Bremen: Krieg dem imperialistischen Krieg (1980)

Am 6. Mai 1980 findet eine öffentliche Vereidigung von Bundeswehrrekruten im Weserstadion am Rande von Bremen statt. 15.000 Menschen beteiligen sich an mehreren Protestdemonstrationen, aus dem größten Demozug heraus kommt es zu massiven Angriffen auf die Polizei-Einsatzhundertschaften, die das Stadion absichern. Es fliegen Steine und Molotows, mehrfach werden die Absperrungen von Bullen und Feldjägern durchbrochen, zweimal gelingt es größere Gruppen bis ins Stadion vorzudringen, nur mit Mühe gelingt es herbeigeeilten Verstärkungseinheiten, das Station wieder frei von militanten “Störern” zu räumen. Der Verteidigungsminister wird mit dem Hubschrauber ein- und ausgeflogen, während der Zeremonie sind trotz aller Bemühungen der Repressionskräfte ununterbrochen Sprechchöre zu hören, auch in den Medienübertragungen.

Am Ende der stundenlangen Kämpfe bleiben sechs ausgebrannte Bundeswehrfahrzeuge zurück, über 10 Jahre lang finden keine öffentlichen militärischen Gelöbnisse in der BRD mehr statt. Der Tag gilt als ‘Geburtsstunde der Autonomen’, erstmals wird Massenmilitanz nicht von den Wurmfortsetzungen der 68er Bewegung, den K Gruppen und Sponties, sondern von einer neuen, wütenden Generation von Jugendlichen getragen.

Leider gibt es keine verfügbaren reproduzierbaren Texte aus den Reihen der Akteure selbst, deshalb an dieser Stelle ein längerer Auszug aus dem Bericht der Untersuchungskommission des Bundestages [PDF] zu den “Bremer Krawallen”, der einen Einblick in die Geschehnisse des Tages liefert, sowie einige eingeschobene Zitate von Menschen, die an diesem Tag aktiv waren. Im Anschluss folgen noch Verweise auf Medienberichte über den Tag.

Am 6. Mai 1980 begann etwa um 18.00 Uhr der Einlaß in das Stadion gegen Vorweis von teils zuvor in Bremen und Schwanewede, teils ab 17.00 Uhr vor dem Stadion ausgegebenen Eintrittskarten, die von Feldjägern kontrolliert wurden. Etwa 9 000 Zuschauer fanden Einlaß. Ab 18.30 Uhr war der Zugang zum Stadion durch Demonstranten behindert. Bis nach 19.00 Uhr erfolgte der Einlass der Zuschauer durch verschiedene, zum Teil zwischen Gewalttätern und Polizei umkämpfte Stadiontore. Die Rekrutenkompanien marschierten etwa ab 19.30 Uhr im Stadion ein. Bis 20.20 Uhr waren Bundespräsident Prof. Dr. Carstens, BM Dr. Apel und Bürgermeister Koschnick mit Hubschraubern im Stadion eingetroffen. Die Begrüßung des Bundespräsidenten erfolgte zwischen 20.25 Uhr und 20.30 Uhr. Danach vollzog sich, im wesentlichen ohne gravierende Behinderungen, das vorgesehene Programm, das um 21.55 Uhr mit dem Großen Zapfenstreich endete. Ab etwa 22.00 Uhr verließen Veranstalter und Zuschauer, um 24.00 Uhr die letzten Soldaten das Stadion.

Kurz vor Beginn der Veranstaltung wurden in der Nord-West-Kurve des Stadions etwa 100 Störer festgestellt, die den weiteren Ablauf der Veranstaltung durch Lärm, Pfiffe und Sprechchöre störten. Einzelne Rädelsführer wurden unter Anwendung körperlicher Gewalt und Schlagstockeinsatz festgenommen und abgeführt. Die gesamte Gruppe der Störer wurde erst etwa um 21.00 Uhr aus dem Stadion entfernt, da zuvor das Tor 2, durch das sie abgedrängt werden mußten, wegen von außen anstürmender Gewalttäter nicht geöffnet werden konnte.

„Während der Auseinandersetzungen auf dem Vorplatz konnten immer noch Fahrzeuge den Osterdeich passieren. Auch Bundeswehrfahrzeuge mit hohen Offizieren, die zu dieser Feier wollten. Deshalb wurden die Fahrzeuge gestoppt, die Personen aus dem Fahrzeug rausgeholt und anschließend die Fahrzeuge in Brand gesteckt. Dies war entgegen den Behauptungen der Presse eine sehr kontrollierte Aktion. Es wurden nämlich nicht blind Mollis in die Wagen geworfen, sondern die Benzinschläuche durchgeschnitten und das auslaufende Benzin angesteckt.“

Um 21.17 Uhr wurde die Nord -Tribüne von einer weiteren Störergruppe aus etwa 30 bis 60 Personen geräumt. Das Veranstaltungsprogramm wurde während dieser Maßnahmen ohne Aufenthalt abgewickelt. Bundespräsident und Bundesverteidigungsminister verließen das Stadion in Kraftfahrzeugen. Vor dem Stadion kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Gewalttätern und Polizei.

Kurz nach 18.00 Uhr begannen Angriffe auf Stadiontore, um 18.30 Uhr auf die Kassenhäuser. Das Tor Nr. 6 wurde aufgebrochen, die eindringenden Täter durch Soldaten und Polizisten nach außen abgedrängt. Um 18.45 Uhr waren starke Behinderungen am Westtor 11 festzustellen, ohne daß die Täter einzudringen vermochten. Gegen 19.50 Uhr wurde Tor 9 aufgebrochen, konnte jedoch gegen die Gewalttäter verteidigt werden. Tor 2 wurde angegriffen und musste geschlossen gehalten werden. Um das Stadion erfolgten weitere Angriffe gegen Polizisten und Bundeswehrangehörige. Kurz nach 18.00 Uhr wurde ein Bus der Bundeswehr umgestürzt und angezündet, ab 18.25 Uhr Pflastersteine gegen Polizisten geschleudert. Um 18.30 Uhr traf ein Molotow-Cocktail einen Polizisten und setzte seine Kleidung in Brand. Die Angriffe wurden bis etwa 22.25 Uhr an verschiedenen Stellen fortgesetzt, wobei einzelne Bereiche durch die Polizei mehrfach geräumt werden mußten. Aufgrund des zum Stadion gerichteten Windes konnte erst nach der Veranstaltung Tränengas eingesetzt und eine endgültige Räumung des Platzes vor dem Stadion und des Osterdeiches erreicht werden.

Ich sage mal, dass es am Osterdeich dann zu den brennenden Fahrzeugen gekommen ist, ist dem Umstand geschuldet, dass es offensichtlich niemanden interessiert hat, dass wir was dagegen hatten, dass diese Veranstaltung dort stattfand und weiterhin immer Leute angekarrt wurden, Prominenz und so weiter und Offiziere und Ähnliches, um an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Das mussten wir natürlich in irgendeiner Form unterbinden, obwohl ich persönlich jetzt nicht gerade an der Entzündung eines Fahrzeugs beteiligt war. (…) Aber das war also der Ausdruck davon. Wir haben die Faxen dicke, wir lassen uns das nicht länger gefallen.“

Die Angaben über die Anzahl der Gewalttäter schwanken zwischen 300 und 1 000. Übereinstimmend wurde eine bis dahin nicht erlebte Militanz und Entschlossenheit der Gewalttäter festgestellt, die ohne Vorbereitung oder Vorgeplänkel auf die Ordnungskräfte eindrangen und dabei Stöcke, Pflastersteine und Brandsätze einsetzten. Sie trugen teilweise Helme und versorgten sich aus einem mitgeführten Kraftfahrzeug mit Schlagwerkzeugen und Wurfgeschossen. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Wasserwerfer ein und konzentrierte ihre Kräfte in erster Linie bei den Stadiontoren, um die Veranstaltung im Innern gegen das Eindringen von Störern zu schützen und den Platz vor dem Stadion freizubekommen. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen führten zu Verletzungen einer großen Zahl von Polizisten sowie zu Sachschäden. Die Gewalttäter operierten aus einer Menschenmenge heraus, die nach einigen Schätzungen etwa 10.000, nach anderen bis zu 15.000 Personen stark war. Die wesentliche Masse dieser Anwesenden dürfte durch die Demonstrationszüge, sei es unmittelbar oder als Begleiter und Zuschauer, auf das Gelände geführt worden sein.

„Wir waren so auf Radau gebürstet, dass wir gesagt haben: Wir lassen keine polizeiliche Begleitung zu. Wir lassen keine polizeiliche Intervention zu. Sobald irgendeiner versucht, in dieser starken Gruppe, die diese Demonstrationen angeführt hat, Anstalten machte, sich dort zu infiltrieren, wehren wir das gleich massiv mit Gewalt ab. So waren wir auf Radau gebürstet. (…) Das ist sozusagen das Wichtigste, was wir sozusagen gedacht haben: Wir lassen uns nicht die Butter vom Brot nehmen diesmal. Wir haben so viele Niederlagen einstecken müssen. Und jetzt haben wir die Faxen dicke. Jetzt schlagen wir zurück.“

Der erste schon am Bahnhof stark angewachsene Demonstrationszug marschierte rascher und auf einem verkürzten Weg zum Goethe – Platz mit dem Ergebnis, daß er dort eintraf, bevor die von hier startende Demonstration der „Initiative“ abmarschiert war. So kam es zu einer Vermischung der beiden Demonstrationszüge. Etwa um 18.00 Uhr versuchte die „Initiative“, den inzwischen vermischten bzw. aus beiden Marschsäulen bestehenden Zug durch Lautsprecheransagen und Ordnerketten in Richtung auf die Weser-Terrassen zu leiten. Dies gelang nur bei einem kleineren Teil der Demonstranten, während der größere zum Stadion weiter marschierte. Diese Hauptmasse der Demonstranten traf kurz darauf vor Tor 2 ein, wo bereits die angemeldete Kundgebung des KBW mit Info-Stand im Gange war. Unmittelbar darauf gingen die Gewalttäter aus der Demonstrantenmenge heraus ohne Ankündigung gegen dieses Tor und die mit seinem Schutz beauftragten Sicherungskräfte sowie im weiteren Verlauf gegen die Kassenhäuschen und die anderen Tore vor. Ein relativ kleiner Teil der Demonstranten blieb inzwischen bei den Weser-Terrassen und versuchte, dort das vorgesehene Kundgebung-und Musikprogramm abzuwickeln. Nach Ende der Veranstaltung im Weser-Stadion formierten sich die Reste der demonstrierenden Gruppen zu einem Zug von noch etwa 2 000 Teilnehmern, der sich zur Innenstadt bewegte. Er löste sich nach 23.00 Uhr auf, ohne daß es zu weiteren Gewalttätigkeiten gekommen war.”

Weitere Simmen, teilweise aus den bürgerlichen Medien, zu den Krawallen in Bremen am 6. Mai 1980:

Während Polizei und Feldjäger der Bundeswehr mit Mühe das Stadion verteidigten, konnten Carstens, Koschnick und Apel nur per Hubschrauber in die Arena gelangen. Auf Luft- und Schleichwegen verließen die Politiker auch später das Feld, mit ihnen die hohe Generalität.”

Der Spiegel: “Signale überhört” vom 11.5.1980 https://www.spiegel.de/politik/signale-ueberhoert-a-5f170abc-0002-0001-0000-000014315097?context=issue

Die militanten Demonstranten hatten unter anderem mehrere Kleinbusse der Bundeswehr umgeworfen, in Brand gesteckt und als Barrikaden genutzt. Auch die Feuerwehr musste mehrmals eingreifen. Zwei Polizeihubschrauber, die über den Stadion kreisten, wurden mit Leuchtkugeln beschossen und einige Radikale schafften es, ins Stadion einzudringen. Anscheinend waren sie gut organisiert und verständigten sich – so die Vermutung der Polizei – sogar über Funkgeräte.”

Weser Kurier: “Vor 35 Jahren – Als die Bundeswehr in Bremen blutige Krawalle auslöste vom 12.11.2015

https://www.weser-kurier.de/bremen/als-die-bundeswehr-in-bremen-blutige-krawalle-ausloeste-doc7e4foxnftsw2gjqqin3?reloc_action=artikel&reloc_label=/bremen/bremen-historisch_artikel,-Als-die-Bundeswehr-in-Bremen-blutige-Krawalle-ausloeste-_arid,1250037.html#nfy-reload

Doch zumindest unter den Militanten war von jenem deutschnationalen Opfermythos, der sich später in der Friedensbewegung verbreitete, nichts zu spüren. Der Protest in Bremen war auch eine antifaschistische und antinationale Demonstration.”

jungle world: “Zapfenstreich am schwarzen Dienstag” vom 6.5.2010

https://jungle.world/artikel/2010/18/zapfenstreich-am-schwarzen-dienstag

Sonstiges:

Leider sind mehrere linksradikale Dokumentationen und Texte zum 6. Mai 1980 in Bremen online nicht verfügbar, bzw. werden die vorhandenen Druckexemplare im Internet nur gegen Geld verkloppt, eine grundsätzliche Schandtat, so wird z.B. auch für die Originalausgabe von dem Buch ‘Der Blues – gesammelte Texte der Bewegung 2. Juni’ schlappe 120 Euro verlangt. Wer sich trotzdem in den Tiefen der Archive auf die Suche machen will:

Bremen 1980. Die Schlacht am Weserstadion. Dokumentation über die Proteste am Weserstadion. Hrsg. von einer autonome Gruppe

Eine kommentierte Chronologie – 6. Mai 80: Info BUG Nr. 54

NATO-Broschüre der Bremer Anti-NATO-Gruppe (1980), komplett eingescannt vom MAO Projekt https://www.mao-projekt.de/BRD/NS/BRE/Bremen_1980_NATO-Broschuere.shtml