In den Vereinigte Staaten gibt es eine wachsende illegalistische Strömung, die so ganz ohne Etiketten auskommt. Auch wenn alles irgendwie anders ist, erinnert es ein aber dann doch an die frühere anarchistische illegalistische Strömung, mit Protagonist*innen wie der Bonnot Bande. Die Reihe von Plünderungen mit Konvois von gestohlene PKW’s reißt nicht ab. Wir haben ein Bericht von The Transmetropolitan Review aus der Bay Area (Kalifornien) übersetzt. Sunzi Bingfa
Es hat sich schon seit einer Weile aufgebaut, dieses Gefühl, dass die Welt uns gehört. Es ist schwer zu sagen, wann es genau angefangen hat, aber wir werden einfach verkünden, dass es im Sommer 2020 losging, und zwar für alle. Es gab Proteste, Demonstrationen, das Warten auf die Urteile der Geschworenen, aber es gab auch Plünderungen, viele Plünderungen. Es gab sogar weit mehr Plünderungen als symbolische Proteste, vor allem in der San Francisco Bay Area.
Wie wir bereits letztes Jahr berichteten, gab es in der Nacht, als Joe Biden zum Präsidenten der USA gewählt wurde, keine Proteste. Obwohl er genau wie Trump ein Vergewaltiger, Rassist und Wahnsinniger ist, ging niemand auf die Straße, um symbolisch gegen seine Wahl zu protestieren. Stattdessen stiegen Hunderte von Menschen in gestohlene Autos und plünderten zahlreiche Geschäfte in der Bay Area. Eine Person wurde während dieser Plünderungen getötet, ein junger Vater namens Jonathan Torres Ramirez, der von der Polizei in Oakland erschossen wurde, als er im Alter von 20 Jahren eine Grasplantage ausraubte. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags ist noch kein einziger Bulle für diesen Mord bestraft worden, zumindest nicht von staatlicher Seite.
Nur wenige Menschen in der Bay Area erinnern sich an Jonathan Torres Ramirez, abgesehen von seiner Familie und den Tausenden anderen, die ihr Leben riskieren, um die Wohlhabenden zu beklauen. Während das Jahr 2020 in der Versenkung verschwand und das Jahr 2021 sein bestialisches Unwesen trieb, setzten sich die diffusen Plünderungen Woche für Woche, Monat für Monat fort, gewannen an Dynamik und machten auch international Schlagzeilen.
Millionen von Menschen auf der ganzen Welt sahen das berüchtigte Video eines Mannes, der mit dem Fahrrad in einen Walgreens eindringt, Hygieneartikel stiehlt und dann praktisch ungehindert davonfährt. Es ist nicht klar, warum dieses Video viral ging und nicht das Video, das einen kleinen Mob zeigt, der am Nachmittag des 7. Juni 2021 den Louis Vuitton in Palo Alto plündert. In diesem Video filmt der Security-Mitarbeiter lediglich mit seinem Telefon, wie Leute nur wenige Kilometer vom glänzenden Facebook-Hauptquartier entfernt Handtaschen im Wert von 100.000 Euro stehlen. Niemand wurde jemals festgenommen. Dies war der zweite Raubüberfall dieser Art in Palo Alto im gleichen Monat, und das Muster setzte sich in der Bay Area fort.
Diese Welle der Kriminalität blieb nicht ohne Folgen, oft mit tödlichem Ausgang. Ein tragischer Vorfall ereignete sich in der Fruitvale Avenue, nicht weit von der gemütlichen Bude des Bürgermeisters von Oakland entfernt. Aus noch unbekannten Gründen ermordete ein weißer FBI-Agent den 31-jährigen Jonathan Cortez im Laden Upstairs Underground an der Straßenecke. Er war gerade dabei, einen Snack zu kaufen, als der weiße FBI-Agent den Laden stürmte und ihn am 13. September 2021 erschoss. Jonathan Cortez war in der Nachbarschaft sehr beliebt, und seine Ermordung hat die seit langem schwelenden Spannungen gegen die Strafverfolgungsbehörden weiter angeheizt.
Ein weiterer tragischer Vorfall ereignete sich in der Nähe des Stadtzentrums von Oakland, an einer bekannten Chevron-Tankstelle direkt an der Autobahn. Ein pensionierter Killer-Cop, der dafür berüchtigt ist, junge Männer zu erschießen, und der jetzt ein Gras-Unternehmer ist, war am 21. Oktober gerade an die Tankstelle gefahren, als vier junge Männer versuchten, die Tankstelle auszurauben. Nachdem die Räuber sich umgedreht hatten, um zu fliehen, schoss der Ex-Bulle einem von ihnen in den Rücken und tötete ihn. Anstatt die Reaktion dieses Psychopathen auf sein Opfer zu hinterfragen, heulten der Staat und die Medien nach dem Blut der Komplizen und spürten sie schließlich in Sacramento und Houston auf. All dies führte zu einer Menge Wut gegen die Polizei von Oakland.
In der Zwischenzeit hatte die jahrelange Erfahrung, von Faschisten überrollt und beschossen zu werden, ihren Tribut von der Protestkultur in den USA gefordert, und 2021 gab es nur sehr wenige Demonstrationen auf den Straßen der Bay Area, von denen keine so militant war wie die im letzten Sommer. Stattdessen ist die Macht der diffusen Guerilla-Armee, der „Great Sideshow Army„, exponentiell gewachsen, während sich die traditionelle Protestkultur hinter Straßenbarrikaden und bewaffnete Selbstverteidigung zurückzieht, der einzigen Optionen im Angesicht tödlicher Gewalt. Aus der Ferne hat es den Anschein, als sei der lange befürchtete Bürgerkrieg bereits in vollem Gange, und er eskalierte kürzlich, nachdem das Urteil gegen Kyle Rittenhouse in den Vereinigten Staaten im Fernsehen übertragen wurde.
Biden unterstützte die Entscheidung der Geschworenen, dass Rittenhouse zwei weiße Antifaschist*innenen in Notwehr erschossen hat, öffentlich. Ein Urteil mit schwerwiegenden und unbestreitbaren Folgen für die Protestkultur in den USA. Im Grunde ist es ein grünes Licht für Faschisten, in bestimmte Stadtteile einzudringen und jeden zu erschießen, der gegen sie auf die Straße geht. An dem Tag, an dem diese Realität deutlich wurde, breitete sich eine massive Welle der Kriminalität in der Bay Area aus, die noch umfangreicher und militanter war als die des letzten Jahres.
Es begann in der Nacht zum Freitag, 19. November 2021, nur wenige Stunden nach der Urteilsverkündung. Als erstes wurde der Union Square, das touristische Einkaufsgebiet von San Francisco, heimgesucht, und innerhalb weniger Minuten waren unter anderem die Geschäfte von Louis Vuitton, Yves Saint-Laurent, Burberry und Bloomingdale’s ausgeräumt. Mit gestohlenen Autos ohne Nummernschilder entkamen Dutzende von Leuten mit Waren im Wert von fast einer Million Dollar, wobei neun Personen in dieser Nacht verhaftet wurden, denen alle Monate oder Jahre im Knast drohen. Auf der anderen Seite der Bucht, in Oakland, errichtete die Polizei Barrikaden rund um ihr Hauptquartier, nur um dann eine ruhige Nacht und einen kleinen Demonstrationszug zum Gebäude zu erleben.
Die herrschende Klasse der Bay Area wurde durch diesen dreisten Angriff auf den Union Square in Panik versetzt, insbesondere nach der vielbeachteten Getty-Hochzeit, bei der der Ölreichtum der Familie den einfachen Leuten offen zur Schau gestellt wurde. Mit zitternden Stiefeln verwandelten die Behörden den Union Square in dieser Nacht in eine Festung, komplett mit einem Beobachtungsturm der Polizei und Barrikaden, aber offensichtlich war niemand so dumm, denselben Ort zweimal anzugreifen. Alle verlagerten ihre Aufmerksamkeit ins Landesinnere. In der nächsten Nacht, am Samstag, dem 20. November, schlug die Guerilla-Armee in Oakland zu, und zwar mit voller Wucht, nachdem die Polizei am Nachmittag einen Autodieb bei einer Schießerei getötet hatte.
Auf dem MacArthur Boulevard in Ost-Oakland fand ein riesiger Spektakel statt, während in der Nähe des Flughafens und in West-Oakland Indoor-Grasplantagen überfallen wurden, wobei zehntausende von Dollar erbeutet wurden. Leider führte eine Art Konflikt zu einer Schießerei zwischen den Crews, bei der eine Person durch Schüsse vor einer der geplünderten Grasplantagen verletzt wurde.
Glücklicherweise hat diese Person einen weiteren Tag erleben können, im Gegensatz zu dem Autodieb, der am Nachmittag von der Polizei ermordet wurde. Wahrscheinlich bereitete sich dieser Dieb auf einen nächtlichen Raubzug vor und starb nach einem Feuergefecht mit der Polizei, das während der Weihnachtseinkaufssaison im gehobenen Stadtteil Rockridge stattfand. Es gibt nur wenige Informationen über diese Person, und es wurde versucht diesen Mord zu vertuschen, ein weiteres Opfer in diesem Guerillakrieg gegen den Kapitalismus auf einem niedrigen Niveau.
Währenddessen überfielen Dutzende von Personen in gestohlenen Autos das Nordstrom in Walnut Creek, das nicht bewacht wurde, und rasten mit Waren im Wert von 200.000 Euro davon. Drei Personen wurden dort festgenommen, ein 18-Jähriger aus Oakland und zwei 30-Jährige aus San Francisco. Unabhängig davon überfielen andere Gruppen eine hochwertige Apotheke in der Nähe der Grenze zwischen Oakland und Piemont und erbeuteten Tausende von Arzneimitteln.
Die Serie von Straftaten setzte sich am nächsten Tag, dem 21. November, fort, diesmal im Süden, in Hayward, wo Dutzende von Menschen ein Juweliergeschäft in der Southland Mall überfielen. Noch weiter südlich ging die Aktion in San Jose weiter, wo ein hochwertiges Lululemon-Geschäft geplündert wurde. In einer überraschenden Wendung schlugen die Banden erneut in Oakland zu, diesmal bei Walgreens in der High Street, bevor sie auf den nahe gelegenen Freeway flüchteten. Am anderen Ende der Stadt raubte eine andere Bande eine Grasplantage in der Nähe des Flughafens aus und lieferte sich diesmal ein Feuergefecht mit dem Sicherheitspersonal, das sich entschloss, sein Leben zu riskieren, um das Eigentum ihres Chefs zu verteidigen. Bei diesem Kampf wurde eine Person verletzt, wobei wenig über den Gesundheitszustand der Person bekannt ist, geschweige über den Namen.
Später an diesem Sonntag fand an der Ecke der 14. Straße und Peralta in West Oakland eine feierliche „Sideshow“ statt, die berühmte Ecke, an der kürzlich die erste Staffel der TV Serie Blindspotting gedreht wurde. In dieser spektakulären Darstellung von Oakland wird die Sideshow offen als Ausdruck der Freude inmitten einer ansonsten düsteren Realität gefeiert, und das war auch in der Nacht des 20. November nicht anders, obwohl im Gegensatz zur Fernsehshow ein Polizeihubschrauber kam, um alle zu vertreiben. Egal, wie oft er kreiste, die Sideshow verbrannte weiter Gummireifen, und um die Sache noch deutlicher zu machen, schoss jemand einen Feuerwerksmörser auf den Hubschrauber, um ihn zu verjagen.
Die Welle der Kriminalität setzte sich am nächsten Tag von Pleasanton im Süden bis San Leandro im Norden fort, aber der schwerste Vorfall ereignete sich in Ost-Oakland. Eine andere Bande raubte eine Grasplantage in MacArthur aus, aber als die Polizei auftauchte, feuerte einer der Bandenmitglieder Kugeln auf einen Polizeifahrzeug, bevor er in seinem gestohlenen Fahrzeug entkam. Dies war eine deutliche Botschaft an die Polizei, vor allem nach allem, was ihr gerade gelesen habt, und wenn überhaupt, wurde der Angriff von den Medien heruntergespielt, aus Angst, andere zu ermutigen.
Wir könnten diese lineare Erzählung fortsetzen, denn die Welle der Kriminalität ist noch immer nicht vorbei und wird es auch nicht sein, zumindest solange der Kapitalismus nicht zerstört ist. Wir könnten zum Beispiel über den Raubüberfall auf einen Apple Store am 24. November schreiben, diesmal weit im Norden, in Santa Rosa. Wir könnten noch seitenlang darüber schreiben, dass dies auch in den Großräumen Los Angeles und Chicago geschieht, aber wir werden hier abschließen, weil die Tragweite klar ist. Diese antipolitische illegalistische Bewegung wird nun vom kalifornischen Gouverneur und den Medien politisiert, wobei der Bürgermeister von Oakland mehr Polizei fordert und der Staatsanwalt von San Francisco verspricht, die neun in seinem Zuständigkeitsbereich Verhafteten strafrechtlich zu verfolgen. So sieht der Zusammenbruch des modernen Kapitalismus aus, und am Wochenende des Rittenhouse-Urteils hat eine Guerilla-Armee der zusammenbrechenden Ordnung wahrhaftig Angst eingejagt.
Denkt daran, Kids, kein Gesicht, keine Nummernschilder, kein Verfahren!
Lasst 10, 100, 1000 Bonnot-Banden aufblühen!