Dreizehn Thesen und einige Kommentare zur heutigen Politik

Alain Badiou

Vorwort Sunzi Bingfa: Wir teilen viele der Einschätzungen von Alain Badiou nicht, gerade in Bezug auf die Suchbewegungen der weltweiten Revolten, können jedoch nicht leugnen, dass seine Analysen der derzeitigen Situation wiederum an vielen Punkten spannend und auch zutreffend sind (auch wenn seine Verhaftung im ‘Maoismus’ unübersehbar ist, was sich nicht nur in seinen ‘Vorschlägen’ ausdrückt), sodass wir uns zur Übersetzung und Veröffentlichung entschieden haben. Es wäre ein tödlicher Luxus, sich in der jetzigen historischen Situation nicht jedem Diskurs zu stellen, der nötig ist, um Geschichte schreiben zu können. Der Beitrag erschien im Original Anfang September 2022 bei Quartier Général.

These 1. Die Konjunktur der Welt ist die der territorialen und ideologischen Hegemonie des liberalen Kapitalismus.

Kommentar. Die Offensichtlichkeit, die Banalität dieser These erübrigen mir jeden Kommentar.

These 2. Diese Hegemonie befindet sich keineswegs in einer Krise, geschweige denn in einem überfälligen Koma, sondern in einer besonders intensiven und innovativen Sequenz ihrer Entfaltung.

Kommentar. In Bezug auf die kapitalistische Globalisierung, die heute völlig hegemonial ist, gibt es zwei ebenso gegensätzliche wie falsche Thesen. Die erste ist die konservative These: Der Kapitalismus, vor allem in Verbindung mit der parlamentarischen „Demokratie“, ist die endgültige Form der wirtschaftlichen und sozialen Organisation der Menschheit. Das ist in Wahrheit das Ende der Geschichte, wie es der Essayist Fukuyama vor kurzem populär gemacht hat. Die zweite ist die linke These, die besagt, dass der Kapitalismus in seine letzte Krise eingetreten oder sogar schon tot ist.

Die erste These ist nichts anderes als die Wiederholung des ideologischen Prozesses, der Ende der 1970er Jahre von den abtrünnigen Intellektuellen der „roten Jahre“ (1965-1975) eingeleitet wurde und der darin bestand, die kommunistische Hypothese schlicht und einfach aus dem Feld der Möglichkeiten zu eliminieren. Sie ermöglichte es, die herrschende Propaganda zu vereinfachen: Es ist nicht mehr nötig, die (zweifelhaften…) Vorzüge des Kapitalismus zu preisen, sondern nur noch zu behaupten, dass die Fakten (die UdSSR, Lenin, Stalin, Mao, China, die Roten Khmer, die westlichen kommunistischen Parteien…) gezeigt haben, dass nichts anderes möglich ist, außer einem verbrecherischen „Totalitarismus“.

Angesichts dieses Urteils der Unmöglichkeit besteht die einzige Antwort darin, in der Bilanz und über die fragmentarischen Experimente des letzten Jahrhunderts hinaus die kommunistische Hypothese in ihrer Möglichkeit, ihrer Kraft und ihrer befreienden Kapazität wiederherzustellen. Dies geschieht und wird unweigerlich geschehen, und in diesem Text selbst bemühe ich mich darum.

Die beiden Formen der zweiten These – ausgebluteter oder toter Kapitalismus – stützen sich auf die Finanzkrise von 2008, die inflationären geldpolitischen Verwerfungen, die durch die Covid-19-Pandemie ausgelöst wurden, und die unzähligen Korruptionsepisoden, die täglich aufgedeckt werden. Sie kommen zu dem Schluss, dass entweder die Zeit revolutionär ist und es nur eines starken Schubs bedarf, um das „System“ zum Einsturz zu bringen (klassische Linke), oder dass ein Schritt zur Seite genügt, um sich z. B. aufs Land zurückzuziehen und dort ein nüchternes und naturbewusstes Leben zu führen, um festzustellen, dass man dann ganz neue „Lebensformen“ organisieren kann, da sich die zerstörerische kapitalistische Maschine leer in ihre endgültige Nichtigkeit dreht (ökologischer Buddhismus).

All dies hat nicht den geringsten Bezug zur Realität.

Erstens ist die Krise von 2008 eine klassische Überproduktionskrise (in den USA wurden zu viele Häuser gebaut, die auf Kredit an zahlungsunfähige Menschen verkauft wurden), deren Ausbreitung mit der nötigen Zeit einen neuen Aufschwung des Kapitalismus ermöglicht, der durch eine starke Konzentrationssequenz des Kapitals in Ordnung gebracht und angekurbelt wird, wobei die Schwachen ausgelaugt, die Starken aufgewertet und nebenbei – ein sehr wichtiger Gewinn – die „Sozialgesetze“, die aus dem Ende des Weltkriegs hervorgegangen waren, weitgehend liquidiert werden. Nach dieser schmerzhaften Neuordnung ist der „Aufschwung“ heute in Sicht. Zweitens ist die Ausdehnung des kapitalistischen Zugriffs auf große Gebiete, die intensive und extensive Diversifizierung des Weltmarkts, noch lange nicht abgeschlossen. Fast ganz Afrika, ein großer Teil Lateinamerikas, Osteuropa, Indien: alles Orte “im Übergang“, entweder Plünderungszonen oder Länder “im Aufbruch“, wo die großflächige Etablierung des Marktes dem Beispiel Japans oder Chinas folgen kann und muss.

In Wahrheit ist der Kapitalismus in seinem Wesen korrupt. Wie könnte eine kollektive Logik, deren einzige Normen „Profit über alles“ und der universelle Wettbewerb aller gegen alle sind, eine allgemeine Korruption verhindern? Die anerkannten „Fälle“ von Korruption sind lediglich Nebenschauplätze, entweder als propagandistische lokale Säuberung oder als Ergebnis einer Abrechnung zwischen rivalisierenden Cliquen.

Der moderne Kapitalismus, der Kapitalismus des Weltmarkts, der mit seinen wenigen Jahrhunderten Existenz historisch gesehen eine junge Gesellschaftsformation ist, hat gerade erst mit der Eroberung des Planeten begonnen, nach einer kolonialen Sequenz (vom 16. bis zum 20. Jahrhundert), in der die eroberten Gebiete dem begrenzten und protektionistischen Markt eines einzigen Landes unterworfen waren. Heute ist die Ausplünderung globalisiert, ebenso wie das Proletariat, das nunmehr aus jedem Land der Welt kommt.

These 3. Drei aktuelle Widersprüche wirken jedoch auf diese Hegemonie ein.

a) Die extrem entwickelte oligarchische Dimension des Kapitalbesitzes lässt immer weniger Spielraum für die Integration neuer Eigentümer in diese Oligarchie. Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer autoritären Sklerose.

b)Der Integration der Finanz- und Handelskreisläufe in einen einzigen Weltmarkt steht die Aufrechterhaltung nationaler Figuren auf der Ebene der Polizei der Massen gegenüber, die unweigerlich in Rivalität zueinander treten. Daraus ergibt sich die Möglichkeit eines planetarischen Krieges, um einen Staat entstehen zu lassen, der auch auf dem Weltmarkt eindeutig hegemonial ist.

c) Es ist heute fraglich, ob das Kapital in seiner gegenwärtigen Entwicklungsphase in der Lage ist, die Arbeitskraft der gesamten Weltbevölkerung zu verwerten. Daher besteht die Gefahr, dass sich auf globaler Ebene eine Masse von Menschen bildet, die völlig mittellos und damit politisch gefährlich ist.

Kommentar.

a) Wir sind – und die Konzentration geht weiter – an dem Punkt angelangt, an dem 264 Menschen das Äquivalent dessen besitzen, was drei Milliarden andere Menschen besitzen. Hier in Frankreich besitzen 10 % der Bevölkerung deutlich mehr als 50 % des Gesamtvermögens. Dies sind Eigentumskonzentrationen, die im globalen Maßstab ohne vergleichbaren Präzedenzfall sind. Und sie sind noch lange nicht abgeschlossen. Sie haben eine monströse Seite, die ihnen natürlich keine ewige Dauer garantiert, die aber der kapitalistischen Entfaltung innewohnt und sogar ihre Haupttriebfeder ist.

b) Die Hegemonie der USA wird zunehmend untergraben. China und Indien verfügen zusammen über 40% der weltweiten Arbeiterschaft. Das deutet auf eine verheerende Deindustrialisierung im Westen hin. Tatsächlich machen die Arbeiter in den USA nur noch 7 % der gesamten Arbeitnehmermasse aus, in Europa noch weniger. Aus diesen Gegensätzen ergibt sich, dass in der Weltordnung, die aus militärischen und finanziellen Gründen immer noch von den USA dominiert wird, Rivalen auftauchen, die ihren Anteil an der Souveränität über den Weltmarkt haben wollen. Die Auseinandersetzungen haben bereits begonnen, im Nahen Osten, in Afrika und im Chinesischen Meer. Sie werden weitergehen. Krieg ist der Horizont dieser Situation, wie das letzte Jahrhundert mit zwei Weltkriegen und unaufhörlichem kolonialem Töten gezeigt hat und wie es gerade heute der Krieg in der Ukraine bestätigt.

c) Schon heute gibt es wahrscheinlich zwischen zwei und drei Milliarden Menschen, die keine Eigentümer sind, keine landlosen Bauern, keine kleinbürgerlichen Angestellten oder Arbeiter. Sie wandern auf der Suche nach einem Ort zum Leben durch die Welt und bilden ein nomadisches Proletariat, das, wenn es politisiert wird, zu einer sehr großen Bedrohung für die etablierte Ordnung werden würde.

These 4. In den letzten zehn Jahren gab es zahlreiche und manchmal kraftvolle Bewegungen, die sich gegen diesen oder jenen Aspekt der Hegemonie des liberalen Kapitalismus auflehnten. Aber sie sind auch wieder abgeklungen, ohne dem herrschenden Kapitalismus größere Probleme zu bereiten.

Kommentar. Es gab vier Arten von Bewegungen.

1. Kurze und lokal begrenzte Unruhen. Es gab heftige, wilde Unruhen in den Vororten von Großstädten, z. B. in London oder Paris, die in der Regel auf die Tötung von Jugendlichen durch die Polizei zurückzuführen waren. Diese Unruhen fanden entweder keine breite Unterstützung in einer verängstigten Öffentlichkeit und wurden gnadenlos niedergeschlagen, oder es folgten große „humanitäre“ Mobilisierungen, die sich auf die Gewalt der Polizei konzentrierten und weitgehend entpolitisiert waren in dem Sinne, dass kein Wort über die genaue Natur dieser Ausschreitungen und den Profit, den die bürgerliche Herrschaft letztlich daraus zieht, verloren wurde.

2. Dauerhafte Aufstände, aber ohne organisatorische Gestaltung. Andere Bewegungen, insbesondere in der arabischen Welt, waren sozial viel breiter aufgestellt und dauerten lange Wochen. Sie nahmen die kanonische Form von Platzbesetzungen an. Sie wurden in der Regel durch die Versuchung der Wahlen limitiert. Der typischste Fall ist Ägypten: eine sehr große Bewegung, scheinbarer Erfolg der negativen vereinigenden Parole „Mubarak verschwinde“ – Mubarak verlässt die Macht, er wird sogar verhaftet -, lange Zeit Unmöglichkeit der Polizei, den Platz zurückzuerobern, ausdrückliche Einheit von koptischen Christen und Muslimen, scheinbare Neutralität der Armee… Aber natürlich gewann bei den Wahlen die Partei, die in den Volksmassen präsent ist – und in der Bewegung kaum präsent war -, nämlich die Muslimbrüder. Der aktivste Teil der Bewegung stellt sich gegen die neue Regierung und ebnet damit den Weg für eine Intervention der Armee, die einen General namens Al Sissi an die Macht bringt. Dieser ging gnadenlos gegen alle Oppositionellen vor, zuerst gegen die Muslimbrüder, dann gegen die jungen Revolutionäre, und setzte im Grunde genommen das alte Regime wieder ein, wenn auch in einer noch schlimmeren Form als zuvor. Der zirkuläre Charakter dieser Episode ist besonders auffällig.

3. Bewegungen, die zur Schaffung einer neuen politischen Kraft führen. In einigen Fällen konnte die Bewegung die Bedingungen für die Entstehung einer neuen politischen Kraft schaffen, die sich von den üblichen parlamentarischen Kräften unterschied. Dies war in Griechenland, wo die Unruhen besonders zahlreich und hart gewesen waren, mit Syriza und in Spanien mit Podemos der Fall. Diese Kräfte haben sich selbst im parlamentarischen Konsens aufgelöst. In Griechenland hat sich die neue Macht mit Tsipras ohne nennenswerten Widerstand den Anordnungen der Europäischen Kommission gebeugt und das Land wieder auf den Weg endloser Sparmaßnahmen gebracht. In Spanien hat sich Podemos ebenfalls in das Spiel der Kombinationsmöglichkeiten, ob Mehrheits- oder Oppositionsparteien, verstrickt. Keine Spur von wahrhaftiger Politik konnte aus diesen organisatorischen Schöpfungen hervorgehen.

4. Bewegungen von relativ langer Dauer, aber ohne nennenswerte positive Auswirkungen. In einigen Fällen hat das Fehlen politischer Innovation, abgesehen von einigen klassischen taktischen Episoden (wie das „Aushebeln“ klassischer Demonstrationen durch Gruppen, die so ausgerüstet sind, dass sie sich für einige Minuten mit der Polizei anlegen können), dazu geführt, dass auf globaler Ebene die Figur der konservativen Reaktion erneuert wurde. Dies gilt zum Beispiel für die USA, wo der dominierende Gegeneffekt von „Occupy Wall Street“ die Machtübernahme durch Trump ist, oder auch für Frankreich, wo der Saldo von „Nuit debout“ Macron ist. Besagter Macron war übrigens etwas später das einzige Ziel der typisch kleinbürgerlichen Bewegung „Gelbwesten“. Wie bei allen Bewegungen dieser Art, deren Führer alle offen gegen die Abschaffung des bürgerlichen Eigentums sind und in Wirklichkeit eine stärkere staatliche Unterstützung dieses Eigentums wünschen, betraf das Ergebnis nur den staatlichen Formalismus, und ihr einziges Ziel war Präsident Macron. Das großartige Ergebnis, das den Streichen und Tricks, die das parlamentarische System für seine Kunden bereithält, durchaus würdig ist, war schließlich … die Wiederwahl dieses Macarons!

These 5. Die Ursache für diese Ohnmacht ist in diesen Bewegungen des letzten Jahrzehnts die Abwesenheit von Politik oder sogar die Feindseligkeit gegenüber der Politik, in verschiedenen Formen und erkennbar an einer Reihe von Symptomen. Unterhalb dieser negativen Affekte findet man in der Tat eine ständige Unterwerfung unter das Wahlritual unter dem trügerischen Namen „Demokratie“.

Kommentar. Als Zeichen einer extrem schwachen politischen Subjektivität sind insbesondere zu nennen:

1. Ausschließlich negative, einigende Parolen: „gegen“ dies oder jenes, „Mubarak hau ab“, „nieder mit der Oligarchie der 1%“, „lehnen wir das Arbeitsgesetz ab“, „niemand mag die Polizei“ etc.

2. Das Fehlen einer umfassenden Zeitlichkeit: Sowohl in Bezug auf die Kenntnis der Vergangenheit, die in den Bewegungen praktisch nicht vorhanden ist, abgesehen von einigen Karikaturen, und für die keine erfinderische Bilanz vorgeschlagen wird, als auch in Bezug auf die Projektion in die Zukunft, die sich auf abstrakte Überlegungen zur Befreiung oder Emanzipation beschränkt.

3. Eine stark vom Gegner entlehnte Terminologie. Dies gilt vor allem für besonders zweideutige Kategorien wie „Demokratie“ oder den Rückgriff auf die Kategorie „Leben“, „unser Leben“, die lediglich eine ineffiziente Anwendung existenzieller Kategorien in der kollektiven Aktion darstellt.

4. Eine blinde Verehrung des „Neuen“ und eine Verachtung etablierter Wahrheiten. Dieser Punkt ist eine direkte Folge der kommerziellen Anbetung der „Neuheit“ von Produkten und der ständigen Überzeugung, dass man etwas „anfängt“, was in der Realität aber schon oft stattgefunden hat. Gleichzeitig verhindert dies, dass man aus der Vergangenheit lernt, den Mechanismus struktureller Wiederholungen versteht und verleitet dazu, auf falsche „Modernitäten“ hereinzufallen.

5. Eine absurde Zeitskala. Dieser Maßstab, der dem marxistischen Kreislauf „Geld, Ware, Währung“ nachempfunden ist, geht davon aus, dass Probleme wie das Privateigentum oder die pathologische Konzentration des Reichtums, die seit Jahrtausenden ungelöst sind, innerhalb weniger Wochen „Bewegung“ behandelt oder gar gelöst werden. Die Weigerung, zu berücksichtigen, dass ein Großteil der kapitalistischen Moderne nur aus einer modernen Version des Tripels „Familie, Privateigentum, Staat“ besteht, das vor einigen tausend Jahren, seit der neolithischen „Revolution“, eingeführt wurde. Und dass die kommunistische Logik, was die zentralen Probleme betrifft, die sie ausmachen, auf der Ebene der Jahrhunderte angesiedelt ist.

6. Ein nicht tiefgründiges Verständnis des Staates. Hier geht es um eine ständige Unterschätzung der Ressourcen des Staates im Vergleich zu den Ressourcen, über die diese oder jene „Bewegung“ verfügt, sowohl in Bezug auf die bewaffnete Kraft als auch auf die Korruptionsfähigkeit. Unterschätzt wird insbesondere die Wirksamkeit der „demokratischen“ Korruption, deren Symbol der Wahlparlamentarismus ist, sowie das Ausmaß der ideologischen Dominanz dieser Korruption in Richtung der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung.

7. Eine Kombination unterschiedlicher Mittel ohne jegliche Bilanz ihrer fernen oder nahen Vergangenheit. Aus den Methoden, die zumindest seit mindestens den „Roten Jahren“ (1965-1975), wenn nicht sogar seit zwei Jahrhunderten angewandt werden, wie Fabrikbesetzungen, Gewerkschaftsstreiks, legale Demonstrationen, die Bildung von Gruppen, deren Ziel es ist, eine lokale Konfrontation mit der Polizei zu ermöglichen, das Stürmen von Gebäuden, das Festhalten von Bossen in Fabriken … werden keine Schlussfolgerungen gezogen, die weithin populär gemacht werden könnten, ebenso wenig wie aus ihren statischen Symmetriken: Zum Beispiel auf von Menschenmassen überfüllten Plätzen, lange und sich wiederholende hyperdemokratischen Versammlungen, bei denen jeder, unabhängig von seinen Ideen und sprachlichen Ressourcen, aufgefordert wird, drei Minuten zu sprechen, und bei denen es letztlich nur darum geht, die Wiederholung dieser Übung vorherzusehen.

These 6. Man sollte sich an die wichtigsten Erfahrungen der nahen Vergangenheit erinnern und über ihre Misserfolge meditieren.

Kommentar. Von den Roten Jahren bis heute.

Der Kommentar zu These 5 erscheint zweifellos sehr polemisch, ja sogar pessimistisch und deprimierend, vor allem für junge Menschen, die sich zu Recht eine Zeit lang für alle Formen von Aktionen begeistern können, deren kritische Überprüfung ich fordere. Man wird diese Kritik verstehen, wenn man sich daran erinnert, dass ich persönlich im Mai 68 und seinen Nachwirkungen ganz ähnliche Dinge erlebt und mit Begeisterung mitgemacht habe, und dass ich sie lange genug verfolgen konnte, um ihre Schwächen zu erkennen. Ich habe dann das Gefühl, dass die neueren Bewegungen sich darin erschöpfen, unter dem Siegel des Neuen wohlbekannte Episoden dessen zu wiederholen, was man die „Lehren“ der Mai-68-Bewegung nennen kann, unabhängig davon, ob diese Lehren aus der klassischen Linken oder aus jener anarchistischen Ultralinken stammt, die auf ihre Weise bereits von „Lebensformen“ sprach und deren Aktivisten wir als „Anarcho-Desirants“ bezeichneten.

Im Jahr 68 gab es eigentlich vier verschiedene Bewegungen.

1. Eine Revolte der studentischen Jugend.

2. Eine Revolte der jungen Arbeiter in den großen Fabriken.

3. Ein gewerkschaftlicher Generalstreik, der versucht, die beiden vorherigen Revolten zu kontrollieren.

4. Das Auftreten, oft unter dem Namen „Maoismus“ – mit vielen rivalisierenden Organisationen – eines Versuchs einer neuen Politik, dessen Prinzip darin bestand, eine vereinigende Diagonale zwischen den ersten beiden Revolten zu ziehen, indem man sie mit einer ideologischen und kämpferischen Kraft ausstattete, die ihnen eine echte politische Zukunft zu garantieren schien. Tatsächlich dauerte dies mindestens ein Jahrzehnt lang an. Die Tatsache, dass sich das Ganze nicht im historischen Maßstab stabilisiert hat (was ich gerne anerkenne), darf nicht dazu führen, dass wir das wiederholen, was dort stattgefunden hat, ohne überhaupt zu wissen, dass wir es wiederholen.

Erinnern wir uns einfach daran, dass bei den Wahlen im Juni 1968 eine Mehrheit zustande kam, die so reaktionär war, dass man sagen konnte, dass es sich um die „horizonblaue“ Mehrheit am Ende des Ersten Weltkriegs handelte. Das Endergebnis der Wahlen im Mai/Juni 2017 mit seinem überwältigenden Sieg von Macron, einem ausgemachten Diener des globalisierten Großkapitals, muss uns zu denken geben, was an all dem wiederholbar ist. Und das umso mehr, als der identische Macron 2022 wiedergewählt wurde…

These 7. Eine bewegungsinterne Politik muss fünf Merkmale aufweisen, die sich auf Parolen, Strategie, Wortschatz, ein Prinzip und eine klare taktische Vision beziehen.

Kommentar.

1. Die wichtigsten Parolen sollten affirmativ sein, eine positive Entschlossenheit vorschlagen und nicht in der Klage und der Denunziation verharren. Dies gilt selbst um den Preis einer internen Spaltung, sobald die negative Eindeutigkeit verlassen wird.

2. Parolen müssen strategisch begründet werden. Das bedeutet: genährt von einem Wissen über frühere Stadien des Problems, das die Bewegung auf die Tagesordnung gesetzt hat.

3. Die verwendete Lexik muss kontrolliert und kohärent sein. Zum Beispiel: „Kommunismus“ ist heute unvereinbar mit „Demokratie“; „Gleichheit“ ist unvereinbar mit „Freiheit“; jede positive Verwendung von identitätsbezogenen Vokabeln wie „französisch“ oder „internationale Gemeinschaft“ oder „islamistisch“ oder „Europa“ muss geächtet werden, ebenso wie psychologische Vokabeln wie „Wunsch“, „Leben“, „Person“ sowie alle Vokabeln, die mit etablierten staatlichen Bestimmungen verbunden sind, wie „Bürger“, „Wähler“ und so weiter.

4. Ein Prinzip, das, was ich eine „Idee“ nenne, muss ständig mit der Situation konfrontiert werden, insofern es vor Ort eine nicht-kapitalistische systemische Möglichkeit in sich trägt.

An dieser Stelle muss Marx zitiert werden, der den singulären Aktivisten in seiner Art der Präsenz in den Bewegungen definiert: „Die Kommunisten unterstützen in jedem Land jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehende soziale und politische Ordnung. In allen diesen Bewegungen stellen sie die Eigentumsfrage, auf welcher Stufe der Entwicklung sie auch immer angelangt sein mag, als die Grundfrage der Bewegung in den Vordergrund.“

5. Taktisch muss die Bewegung immer so nah wie möglich an einen Organismus herangeführt werden, der in der Lage ist, sich zu versammeln, um effektiv über seine eigene Perspektive und das, von dem aus er die Situation beleuchtet und beurteilt, zu diskutieren.

Der politische Aktivist, wie Marx sagt, ist Teil der allgemeinen Bewegung, er trennt sich nicht von ihr. Aber er unterscheidet sich nur durch seine Fähigkeit, die Bewegung in eine Gesamtperspektive einzuordnen, von dort aus zu prognostizieren, was der nächste Schritt sein soll, und in diesen beiden Punkten unter dem Deckmantel der Einheit keine Zugeständnisse an konservative Auffassungen zu machen, die subjektiv durchaus auch eine große Bewegung beherrschen können. Die Erfahrung von Revolutionen zeigt, dass die entscheidenden politischen Momente in der Form liegen, die der Versammlung am nächsten kommt, nämlich in der Versammlung, in der die zu treffende Entscheidung von Rednern beleuchtet wird, die auch gegeneinander antreten können.

These 8. Die Politik ist mit einer eigenen Dauer des Geistes der Bewegungen aufgeladen, die der Zeitlichkeit der Staaten gerecht wird, und nicht einfach eine negative Episode ihrer Herrschaft ist. Ihre allgemeine Definition besteht darin, dass sie in den verschiedenen Teilen des Volkes und auf möglichst großer Ebene eine Diskussion über die Losungen organisiert, die sowohl die der ständigen Propaganda als auch die der künftigen Bewegungen sein müssen. Die Politik bildet den allgemeinen Rahmen für diese Diskussionen: Es handelt sich um die Behauptung, dass es heute zwei Wege für die allgemeine Organisation der Menschheit gibt, den kapitalistischen und den kommunistischen Weg. Der erste ist nur die zeitgenössische Form dessen, was seit der neolithischen Revolution vor einigen tausend Jahren existiert. Der zweite schlägt eine zweite, globale, systemische Revolution in der Zukunft der Menschheit vor. Sie schlägt vor, das neolithische Zeitalter zu überwinden.

Kommentar. In diesem Sinne besteht Politik darin, durch breite Diskussionen die Parole, die in der Situation die Existenz dieser beiden Wege kristallisiert, lokal zu verorten. Diese Losung kann als lokale Losung nur aus der Erfahrung der betroffenen Massen hervorgehen. Hier lernt die Politik, was den effektiven Kampf für den kommunistischen Weg, wie auch immer er aussehen mag, lokal existieren lassen kann. Von diesem Standpunkt aus ist die Triebfeder der Politik nicht unmittelbar die antagonistische Konfrontation, sondern die kontinuierliche, situative Untersuchung von Ideen, Losungen und Initiativen, die geeignet sind, lokal die Existenz zweier Wege zu beleben, von denen der eine die Erhaltung dessen ist, was vorhanden ist, der andere seine vollständige Umwandlung nach egalitären Prinzipien, die die neue Losung kristallisieren wird. Der Name dieser Tätigkeit lautet: „Massenarbeit“. Das Wesen der Politik, außerhalb der Bewegung, ist die Massenarbeit.

These 9. Politik wird mit Menschen aus allen Teilen der Welt gemacht. Sie kann nicht akzeptieren, sich den verschiedenen Formen der sozialen Segregation zu beugen, die vom Kapitalismus organisiert werden.

Kommentar. Dies bedeutet insbesondere für die intellektuelle Jugend, die immer eine entscheidende Rolle bei der Entstehung neuer Politiken gespielt hat, die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Weges zu anderen sozialen Schichten, insbesondere zu den Ärmsten, wo die Auswirkungen des Kapitalismus am verheerendsten sind. Unter den gegenwärtigen Bedingungen muss in unseren Ländern wie auch weltweit dem großen Nomadenproletariat Vorrang eingeräumt werden, das wie einst die Bauern aus der Auvergne oder der Bretagne in ganzen Wellen unter größten Risiken ankommt und versucht, hier als Arbeiter zu überleben, da es dort als landlose Bauern nicht mehr möglich ist. Die Methode in diesem wie in allen anderen Fällen ist die geduldige Untersuchung vor Ort: Märkte, Städte, Heime, Fabriken, die Organisation von Versammlungen, selbst wenn sie anfangs sehr klein sind, die Festlegung von Losungen, ihre Verbreitung, die Erweiterung der Arbeitsbasis, die Konfrontation mit den verschiedenen lokalen konservativen Kräften usw. Die Methode ist die der „Arbeiterbewegung“, die sich in der Regel auf die „Arbeiterbewegung“ konzentriert. Dies ist eine spannende Aufgabe, sobald man weiß, dass aktive Hartnäckigkeit der Schlüssel dazu ist. Ein wichtiger Schritt ist die Organisation von Schulen, um das Wissen über die weltweite Geschichte des Zwei-Wege-Kampfes, seine Erfolge und aktuellen Sackgassen zu verbreiten.

Was von den zu diesem Zweck nach dem Mai ’68 entstandenen Organisationen getan wurde, kann und muss wiederholt werden. Wir müssen die von mir erwähnte politische Diagonale wiederherstellen, die heute immer noch eine Diagonale zwischen der Jugendbewegung, einigen Intellektuellen und dem Nomadenproletariat ist. Hier und da wird bereits daran gearbeitet. Es ist die einzige wirklich politische Aufgabe der Gegenwart.

Was sich in Frankreich geändert hat, ist die Deindustrialisierung der Vororte der Großstädte. Dort liegt im Übrigen die Arbeiter-Ressource der extremen Rechten. Sie muss vor Ort bekämpft werden, indem man erklärt, warum und wie innerhalb weniger Jahre zwei Generationen von Arbeitern geopfert wurden, und indem man gleichzeitig, so weit wie möglich, den gegenteiligen Prozess untersucht, nämlich die industrialisierte extreme Gewalt der Arbeitswelt in Asien. Die Arbeit mit den Arbeitern von damals und heute ist unmittelbar international, auch hier. In dieser Hinsicht wäre es äußerst interessant, eine Zeitung der Arbeiter der Welt zu erstellen und zu verbreiten.

These 10. Heute gibt es keine echte politische Organisation mehr. Die Aufgabe besteht also darin, dafür zu sorgen, wie sie wieder aufgebaut werden kann.

Kommentar. Eine Organisation ist dafür zuständig, Untersuchungen durchzuführen, die Massenarbeit und die daraus hervorgegangenen lokalen Losungen zu synthetisieren, um sie in einen übergeordneten Blickwinkel einzuordnen, die Bewegungen zu bereichern und dafür zu sorgen, dass ihre Auswirkungen über einen längeren Zeitraum gehalten werden. Eine Organisation wird nicht nach ihrer Form und ihren Verfahren beurteilt, wie man einen Staat beurteilt, sondern nach ihrer kontrollierbaren Fähigkeit, das zu tun, womit sie beauftragt ist. Wir können hier eine Formulierung Maos aufgreifen: Eine Organisation ist das, von dem man sagen kann, dass es „den Massen in einer bestimmten Form zurückgibt, was es von ihnen in einer noch unklaren Form erhalten hat“.

These 11. Die klassische Parteiform ist heute dem Untergang geweiht, weil sie sich selbst definiert hat, nicht durch ihre Fähigkeit, das zu tun, was These 9 besagt, nämlich Massenarbeit, sondern durch ihren Anspruch, die Arbeiterklasse oder das Proletariat zu „repräsentieren“.

Kommentar. Wir müssen mit der Logik der Repräsentation in all ihren Formen brechen. Die politische Organisation muss eine instrumentelle und keine repräsentative Definition haben. Außerdem bedeutet „Repräsentation“ die „Identität dessen, was repräsentiert wird“. Identitäten müssen jedoch aus dem politischen Feld ausgeschlossen werden.

These 12. Die Beziehung zum Staat ist, wie wir gerade gesehen haben, nicht das, was die Politik definiert. In diesem Sinne findet Politik „auf Distanz“ zum Staat statt. Strategisch gesehen muss der Staat jedoch zerschlagen werden, weil er der universelle Wächter des kapitalistischen Weges ist, insbesondere weil er die Polizei des Rechts auf Privateigentum an den Produktions- und Tauschmitteln ist. Wie die chinesischen Revolutionäre während der Kulturrevolution sagten, muss man „mit dem bürgerlichen Recht brechen“. Folglich ist politisches Handeln im Hinblick auf den Staat eine Mischung aus Distanz und Negativität. Das Ziel ist in Wirklichkeit, dass der Staat allmählich von einer feindlichen Meinung und von politischen Orten, die ihm fremd geworden sind, umzingelt wird.

Kommentar. Die historische Bilanz dieses Falls ist sehr komplex. Beispielsweise hat die Russische Revolution von 1917 sicherlich mehrere Dinge miteinander kombiniert, eine breite Feindseligkeit gegenüber dem zaristischen Regime, auch auf dem Land aufgrund des Krieges, eine intensive und langjährige ideologische Vorbereitung, insbesondere in den intellektuellen Schichten, Arbeiterrevolten, die zu echten Massenorganisationen, den sogenannten Sowjets, führten, Soldatenaufstände, wobei dank der Bolschewiki eine solide, vielfältige Organisation existierte, die in der Lage war, Versammlungen mit Rednern abzuhalten, die aufgrund ihrer Überzeugung und ihres didaktischen Talents führend waren. All dies spielte sich in siegreichen Aufständen und einem schrecklichen Bürgerkrieg ab, den das revolutionäre Lager trotz massiver ausländischer Intervention schließlich gewann. Die chinesische Revolution nahm einen völlig anderen Verlauf: ein langer Marsch durch die ländlichen Gebiete, die Bildung von Volksversammlungen, eine echte Rote Armee, die dauerhafte Besetzung eines abgelegenen Gebiets im Norden des Landes, in dem die Land- und Produktionsreform erprobt und gleichzeitig die Armee gestärkt wurde – all diese Prozesse dauerten etwa dreißig Jahre. Darüber hinaus kam es in China anstelle des stalinistischen Terrors der 1930er Jahre zu einem Massenaufstand von Studenten und Arbeitern gegen die Aristokratie der Kommunistischen Partei. Diese beispiellose Bewegung, die als ‘Proletarische Kulturrevolution’ bezeichnet wird, ist für uns das letzte Beispiel für eine Politik der direkten Konfrontation mit den Figuren der Staatsmacht. Nichts davon lässt sich auf unsere Situation übertragen. Aber eine Lehre zieht sich durch dieses ganze Abenteuer: Der Staat, in welcher Form auch immer, kann auf keinen Fall die Politik der Emanzipation repräsentieren oder definieren.

Die vollständige Dialektik jeder wahren Politik besteht aus vier Termini:

1. Die strategische Idee des Kampfes zwischen den beiden Wegen, dem kommunistischen und dem kapitalistischen. Dies nannte Mao die „ideologische Vorbereitung der Meinung“, ohne die, wie er sagte, revolutionäre Politik unmöglich ist.

2. Die lokale Investition dieser Idee oder dieses Prinzips durch die Organisation in Form von Massenarbeit. Dezentralisierte Verbreitung von allem, was aus dieser Arbeit in Form von Losungen und siegreichen praktischen Erfahrungen hervorgeht.

3. Volksbewegungen in Form von historischen Ereignissen, innerhalb derer die politische Organisation sowohl an ihrer ablehnenden Einheit als auch an der Verfeinerung ihrer bejahenden Bestimmung arbeitet.

4. Der Staat, dessen Macht durch Konfrontation oder Einkreisung gebrochen werden muss, wenn es sich um die Macht der kapitalistischen Machthaber handelt. Und wenn er aus dem kommunistischen Weg hervorgegangen ist, muss er absterben, notfalls mit den revolutionären Mitteln, die die chinesische Kulturrevolution in einem fatalen Durcheinander skizziert hat.

Die zeitgemäße Anordnung dieser vier Begriffe in der Praxis zu erfinden, ist das gleichzeitig praktische und theoretische Problem unserer Zeit.

These 13. Die Situation des zeitgenössischen Kapitalismus beinhaltet eine Art Abkopplung zwischen der Globalisierung des Marktes und dem noch weitgehend nationalen Charakter der polizeilichen und militärischen Kontrolle der Bevölkerung. Anders ausgedrückt: Es gibt eine Kluft zwischen der wirtschaftlichen Disposition der Verhältnisse, die global ist, und ihrem notwendigen staatlichen Schutz, der nach wie vor national ist. Der zweite Aspekt lässt die imperialistischen Rivalitäten in anderen Formen wieder aufleben. Trotz dieser veränderten Form steigt die Gefahr eines Krieges. In weiten Teilen der Welt herrscht bereits Krieg. Die Aufgabe der künftigen Politik wird es auch sein, wenn möglich, einen totalen Krieg zu verhindern, der diesmal die Existenz der Menschheit aufs Spiel setzen könnte. Man könnte auch sagen, dass die historische Wahl lautet: Entweder die Menschheit bricht mit dem Kapitalismus als zeitgenössischem Neolithikum und leitet auf globaler Ebene ihre kommunistische Phase ein; oder sie bleibt in ihrer neolithischen Phase und ist sehr stark gefährdet, in einem Atomkrieg zugrunde zu gehen.

Kommentar. Heute versuchen die Großmächte einerseits, an der Stabilität der Geschäfte auf globaler Ebene zusammenzuwirken, insbesondere durch den Kampf gegen den Protektionismus, andererseits kämpfen sie aber auch unterschwellig um ihre Hegemonie. Das Ergebnis ist das Ende der direkt kolonialen Praktiken, wie sie Frankreich oder England im 19. Jahrhundert praktiziert haben, d. h. die militärische und administrative Besetzung ganzer Länder. Ich schlage vor, die neue Praxis Zonierung zu nennen: In ganzen Gebieten (Irak, Syrien, Libyen, Afghanistan, Nigeria, Mali, Zentralafrika, Kongo …) werden die Staaten zerschlagen, vernichtet, und das Gebiet wird zu einer Plünderzone, die bewaffneten Banden wie allen kapitalistischen Raubtieren der Welt offen steht. Oder der Staat besteht aus Geschäftsmännern, die durch tausend Verstrickungen mit den großen Konzernen des Weltmarkts verbunden sind. Die Rivalitäten verflechten sich in riesigen Gebieten mit ständig wechselnden Machtverhältnissen. Unter diesen Bedingungen würde ein unkontrollierter militärischer Zwischenfall genügen, um plötzlich am Rande eines Krieges zu stehen. Die Blöcke sind bereits vorgezeichnet: die USA und ihre „westlich-japanische“ Clique auf der einen Seite, China und Russland auf der anderen, Atomwaffen überall. Wir können dann nur an Lenins Satz erinnern: „Entweder wird die Revolution den Krieg verhindern, oder der Krieg wird die Revolution herbeiführen.“

So könnte man das höchste Ziel der künftigen politischen Arbeit definieren: Dass zum ersten Mal in der Geschichte die erste Hypothese – die Revolution wird den Krieg verhindern – und nicht die zweite – der Krieg wird die Revolution herbeiführen – Wirklichkeit wird. Es war tatsächlich die zweite Hypothese, die sich in Russland im Kontext des Ersten Weltkriegs und in China im Kontext des Zweiten Weltkriegs materialisiert hat. Aber zu welchem Preis! Und mit welchen langfristigen Folgen!

Hoffen wir, handeln wir. Jeder, überall, kann damit beginnen, echte Politik im Sinne dieses Textes zu machen. Und seinerseits in seinem Umfeld darüber sprechen, was er getan hat. So fängt alles an.