Achim Szepanski
Weiterhin geistert unentwegt durch westliche Medien und Talkshows, dass der Westen, insbesondere Europa, ohne wirklich dem Angriffsopfer Ukraine beizustehen, durch die Importe fossiler Energie (Kohle, Öl und Gas) aus Russland Putins Krieg finanziere, während die aus dem Krieg resultierenden Verknappungen von fossiler Energie zu Preisanstiegen führten.
Russlands Staat hat aber seinen Angriffskrieg bereits vor der Invasion finanziert, denn die russische Kriegsmaschinerie ist lange vor Kriegsbeginn durch die Umleitung massiver Ressourcen von Arbeitskräften und Maschinen in den militärisch-industriellen Komplex Russlands entstanden. Das ist nur zum Teil auf die Einnahmen der staatlichen Öl- und Gasunternehmen aus den Energierohstoffexporten zurückzuführen, die zunächst in den Währungen der Importländer (US-Dollar und Euro) bezahlt wurden und dann zum Teil am Devisenmarkt von der russischen Notenbank angekauft werden, womit dann die staatlichen Exportfirmen auch ihre Steuern an die Finanzbehörden in Rubel abführen konnten.
Ein weiteres wichtiges Instrument zur Regulierung des Einsatzes von produktiven Kapazitäten in den Militärapparat sind die staatlichen Notenbankreserven. Da der russische Staat über das Monopol zur Herstellung dieser Reserven in Rubel verfügt, halten sich die Finanzierungsprobleme bei einer temporären Schwächung der Staatseinnahmen aus den Quellen der Exporterlöse im Rohstoffhandel zunächst in Grenzen. Der russische Staat kann ja Anleihen vergeben, die von der Notenbank gezeichnet oder von den Emissionsbanken am Sekundärmarkt erworben werden, um die Versorgung mit Reserven sicherzustellen.
Aber die Sache ist doch etwas komplizierter. Russlands Reserven haben die Funktion eines nationalen strategischen Puffers. So haben sie in den Jahren 2008 und 2014 funktioniert. Wenn das russische Finanzsystem und die russische Währung unter Druck geraten, können Dollar und Euro aus den Reserven gegen Rubel verkauft werden, wodurch der Wert der Währung gestützt und der Abwertungsprozess verlangsamt wird, was den Schuldnern die Möglichkeit gibt, ihr Engagement gegenüber ausländischen Gläubigern abzubauen, und Importeure und Verbraucher entlastet. Der springende Punkt ist, dass die Euro- und Dollarreserven nur durch den Verkauf auf den westlichen Finanzmärkten eingesetzt werden können. Diese Transaktionen erfordern zwischengeschaltete Banken. Und diese Banken können daran gehindert werden, sich an Transaktionen zu beteiligen, an denen die russische Zentralbank beteiligt ist.
Russische Reserven sind aber auch Petrodollars, die recycelt werden. Das sind die Exporteinnahmen eines Öl- und Gasexporteurs. Exporteure fossiler Brennstoffe geben nun das Geld, das sie verdienen, nicht einfach für Importe aus, sondern sie verleihen das Geld, das sie mit dem Verkauf von Öl und Gas verdienen, an ihre Kunden zurück und bauen damit finanzielle Forderungen auf oder sie stellen den globalen Finanzmärkten Mittel zur Verfügung. Öl und Gas werden so in einen dauerhaften Strom von Zinszahlungen und Dividenden umgewandelt.
Somit ist Russlands Reservenakkumulation auch eine Finanzierungsquelle auf den westlichen Märkten. Die Reserven liegen nicht einfach untätig auf den Konten der Zentralbanken, sondern werden ausgeliehen. Mit den Sanktionen ist die Finanzierung durch Russlands Petro- und Gasdollars aber in Gefahr. Und das betrifft nicht nur Russland.
Wenn man Russland sanktioniert und damit Hunderte von Milliarden Dollar in der globalen Bilanz blockiert, muss man sich fragen: Was passiert mit der anderen Seite der Bilanz? Die Reserven sind die Aktiva Russlands, sie sind die Passiva eines anderen, der wiederum diese Passiva mit einem Aktivum ausgeglichen hat und so weiter. Diese Ketten können verzweigt und kompliziert sein. Bei den russischen Geldern in europäischen Zentralbanken handelt es sich nicht einfach um untätig herumliegende Geldsammlungen. Sie sind Teil komplexer Transaktionsketten, die durch die Sanktionen gefährdet werden könnten.
Und damit sind wir bei den Sanktionen. Die Sperrung großer Teile der russischen Währungsreserven, der SWIFT-Ausschluss russischer Banken am internationalen Zahlungsverkehr und das Verbot für russische Staatsanleihen an wichtigen westlichen Finanzplätzen zu handeln, belasten die russische Währungssouveränität, ohne dass natürlich die die staatliche Geldsouveränität in Form der nationalen Währung vor allem für den Binnenmarkt außer Kraft gesetzt werden kann. Die handels- und währungspolitischen Kapazitäten Russlands werden aber reduziert, was das Management des Wechselkurses für den Rubel komplizierter macht und die Risiken der Inflation, die aus dem versorgungsrelevanten Importhandel entstehen, der für die innovationsschwache russische Wirtschaft notwendig ist, zusätzlich zur preistreibenden Kriegswirtschaft erhöhen.
Russland wird sich mit der Entwicklung alternativer Zahlungsmechanismen beschäftigen, die über den Renminbi oder die Rupie laufen könnten. Es könnte Zahlungen für seine Exporte in Renminbi akzeptieren und die in Renminbi bezahlten Importe aus China und möglicherweise anderen Ländern, die Renminbi akzeptieren, erhöhen. Da Zahlungen auf Renminbi-Basis höchstwahrscheinlich von Institutionen außerhalb des unmittelbaren Einflussbereichs des Westens abgewickelt werden, könnte dies funktionieren. Aber so wichtig diese Verschiebung auch sein mag, auf kurze Sicht ist der Dollar weiter maßgeblich. Und letztlich gibt es nur eine einzige unbegrenzte Dollarquelle für die Weltwirtschaft: die Fed.
Was sich 2022 vor allem geändert hat, ist der beispiellose Schritt, die russische Zentralbank zu sanktionieren, was dazu führt, dass ein großer Teil der russischen Reserven für die russischen Entscheidungsträger nicht mehr verfügbar ist. Die schwerwiegendste Maßnahme der Sanktionen besteht also darin, das Dollar-Guthaben der russischen Zentralbank einzufrieren. Dies ist noch nie zuvor einem G20-Mitgliedstaat passiert. Nur die Zentralbanken Venezuelas, Nordkoreas und Irans haben dieses Schicksal erlitten. So können die russischen Devisenreserven in Dollar nicht mehr zur Stützung des Rubels auf den internationalen Devisenmärkten oder zur Finanzierung inländischer Geschäftsbanken in Dollar verwendet werden. Die Regierung muss sich auf die Finanzierung durch den Rubel und auf Nicht-Fiat-Währungen (1) wie Gold verlassen. Russland hat in den letzten Jahren immer mehr Gas nach Europa geliefert und dafür Bankguthaben im Eurosystem erhalten, die jetzt auch eingefroren werden. Wer gegen fremde Währungen exportiert, geht immer ein Risiko ein. Wer gegen die eigene Währung importiert, hat unter Umständen Vorteile.
In Verbindung mit den westlichen Embargos gegen die Einfuhr russischer Energierohstoffe (Kohle-, Öl- und Gasembargo), aus denen bisher der Hauptteil der Währungseinnahmen erzielt wurde, wird Russland gezwungen, seine internationale Handels- und Währungspolitik zu verändern. Und das wird wahrscheinlich zu einer stärkeren Verflechtung mit den süd- und ostasiatischen Wirtschaftsräumen unter maßgeblicher Beteiligung Chinas und Indiens führen, deren Bevölkerungsreichtum hohe Wachstumspotenziale versprechen. Russland wird daher nach einer logistischen Anpassungsphase neue Absatzmärkte für seine Energierohstoffe in Asien finden und sich mit seiner Währung verstärkt in ein alternatives internationales Zahlungsverkehrssystem (vermutlich unter Chinas Anleitung) integrieren. Allerdings ist dieser Prozess noch lange nicht so vorangeschritten, wie man vielleicht annehmen möchte.
Der Wirtschaftskrieg des Westens und das Embargoverhalten der EU im Handel mit fossilen Brennstoffen Russlands erzeugen Unsicherheit an den Märkten, wodurch dem spekulativen Kapital ein weites Feld eröffnet wird, was meist zu Preissteigerungen führt. Die Energiepreisexplosion, die neben den pandemiebedingten Lieferkettenstörungen die Inflation vor allem vorantreibt, wird durch den Wirtschaftskrieg, der wiederum die Spekulanten an den Finanzmärkten motiviert, angetrieben, wobei letztere die wahren Verursacher der Steigerung der Energiepreise sind. Die Inflation ist daher zu einem guten Teil eine Spekulationsinflation, die an den Finanzmärkten, im speziellen an den Terminhandelsmärkten für Energierohstoffe, ihren Ausgang nimmt, allerdings in der Preisdurchsetzungsmacht der Energiekonzerne als Gewinninflation nur bedingt ihre Fortsetzung findet. In den letzten 10 Jahren haben nämlich die großen Öl- und Gaskonzerne teilweise auch enorme Verluste erlitten. Die fünf Super-Majors („Big Oil“) – Exxon Mobil, BP, Shell, Chevron und Total – haben im Jahr 2020 satte 76 Milliarden Dollar verloren. Die Ölpreise stürzten 2020 in den negativen Bereich.
Zwar spielen Angebot und Nachfrage eine gewisse Rolle bei den dramatischen Schwankungen der Öl-, Gas- und Lebensmittelpreise, doch die eigentliche Ursache für die derzeit steigenden hohen Preise (und zum Teil ihre anschließenden Abstürze) liegt an den Finanzmärkten. Dies zu verstehen ist wichtig, denn der Anstieg des Ölpreises hatte schon einmal schwerwiegende, teilweise katastrophale Folgen, er hat den Zusammenbruch des Klimas beschleunigt. Die Preise werden also auf den globalen Termin-, Options- und Derivatemärkten festgelegt, wo Investoren und Händler über die Entwicklung des Ölpreises spekulieren und damit den (aktuellen) Spotpreis beeinflussen. Um es salopp auszudrücken, werden die Preise für Rohstoffe vor allem von den Spekulanten an der Wall Street und an der Chicago Mercantile Exchange bestimmt – nicht etwa von Politikern in Washington oder Moskau. Nicht von den CEOs globaler Ölgesellschaften wie BP oder EXXON. Nicht einmal durch die steigende Nachfrage, denn die Preisbildung auf den Spotmärkten für fossile Energierohstoffe und ihre Derivate, die für die Versorgung mit Kraftstoffen und Wärmeenergieträgern wichtig sind, wird weniger durch reale Knappheiten und Versorgungsengpässe beeinflusst, sondern durch die spekulative Erwartung von eventuellen Knappheiten in der nahen Zukunft, die sich in der Preisgestaltung von Terminkontrakten und Derivaten an den Finanzmärkten zeigen. Kapitalisierung heißt heute die Diskontierung, man sucht den berechneten (diskontierten) gegenwärtigen Wert der in der Zukunft zu erwartenden, risikobereinigten Gewinne einer ökonomischen Einheit. Die Diskontrate dient dazu, den gegenwärtigen Wert der auf die Zukunft ausgerichteten Verbindlichkeiten einzuschätzen.
Derivate sind Formen und Instrumente des spekulativen Kapitals, mit dem die Kreisläufe eines globalen, nomadischen und opportunistischen Kapitals bewirtschaftet werden. Das Derivat ist kein Ding, ist es relational sui generis, vielmehr noch, es ist eine Relation von Relationen – zunächst ist hier die relative Volatilität des Derivatpreises selbst in Relation zu der Volatilität des Preises des Basiswerts zu beachten. Optionen sind zum Beispiel Derivatverträge, die das Recht beinhalten, Basiswerte bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (Fälligkeit) und zu einem festgelegten Preis zu kaufen (call) oder zu verkaufen (put), ohne dass man die Option auszuführen braucht. Bei Derivaten handelt es sich generell um Finanzinstrumente bzw. -verträge, die Zahlungen versprechen, die sich aus der Spekulation auf den künftigen Wert von etwas anderem, dem so genannten „Basiswert“, ergeben, der alles Mögliche sein kann, Preise, Indizes, Objekte etc. Dieser Prozess involviert zwei bewegende Momente: die Spekulation auf die Relationen und der Verlauf der Zeit. Das Design und die Definition eines Derivatvertrags werden durch die Variablen Zeit, Preisfluktuation und Volatilität bestimmt. Zum einen ist die Volatilität des Derivats in Relation zur Volatilität des Basiswerts zu berücksichtigen, zum anderen sind die Relationen des Derivats auf sich selbst zu beachten (die internen Preisbewegungen, die volatil sind). Die derivative Preisgestaltung erzeugt hinsichtlich des zweiten Aspekts einen Modus der Volatilität und Optionalität, mit dem die Preisgestaltung sich intrinsisch auf die Operationen an den Derivatmärkten bezieht.
Wie die US Energy Information Administration erläutert, gibt es Unterschiede zwischen den Teilnehmern an den verschiedenen Märkten für Öl. Kommerzielle Händler (Ölproduzenten und Fluggesellschaften) kaufen und verkaufen physische Ölmengen. Nicht-kommerzielle Händler (Banken, Hedgefonds, Rohstoffhandelsberater etc.) kaufen oder verkaufen kein Öl, sondern sie spekulieren lediglich mit Finanzinstrumenten (Terminkontrakten und Derivaten) auf Öl. Putin oder EXXON-Führungskräfte können zwar das Ölangebot beeinflussen, aber beide haben nur wenig Einfluss auf den Preis für ein Barrel Öl. Putin hatte Recht, als er im Juni 2022 behauptete, dass Russland die Ölpreise nicht festlegt.
Ein Großteil von Putins Macht beruht zudem auf den Finanzmärkten. Es wird geschätzt, dass Russland zwischen 2002 und 2012 allein von Finanzspekulanten bis zu 560 Milliarden Dollar zusätzlich erhalten hat, die zum Großteil von der Wall Street und der Londoner City kamen.
Als die Ölpreise niedrig waren, wie in den 1990er Jahren, verfügte Russlands Präsident Jelzin nicht über die geopolitische Macht, die heute Präsident Putin ausübt. Die Macht, den Ölpreis zu bestimmen, liegt also bei den globalen Finanzmärkten für Öl. Wie ein Bericht des US-Senats aus dem Jahr 2006 feststellt, funktioniert dieser Markt außerhalb der Reichweite der oben genannten Produzenten und außerhalb der Regulierungssysteme der meisten Regierungen. Zur gleichen Zeit, in der ein enormer Zustrom von spekulativen Dollars in Energierohstoffe zu verzeichnen war, hat die Fähigkeit der nationalen Kontrollbehörden abgenommen, Art, Ausmaß und Wirkung dieser Spekulationen zu überwachen. Vor allem hat sich der Handel mit US-Energierohstoffen an Börsen, die nicht von der CFTC (Commodity Futures Trading Commission) reguliert werden, explosionsartig erhöht.
Die Macht des spekulativen Kapitals hat mit der Verabschiedung der US-Gesetzgebung im Jahr 2000 weiter zugenommen, weil grundlegende Rohstoffe wie Öl und Weizen, die bisher auf traditionellen Märkten gehandelt worden waren, durch die Deregulierung im Rahmen des Commodities Futures Modernisation Acts finanzialisiert wurden. Die an der Chicago Mercantile Exchange und der New York Mercantile Exchange tätigen Spekulanten verdanken der Clinton-Regierung das Geschenk des Commodities Futures Modernisation Acts. Diese Gesetzgebung zur Deregulierung der Rohstoffmärkte beruhte auf einem Bericht, der von Alan Greenspan, Larry Summers und Robert Rubin angefertigt wurde. Neue Derivat-Instrumente wie Credit Default Swaps wurden jetzt nicht mehr als „Futures“ gemäß dem Commodity Exchange Act von 1936 (CEA) oder als „Wertpapiere“ gemäß den Bundeswertpapiergesetzen reguliert.
Derivate stehen nun im Mittelpunkt der Spekulation und sind weitgehend vom Wert des zugrunde liegenden Basiswerts wie zum Beispiel Öl abgekoppelt. (Genauso wie die Subprime-Hypotheken, die als Collateralized Debt Obligations gebündelt wurden, vor der Finanzkrise von 2008 vom realen Immobilienmarkt abgekoppelt wurden). Es werden nun weitaus mehr Derivate und Terminkontrakte gehandelt als Barrel Öl gehandelt werden. Spekulative Finanzinstrumente machen zwischen dem 25- und 50-fachen des Gesamtwerts des Öls aus, auf dem sie (zunehmend nur tangential) beruhen.
Die Bedeutung des spekulativen Kapitals, dessen Instrumente die Derivate sind, sowie des fiktiven Kapitals, welches Kredit, Aktien und Anleihen umfasst, wuchs mit der globalen Liberalisierung der Finanzmärkte und der Einführung der Computer- und Informationstechnologie auf diesen Märkten. Anfang der 1970er Jahre trat das spekulative Kapital in seiner Reinform zuerst in den USA und dann in Europa auf, wobei mit der Zeit eine relative Abkopplung des Finanzsystems von der Produktion und den staatlichen Aufsichtsbehörden stattfand. Die Arbitrage, das Hedging und die Spekulation auf Währungen wurde wiederum durch das Ende von Bretton Woods ermöglicht.
Das frei flottierende Geldkapital wanderte in den Einflussbereich von privaten Banken, Investment- und Hedgefonds, und führte dort zur Kreation und Rekreation von fiktivem und spekulativem Kapital. Die Derivate und alle weiteren exotische Finanzinstrumente, welche einerseits als Machttechnologien, andererseits als neue spekulative Kapitalformen, mit denen Profite erzielt werden, zu begreifen sind, stellen heute eine notwendige Bedingung für die ständig stattfindende Implementation der Kapitalisierung in das gesamte ökonomische Feld dar. Derivate gelten als Instrumente, die das spekulative Kapitel in komplexen (und destruktiven) Prozessen kreiert und innerhalb endogener Kreisläufe einsetzt, um sich zugleich mittels einer Maschine der Securitization/Versicherung, die die Kreation, das Design und die Verteilung der Risiken betreibt, als eine Art informelle Aufsichtsbehörde immer tiefer in die Produktion einzugraben. Dieser Prozess wird von Ökonomen oft viel zu kurzsichtig als Kontaminierung der „realen“ Wirtschaft angesehen, obgleich doch das spekulative Kapital eine Art von Dirigent verkörpert, der für die Einzelkapitale, egal welchem Sektor sie nun angehören, den Takt und damit die Bedingungen für deren Kapitalisierung und Strategien angibt.
Die Rohstoffpreise sind heute einem volatilen Wettrüsten der Finanzmärkte ausgesetzt, was zu wilden Ausschlägen der Preise nach oben oder unten führt.
Das finanzielle System ermächtigt die Kapitaleigner, ihr Kapital über die Grenzen hinweg flottieren zu lassen. Sie können dies ohne Rücksicht auf die Folgen für den Wechselkurs eines Landes, seine öffentlichen Finanzen oder seine wichtigen Rohstoffmärkte tun.
Und sie tun dies innerhalb eines Finanzsystems, das so geheimnisvoll, geschlossen und von der Öffentlichkeit abgeschottet ist wie der Kreml. Die Öl- (und Lebensmittel-) Preiskrisen werden derzeit mit moralischen Begriffen diskutiert: die Guten und die Bösen. Zelensky gegen Putin. Die Energiereichen und die Energiearmen. Und die veraltete und vereinfachende Theorie von „Angebot und Nachfrage“ in der realen Welt wird wieder aus der Mottenkiste geholt.
Wenn Habeck davon schwafelt, das Deutschland ärmer werde, dann ist das dahingehend zu konkretisieren, dass durch die spekulationsgetriebene Inflation die vielen Konsumenten der unteren und mittleren Einkommensschichten ärmer werden, aber reicher werden insbesondere die Finanzakteure, die aus der Spekulation mit fossilen Brennstoffen und der damit einhergehenden Vereinnahmung der erhöhten Preise profitieren.
Durch den Wirtschaftskrieg um die angeblich für Putins Angriffskrieg finanzierungsentscheidenden Öl- und Gasexporte, von denen die Energieversorgung mehrerer Länder in der EU abhängt, wird die Unsicherheit geschaffen, die an den Finanzmärkten zu den spekulativen Eskalationen der Preise führt. Dieser Wirtschaftskrieg soll zudem den Doppeleffekt erzeugen, einerseits die Abhängigkeit von russischen Energierohstoffen zu reduzieren und andererseits eine beschleunigte Dekarbonisierung der Wirtschaft herbeizuführen.
Dahinter verbirgt sich der neoliberale Glaube an die effiziente Lenkungskompetenz des kapitalistischen Marktpreissystems. Demnach führt die Preiselastizität der Nachfrage bei genügend hoher Verteuerung zur Reduktion der Nachfragemenge für fossile Brennstoffe. Durch den Verlust von Preisvorteilen werden Umlenkungseffekte erzeugt, sodass über den Markt die Energie- und Mobilitätswende erreicht werden kann. Wenn dann durch Bonuszahlungen des Staates soziale Sicherungsmaßnahmen gegen Armutsgefährdung ergriffen werden, wird dies auch wieder eingeschränkt. Die Haushalte mit höheren Einkommen, die beim fossilen Energieverbrauch an der Spitze stehen, können den Preisanstieg problemlos hinnehmen. Ein unmittelbare Lenkung über den Markt funktioniert also nicht.
Die Preiselastizität der Nachfrage hängt von der Höhe der Einkommen ab. Im unteren und mittleren Einkommensbereich ist die Preiselastizität der Energienachfrage hoch, wobei sie bei den höheren Einkommen abnimmt. Das hängt mit den einkommensabhängigen Restriktionen zusammen, da bei Haushalten mit niedrigen und mittleren Einkommen eine unmittelbare Wirkung des Preisanstiegs auf das Konsum- und Ausgabenverhalten stattfindet.
Da sich diese Haushalte die Energiepreiserhöhungen nicht leisten können, über die Mittel für energiesparende Investitionen wie Umstellung der Heizung nicht verfügen, sind sie zu direkten Einsparungen gezwungen und erleiden Realeinkommensverluste. Die Ausgleichszahlungen sind für die unteren Schichten wie ein Tropfen auf einen heißen Stein. Der Sozialpolitik geht es nun wie dem Politischen selbst. Man verabreicht sie den Massen in homöopathischen Dosen, verdünnt sie so weit, dass sie im Verhältnis zur Gesamtlösung verschwindend gering wird, bis sie schließlich verschwindet und nur noch eine Spur hinterlässt, die so klein ist, dass sie kaum mehr wahrgenommen werden kann, aber schließlich als Simulation (als eine Politik der wohlgemeinten Ratschläge, wie man spart) überlebt. Wenn die Sozialpolitik als Vergabe von Almosen an das Recht des Spenders gebunden ist, das Privatleben des Empfängers en detail zu kontrollieren, dann bedarf ihre Simulation dieser Kontrolle nicht mehr, weil sie in alles einsickert, bis sie den universellen Konsumenten-Patienten erzeugt hat.
Einen immer größer werdenden Teil der Bevölkerung vor der (ökonomischen) Verwahrlosung zu retten, indem man das Ökonomische zumindest als Nachfrage und Konsum restituiert. Es gibt jetzt staatliche Zuschüsse und Entlastungen für ärmere Haushalte, damit diese im Klima der Inflation weiter ihre Energierechnungen bei den Stadtwerken, ihre Mieten bezahlen und in den Discountern einkaufen können. Als Produzent ist dieser Teil der Masse längst eliminiert, er ist allenfalls die Parodie auf die Arbeit oder der Arbeiter als eine in Cellophan verpackte Hure (Baudrillard), als Konsument darf er jedoch nicht ganz aufgegeben werden. Das Kapital musste sehr bald das Proletariat nicht nur zum Arbeiten, sondern auch zum Konsumieren bringen. Der Konsum wurde zum strategischen Element; das Proletariat muss von nun an als Konsument mobilisiert werden, seine „Bedürfnisse“ werden genauso wichtig wie ihre Arbeitskraft. Nicht nur, weil die Waren auch verkauft werden müssen, sondern weil die Kontingenz der Nachfrage abgeschafft werden muss, um eine geplante Sozialisierung für die Ware, die Information und die Bilder einzuleiten (wofür dann Werbung und Marketing stehen, selbst noch die Ein-Euro-Ware muss Woche für Woche in billigen Reklameheftchen beworben werden).
Den armen Teil der Bevölkerung vor der ökonomischen Verwahrlosung zu retten, ist auch deswegen notwendig, weil der Staat sich als Legitimationsinstanz nicht ganz aufgeben kann, sondern sich selbst noch beim Sub-Proletariat bewähren muss. Wenn ihm dies nicht gelingt, droht er jeden sozialen Protest als rechtsradikal zu diskriminieren und zu externalisieren. Wenn man Nancy Faesers Aussage, man könne seine Meinung auch kundtun, ohne sich zu versammeln, wirklich ernst nimmt, dann muss man von einer Erpressung sprechen. Mehr noch, der Einzelne wird nun als Geisel genommen. Denn eine Geisel zu nehmen, heißt sie einem Territorium zu entreißen, um sie in einer kleinen Zelle zu versenken. Die Geisel hat kein Territorium, also braucht man sich ja auch nicht versammeln. Man kann sich dann vor den Bildschirm setzen und Plakate hochhalten. Das funktioniert auch, weil wir selbst zu Bildschirmen geworden sind (via Smartphone). Aber das heißt auch, dass niemand mehr an Frasers Aussage glaubt, denn der Bildschirm glaubt nicht daran, was er aufzeichnet, warum auch. Weil der Staat Sozialpolitik als Resterampe oder lediglich in homöopathischen Dosen betreibt, muss er Sozialpolitik andauernd simulieren. Davon zeugen dann die täglich im Frühstücksfernsehen abgesonderten Ratschläge der Politiker (insbesondere an die Armen), die sparsames Duschen und korrektes Händewaschen anempfehlen. Das ist von der gleichen Sorte, wie einem Hungernden den Rat zu geben, noch weniger zu essen. Ein-Euro-Duschen ist die Vorgabe, wenn Sozialpolitik simuliert wird, und solches Duschen erzeugt zudem noch die Beigabe, dass für das Vaterland gespart wird, um die Wirtschaft des Russen weiter schwächen zu können.
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Fiat Währungen oder Fiat Geld, siehe https://www.moneyland.ch/de/fiatgeld-definition