Konfliktbereite Gewerkschaften unter Beschuss: Der Krieg der Bosse gegen die sozialen Kämpfe (Italien)

Wir haben die folgenden Zeilen von den Genoss*innen von Infoaut übernommen und übersetzt, weil wir den heutigen repressiven Schlag gegen die basisgewerkschaftliche Organisierung in Italien für einen strategischen Angriff in einem historischen Moment halten. Nach 2 Jahren Ausnahmezustand, im Angesicht des innerimperialistischen Krieges, der galoppierenden Inflation, soll eine kampfbereite Fraktion des Proletariats im strategischen Logistiksektor ihrer Handlungsfähigkeit beraubt werden. So oft wurde ein neuer heißer Herbst herbeigeredet und herbeigesehnt, so unmittelbar nahe wie seit Jahrzehnten scheint er nun am Horizont auf. Sunzi Bingfa

Vorwort Infoaut

Wie zu erwarten war, entfesselt das über die Medien und das Parlament aufgezwungene Klima der nationalen Einheit den internen Krieg gegen all jene widersprüchlichen sozialen Realitäten, die sich nicht dem Diktat der Intensivierung der Ausbeutung und der Zerstörung von Territorien anschließen wollen. Das implizite Ziel ist eine Art präventives polizeiliches Diapositiv  im Hinblick auf einen Herbst, in dem die Knoten der sozialen Krise und der gewaltsamen Verarmung der Volksschichten zum Platzen gebracht werden.

Heute Morgen wurde bekannt, dass eine neue und sehr gravierende Operation zur Verhaftung von Genossinnen und Genossen der Gewerkschaften Si Cobas und USB geführt hat, die die Kämpfe im Logistiksektor führten. Wie im Fall von Askatasuna und der Arbeitslosenbewegung von Neapel lautet die Anklage erneut auf kriminelle Vereinigung. In diesem Sinne waren die Überlegungen des Rechtsanwalts Claudio Novaro vorausschauend: „Wenn man diesem Postulat (der Turiner Staatsanwaltschaft, Anm. von Infoaut.) Glauben schenkt, wäre es eine subversive Verschwörung, wenn Studenten gegen Reformen an Schulen oder Universitäten oder Arbeiter gegen Wirtschaftsreformen usw. protestierten und wenn es dann bei den Demonstrationen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen käme“. Im Grunde genommen wird jeder, der sich gegen die Politik der Regierung und der Bosse oder für bessere Lebensbedingungen für die arbeitenden Klassen organisiert, in jeder Hinsicht als Krimineller betrachtet. So sehr dies nach einer Perspektive aus dem 19. Jahrhundert klingen mag, so ist sie doch durchdrungen von der Modernität, in der die kapitalistische Gesellschaft lebt, wie Emiliano Brancaccio sagt: „Die Tendenz zur Zentralisierung des Kapitals führt nicht nur zu einer Konzentration der wirtschaftlichen Macht, sondern ist auch die Grundlage für die Konzentration der politischen Macht, die wir in den letzten Jahren beobachten konnten: die Entmachtung der Volksvertretungen, die „Exekutivisierung“ politischer Entscheidungen, die krampfhafte Suche nach großen Entscheidern, starken Männern, denen man das kollektive Schicksal anvertraut. Eine Entwicklung die die Errungenschaften des 20. Jahrhunderts völlig zerstört hat und im Laufe der Zeit sogar die liberalen demokratischen Institutionen und die grundlegendsten politischen und bürgerlichen Rechte, auf denen sie beruhen, angreift. Diese Tendenz ist meiner Meinung nach der Hauptgrund für die Krise der Demokratie im kapitalistischen Westen und hilft uns zu verstehen, warum wir uns allmählich dem Grad der Zentralisierung der Macht nähern, der für die politischen Systeme des Ostens typisch ist. Wir sind ihnen ähnlicher, als wir zugeben wollen.“

Dies wird noch deutlicher, wenn man die Ereignisse der letzten Zeit im Logistiksektor betrachtet. Wie wir hier geschrieben haben, durchläuft der Sektor als Reaktion auf die Kämpfe der Arbeitnehmer eine allgemeine Umstrukturierung, die auf eine stärkere Zentralisierung des Sektors abzielt, so dass die Aspekte der Gesetzgebung und der Bestrafung zusammenfallen. Wie die SI Cobas in ihrem Kommuniqué in Erinnerung ruft, erfolgen die Verhaftungen von heute Morgen nach dem parlamentarischen Staatsstreich, den die Regierung Draghi vor einigen Tagen auf Betreiben von Assologistica (1) mit der Änderung des Artikels 1677 des Bürgerlichen Gesetzbuches zur Abschaffung der gesamtschuldnerischen Haftung der Unternehmer für Lohndiebstahl durch Genossenschaften und Zuliefererfirmen durchgeführt hat.

Das Kommando zeigt sich von seiner polizeilichen Seite zu einem Zeitpunkt, an dem der aufziehende Sturm bereits auf absurde Weise in den Parlamentssälen ankommt.

Was hier geschieht, verlangt von jedem, der soziale Konflikte als eine lebenswichtige Kraft in unseren Gesellschaften betrachtet, ein tiefes Nachdenken. Unsere größte Solidarität gilt den von diesen Operationen betroffenen Genossinnen und Genossen. Im Folgenden geben wir die Mitteilungen von SI Cobas und USB wieder: 

VERHAFTUNG DER NATIONALEN FÜHRER VON SI COBAS: EIN NEUER, SEHR SCHWERER REPRESSIVER ANGRIFF AUF DIE KLASSENGEWERKSCHAFT UND DIE ARBEITERKÄMPFE.

Im Morgengrauen hat die Polizei auf Anordnung der Staatsanwaltschaft von Piacenza den nationalen Koordinator der SI Cobas, Aldo Milani, und drei führende Mitglieder der Gewerkschaft von Piacenza unter Hausarrest gestellt: Mohamed Arafat, Carlo Pallavicini und Bruno Scagnelli.

Die Anklage lautet auf Bildung einer kriminellen Vereinigung wegen gefährlicher Körperverletzung, Widerstand gegen einen Amtsträger, Sabotage und Störung eines öffentlichen Dienstes. Auslöser für diese Anklage waren angeblich Streiks in den Logistiklagern von Piacenza in den Jahren 2014 bis 2021: Der Staatsanwaltschaft zufolge wurden diese Streiks unter einem Vorwand und mit „erpresserischen“

Absichten durchgeführt, um bessere Bedingungen für die Arbeitnehmer zu erreichen, als sie der nationale Vertrag vorsieht…

Auf der Anklagebank befinden sich alle wichtigen Kämpfe und Mobilisierungen der letzten Jahre: GLS, Amazon, FedEx-TNT, usw.

Es ist klar, dass wir vor der letzten Offensive des Staates und der Bosse gegen den außergewöhnlichen Zyklus von Kämpfen stehen, bei denen Zehntausende von Arbeitern in ganz Italien gegen das Caporalato (2) und die brutalen Ausbeutungsbedingungen aufbegehrt haben.

Der Zusammenhang zwischen diesem repressiven Theorem und dem parlamentarischen Staatsstreich, den die Regierung Draghi vor einigen Tagen auf Geheiß von Assologistica mit der Änderung des Artikels 1677 des Zivilgesetzbuches zur Abschaffung der gesamtschuldnerischen Haftung der Arbeitgeber für Lohndiebstahl durch Genossenschaften und Zulieferbetriebe durchführte, ist ebenfalls offensichtlich.

Wir sind mit einem groß angelegten politischen Angriff auf das Streikrecht konfrontiert, der vor allem darauf abzielt, Tarifverhandlungen auf der ‘zweiten’ Ebene faktisch zu verbieten und damit klassenkämpferische und konfliktbereite Gewerkschaften endgültig aus den Betrieben zu verbannen.

Wie wir bereits mehrfach dargelegt haben, führen das Voranschreiten der Krise und der Wind des Krieges zu einer immer schärferen Offensive gegen das Proletariat und insbesondere gegen die Avantgarde des Kampfes.

Die SI Cobas und die kämpferischen Arbeitnehmer, unabhängig von den Akronymen, denen sie angehören, werden erneut kompakt, entschlossen und rechtzeitig auf diese Provokation von Polizei, Regierung und Arbeitgebern reagieren.

Wir fordern die Arbeitnehmer und alle solidarischen Menschen auf, sich ab sofort mit ihren jeweiligen Provinzkoordinatoren in Verbindung zu setzen, um die zu ergreifenden Initiativen zu vereinbaren.

Aktualisierungen werden folgen.

Der Kampf gegen Ausbeutung steht nicht vor Gericht.

Die wahre kriminelle Vereinigung ist der Staat und die Bosse.

ALDO, ARAFAT, CARLO UND BRUNO: BEFREIT SIE JETZT!

SI cobas national

Präventive Repression und Durchsuchungen gegen die ‘Unione Sindacale di Base’ und die Klassenkämpfe: USB ruft zum Generalstreik in der Logistik auf. Hände weg von der USB!

Seit dem Morgengrauen läuft auf Betreiben der Staatsanwaltschaft von Piacenza eine Polizeiaktion gegen die Gewerkschaftsführer der USB und der Si Cobas aus dem Bereich Logistik. Mit nicht weniger als 350 Seiten Verordnung wird ein wahrer „juristischer Präzedenzfall“ auf der Grundlage einer endlosen Liste von „Straftatbeständen“ wie Streikposten, Streiks, Lagerbesetzungen, Versammlungen usw. aufgestellt. Zahlreiche Gewerkschaftsführer wurden unter Hausarrest gestellt und ihre Wohnungen durchsucht.

Die Logistik ist einer der zentralen Knotenpunkte der kapitalistischen Wirtschaft der neuen Generation, der Warenverkehr ist ein entscheidendes Glied in der Wertschöpfungskette, und dort kommt der Widerspruch auf höchstem Niveau zum Ausdruck: Ausbeutung von Arbeitskräften, die zumeist aus dem Ausland kommen und erpresst werden, hemmungslose Nutzung von Verträgen und Unteraufträgen an Genossenschaften mit nicht einmal von der organisierten Unterwelt zu unterbietenden Bedingungen, nicht vorhandene und systematisch verletzte Gewerkschaftsrechte, und genau deshalb sind dort die Kämpfe und Konflikte härter und entschlossener, und genau dort schlägt die Repression zu.

Die USB steht schon zu lange im Fadenkreuz des Innenministeriums und der Staatsanwaltschaften in halb Italien, angefangen von der Flut von Denunziationen gegen diejenigen, die gegen den Krieg und die Waffenlieferungen sind, über die Verurteilungen derjenigen, die gegen den Mord an unserem Logistikdelegierten Abd El Salam (3) während einer Mahnwache in Piacenza demonstriert haben, für die niemand bezahlt hat, bis hin zum „Fund“ einer Waffe in einem Badezimmer des nationalen USB-Verbandes, der einem Gewerkschaftsführer der Logistikbranche angelastet wird.

Es ist daher klar, dass dieser kriminelle Versuch zu verhindern versucht, dass in den Logistiklagern, an den Orten der Produktion und der Vermarktung von Waren die konfliktträchtige Klassenorganisierung wächst und gestärkt wird, jene, die bei den Rechten der Arbeitnehmer keinen Millimeter nachgibt.

Die USB ruft ab der heutigen Nachtschicht für 24 Stunden einen Generalstreik im Logistiksektor aus, ruft alle ihre Verbände auf, in allen Städten Protestposten aufzustellen, und prüft mit ihren Anwälten die juristische Gegenoffensive, um dieses echte gewerkschaftsfeindliche Theorem und weitere repressiven Initiativen zu zerschlagen.

Union der Basisgewerkschaften (USB)

Fußnoten Sunzi Bingfa

  1. Dachorganisation der italienischen Speditions- und Logistikdienstleister
  2. Praxis der sklavenähnlichen Ausbeutung von (‘illegalen’) Migrant*innen in der Landwirtschaft. Dagegen gab es zahlreiche Kämpfe, bei denen die Basisgewerkschaften eine zentrale Rolle in der Organisierung spielten. 
  3. siehe dazu https://www.derfunke.ch/htm/de/deutsch/arbeiterinnenbewegung/gewerkschaften/italien-ein-arbeiter-wurde-am-streikposten-beim-gls-depot-in-piacenza-getoetet/