Zum 6. Dezember in Griechenland – Ein Blick in eine andere Welt

Dieser Text erschien im Mai 2010 auf Turbellaria, er wurde dann vor 2 Jahren von Sebastian Lotzer ins deutsche übertragen. Wir übernehmen ihn auf Sunzi Bingfa zum Jahrestag des Mordes an Alexis Grigoropoulos, der in diesem Jahr unter den Bedingungen des Pandemie Ausnahmezustandes stattfindet, weil er einen anderen Blick auf die Geschehnisse am und nach dem 6. Dezember 2008 in Griechenland wirft.

Ohne Zweifel wird dieser 6. Dezember in Athen und Griechenland für die anarchistischen und antagonistischen Gefährt*innen ein schwieriger Tag werden, die Rechtsregierung, die schon unmittelbar nach der Machtübernahme den Gefährt*innen den Krieg erklärt hatte und davon sprach, dass “man in Exarchia aufräumen” werde, nutzt den Vorwand der Bekämpfung der Pandemie um jegliche radikalen Proteste und Demonstrationen zu unterdrücken.

Bürgerschutzminister” Michalis Chrysochoidis erklärte in einem TV Interview kurz vor dem 17. November unverblümt: „Die Stadt muss wie an einem normalen Tag funktionieren, und wir werden diese Situation beenden, bei der Proteste das gesellschaftliche Leben zerstören.“ Praktisch alle öffentlichen Ansammlungen von mehr als 3 Menschen waren also zum Jahrestag der Niederschlagung des Aufstandes am Polytechnio am 17. November verboten, nicht nur in Athen gingen die Bullen mit äußerster Härte gegen alle Demonstrationsversuche vor, selbst die Stalinist*innen der KKE bekamen Wasserwerfer und Tränengas zu spüren, alle Versuche einer anarchistischen Formierung wurden zerschlagen. Einige kleinere Versammlungen in verschiedenen Wohnvierteln wurden ebenfalls nach kurzer Zeit aufgelöst, am Abend herrschte in Exarchia schon vor der abendlichen Ausgangssperre um 21:00 Uhr gespenstische Stille, Sondereinheiten der Bullen belagerten das Viertel.

Im Nachgang zeigte sich Chrysochoidis „enttäuscht“ von der KKE, und fügte hinzu, “sie sei eine Partei, die der herrschenden Elite als sichere und bekannte Größe gilt”, und er habe „die KKE bewundert, seit ich ein kleines Kind bin“. Trotz aller Repression gelangen auch einige offensive Momente, wie der Angriff auf eine Bullenstation in Saloniki, wie es nun am 6. Dezember in Athen und Griechenland aussehen wird, ist schwierig einzuschätzen, die Regierung hat mittlerweile erklärt, die Beschränkungen bis zum Morgen des 7. Dezember zu verlängern, das politische Timing dieser Maßnahmen ist unübersehbar. Sunzi Bingfa

Von dem Moment an als der 14-jährige Alexis Grigoropoulos am 6. Dezember 2008 von einem Bullen niedergeschossen wurde, änderte sich die Gestalt, das Wesen, ja die Erscheinungsform der Gesellschaft in der griechischen Hauptstadt und in vielen anderen Städten sowohl auf dem Festland als auch auf vielen Inseln. Die Dynamik der Wut der Leute auf den Staat und seine bezahlten Killer drückte sich unmittelbar und klar aus: In Athen, einer europäische Metropole, blieb keine Bullenstation unbeschädigt, keine Bankfiliale funktionierte mehr, bei Handelsketten, Banken und öffentliche Gebäude wurden Feuer gelegt. Hunderte von Luxusautos gingen in Flammen auf, die Ausstellungsräume der Autohändler wurden zerstört. Die Straßen waren mit brennenden Barrikaden blockiert worden und Hundertschaften der Aufstandsbekämpfungsbullen wurden von den Revoltierenden in die Flucht geschlagen.

Es ist unmöglich, das, was dort geschehen ist, in Worte zu fassen, denn es handelte sich um eine soziale Rebellion, bei der die äußere Erscheinungsform der kapitalistischen Gesellschaft von einer Masse unterschiedlicher Menschen angegriffen wurde, die als eine Einheit agierten und dieses götzengleiche Abbild in Scherben zerbrachen.

Die Anarchisten, die im Auge des Orkans rund um das Polytechnio in Athen dem allgemeinen Aufruhr beiwohnten, wurden geradezu überwältigt von dem Geschehen um sich herum und ihre Augen strahlten vor Leidenschaft und Verwunderung und sie waren die Ersten die zugaben, dass das was sie gerade erlebt hatten, alles sprengte, alles übertraf, was sie sich in ihren kühnsten Träumen ausgemalt hatten.

Viele Worte wurden über diese Tage geschrieben, wahre, wichtige und schöne Worte, reproduziert und in vielen Sprachen verbreitet. Aber es scheint, dass etwas fehlt.

Diese Erzählung eines anarchistischen Kameraden, der sich plötzlich in einem ganz anderen Terrain wiederfand als das, was ihm vertraut war, und die Ängste und Fragen, die dadurch in ihm geweckt wurden, sind ein wertvolles Zeugnis, das allen Antagonisten viele Fragen stellt.

„Am Abend des 6. Dezember 2008 war ich zu Hause und bereitete mich auf eine meiner üblichen Samstagabende vor. Da rief mich ein Freund am Telefon an und sagte mir, dass etwas sehr Schlimmes passiert sei, die Bullen hätten in Exarchia jemanden getötet. Ich tätigte einige Anrufe, einige meiner Freunde wussten davon nichts, andere hatten es bereits gehört. Wie immer bei solchen Anlässen machte meine Freunde und ich uns in Richtung Polytechnio auf.

Es dauerte nicht allzu lange und rund um die Uni begannen die Zusammenstöße mit den Bullen. Meine Freunde und ich entschieden uns dafür, einen Angriff auf eine Bullenstation im Zentrum von Athen zu unternehmen, wir hielten dies für eine bedeutungsvolle Tat. Wir verabredeten uns in einer sehr belebten Ecke von Athen um nach der Aktion in der Menge untertauchen zu können. Ein Freund und ich machten uns gemeinsam auf den Weg zum verabredeten Treffpunkt. Unterwegs stießen wir auf eine Demo von einigen hunderte Linken. Diese Art von Linken, die sonst auf gar keinen Fall eine Konfrontation mit den Bullen suchte, aber heute war alles anders und sie wollten es wohl wissen. Sie hielten an und die Leute an der Demospitze fragten uns, wie es am Polytechnio aussehe, da sie sich auf dem Weg dorthin befänden. Ich erklärte ihnen, dass es rund um das Polytechnio Bulleneinheiten gäbe und, dass wenn sie nach links abbiegen würden, sie möglicherweise direkt auf diese treffen würden. Ich sah in ihre Augen und was ich dort sah haute mich um. Ich meine ich kannte diese Leute ziemlich gut, normalerweise ringen sie mit uns Anarchisten ständig um die Frage der Gewalt gegen Bullen, aber jetzt war da etwas in Gesichtern, dieser linken Studenten mit ihren sorgfältig gestutzten Bärtchen und ausgewähllten Brillenmodellen. Sie waren eindeutig auf der Suche nach einem veritablen Zusammenstoß mit den Ordnungskräften.

Mein Freund und ich erreichten anschließend den verabredeten Treffpunkt. Wir waren auf einmal an die 100 Leute. Das ist nicht normal. Normalerweise sind bei so einem Angriff 10,12 Genossen beteiligt. Wie auch immer, wir haben die Bullenwache ordentlich mit Steinen und Molotows eingedeckt. Da die Aktion sehr spontan und unorganisiert durchgeführt wurde, haben wir nur wenig Schaden hinterlassen, also haben auf dem Rückweg in Richtung Polytechnio als Ausgleich die Scheiben von Luxusgütergeschäften zerstört und an einigen Stellen Feuer gelegt.

Ich kehrte also zum Polytechnio zurück, wo die Zusammenstöße mit den Bullen anhielten. Ein Freund rief mich an und erzählte mir, dass es an der Rechtsfakultät ebenso Kämpfe gab, die Gruppe von Linken, die wir unterwegs getroffen hatten, schienen dort angekommen und ihren Plan umgesetzt zu haben. Ich erinnere mich auch,dass als wir uns auf dem Rückweg in Richtung Polytechnio befanden, bei mir die sonst üblichen Gefühle von Anspannung und Angst nicht auftauchten, wie wir sie alle bei solchen Gelegenheiten erleben.

Die Zusammenstöße in der Gegend rund um die Rechtsfakultät mögen vielleicht amateurhafter gewirkt haben als die Aktionen am Polytechnio, aber dafür waren sie eindeutig massenhafter und auch die Beleidigungen in Richtung der Bullen waren einfallsreicher und raffinierter.

Einige Stunden nach der Rückkehr, es war mittlerweile früher Morgen, versuchte ich etwas zur Ruhe zu kommen und auch etwas zu schlafen. Was mir nicht gelang. Ich glaube, in diesem Moment begann ich erst wirklich zu realisieren, was passiert war, dass ein junger Genosse erschossen worden war und erst jetzt fing an zu weinen.Irgendwie gelang es mir dann doch noch ein paar Stunden vor mich hin zu dösen. Als ich wieder erwachte, war ich nur noch wütender wegen all dem was passiert war und dem was ich darüber dachte.

An der Demo am Sonntag nahmen mehrere tausend Menschen teil und wir begannen, die Alexandras Avenue hinauf zum Polizeipräsidium von Athen zu laufen. Sehr bald begannen die Kämpfe mit den Bullen und es wurden erneut viele Geschäfte und Banken in Brand gesteckt.

Die Zusammenstöße mit der Polizei an diesem Tag waren sehr heftig, wir teilten einen unvorstellbaren Steinhagel für die Bullen aus und sie antworteten mit riesigen Mengen an Tränengas auf uns. Die Wut und der Schlafmangel hatten mich völlig außer Kontrolle gebracht. Ich wurde von einem Stein verwundet und landete im Krankenhaus um dort genäht zu werden. Der Freund, der mit mir ins Krankenhaus gekommen war, rief mich später an und erzählte mir, dass es in Athen in einigen ganz normalen Gebieten sowie an der Wirtschaftshochschule und anderen Schulen viele Zusammenstöße gab.

Am nächsten Tag, einem Montag, ging ich nicht zur Arbeit. Ein Freund rief mich am Telefon an, um mir zu sagen, dass einige Schüler das Polizeipräsidium von Piräus, im Hafen von Athen, angegriffen hatten. Später hörte ich, dass es in Piräus einen weiteren Angriff auf eine Polizeistation gegeben hatte, und von diesem Moment an erreichten mich ständig weitere Informationen über viele Angriffe auf Polizeistationen in ganz normalen Teilen Athens und ganz Griechenland. Ich war aber nicht in der Lage zu realisieren, was das bedeutete. Später am Tag traf ich meinen Vater, er hatte den Angriff auf das Polizeipräsidium von Piräus während seiner Arbeit beobachten können. Er erzählte mir lachend, dass die Schüler die Polizeiautos umgeworfen und die Fassade des Gebäudes zerstört hatten, und es viele gewöhnliche Menschen gab, die zu den Aktionen applaudierten.

Wie einige meiner Freunde dachte ich am Montag darüber nach, nicht auf die Nachmittagsdemo zu gehen weil ich dachte, dass dort nicht viel passieren würde. Im letzten Moment änderte ich meinen Entschluss und kam kurz vor Beginn der offiziellen Demo an . Als ich aus der Metrostation kam, sah ich eine riesige Menschenmenge. Tausende von Menschen, Zehntausende, einige sagen zwischen 30 und 40 Tausend. Es gab bereits eine brennende Barrikade in einer Seitenstraße, und einige junge Leute lieferten sich erste Auseinandersetzungen mit einer Polizeieinheit. Sobald die Demo begann – die aber nicht wirklich eine Demo war, sondern eine Menschenmenge, eine große Masse wütender Menschen – begannen einige Leute, erst einige, dann alle Geschäfte zu zerstören und zu plündern. Anfänglich versuchten einige Leute, sie aufzuhalten, aber sehr schnell wurde die ganzen Situation sehr chaotisch und unübersichtlich. Überall brannten Geschäfte und Gebäude, sogar ein Hotel, was mir sehr viel Angst machte, weil ich befürchtete, es könnten Menschen in dem Gebäude eingeschlossen ein.

Trotz der Tatsache, dass ich an gewalttätige Ereignisse gewöhnt bin, und zwar nicht in der Beobachterposition, war alles, was hier auf einmal geschah, nicht ganz mit meiner ‘anarchistischen Mentalität’ vereinbar. Die Menschen um mich herum waren mir völlig unbekannt, auch dies etwas, das für mich sehr ungewöhnlich war.

Als ich den Omonia- Platz direkt im Zentrum von Athen erreichte, versuchte gerade eine größere Gruppe von Menschen ein sehr zentrales repräsentatives Gebäude der griechischen Nationalbank in Brand zu setzen, obwohl dort eine Frau eingesperrt war. Andere Leute zogen auf die Polizeistation von Omonia zu, um sie anzugreifen, überall brannte es und es wurde überall um uns herum geplündert. Ich traf zwei anarchistische Kameradinnen, die ich nicht sehr gut kannte. Aber wir waren die einzigen Leute, die sich dort kannten, und so fragten sie mich, was ich vorschlagen würde, weil sie, wie sie mir sagten, sich nicht sicher waren, ob sie wirklich dort sein wollten. Ich sagte ihnen, dass ich ihre Frage nicht beantworten könne, weil ich ebenso wie sie empfände.

Als die chaotischen Ansammlung weiterging, griff eine Polizeieinheit die Menge sehr aggressiv von einer Seite unter Einsatz von viel Tränengas an. Organisierte Linke versuchten verzweifelt, inmitten des allgemeinen Chaos so etwas wie einen Demonstrationszug zu bewahren. In diesem Moment war die Menge in einer dicken Gaswolke gefangen und die Situation war sehr gefährlich. Glücklicherweise gelang es der Menge, sich zu verteilen und zu zerstreuen und als ich nun in der Folge den Syntagma-Platz erreichte, fand ich andere Menschenmengen vor, die in verschiedenen Zügen in verschiedene Richtungen gingen.

Dann zündeten einige Demonstranten den riesigen Weihnachtsbaum auf dem großen Platz vor dem griechischen Parlament an. Von diesem Moment an, wegen dieses Vorfalls, wurde der Slogan “Weihnachten wurde in diesem Jahr abgesagt” geboren und das Bild des brennenden Baumes ist um die Welt gegangen, was vielen Freude bereitet hat. Aber genau in diesem Moment fühlte ich die gleiche Angst, die ich empfand, als ich riesige Gebäude brennen sah, einige mit Menschen in ihnen. Diese Angst galt nicht meiner persönlichen Sicherheit, aber da ich mich selbst als Teil der griechischen anarchistischen Bewegung sehe, hatte ich Angst, dass es nach all dem unmöglich sein könnte, in Griechenland wie bisher Anarchist zu sein. Dass diese Bewegung das Gewicht dessen, was passieren könne, nicht würde tragen können.

Auf dem Syntagma-Platz versuchen anschließend einige Polizeieinheiten, die Kontrolle über die Situation zurückzuerlangen. Sie griffen die Masse an und versuchen, Menschen zu verhaften. Ich sah, wie ein junges Mädchen verhaftet wurde und rannte daraufhin in Richtung der Polizeieinheit los, ohne genau zu wissen, was ich tun wollte. Und dann wurde mir klar, dass ich gleich von einer anderen Polizeieinheit erwischt werden würde, die nun auf mich zu rannte. Ich sah noch ein paar andere Leute hinter mir, die irgendwie das Gleiche taten. Glücklicherweise gelang es mir und den anderen hinter die Polizeieinheit zu gelangen, außer einem, für den ich nichts tun konnte.

Später fand ich einen Freund von mir und wir beschlossen, gemeinsam zur juristischen Fakultät zu gehen, die nicht weit weg war. Wir wussten, dass es dort immer noch einige Unruhen gab. Das Niederbrennen und Schaufenstereinschlagen in der Innenstadt hatte immer noch nicht aufgehört. Wir gingen also zur Juristischen Fakultät, wo gegenüber ein großes historisches Gebäude in Flammen stand. Später erfuhren wir, dass es sich um die Bibliothek der Fakultät für Rechtswissenschaften gehandelt hatte. Das Ausmaß des Feuers war so enorm, dass es für mich erschreckend war. Und es war nicht das einzige Gebäude in Athen… Als wir auf das Dach der Rechtsakademie gingen, sahen wir den Rauch all der Gebäude, die im Zentrum von Athen brannten. Die Feuer hatten ein großes Glühen erzeugt, wie ein wütender Sonnenuntergang über der Stadt. Plötzlich hörten wir ein sehr lautes Geräusch aus dem brennenden Gebäude gegenüber – vielleicht war ein Teil des Daches eingestürzt.

Dann rief mich ein Freund vom vom Polytechnio aus an an. Er ist ein Genosse, der immer sehr heiß darauf ist, sich an Unruhen zu beteiligen. Er erzählte mir, dass es so viele Unruhen um das Polytechnio herum gäbe, dass er nun ganz müde war und dass ich mir nicht vorstellen konnte, was dort vor sich ging. Ich ging später zum Polytechnio, die Unruhen hatten sich gelegt, aber alles um mich herum war verbrannt und geplündert worden. Ein fünfstöckiges Gebäude in der Nähe der Uni war bis auf die Grundmauern niedergebrannt.

Am Seiteneingang des Polytechnio fand einen sehr guten Freund und Genossen. Ich bemerkte, dass er ganz allein war und in den Himmel starrte. Er sagte mir, dass er sehr enttäuscht sei, da er das Demo verloren habe. Ich antwortete ihm, dass ich mir nicht so sicher sei, ob er wirklich gerne dort gewesen wäre. Er fragte mich, warum und ich sagte ihm, dass sie Dinge wie die Bibliothek der Rechtswissenschaften verbrannt und zerstört hätten und dass die Situation völlig außer Kontrolle geraten sei. Er erzählte mir, dass das Gleiche auch hier geschehen und dass er und einige seiner Genossen versucht hätten, die Menschen daran zu hindern, Geschäfte zu plündern, weil diese Aktionen in ihren Augen nicht mehr mit der Wut über die Ermordung des Jungen in Exarchia zu tun gehabt hätten.

Später sah und hörte ich etwas sehr Ausdrucksstarkes, das sich in den nächsten Tagen ständig wiederholen sollte: Junge Leute versammelten sich hinter einer Barrikade von verbrannten Autos und schrien Slogans gegen die Bullen wobei sie die ausgebrannten Autos als Trommeln verwendeten. Ich sah ein erstaunliches Bild von einem Mann, der auf einem Auto vor einem großen Feuer stand, Arme und Beine weit offen, seine Silhouette von den Flammen in den Horizont geätzt.

Von diesem Tag an waren die Leute, die zum Polytechnio kamen, nicht nur Anarchisten, sondern junge und auch sehr junge Menschen, viele von ihnen Einwanderer, einige auch Junkies. Und auch einige Emo-Kids aus den besser gestellten Gebieten Athens fanden sich dort ein. Genau jene Mischung, die in den letzten Stunden und Tagen auf den Straßen präsent gewesen war.

In den letzten Jahren war die Straße vor dem Polytechnio Schauplatz vieler Straßenschlachten mit den Bereitschaftsbullen. In den ersten beiden Tagen nach Alexis Ermordung waren die Kämpfer immer noch hauptsächlich Anarchisten, möglicherweise im weitesten Sinne, aber immer noch Anarchisten oder zumindest Menschen aus der antagonistischen Bewegung. Viele, viele Genossen die bis zu diesem Zeitpunkt noch nie einen Stein aufgehoben hatten, waren am Kampf gegen die Polizei beteiligt. Linke, deren negative Einstellung zu Unruhen oder Zusammenstößen mit der Polizei bis dahin unsere Begegnungen mit ihnen geprägt hatte, waren in vielen Fällen und oftmals voller Leidenschaft an den Zusammenstößen beteiligt.

Am Montag, dem dritten Tag nach der Ermordung von Alexis, änderte sich alles. Eine Mischung aus jungen Menschen, aber auch vielen anderen Menschen, die nicht einordbar waren, wurde zur treibenden Kraft. Viele Anarchisten waren von dieser Situation überfordert. Die Gewalt, die diese Menschen auslösten, überschritt die Grenzen der anarchistischen Mainstream-Mentalität. Eben diese Grenzen wurden von der Besetzung der nahegelegenen Wirtschaftsschule (ASOEE), die überwiegend von Anarchisten besetzt war, ohne die Anwesenheit des “Pöbels”, treu eingehalten. Tatsächlich wurde das Polytechnio in jenen Tagen als “Bagdad” bezeichnet, während die ASOEE die “Schweiz” war.

Die ASOEE wurde zum Mittelpunkt vieler Diskussionen und Aktionen, die auch Ideen für die Veröffentlichung vieler Dinge lieferten. Meiner Meinung nach blieben all diese Diskussionen, Aktionen und Veröffentlichungen aber innerhalb der Grenzen der typischen anarchistischen Mentalität – vielleicht in einem weiteren und verbesserten Sinne, aber immer innerhalb dieser Grenzen. Bestimmt durch den Charakter der Menge, die sich im ASOEE versammelte, die eine anarchistische Menge war oder im weiteren Sinne eine bewegungsbezogene Menge zu der Zeit, als in der Polytechnio etwas Anderes und Neues geschah.

Die Polytechnio war ein Ort, an dem sich eine Masse von vielen verschiedenen Menschen versammelte. Sehr junge Menschen, Schüler, einige Emo-Stil Kids, vielleicht aus wohlhabenderen Familien, gleichzeitig Einwanderer der ersten und zweiten Generation, von denen viele kein Griechisch sprachen. Viele Menschen, die nicht spezifisch kategorisiert werden konnten, und in dieser Verwirrung von Hunderten, manchmal Tausenden von Menschen gab es eine Minderheit von Anarchisten, die verzweifelt versuchten, ‘den politischen’ Charakter der Besetzung zu erhalten.

In ASOEE kurierten einige Geschichten über Drogenschäfte der Kameraden oder von Genossen, die gewaltsam versuchten, Plünderungen in der Umgebung zu verhindern. Diese Geschichten mögen wahr gewesen sein oder auch nicht, oder sie wurden übertrieben, aber sie sind charakteristisch für das Bild, das die Menschen in der ASOEE von der Polytechnio hatten.

Seit dem Aufstand am 17. November 1973 ist es allgemeiner Konsens, dass Riots oder andere gewalttätige Auseinandersetzungen ihren Ausgangspunkt am Polytechnio haben. Wenn etwas sehr Wichtiges passiert, ist zu erwarten, dass alle dorthin zum Polytechnio gehen werden, aber es ist nicht so üblich, zur ASOEE zu gehen. Vielleicht zeigt die Tatsache, dass so viele Anarchisten zur ASOEE gegangen sind, die mangelnde Bereitschaft des Hauptteils der griechischen anarchistischen Bewegung, sich mit diesem “Pöbel” zu beschäftigen. Das zeigt meiner Meinung nach auch unsere Unfähigkeit, unsere Grenzen zu überschreiten und sich auf eine unbekannte und unvorhersehbare Situation einstellen zu können.

Diese Situation in den besetzten Schulen dauerte vom 6. Dezember bis zu den Weihnachtsferien an. In gewisser Weise war Weihnachten als eine Art Beendigung des Kampfzyklus angesehen worden, nicht nur aufgrund eines deutlichen Rückgangs des Niveaus der Situation, sondern auch als eine Art Erwartung an den Hauptteil der Anarchisten, insbesondere in der ASOEE.

Was ist mit all den Menschen passiert, denen wir, die Anarchisten, an all den Tagen im Dezember begegnet sind? Einige der griechischen Studenten wurden in den Mainstream der Anarchisten integriert, aber alle anderen, Einwanderer, “Abschaum” oder einfach nur die Massen von ‘unkategorisierten’ Menschen, verschwanden einfach wieder in der urbanen Anonymität. Wir haben sie nicht mehr gesehen, oder vielleicht wollten wir sie auch nicht mehr sehen.

Für viele Anarchisten war der Dezember ein Erfolg. Wenn man in quantitativen Kategorien denkt.

Für einige Wenige war es die Möglichkeit einen Blick in eine andere Welt zu erhaschen

Vielleicht hat sich aber in diesen Tagen auch unsere Unfähigkeit gezeigt, neuen Möglichkeiten aufgeschlossen zu begegnen

A.