Giorgio Agamben
Dieser Text erschien am 15.12.2020 auf Quodlibet, wir haben ihn aus dem italienischen für die Sunzi Bingfa ins deutsche übersetzt.
Der Kapitalismus, der sich im weltweiten Maßstab derzeit durchsetzt, ist nicht der Kapitalismus in der Form, die er im Westen angenommen hatte: Es ist vielmehr der Kapitalismus in seiner kommunistischen Variante, die eine extrem schnelle Produktivitätsentwicklung mit einem totalitären politischen Regime verbindet.
Das ist die historische Bedeutung der führenden Rolle, die China einnimmt, nicht nur im wirtschaftlichen Sinne, sondern auch, wie der politische Umgang mit der Pandemie eindrucksvoll gezeigt hat, als Paradigma menschlicher Herrschaft.
Dass es sich bei den in den selbst ernannten kommunistischen Ländern errichteten Regimen um eine bestimmte Form des Kapitalismus handelte, die sich besonders für wirtschaftlich rückständige Länder eignete und daher als Staatskapitalismus zu bezeichnen ist, war denjenigen, die die Geschichte zu lesen verstehen, durchaus bekannt; völlig unerwartet war jedoch, dass diese Form des Kapitalismus, die ihre Aufgabe erfüllt zu haben schien und daher obsolet schien, stattdessen nun dazu bestimmt war, in einer technologisch aktualisierten Konfiguration das dominierende Prinzip in der gegenwärtigen Phase des globalisierten Kapitalismus zu werden.
Es ist in der Tat möglich, dass wir heute Zeugen eines Zusammenstoßes zwischen dem westlichen Kapitalismus, der mit Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Demokratien einherging, und dem neuen kommunistischen Kapitalismus werden, aus dem letzterer als Sieger hervorzugehen scheint. Sicher ist jedoch, dass das neue Regime den unmenschlichsten Aspekt des Kapitalismus mit dem grausamsten Aspekt des Staatskommunismus verbinden wird, indem es die extreme Entfremdung der Beziehungen zwischen den Menschen mit einer noch nie dagewesenen sozialen Kontrolle kombiniert.