Sebastian Hofer und Wolfgang Paterno
An dieser Stelle ein auszugsweiser Abdruck aus dem gerade bei den Gefährten von Bahoe Books erschienenen kurzweiligen, nennen wir es altmodisch, Sittenporträt einer Gesellschaft, in der Dauerwarteschleife des Pandemie Ausnahmezustandes. Weitere Angaben zum Buch finden sich am Ende dieses Textes, wir danken den Autoren und den Genossen von Bahoe Books herzlichst für die Möglichkeit, diesen Buchauszug in der Sunzi Bingfa zu bringen.
Oktober 2020: Die nächsten Wochen werden entscheidend sein
US-Präsident Trump und seine Frau werden positiv auf SarsCoV-2 getestet. Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA beginnt mit der Prüfung eines ersten Impfstoffs in Europa auf Wirksamkeit und Verträglichkeit. Am 3. Oktober 2020 wird in Österreich zum zweiten Mal seit Ausbruch der Pandemie eine vierstellige Anzahl von Infizierten gemeldet: 1.058 Personen. In Russland werden Ende November über 27.000 Neuinfektionen registriert, ein neuer Rekordwert. Aus Madrid, Katalonien, Navarra, Aragón und dem Baskenland werden Hotspots gemeldet. Die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland erreicht einen neuerlichen Höchststand. In den USA werden erstmals mehr als 100.000 neue Fälle pro Tag registriert. Weltweit steigt die Zahl der bestätigten Infektionen auf mehr als 40 Millionen. An den Folgen von Covid-19 starben nach Daten der Johns-Hopkins-Universität mehr als 1,1 Millionen Menschen. Am 31. Oktober wird von Österreichs Bundesregierung für den 3. November, 0.00 Uhr, ein erneuter Lockdown verordnet. Neben der nächtlichen Ausgangsbeschränkung, die für 11 Tage gilt, müssen sämtliche Hotels und das Gastgewerbe für vier Wochen schließen. Die Schulen und Kindergärten bleiben offen, die Oberstufen stellen auf E-Learning um. „Die nächsten Wochen werden entscheidend sein”, wird Österreichs Gesundheitsminister Rudolf Anschober auf zahllosen Pressekonferenzen nicht müde zu betonen.
Online-Verkaufsplattform Spreadshirt: Kissenhülle „Die nächsten Wochen werden entscheidend sein”. Sofakissen mit Füllung 44 x 44 cm. Dekorative Kissen verwandeln jede Couch in eine Wohlfühloase. Der Bezug dieses Sofakissens ist dank festem Twillstoff wunderbar griffig. Die herausnehmbare Füllung aus stabiler, weicher Polyesterwatte macht das Kissen tauglich für Kuscheleinheiten oder für wilde Kissenschlachten.
Anonym: Alles soll wieder gut werden. Obwohl, so richtig gut war es auch schon vor Corona nicht.
Alec von Graffenried, Schweizer Politiker: Jede Unterhaltung, jedes Essen, jede Sitzung beginnt gleich: „Wie macht ihr’s mit Corona?“ – „Hier mit Maske oder ohne?“ – „Schon die neusten Zahlen aus Indien gehört, krass!“ Ich kann es nicht mehr hören. Von mir daher kein Wort darüber, ausser dies: Wann hat die ganze Welt, wann haben alle Menschen, von Südamerika bis Sibirien, in der Stadt und auf dem Land, Arm und Reich, einfach alle, sich über die gleiche Sache unterhalten? Gab es das überhaupt schon mal, diese kollektive Gleichzeitigkeit?
Wiener Zeitung online: „Koste es, was es wolle“, „Wiederauferstehung nach Ostern“, „Licht am Ende des Tunnels“ und „Das Virus kommt mit dem Auto nach Österreich“ (Sebastian Kurz) sind diesbezüglich ebenso dokumentiert wie das sehr oft gehörte „Die nächsten Wochen werden entscheidend sein“ von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Die Grünen). Und auch das „langsame Hochfahren der Wirtschaft“ fiel nicht nur sprachlich nachhaltiger aus als das rasch von angedachten Eintrittstests abgelöste Freitesten.
Oberösterreichische Nachrichten online: Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat am Mittwoch die Behauptung von FPÖ-Chef Norbert Hofer zurückgewiesen, dass ein zweiter Lockdown ab 23. Oktober und damit noch vor dem Allerheiligen-Wochenende vorbereitet werde: „Das ist nicht nur eine Ente, das ist eine ganze Entenfarm.“
Jair Bolsonaro, Präsident Brasiliens: Wir müssen aufhören, ein Land von Schwuchteln zu sein.
Antje Sörensen, Fachkrankenschwester für Intensivpflege, Norddeutschland: Wann legt sich bei mir der Schalter um, dass ich in eine Depression rutsche? Diese absolute Einschränkung, in der ich lebe, die macht mich fertig. Ich sehe jetzt älter aus. Es ist so eine Grundtraurigkeit da. Ich bin immer müde. Ich habe ständig Halsschmerzen, alles tut mir weh. Und ich werde sehr traurig, wenn ich Bekannte sehe, denen es noch schlechter geht. Irgendwie ist da zu wenig Hoffnung. Es soll endlich aufhören! Ich will mein Leben wieder haben!
Alec von Graffenried, Schweizer Politiker: Was wir alle in dieser Zeit über Virologie und Epidemiologie gelernt haben: unglaublich. Dieser kollektive Informationsprozess, die Menge an gesammeltem Wissen, das in so kurzer Zeit in die Gesellschaft verbreitet wurde: faszinierend. Wenn wir uns mit der gleichen Energie der Bewältigung anderer Herausforderungen – Alphabetisierung, Atomwaffenverbot oder natürlich Klimawandel – annehmen würden: Wir kämen als Menschheit in sechs Monaten weiter als sonst in den nächsten zwanzig Jahren.
Jana aus Kassel auf der Bühne einer „Querdenken“-Demonstration in Hannover: Ja, hallo – oh – ich bin Jana aus Kassel und ich fühle mich wie Sophie Scholl, da ich seit Monaten aktiv im Widerstand bin.
Onlineshop Ein guter Plan: Der Corona-Winter 2020/2021 kann richtig hart werden. Zu sozialer Isolation und Existenzangst kommt noch Kälte und Dunkelheit. Deswegen haben wir die sinnvollsten Techniken aus „Ein guter Plan“ und „Ein guter Tag“ für den Alltag in der Pandemie aufbereitet. Führe ein Krisentagebuch und bring deine Selbstfürsorge in Schwung. Natürlich kann diese Art des Tagebuchschreibens nicht garantieren, dass dein Winter gut wird. Aber vielleicht kann es verhindern, dass du den schlechtesten Winter deines Lebens hast: Krisentagebuch für 100 Tage, undatiert, zum Ausdrucken (DIN A4); Selbstfürsorge etablieren; Tagebuch schreiben; Gewohnheiten pflegen; Dankbarkeit artikulieren; Tagesablauf planen; Soziale Kontakte pflegen; Winterdepression vermeiden; kostenlos.
Charles Fuckoffski auf Twitter: Dates ausmachen kann zurzeit ja auch kein Spaß sein. „Na? Lust, in die Kälte zu setzen und uns mit 1,50 m Abstand romantisch über zwei Parkbänke hinweg anzuschreien?“
Antonie Pongratz, Buchhändlerin, Nordrhein-Westfalen: Wie kann es immer noch Menschen da draußen geben, die das Virus leugnen? Wie kann es sein, dass einige von Diktatur sprechen oder ihre Lage mit Anne Frank oder gar Sophie Scholl vergleichen? Die an die Grundrechte appellieren, die uns mit den Maßnahmen angeblich alle genommen wurden oder von Maulkörben anstatt von Masken reden? DAS macht mir Angst. Das befeuert meine Sorge, dass diese Pandemie uns noch so viel länger begleiten wird als es uns lieb ist, weil es einige da draußen noch nicht begriffen haben. Müssen sich die Toten erst vor den Krankenhäusern stapeln, wie im Frühjahr in Italien, damit es greifbarer wird?
Homepage Bestattung Hackl: Sind COVID-19-Verstorbene ansteckend? Diese Frage ist grundsätzlich mit Ja zu beantworten, wobei das Infektionsrisiko gegenüber dem lebenden Körper deutlich minimiert ist. Bei einer Leiche werden viel weniger Aerosole entstehen, als im medizinischen Bereich bei der Behandlung von Patienten im Krankenhaus. Wenn COVID-19-Patienten versterben, wird dies grundsätzlich in Spitälern geschehen. Unabhängig davon müssen die jeweiligen Hygienemaßnahmen angewendet werden – egal ob in der Prosektur des Krankenhauses oder durch den Bestatter. Danach ist von keiner Ansteckungsgefahr auszugehen.
Donald Trump, US-Präsident: Mehr Tests bedeuten mehr Fälle.
Gabriele Kögl, Schriftstellerin: Ich habe gelesen, dass einige Menschen, die nun Home-Office machen, Fake-Pendeln betreiben. Sie fahren mit dem Rad, dem Auto oder der U-Bahn eine Runde und gehen dann in ihre Wohnung zurück, als würden sie an ihre Arbeitsstelle gehen. Das gibt zumindest den Anflug eines Gefühls, woanders zu sein.
Spiel „Pandemie“: Keine Chance für die Seuche der Langeweile. Themenspiele sind vereinfachte Modelle der Wirklichkeit. Kaum eines hat in jüngster Vergangenheit einen derart aktuellen Realitätsbezug erreicht, wie das Kooperationsspiel „Pandemie“. Bei Spielbeginn sind an verschiedenen Orten der auf dem Spielplan abgebildeten Welt bereits Seuchen ausgebrochen; und sie werden sich ausbreiten, wenn es nicht gelingt, sie mit vereinten Kräften rechtzeitig einzudämmen. Die Spieler übernehmen die Rolle von Spezialisten, die weltweit zum Einsatz kommen. Sie arbeiten idealerweise eng zusammen, stimmen ihre individuellen Aktivitäten und Fähigkeiten klug miteinander ab und finden sich immer wieder vor die Entscheidung gestellt, entweder einige zukünftig sich aller Wahrscheinlichkeit nach entwickelnde Gefahrenherde möglichst schon im Keim zu ersticken oder doch lieber eine unmittelbare Bedrohung, eine sich gerade flagrant ausbreitende Epidemie aufzuhalten. Die Spieler können nur gemeinsam und durch kluges Zusammenspiel gewinnen, indem sie ein Gegenmittel für alle vier Seuchen entwickeln. Ein Wettlauf gegen die Zeit und gegen ein immer wieder neu herausforderndes Spiel.
Leonie Greta Zinn, Abiturientin, Berlin: Am Anfang, im März, waren wir alle eine Gemeinschaft. Im Spätsommer dann das Gefühl: Jetzt ist es zu Ende. Jetzt merkt man, dass die Geduld weg ist. Keiner stellt sich mehr ans Fenster und klatscht.
Stephan Roiss, Autor und Musiker, Linz: Ciao Aerosole. Weil das Fenster permanent offen steht, ist es eisig kalt im Badezimmer. Draußen schwingt sich eine Krähe von der Dachrinne auf, öffnet ihren Schnabel, lässt eine Walnuss auf die Straße fallen. Knackendes Geräusch, kluges Tier. Ich bekomme eine SMS. „Ihr SARS-CoV-2-Test ist NEGATIV.“ Eine Minute später ruft mich die Person an, mit der gemeinsam ich gestern bei der Teststation gewesen bin. Auch sie hat eine SMS erhalten. POSITIV. Scheiße. Zwei von vier. An diesem Abend gebe ich mir besonders viel Mühe mit der Gemüsepfanne.
Mitteldeutsche Zeitung Zeitz: Zehn dicke Ordner stehen auf dem Küchentisch von Jens Bartczak. Der neue Ortschronist von Kayna nimmt sein Ehrenamt sehr ernst und sammelt alles, was er über die Corona-Pandemie zu fassen bekommt. Das fängt mit Nachrichten aus Kayna und Zeitz an, reicht über die täglichen Fall-Statistiken des Burgenlandkreises, des Landes Sachsen-Anhalt und des Robert-Koch-Institutes über europaweite Statistiken und bis zu Veröffentlichungen in der New York Times. Er sammelt Verordnungen, spricht mit ehemaligen Patienten und Beschäftigten im Gesundheitswesen. „Am Anfang habe ich nächtelang gesessen und im Internet gesucht. Heute sitze ich wenigstens eine Stunde am Tag über dem Material, werte sechs bis acht Zeitungen aus, schneide Artikel aus und archiviere diese“, erzählt der 50-Jährige. Etwa 140 Gigabyte an Daten hat er schon gesammelt. „Als im März die Corona-Krise in Deutschland begann, hätte wohl kaum einer gedacht, was das einmal für Auswirkungen haben würde“, sagt Bartczak.
Christina Kraker-Kölbl, Leiterin des Frauenhauses Villach: Häusliche Gewalt ist kein neues Thema, die gab es immer schon. Man kann aber davon ausgehen, dass Faktoren, die im Lockdown gegeben waren, verstärkt gewirkt haben. Eine Pandemie ist wie ein Brennglas, wo Dinge noch einmal klarer werden. Zahlenmäßig ist eine erhöhte Gewaltbereitschaft nicht abbildbar.
Spiegel online: Es klingt wie aus einem Science-Fiction-Film, aber Wissenschaftler um den KI-Experten Björn Schuller von der Universität Augsburg arbeiten an einer App, die Covid-19 an der Stimme eines Erkrankten erkennen soll. Wie soll das gehen? Der menschliche Sprachapparat ist ein hochkomplexes Gebilde, an dem gut 60 Muskeln beteiligt sind. Bei der Stimmerzeugung strömt die Luft aus der Lunge durch den Kehlkopf und versetzt Stimmlippen, die umgangssprachlich auch Stimmbänder genannt werden, in Schwingungen. Ein Muskel steuert dann über An- und Entspannung die Modulation der Töne. Diese motorischen Aspekte sind bei Erkrankungen der Atemwege eingeschränkt. Störungen des Stimmbildungsprozesses sind auch ein typisches Symptom der Lungenkrankheit Covid-19.
Mitteldeutsche Zeitung, Zeitz: „Am meisten berührt hat mich die Veröffentlichung in der New York Times vom Sonntag, 24. Mai“, sagt der Mann aus Kayna. Statt Artikeln, Bildern, Grafiken hat die amerikanische Zeitung damals in sechs Spalten ganzseitig die Namen von eintausend Verstorbenen abgedruckt. Die Überschrift, die sich von links nach rechts über die ganze Seite zog, lautete: „Fast 100.000 Tote in den USA, ein unermesslicher Verlust“.
Faktencheck der München Klinik: Bin ich einmal infiziert, bin ich ein Leben lang immun. Nein. Genesene Patienten haben nachweislich Antikörper im Blut. Aktuellen Erkenntnissen zufolge besitzt eine Person nach durchlaufener Covid-19-Erkrankung für eine gewisse Zeit ein geringes Risiko, sich wieder mit dem gleichen SARSCoV-2-Erreger zu infizieren. Noch nicht final geklärt ist, wie lange dieser Immunschutz anhält und ob er auch bei Mutationen schützt. Aktuell wird eine Covid-19-Impfung für Genesene frühestens sechs Monate nach der Infektion empfohlen.
Anleitung für Spiel „Pandemie“: Zu Beginn des Spiels schlüpft jeder Spieler in die Rolle eines Spezialisten. Zur Auswahl stehen ein Krisenmanager, ein Betriebsexperte, eine Forscherin, ein Logistiker, eine Quarantäne-Spezialistin, ein Sanitäter und eine Wissenschaftlerin. Jede Rolle wirft ihre eigenen Stärken in die Waagschale und verändert so auch die Strategie, mit der die Spieler gegen die vier tödlichen Seuchen vorgehen können. Die Mission der Experten ist erfolgreich beendet, wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt des Spiels Heilmittel gegen alle vier Seuchen entdeckt werden konnten. Andernfalls ist das begabte Ensemble gescheitert. Der Pandemie-Spielplan zeigt eine Weltkarte und etwas hervorgehoben bedeutende Städte aller Kontinente. Am Anfang werden bereits neun dieser Städte mit ein bis drei Seuchenmarker infiziert.
Die Spieler starten ihren Auftrag in Atlanta, wo auch ein erstes Forschungslabor errichtet wurde. Reihum muss nun jeder Spieler drei Phasen pro Spielzug durchlaufen. Als erstes darf ein Spieler 4 Aktionspunkte verteilen und damit verschiedene Aktionen ausführen, beispielsweise seine Spielfigur bewegen, Seuchenmarker aus Städten beseitigen, Labore errichten und so weiter. In der zweiten Phase bekommt er zwei neue Spielkarten vom Zugstapel. Auf diesen Karten befindet sich jeweils der Name einer Stadt und die Farbe einer der vier Seuchen. Hier sollte jeder Spieler versuchen, fünf Karten einer Farbe zu sammeln. Hat er das geschafft, kann er damit im Forschungslabor ein Heilmittel der jeweiligen Seuche (Farbe) erforschen.
In der dritten Phase des Spielzugs wird es dann spannend. Denn hier zieht der Spieler zwei neue Infektionskarten, auf denen sich ebenfalls jeweils der Name einer Stadt und die Farbe einer Seuche befindet. Auf den gezogenen Städten wird jeweils ein neuer Marker der entsprechenden Farbe gelegt. Anschließend ist der nächste Spieler an der Reihe. Beim Infizieren neuer Städte kann es auch zu Ausbrüchen und Kettenreaktion kommen. Zieht ein Spieler eine Infektionskarte einer Stadt, auf der sich bereits drei Marker befinden, kommt es zu einem Ausbruch. In diesem Fall wird jeweils ein Marker auf jede Stadt gelegt, die per Linie mit der gezogenen Stadt verbunden ist. Befindet sich darunter ebenfalls eine Stadt mit bereits drei Seuchenmarkern, erfolgt ein weiterer Ausbruch und der Kreis erweitert sich erneut. Kommt es im Verlauf eines Spiels zu mehr als sieben solchen Ausbrüchen, gilt die Mission der Spieler als gescheitert. Doch allein damit ist es bei Pandemie noch nicht getan. Neben dem beschriebenen Spielverlauf gibt es noch weitere Bedingungen, in denen das Spiel als verloren gilt. Beispielsweise darf euch der Vorrat an Seuchenmarker nicht ausgehen. Sobald eine Farbe nicht mehr nachgelegt werden kann, ist das Spiel verloren. Das gleiche gilt, wenn die letzte Spielkarte vom Zugstapel gezogen wurde und ein Spieler seine zweite Phase nicht mehr ordentlich beenden kann. Am Ende wird es meistens ein Kampf gegen die Zeit. Damit der Spielreiz möglichst lange erhalten bleibt, lässt sich der Schwierigkeitsgrad von Pandemie mittels zusätzlicher Epidemiekarten mehrmals erhöhen. Und auch der Austausch der Rollen bringt so einige Veränderungen auf das Spielbrett.
Wem das noch nicht reicht, der sollte sich mal die inzwischen zahlreichen Erweiterungen zu Pandemie anschauen: Auf Messers Schneide, Im Labor und Ausnahmezustand.
Vorarlberger Nachrichten: Reality-Star Kim Kardashian hat mit ihrem Bericht über ihre Party zum 40. Geburtstag einen Shitstorm auf Twitter provoziert. Nach Gesundheitschecks habe sie ihre engsten Freunde und Verwandten auf eine private Insel eingeladen und dort für mehrere Tage so getan, „als wäre alles normal“.
Christina Kraker-Kölbl, Leiterin des Frauenhauses Villach: Gesellschaftliche Machtverhältnisse werden noch deutlicher. Frauen sind einer Mehrfachbelastung ausgesetzt und vom Jobverlust tendenziell stärker betroffen. Alleinerzieherinnen stehen unter enormer Belastung, ihnen fehlt oft das Netzwerk. In Villach ist zudem aufgefallen, dass das Alkoholproblem bei den Gefährdern stärker geworden ist. Hier gibt es sicher einen Zusammenhang mit der Pandemie.
Nicht Chevy Chase, Twitter: Mein Vorschlag für den Jahresrückblick 2020: Zwei Stunden lang einen schwarzen Bildschirm senden, keiner spricht und stattdessen läuft die Gary Jules Version von „Mad World” in einer Endlosschleife.
Birgit Pölzl, Schriftstellerin: Vor dem Zusperren noch zum Baumarkt, einen Tiegel weißer Farbe zu besorgen. Eine Schlange an der Kassa, obwohl es erst zehn nach acht ist. In den Einkaufswagen Lasuren, Holzleisten, Abdeckfolien, Farbwalzen, Säcke mit Kaminholz, ein Sack mit Kies, pragmatisch die Leute an der Kassa, ohne Hang zu Hamsterkäufen, ohne Rabatteuphorie. Den Rausch der Sonderangebot-Affinen sehe ich im Fernsehen, die halb versteckte Scham der SchnäppchenjägerInnen.
Wörterbuch zur Corona-Pandemie: Babyelefant, [übertragen, umgangssprachlich, scherzhaft] ein Meter Mindestabstand zu anderen Personen zum Schutz vor Ansteckung mit dem Coronavirus, der in Österreich vorgeschrieben ist. Ilka Madlung, Restaurantbesitzerin, München: Besser jetzt ein Lockdown als während des Weihnachtsgeschäfts.
Zeit online: Die Corona-Pandemie hat in der konventionellen Literatur noch kaum stattgefunden, dafür ist die schlicht zu träge. Anders sieht es bei Fan-Fiction und Erotik-E-Books aus. Wer sich diese Prosa etwas näher anschaut, erkennt schnell, dass die Pandemie als Rahmen erotischen Erzählens einige Plotmöglichkeiten bietet, von verbotenen Stelldicheins im Lockdown bis zu Sex via Videochat. Daneben ist sie ein Rahmen für ganz bewusst übertreibende und übertriebene Geschichten, eine Mischung aus Sex und Galgenhumor.
Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen: Achten Sie auf die Hust – und Niesetikette! Halten Sie die Armbeuge vor Mund oder Nase oder benützen Sie ein Taschentuch, das Sie sofort entsorgen, halten Sie dabei Abstand zu anderen und drehen sich weg.
Faktencheck der München Klinik: Kaltes Wetter und Schnee hält das Virus nicht aus. Nein. Kälte macht Coronaviren nichts aus, zumal sich das Virus auch in den kühleren Breitengraden ausbreitet. Bei minus 20 Grad Celsius können sie auch im gefrorenen Zustand bis zu 2 Jahre infektiös bleiben. Zudem liegt die normale menschliche Körpertemperatur unabhängig von der Außentemperatur oder dem Wetter bei 36,5 bis 37 Grad Celcius.
Kerstin Kordovsky, Lehrerin in Salzburg: Es ist für die allermeisten von uns – außer sie waren in Kriegszeiten von Typhus betroffen – vermutlich die erste Pandemie. Und wir alle agieren ein wenig stressig, hektisch, hilflos, bauen Pannen, lernen beim Tun, machen Fehler … und dann gibt es eigentlich nur eine Reaktion: einander zu verzeihen. Entschuldigung, wir haben nun mal wenig Erfahrung mit alledem. Zur allgemeinen Verunsicherung tragen die sich ständig ändernden Regeln bei: „Was der Babyelefant war abgeschafft?“, habe ich mich erst gestern gefragt, als ich erfahren habe, dass er wieder eingeführt worden ist, „Also ich habe ihn immer gehalten … ist doch eh angenehmer.“
Bonner General-Anzeiger: New York ist tot, lang lebe New York. Mehr als 250.000 New Yorker sind seit März an Covid-19 erkrankt, fast 25.000 verstorben. Die Pandemie hat Familien und Existenzen zerstört, der Tourismus steht still. Doch während rund um die Sehenswürdigkeiten Manhattans gespenstische Leere herrscht, beweisen die New Yorker Resilienz und Nächstenliebe.
Anonym: In Österreich wurden in den letzten 24 Stunden 1.743 neue Fälle gemeldet. In Deutschland wurden 7.830 Menschen positiv getestet. In der Schweiz wurden gestern über 2.600 neue Fälle gezählt. In Frankreich, wo mehr als 25.000 Neuinfizierte gezählt wurden, wird in Paris und acht weiteren Städten eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 21 Uhr und 6 Uhr Früh verordnet. Portugal ruft den Katastrophenfall aus. Slowenien verordnete einen Teil-Lockdown für sieben Regionen, die besonders hohe Infektionszahlen aufweisen. In Italien, wo ebenfalls die Zahlen steigen, ist auch ein schneller Anstieg der Patienten auf Intensivstationen und an Corona-Toten zu verzeichnen. Die WHO stellte fest, dass in Europa derzeit täglich mehr Neuerkrankungen zu verzeichnen sind als zu Beginn der Pandemie.
B.Z.: Überlebt die Bundesliga eine Saison ohne Fans? Der erneute Lockdown verstärkt die Existenz-Angst bei den Sport-Vereinen!
Kathrin Passig, Schriftstellerin: Im Dezember 2019 oder Januar 2020 nahm ich an einer Umfrage teil, wie viele Opfer diese gerade in China neu aufgetauchte Infektionskrankheit insgesamt fordern werde. „Unter 1.000“ gab ich an, denn schließlich hatte es in den vergangenen Jahren immer wieder mal Alarm wegen irgendwelcher Krankheiten gegeben, von denen man danach nicht mehr viel hörte. Anfang April sollte ich, wieder im Rahmen einer Umfrage, eine Schätzung abgeben, wie viele Coronafälle Deutschland wohl am Ende des Monats haben werde. Ich rechnete eine Weile herum und trug dann „300.000“ ein, eine Zahl, die erst sechs Monate später erreicht wurde. Beim ersten Mal hatte ich die Sache unterschätzt, beim zweiten Mal überschätzt. Beide Meinungen hätte ich mit Sicherheit vergessen, wenn ich nicht an den jeweiligen Umfragen teilgenommen hätte. Ohne diese konkrete Erinnerung an meine Ansichten wäre ich heute überzeugt, die Gefahr erstens früher als andere erkannt und zweitens richtiger als andere eingeschätzt zu haben. Eine Meinung aufzuschreiben hilft nicht dabei, realitätsnähere Meinungen zu haben. Es hilft aber immerhin dabei, später zu merken, dass man keine Ahnung hatte, und vielleicht sogar, warum.
Gabriele Kögl, Autorin: Ein Sonnentag. Ich möchte hinaus. Vitamine tanken, damit die Coronakugeln an mir abprallen wie ein Schneeball an einer Daunenjacke. Zum Glück muss ich beim zweiten harten Lockdown nicht um den Augarten kämpfen. Ich darf mich in der frischen Luft bewegen, niemand schreit: „Stay the fuck home!“ Die Kinder klettern auf den Gerüsten des Spielplatzes. In der Gastwirtschaft gibt es Kaffee, Punsch oder Glühwein zum Mitnehmen. Im Augarten ist es fast wie im normalen Leben.
Tagesschau online: Falsche Drohungen mit rechtlichen Konsequenzen: Maskengegner sehen darin eine Verordnung, die an Arbeitsstätten und auch in Schulen anzuwenden sei – und versuchen, Druck auf Arbeitgeber, Vorgesetzte, Lehrer, Direktoren und Elternvertretungen auszuüben. Andernfalls seien diese ab dem 9. November für Schäden durch Masken bei ihren Schülern und Angestellten haftbar, behauptet der „Querdenken“-Anwalt Ralf Ludwig.
Imre Grimm, Twitter: Treffen sich 2050 zwei Historiker. „Und – was ist ihr Fachgebiet?“ „Mittelalter. Und Ihres?“ „Das Jahr 2020.“ „Ah – welche Woche?“
Rudolf Anschober, österreichischer Gesundheitsminister: Bitte am besten daheim bleiben!
Daniel Kehlmann, Schriftsteller, Berlin: Wenn wir in dieser Krise etwas gelernt haben, dann eines: Skypen ist kein Ersatz für irgendetwas. Man macht’s im Notfall oder zu Berufszwecken, aber das Freundschaftliche, Menschliche, Intime lässt sich auf einem kleinen Bildschirm nur schwer übertragen. Der Mensch ist kein digitales, er ist ein analoges Wesen.
Faktencheck der München Klinik: Beim Einkaufen ist man einer höheren Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Nein. Wer einkaufen geht, muss kein massiv erhöhtes Ansteckungsrisiko fürchten. Entscheidend ist die Einhaltung der Hygieneregeln: Abstand halten, nicht ins Gesicht fassen und hinterher gründlich Hände waschen. Im Allgemeinen sind Coronaviren laut BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) nicht besonders stabil auf trockenen Oberflächen und überleben nur einige Stunden bis wenige Tage. Daher ist es nach derzeitigem Wissensstand unwahrscheinlich, sich durch importierte Gegenstände anzustecken.
Rudolf Anschober, österreichischer Gesundheitsminister: Jetzt geht es um alles! Die nächsten drei, vier Wochen werden entscheidend für unsere Zukunft sein!
Peter Kaiser, Kärntner Landeshauptmann: Wir müssen höllisch aufpassen!
Rudolf Anschober, österreichischer Gesundheitsminister: Jetzt entscheidet sich, wie es mit uns, dem Arbeitsmarkt und der Wirtschaft weitergeht. Da brauchen wir jeden Einzelnen dafür, jetzt geht’s ans Eingemachte. Jeder ist Teil der Lösung.
stern: Karl Lauterbach hat sein Reservoir an düsteren Voraussagen noch längst nicht ausgeschöpft. „Ich bin nicht sehr optimistisch, wenn ich an die nächsten Wochen denke“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete, der als gelernter Epidemiologe bislang die Kunst beherrschte, sich auch bei niedrigen Infektionsständen als Mahner vom Dienst unbeliebt zu machen. Kein Szenario zu düster, als dass es Lauterbach nicht in petto gehabt hätte. Nun stellt sich raus: So ganz falsch lag er nie. Man hätte rechtzeitig auf ihn hören können. Aber wer will schon ständig mit dem Schlimmsten konfrontiert werden, wenn er glaubt, das Schlimmste bereits hinter sich zu haben? Jetzt ruft Lauterbach wieder: Es reicht alles nicht. Wir brauchen noch mehr Einschränkungen, mehr Verzicht, mehr Kontaktverbote, um über den Herbst zu kommen. „Weniger Freunde treffen, weniger Restaurant, halbe Klassen, weniger Reisen, mehr Homeoffice, Sperrstunde.“ Andernfalls, prophezeit Lauterbach, „werden die Zahlen in wenigen Wochen so stark gestiegen sein, dass uns nur noch ein erneuter Lockdown bleibt“.
Rudolf Anschober, österreichischer Gesundheitsminister: Es geht jetzt um alles.
Sebastian Hofer | Wolfgang Paterno
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