„Wir schützen uns“ – Ein Gespräch über Waffen mit Amerikas sozialistischer Rifle Association

Eine Übersetzung aus dem britischen Anti Fascist Network, das Interview wurde Anfang Dezember veröffentlicht. Sunzi Bingfa

Trump scheint auf dem Weg nach draußen zu sein, aber niemandem von uns kann es entgangen sein, dass seine zahlreichen schwer bewaffneten Banden von Anhängern auf den Straßen in den USA unterwegs sind. Und auch wenn der Mann vielleicht am Ende ist, wird der Trumpismus nicht so bald verschwinden. Diese Milizen, „Boogaloo Bois“, “ three percenters“ usw. bereiten sich ständig auf den apokalyptischen Bürgerkrieg vor, den sie für unmittelbar bevorstehend halten. Währenddessen sind die Mainstream-Liberalen in Amerika sehr scharf auf Waffenkontrolle für die Massen, unterstützen aber voll und ganz die Polizei, die selbst die größte bewaffnete Gefahr für große Teile der amerikanischen Bevölkerung darstellt.

Wie reagieren die Linken auf diese Bedrohungen? Wie agieren Linke, Antifaschisten und Minderheiten, wenn die Opposition bis an die Zähne bewaffnet ist? Wohin soll das alles führen? Eine der linken Antworten auf diese Situation ist die Socialist Rifle Association (SRA) – ein nationales Netzwerk linker Schützenvereine, das in den letzten vier Jahren rasant gewachsen ist und nun über 10.000 Mitglieder in den gesamten USA hat. Wir sprachen mit Faye Ecklar, Mitbegründerin und Direktorin für gegenseitige Hilfe bei der SRA.

Vielen Dank also an Faye, die sehr geduldig unsere (zahlreichen) naiven Fragen beantwortet hat…

AFN: Wie kam es zur Gründung der SRA? Was seht Ihr als Eure Aufgabe an?

FE: Die SRA hatte eine lange Geschichte als Online-Phänomen, bevor sie zu einer echten Organisation wurde. Ursprünglich spalteten sich einige Mitglieder des Liberal Gun Club mit sozialistischen Ansichten ab und gründeten 2012 ein Forum namens „Socialist Rifle Association“, das aber nie mehr als 100 Mitglieder hatte und schnell wieder verschwand. Im Jahr 2013 gründete jemand eine Facebook-Gruppe namens „Socialist Rifle Association“ und postete linke Memes, die den Waffenbesitz befürworteten. Die Gruppe war hauptsächlich ein Gag, aber im Jahr 2016, während des Aufstiegs der Alt Right und der Trump-Kampagne, wurde es vielen Leuten ernster damit. Weitere Gruppen entstanden auf Reddit und Discord. Im Jahr 2017 begann die Facebook-Gruppe über die Bildung einer echten Organisation zu sprechen. Zwei Mitglieder der Gruppe gingen zur Unite the Right Rally, 11./12. August in Charlottesville, Virginia, um zusammen mit Mitgliedern von Redneck Revolt aufzutreten. Dies brachte der Gruppe eine Menge Publicity ein.

An dieser Stelle wird die Geschichte unübersichtlich. Tausende von Menschen strömten auf die Facebook- und Reddit-Seite der SRA und wollten sich in einer echten linken Waffenorganisation engagieren. Allerdings kämpften die Admins der Facebook-Gruppe damit, diese Größenordnung zu organisieren und konnte nicht entscheiden, ob sie eine Miliz oder eine linke NRA sein wollte. Später wurden Redneck Revolt und die Socialist Rifle Association in einer Klageschrift genannt, die sich gegen die Milizen richtete, die nach Charlottesville kamen. Während Redneck Revolt erfolgreich gegen die Klage kämpfte, beschlossen die SRA Facebook-Admins, ihre Identitäten zu verbergen und die Mitgliedschaft in der Gruppe zu schließen, damit sie nicht rechtlich mit der Klage belastet werden konnten. Wenig später kritisierten Redneck Revolt Mitglieder auf schärfste die beiden SRA-Mitglieder, die in Charlottesville gewesen war, bezeichneten sie als gefährlich inkompetent im Umgang mit Schusswaffen zu sein, aggressiv aufzutreten und zu posieren, anstatt in einer professionellen Art und Weise zu handeln, und für die Menschen eine Gefahr darzustellen, indem sie begannen zu eskalieren und Kämpfe mit der Alt Right zu provozieren versuchten.

Ich und eine Reihe anderer Leute, einschließlich der Chapter der Gruppe in Tulsa, Oklahoma und North Georgia, waren der Meinung, dass die Facebook-„Führung“ inkompetent war und ersetzt werden musste. Im März 2018 gründeten wir unsere eigene Organisation mit einer rechtlichen Grundlage als gemeinnützige Organisation. Es gab einen Kampf um die Legitimität zwischen unserer SRA und der Facebook-SRA (FBSRA), der bis November/Dezember 2018 andauerte. Im Oktober 2018 führte unsere Organisation Disaster Relief Einsätze für die Opfer der Hurrikane Florence und Michael durch und bewies damit, dass wir in der Lage waren, eine effektive Praxis zu leisten. Wir wurden auch von der New York Times interviewt und waren in der Lage, echte Argumente für linken Waffenbesitz und die Verteidigung der Community einem breiten Publikum zu präsentieren, ohne sich auf Memes verlassen zu müssen. Wir erreichten auch die bundesweite Anerkennung als gemeinnützige Organisation. Dann, im Dezember 2018, verlor die FBSRA jede Glaubwürdigkeit, als eine Gruppe von Maoisten die Führung der Gruppe infiltrierte und enthüllte, dass ihre in Texas ansässigen Facebook-Admins mit einem FBI-Informanten zusammenarbeiteten. Unsere Rivalen, die FBSRA, fielen auseinander, und die Organisation, der ich angehöre, wurde zur modernen Socialist Rifle Association.

Das Argument, mit dem die SRA gegründet wurde, ist, dass alle linken Tendenzen in Amerika sich mit der Realität auseinandersetzen müssen, dass die USA voller Waffen und militarisierter Polizei sind, und dass jedes hinreichend erfolgreiche linke Projekt schließlich von Faschisten und/oder dem Staat angegriffen werden wird. Um erfolgreich zu sein, müssen diese Projekte in der Lage sein, diese Angriffe abzuwehren, oder sich notfalls selbst zu verteidigen.

Wir haben die Socialist Rifle Association gegründet, um eine Institution zu sein, die hilft, eine neue linke Waffenkultur aufzubauen und zu gestalten. Die SRA ist keine Miliz oder bewaffnete militante Gruppe, sondern eher eine Bildungs- und Interessenvertretungsorganisation, die auch gegenseitige Hilfe und Katastrophenhilfe organisiert. Anstatt sich auf eine bestimmte linke ideologische Linie zu konzentrieren, hat die SRA ein großes Zelt aufgebaut, das Sozialisten aller Richtungen willkommen heißt. Das Argument, mit dem die SRA gegründet wurde, ist, dass alle linken Tendenzen in Amerika sich mit der Realität auseinandersetzen müssen, dass die USA voller Waffen und militarisierter Polizei sind, und dass jedes hinreichend erfolgreiche linke Projekt schließlich von Faschisten und/oder dem Staat angegriffen werden wird. Um erfolgreich zu sein, müssen diese Projekte in der Lage sein, diese Angriffe abzuwehren, oder sich notfalls selbst zu verteidigen. Zusätzlich gibt es eine Zunahme von Hassverbrechen und Gewalt gegen Mitglieder von Minderheitengruppen, insbesondere Schwarze Menschen, Immigranten, Juden und LGBTQ+ Menschen.

Die SRA konzentriert sich daher auf: die Ermutigung von Sozialisten, bewaffnet zu sein; die Ermutigung von Mitgliedern von Minderheiten, bewaffnet zu sein; die Bereitstellung von Training in den Grundlagen der Waffenhandhabung und Sicherheit; die Schaffung von lokalen Sektionen, die als Waffenclubs und gegenseitige Hilfsorganisationen agieren; und für diese neue linke Schusswaffen-Kultur die Ablehnung des Machismo und der Waffenfetischisierung, die in der rechten Schusswaffen-Kultur so verbreitet sind. Wir haben auch Antifaschismus, Antirassismus und Anti-Misogynie zu Kernbestandteilen unserer Organisationsphilosophie gemacht.

AFN: Wie groß ist die Organisation und welche Art von Leuten tritt ihr bei – Linke, die sich für Waffen interessieren, oder Leute mit Waffen, die ein bisschen politisch sind? Bringt sie euch in Kontakt mit einer anderen Wählerschaft als die normale linke Politik?

FE: Die SRA hat vor kurzem die 10.000-Mitglieder-Marke überschritten. Wenn ich zurückblicke, als wir im April 2018 mit nur 30 Mitgliedern angefangen haben, ist es für mich erstaunlich, wie schnell diese Organisation gewachsen ist. Die Mitgliedschaft besteht hauptsächlich aus linken Menschen, die das Bedürfnis haben, sich und ihre Gemeinschaft zur Verteidigung gegen Faschismus zu bewaffnen.

AFN: Wofür nutzt Ihr das Training und das Üben? Ist es, um sich in der Selbstverteidigung sicher zu fühlen?

FE: Die meisten SRA-Mitglieder interessieren sich für Waffen zur Selbstverteidigung oder Verteidigung zu Hause, sowie für die Teilnahme an unbewaffneter Community Verteidigung, wie z.B. Katastrophenhilfe oder gegenseitige Hilfsprogramme, oder das Erlernen von Erste-Hilfe-Kenntnissen für Notfälle.

AFN: Was ist deine Meinung zu Waffenkontrollgesetzen? Ist die SRA total dagegen? Seid Ihr in dieser Hinsicht auf einer Linie mit der NRA?

FE: Die SRA ist nicht unbedingt gegen alle Waffengesetze, aber sie ist gegen Gesetze, die unverhältnismäßig viele Menschen aus der Arbeiterklasse oder Angehörige von Minderheitengruppen entwaffnen. Wenn man bedenkt, dass die amerikanische Polizei und Regierung von weißer Vorherrschaft und Faschismus durchdrungen sind, bedeutet das, dass wir gegen die Mehrheit der vorgeschlagenen Waffenkontrollen in den USA sind. Allerdings haben unsere Mitglieder unterschiedliche Ansichten darüber, wie Waffen in ihrer idealen sozialistischen oder anarchistischen Gesellschaft kontrolliert (oder nicht kontrolliert) werden sollten.

Ein Prinzip, das ich persönlich vertrete, ist folgendes: Wenn die Polizei eine „zivile“ Kraft sein soll, getrennt vom Militär, dann sollten Zivilisten in der Lage sein, jede Waffe zu besitzen und zu tragen, die die Polizei tragen kann; und die Polizei sollte keinen Zugang zu einer Waffe haben, die Zivilisten nicht besitzen können. Wenn die Polizei wesentlich mehr Feuerkraft hat als normale Bürger, dann ist sie in der Praxis nicht von einem paramilitärischen Besatzer zu unterscheiden.

AFN: Was ist die Lösung für die scheinbar irrsinnige Anzahl von Todesfällen durch Waffen und mass shootings die wir in den USA sehen?

FE: Es ist wichtig, die Todesfälle durch Schusswaffen im Allgemeinen und die mass shootings als zwei verschiedene Phänomene zu verstehen. Die Mehrheit der Todesfälle durch Schusswaffen in Amerika sind Selbstmorde. Die Selbstmordrate in den USA ist größtenteils auf Armut und wirtschaftliche Unsicherheit zurückzuführen, auf die Verzweiflung von Menschen, die keine Zukunft für sich sehen, und auf eine Kultur, die Menschen, die nicht produktiv sind, als nutzlos ansieht. Die nächst häufigste Ursache für Todesfälle durch Schusswaffen sind Tötungsdelikte, die zum größten Teil in verarmten Gemeinden vorkommen. Die Zahl der Todesfälle durch Schusswaffen, die auf diese Faktoren zurückzuführen sind, kann stark reduziert werden, wenn man Armut und wirtschaftliche Unsicherheit bekämpft, indem man kostenlose Gesundheitsfürsorge anbietet, die Kosten für Wohnraum senkt und den Arbeitern bessere Löhne und mehr Kontrolle über ihre Arbeit und ihr Leben gibt.

Mass shootings sind jedoch ein anderes Thema. Eine nützliche Art und Weise, mass shootings zu betrachten, ist, dass sie Amerikas Äquivalent zu Selbstmordattentätern oder Autobombenlegern sind. Der einzige Unterschied ist, dass es in Amerika einfacher ist, eine Waffe zu bekommen als Sprengstoff. Die Ursache für diese Form der Gewalt ist die Unzufriedenheit, die Desillusionierung und der Nihilismus junger Menschen, die sich dann entweder von den Darstellungen vergangener mass shootings in den Medien inspirieren lassen (die Medien Ansteckungstheorie) oder von rechtsgerichteten politischen Extremisten rekrutiert werden, die die Todessehnsucht dieser jungen Menschen nutzen, um Terror zu erzeugen. Das ist ein grundsätzliches Problem des verfallenden sozialen Gefüges in Amerika, und ein Verbot von Waffen wird diese Terroranschläge nicht wirksam verhindern.

AFN: Wie ist die Beziehung zwischen race und Waffen? Das Bild von Waffenliebhabern ist sehr weiß und die NRA scheint sehr weiß-konservativ zu sein.

FE: Die Beziehung zwischen race und Waffen ist sehr kompliziert, und ich glaube nicht, dass ich hier eine vollständig umfassende Antwort geben kann. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass das Recht auf Waffenbesitz im 2. Verfassungszusatz der USA zum Teil deshalb verankert wurden, weil man an der Grenze bewaffnete Gewalt brauchte, um den Völkermord an den Ureinwohnern fortzusetzen, und weil man im Süden Angst vor Sklavenaufständen hatte. Waffenrechte waren für den größten Teil der US-Geschichte weitgehend den Weißen vorbehalten, und während der Reconstruction-Periode nach dem Bürgerkrieg wurden Schwarze, die sich zur Verteidigung der Gemeinschaft bewaffneten, oft von weißen Mobs und der Polizei massakriert und entwaffnet. Versuche von Schwarzen und anderen Randgruppen, sich zu bewaffnen, haben oft zu einer verstärkten Waffenkontrolle geführt; der National Firearms Act von 1934 wurde teilweise mit der Kriminalität italienischer und irischer Einwanderer begründet; der Gun Control Act von 1968 wurde teilweise aufgrund von Bürgerrechtsunruhen eingeführt; der Mulford Act wurde in Kalifornien verabschiedet und 1967 von Ronald Reagan als Reaktion auf die Black Panthers unterzeichnet; „Saturday Night Special“-Gesetze, die preiswerte kleinkalibrige Handfeuerwaffen verbieten, wurden in den 70er Jahren als Reaktion darauf verabschiedet, dass Schwarze in den Städten diese Schusswaffen bevorzugten. Die Geschichte der Waffenkontrolle in Amerika ist die Geschichte der Weißen, die Waffen besaßen, um Randgruppen zu unterdrücken, Schwarze und andere Randgruppen erwarben Waffen, um sich zu verteidigen und die Weißen verabschiedeten dann Gesetze, um die Randgruppen zu entwaffnen.

AFN: Sind Waffen in den USA erschwinglich oder ist das eher etwas für besser gestellte Leute?

FE: Bis 2020 sind Waffen sehr erschwinglich gewesen. Eine Hi-Point C9 9mm Pistole konnte in den meisten Orten für $100 – $150 gekauft werden, 12ga Pump Action Shotguns sind schon für $100 erhältlich, und vor den jüngsten Panikkäufen konnte man eine AR-15 auf Einstiegsniveau für $400 kaufen oder eine selbst aus Teilen für nur $300 bauen. Mit den aktuellen Panikkäufen rund um die Wahl, die Pandemie und die zivilen Unruhen haben sich die Preise für Schusswaffen verdoppelt, während sich die Preise für Munition verdreifacht haben und viele gängige Kaliber wie 9 mm und 5,56 mm nur noch begrenzt verfügbar waren. Jetzt, da die Wahl vorbei ist und es so aussieht, als ob Trump es nicht geschafft hat, aus der Wut der Rechten Kapital zu schlagen, um einen Aufstand zu schüren, um seine Herrschaft zu erhalten, erwarte ich, dass die Nachfrage nach Schusswaffen zurückgehen wird, was den Einzelhändlern eine Schwemme von überschüssigen Waffen und Munition bescheren wird. Wenn es nicht zu einer weiteren Explosion von zivilen Unruhen oder politischen Unruhen kommt, werden die Waffenpreise wahrscheinlich im Frühjahr 2021 abstürzen und sich bis zum Ende des Jahres stabilisieren.

AFN: Habt Ihr das Gefühl, dass es eine echte Bedrohung durch den bewaffneten rechten Flügel gibt? Ist es das, worauf Ihr reagiert?

FE: Es gibt eine echte Bedrohung durch rechte Milizen und neonazistische Terrorzellen. Rechte Miliz Angehörige haben BLM-Demonstranten erschossen und wurden dann von der Polizei geschützt. Neonazi-Terroristen in Gruppen wie Atomwaffen und The Base haben Terroranschläge verübt oder wurden bei der Planung von Anschlägen festgenommen. Die Geschichte zeigt uns, dass ein gemeinsames Merkmal des Faschismus der Einsatz von nicht-regierungsnahen bewaffneten Gruppen ist, um Gewalt im Namen der Faschisten in der Regierung zu begehen, während sie Distanz und plausible Dementis beibehalten. Wir können dies in der Geschichte von Deutschland, Italien, Spanien, Chile, Brasilien, Indonesien und anderswo beobachten. Diese Arten von bewaffneten Gruppen sind Werkzeuge, die von kompetenten Faschisten eingesetzt werden können, um die Linke und Minderheiten anzugreifen, ohne die schlechte Außenwirkung eines direkten Einsatzes staatlicher Kräfte.

AFN: Was ist mit den Milizen? Gibt es sie überall oder nur in bestimmten Teilen? Sind sie alle wirklich rechts oder nicht?

FE: Milizen gibt es in jedem Bundesstaat der USA. Es gibt einige Staaten, in denen strengere Gesetze und eine liberalere Kultur es den Milizen schwer machen, zu rekrutieren oder Aktionen durchzuführen (Kalifornien, New York, etc.). Aber ich würde sagen, dass von den 50 Staaten 35 bis 40 eine bedeutende Milizpräsenz haben. Die Mitgliedschaft in Milizen reicht im Allgemeinen von allgemeinen Rechtskonservativen bis hin zu kaum getarnten Faschisten. Ein repräsentatives middle-of-the-road Beispiel wäre das Three Percenter (III%)-Netzwerk, das nominell dem „Schutz“ der US-Verfassung dient und theoretisch Neonazis ablehnt, in Wirklichkeit aber viele antikommunistische, anti-black, antiliberale Ideen in seine Ideologie aufnimmt und bereitwillig Leute akzeptiert, die Nazi-Rhetorik befürworten, solange sie nicht zu offen damit umgehen. Es gibt eine Handvoll linker Milizen, aber nur einen winzigen Bruchteil dessen, was es auf der Rechten gibt. Der einzige Vorteil ist, dass viele der rechten Milizen voll von alternden Baby-Boomern sind, denen die körperliche Ausdauer fehlt, um eine wirkliche Bedrohung darzustellen. Aber selbst wenn man das berücksichtigt, gibt es wahrscheinlich 10x so viele effektive Milizmitglieder auf der Rechten wie auf der Linken.

AFN: Wir hören in letzter Zeit viel über die „Boogaloo“-Bewegung. Was ist Eure Meinung dazu?

FE: Die „Boogaloo“-Bewegung ist ein Abkömmling der Alt Right. Während sie nicht explizit faschistisch ist, wie es die Alt Right war, basiert sie auf der gleichen Ablehnung der neoliberalen amerikanischen Gesellschaft, aber ohne eine kohärente politisch-ökonomische Analyse, warum die Gesellschaft so ist, sondern konzentriert sich eher auf die Verachtung der politischen Eliten (mit einem Unterton von Antisemitismus). Es ist bemerkenswert, dass die Boogaloo Bewegung regierungs- und polizeifeindlich ist, im Gegensatz zu den konservativen und faschistischen Mainstream-Bewegungen, die die Polizei vergöttern oder versuchen, in sie einzudringen. Diese Bewegung ist überwiegend rechtsgerichtet, obwohl es einige junge Linke gibt, die in die Bewegung hineingeraten sind. Boogers waren an einer Reihe von Angriffen gegen die Polizei beteiligt und haben versucht, in die BLM- und Anti-Polizeibrutalitäts-Proteste einzutreten, aber weil die Boogers überwiegend weiß und rechts sind, haben die BLM-Proteste diese Bemühungen weitgehend zurückgewiesen.

AFN: Tragen Menschen Schusswaffen zu Demonstrationen oder als Teil von politischen Aktionen? Würde das die Menschen sicherer machen oder sie einem größeren Risiko aussetzen?

FE: Schusswaffen werden zunehmend bei politischen Aktionen getragen, insbesondere von der extremen Rechten, aber auch von einigen linken Gruppen seit 2015. Die Anwesenheit von Schusswaffen bei brisanten politischen Veranstaltungen macht die Situationen natürlich gefährlicher. Wenn jedoch Rechte bewaffnet sind und Linke und Antirassisten nicht, ermutigt dies lediglich die Rechten zu dem Gefühl, dass sie politische Gewalt ohne Konsequenzen begehen können. Wenn Linke bei diesen Veranstaltungen Waffen tragen, sind sie oft in der Lage, Situationen zu deeskalieren, bevor sie gewalttätig werden, indem sie rechte Provokateure einschüchtern, die sonst das Gefühl hätten, dass ihre Waffen ihnen Immunität gegen Konsequenzen verleihen. Bewaffnete Linke bei Protesten/politischen Auseinandersetzungen in Charlottesville, Stone Mountain, Seattle und anderswo haben Rechte wahrscheinlich davon abgehalten, gewalttätige Angriffe auszuführen.

AFN: Wie ist die Situation dort, wo du lebst, auf Alltagsebene? Tragen die Leute routinemäßig Waffen?

FE: Ich bin vor kurzem von Kalifornien nach Kansas gezogen, Orte, die diametral entgegengesetzte Waffengesetze haben, also werde ich über die Situation in beiden Staaten sprechen. In Kalifornien wurde das offene Tragen von Waffen 1967 durch den Mulford Act verboten, als Reaktion auf die Black Panther, die während ihrer Streifengänge Gewehre und Schrotflinten trugen. Kalifornien erlaubt zwar das verdeckte Tragen einer Handfeuerwaffe mit einer Genehmigung, aber diese Genehmigungen werden auf Bezirksebene verwaltet. Die bevölkerungsreichsten kalifornischen Bezirke wie Los Angeles County, San Francisco County, Alameda County usw. weigern sich größtenteils, den Bürgern eine Genehmigung zum verdeckten Tragen zu erteilen, während viele andere Bezirke den Nachweis eines dringenden Bedürfnisses verlangen, um eine Trageerlaubnis zu rechtfertigen. Nur die weitgehend ländlichen Bezirke in Kalifornien geben freiwillig verdeckte Tragegenehmigungen aus. Aus diesem Grund gibt es bei einer Bevölkerung von 40 Millionen Erwachsenen nur 120.000 aktive verdeckte Tragegenehmigungen in Kalifornien, d. h. etwa 0,3 % der Kalifornier, die nicht der Polizei angehören, haben eine Genehmigung zum Tragen einer verdeckten Handfeuerwaffe, und diese sind größtenteils in ländlichen Bezirken konzentriert.

Allerdings erlaubt ein US-Bundesgesetz namens LEOSA fast jedem pensionierten Polizeibeamten, der nicht wegen Fehlverhaltens entlassen wurde, eine verdeckte Schusswaffe zu tragen, unabhängig von staatlichen oder lokalen Gesetzen, und viele pensionierte Polizeibeamte machen davon Gebrauch. Es ist unklar, wie viele pensionierte Polizeibeamte es in Kalifornien gibt und wie viele davon eine Pistole tragen. Aber pensionierte Beamte, die unter LEOSA Pistolen tragen, greifen regelmäßig entweder in Verbrechen ein oder begehen selbst Verbrechen. Ein pensionierter Polizist mit einer verdeckten Pistole ermordete letztes Jahr in einem Costco (Großhandelskette, d.Ü.) einen geistig behinderten Mann, weil er gegen seinen Einkaufswagen stieß und schrie, nur wenige Meilen von meinem früheren Zuhause entfernt.

In Kansas haben die Bürger ein verfassungsmäßiges Recht, Waffen offen oder verdeckt zu tragen. Jede Person über 18 Jahren darf eine Schusswaffe überall offen tragen, außer wenn es auf privatem Grund verboten ist. Seit 2017 darf jede Person über 21 Jahren eine verdeckte Handfeuerwaffe überall tragen, es sei denn, es ist auf Privatgrundstücken verboten. In ländlichen Gegenden ist es üblich, Gewehrständer mit Gewehren oder Schrotflinten auf der Rückseite von Fahrzeugen zu sehen. In Großstädten wie Wichita, Lawrence oder Kansas City werden Langwaffen nur selten offen getragen, aber es ist nicht ungewöhnlich. Ich habe keine Daten darüber, wie viel Prozent der Bevölkerung von Kansas verdeckte Pistolen tragen, aber mindestens 4 % der Einwohner von Kansas haben derzeit eine Genehmigung zum verdeckten Tragen, obwohl dies gesetzlich nicht mehr vorgeschrieben ist. In der kurzen Zeit, seit ich hierher gezogen bin, habe ich im Supermarkt mindestens zwei Personen mit offen getragenen Pistolen an der Hüfte gesehen. Das beunruhigt mich nicht, da ich in der Nähe von Schusswaffen aufgewachsen bin; aber wenn Pistolen in Verbindung mit Pro-Trump- oder QAnon-Kleidung getragen werden, bekommt man das Gefühl, dass die Waffen als Versuch der politischen Einschüchterung eingesetzt werden.

In beiden Staaten sollte man sich daran erinnern, dass die Polizei eine offen militarisierte bewaffnete Kraft darstellt, die dazu dient, weiße und wohlhabende Gemeinden zu schützen, während sie in schwarzen, lateinamerikanischen und armen Gemeinden als paramilitärische Besatzung agiert.

Die wichtigste Lektion, die die Europäer meiner Meinung nach lernen sollten, ist, dass man die Waffen (sowohl physisch als auch metaphorisch) und die Schlachtfelder (sowohl auf der Straße als auch kulturell) beobachten muss, auf denen die Faschisten vorrücken, und sich bemühen muss, ihnen auf denselben Schlachtfeldern mit denselben Waffen zu begegnen. Überlasst dem Faschismus keinen Raum, und lasst ihn kein Monopol auf irgendeine Taktik oder einen Teil eurer Kultur besitzen.

AFN: Was können wir deiner Meinung nach von der SRA in unserem Land mit (meist) keinen Waffen lernen?

FE: Das ist schwer zu beantworten, da ich mit der Situation in Großbritannien nicht umfassend vertraut bin. Ich möchte sagen, dass die SRA als Antwort auf die bestehende Waffenkultur in Amerika existiert und sich wahrscheinlich nicht unabhängig davon entwickelt hätte, wenn diese Waffenkultur nicht schon existieren würde. Die wichtigste Lektion, die die Europäer meiner Meinung nach lernen sollten, ist, dass man die Waffen (sowohl physisch als auch metaphorisch) und die Schlachtfelder (sowohl auf der Straße als auch kulturell) beobachten muss, auf denen die Faschisten vorrücken, und sich bemühen muss, ihnen auf denselben Schlachtfeldern mit denselben Waffen zu begegnen. Überlasst dem Faschismus keinen Raum, und lasst ihn kein Monopol auf irgendeine Taktik oder einen Teil eurer Kultur besitzen. Bietet eine sozialistische Alternative in allen Arenen an.

AFN: Wie denkst du, wird sich die Gesamtsituation auf den Straßen mit den Ergebnissen der letzten US-Wahlen verändern? Werden wir wahrscheinlich mehr Gewalt von der extremen Rechten sehen oder werden sie mehr demoralisiert sein?

FE: Was wir jetzt sehen, ist eine regelrechte “Fressorgie” von rechtsradikalen und faschistischen Gruppen, die aggressiv enttäuschte Trump-Anhänger rekrutieren und absorbieren. Gruppen wie die Proud Boys, die schon immer als Brücke zwischen dem Mainstream-Konservatismus und explizit neofaschistischer Politik gedient haben, haben begonnen, ihre faschistische Gesinnung offener zur Schau zu stellen, indem sie Zitate und Verweise auf die Turner-Tagebücher, die 14 Worte und die Holocaust-Leugnung in ihren landesweiten comms zur Schau stellen. Rechte Milizen haben offen über die Ermordung von Dissidenten und Journalisten gesprochen, sowohl in ihren comms als auch in der Öffentlichkeit. Das QAnon-Verschwörungsuniversum ist zunehmend aus den Angeln gehoben und von der Realität abgekoppelt worden und lässt viele Menschen in einem verwirrten mentalen Zustand zurück, der sie anfällig für eine ideologische Bekehrung zum Faschismus macht.

Die größte Gefahr ist jedoch die wachsende politische Solidarität zwischen der Polizei und der extremen Rechten. Während Milizen und Straßenschlägerclubs wie die „Proud Boys“ bei Protesten Ärger machen und Menschen auf der Straße einschüchtern können, haben sie nicht annähernd die Macht, die nötig ist, um eine faschistische Machtübernahme einzuleiten. Die Polizei jedoch schon. Die Polizei schützt oft faschistische und rechte Demonstranten, auch wenn sie offen das Gesetz brechen, während die gleiche Polizei Black Lives Matter Demonstranten mit Tränengas malträtieren wird, Gummigeschossen und Schlagstöcke bei der geringsten Provokation. Die Polizei hat oft freundschaftliche Beziehungen zu rechten Gruppen und Milizen, und einige radikalisierte Sheriffs Abteilungen erlauben sogar rechten Milizen mit der Autorität als Polizei zu handeln, ohne jede rechtliche Aufsicht. Wir haben in Portland auch die Bereitschaft von Bundespolizeikräften wie den US-Marshalls gesehen, politisch radikalisierte örtliche Polizisten zu beauftragen, mit der Autorität und ohne die Zurückhaltung zu handeln, die der Bundespolizei auferlegt ist. Die Welten der extremen Rechten und der Ordnungskräfte werden mit der Zeit immer mehr miteinander verflochten.

Ich habe in diesem Interview viel über die Polizei gesprochen und sie mit einer paramilitärischen Truppe verglichen. Ich möchte betonen, dass dies keine Übertreibung oder rhetorische Einlassung ist. Die amerikanische Polizei hat immer eine Rolle bei der Ausübung der Dominanz der herrschenden Klasse gespielt, um die weiße Vorherrschaft und die Klassenaufteilung durchzusetzen. Aber eine Reihe von Faktoren – darunter die Militarisierung der Polizei ab den frühen 90er Jahren, der Zustrom von Militärveteranen der Irak- und Afghanistan-Kriege in die Polizei in den späten 2000er Jahren, die absichtliche Unterwanderung der Polizei durch Faschisten in den 2000er und 2010er Jahren und in jüngerer Zeit der Aufstieg des Trumpismus, und die „Defund/Abolish the Police“-Bewegungen von linken und antirassistischen Demonstranten, die die Rolle der Ordnungskräfte bei der Aufrechterhaltung von Kapitalismus und Rassismus erkannt haben – all das hat zusammengenommen eine Klasse von wütenden, bewaffneten, selbstherrlichen und selbstverliebten Männern geschaffen, die Schwarze, Arme, Immigranten und Linke als ihre Feinde betrachten.

Diese Individuen stehen über dem Gesetz und sind durch qualifizierte Immunität, polizeifreundliche Staatsanwälte und rassistische Richter vor den meisten Konsequenzen für das Begehen von Mord oder Körperverletzung geschützt. Sie behaupten oft, ihre Treue dem Gesetz, der Verfassung oder der Flagge zu schulden; aber das sind für sie nur religiöse/ideologische Idole, die die wahren Dinge repräsentieren, die sie anbeten: Macht, Autorität und das Recht, diejenigen zu misshandeln, die ihrer Meinung nach ihren Schutz nicht verdient haben. Der amerikanische Politikwissenschaftler Frank Wilhoit beschrieb die Ideologie der modernen „konservativen“ Bewegung so: „Es muss In-Groups geben, die das Gesetz schützt, aber nicht verpflichtet, neben Out-Groups, die das Gesetz verpflichtet, aber nicht schützt.“ Wir können sehen, wie dies von den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden jeden Tag in die Praxis umgesetzt wird.

Es existieren alle Komponenten für die Bildung einer einheitlichen faschistischen Bewegung: die Republikanische Partei, das rechte Medien-/Propaganda-Ökosystem, neofaschistische Organisationen und Straßenschläger, radikalisierte Polizeiabteilungen, eine Opfermentalität, die jede Kritik als Zensur ansieht, und eine religiös-politische Ideologie, die auf den beiden Säulen des evangelikalen Christentums und des fanatischen weißen Nationalismus basiert. Unsere einzige rettende Gnade war bisher die relative Inkompetenz von Donald Trump. Alles, was es braucht, ist ein kompetenter, charismatischer Faschist, um die Bewegung von Trump zu ihrem logischen Ende zu bringen.

In der Zwischenzeit zeigt die liberale/demokratische Linke keinerlei Bereitschaft, sich mit diesen Problemen zu befassen, wenn sie ihre Existenz überhaupt anerkennt. Biden hat eine Rückkehr zur Normalität versprochen, eine Rückkehr zu den nostalgischen Tagen der Obama-Administration, als Liberale diese Politik gefahrlos ignorieren konnten, während die Maschinerie des Imperiums effizient im Hintergrund brummte. Er hat keinen Fahrplan für die Demontage der Trumpistischen Bewegung oder ihr Eindringen in das Getriebe der Regierung und der Polizeiarbeit. Liberale spotten über die Republikaner, während sie und ihre faschistischen Verbündeten auf Fox News und One American News auftreten und die Idee verbreiten, dass die Demokratie tot ist und dass die Konservativen sich auf Gewalt verlassen müssen, um „die Nation zu schützen“. Bidens Regierung wird alle Komponenten des amerikanischen Faschismus an Ort und Stelle lassen, während die große Mehrheit der Liberalen völlig unvorbereitet auf die unvermeidliche zweite Welle ist.

Die Bedrohung, mit der wir konfrontiert sind, die Gewehrmündung, die auf das Herz der amerikanischen Gesellschaft gerichtet ist, ist dies: Es existieren alle Komponenten für die Bildung einer einheitlichen faschistischen Bewegung: die Republikanische Partei, das rechte Medien-/Propaganda-Ökosystem, neofaschistische Organisationen und Straßenschläger, radikalisierte Polizeiabteilungen, eine Opfermentalität, die jede Kritik als Zensur ansieht, und eine religiös-politische Ideologie, die auf den beiden Säulen des evangelikalen Christentums und des fanatischen weißen Nationalismus basiert. Unsere einzige rettende Gnade war bisher die relative Inkompetenz von Donald Trump. Alles, was es braucht, ist ein kompetenter, charismatischer Faschist, um die Bewegung von Trump zu ihrem logischen Ende zu bringen.