Maxwell Q. Klinger
Letztes Jahr noch “wir sind friedlich”, nun also “Yalla Klassenkampf” mit jede Menge Nationalfahnen vorneweg, dahinter irgendwelche Neo-Stalinisten- Maoisten-Leninisten, was auch immer. Die Aufmärsche der K Gruppen in den 70er an gleicher Stelle waren nicht schlimmer. Alles trottet brav vor sich hin, der sogenannte anarchistische Block, zu dem mit dem wohl hässlichsten 1. Mai Plakat ever mobilisiert worden war, platziert tatsächlich zwei Rauchtöpfe vor dem Bullenrevier in der Sonnenallee, darf dann endgültig im fetten Spalier laufen.
Ein paar Anwohner freuen sich über die Demo, was von den Organisatoren des Spektakels gefeiert wird als wäre das eine Weltneuheit. In 36 schieben die Bullen unterdessen die Abertausenden von Partyleuten, die in den Kiez eingefallen sind, als wären Myfest und Love Parade auf einen Tag gelegt worden, von der Demoroute. Dr. Motte legt dann auch tatsächlich auf dem Mariannenplatz auf, bekannt aus Funk und Fernsehen für seine antisemitischen und homophoben Ausfälle. Alles egal, Hauptsache irgendwas mit Future.
Irgendwann kommt die “revolutionäre” 1. Mai Demo am Kotti an, rechts und links drängeln die Bullen, die aus den Seitenstraßen strömen, mit Wannen und Gittern ist ein Flaschenhals konstruiert worden, wie eine Viehherde wird die Masse in den Pferch getrieben, fein separiert vom schaulustigen Publikum. Der Oranienplatz in alle Richtungen abgeriegelt, als die erste Rangeleien beginnen, leuchten die mobilen Flutlichtmasten auf, im grellen Licht gleiten die Greiftrupps wie Buttermesser in die vorgewärmte diffuse Masse, am Ende um die 100 Festnahmen für nichts außer ein, zwei Farbeier und ein paar Flasche. Die Demo Orga verdünnisiert sich irgendwann mit ihrem Lauti, nicht ohne noch im Großkotzlabermodus vom starken ersten Mai auf den Straßen Berlins zu labern, während daneben die Leute reihenweise zu Boden zu gehen.
Hinterher kein Wort der Selbstkritik, kein Wort darüber, dass es die Verantwortung der Orga gewesen wäre, die Demo vor dem vorbereiteten Kessel aufzulösen, stattdessen Opfergelaber, was ja in letzter Zeit generell die Haltung der sogenannten radikalen Linken zu sein scheint. Zur historischen Einordnung muss man noch erwähnen, dass die bekloppten K Gruppen der 70er sich wenigstens nicht so von den Bullen hätten einmachen lassen, obwohl da keine 20.000 Mitläufer da waren. Und ausserdem darauf verweisen, dass am Vorabend 4000 Menschen bei der FLINTA Demo zur Walpurgisnacht in Berlin vorgeführt haben, wie trotz Bullenspalier militante Aktionen, wehrhaft organisierte Blöcke und vorzeitige Auflösung möglich sind, Übrigens genauso wie schon im Jahr zuvor.
Und während in Paris am 1. Mai munter Banken, Mc Donalds und Immobilienbüros zerlegt wurden, in Deutschland überall das gleiche Elend. In Hamburg war die sogenannte anarchistische 1. Mai Demo letztes Jahr noch trotz eines “Hygienekonzeptes” mit Abstand, Tests und FFP2 (was einem Lauterbach bestimmt Tränen der Rührung in die Augen getrieben hätte) verboten worden, der Versuch dann doch loszulaufen, kam genau 50 Meter weit. Dieses Jahr durfte marschiert werden, bis die Bullen die Demo an einer günstigen Stelle zerlegt haben und dutzende Leuten verletzt und festgenommen wurden. Die einzigen Aufsehen erregenden offensiven Aktionen kamen am 1. Mai dann ausgerechnet von den Nazis, die gleich an zwei Bahnhöfen den Zug mit denen Antifas zum lll. Weg Aufmarsch nach Zwickau unterwegs waren, minutenlang mit Steinen bewarfen und versuchten in die Waggons einzudringen. Der Gerechtigkeit halber sollte noch erwähnt werden, dass es am Abend noch ein paar Nazis in einer Bahnunterführung erwischt hat, aber das ändert am grundlegenden Schlamassel auch nichts.
Nach zwei Jahren Pandemie Ausnahmezustand mit tätiger Mithilfe der radikalen Linken (hinterher will es keiner gewesen sein, dabei kann kann man die Zusammenhänge, die sich von Anfang an gegen das vorherrschende Narrativ stellten, an einer Hand abzählen. Der Rest unterfütterte die staatliche Panikmache, teilte in den sozialen Netzwerken unkritisch Stellungnahmen des Staates und seiner Protagonisten, anstatt sich eine eigene differenzierte Position zu erarbeiten und Aufklärung zu betreiben, etwas, was viele Genoss*innen z.B. in Spanien, Italien und Frankreich geleistet haben) und inmitten eines Krieges mitten in Europa, der auch und wesentlich Ausdruck innerimperialistischer Widersprüche ist, wird entweder in blaugelb gehüllten Menschenmassen gebadet und irgendwas mit Frieden gefordert oder man steigt gleich völlig aus der gesellschaftlichen Realität aus und spielt virtuelle EgoShooter Hashtag Spielchen, die sich auf eine kleine Insel in der Nordsee fokussieren.
So oder so, the show must go on. Es wird also die nächste Niederlage, die nächste Sackgasse organisiert. Keine Analyse auf der Höhe der Zeit, kein Kontakt zu den Ausgesteuerten der Gesellschaft mit all der Wut im Bauch. Das, was sich weltweit abzeichnet, die Zuspitzung der sozialen Verhältnisse, die Totalität der Kontrolle, die Kolonialisierung des Bewusstseins wird sich auch im Herzen der Bestie abspielen, vieles an Widerspruch werden wieder die Faschos abfischen können wie schon in den letzten beiden Jahren. Die Idee, die Revolte des 1. Mai 1987 zu institutionalisieren, war schon in der Genese ein typischer linker Irrtum, aber immerhin haben die Aktionen und Demos an diesem Tag immer wieder Räume aufgemacht für die Leute, die aus guten Gründen mit dem linken Organisierungsprozeß nichts am Hut haben, aber Hass auf diesen Staat und diese kaputte Welt haben. So wie es derzeit läuft, bleibt die revolutionärste Tat im Kontext des 1. Mai wohl der Kauf eines Sechserträgers Frischei.