Happiness Is a Warm Gun

Sunzi Bingfa Redaktion

All things are ready, if our mind be so.

William Shakespeare

Zweieinhalb Jahre Sunzi Bingfa, vierundvierzig Ausgaben. Tausende Seiten geschrieben, übersetzt, lektoriert. Lange Tage, lange Nächte, zu viele Zigaretten, zu viel Koffein, zu wenig geschlafen, recherchiert, gefeilt, immer auf der Suche, müde, erschöpft, stolz. Am Anfang war da dieser Mangel und eine vage Idee, ein verwegener Plan. Alles lag da, für alle sichtbar, so viele, die nicht hinsehen wollten. Eine Epoche, die zu Ende ging, traurige Überreste einer einst wilden Bewegung, die schon lange nur noch eine Karikatur ihrer selbst war. Und nun die Totalität des Ausnahmezustandes und fast überall nur Schweigen oder Akklamation. Doch alle wissen, wenn die Nacht am tiefsten, ist der Tag am nächsten. Die Zeit der allgemeinen Aufstände war gekommen, es gibt Leute, die behaupten, der weltweite Ausnahmezustand sei eine Reaktion darauf gewesen, wir halten dies für nicht zutreffend, oder besser gesagt, natürlich exekutiert sich in dem permanenten Ausnahmezustand in dem wir nun für alle Zeiten (entweder bis zum Ende der Welt wie wir sie kennen oder bis zur revolutionären Umwälzung) leben, auch die konterrevolutionäre Formierung, aber letztendlich war dies nur der organische Übergang in das Endgame eines Empires im Untergang, das nur noch taumelnd Elendsverwaltung betreiben kann und Gehirnwäsche um die Verwertungsmöglichkeiten mit aller blutigen Konsequenz bis zum letzten Atemzug der letzten Menschen zu verteidigen.

Doch, ja doch, die Zeit der Aufstände ist gekommen. Und wir hatten den Anspruch, darunter hätte es keinen Sinn gemacht, die Diskurse und Debatten, die innerhalb dieser realen aufständischen Bewegungen über Analysen, Taktiken und strategische Ausrichtung geführt werden, hierzulande unter denen zu verbreiten, die bereit waren, bereit sind, zuzuhören. Die ernsthaft auf der Suche sind. Wir denken, wir haben dieses erste Teilziel erreicht. Wir wissen, dass die Sunzi Bingfa von ziemlich vielen Leuten gelesen wird, dass sich Leute die Mühe machen, die aktuellen Ausgaben auszudrucken und unter die Leute zu bringen oder sogar in den Knast zu schicken. Doch wir wollten mehr, wir wollen mehr. Wir wollen, in aller bescheidenen Vermessenheit, selber Teil dieses weltweiten aufständischen Prozesses werden. Wir wissen, wie schwach die reale antagonistische Position hierzulande ausgeprägt ist, wir wissen, dass wir nur verlorene, isolierte Spitter sind, wir wissen, dass wir uns finden und organisieren müssen, wir arbeiten an diesem Prozess seit mehreren Jahren. Wir wissen auch, wie groß die Sehnsucht ist, die Sehnsucht nach einem anderen Leben, wir wissen, wie viele Leute die Schnauze grundsätzlich voll haben, in aller Stille ihren grundsätzlichen Bruch mit diesen Verhältnissen gemacht haben. Die Staatsschutzbehörden haben das schon realisiert, sie reden von der ”Delegitimierung des Staates”, einem “diffusen Milieu”, das “die verfassungsmäßige Ordnung gefährde”. Wir wissen, dass wir um die Herzen dieser Menschen kämpfen müssen, dass wenn wir das nicht tun, wir den Kampf gegen die Faschos gleich verloren geben können. Wir erinnern uns an den wunderbaren Riot von proletarischen Jugendlichen in der Stuttgarter Innenstadt im Sommer 2020, so wie an die jüngsten Krawalle in Linz, deren Protagonisten dazu vom gemeinsamen Konsum eines Netflix Filmes animiert wurden, sich in der Darstellung einer (fiktiven) Banlieue wiedererkannten wie sich die regelmäßig von den Bullen drangsalierten Jugendlichen in Stuttgart in dem Aufstand nach dem Mord an Georg Floyd wiedererkannten. Wir sagen nicht, dass wir konkret wissen, wie wir mit den rebellischen Fraktionen des Surplus Proletariats zusammenkommen. Wir wissen nur, dass wir uns dazu anders organisieren müssen und uns endgültig von den linken Blasen verabschieden müssen, die nichts, absolut nichts, getan haben, um den von massiver Repression betroffenen Jugendlichen in Stuttgart in irgendeiner Form Unterstützung zu offerieren. Wir sind es müde, dass alles weiter anzuprangern, wir wissen, dass es überall Leute gibt, die was anderes wollen und dies versuchen in kleinem Maßstab auch umzusetzen, wie z.B. die Leute, die in Hannover wochenlang auf den Straßen gegen die Ausgangssperre mobilisiert haben und von dem Großteil der Szene nicht unterstützt wurden, um es mal diplomatisch auszudrücken. Wir wissen, dass wir nur sinnvoll auf die Straße zurückkehren können, wenn es uns gelingt, uns zu organisieren. Diesem Prozess gilt jetzt unser Hauptaugenmerk.

Aus naheliegenden Gründen können wir nur in beschränktem Maße Auskunft geben über den Prozess der Organisierung, von der wir als Sunzi Bingfa Redaktion Teil sind. Wir können aber sagen, dass es in vielen Städten Menschen gibt, die sich die Schrift des Unsichtbaren Komitees “Der kommende Aufstand” zu Herzen genommen haben. Sich finden – Organisieren – Aufstand. Wir wissen, dass wir, im weltweiten Maßstab gesehen, weit hinterherhinken. Wir wissen, wie schmerzhaft dieser Prozess des Abschieds, des Loslassens für ALLE ist, weil wir alle aus einer linken, anarchistischen, autonomen Geschichte kommen, weil wir für diese Geschichte viel geopfert haben, Zeit, Energie – Risiken eingegangen sind. Weil vieles an dieser Geschichte richtig war, zu dem Zeitpunkt, wo wir so gehandelt haben, stimmig war. Wir nun vor dem Nichts stehen, alles neu verhandelt und bestimmt werden muss, der Prozess des Umdenkens so zäh und mühsam ist. Wir wissen aber auch, dass das richtig und alternativlos ist. Wenn wir weiter in den Spiegel schauen können wollen, wenn wir nicht weiter in Ohnmacht Zuschauer der Geschichte sein wollen. Wenn die Reife der Zeit auch hier gekommen ist, wird es vielleicht Sinn machen, das Projekt Sunzi Bingfa wieder zu beleben oder die Idee in anderer Form fortzuführen, darüber werden die konkreten Bedingungen, die wir vorfinden werden und die wir in der Lage sind herzustellen, entscheiden. Jetzt gehen wir erst einmal den nächsten Schritt und lösen das Projekt Sunzi Bingfa auf, um uns der überfälligen Frage der Organisierung zu widmen.

Die zehn Grundsätze:

Stell dich dem Kampf!

Führe andere in den Kampf!

Handle umsichtig!

Halte dich an die Tatsachen!

Sei auf das Schlimmste vorbereitet!

Handle rasch und unkompliziert!

Brich die Brücken hinter dir ab!

Sei innovativ!

Sei kooperativ!

Lass dir nicht in die Karten sehen!

Sun Tzu

Wir danken allen Genoss*innen, Kompliz*innen und Gefährt*innen, die ihren Teil für das Zustandekommen der 44 Ausgaben der Sunzi Bingfa beigetragen haben. Die für uns geschrieben haben, uns Beiträge zugeschickt haben, die für uns übersetzt haben. Die uns kritisiert und gelobt haben, die mit uns diskutiert haben. Die die Sunzi ausgedruckt, verteilt und in die Knäste geschickt haben. Wir danken von Herzen all den Menschen und Gruppen, deren Texte wir übersetzen durften und die uns Interviews gegeben haben. Wir wissen, dass wir nur ein ganz kleiner unbedeutender Knotenpunkt in dem weltweiten Netzwerk waren, dass Aufständische seit Jahren weben. Wir sind dankbar dafür, dass wir unseren bescheidenen Beitrag leisten durften. Wir wissen, dass wir nur auf den Straßen Geschichte schreiben können. Wir hoffen, dass wir uns alle dort eines Tages wieder treffen werden. “Beau comme une insurrection impure”, wir hoffen auf ein bisschen Glanz in diesem grauen, kalten Land.

13.12.2022 Sunzi Bingfa Redaktion