Lage waren, die revolutionäre Theorie zu bereichern, und zudem die Menschen hervorgebracht hat, welche sich diese Bereicherung für die Klasse aneignen konnten. Möge es dazu dienen, dass das Proletariat zum geeigneten Zeitpunkt diesen Reichtum sozialisieren kann.
Die organische und politische Zusammensetzung des Proletariats, und insbesondere der proletarische Jugend, hat sich seither stark verändert. Einer der wesentlichen Ursachen dieser Veränderung ist die weitere Ausdehnung und Vertiefung des allgemeinen Konkurrenzprinzips. Die Trennung des Produzenten von seinem Produkt ist unaufhaltsam weltweit fortgeschritten. In den (neuen und alten) Industrienationen ist die Geißel der Arbeitslosigkeit im gigantischen Ausmaß zurückgekehrt. (Für uns Revolutionäre ist es manchmal schwer zu entscheiden, was schlimmer ist: ob wir mit ansehen müssen wie unsere Kinder im frühen Alter von 16/17 Jahren bereits in der Knochenmühle verwertet werden, oder aber ob sie in der Erwerbslosigkeit demoralisiert werden. Wissen wir doch um das Elend beider Möglichkeiten, die das Kapital der proletarischen Jugend zu bieten hat). Von Anfang an stellten die Verbreitung der Arbeitslosigkeit, und der damit einhergehende Mangel an Ausbildungsplätzen den Kern einer Misere für die Fortführung der Kämpfe der jungen Arbeiter dar. Aber während die deutschen Gewerkschaften Mitte der 70er Jahre noch gegen den Skandal von 500.000 offiziellen Arbeitslosen zu Felde zogen, die nicht zufällig vor allem die Jugend, die vorher gekämpft hatte, betraf, [92] sind wir heute mit einer Situation konfrontiert, in der die Zahl der Arbeitslosen bereits das Zehnfache erreicht hat.
Die gnadenlosen Anpassungsanforderungen, die der Kampf um einen Ausbildungsplatz den Jugendlichen heute abverlangt, sowie die Abwesenheit zukunftsweisender Klassenkämpfe, bringt diese in eine scheinbar ausweglose Situation. Seinen spektakulären Ausdruck findet dies in einer zunehmenden Kultur der Atomisierung (PC/TV/Handy…). Dabei ist das Konsumbegehren enorm gestiegen – die Möglichkeiten zu dessen Befriedigung aber für die meisten im selben Maße gesunken. Insbesondere der Angriff der damaligen Jugendbewegung auf die warenförmigen Verhältnisse, durch deren Infragestellung irrationaler Konsumtion im Kapitalismus auf allen Ebenen, welche sie abtrennte von den Kompensationsbedürfnissen der (Nach)Kriegsgeneration, muss angesichts der heutigen Bedingungen als richtige Kritik im falschen Moment gewürdigt werden. Die derzeitige revolutionäre Bewegung tut gut daran, sich die Totalität dieser Kritik wieder anzueignen.
Mehr als je zuvor, und weit mehr als „68“ gilt, dass jede Reform des Kapitalismus zugunsten der proletarisierten Massen unmöglich geworden ist. Im Gegensatz zu damals aber wissen heute viele Lohnabhängige darum, dass Reformen in der Regel einen direkten Angriff auf ihre Lebenslage bedeuten. Der Begriff „Reformen“ ist mit Rot/Grün (Agenda 2010, Hartz IV) auch in der BRD endlich zum offenen Kampfbegriff der Bourgeoisie geworden und hat damit die reformistischen Kräfte als „linken“ Flügel der Bourgeoisie nachhaltig demaskiert. Das ist kein neuer Zustand, aber er lag selten zuvor so deutlich auf der Hand. [93]
Die Kämpfe in Frankreich während des vergangenen Jahres, welche sich auf allen Ebenen direkt gegen Reformen richteten, geben uns einen Vorgeschmack darauf, was uns als Kommunisten in Europa zukünftig bevorstehen kann. Den Arbeitern und Studenten in Frankreich ist es dabei wieder mal gelungen, beispielhaft die Möglichkeit eines Zusammenkommens zu demonstrieren, und dabei eine erneute Politisierungswelle innerhalb der proletarisierten Jugend loszutreten.
Auch in Deutschland ist seit ein paar Jahren eine enorme Zunahme von Arbeitskämpfen zu beobachten. Die zunehmende Bereitschaft dazu wächst aus der um sich greifenden Einsicht, dass jede Anpassungsleistung an die Erfordernisse des Kapitals nur dazu führt, dass immer mehr Menschen aus dem Produktionsprozess herausgedrängt und der allmählichen Verelendung zugeführt werden sollen. Die Proletarier haben allerdings gegenwärtig noch einige, sie blockierende Ängste und Ressentiments zu überwinden. Darum sind diese Kämpfe keinesfalls als Garantie für die Entstehung einer revolutionären Bewegung zu bewerten. Aber es kommt zunehmend zum absehbaren Moment in dem Fragen gestellt werden, deren Lösungen sich nicht länger aufschieben lassen. Die Revolutionäre haben sich darauf gut und zügig vorzubereiten, denn die Herrschenden haben ihre Antworten auf die Krise längst parat: Nation statt Klasse = Krieg nach Innen und nach Außen. Sie zögern bekanntlich nicht ihre Antworten umzusetzen. Unsere Interventionen müssen daher (selbst)verständlich zum Ausdruck bringen können, dass es ums Ganze geht. Dabei werden wir auch in Zukunft wohl den größten Teil der Linken rechts liegen lassen müssen. Viele Schwierigkeiten, welche sich für die politisierten jungen Lohnabhängigen notwendig aus der generationsbedingten politischen Trennung seinerzeit ergaben, können heute als beigelegt betrachtet werden. Das Heranreifen einer neuen rebellischen, politisierten Jugend in Europa und anderswo wird durch die Erfahrungen aus der Bewegung von „68“ begleitet werden können, wenn dazu die Bereitschaft besteht. [94]
Anmerkungen
[1] Hier tut sich ein allgemeines Manko der Arbeiterbewegung auf, was weniger mit einem generellen Bildungsmangel oder dem Unvermögen zu reflektieren zu tun hat – wie manche Bildungsbürger es gerne unterstellen – als vielmehr mit Mangel an Zeit und Kraft, die in der Regel im Arbeitsprozess verwertet und verschwendet werden (müssen).
[2] O. Todtenberg / A. Ploog, „Du gehörst Dir und nicht den Bossen“, Frankfurt/M., 1971, S. 9
[3] Karl Marx, „Das Kapital“, Band 1, MEW 23, Seite 161
[4] ebenda, Seite 55
[5] ebenda, Seite 186
[6] ebenda, Seite 54
[7] Elmar Altvater, „der historische Hintergrund des Qualifizierungsbegriffes“, Erlangen 1971, Seite 85
[8] Karl Marx, „Das Kapital“, Band 1, MEW 23, Seite 84
[9] In der Regel ist der Stoff für die im jeweiligen Betrieb erforderliche Qualifizierung der Arbeit in wesentlich kürzerer Zeit vermittelbar als es die angesetzte Dauer des Ausbildungsverhältnisses vorsieht. Die „übrige“ Zeit (insbesondere das letzte Ausbildungsjahr) dient so dem Unternehmen bereits als unmittelbar verwertbare Arbeit auf vergleichsweise äußerst niedrigem Lohnniveau.
[10] Diese Parole wurde von den anarchistischen Kräften dieser Zeit, die diese und ähnliche Losungen verbreiteten, übernommen /angenommen.
[11] FreundInnen der Klassenlosen Gesellschaft (Hrg.) „Über das Elend im Studentenmilieu“, in: Texte der Situationistischen Internationale, Heft VI., Berlin 2005, Seite 18
[12] Tatsächlich war ein weitverbreitetes Mitgefühl für die Lage der Menschen in der sog. 3. Welt ein Motiv für persönliches Engagement unzähliger junger Menschen. Ebenso wie die Abscheu gegenüber der faschistischen Vergangenheit, vor allem die Unterordnung der Eltern-, und Großelterngeneration demgegenüber, oder die Abscheu gegen den Krieg – hier insbesondere dem Vietnamkrieg. Ein Gewissenskonflikt macht noch keine revolutionäre Bewegung, aber ein Gewissenskonflikt ist immer noch besser als gar kein Gewissen.
[13] Um sich überhaupt in den Massen verankern zu können, sahen sich die sog. nationalen Befreiungsbewegungen dieser Zeit beinahe ausnahmslos gezwungen, mit einem „sozialistischen“ Programm in Erscheinung zu treten. Vielerorts suchte die soziale Bewegung nach einem Bündnis mit dem Proletariat (Studentenrevolten rund um den Erdball, Antikriegsbewegungen in den USA und anderswo, die sich mit ihren Anliegen an das Proletariat wandten). Die Streiks / Auseinandersetzungen im stalinistischen Herrschaftsbereich (CSSR 1968, Streikwelle in Polen 1971 unter roten Fahnen, Arbeiterkämpfe und Studentenbewegung in Jugoslawien…) die, gefangen in der Illusion einer Reformierbarkeit der COMECON – Staaten, aufopfernd für einen Sozialismus „mit humanem Gesicht“ stritten, waren ebenfalls vom Klassenkampf getragen, bzw. inspiriert.
[14] Pariser Mai, Arbeitermacht in Italien, Streikwelle in Polen, Massenstreiks in Großbritannien, Argentinien, Mexiko usw. usf.
[15] Der SDS radikalisierte sich in Richtung eines sozialistischen Programms, und nahm dafür bereits 1961 seinen Ausschluss aus der SPD in Kauf.
[16] Um die Jahreswende 1966/67 kam es hier und dort zu gemeinsamen Aktionen. Die große Koalition aus SPD und CDU bereitete, die Krise vor Augen, eine Notstandsverfassung vor, nach der die Regierungsgeschäfte im Krisenfall der parlamentarischen Kontrolle entzogen werden sollen. Dies stieß nicht nur in linken Kreisen und innerhalb der Studentenschaft auf Unbehagen, sondern wurde auch in der Gewerkschaft und vor allem in den Betrieben mit Argwohn zur Kenntnis genommen. Die Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze wurden daher von vielen proletarisierten mitgetragen. Die Aufforderung des SDS in Richtung DGB diesbezüglich einen „Generalstreik“ zu organisieren ging denen aber doch zu weit. Es kam allerdings vereinzelt zu politischen Warnstreiks. Vgl. Geronimo: „Feuer und Flamme – Geschichte der Autonomen“, Berlin 1990
[17] Die Grundlage dieses Antikommunismus ist die Identifizierung von Kommunismus und Stalinismus. Diese Identifizierung wurde von allen herrschenden Kräften der Welt – Ost oder West – gleichermaßen propagiert. In Deutschland fand diese Ideologie des Antikommunismus ein Proletariat vor, welches wie kaum ein anderes dieser Zeit die Resultate der langen Konterrevolution nach 1918, bis Auschwitz, in sich aufhob als völlige Verdrängung seiner selbst.
[18] Der Einfluss der Arbeiterbürokratie (Gewerkschaften, Sozialdemokraten und offizielle Kommunistische Parteien) war zugleich ein weltweites Phänomen, und trug bekanntlich einen wesentlichen Anteil an den Niederlagen der Klassenkämpfe dieser Zeit. Als besonders herausragend ist hier die Rolle KP im Pariser Mai 68 zu nennen.
[19] Einerseits durch Präsentation umfangreicher Reformen (in der Arbeitsgesetzgebung u.a.m.), Scheinradikalität in den Tarifverhandlungen usw. – Andererseits durch den Ausschluss der radikalen Studenten des SDS und den Beinahe-Ausschluss der JUSOS (während ihrer sog. STAMOKAP-Debatte) sowie durch die sog. Unvereinbarkeitsbeschlüsse des DGB gegenüber allen Kollegen, die sich außerhalb der „Reformkräfte“ politisch betätigten. Dem Gewerkschaftsausschluss folgte meist die Kündigung im Betrieb.
[20] Bereits damals wurde der Weg eingeschlagen, dessen spektakuläres Etappenziel 1989 erreicht wurde.
[21] Unter dem Begriff „neue Ostpolitik“ ging diese Kapitalstrategie schließlich in die Geschichte der BRD ein.
[22] Bis sie dann schon recht bald wieder unter der „neuen Ostpolitik“ politisch angemessen vereinigt wurden.
[23] Insbesondere die allgemeine Einführung der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) und der Aufbau neuer Energieversorgungsstrukturen – die „friedliche“ Anwendung der Atomkraft.
[24] Das Proletariat verschaffte sich zunächst in den Streikbewegungen ab Anfang 1967 im Saarland und im Ruhrgebiet, vor allem in der Holzindustrie, der Eisen-, und Stahlindustrie und im Maschinenbau den ersten Aktionsraum. Im Mai 1967 kam es zu massiven Arbeitskämpfen bei Rheinstahl – Hanomag in Hannover, Hamburg, Bremen und im Herbst 1967 in der Gummiindustrie in Hessen und Hamburg. Bis September 1969 trat die Bewegung der Arbeiter immer wieder mit kleinen und großen Aktionen in Erscheinung, u.a. in sog. wilden, sich im Gegensatz zu Gewerkschaftspolitik entwickelten Streiks und Aktionen, um stets aufs Neue ihre Klassenautonomie zu behaupten. Vgl. dazu: K.H. Roth „Die andere Arbeiterbewegung“, München 1974
[25] Es gab seit Gründung der Republik immer wieder sog. wilde Streiks, jedoch waren diese nicht eingebettet in eine allgemeine Aufbruchsstimmung wie um 1968 und hatten von daher schon einen anderen Charakter. Vg. Hierzu Peter Birke, „60 Pfennig zu wenig – muss eine Mark.“ Wilde Streiks und Gewerkschaften im bundesdeutsch-dänischen Vergleich, 1950-1973, Diss., Hamburg 2006
[26] Vgl. Todtenberg/Ploog, „Du gehörst dir und nicht den Bossen“, Frankfurt 1971, Seite 41 ff.
[27] Vgl. K.H. Roth „Die andere Arbeiterbewegung“ , München 1974 und Materialien zur Analyse von Opposition (MAO) auf: userpage/fu-berlin.de
[28] Auf dem Hamburger Rathausmarkt mussten prominente Festredner wie Willy Brandt ihre Reden vor den Sprechchören von ca. 3.000 Lehrlingen vortragen. (Vgl. Wikipedia – Lehrlingsbewegung)
[29] In Dortmund demonstrieren 300 Lehrlinge und Jungarbeiter. In Wuppertal, Offenbach, Frankfurt, Köln, Bremen, Hannover, Peine… schließen sich ähnliche Demonstrationen mit insgesamt ca. 5000 Teilnehmern an. Vgl. „Lehrlingsrevolte 1969“ in : „Unsere Zeit“ – Zeitung der DKP, 06. Juni 2004
[30] Vgl. ebenda
[31] Kollektiv Rätekorrespondenz , „Probleme der neuen Arbeiterbewegung“, in „Partei und Revolution“, S. 50, Berlin, 1969
[32] H. C. Meijer, „Das Werden einer neuen Arbeiterbewegung“ , ebenda
[33] Vgl. „Lehrlingsbewegung“ bei Wikipedia
[34] Vgl.: Fuhlert/Weblus: „Lehrlingsbewegung in der BRD – Gewerkschaftspolitische Studien“, Berlin, 1974
[35] Zitiert in Hermann Giesecke, „Staat gegen Arbeiterjugend“, in: Funkmanuskripte, Band 1, Seite 33
[36]Vgl. „Lehrlingsrevolte 1969“ in : „Unsere Zeit“ – Zeitung der DKP, 06. Juni 2004
[37] Vgl. Ursel Beck, „ Vor 30 Jahren“, auf www.reds.de
[38]Andere größere regionale Assoziationen waren z.B. die „Roten Panther“ , die „Rote Jugend“ oder der „Sozialistische Arbeitskreis der Jugend für politische Bildung (SAJB)“ aus Hessen, Saarland, dem Ruhrpott und Süddeutschland, sowie die assoziierten, eher libertär ausgerichteten Lehrlingszirkel des „Berliner Blues“
[39]Vgl. Materialien zur Analyse von Opposition (MAO) auf: userpage/fu-berlin.de
[40] Vgl. Ebenda
[41] Die linken Sozialdemokraten, Stalinisten und Trotzkisten wunderten sich trotz aller Rivalitäten untereinander gemeinsam darüber, dass es kaum ihrer Hilfe bei der Entwicklung des Klassenbewusstseins bedurfte, und sie stattdessen mit ihren Programmen der Bewegung hinterher liefen.
[42] Das führte 1973 zu den bereits in Fußnote 9 erwähnten Unvereinbarkeitsbeschlüssen des DGB, die vor allem die Mitglieder maoistischer Gruppen betrafen. Im Zuge der folgenden Gewerkschaftsausschlusskampagne taten sich vor allem die DKP/SDAJ als eifrige Denunzianten hervor.
[43] Rudi Dutschke, zitiert in: „Die Aktion“, Heft 175/180, Hamburg 1968, Seite 8
[44] Vgl. „Lehrlingsbewegung und Tarifabschlüsse“ in: Festschrift, 50 Jahre IG – Metall Ludwigsburg
[45] Auch die Haupt –, und Nebenamtlichen Jugend-Teamer innerhalb der Lehrlingszentren wurden immer mehr abgelöst durch Mitglieder der SDAJ. Obwohl dem DGB – Vorstand deren Zugehörigkeit zum Spektrum der DKP nicht gerade behagte, wussten sie doch, dass diese befähigt waren die innergewerkschaftliche Disziplin wiederherzustellen. Zuvor waren in etlichen Städten die Teamerposten – mangels Alternativen – noch von parteilosen, manchmal gar von linksradikalen Gewerkschaftern besetzt.
[46] Vgl.: Fuhlert/Weblos, Gewerkschaftspolitische Studien – Die Lehrlingsbewegung in der BRD, Berlin, 1974, S. 94
[47] ebenda
[48] Vgl.: Weiler / Freitag, „Ausbildung statt Ausbeutung“, Hamburg 1971
[49] Freisprechung: Ausbildungsabschlussveranstaltung. Öffentliche Übergabe der Gesellenbriefe, Auszeichnung der Jahrgangsbesten usw. usf.
[50] Vgl.: Fuhlert/Weblos, Gewerkschaftspolitische Studien – Die Lehrlingsbewegung in der BRD, Berlin, 1974
[51] Die Entwicklung der gewerkschaftlichen Jugendzentren und Jour Fix wird am Beispiel „Hamburg“ sehr gut dargelegt in Lehrlingszentren – Berichte aus der Praxis: http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1971/1971-11-Berichte.pdf
[52] Siehe Tommy-Weisbecker-Haus (Berlin), Kornstraße (Hannover) usw. usf.
[53] Vgl.: Robert Schlosser, „Abschied auf Raten“, auf: www.rs002.de
[54] Legendär wurde hier „die Schlacht am Tegeler Weg“ am 4. November 1968 in Berlin, in der sich Rocker durch besonders militantes Vorgehen gegenüber der Polizei her-vortaten. Es ist von 130, z.T. schwer verletzten Polizisten die Rede, die sich auf die „Begleitung“ einer studentischen Protestkundgebung vorbereitet hatten, und von der Entladung eines offensichtlich seit langem aufgestauten Hasses der Rocker völlig überrascht wurden. Vgl. Tilman Fichter, „Berlin: Hauptstadt der Revolte“, Online Publikation.
[55] Das Phänomen der Rockerbanden, welches in allen westlichen Industrieländern zum Vorschein kam wurde von den Situationisten treffend analysiert: „Auf der elementarsten Ebene drücken in allen Ländern die Rocker mit der größten offensichtlichen Gewalt die Verweigerung ihrer Integration aus. Aber der abstrakte Charakter ihrer Verweigerung lässt ihnen keine Chance, den Widersprüchen eines Systems zu entkommen, dessen negatives Produkt sie sind… Sie verachten zwar die Arbeit, aber sie akzeptieren die Waren…. Aus der Welt der Rocker gibt es nur zwei Ausgangsmöglichkeiten: das revolutionäre Bewusstsein, oder der blinde Gehorsam in den Fabriken.“ In: FreundInnen der Klassenlosen Gesellschaft (Hrg.) „Über das Elend im Studentenmilieu“, in: Texte der Situationistischen Internationale, Heft VI., Berlin 2005, Seite 18 ff.
[56] Lutz Schulenburg (Hrg.), „Das Leben ändern – die Welt verändern“, Hamburg, 1998, Seite 350
[57] Infolgedessen wurden ab Mitte der 70er Jahre die Fürsorgeheime Bundesweit aufgelöst.
[58] Zitiert in Hermann Gieseke, „Staat gegen Arbeiterjugend“, in: Funkmanuskripte, Band 1, Seite 25
[59] Lutz Schulenburg (Hrg.), „Das Leben ändern – die Welt verändern“, Hamburg, 1998, Seite 428
[60]Studenten hatten in der Regel mehr Möglichkeiten sich auf das Prüfungsverfahren zur Wehrdienstverweigerung vorzubereiten, hatten weniger Hemmungen sich ins Abseits zu begeben (z.B. indem sie Vorgaben aus Glaubens-gründen oder wegen Homosexualität zu verweigern) oder aber sie bemühten sich um einen Studienplatz in West-berlin. Da Berlin der militärischen Verwaltung durch die Alliierten unterlag, gab es für die Bewohner Westberlins keine Wehrpflicht. Obendrein war ein Wohnsitz in der „Hauptstadt der Studentenbewegung“ ohnehin recht begehrt, und auch verfügbar. Westberlin suchte dringend Mitbürger, man bekam sogar eine „Berlinzulage“ zu den herkömmlichen Einkünften hinzu.
[61] Franz – Josef Degenhardt, „Live in Essen“, dokumentiert auf Polidor, 1968
[62]Zitiert in: Geronimo: „Feuer und Flamme – Geschichte der Autonomen, Berlin 1990, Seite 23
[63] Vgl. Materialien zur Analyse von Opposition (MAO) auf: userpage/fu-berlin.de
[64] ebenda
[65] Karl Marx, „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie – Einleitung“, MEW Band 1, Seite 386
[66] Vgl. Karl Marx/Friedrich Engels, „Manifest der Kommunistischen Partei“, MEW Band 4, Seite 474, wo es heißt : „In welchem Verhältnis stehen die Kommunisten zu den Proletariern überhaupt? Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen. Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, dass sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch, dass sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten.“
[67] Vgl. Materialien zur Analyse von Opposition (MAO) auf: userpage/fu-berlin.de
[68] Stadtteil im Südosten von Hamburg. Der Großteil der APO-Bergedorf assoziierte sich recht bald mit dem SALZ und wurde innerhalb dieser Organisation eine der Vorantreibende Kräfte beim Aufbau des Kommunistischen Bundes (KB) in dem sich das SALZ 1972 auflöste.
[69]Vgl. Materialien zur Analyse von Opposition (MAO) auf: userpage/fu-berlin.de
[70] LAK – allgemein verbreitete Bezeichnung für die vielen Lehrlingsgruppen im Raume Hamburg.
[71] Ebenfalls eine der Zusammenhänge aus denen später der KB hervorging.
[72] Hauni – Werke: Zu 80% im Export tätig. Weltmarktanteil ebenfalls 80%. Alleinbesitzer Körber (97%) / Öffentliche Stiftung (60 Mio.) / Initiator der Ingenieurschule für Bioingenieure und für zwei Ingenieurschulen für Produktions- und Verfahrenstechnik / ‚Bergedorfer Gesprächskreis‘ etc. etc. Vgl. Materialien zur Analyse von Opposition (MAO) auf: userpage/fu-berlin.de
[73] Die Zeitung wurde eingestellt nachdem die Bergedorfer Gruppe sich im SALZ aufgelöst hatte, und ab Anfang 1972 im KB.
[74]Tatsächlich kommt es später zur Entlassung von zwei Jugendvertretern, woraufhin die anderen von ihrem Posten zurücktreten.
[75] Das führte im Studentenmilieu dazu, sich der Klasse anzudienen ohne die eigene Betroffenheit, die eigene Proletarisierung wahrzunehmen. Dieses Ausblenden eigener, unmittelbarer Interessen läuft auf Dauer jedoch zwangsläufig auf Mystifizierung hinaus und hemmt die Entwicklung des eigenen Klassenbewusstseins. Bekanntlich wurde durch einige dieser Protagonisten später Rache geübt. Nicht an dem Bild was sie sich von der Klasse gemacht haben, indem man sich selbst nie wiederfand, sondern an der Klasse selbst – durch deren Verleugnung bei konsequenter Aufrechterhaltung der Selbstverleugnung.
[76] Das SALZ, bzw. der KB war eigentlich keine maoistische Gruppe im herkömmlichen Sinne. Sie blieben bis zum Schluss Leninisten mit ständigen Ambivalenzen behaftet. Mao wurde lediglich Zeitweise in seinem Pragmatismus hervorgehoben. Die Organisation ging zugrunde an ihren Beliebigkeiten, an ihrem opportunistischen Gebaren in den sog. Teilbereichsbewegungen, ihrer analytischen Kurzsichtigkeit und nicht an einer einheitlichen Ideologie. Das SALZ war anfänglich Ausdruck einer wirklichen Bewegung die aus den Klassenkämpfen hervortrat. Der KB wurde zum Verwaltungsorgan derer Niederlage.
[77] Auch darum der Begriff „Arbeiterbürokratie“. Wenn man einmal von dem historischen Sonderfall der Rolle der Bolschewiki in der Oktoberrevolution absieht, deren vorübergehend vorantreibende Kraft für den Emanzipationsprozess des Proletariats sich im Angesicht des Rückzuges des Weltproletariats spätestens im Sturm auf Kronstadt 1921 verlor, konnte das Organisationsmodell der Bolschewiki, in Hinblick auf die Emanzipation des Proletariats nie mehr wieder erfolgreich angewendet werden, und tritt ab dann nur noch als (z.T. blutige) Tragödie, nach 1968 als Farce, als Karikatur seiner selbst dem Klassenkampf entgegen.
[78] Was nicht heißt, dass sie keine Proletarier mehr waren. Sie handelten nur nicht mehr als solche, sondern hatten ihre Klassenidentität aufgegeben. Die Anhängerschaft der K-Gruppen übernahm dafür den schwachsinnigen Blaumannkult. Wider die eigene Erfahrung!
[79] Stadtteil im Osten von Hamburg, dieser LAK bestand im Wesentlichen aus Lehrlingen die im Handel beschäftigt waren. Einzelne waren in der Metallbranche oder im Speditionswesen tätig. Das hängt vor allem mit der Infrastruktur des Stadtteils zusammen. Einige Wirtschaftgymnasiasten und zwei Studenten waren ebenfalls mit von der Partie. Diese waren Mitglieder der trotzkistischen „Revolutionäre Kommunistische Jugend“.
[80] Vgl. DGB – Jugendinformationen Nr. 5, 1970
[81] Vgl. Todtenberg/Ploog, „Du gehörst dir und nicht den Bossen“, Hamburg 1971, Seite 81 ff.
[82] Vgl. ebenda. Der angekündigte gewerkschaftliche Referent, Franz Woschech, war in seiner Eigenschaft als Mitglied des Bundesvorstandes des DGB keineswegs ein authentischer Repräsentant der Lehrlingsbewegung. Schon gar nicht war er ein Freund des autonomen Flügels dieser Bewegung. Aber sein Beitrag wurde von letzteren erwartet, um daran die eigene Kritik zu knüpfen. Stattdessen wurde jede Möglichkeit der Debatte, durch den Wegfall des Beitrages, und der Überlagerung durch Musik und Theater unterdrückt. Der DGB setzte auf die Waffe des Spektakels. Der Rückzieher vom DGB wurde auch genau dementsprechend begründet: „Die Lehrlinge zeigten sich schon von den Rednern im Mai vergangenen Jahres enttäuscht und überfordert.“ Der DGB setzte auf Harmonisierung durch einlullen.
[83] Anders als die Zeitung des LAK – Bergedorf erschien die Zeitung des LAK – Barmbek zwischen 1972 und 1974 nur 4 mal mit einer Auflage von jeweils ca. 500 Exemplaren.
[84] Das Zentralorgan des SALZ „Arbeiterkampf“ wurde zum Zentralorgan des KB. Nach Auflösung des KB besteht die Zeitschrift weiter. Heute unter dem Namen „Analyse & Kritik“, oder schlicht „ak“ bekannt.
[85] Ursel Beck, „Vor 30 Jahren“,2003, veröffentlicht auf www.reds.de. Herausragend war in diesem Zusammenhang der Streik bei Ford in Köln. Die 17.000 Streik-enden wurden einer massiven Hetze der Medien ausgesetzt. BILD sprach, wegen der aktiven Beteiligung von Arbeitsmigranten am Streik vom „Türkenterror bei Ford“. Es folgte eine inszenierte Schlägerei mit Streikbrechern und anschließend ein massiver Polizeieinsatz gegen die Arbeiter, der von der Geschäftsführung und der DGB-Führung gerechtfertigt wurde. Alle „Streikführer“ (die Mitglieder des gewählten „wilden“ Rates) wurden entlassen.
[86]RKJ = Revolutionäre kommunistische Jugend. Jugendorganisation der Gruppe Internationaler Marxisten (GIM) 4. Internationale
[87]Vgl. K.H. Dellwo, in: „Nach dem bewaffneten Kampf“, Gießen 2007, S. 202. Hier schreibt er: „19. April bis 23. Mai – Hausbesetzung in der Eckhofstrasse. Das Haus wird durch das MEK-Hamburg geräumt, die während der Räumung scharf schießen. Viele Hausbesetzer bleiben zwischen mehreren Wochen und 1,5 Jahren in Haft. Mehr als ein Dutzend der Hausbesetzer schließt sich später der RAF an oder gründen eigene bewaffnete Gruppen.“
[88] Sigurd Debus gründete gemeinsam mit einigen jugendlichen Arbeitern eine solche bewaffnete Gruppe. Er stirbt im Frühjahr 1981 an den Folgen der Zwangsernährung während eines Hungerstreiks im Gefängnis. „Tattoo“-Theo Vetter verstirbt 2004 im Alter von 72 Jahren an einer Lungenembolie. Er wurde am Ende seines Lebens zur Ikone des FC – St. Pauli – Fanblocks.
[89] Debord / Kotany / Vaneigem „Über die Pariser Commune“, In: Texte der Situationistischen Internationale, Heft III., Berlin 2005, Seite 6
[90]Eine dieser neuen Anforderungen bestand zweifellos im angemessenen Erkennen der neuen Epoche des Kapitalismus, welche symbolisch am 8. Mai 1945 begann, und am 9. November 1989 ihr Ende fand.
[91] G.Dauvè / F. Martin „Niedergang und Wiederkehr der kommunistischen Bewegung“, in: Wildcat-Zirkular Nr. 52/53, 1999, S. 7
[92] Man sprach in den Medien seinerzeit ausdrücklich von der „Jugendarbeitslosigkeit“ und dem „Lehrstellenmangel“ bevor die Arbeitslosigkeit ab Anfang der 80er Jahre als generationsübergreifend wahrgenommen wurde.
[93] Auch das Auftauchen der PDS – die Linke wird daran kaum etwas ändern. Es wird ihr sicher gelingen weiter Illusionen in den Kampf um Reformen zu schüren, und sie wird in der Lage sein, die bürgerliche Linke und Teile der Arbeiterbürokratie um sich zu scharen. Ändern wird sie am historischen Kurs des Kapitals – der weltweiten Vernichtung von Produktivkräften, Produkten und Produzenten – nichts! Das wird schnell erkannt werden (siehe Regierungsbeteiligung in Berlin).
[94] Das zu verhindern ist der Grund dafür, dass seit geraumer Zeit die bürgerlichen Medien eine öffentliche Kampagne gegen die 68er Bewegung lancieren, um auch diesen Teil der Geschichte des Kapitals und seiner Klassenkämpfe in ihrem Sinne zu entsorgen. So werden die damaligen Ereignisse z.B. auf die Ideologien und Interventionen der RAF, der Kommune I. usw. zurechtgestutzt. Als hätte es, außer in den Köpfen von ein paar „Spinnern“, keine Klassenkämpfe in der BRD gegeben.