Antiautoritäre Resignation: Die eigene Unfähigkeit ist die neue Stärke der Rechten

Anarchist Fox

Fundamentalkritische Wortmeldungen aus dem deutschsprachigen anarchistischen und antagonistischen Raum zum Ausnahmezustand in dem wir mittlerweile seit acht (!) Monaten leben, sind immer noch mit der Lupe zu suchen. Deshalb übernehmen wir den folgenden Text von Anarchist Fox und danken der Autorin und den Gefährt*innen vom Schwarzen Pfeil dafür, dass sie uns diesen Text zugesandt haben. Sunzi Bingfa

„Zur Arbeit gehen, zur Schule gehen, heimkommen, fressen, schlafen. Wiederholen“- Das ist die neue Normalität, welche ich in meinem vorherigen Artikel Covid-1984 angesprochen habe und welche eine breite Akzeptanz einer linken Bewegung sowie vermeintlichen Antiautoritären genießt.

Dass Linke zum Abnickdackel staatlicher Maßnahmen mutieren ist für mich keine überraschende Angelegenheit. Doch wenn Anarchist:innen und Antiautoritäre (merke: antiautoritär und links sind keine Synonyme!) den selben Weg einschlagen, stellt sich nur noch eine Frage: Wie konnte das passieren? Resignation? Ein besonderes Maß an Naivität, dass es dem Staat tatsächlich in erster Linie um Rettung von Menschenleben geht? Falsch verstandene Solidarität? Oder die „Erkenntnis“, dass in einer tödlichen Pandemie andere Regeln gelten und wir auf Big Daddy angewiesen ist?

Die antiautoritäre Bewegung in Deutschland war bereits vor der Pandemie geschwächt. Nun muss man sich so langsam die Frage stellen, ob sie nicht bereits im Sterben liegt. Besonders heute zeigt sich, wer tatsächlich von sich behaupten kann eine antiautoritäre Person zu sein und antiautoritär handelt und denkt, und wer doch nur links ist und mit Staat und Polizei kuschelt. Viele Antiautoritäre empfinden durch die Ereignisse der vergangenen Monate ein Gefühl der Entfremdung von ihren Kreisen. So zB auch astrid suggs, die unter diesem Artikel Folgendes kommentiert hat:

Ein sehr guter und kluger Artikel. Leider zu spät. Ich arbeite in einem Pflegeheim und werde die Ignoranz, Arroganz und Empathielosigkeit mit der die Maßnahmen in den Altenheimen (und anderswo) kritiklos und undifferenziert für gut geheißen wurden den „Linken“ nie vergessen. Ich habe in den ganzen Monaten der Kritik in der Bewegung niemanden gefunden, der meine Gefühle oder Ansichten teilt. In mir ist ein Kartenhaus zusammengebrochen. Mein Fazit : Links sein? Alles fake. Durch das Totalversagen der kompletten linken Bewegung, die sich zum Abnickdackel der Corona Maßnahmen der Bundesregierung gemacht hat, wurde ich als Kommunistin und Antifaschistin politisch endgültig in die Heimatlosigkeit getrieben.“

Die antiautoritäre Präsenz hinsichtlich einer eigenen Antwort auf die Pandemie ist – milde ausgedrückt – ernüchternd. Seit den ersten großen Maßnahmen im März sind 8 Monate vergangen und die antiautoritäre Bewegung in Deutschland hat kaum etwas auf die Beine gestellt. Es dürfte mittlerweile schwierig werden aus dieser Lage herauszukommen – wenn auch nicht völlig unmöglich. Bei all den Trauerspielen der letzten Zeit habe ich doch tatsächlich noch Hoffnung.

Nur wenige antiautoritäre Personen haben bereits vor den ersten Maßnahmen gewarnt. Dass der Staat die Pandemie ausnutzt um die Überwachung auszubauen. Oder wie es Edward Snowden so treffend ausdrückte: um eine Architektur der Unterdrückung aufzubauen, welche das Virus überstehen wird. Diejenigen, die es trotzdem getan haben, wurden nicht selten von vermeintlichen Genoss:innen hart angegriffen, ihre Worte als Schwurbelei abgetan, ihre Anti-Haltung als unsolidarisches Verhalten aufgefasst. So verstummten kritische Stimmen.

Was ist aus der kritischen Haltung geworden auf den Staat und seine Maßnahmen, Gesetze und Regeln zu reagieren? Es folgte ein tiefes Schweigen bis hin zu einem Abwinken aller Corona-Maßnahmen. Nun befinden wir uns in einem zweiten „Lockdown“ und spätestens jetzt sollte so langsam auch die letzte Person verstanden haben, dass es dem Staat nie um Rettung von Menschenleben ging, sondern um Rettung der Wirtschaft um jeden Preis.

Mit dem Dritten Infektionsschutzgesetz will der Staat den Überwachungskapitalismus noch weiter auszubauen. Eine größere Debatte über das, was auf uns zurollt, in antiautoritären oder linken Kreisen? Fehlanzeige. Stattdessen wird die Zeit damit verbracht, autoritäres Verhalten der Polizei abzufeiern, weil es endlich mal die Richtigen getroffen hat. Die Polizei ist Teil des Problems. „Abolish the police“ darf keine hohle Phrase sein, sondern muss eine starke Forderung sein. Und das bedeutet eine Ablehnung von Polizeigewalt und autoritäres Verhalten, auch wenn es „endlich mal die andere Seite trifft“. Du kannst gerne nach einem starken Staat lechzen, fordern, dass die Polizei härter vorgehen sollte und „Späße“ reißen, dass der Wasserwerfer mit Impfstoffen gefüllt werden sollte, aber dann nimm bitte die schwarze Fahne aus deinem Profil. Nenn dich nicht antiautoritär, sondern das was du tatsächlich bist: eine linke Person, die gerne mit Big Daddy kuschelt. Diese Widersprüchlichkeit ist zum Kotzen und einer der Gründe warum ich selbst schon vor Jahren mit der Linken gebrochen habe. Ich bin nicht links. Ich bin antiautoritär und eine Anarchistin. Links sein bedeutet für mich stets innerhalb staatlicher Paradigmen zu denken – letztlich ist das auch der Ursprung der Bezeichnung „links“. Zwischen Linken und Anarchist:innen gibt es lediglich politische und soziale Überschneidungen, mehr nicht.

Die Freude über autoritäres Verhalten seitens der Polizei, dem Abnicken der staatlichen Pandemie-Maßnahmen, dem peinlichen Schweigen sowie Diffamieren von kritischen Genoss:innen ist nichts weiter als ein Eingeständnis der eigenen Schwäche. Um noch weiter zu gehen: Die Unfähigkeit der antiautoritären (und linken) Bewegung ist die Stärke der Rechten. Die wachsende Kraft von Coronazis, einschließlich dem „Einfangen“ normaler Bürger:innen, ist eine Sache, die auch „wir“ uns zuschreiben müssen. Ich habe in meinem Ort in den ersten Monaten die Corona-Demos verfolgt und konnte dabei zusehen, wie sich die Proteste zunehmend nach rechts radikalisiert haben. Und ich stelle einfach mal folgende Behauptung in den Raum: Viele der Personen auf diesen Protesten hätten wir „für uns“ gewinnen können, hätten wir uns mit eigenen Positionen eingebracht (wenn auch nicht auf diesen Demos – man marschiert nicht mit Nazis!). Mit reinen Gegenprotesten wurde viel zu viel verloren.

Warum glauben überhaupt so viele Antiautoritäre, Anarchist:innen sowie Linke, dass es ihrer politischen Perspektive schaden würde, wenn sie sich zu Themen äußern, welche die Gegenseite bereits versucht zu framen? Wohin das führt sieht man am obigen Beispiel: Weil „wir“ den Rechten den Raum überlassen haben, traut sich die Gegenseite kaum noch über ähnliche oder die selben Themen zu äußern (Überwachung, Infektionsschutzgesetz usw).

Wie mit jedem politischen, sozialen und gesellschaftlichen Aspekt wird es immer Themenbereiche geben, welche völlig unterschiedliche Seiten aufgreifen werden. So etwas wird sich nie verhindern lassen. Es liegt jedoch an uns, dass wir uns mit eigenen Positionen einbringen, Gehör verschaffen und für die nötige Unterscheidung sorgen.

Die Coronazis demonstrieren gegen Überwachung und staatlichen Maßnahmen. Heißt das, dass die Gegenseite es nicht mehr darf und sich stattdessen nur auf Gegenproteste stürzen sollte? Nein, natürlich nicht! Das war der größte Fehler, den die antiautoritäre Bewegung 2020 gemacht hat – und vielleicht auch der größte Fehler in diesem Jahrhundert.

Auch wir haben genug Gründe gegen zunehmende Überwachung und autoritären Maßnahmen, die nur zur Rettung der Wirtschaft gedacht sind, vorzugehen. Wir tun dies jedoch aus anderen Gründen und müssen eigene Positionen einbringen. Slowenien ist uns hier voraus – dort werden die Pandemie-Proteste nicht von Coronazis angeführt, sondern von der antiautoritären Bewegung, die schon früh die Straßen übernommen hat.

Beispiele wie solche sind traurigerweise jedoch keine Ausnahme. Viel zu oft wird ein Raum der Gegenseite überlassen, aus Angst falsch verstanden zu werden oder anderen Gründen.

So werden Anti-Steuer-Debatten heute nicht mehr von Anarchist:innen geführt, sondern von Liberalen. Forderungen zur Abschaffung der GEZ kommen heute vornehmlich aus der rechten Ecke.

Warum muss ich mich als Anarchistin rechtfertigen gegen eine GEZ zu sein, „wo der ÖR doch so tolle Recherchen über Faschist:innen anbietet“. Geht’s euch eigentlich noch gut? Es ist völlig unerheblich wie gut oder lehrreich der ÖR ist. Es wäre sogar dann egal, wenn der ÖR morgen in einer Pressemitteilung den neuen Sender Antifascista TV bekannt gibt, auf welchem 24 Stunden am Tag antifaschistische, antiautoritäre und antikapitalistische Inhalte zu sehen sind. Es ändert nichts daran, dass die GEZ eine Zwangsabgabe ist. Dass die GEZ ärmere Menschen benachteiligt, für welche 20€ im Monat viel Geld sind. Dass sie auf Kosten von Menschen geht, die die Inhalte gar nicht erst konsumieren, sowie, dass die GEZ in erster Linie dazu dient, überdimensionierte Gehälter und Pensionen zu finanzieren, nicht Bildungsarbeit. Als Anarchistin werde ich mich immer negativ gegenüber Zwangsabgaben äußern. Deal with it.

Insgesamt gefasst sehe ich die antiautoritäre Bewegung in keinem guten Zustand, umso weniger seit der Pandemie. Resignation macht sich breit. Und irgendwann könnte es unser Todesstoß sein und antiautoritäre Perspektiven sinken in die völlige Bedeutungslosigkeit.

Doch ich habe auch noch Hoffnung. Einige der wenigen, die schon zu Beginn der Pandemie vor der zunehmenden Überwachung gewarnt haben, haben sich nicht verstummen lassen. Bei anderen lässt sich ein Umdenken beobachten. Auf Mastodon erlebe ich ein Aufleben von Diskussionen bezüglich einer antiautoritären Perspektive hinsichtlich der Pandemie und der Maßnahmen. Noch ist nicht alles verloren. Daher, um es mit den Worten der besten Band der Welt auszudrücken: Steckt euch gegenseitig an – mit Hoffnung.

Wie kommen wir also aus dieser misslichen Lage heraus? Diese, ich nenne es jetzt mal Verantwortung, obliegt jeder Person, die in lokalen Antifa- oder anderen Gruppen aktiv ist, diese Themen anzusprechen, sich auszutauschen und eigene Proteste zu organisieren. Mit „Wer hat der gibt“ gibt es bereits einen ersten Anfang für eine antiautoritäre Präsenz auf den Straßen – aber das reicht bei weitem nicht, weil sie zu viele andere, nicht weniger wichtige, Themen gar nicht erst anspricht.

Auch nicht zu unterschätzen ist der digitale Aktivismus. Lasst uns Informationen sammeln und austauschen. Der digitale Überwachungskapitalismus und autoritäre Maßnahmen, welche nicht dem Zweck verfolgen uns vor einem Virus zu schützen, sind schon längst nicht mehr zu übersehen. Es wird Zeit die Augen im Angesicht der bitteren Realität zu öffnen. Ein Rückgang zur Normalität darf nicht unser Wunsch sein – die Akzeptanz der neuen Normalität schon gar nicht.

PS: Einen persönlichen Dank möchte ich gegenüber Sebastian Lotzer äußern. Einer der wenigen, die sich nie haben verstummen lassen und von Anfang an erkannt hat, wohin wir uns aktuell bewegen und die Widersprüchlichkeit in linken und antiautoritären Kreisen nicht stillschweigend hingenommen. Auch wenn ich nicht immer einer Meinung bin, so haben mich seine Pandemie-Kriegstagebücher dazu ermutigt Covid-1984 und diesen Artikel zu schreiben (sowie den weiteren, die noch folgen werden).