POST COVID RIOT PRIME MANIFEST

Doc McCoy

Dieser Beitrag erschien in vier Teilen bereits auf non copyriot. Er wurde uns vom Autor in einer redigierten Fassung, für die sich dieser bei @antikalypse bedankt, zur Verfügung gestellt. Wir reproduzieren ihn in dieser Ausgabe, weil er einen der ganz wenigen Texte aus dem deutschsprachigen Raum darstellt, der sich auf die Diskussionen über einen aufständische Perspektive, die international, im Gegensatz zu hier, seit mehreren Jahren geführt wird, ausführlich bezieht. Sunzi Bingfa

Diesen Artikel kann in gedruckter Form als Broschüre hier bestellt werden: https://www.anarchia-versand.net/Buecher-und-Broschueren/Anarchismus/Anarchismus/Post-Covid-Riot-Prime-Manifest-Zwanzig-notwendige-Anmerkungen-zu-den-gegenwaertigen-Konfliktualitaeten-und-Perspektiven::4914.html

Zwanzig notwendige Anmerkungen zu den gegenwärtigen Konfliktualitäten und Perspektiven.

Eins: Alle Regierungen sind schlecht. Rechte, linke, ultrarechte,… alle. Sie handeln nicht in unserem Interesse, den Menschen von unten, wie die Zapatisten sagen würden. Covid-19 hat wie in einem Brennglas den grundsätzlichen Antagonismus zwischen denen, die die Welt neu erschaffen müssen, damit es eine Welt überhaupt geben kann, und denen, die in unterschiedlichen Formen an der bestehenden Welt, der Welt des Untergangs festhalten, an ihrer Konsistenz partizipieren, zum Ausdruck gebracht.

Zwei: Die Linken sind in dem Prozess, der notwendig ist, um den Aufstand zu organisieren, keine Verbündeten, von einigen ehrenwerten Ausnahmen abgesehen. Sie haben uns in der Corona-Ära alleine und im Stich gelassen. Sie haben sich den Narrativen der Unvermeidlichkeit des Ausnahmezustandes nicht entgegengestellt, viele haben sogar noch härtere Einschnitte in unsere kollektiven, grundsätzlichen Rechte gefordert. Die weiße, reiche Linke des Westens hat der „Solidarität“ das Wort geredet, in Wahrheit jedoch einen faktischen Schulterschluss mit der Macht vollzogen und dazu aufgerufen, alle grundsätzlichen Klassenkämpfe, alle Manöver des sozialen Krieges von unten einzustellen, ruhen zu lassen. Dazu aufgerufen, der Macht und ihren Anweisungen zu vertrauen, hat sie ihre Propaganda weiter verbreitet und dabei völlig versäumt, eigene grundsätzliche Untersuchungen zur Situation anzustellen. Auch hier gilt: von wenigen ehrenwerten Ausnahmen abgesehen, wie zum Beispiel die Untersuchungen und Überlegungen einiger italienischer Linker zum Ausgangspunkt der Corona-Pandemie in Norditalien. (1)

Drei: Aufstände sind auch unter den Bedingungen einer Pandemie möglich und notwendig. Der landesweite Aufstand in den Vereinigten Staaten von Amerika nach der Ermordung von George Floyd, bei dem Werte des Gegners in Milliardenhöhe zerstört wurden, waren die umfangreichsten Erhebungen seit den sogenannten “Rassenunruhen” der 60iger Jahre. Diese massenhaften Zusammenkünfte von wütenden Menschen haben nicht zu einer schnelleren Ausbreitung des Corona-Virus geführt, wie sogar die Medien unserer Gegner zugeben mussten. Sie haben es allerdings geschafft, die Fokussierung auf den Krieg gegen ein Virus, ein Krieg, der ein Krieg der Wahnsinnigen ist, weil man einem Virus nicht den Krieg erklären, geschweige denn einen solchen gewinnen kann, hin zu den eigentlichen Krankheiten der Gesellschaft zu lenken, dem allgegenwärtigen Rassismus, der besonders von den Sicherheitskräften ein praktizierter shoot to kill-Rassismus ist, der zugleich Hinrichtungen in einem quasi extralegalen Raum schafft, die Liquidierung der Armen, wie sie seit Jahrzehnten z.B. in den Favelas Brasiliens tagtägliche Praxis ist, in die Governance der Metropolen des Westens implantiert. Daran hat die Präsidentschaft von Obama ebensowenig etwas geändert, wie die Präsidentschaft von Biden daran etwas ändern wird. Heute beugen die Bullen ein Knie vor den Kameras der Medien, morgen fahren sie und ihre Herren mit dem Morden einfach weiter fort. Daran ändern auch die schönen Gedichte und Showeinlagen zur Amtseinführung der “progressiven” US-Präsidenten nichts. Kennedy hat die Anzahl der “Militärberater” in Südvietnam von 700 auf 16.000 erhöht, Obama den Drohnenkrieg intensiviert. Die einzige effektive Maßnahme zur Eindämmung der rassistischen Polizeigewalt ist es, ihre Reviere niederzubrennen. Die Generalisierung dieser Praxis ist den Aufständischen der George Floyd-Revolte nicht gelungen, die entscheidende taktische Niederlage war die verlorene Schlacht um das Fifth Precinct in Minneapolis, kurz nachdem das dritte Polizeirevier vollständig niedergebrannt worden war, wie in „Memes Without End“ richtigerweise analysiert. (2)

Die einzigen effektiven Maßnahmen zur Beendigung ihrer Kriege sind keine Friedensmärsche, sondern die Sabotage und Zersetzung ihrer Kriegsmaschinerie, die Blockade der für den Krieg nach Innen und Aussen notwendigen Infrastruktur. Nicht als symbolischer, zeitlich begrenzter demonstrativer Akt, sondern als grundsätzliche, strategische Intervention.

Vier: Wenn wir von unseren Aufständen reden, ist es notwendig, dies zu präzisieren. Unsere Aufstände haben schon lange nichts mehr mit der historisch gescheiterten Linken zu tun. Manchmal mögen sie sich noch selber als Stichwortgeber, Berater, Experten und Organizer aufspielen, aber ihre Zeit ist abgelaufen. Oder wie ein berühmter Vordenker der Linken einst sagte: „Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß.” Wir stehen nicht mehr als Schachfiguren für ihre geopolitischen Spielchen zur Verfügung, uns ist es egal, ob Assad ein Anti-Zionist, Maduro ein Anti-Imperialist ist. Für uns gibt es keine freundlichere Macht in der Zuspitzung der Konfrontation um die Hegemonie zwischen der demokratischen Partei der USA und der kommunistischen Partei der VR China, uns geht das ziemlich am Arsch vorbei. Wir haben von den Taktiken der Revolte in Hongkong viel gelernt, wir schauen bewundernd nach Myanmar, wir wurden inspiriert von der Wucht der Revolte der Gilets Jaunes, die Ministerien gestürmt und Luxusgeschäfte auf den Champs Élysées geplündert haben. Die Frontliners der Revolte der Jugendlichen in Chile finden sich in der gegenwärtigen Revolte in Kolumbien wieder, stolz präsentiert jede kolumbianische Stadt ihre Primera Línea, gebildet aus proletarischen Jugendlichen, die nichts mehr zu verlieren, aber eine neue Welt zu gewinnen haben. Die wissen, dass ihre Zukunft nur dann in ihren Händen liegt, wenn sie autonom über ihre Angelegenheiten entscheiden und alle Ansinnen der Repräsentanz zurückweisen. Diese aufständischen Bewegungen, denen keine grundsätzlichen Forderungen eigen sind, auch wenn am Ausgangspunkt der Revolten häufig konkrete Verhältnisse und Empörung die Wut explodieren lassen, verweigern sich in ihren Widersprüchlichkeiten und Zusammensetzungen den tradierten Sichtweisen auf die Begrenzungen und Perspektiven solch spontaner Revolten. Die Barbaren setzen zum Sturm auf den Himmel an. (3)

Fünf: Alle Bewegungen schreiben ihre Geschichte selbst. Wir haben damit schon lange angefangen, nur dominieren im Diskurs die Stimmen der alten, weißen Welt, die Stimmen derjenigen, die mit unseren Aufständen ihr Geld verdienen, darauf ihre Karrieren begründen, als Journalisten, Soziologen, Autoren, Aktivsten, Parteigründer, Politologen … Wir sagen, es braucht eine Erzählung der Peripherie und unsere Peripherie erstreckt sich von den Vororten Brüssels über die Vororte Khartoums, von den Kreisverkehren des vergessenen Frankreichs bis ins Herzen von Cali. Wir schreiben wieder und wieder unsere Geschichte auf, fast niemand hört uns zu oder unsere Geschichten werden gestohlen und vermarktet. Dabei sind wir es, von denen es Lektionen zu lernen gilt. Über Siege, Niederlagen, über Opfer und Trauer, aber vor allem über die Art und Weise zu kämpfen. Wir wissen, dass die Jugendlichen, die im Sommer letzten Jahres in der Innenstadt von Stuttgart in Deutschland randaliert haben, mit den Bildern der rassistischen Polizeigewalt gegen George Floyd, aber auch mit dem darauf folgenden Aufstand mehr anfangen konnten als die deutschen Linken. Weil es ziemlich viel mit ihrer Lebensrealität zu tun hat. Sie wurden nur schmählich im Stich gelassen von eben jenen, als die Welle der Repression gegen sie einsetzte. Wir denken, sie werden sich das gut gemerkt haben, die Grenzen des Geredes von ‘Solidarität’. Vielleicht fehlt ihnen noch ein bisschen die Erfahrung, wie man seine eigene Geschichte aufschreibt, aber zumindest scheinen sie nicht verlernt zu haben, wie man randaliert, wie wir dieser Tage den deutschen Medien entnehmen konnten. Wir werden noch viel Geschichte aufzuschreiben haben, denn wir werden es sein, die die Geschichte dieser sogenannten Welt und der Welt, die darauf folgt, schreiben werden.

Sechs: Es gilt den Horizont der gegenwärtigen Konfliktualität zu fassen. Um nicht weniger kann es gehen, da nicht nur unsere Geduld endlich ist, sondern erstmalig auch die Zeit, die uns geblieben ist, um den endgültigen Ansturm zu organisieren. Dass die Welt, in der wir leben, dem Untergang geweiht ist, wissen alle. Die Frage ist nur, was sich daraus ergibt. Wir haben gesehen, wie die Permanenz des Ausnahmezustandes in der Governance der Pandemie anfänglich nur in den gesellschaftlichen Randbereichen auf Widerstand gestossen ist, die (in den westlichen Medien weitgehend verschwiegenen) spontanen Revolten als Reaktion auf die Ausrufung des Ausnahmezustandes brachen in den Knästen, den proletarischen Vororten und Slums (vor allem in Afrika, aber auch z.B. in Europa in den französischen Banlieues) und z.B. auf dem indischen Subkontinent unter den Wanderarbeitern aus, die verzweifelt versuchten, in ihre Heimatdörfer zu gelangen, weil sie nur so eine Überlebensperspektive für sich sahen.

Der soziale Gehalt des Ausnahmezustandes, der innewohnende existenzielle Angriff wurde zuerst von breiten Teilen der Klasse negiert, bzw. gelang es diesen Klassenwiderspruch durch die medial gesteuerte Angst zu manipulieren. Die in vielen Ländern von unten organisierten Maßnahmen zeigten (auch), dass es möglich war, die gesundheitliche Gefahr durch das Coronavirus realistisch einzuschätzen und Schutzmaßnahmen zu entwickeln, die den wirklichen Bedürfnissen der Menschen gerecht werden. Dies war nicht nur in den ärmeren Ländern der Fall, auch in vielen Krankenhäusern in Italien, Frankreich, Spanien und den USA waren vor allem die Pfleger*innen in vielen Bereichen in der Anfangsphase der Pandemie auf sich selbst zurückgeworfen, mussten unter improvisierten Bedingungen versuchen, sich selbst zu schützen und trotzdem eine Versorgung ihrer Patient*innen zu gewährleisten. Diese Prozesse der Selbstorganisierung, die (auch ansatzweise und zu wenig) den gegenseitigen Austausch beinhalteten, kommen nicht ohne Grund in den vorherrschenden Erzählungen über die Pandemie nicht vor. Dass auch die Linken (wiederum von wenigen Ausnahmen abgesehen) sich ausschließlich auf die staatliche Pandemiepolitik beziehen, auch in ihren später verhalten geäußerten Kritiken zu einzelnen Aspekten der Maßnahmenpolitik, macht sie auch an diesem Punkt zu einem Teil des Machtblockes, der uns feindlich gegenüber steht.

Alles, was noch auf uns am Horizont wartet, all die Schrecken und Katastrophen, schreien geradezu danach, die Erfahrungen der Selbstorganisierung, die wir in dieser Pandemie gemacht haben, zu sammeln und auszuwerten. Sie sind unser Rüstzeug für das, was noch auf uns zukommt. Wenn dies nicht geleistet wird, sind wir dem Staat und seiner Allmacht ausgeliefert. Wir wissen das aus allen Revolten, Aufständen und Umstürzen. Es geht nicht nur um die “Frontlinie”, jeder Erfolg, der dort erzielt wird, ist nichts wert, wenn wir keine aufständische Infrastruktur aufbauen, und selbstverständlich betrifft das auch den medizinischen Bereich. Das meinen wir auch, wenn wir von dem Horizont der Konfliktualität sprechen: Die Revolte ist kein Spielplatz, sondern der Ort, der Grundlagen schafft, um einen aufständischen Prozeß wagen zu können. Entweder schaffen wir uns eine Analyse der realen Situation oder wir werden untergehen.

Sieben: Wir werden uns von viel altem Ballast trennen müssen. Vor allem ideologischem. Die Art und Weise, wie die Totalität des Faschismus begriffen und beschrieben wird, stammt aus historischen Prozessen, die teilweise schon ein Jahrhundert alt sind und der Form der Totalität, die wir heute vorfinden, nicht mal ansatzweise gerecht werden. Wer diese Totalität, die auf die Subjektivitäten selbst abzielt, nicht begreift, leugnet oder relativiert, stellt sich gegen die notwendigen Schritte im aufständischen Prozeß. Wie Agamben richtigerweise anmerkte: „Dass es sich bei den in den selbsternannten kommunistischen Ländern errichteten Regimen um eine bestimmte Form des Kapitalismus handelte, die sich besonders für wirtschaftlich rückständige Länder eignete und daher als Staatskapitalismus zu bezeichnen ist, war denjenigen, die die Geschichte zu lesen verstehen, durchaus bekannt; völlig unerwartet war jedoch, dass diese Form des Kapitalismus, die ihre Aufgabe erfüllt zu haben schien und daher obsolet schien, stattdessen nun dazu bestimmt war, in einer technologisch aktualisierten Konfiguration das dominierende Prinzip in der gegenwärtigen Phase des globalisierten Kapitalismus zu werden.” Und weiter: “Sicher ist jedoch, dass das neue Regime den unmenschlichsten Aspekt des Kapitalismus mit dem grausamsten Aspekt des Staatskommunismus verbinden wird, indem es die extreme Entfremdung der Beziehungen zwischen den Menschen mit einer noch nie dagewesenen sozialen Kontrolle kombiniert.“ (4)

Die geschichtliche Zukunft ist ungeschrieben. Immer. Es wird jedoch in der Zuspitzung der diversen Katastrophen zu einem dauerhaften (inter)staatlichen Notstandsregime kommen müssen, um die verschiedensten für das Weiterfunktionieren des Systems überlebensnotwendigen Prozesse steuern zu können. In welcher Art und Weise dieses Notstandsregime “erzählt” wird, ist die einzige Frage, die noch offen ist. Seit längerer Zeit schon geistert die Erzählung vom “new green deal” durch die Welt, dieser wird jedoch ausschließlich aus der Perspektive und den Interessen der Privilegierten gesteuert und realisiert werden. Niemand muss sich Illusionen hingeben, wer in einer Welt der abschmelzenden Polkappen als erstes geopfert werden wird, um “im Namen der Menschheit den Planeten zu retten”. Sich von diesen barbarischen Akten einen Begriff zu erarbeiten, sie analytisch zu antizipieren, ist unabdingbar. Nichts wäre fahrlässiger, als diesen Prozeß zu unterschätzen.

Acht: Wir müssen alles neu aufbauen im aufständischen Prozess. Das hat das Unsichtbare Komitee 2007 festgestellt. Wir finden, es ist in dieser Hinsicht schon unglaublich viel geschehen. Was fehlt, ist eine veränderte Sichtweise auf die zahllosen Aufstände und ihre Erfahrungen. Der Aufstand in Nahost und Afrika, der im Westen immer unzutreffend als “arabischer Frühling” bezeichnet wird (“arabisch” spart die Teilnahme diverser Ethnien ebenso aus wie die Tatsache, dass die Aufstände sich bis ins Herz von Afrika ausbreiteten), hat gezeigt, wie fragil eine ganze Staatenkette innerhalb weniger Monate werden kann. Der Aufstand zielte nie auf die Übernahme des Staates, wo dies geschah, wie z.B. in Ägypten durch die Muslimbrüder, war dies nur vorübergehender Natur, oder führten dieses Versuche in langjährige Bürgerkriege wie in Syrien oder Jemen. Die wirkliche aufständische Transformation fand jedoch in den Gesellschaften statt, so wird es auch von den Protagonist*innen begriffen (5), nur die westliche linke Rezension der dortigen Aufstände ist nicht in der Lage, den qualitativen Sprung zu realisieren, den diese Erhebung für die Region bedeutet hat. Gefangen in den Gedankenwelten des Sturms auf das Winterpalais kann die westliche Linke nicht Teil des Aufstandes werden, weil sie überhaupt nicht begreifen kann, was der Wesensgehalt der gegenwärtigen Aufstände ist. Oder weil sie nur daran interessiert ist, diese ideologisch zu kolonialisieren und somit zu neutralisieren.

Neun: Wenn wir also davon ausgehen, dass die Zeit der Aufstände schon länger begonnen hat, der Prozeß des Umsturzes schon viel weiter gediehen ist, als es uns vorherrschende Erzählungen glauben machen wollen, stellen sich sämtliche Fragen in anderer Form. Oder zugespitzt: Die Erzählungen, dass es anders wäre, sind Erzählungen, die sich gegen die aufständische Dynamik stellen, weil sie diese verleugnen.

Zehn: Was es in dieser Phase des aufständischen Prozesses dringend braucht, ist die Intensivierung des Austausches unter den aufständischen Fraktionen. Die Frage der Informationen, die Möglichkeiten, diese zu übermitteln oder zu unterdrücken, zu manipulieren, ist derzeit vielleicht die wichtigste strategische Frage. An ihr entscheidet sich ob der aufständische Prozess stagniert oder nicht. Was die Kontrolle von Informationen, die Macht, diese zirkulieren zu lassen, oder eben ihre Zirkulation zu unterbinden, für eine Bedeutung hat, hat sich im Pandemie-Ausnahmezustand überdeutlich gezeigt. Für das herrschende System war dieser Pandemie-Ausnahmezustand eben auch ein Manöver im kybernetischen Bürgerkrieg, nun gilt es sich ebenfalls die Mittel anzueignen, Macht über die Zirkulation von Informationen zu erlangen. An diesem Frontabschnitt entscheidet sich alles. Wenn die aufständischen Fraktionen nicht über copy and paste von Taktiken und Memes hinausgelangen, gerät der aufständische Prozeß in eine Stagnation. Verzweiflung und Mutlosigkeit werden sich verbreiten, es wird unnötige Niederlagen oder als Niederlagen erlebte Aufstände geben, die Menschen davon abhalten werden, sich den Aufständischen anzuschließen. Dies gilt es zu verhindern. Es fehlt in diesen Tagen nicht an Revolten und Aufständen, ein Blick in die bürgerlichen Tageszeitungen reicht, um sich davon zu überzeugen. Was fehlt, ist eine gemeinsame Vorstellung davon, wie “der Himmel zu erstürmen sei”, der in unseren wildesten Nächten schon so greifbar nahe aufscheint. “Le Monde ou rien” heiß es vor einigen Jahren in Frankreich. Wir glauben, es geht noch darüber hinaus.

Elf: Wenn wir also davon ausgehen, dass der Kampf, der uns bevorsteht, grundsätzlich in dem Sinne ist, dass es um das Überleben geht, oder genauer gesagt, der Kampf um das (menschliche) Leben auf diesem Planeten überhaupt, ist es unabdingbar, sich genauer mit den Frontstellungen in diesem Kampf zu beschäftigen. Das heißt, sich einen Begriff davon zu erarbeiten, wie der notwendige Antagonismus beschaffen ist, und welche Repräsentanz er annimmt. Zuerst heisst es, Abschied zu nehmen von all den Halbheiten und falschen Freunden. Abschied zu nehmen von all den Kampagnen, Events, Klimazielen, all dem follow the science-Quatsch, von all dem, was uns daran hindern soll, den einzigen Prozeß in Gang zu setzen, der diesem dystopischen Wahnsinn ein Ende setzen kann. All diesen Figuren, Organisatoren und Grüppchen, die vorgeben, Alliierte zu sein, die aber nur ihre Agenda der Partizipation im Sinn haben. Aufstand oder Barbarei. So heißt es nun. Darunter geht es nicht. Alles jenseits davon ist ein selbstzerstörerischer Trip, der sich mit den feigen Worten von Realismus und Machbarkeit tarnt. Der Kern der Macht muss zerstört werden. Das ist unsere einzige Überlebensstrategie.

Zwölf: “Gegen dieses Dispositiv der Subjektivierung wird es jedoch möglich und notwendig sein, weiterhin antagonistische Subjektivitäten aufzubauen, die in der Lage sind, die gewaltige planetarische Krise, die sich abzeichnet, zu bewohnen und zu bewältigen. In den letzten Jahrzehnten haben radikale ökologische Bewegungen die Unschlüssigkeit der Politik des guten, alltäglichen Handelns angeprangert und das groß angelegte Handeln gefordert, durch das sich das Kapital das Leben aneignet und den Wert aus der lebenden Materie herauszieht. Heute, da die kontinuierliche und unvermeidliche Gewalt der grünen Übergangsphasen zur kapitalistischen Logik offensichtlich wird, ist das postpolitische Ideal der Umweltpolitik als ein Feld, das potenziell jenseits von Konflikten liegt, pazifizierend, neutral, endgültig gefallen” schreibt Alice Dal Gobbo in “La transizione ecologica tra comando del capitale, erosione del soggetto e nuovi antagonismi”. (6) Wie sie so schön sagt: zu bewohnen und bewältigen. Man könnte auch sagen, dass es deshalb nur ein aufständisches Leben als letzte und einzige Möglichkeit gibt, dass all diese Master- und Doktorarbeiten, all dieser soziologische Bullshit, die ganze “linke Presse”, die Event- und Projektmanager, die ganzen “linken und emanzipatorischen Grüppchen” als das bezeichnet werden müssen, was sie objektiv sind: Gegner. Die Gefährt*innen des Unsichtbaren Komitees haben das schon 2007 unmissverständlich geschrieben, aber immer noch wird mit diesem Gegner paktiert, selbst wenn er sich in der gesellschaftlichen Zuspitzung, die die Maßnahmenpolitik infolge von Corona war, unmissverständlich auf die Seite der staatlichen Macht geschlagen hat. Man darf sich wirklich keinerlei Träumereien hingeben. Die Corona-Maßnahmen waren die Blaupause für die Agenda des grünen Faschismus, der an die Tür klopft. In Deutschland war die Zustimmung für eine möglichst restriktive Politik des Ausnahmezustandes unter den Anhängern der grünen Partei am größten, der grüne Landesfürst und ex- Maoist Kretschmann überholte alle rechten Populisten mit seiner Forderung man müsse “beim nächsten Mal” massivst in die Grundrechte eingreifen, ohne falsche Rücksicht auf verfassungsrechtliche Bedenken. Der Bundesvorsitzende der Grünen brachte die Governance des Ausnahmezustandes als “das Modell” für “die Gestaltung des Klimawandels” aufs Tablett, unverhohlen werden autokratische Staatsformen als erstrebenswert bezeichnet, wenn dies “höheren Zielen diene”. Nicht umsonst auch war die Begeisterung der #ZeroCovid-Blase für die chinesische “Bewältigung der Pandemie” grenzenlos, es gilt wirklich nur genau hinzuschauen, alle und alles entlarvt sich selber, man muß nur den Mut aufbringen, die Härte der zukünftigen Konfliktualität, die aus diesen Bekenntnissen sich ergibt, anzuerkennen.

Dreizehn: Unsere Lage ist hoffnungslos. Daraus ergeben sich alle Möglichkeiten.

Vierzehn: Wir sind schon viel weiter, als uns zu glauben gemacht wird. Dass gegen den George Floyd-Aufstand durch die Staatsmacht keine scharfen Schusswaffen eingesetzt wurden, obwohl Polizeireviere gestürmt und niedergebrannt wurden, obwohl der Aufstand materielle Verluste in Höhe von 2 Milliarden US-Dollar auf der gegnerischen Seite generierte, verrät viel über die Angst unseres Gegners, das Terrain des sozialen Bürgerkriegs spontan und reaktiv zu betreten. Wenn wir die Welle der Aufstände, die in den letzten Jahren über die Welt fegten, betrachten, können wir mehrere Beobachtungen machen. Die Aufstände werden hartnäckiger, trotz hoher Opferzahlen unter den Aufständischen brechen die Revolte nicht zusammen. Die Aufstände ähneln sich immer mehr in den Erscheinungsformen und den eingesetzten taktischen Mitteln. Ein mittlerweile fast durchgängiges Merkmal ist, dass keine Forderungen erhoben werden, außer allgemeiner Art wie Würde oder Gerechtigkeit. Der Gegner musste z.B. innerhalb der George Floyd-Revolte erst eine reformistische Gegenbewegung etablieren. Dazu brauchte er Zeit, im Kern war der Aufstand spontan revolutionär. Niemand wollte die Polizei abrüsten oder ihre finanziellen Mittel beschneiden. Man wollte sie einfach zur Hölle jagen. Und ohne Bullen kein Staat.

Fünfzehn: Der generalisierte soziale Bürgerkrieg wird kommen. Er ist unvermeidlich. Für unseren Gegner. (Für uns sowieso.) Unser Gegner will ihn bloß vorbereitet und zu seinen Bedingungen beginnen. Ihn uns aufzwingen. Und nicht als Reaktion auf ein Irgendetwas. Dafür sind die Einsätze in diesem Spiel diesmal zu hoch. Ein todgeweihter Kapitalismus, der sich in einer Hybris der Machbarkeit verschanzt hat, der alle Reserven mobilisiert, der vor nichts zurückschrecken wird. Auch hier war und ist die Maßnahmenpolitik angesichts von Corona aufschlußreich für alle, die den Mut aufbringen, genau hinzuschauen. Ein Virus mit einer Letalität, die, je nach Berechnung, zwischen dem Faktor 1,5 – 4 mal so groß ist wie bei einer der bisher bekannten Grippeviren. Italienische Gefährten fragten ganz am Anfang, was geschehen würde, wenn ein Erreger mit der Letalität von Ebola (die anfänglich bei 80% beim jüngsten Ausbruch in Afrika lag) hier in Europa aufgetreten wäre. Hätte man Atombomben auf die Städte geworfen, um die Ausbreitung zu stoppen? Man muss den Mut aufbringen, diese Frage mit ja zu beantworten. Die Klimakatastrophe wird ganze Landstriche unbewohnbar machen, Abermillionen von Menschen werden ihre Existenzgrundlage verlieren, sie werden verzweifelt versuchen sich in Sicherheit zu bringen – und die Abschottungspolitik der wohlhabenden Staaten und Regionen wird unerbittlich sein. Ein System, das es nicht einmal für nötig befunden hat, zumindestens alle Kinder aus dem Drecksloch Moria zu evakuieren, wird in der Zuspitzung, die unvermeidlich kommen wird, alles mobilisieren, um den Wohlstand der metropolitanen Eliten abzusichern. Koste es, was es wolle. Die Verwerfungen, die Störungen der globalen Produktions- und Lieferketten, die zahlreichen Revolten des Surplus-Proletariats in der Metropole selbst, die infolge der Zukünftigkeiten unvermeidlich auftreten werden, erschaffen die Tendenz zum generalisierten sozialen Bürgerkrieg. Die einzige Frage ist, wer das Terrain dieses Bürgerkriegs definieren wird. Sie oder wir. „Tiefes Wissen heißt, der Störung vor der Störung gewahr sein.“ (Sun Tzu).

Sechzehn: Man darf sich keinen Illusionen hingeben. Der Vorreiter im Endgame (7) der untergehenden Zivilisation, das staatskapitalistische China, hat im Zuge des Pandemie-Ausnahmezustands eine App verpflichtend gemacht, ohne die ein Leben, jedenfalls in den Städten, praktisch unmöglich wird. Einkaufen, öffentliche Verkehrsmittel benutzen, die Gastronomie besuchen,… Interessanterweise wurde die App schon drei Wochen nach der Abriegelung von Wuhan auf den Markt gebracht, d.h. wir können davon ausgehen, dass sie praktisch nur noch aus der Schublade gezogen werden musste. Die App beinhaltet Name, Foto, Passnummer, sie reguliert aufgrund eines Algorithmus den Status der Person: Grün, Gelb, Rot. Grün bedeutet volle Bewegungsfreiheit, Gelb Quarantäne, Rot an Corona erkrankt. Wobei diese Einstufungen keineswegs an eindeutigen Nachweisen wie PCR-Tests gebunden sind, sondern für den Nutzer nicht nachvollziehbar vom System selbst generiert werden. Es wurden zahlreiche Fälle bekannt, in denen Menschen als “krank” eingestuft wurden, ohne dass dies für sie nachvollziehbar, geschweige denn anfechtbar war. In Peking überwachen 300.000 öffentliche Kameras die Stadt, im industrialisierten Shanghai sind es drei Millionen, die jetzt zusätzlich mit Sensoren zur Temperaturmessung der Überwachten ausgestattet werden, über ein System zur Gesichtserkennung verfügen eh schon große Teile der Systeme. Im Übrigen sind diese Systeme zur Gesichtserkennung schon so weit optimiert, dass sie auch Menschen identifizieren können, die einen medizinischen Mund-Nasen-Schutz tragen. Das Pekinger Kameraüberwachungssystem wurde ganz offiziell euphemistisch auf den Namen “Himmelsnetz” getauft. In der Region Xinjiang ist die Sicherheitsarchitektur noch ein Stück weiter. An der unterdrückten Minderheit der Uiguren wird die Totalität der zukünftigen Governance der Welt exerziert. Drohnen hängen am Himmel, verpflichtende Spyware auf den Smartphones, an den Tankstellen Gesichtserkennungssysteme, die den Zugang zum Erwerb von Treibstoff regeln. Die Bullen dürfen alle und jeden jederzeit anhalten und die Smartphones kontrollieren, wer verschlüsselte Kommunikationssysteme wie Whatsapp installiert hat, landet eventuell in einem „Umerziehungslager“.

Man darf sich keinen Illusionen hingeben, die diversen “Gesundheitspässe” (8), die gerade in vielen westlichen Ländern wie Frankreich und Italien installiert werden, die verpflichtenden Apps und Impfnachweise, ohne die eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in New York nicht mehr möglich ist, die Diskurse über die Ächtung von und Repression gegen Menschen, die aus den verschiedensten Gründen nicht gegen Corona geimpft sind, zeigen auf, dass die Kluft zwischen den Zuständen in China und denen in den sogenannten westlichen Demokratien nur temporärer Art, ergo den konkreten Umständen geschuldet ist, in denen sich die Formierung der Totalität gerade befindet. Der Prozess der Abschaffung von Bargeld, der gerade vorangetrieben wird, schafft weitere umfassende Kontrollmöglichkeiten. Damit wird es möglich sein, den Zugang zum Erwerb von praktisch allem Lebensnotwendigen zu kontrollieren und zu regulieren. Der Erwerb von bestimmten Waren oder Dienstleistungen kann an Wohlverhalten oder an „Verfehlungen“ geknüpft werden, sicher wird es im Westen dafür Pilotprojekte geben. So wie z.B. der Abgleich von DNA-Material anfänglich nur für gesellschaftliche geächtete Straftaten wie Vergewaltigung oder Mord möglich war, wurde dieses Verfahren innerhalb weniger Jahre für Bagatelldelikte wie Sachbeschädigungen eingesetzt, natürlich bevorzugt im Rahmen der „Bekämpfung politischer Kriminalität“, z.B. bei eingeworfenen Fensterscheiben von Banken. In Zukunft wird vielleicht als erstes der Erwerb von pornografischen Material für “Sexualstraftäter” gesperrt werden, um eine gesellschaftliche Zustimmung zu generieren, bevor man das ganze System nach und nach scharf stellt.

Der wirklich entscheidende Punkt ist also nicht, dass es all diese Maßnahmen gibt, bzw. geben wird, sondern der Weg zur gesellschaftlichen Akzeptanz dieser Totalität. Auch an diesem Punkt ist die Corona-Pandemie ein willkommenes Manövergebiet für das Empire. Vermeintliche Sicherheit, in diesem Fall vor einer Krankheit, wird eingetauscht gegen eine Zustimmung zu allumfassenden Überwachungsmaßnahmen, ja darüber hinaus wird das zustimmende Subjekt selber zum Teil des allumfassenden Überwachungssystem, das nicht nur seine Mitmenschen überwacht, sondern vorauseilend auch sich selber. Die Terminologie und die Trennschärfe des „Krieges gegen das Virus“ sind dem „Krieg gegen den Terror” entlehnt, der nach Nine Eleven entfesselt wurde, nicht umsonst hält eine sprachliche Entgleisung wie „Gefährder” für an Covid-19 erkrankte Menschen unwidersprochen Einzug in den gesellschaftlichen Diskurs. An diesem Punkt entscheidet sich fast alles: Gelingt es, relevante Teile der Gesellschaft aus diesem todbringenden Diskurs herauszulösen bzw. sich in diesem Konflikt an ihre Seite zu stellen oder nicht. Ein Großteil der Linken hat sich längst entschieden, wo sie stehen und stehen werden, und wie schon weiter oben konstatiert, sind diese nun unsere Gegner und nicht unsere Verbündeten. Dies ist keine moralische Wertung, sondern eine notwendige materialistische Analyse. Im sozialen Bürgerkrieg rächen sich Unklarheiten über strategische Allianzen blutig.

Siebzehn: Sein. Nun, da nach und nach jegliche Autonomie, jegliche Verfügungsgewalt über den eigenen Körper und das Subjekt, das er beherbergt, nach und nach verschwinden, der Mensch sich selbst eintauscht für ein Versprechen des nackten Überlebens, in der jetzigen und in allen zukünftigen Pandemien und angesichts des Klimawandels, bleibt das Sein als letzter Ort des Antagonismus. Wenn alles darauf ausgerichtet ist, Prozesse zu verhindern oder zu generieren, bleibt nur der Akt des Seins. Da, wo dies mehr ist als eine letzte moralische Haltung des sich nicht unterwerfenden Individuums, entsteht ein gesellschaftlicher Antagonismus, der nicht Teil des gegenwärtigen Zukünftigen werden will und kann. Es braucht wirklich den radikalen Bruch mit praktisch allen bestehenden Vorstellungen über revolutionäre Prozesse, um sich auf die neuen realen Bedingungen einlassen zu können. Alles andere ist Energie- und Zeitverschwendung, ja trägt darüber hinaus zur Stabilisierung und Perfektionierung des Empires im Todestrieb-Modus bei. Leben entsteht in der sich entfaltenden Totalität an Nicht-Orten, da wo dieses Leben sich kollektiviert, tritt es als Antagonismus von Non-Bewegungen auf, deren konkreten Forderungen, so sie überhaupt gestellt werden, ebenso sekundär wie nahezu beliebig sind, und in erster Linie nur als Sammlungsruf eine Funktion haben. In diesen neuen Dynamiken, die sich den klassischen revolutionären Vorstellungen entziehen, gelten andere soziale Raum- und Zeitgesetze: Eben noch eine Versammlung von ein paar prekären Pendlern an einem öden Kreisverkehr in irgendeinem Vorort, schon eine wütende Menge im Herzen Paris, die nationale Heiligtümer schändet und in den Luxusquartieren Nobelboutiquen plündert. So wie diese Non-Bewegungen aus dem Nichts auftauchen, verschwinden sie fast ebenso plötzlich, verweigern sich jeder Repräsentanz (Die wenigen, die versucht haben, aus der Gilets Jaunes-Revolte Kapital zu schlagen und politische Karrieren oder Parteien zu initiieren, wurden gewaltsam vertrieben und bis in ihr Privatleben bedroht.), um dann wieder über Nacht wie ein Gespenst wieder aufzuerstehen. (In Frankreich als Mobilisierung gegen das neue Bullen Schutzgesetz und den Pass Sanitaire.) Es geht wieder um, das Gespenst, und diesmal nicht nur in Europa. Jeder nächtliche Riot von Jugendlichen in einem Park hat mehr revolutionäre Sprengkraft als Aberdutzende von linken Demos und Events, weil er sich der politischen Verwertbarkeit entzieht. Das Leben verteidigt sich in dieser Phase, die alles entscheiden wird, selbst – oder anders gesagt: Entweder wir verteidigen das Leben selber, indem wir sind, oder wir werden nicht mehr Teil von ihm sein, sondern nur noch eine kybernetische Hypothese.

Achtzehn: Natürlich haben wir alle Angst. Schon immer vor dem Tod, nun also auch vor dem Leben selbst. Sicherheit verspricht nur noch die Unterwerfung, das ist die Macht, das letzte Versprechen, über dass das Todestrieb-Empire noch verfügt. Aber: Wir sollten lernen, zuzugeben, dass wir Angst haben, oder besser gesagt, dass wir uns auch fürchten. Der Tod erschreckt uns, die Krankheit erschreckt uns. Es ist nicht schlimm, Angst zu haben, der Tod gehört zum Leben, so wie die Angst vor seinem Ende zur Liebe gehört. Doch wir lernen, damit zu leben, denn die Liebe ist stärker. (9) Oder anders gesagt: Nur indem wir alles riskieren, indem wir ein Leben erschaffen, dass das Leben erst zu einem solchen macht, können wir diese Angst besiegen. Wenn wir weiterhin so tun, als ob die Angst nicht unser Handeln bestimmt, wenn wir uns hinter angeblichen Fakten, Notwendigkeiten und ideologischen Lügen und Konstrukten verstecken, haben wir schon verloren, bevor wir überhaupt angefangen haben zu kämpfen. Die Angst ist zugleich unser Gegner wie unser Verbündeter, wir müssen ihr zuhören, sie Gestalt annehmen lassen, um uns mit ihr auseinandersetzen zu können, denn sie führt uns zu unseren verborgenen Wahrheiten, die tief in unseren Herzen schlummern. Sie ist der Weg zu unseren nicht eingestandenen Sehnsüchten, der Gewissheit, dass man überhaupt gelebt haben muss, um sterben zu können. Wenn wir diesen Weg nicht gehen, werden wir ein Leben in Trauer ernten, ohne zu wissen, wessen Gehalt diese Traurigkeit eigentlich ist, die wir Tag für Tag mit uns schleppen wie einen schrecklichen Ballast. Wir werden auf alle Zeit nicht wir selber sein. Was für eine Wahl.

Neunzehn: Die Apokalypse kommt. So der so. Das Anthropozän endet, ein Komet wird die Erde treffen, oder wir sind nicht alleine im Weltall (wofür einiges spricht) und eine andere Lebensform wird uns auslöschen, unterwerfen oder kolonisieren (wir hätten alles verdient)… Letztendlich ist die Frage der Apokalypse eine philosophische Frage. Aber sind denn nicht alle wirklich wichtigen Fragen, die Liebe, der Tod, die Freiheit,… sowieso philosophische Fragen? Geht es denn eigentlich nicht immer nur darum, welche Haltung wir zu etwas einnehmen, und welche Handlungen wir daraus ableiten? Und wie bestimmen wir all dieses Grundsätzliche im Verhältnis zu den ganz konkreten Fragestellungen, die sich im gegenwärtigen aufständischen Prozeß stellen?

Was in den Metropolen künftig an Revolten oder Anpassungsprozessen entstehen wird und wo die Bruchlinien liegen werden ist noch weitestgehend unausgemacht. Die Kämpfe und Aneignungsformen im proletarischen Spektrum, in den Subschichten der jugendlichen ImmigrantInnen, der sozial entrechteten Frauen, der Opfer der Deregulation im Osten, erscheinen uns bisher undurchschaubar, weil wir mit Bildern konfrontiert werden, in denen wir das Wesen der Emanzipation der Klasse nicht erkennen, und weil unser analytisches Instrumentarium nicht ausreicht, um hinter den Erscheinungsformen die Bedeutung der Kämpfe zu entziffern. Es bleibt daher nichts anderes übrig, als sich dem historischen Prozeß zu stellen, ohne auf die hierarchisch- patriarchalischen, antik-kommunistischen Politikmuster und Organisationsmodelle zurückzugreifen und ohne vorschnell neue Ideologien zu produzieren, die der völlig offenen Situation schon wieder ein Korsett anpassen und vorhandene Widersprüche zugunsten einer monokausalen Weltsicht glätten würden.” schrieb eine Revolutionäre Zelle (RZ) im Jahre 1992 zum Ende ihrer Organisationsform und man mag nicht glauben, dass diese Worte schon fast 30 Jahre alt sind (10).

Ohne Zweifel, die Welt hat sich weitergedreht und der aufständische Prozeß wartet nicht auf die versprengten Reste einer antagonistischen linken Erzählung. Aber wie immer, wenn etwas geht, bleibt auch etwas über, was zu bewahren und weiter zu geben sich lohnt. So wie all die ideologischen und theoretischen Versatzstücke angesichts der Welt, die wir vorfinden, als zu leicht befunden und über Bord geworfen gehören, so reich ist der Schatz an konkreten praktischen Erfahrungen, den es zu bergen gilt. Unser Gegner lernt aus jeder Schlacht, aus jeder Niederlage, aus jedem Sieg. Vor allem aber aus jeder seiner Niederlagen, aus unseren Erfolgen. Die prachtvollen Alleen von Paris sind in Wirklichkeit nur das Ergebnis einer Stadtplanung, die alle kommenden Aufstände zu antizipieren suchte. Tausende von militärischen, politischen, soziologischen und ökonomischen Thinktanks arbeiten in jeder Sekunde fieberhaft an der Perfektionierung der Aufrechterhaltung der todbringenden Ordnung, wir haben ein paar vergilbte Bücher und Aufsätze, ein paar aufgeschriebene Erinnerungen an die Goldene Horde, die sich einst anschickte, die Verhältnisse grundsätzlich zum Tanzen zu bringen.

Die Frage ist nun, wie es gelingen kann, diesen unseren Schatz der praktischen Erfahrungen einzubringen in die gegenwärtigen aufständischen Prozesse, ob es überhaupt möglich ist, zwischen den Generationen der Aufständischen Orte des Austausches zu schaffen, die für alle zugänglich, aber vom Gegner nicht zu infiltrieren und zu manipulieren sind. Womit wir wieder zurückkehren an den Anfang dieser Überlegungen.

Zwanzig: Der Kapitalismus in seinem Endstadium, das in sich das Ende der von Menschen bewohnten Welt als Möglichkeit trägt, ist die Derzeitigkeit, die erstmalig keine visionäre Zukünftigkeit in sich trägt. Dies gilt es als erstes zu akzeptieren. Es geht nur um eine einzige Frage, alles jenseits davon muss als kriegerische List denunziert werden, um das System zu stabilisieren. Alles was jenseits davon behauptet wird, fußt auf einer Lüge, kommt sie noch so links, emanzipatorisch und solidarisch daher. Also: Wie schaffen wir es, den Koloss zu stürzen? Wie kann aus den sich immer rasanter ausbreitenden Riots, Revolten und Aufständen etwas werden, was die Welt grundsätzlich in Flammen setzt, damit wir angesichts der Asche, mit etwas Glück, überhaupt wieder davon träumen zu wagen dürfen, eine neue Welt zu erschaffen?

Ohne Zweifel hat der Pandemie-Ausnahmezustand, zum Erstaunen vieler Linker, die Zyklen der weltweiten Revolten beschleunigt, während diese noch darauf warten, einfach mit ihren sinnlosen Demonstrationen, Events, Unterschriftensammlungen und Partizipationsgehabe weiter wie gehabt machen zu können. Die in vielerlei Hinsicht nicht nur repressiven, sondern auch sinnlosen und unfähigen Maßnahmen der Regierungen haben die sozialen Nöte vervielfältigt. Global gesehen sind immer weniger Menschen bereit, ihr Leben einzutauschen gegen ein Existieren von wessen Gnaden auch immer. Was sich ebenfalls verändert, sind die Pole der Auseinandersetzungen. Es gibt keine besseren und schlechteren Regierungen (oder Vorstellungen davon) mehr, es gibt keine Lösungsansätze, keine Forderungskataloge. Es gibt in der Zuspitzung nur noch oben und unten, sie oder wir. Entweder auf der Seite des Aufstandes oder auf der Seite “der Regierung”. Jeglicher vorrevolutionären Situation wohnt eine eigentümliche Unübersichtlichkeit inne, dies ist in der gegenwärtigen Phase, die dominiert ist von den staatlichen Maßnahmen unter Corona, nicht anders. Dies ist keine Zeit für die Zweifler und Bremser der reinen Lehre, den Faschismus auf der Straße wiederzufinden wird zunehmend etwas sein, was wir in den Revolten vorfinden werden, den Revolten deshalb fernzubleiben kann nur unser endgültiges Ende bedeuten. Es gilt vieles an Widersprüchen auszuhalten und die Konfrontationen werden bestimmt nicht etwas sein, was wir gerne führen werden. Aber es bleibt eine unbedingte Notwendigkeit.

Denn dieser Kampf wird, wie alle Kämpfe vor ihm, auf der Straße entschieden werden. „When we revolt it’s not for a particular culture. We revolt simply because, for many reasons, we can no longer breathe“, dieser Satz von Frantz Fanon stand auf einem Plakat, das vor einem Bullenrevier von Minneapolis hing. Ja, wir bekommen einfach keine Luft mehr. Entweder brennt ein Polizeirevier nach dem anderen nieder, bis die Sache zu unseren Gunsten zu kippen beginnt oder wir lehnen uns zurück, so wir in privilegierter Stellung leben, und geniessen das Ende der Welt bei ein paar kühlen Drinks. Dazwischen gibt es nichts mehr. Sorry.

Fußnoten:

  1. https://www.wumingfoundation.com/giap/2020/05/effetto-nocebo-coronavirus/. Eine deutsche Übersetzung von “Ammalarsi di paura. L’«effetto nocebo» dello #stareincasa e della malainformazione sul coronavirus” findet sich in den „Pandemie Kriegsstagebüchern“ von Sebastian Lotzer: Neurosenlehre https://enough-is-enough14.org/2020/05/05/pandemie-kriegstagebuecher-neurosenlehre/

  2. Memes Without End. https://illwill.com/memes-without-end. Der Beitrag von Adrian Wohlleben liegt mittlerweile auch auf Deutsch vor, erschienen auf Sūnzǐ Bīngfǎ: https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2021/05/31/memes-ohne-ende/

  3. Onward Barbarians https://endnotes.org.uk/other_texts/en/endnotes-onward-barbarians. Eine deutsche Übersetzung von “Vorwärts Barbaren” findet sich ebenfalls auf Sūnzǐ Bīngfǎ https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2021/01/11/vorwaerts-barbaren/

  4. https://www.quodlibet.it/giorgio-agamben-capitalismo-comunista. “Capitalismo comunista” von Giorgio Agamben erschien im Dezember 2020, deutsch übersetzt auf Sūnzǐ Bīngfǎ: “Der kommunistische Kapitalismus” https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2020/12/28/der-kommunistische-kapitalismus/

  5. Rethinking the concept of revolution through the Syrian experience” by Charlotte Al-Khalili https://www.aljumhuriya.net/en/content/rethinking-concept-revolution-through-syrian-experience, deutsch übersetzt hier https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2021/06/14/das-konzept-der-revolution-durch-die-syrische-erfahrung-ueberdenken/

  6. La transizione ecologica tra comando del capitale, erosione del soggetto e nuovi antagonismi” erschienen auf Effimira, auf Deutsch: https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2021/07/26/die-oekologische-transformation-zwischen-dem-kommando-des-kapitals-der-erosion-des-subjekts-und-neuen-antagonismen/

  7. Endgames“ ist eine Kolumne von Sebastian Lotzer, die in vier Teilen auf „non copyriot“ erschien. Hier die englischsprachige Übersetzung des vierten Teils auf „Enough 14“, die auch die Verlinkungen zu den vier deutschsprachigen Beiträgen enthält: https://enoughisenough14.org/2021/04/05/endgames-part-4/

  8. Siehe dazu den Beitrag „Pass sanitaire: le problème, c’est le flicage!“ von Cerveaux Non Disponibles, auf Deutsch in der Sūnzǐ Bīngfǎ: https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2021/07/26/der-gesundheitspass-das-problem-ist-die-ueberwachung/

  9. Siehe „Greenpass, nuovi confini e le frontiere della paura. Contributo per un ragionamento collettivo.“, erschienen auf Carmelia https://www.carmillaonline.com/2021/07/29/greenpass-nuovi-confini-e-le-frontiere-della-paura-contributo-per-un-ragionamento-che-auspico-collettivo/, auf Deutsch in der Sūnzǐ Bīngfǎ #27

  10. Revolutionäre Zellen, eine nicht in der Illegalität operierende Stadtguerilla in der BRD, deren Zusammenhänge sich Anfang, Mitte der 1990er Jahre auflösten. Hier der Text: „Das Ende unserer Politik“ http://www.freilassung.de/div/texte/rz/zorn/Zorn05.htm