Hakim Bey
Aus naheliegenden Gründen veröffentlichen wir an dieser Stelle einen Auszug aus dem Manifest “Die Temporäre Autonome Zone” von Hakim Bey, das 1994 in der deutschen Übersetzung bei Edition ID Archiv erschien. Für alle, die jenseits von Wahlen, Volksbegehren und ohnmächtigen im Bullenkessel Umherwandern noch eine subversive Welt zu imaginieren in der Lage sind. Das Buch ist, wie fast alle aus der ID Archiv, komplett online gestellt worden. Ihr findet es hier. Sunzi Bingfa
Wie kommt es, daß die »umgewälzte Welt« sich immer wieder ins Rechte zu setzen vermag? Warum folgt der Revolution stets Reaktion – wie die Jahreszeiten in der Hölle?
Aufstand oder Insurrektion sind Wörter, mit denen Historiker gescheiterte Revolutionen oder Bewegungen bezeichnen, die nicht dem erwarteten Schema folgen, der konsentierten Abfolge: Revolution, Reaktion, Verrat, Gründung eines stärkeren und noch repressiveren Staates – das Räderwerk, die stetige Wiederholung der Geschichte in ihrer niedrigsten Form: für immer den Stiefel im Gesicht der Menschlichkeit.
Durch das Scheitern, diesem Schema zu folgen, verweist der Aufstand auf die Möglichkeit einer Bewegung außerhalb und jenseits der hegelianischen Spirale des »Fortschritts«, die eigentlich nichts anderes als ein circulus vitiosus ist. Der Slogan »Revolution!« ist von einem Signal zu einem Gift mutiert, einer malignen pseudo-gnostischen Schicksalsfalle, einem Alptraum, wobei – wie immer wir auch kämpfen – wir diesem finsteren Äon, diesem Inkubus Staat, einem Staat nach dem anderen niemals entkommen und jeder »Himmel« von einem weiteren noch schlimmeren Engel regiert wird.
Wenn Geschichte »Zeit« IST, was sie zu sein beansprucht, dann ist der Aufstand ein Moment, der in die Zeit hinein- und aus ihr herausbricht, den »Lauf« der Geschichte unterbricht. Wenn der Staat Geschichte IST, was zu sein er beansprucht, dann ist die Insurrektion der verbotene Augenblick, eine unverzeihliche Leugnung der Dialektik – ein verrückter Tanz, der Zauber eines Schamanen an einer »unmöglichen Stelle« im Universum.
Geschichte lehrt, daß die Revolution »permanent«, zumindest aber von Dauer ist, während der Aufstand sich »temporär« ereignet. In diesem Sinne ist ein Aufstand wie ein »Erlebnishöhepunkt« – im Gegensatz zu »gewöhnlichem« Bewußtsein und Erleben. Aufstände können nicht wie Festivals jeden Tag stattfinden – sonst wären sie nicht »ungewöhnlich«. Solche Momente aber geben der Gesamtheit des Lebens Gestalt und Bedeutung. Der Schamane kehrt zurück – aber es haben Veränderungen stattgefunden, ein Unterschied ist gemacht.
Du wirst sagen, dies sei ein Rat der Verzweiflung. Was ist mit dem anarchistischen Traum, dem staatenlosen Zustand, der Commune, der autonomen Zone von Dauer, einer freien Gesellschaft, einer freien Kultur? Müssen wir diese Hoffnung für irgendeinen existentialistischen acte gratuit aufgeben? Du wirst sagen, es geht nicht um die Veränderung des Bewußtseins, sondern um die Veränderung der Welt.
Ich akzeptiere dies als berechtigte Kritik. Ich erlaube mir allerdings zwei Einwürfe. Erstens: Durch Revolution ist dieser Traum nie verwirklicht worden. Die Vision entsteht im Moment des Aufstandes – aber sobald »die Revolution« triumphiert und der Staat wiederersteht, sind Traum und Ideal bereits verraten. Ich habe weder die Hoffnung auf oder gar die Erwartung von Veränderung aufgegeben – aber ich misstraue dem Wort Revolution. Zweitens: Selbst wenn wir statt des revolutionären Vorgehens ein Konzept der spontan in anarchistische Kultur übergehenden Insurrektion verfolgten, so ist doch unsere historische Situation für ein solches Unterfangen nicht besonders günstig. Nichts als ein sinnloses Märtyrertum wäre womöglich die Folge einer direkten Konfrontation mit dem Sicherheitsstaat, dem Informationsstaat der Megakonzerne, dem Imperium des Spektakels und der Simulation. Seine Gewehre sind sämtlich auf uns gerichtet, während unsere bescheidenen Waffen kein Ziel finden außer Hysterese, einer Leere, einem Gespenst, das in einem Ektoplasma der Information jeden Funken zum Erlöschen bringen kann, einer Gesellschaft der Kapitulation, die dem Bild des Cop und dem verschlingenden TV-Schirm unterliegt.
Kurz, wir preisen die Temporäre Autonome Zone (TAZ) nicht als exklusiven Selbstzweck, wodurch alle anderen Formen der Organisation, Taktiken und Ziele ersetzt werden könnten. Wir empfehlen sie, weil ihr die vorwärtstreibende Intensität, die mit dem Aufstand assoziiert wird, eigen ist, ohne notwendigerweise zu Gewalt und Märtyrertum zu führen.
Die TAZ ist wie ein Aufstand, der nicht zur direkten Konfrontation mit dem Staat führt, wie eine Operation einer Guerilla, die ein Gebiet (Land, Zeit, Imagination) befreit und sich dann auflöst, um sich irgendwo/irgendwann zu reformieren, bevor der Staat sie zerschlagen kann. Da dem Staat primär an Simulation denn an Substanz gelegen ist, kann die TAZ diese Gebiete klandestin »besetzen« und eine ganze Weile in Ruhe ihren freudigen Zwecken nachgehen. Bestimmte kleine TAZen haben ewig existiert, da sie unbemerkt blieben, wie etwa Hillbilly-Enklaven – da sie sich nie mit dem Spektakel kreuzten, niemals jenseits jenes realen Lebens erschienen, das den Agenten der Simulation unsichtbar ist.
Babylon hält seine Abstraktionen für Realitäten; genau in diesem Bereich des Irrtums kann die TAZ existent werden. Die TAZ lebendig werden lassen, kann Taktiken der Gewalt und Verteidigung beinhalten, ihre größte Stärke aber ist ihre Unsichtbarkeit – der Staat kann sie nicht wahrnehmen, da die Geschichte keine Definition davon kennt. Sobald die TAZ benannt (repräsentiert, mediatisiert) ist, muß sie verschwinden, wird sie verschwinden und ein leere Hülse zurücklassen, nur um anderswo wieder zu entstehen, erneut unsichtbar, weil in Begriffen des Spektakels nicht faßbar. Die TAZ ist daher eine perfekte Taktik in einer Zeit, da der Staat omnipräsent und all-mächtig ist und dennoch zugleich Risse und Leerstellen zeigt. Und da die TAZ ein Mikrokosmos dieses »anarchistischen Traumes« einer freien Kultur ist, kann ich mir keine bessere Taktik vorstellen, mit der auf dieses Ziel hingearbeitet werden könnte, während gleichzeitig einiger ihrer Vorzüge schon hier und jetzt erfahrbar sind.
Zusammengefaßt: Der Realismus verlangt nicht nur, daß wir das Warten auf »die Revolution« aufgeben, sondern auch aufhören, sie zu wollen. »Aufstand«, ja – so oft wie möglich und selbst unter dem Risiko der Gewalt. Das Zucken des Simulierten Staates wird »spektakulär« sein, aber in den meisten Fällen wird die beste und radikalste Taktik sein, sich spektakulärer Gewalt zu verweigern, sich aus dem Feld der Simulation zurückzuziehen, zu verschwinden.
Die TAZ ist der Ort von Guerillaontologen: zuschlagen und abhauen. Haltet den ganzen Stamm in Bewegung, selbst wenn er nur im Spinnengewebe existiert. Die TAZ muß zur Verteidigung in der Lage sein; aber sowohl der »Angriff« wie auch die »Verteidigung« sollten, wenn möglich, der Gewalt des Staates ausweichen, die längst bedeutungslos ist. Die Attacke gilt den Strukturen der Kontrolle, im wesentlichen den Ideologien. Die Verteidigung ist »Unsichtbarkeit«, eine Kampfsportart, und »Unverwundbarkeit« – eine »okkulte« Kunst innerhalb der Kampfsportarten. Die »nomadische Kriegsmaschinerie« erobert, ohne bemerkt zu werden, und zieht weiter, bevor die Karten neu gezeichnet sind. Was die Zukunft betrifft – nur Autonome können Autonomie denken, sie organisieren, schaffen. Der erste Schritt ist Satori ähnlich – die Realisierung, daß die TAZ mit einem einfachen Akt des Realisierens beginnt.