GEMEINSAM ALLEINE: DIE STADT UND IHRE INSASSEN

Zündlumpen

Es wird immer kälter in diesem Land und wieder einmal heißt es lebewohl zu sagen zu Gefährt*innen. Die Leute vom Zündlumpen haben erklärt, ihr Projekt zu beenden, verantwortlich seien dafür u.a. die zahlreichen Denunziationen aus der Linken und von sogenannten Anarchist*innen, sowie das weitreichend darüber spekuliert wird, welche Menschen und Zusammenhänge hinter dem Projekt stehen würden, was, naheliegend, letztendlich Bullenarbeit ist und die Sicherheit der Macher*innen gefährdet. Ihr werdet uns fehlen. Als Hommage und als Servus einer der letzten Artikel, der bei Zündlumpen veröffentlicht wurde. Sunzi Bingfa

Der in Städten lebende Teil der Menschheit ist mit der Industrialisierung zusammen exponentiell gewachsen. Die Megalopolis ist die jüngste Form des urbanen “Habitats”, die sich immer stärker zwischen das Leben des Menschen und die Biosphäre stellt.

Die Stadt ist auch eine Barriere zwischen ihren Insassen, die eine Welt aus Fremden bilden. Und tatsächlich wurden alle Städte in der Weltgeschichte von Fremden und Außenseitern gegründet, die gruppenweise in einzigartigen und von Vorneherein unvertrauten Umgebungen angesiedelt wurden.

Es ist die vorherrschende Kultur als ihr Zentrum, auf ihrem Höhepunkt, als höchste Beherrschung. Joseph Grange hat leider grundlegend recht, wenn er sagt, dass sie “der Ort schlechthin ist, wo menschliche Werte ihren konkretesten Ausdruck finden”1 . Klar, das Wort “menschlich” erreicht seine vollständig entstellte Bedeutung im urbanen Zusammenhang, vor allem im heutigen. Die, in Norberg-Schulz’ markigem Begriff (1969), flatscape (“Flachheit”) ist vor aller Augen, diese Nothing Zones der Ortlosigkeit, wo lokale Eigentümlichkeit und Verschiedenheit ständig abnehmen oder sogar ausgerottet werden.2 Der Supermarkt, die Fußgängerzone, die Flughafenhalle sind überall gleich, wie das Büro, die Schule, der Wohnblock, das Spital und das Gefängnis in unseren eigenen Städten schwerlich voneinander unterschieden werden können.3

Die Megastädte haben mehr miteinander gemeinsam, als alle anderen sozialen Organismen. Ihre BürgerInnen haben unter einem ständig umfassenderen Überwachungsblick die Tendenz, sich gleich zu kleiden und auch anderweitig dieselbe globale Kultur zu konsumieren. Es ist das Gegenteil eines Lebens an einem bestimmten Ort auf Erden, unter Achtung seiner Einmaligkeit. Heutzutage wird jeder Raum zum urbanen Raum; es gibt keinen Flecken mehr auf dem Planeten, der nicht, zumindest im Grunde genommen, in der Zeit einer Satellitenumrundung urban werden könnte. Wir sind erzogen und ausgerüstet, um den Raum zu modellieren, als wäre er eine Sache. Solch eine Erziehung ist ein Imperativ in diesem digitalen Zeitalter, das von Städten und Metropolregionen in einem Ausmaß beherrscht wird, das es in der Geschichte noch nie gab.

Wie konnte das geschehen? Nach Weber: “man kann in den Schriften über Städte alles, und das überall, finden, außer das formierende Prinzip zur Stadtbildung selbst.”4 Aber es ist eh klar was grundlegend der Mechanismus, die Dynamik, das “Prinzip” ist, und immer war; und weiter nach Weber: “Jede Einrichtung in der Stadt zur Erleichterung des Handels und der Industrie ebnet den Weg zu weiteren Arbeitsteilungen und Spezialisierungen der Aufgaben.”5 Weitere Vermassung, Standardisierung, Gleichwertigkeit.

Als Werkzeuge zu Technologiesystemen wurden – das heißt, als sich die gesellschaftliche Komplexität entwickelte – erschien die Stadt. Die Stadt-Maschine war die erste und größte technologische Erscheinung, der Höhepunkt der Arbeitsteilung. Oder, wie Lewis Mumford es definiert hat, “das Merkmal der Stadt ist ihre vorsätzliche soziale Komplexität.”6 Die beiden Ausdrucksformen meinen dasselbe. Die Städte sind die komplexesten, je ausgeheckten Artefakte, ebenso wie die Urbanisierung eines der bedeutendsten Maße der Entwicklung ist.

Die aufkommende Welt-Stadt perfektioniert ihren Krieg gegen die Natur, indem sie diese zum Vorteil des Künstlichen ausradiert und das Umland auf schlichte “Umwelten” reduziert, die sich den urbanen Prioritäten anpassen. Alle Städte stehen im Widerspruch zum Land.

Certeaus “Walking in the City” hat eine eher schaurige Qualität, wegen seines Themas und der Tatsache, dass es 2000 geschrieben wurde. Certeau betrachtete das World Trade Center als “die monumentalste Form” des westlichen Städtebaus und ahnte, dass “(mit dem Lift) auf seine höchste Spitze gebracht zu werden, wie von den Klauen der Stadt gepackt und fortgebracht zu werden ist.”7 Die Lebensfähigkeit der Stadt ist in die unabwendbare Phase ihrer Infragestellung getreten, und das wird von einer durch 9/11 angewachsenen – aber nicht geschaffenen – Beklemmung begleitet. Die tiefe Konfliktualität im urbanen Leben, die während dem ganzen Reich der Zivilisation wahrgenommen wird, ist viel eindeutiger geworden.

Die Abrichtung [Domestiztierung; Anm. d. Red.] machte die Zivilisation möglich und eine intensivere Abrichtung trieb die urbane Kultur voran. Die früher von Gartenbau lebenden Gemeinschaften – Siedlungen und Dörfer – wurden durch Städte ersetzt als die intensivierte Landwirtschaft die Macht übernahm. Der megalithische Monumentalbau ist ein dauerhaftes Kennzeichen dieser Verlagerung. In den frühneolithischen Monumentalbauten können alle Eigenschaften der Stadt gefunden werden: Sesshaftigkeit, Permanenz, Dichte, eine sichtbare Ankündigung des siegreichen Triumphes der Landwirtschaft über die Nahrungssuche. Die spektakuläre Zentralisierung der Stadt ist einer der großen Wendepunkte der menschlichen kulturellen Evolution, ist der Zielpunkt der Zivilisation in ihrem vollständigsten und endgültigsten Sinn.

Es gab Zivilisationen ohne Städte (z.B. die frühe Zivilisation der Maya), aber nicht sehr viele. Meistens sind sie eine Schlüsselstruktur und entwickeln sich mit einer relativ plötzlichen Macht, als müsse die Energie, die durch die Abrichtung unterdrückt wurde, dieselbe sprungartig auf eine neue Ebene ihrer Logik der Kontrolle anheben. Allerdings entgeht die urbane Explosion einigen schlechten Rückblicken nicht. In der hebräischen Tradition war es Kain, der Mörder Abels, der die erste Stadt gründete. Ähnlicherweise sind Reminiszenzen wie Babylon, der Turm zu Babel und Sodom und Gomorra völlig negativ. Eine tiefe Zwiespältigkeit bezüglich der Städte ist tatsächlich ein fester Wert der Zivilisation.

Etwa um 4000 v. Chr. erschienen die ersten Städte in Mesopotamien und Ägypten: als die politischen Mittel darauf ausgerichtet wurden, den Überschuss, der durch einen neuen Landwirtschaftsethos geschaffen wurde, in die Hände einer kleinen dominanten Minderheit zu kanalisieren. Diese Entwicklung erforderte, dass immer mehr Produktionsbereiche der Wirtschaft zugeführt wurden: und zentralisierte, bürokratische Institutionen in immer größerer Skala folgten ihr bald. Die Dörfer wurden zu immer spezialisierteren Strategien der Maximierung gezwungen, um grössere Überschüsse zur Belieferung der Städte zu produzieren. Zum Beispiel konnte die grössere Getreideproduktion nur durch Mehrarbeit und größeren Zwang erreicht werden. Widerstand kam in diesem wohlbekannten Gefüge auf, als die primitiven Landbaugemeinschaften in zwangsverwaltete Städte verwandelt wurden, wie etwa Ninive oder die Nomadenvölker des Sinai, die es ablehnten für die Ägypter Kupfer zu graben, um ein weiteres Beispiel zu nennen.8 Kleine LandbesitzerInnen wurden vom Land in die Stadt gezwungen; diese Deportationen sind ein vertrautes Muster, das bis heute überdauert hat.

Bei der urbanen Realität geht es primär um Geschäfte und Handel mit einer, zum Überleben notwendigen, beinahe totalen Abhängigkeit von der von außen kommenden Unterstützung. Um eine solch künstliche Existenz zu garantieren, haben die Städteväter einen absoluten Hang zum Krieg, diesem chronischen Haupterzeugnis der Zivilisation. “Auswärts Eroberung und daheim Repression,” so Stanley Diamond, ist eine definitorische Charakterisierung der Städte seit ihren ersten Anfängen.9 Die frühen sumerischen Stadtstaaten, zum Beispiel, führten konstant Krieg. Beim Kampf um die Stabilität der urbanen Marktwirtschaften ging es andauernd um das Überleben. Armeen und Kriegsführung waren hauptsächliche Notwendigkeiten, vor allem unter der Voraussetzung des in der urbanen Dynamik angelegten Expansionscharakters. Uruk, die größte mesopotamische Stadt ihrer Zeit (ca. 2700 v. Chr.), rühmte sich eines mit 900 Türmen befestigten, sechs Meilen langen, doppelten Ringwalls. Von dieser Frühzeit bis ins Mittelalter waren praktisch alle Städte befestigte Garnisonen. Julius Caesar benutzte für alle Städte Galliens das Wort oppidum (Garnison).

Die ersten urbanen Zentren hatten allesamt auch eine bedeutende, stark zeremonielle Ausrichtung. Das hässliche Gesicht der Abkehr von einer eigenen und in der erde eingewurzelten Spiritualität bis zur Erhebung von heiligen oder übernatürlichen Räumen wird durch regelrecht Ehrfurcht einflössende und mächtige urbane Tempel und Grabstätten weiter entstellt. Die Überhöhung eines gesellschaftlichen Gottes entsprach der wachsenden strukturellen Komplexität und Schichtung dieser Gesellschaft. Nebenbei bemerkt, der religiöse Monumentalbau war nicht bloss eine Gehorsamkeit einflössende autoritäre Taktik der Regierenden; sie war auch ein grundlegendes Vehikel zur Verbreitung der Abrichtung.10

Aber der wirkliche Aufbruch zur Herrschaft begann nicht nur mit der intensivierten Landwirtschaft – und mit dem Erscheinen der Schriftsysteme, wie Childe, Levi-Strauss und andere bemerkt haben –, sondern auch mit der Metallurgie. Erfolgreiche Zivilisationen im frühen Neolithikum, in der Bronzezeit und umso mehr in der Eisenzeit brachten die Urbanisierung zu ihrer vollen Zentralität. Nach Tonybee, “Wenn das Wachstum der Orte der Städtebildung im Laufe der Geschichte durch eine Kurve visualisiert würde, hätte sie dieselbe Kurvenform wie der Machtanstieg der Technologie.”11 Und mit dem zunehmend urbanisierten Charakter des gesellschaftlichen Lebens kann die Stadt als Behälter bzw. Container betrachtet werden. Städte, wie die bereits vorhandenen Fabriken, sind auf Eindämmung, also Containment, angewiesen. Städte und Fabriken sind grundlegend nie von den Leuten, die in ihnen enthalten sind, frei gewählt worden: Die Herrschaft hält die Leute in diesen Orten fest. Aristophanes sagte es treffend in seinem 414 v. Chr. geschaffenen Werk Die Vögel: “Eine Stadt muss entstehen, um alle Vögel unterzubringen; dann musst du Zäune in der Luft bauen, den Himmel einzäunen und die Erde, und musst alles mit Mauern umgeben, wie Babylon.”

Staaten, wie wir sie heute kennen, existierten damals schon, und mächtige Städte entstanden als Hauptstädte, die Orte der Staatsmacht. Politische Herrschaft ging immer von diesen urbanen Zentren aus. In diesem Kontext ließen die BäuerInnen eine bekannte und verhasste Knechtschaft hinter sich, um sie mit neuen und anfänglich unbenannten Formen von Unterjochung und Leiden zu ersetzen. Die Stadt ist nicht bloß ein Ort lokaler Macht und Kriegsführung, sie ist auch ein Brutkasten für Infektionskrankheiten und Seuchen, und natürlich steigert sie die Auswirkungen von Bränden, Erdbeben und anderen Gefahren.

Tausende Generationen lang standen die Menschen im Morgengrauen auf und gingen bei Sonnenuntergang schlafen, sonnte sich in den Herrlichkeiten des Sonnenaufganges, des Abendrots und eines strahlenden Himmels. Vor einem halben Jahrtausend kündigten städtische Glocken und Uhren einen wachsend geordneten und regulierten Tagesablauf an: Das Reich der urbanen Zeitmessung. Mit der Modernität verschwindet die gelebte Zeit; sie wird zur Ressource und zur verdinglichten Materialität. Gemessen und verdinglicht, isoliert die Zeit das Individuum im Kraftfeld einer immer tiefer werdenden Trennung und Abspaltung und einer ständig abnehmenden Ganzheit. Der Kontakt mit der Erde ebbt mit dem Wachstum der Stadt ab; und wie es Hogarth in seinen Beschreibungen Londons Mitte des 18. Jahrhunderts ausmalt, verringert sich der körperliche Kontakt der Leute dramatisch. Zu dieser Zeit sagte Nicolas Chamfort: “Paris ist eine Stadt der Lebenslüste und Vergnügen, wo vier fünftel der Menschen vor lauter Gram verrecken.”12 In Emile (1762) brachte es Rousseau persönlicher: “Adieu Paris. Wir suchen Liebe, Glück und Unschuld. Wir können nie weit genug von dir entfernt sein.”13 Das allgegenwärtige Gewicht der urbanen Existenz durchdrang sogar die äusserst vitalen politischen Erscheinungen, wie die französische Revolution. Die Massen im revolutionären Paris schienen seltsam apathisch zu sein, was zu Richard Sennetts Eingebung führte, hier die ersten modernen Zeichen der urbanen Passivität auszumachen.14

Im folgenden Jahrhundert entschied Engels, in gegenteiliger Manier, dass es die Stadt sei, wo das Proletariat seine “vollständigste klassische Perfektion” erreicht.15 Aber Tocqueville hatte bereits gesehen, wie die Individuen in den Städten “sich in ihren gegenseitigen Schicksalen als Fremde empfinden.”16 Später, im 19. Jahrhundert, bemerkte Durkheim, dass Selbstmord und Ungesundheit mit der modernen Urbanisierung zunehmen. Tatsächlich werden ein Gefühl der Abhängigkeit und der Einsamkeit und alle Arten von Störungen des Empfindens generiert, was Benjamins Wahrnehmung bestätigte, dass “Angst, Abscheu und Schrecken vor den städtischen Massen in jenen hervorgerufen wurde, die sie zum ersten Male betrachteten.”17 Die technologischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Kanalisationen und der anderen sanitären Einrichtungen sind in aufblühenden Metropolen notwendig und gleichzeitig machen sie die Urbanisierung und ihre weitere Expansion erst möglich. Das Leben in der Stadt ist nur durch solche beständigen technologischen Hilfen möglich.

Um 1900 begriff Georg Simmel, dass das Stadtleben nicht nur Einsamkeit hervorruft, sondern auch jene Zurückhaltung oder gefühlsmäßige Dumpfheit, die sie noch schlimmer macht. Wie Simmel begriff, ähnelt das sehr den Auswirkungen des industriellen Lebens allgemein: “Pünktlichkeit, Berechenbarkeit und Genauigkeit werden dem Leben durch die Komplexität und Verbreitung der Metropolenexistenz aufgezwungen.”18 Zum Beispiel tragen die in den frühen Gedichten von T. S. Elliot ausgedrückte urbane Stumpfheit und Wehrlosigkeit dazu bei, dieses Bild des geschändeten Lebens zu vervollständigen.

Der Begriff “suburb” wurde seit Shakespeare und Milton in sehr modernem Sinne gebraucht, aber erst mit dem Ansturm der Industrialisierung wurde das suburbane Phänomen wirklich offensichtlich. Diese Wohnbauentwicklungen erschienen in den Randgebieten der grössten amerikanischen Städte zwischen 1815 und 1860. Marx bezeichnete den Kapitalismus als “die Urbanisierung der ländlichen Gegenden”19, die Urbanisierung findet ihren Tritt und ihre aktuelle Bedeutung eigentlich erst kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Raffinierte Massenproduktionstechniken schufen eine physische Konformität, um die soziale Konformität zu definieren und zu verstärken.20 Seicht, homogenisiert, ein Treibhaus des Konsumismus, von Strip-Meilen und Umfahrungsstraßen umzingelt, ist die Peripherie ein weiter degeneriertes Ergebnis der Stadt. Faktisch gesehen sollten die Unterschiede zwischen urban und suburban nicht übertrieben oder als qualitativ betrachtet werden. Rückzug, von einer ganzen Phalanx von Hightechgeräten angestiftet – iPod, Mobiltelefone, usw. – ist heute an der Tagesordnung, ein wirklich viel sagend eindeutiges Phänomen.21

Zivilisation, wie es durch den ursprünglich lateinischen Stamm des Begriffs präzisiert wird, heisst das, was in der Stadt passiert.22 Jetzt lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten wie Kuala Lumpur und Singapur, McDonaldisierte Unorte, die ihrem eigenen so reichen Kontext dermaßen resolut den Rücken gekehrt haben. Der urbane Imperativ ist eine anhaltende Charakteristik der Zivilisation.

Sie kann immer noch einige mit ihrer perversen Faszination anziehen, und jedenfalls ist es sehr schwierig geworden, dem urbanen Einflussbereich zu entkommen. In der Metropole existiert immer noch ein Funken Hoffnung auf Gemeinschaft oder zumindest Zeitvertreib. Und einige von uns bleiben um den Kontakt mit dem nicht zu verlieren, was wir verstehen müssen, um ihm ein Ende bereiten zu können. Sicher, es gibt jene, die kämpfen um die Stadt menschlicher zu gestalten, um Parkanlagen und ähnlichen Schwachsinn, aber Städte bleiben das, was sie immer waren. Die meisten ihrer BewohnerInnen akzeptieren die urbane Wirklichkeit einfach und versuchen sich ihr anzupassen, mit derselben oberflächlichen Passivität, die sie gegenüber der allumfassenden Techno-Welt an den Tag legen.

Einige versuchen immer das Unreformierbare zu reformieren. Auf zur “neuen Modernität”, zum “neuen Verhältnis zur Technologie” hin, usw., usw., ruft Julia Kristeva nach “einer Weltbürgerschaft neuer Art …”23 Solche Ausrichtungen enthüllen, unter anderem, die Überzeugung, dass das, was weithin als etwas für ein gesellschaftliches Leben Wesentliches betrachtet wird, uns immer begleiten wird. Max Weber fand, die Modernität und der bürokratische Rationalismus seien “ausbruchsicher”, während Tonybee die Ecumenopolis, wie er die Stufe des Gigantismus nannte, die auf jene der Magalopolis gefolgt ist, als “unausweichlich” betrachtete.24 Ellul nannte die Urbanisierung das, “was nur akzeptiert werden kann.”25

Trotzdem, in Anbetracht der heutigen urbanen Realität, und des Wie und Wieso die Städte ursprünglich entstanden und weiter existieren, muss das, was James Baldwin zum Ghetto sagte, vollständig auf die Stadt angewendet werden: ”(Es) Sie kann nur auf eine Weise verbessert werden: raus aus unseren Leben.”26 Es besteht übrigens ein starker Konsens unter den StadttheoretikerInnen, dass Städte auf neue Art gespalten und polarisiert sind.27 Dass die Armen und die Eingeborenen urbanisiert werden müssen, ist ein weiterer der primären Aspekte der kolonialistisch-imperialistischen Ideologie.

Der ursprüngliche Monumentalbau ist in der heutigen Stadt immer noch präsent und herausragend, mit derselben Verkümmerung und Entmachtung des Individuums. Die menschliche Dimension wird von Hochhäusern ausgelöscht, der Entzug der Sinneswahrnehmungen vertieft sich, und wer sie bewohnt, ist dem Angriff der Monotonie, des Lärms und der anderen Umweltverschmutzungen ausgesetzt. Die Cyberspace-Welt ist selbst eine urbane Umwelt, die den radikalen Untergang der körperlichen Präsenz und Verbindung beschleunigt. Der urbane Raum ist das ewig voranschreitende (sowohl vertikal als auch horizontal) Symbol der Niederlage der Natur und des Todes der Gemeinschaft. Was John Habberton 1889 schrieb, könnte heute nicht gültiger sein: “Eine grosse Stadt ist eine grosse Wunde – eine unheilbare Wunde.”28 Oder wie Kai W. Lee auf die Frage antwortete, ob der Übergang zur nachhaltigen Stadt vorstellbar ist: “Die Antwort ist nein.”29

Copán, Palenque und Tikal waren reiche Städte der Mayazivilisation, die auf ihrem Höhepunkt aufgegeben wurden, nämlich zwischen 600 und 900 n. Chr. Diese und ähnliche Beispiele in verschiedenen Kulturen zeigen uns einen Weg nach vorne auf. Die Literatur der Urbanisierung ist in den letzten Jahren nur noch in dunklem Sinne und über das Missbehagen gewachsen, während Terrorismus und Zusammenbruch ihre langen Schatten auf die unvertretbarsten Produkte der Zivilisation werfen: die großen Metropolen. Um von der permanenten Knechtschaft und chronischen Krankheit der urbanen Existenz wegzukommen, können wir uns von solchen Orten, wie den früheren indigenen Siedlungen inspirieren lassen, wie die heute Los Angeles River genannten. Orte, wo die Lebenssphäre ihre Wurzeln im Dasein als Menschen hat, die in vollem Besitze ihrer Fähigkeiten sind und in Harmonie mit der Erde leben.

Fussnoten:

1Joseph Grange, The City: An Urban Cosmology (Albany: State University of New York Press, 1999), S. XV.

2Edward Relp, Place and Placelessness (London: Pion Ltd., 1976), S. 6.

3Mittlerweile lenken Phänomene wie “die Altstadt” und historische Quartiere von der Langeweile und Standardisierung ab, aber sie unterstreichen diese definitorisch urbanen Eigenschaften nur. Die offenkundige Oberflächlichkeit der postmodernen Architektur unterstreichen sie genau so gut.

4Max Weber, The City, übersetzt von Don Marindale und Gertrud Neuwirth (Glencoe, IL: The Free Press, 1958), S. 11.

5Ibid, S. 21.

6Lewis Mumford, The Culture of Cities (New York: Hartcourt, Brace and Company, 1938), S. 6. Trotz allem geschichtlichen Wert, Mumford kann sich auch in die Absurdität verirren, z.B. “die Stadt sollte ein Organ der Liebe sein…” in The City in History (New York, Hartcourt, Brace, 1961), S. 575.

7Michel de Certeau, The Creteau Reader, Ausg. Graham Ward (London: Blackwell Publisher, 2000), S. 103.

8Stanley Diamond, In Search of the Primitive (New Brunswick, NJ: Transaction Books, 1974), S. 7.

9Ibid, S. 1.

10Andrew Sherratt, Economy and Society in Prehistoric Europe (Princeton: Princeton University Press, 1997), S. 362.

11Arnold Tonybee, Cities on the Move (New York: Oxford University Press, 1970), S. 173.

12Nicolas Chamfort, zitiert in James E. Clapp, The City, A Dictionary of Quotable Though on Cities and Urban Life (New Brunswick, NJ: Center for Urban Policy Research, 1984), S. 51.

13Jean Jacques Rousseau, Emile, übersetzt von Altan Bloom (New York: Basic Books, 1979), S. 335.

14Richard Sennett, Flesh and Stone: the Body and the City in the Western Civilization (New York: W.W. Norton, 1994), S. 23.

15Friedrich Engels. The Condition of the Working Class in England (St. Albans: Panther Press, 1969), S. 75.

16Alexis de Tocqueville, Democracy in America Band 2 (New York, Vintage, 1963), S. 141.

17Walter Benjamin, Illuminations, übersetzt von Harry Zahn (New York: Schocken Books, 1969), S. 174.

18Kurt H. Wolff, The Sociology of Georg Simmel (New York: The Free Press, 1950), S. 413.

19Karl Marx. Grundrisse (New York, Vintage, 1973) S. 479.

20Ein typisches und geeignetes Werk ist Richard Harris, Creeping Conformity: How Canada became Suburban. 1900 – 1960 (Toronto: University of Toronto Press, 2004).

21Sehr sachbezogen ist Michael Bull, Sounding Out the City: Personal Stereos and the Management of Everyday Life (New York, Oxford University Press, 2000).

22Das stimmt nicht nur für den Westen. In der arabischen Zivilisation stammt z.B. madaniya, oder Zivilisation, von madine ab, was Stadt heißt.

23Julia Kristeva, Strangers to Ourselves (New York: Columbia University Press, 1991), S. 192.

24Tonybee, op. cit., S. 196.

25Jacques Ellul, The Political Illusion (New York: Alfred A. Knopf, 1967), S. 43.

26James Baldwin, Nobody knows my Name (New York, The Dial Press, 1961), S. 65.

27Peter Marcuse und Ronald von Kempen, Herausgeber, Of States and Cities: The Partioning of Urban Space (New York, Oxford University Press, 2002), S. vii.

28John Habberton, Our Country’s Future (Philadelphia: International Publishing Company, 1889), zit. in Clapp, op. cit.. S. 105

29Kai N. Lee, “Urban Sustainability and the Limits of Classic Environmentalism” in Environment and Urbanization 18:1 (April 2006), S. 9.

Übersetzung aus dem Englischen: John Zerzan. The City and its Inmates in Green Anarchy #25 (2008). Der hier wiedergegebene Text folgt der Übersetzung Marco Camenischs in Der Niedergang der Maschinen (ursprünglicher Titel: „Alleine Zusammen: Die Stadt und ihre Gefangenen“) und wurde an einigen Stellen überarbeitet.