Sudan: „Wir wollen die Militärherrschaft beenden und die Streitkräfte entmachten“ – Ein Interview

Der Sudan wurde sehr lange von einer Diktatur regiert, das frühere Regime war 30 Jahre lang an der Macht, bevor es im Dezember 2018 durch einen Aufstand gestürzt wurde. Am 25. Oktober 2021 fand ein weiterer Militärputsch statt. Seitdem organisiert die sudanesische Bevölkerung erneut den Widerstand. Eine Welle von Protesten und Streiks , um die Militärherrschaft zu beenden dauert immer noch an. Ein Interview mit Sajida Elmubarak, Sprecherin der Koordinationsgruppe vom Resistance Committee Karari. Sunzi Bingfa

Sunzi Bingfa: Kannst du uns etwas über die Situation im Sudan vor dem Staatsstreich im Oktober 2021 erzählen?

Sajida Elmubarak: Der Sudan befand sich in einer Übergangsphase, die vom Militärischen Übergangsrat (TMC) und den Kräften der Freiheit und des Wandels (FFC) im Rahmen einer Vereinbarung über die Teilung der Macht geführt wurde, die einen dreijährigen Übergang mit für 2023 geplanten Wahlen vorsah. Vor dem Staatsstreich vom 25. Oktober sollte das Militär eigentlich die Herrschaft an die Zivilbevölkerung übergeben, wie es in der von Militär und FFC unterzeichneten Verfassungscharta heißt.

Sunzi Bingfa: Wie hat die Bevölkerung in den ersten Tagen nach dem Staatsstreich reagiert?

Sajida Elmubarak: Tausende von Menschen demonstrierten in der Hauptstadt Khartum und in anderen Städten des Sudan wie Kassala, Sennar, Port Sudan,… Als Reaktion auf die militärische Machtergreifung wurden ziviler Ungehorsam und Streiks angekündigt. Das Internet wurde abgeschaltet und Telefonate wurden zeitweise unterbrochen, trotzdem setzten die Demonstrant*innen ihre Demonstrationen gegen den Staatsstreich und für eine zivile Regierungsform fort.

Sunzi Bingfa: Das Militärregime arbeitet mit dem russischen Staat und Söldner*innen der Wagner-Gruppe [1] zusammen. Welche Rolle spielt der russische Staat [2] im Sudan und kannst du uns mehr über die Aktivitäten der Wagner-Gruppe im Sudan und auf dem afrikanischen Kontinent erzählen?

Sajida Elmubarak: Es ist schwierig, das Ausmaß ihrer Beteiligung zu bestimmen, da wir in einer Diktatur leben, in der wir keinen Zugang zu solchen Informationen haben. Aber wir wissen mit Sicherheit, dass die Anführer des Militärputsches alles tun würden, um an der Macht zu bleiben.

Sunzi Bingfa: Spielt der so genannte Westen, die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und/oder die NATO, auch eine Rolle im Sudan?

Sajida Elmubarak: Die internationale Gemeinschaft ist durch die UNITAMS [3] vertreten, die eine Initiative lanciert hat, die wir abgelehnt haben, weil sie auf Gleichberechtigung zwischen Militärs und Zivilist*innen setzt. Wir haben unsere Haltung gegenüber dem Militär mit unseren klaren Positionen erklärt: keine Verhandlungen, keine Partnerschaft, keine Legitimation für das Militär unter keinen Umständen. Wir hoffen, dass die internationale Gemeinschaft die Bestrebungen der sudanesischen Bevölkerung respektiert, die einen Sudan der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit anstrebt.

Sunzi Bingfa: Der Lehrer*innenstreik spielt eine wichtige Rolle bei der aktuellen Welle der Proteste. Streiken sie immer noch und was sind ihre Hauptforderungen?

Sajida Elmubarak: Das sudanesische Lehrer*innenkomitee (Sudanese Teachers Committee, STC) hat angesichts der Verschlechterung der politischen und wirtschaftlichen Lage zum Streik aufgerufen. Die Lebenshaltungskosten sind massiv gestiegen. Der STC legte dem Finanzministerium ein Memorandum vor, in dem sie unter anderem eine Anhebung des Mindestlohns auf 24.000 Pfund und die Auszahlung der Gehaltsstruktur von 2022 forderte. Sie organisierten auch Proteste und Konferenzen, um die Öffentlichkeit auf die Ziele und Forderungen des Streiks aufmerksam zu machen. Aufgrund des anhaltenden Drucks und aller Formen des Widerstands hat der zweimonatige Streik schließlich eine seiner Hauptforderungen, nämlich die Zahlung der Löhne nach der Gehaltsstruktur von 2022, durchgesetzt. Der STC kündigte an, dass der Streik fortgesetzt wird, bis alle Forderungen erfüllt und die Bedingungen für die Lehrkräfte verbessert sind.

Sunzi Bingfa: Wir haben mehrere Erklärungen von Widerstandskomitees über die Zuspitzung der Revolution gelesen. Wächst die Kraft des Widerstands nach wie vor?

Sajida Elmubarak: Die Sudanesische Bevölkerung befindet sich seit 2019 in einer revolutionären Mobilisierung. Sogar während der Übergangszeit fanden Proteste statt, um Druck auf die Regierung auszuüben, damit sie die Forderungen und Ziele der Bevölkerung erfüllt und für Demokratie und Gerechtigkeit sorgt, was aufgrund der Diktatur im Sudan jahrzehntelang nicht der Fall war. Da das Militärregime weiterhin an der Macht ist, wächst der Widerstand und es finden verschiedene Formen von Widerstandsaktivitäten statt, um das Militär zu stürzen. Demonstrationen, Massenkundgebungen, eintägige Sitzblockaden, die Einrichtung der „Charta der Volksverwaltung“ … usw.

Bild: Eine Gruppe junger Demonstrant*innen, die Barrikaden errichten und Reifen anzünden, wurde zum Symbol der sudanesischen Revolution gegen den seit drei Jahrzehnten herrschenden Omer AlBashir. Das Bild wurde in Khartum, Sudan, am 15. Mai 2019 aufgenommen. Bild von Ola A .Alsheikh. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International Lizenz.

Sunzi Bingfa: Es gibt viele Widerstandskomitees im Sudan. Wie sind sie organisiert und welche Rolle spielen sie im aktuellen Kampf im Sudan?

Sajida Elmubarak: Es gibt mehrere Widerstandskomitees mit einer Vielzahl von Mitglieder*innen mit unterschiedlichem ethnischen und sozioökonomischen Hintergrund, die in einer horizontalen Struktur vereint sind. Jede Gruppe lokaler Widerstandskomitees in nahegelegenen Stadtteilen bildet Koordinationsgremien, um die Widerstandsaktivitäten zu koordinieren, zu organisieren und zu unterstützen. Die Widerstandskomitees spielen weiterhin eine wichtige Rolle in der politischen Szene, nicht nur durch ihren Protest gegen den Militärputsch, sondern auch durch die Veröffentlichung einer politischen Charta, die eine klare und umfassende Vision davon enthält, wie eine zivile Regierung uns zu einem Sudan der Demokratie und Freiheit führen würde. Diese Ziele bildeten schließlich die Grundlage für die „Charta zur Errichtung der Volksmacht“, die im Februar 2022 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Charta bringt unsere klare Haltung gegenüber dem derzeitigen Status quo zum Ausdruck und zeigt unsere Vision für eine zivile Regierungsform.

Sunzi Bingfa: Für welche Art von Gesellschaft kämpfen die Revolutionäre im Sudan genau? Natürlich für die Beseitigung des Militärregimes, der Putschisten, aber kannst du spezifizieren, wie die sudanesische politische und soziale Landschaft aussehen soll, wenn das Militärregime besiegt sein wird? Soziale Fragen wie zum Beispiel Armut, Gesundheitsversorgung und die Ausbeutung von Menschen sind auch in vielen Demokratien ein Problem…

Sajida Elmubarak: Der Sudan wurde sehr lange von einer Diktatur regiert, und das ehemalige Regime hielt 30 Jahre lang, bevor es im Dezember 2018 durch eine umfassende Revolution gestürzt wurde. Auch die früheren Demokratien während der Unabhängigkeit des Sudan hielten sich nicht lange. Daher sind die Menschen im Sudan zu dem Schluss gekommen, dass jede Veränderung, die zu einer demokratischen und zivilen Regierung führt, die Einmischung des Militärs in das zivile Leben beenden muss. Die Forderungen der Revolution machen deutlich, wie wir eine vollständige zivile Ordnung anstreben, die sich auf das vorrangige Recht der sudanesischen Bevölkerung auf Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung und Bildung stützt und zu Veränderungen in der Wirtschaft führt, um den Lebensstandard zu verbessern und den Einzelnen von der Last der beschlossenen politischen Maßnahmen zu befreien.

Sunzi Bingfa: In den letzten Jahren gab es eine Welle von Aufständen in der ganzen Welt. Fühlst du dich mit den Menschen auf der Straße in Territorien wie dem Libanon, Chile oder zum Beispiel Syrien (vor dem Krieg in Syrien) verbunden? Gibt es da Parallelen?

Sajida Elmubarak: Revolutionen tragen zu Veränderungen in der Kultur, dem sozialen Leben, der Wirtschaft und der politischen Macht bei. Sie alle unterscheiden sich in ihrem Ansatz, stimmen aber im Wesentlichen in ihrer primären Ursache überein, nämlich der weit verbreiteten Frustration über die sozio-politische Situation. Sie alle haben ähnliche Ziele: Demokratie, wirtschaftliche Freiheit, Regimewechsel oder Menschenrechte. Die Menschen haben das ultimative Recht zu entscheiden, was sie wollen!

Sunzi Bingfa: Was sind eure Pläne (die der Widerstandskomitees) für die kommenden Wochen und Monate?

Sajida Elmubarak: Unser Plan ist es, den Militärputsch zu beenden und die Streitkräfte zu entmachten. Das Militär soll in die Kasernen zurückkehren und die Macht dem Volk übertragen werden. Wir arbeiten mit unseren Partner*innen in den Widerstandskomitees in anderen sudanesischen Regionen zusammen, um die verschiedenen politischen Chartas in einer einzigen, einheitlichen Erklärung zusammenzufassen, die die Haltung der Widerstandskomitees im gesamten Sudan zum Ausdruck bringt.

Sunzi Bingfa: Eine letzte Frage. Gibt es etwas, das du hinzufügen möchtest, was wir nicht gefragt haben?

Sajida Elmubarak: Ich möchte unsere Position hervorheben, in der die wichtigsten Ziele, die wir uns gesetzt haben, klar zum Ausdruck kommen: „Die 3 Neins“.

Keine Partnerschaft, keine Verhandlungen, keine Legitimation für das Militär unter keien Umständen. Wir wollen der Einmischung des Militärs in das zivile Leben ein Ende setzen. Wir streben eine zivile Regierungsform an, die uns in einen Sudan der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit führt.

Sunzi Bingfa: Wir möchten dir danken, dass du dir Zeit für dieses Interview genommen hast.

Fußnoten

[1] Die Wagner Gruppe ist ein rechtsextremes russisches Privates Sicherheits- und Militärunternehme, dessen Söldner-Einheiten verdeckt operieren. Laut Berichten waren Angehörige der Gruppe Wagner unter anderem in Syrien aktiv und sind es aktuell im Russisch-Ukrainischen Krieg. Auch führen sie Ausbildungseinsätze in der Zentralafrikanischen Republik durch und kämpften im libyschen Bürgerkrieg auf Seiten des Generals Chalifa Haftar. Die Gruppe geht auf den Neonazi Dmitri Utkin zurück, nach dessen Kampfnamen „Wagner“ sie benannt ist. Der Name wurde von Utkin in Anspielung auf Richard Wagner gewählt, der als Adolf Hitlers Lieblingskomponist gelte (siehe dazu Wagner und Hitler). https://de.wikipedia.org/wiki/Gruppe_Wagner

Die russischen bewaffneten Gruppen sind wegen des Bergbaus in dem Gebiet präsent. Die Regierung im Sudan ermöglichte den Russen eine Präsenz im Land. „Die Russen bauen ihren Einfluss in der Region aus, und viele Berichte von Augenzeugen bestätigen, dass die Firma Wagner die Bergleute vertreibt und das gesamte Gebiet in Besitz nimmt“.

Einige glauben, dass Russland die Durchsetzung seiner strategischen Interessen in Afrika an Wagner ausgelagert hat. https://www.middleeasteye.net/news/russia-sudan-central-african-republic-mercenaries-kill-hundreds

[2] Der de facto stellvertretende Staatschef von Khartum, General Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, verbrachte Ende Februar und Anfang März eine Woche in Russland, verteidigte Putins Angriff auf die Ukraine und erklärte, er sei offen für die Einrichtung eines Marinestützpunkts an der sudanesischen Küste des Roten Meeres. https://www.middleeasteye.net/news/russia-sudan-central-african-republic-mercenaries-kill-hundreds

[3] Am 3. Juni 2020 nahm der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 2524 (2020) an, mit der die Integrierte Übergangsunterstützungsmission der Vereinten Nationen im Sudan (Integrated Transition Assistance Mission in Sudan, UNITAMS), eine politische Sondermission, eingerichtet wurde, um den Sudan während des politischen Übergangs zu einer demokratischen Regierung für einen Zeitraum von zunächst 12 Monaten zu unterstützen. Am 3. Juni 2021 verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution 2579 (2021), mit der das Mandat der UNITAMS um weitere 12 Monate bis zum 3. Juni 2022 verlängert wurde. https://unitams.unmissions.org/en/mandate