Kommuniqué Numero Zero

Wir sind post, wir sind autonom, wir sind Anarchist*innen, wir sind Kommunist*innen, wir leisten humanitäre Hilfe in der Ukraine, wir jagen den Aufständen hinter her, wir sind brutale Feminist*innen und passen aufeinander auf, auf der Suche nach Wahrheit und doch desorientiert, wir kämpfen in unseren Nachbarschaften und suchen jede Gelegenheit einen Stein zu werfen. Wir kommen aus der Solidaritätsbewegung mit Lateinamerika, den Häuserkämpfen der 80er, aus den Ausklängen der Antifa der 2000er, aus der Anti-Globalisierungsbewegung und letztendlich aus dem Heute, was noch keinen Namen trägt. Wir wollen Alles und Nichts.

Es hat lange gebraucht bis wir uns gefunden hatten. Gründe dafür waren sicherlich die zwei Jahre der Pandemievereinzelung aber letztendlich und vor allem weil wir uns nicht kannten, weil wir uns politisch und ideologisch an anderen Stellen der Mosaik- Linken verorteten. Erst mit dem Zerbrechen dieses Mosaik in Splitter während der Pandemie bekamen wir die nötige Freiheit uns neu zusammenzusetzen. So trafen wir uns zum ersten Mal dieser Tage aus unterschiedlichen Städten (Wuppertal, Münster, Berlin, Düsseldorf, Bielefeld, Frankfurt) und diskutierten einen lieben langen Tag lang.

Insofern stehen wir erst am Anfang. Dieser Text ist ein Beleg dieses Anfangs, zeigt er doch zunächst ‚nur’ auf, aus welcher Kritik und Unzufriedenheit wir zusammen kamen und nur in vorsichtigen Andeutungen wohin die Reise gehen könnte.

Wir richten uns an euch. An euch, die auch Unzufriedenheit verspüren, die merken, dass etwas falsch läuft in der Welt und in dem, was einige noch Linke nennen. Wir richten uns an diejenigen, die noch bereit sind zu denken, die Orientierung suchen und diese im Altbekannten nicht finden. Wir richten uns an euch, weil wir das Gleiche verspüren.

Wir haben uns als verwirrte und vereinzelte Seelen zusammengefunden, ausgestoßen und ausgetreten aus unseren ehemaligen politischen Heimaten. Wir können euch keine Analyse der Welt bieten, geschweige denn einen strategischen Vorschlag machen, was zu tun ist. Was wir aber können, ist, eine zufällige und doch sich zu einem Bild fügende Aufzählung von Ansichten mit Euch zu teilen, von denen wir überzeugt sind, dass sie den notwendigen Bruch mit dieser Welt markieren.

  • Die Welt ist am Verwesen. Die Grünen, in ihrem zwanghaften Gute-Miene-Spiel, versuchen mit Aloe Vera diese Verwesung zu stoppen bzw. zu heilen. Die FaschistInnen versuchen mit Totenbeschwörungen von Familie, Vaterland und Christentum, der verwesenden Welt neues Leben einzuhauchen. Die alten Kapitalist*innen machen einfach so weiter. Und die Linke versucht sich, in ihrer unübertroffenen Weisheit der Sowohl-Als-Auch Dialektik, ebenfalls in der Totenbeschwörung von Konzepten aus dem 19. und 20. Jahrhundert, auch sie mit einer Prise Aloe Vera im angeblichen Zaubertrank, der ihnen selbst das Gefühl des Voranschreitens gibt. Selbst die Jünger*innen von Andreas Malm huldigen einem mutlosen Leninismus, der die Machtergreifung in Fragen von Militanz und Handlungsdruck banalisiert. Gramsci und Lenin würden sich im Grab umdrehen.

  • Wir stehen fassungslos vor dem, was sich heute revolutionäre Politik nennt, und doch nur ein Trümmerhaufen links-sozialdemokratischer Politik ist, die sich ressentimentgeladen auf die FDP stürzt, den Verrat der SPD von 1914 immer noch nicht verwunden hat und nicht merkt, dass die Grünen diese Kasperle Parteien als willkommene Idioten auf ihre Seite gezogen hat, um gemütlich und ohne viel Aufsehen ihr Projekt des Grünen Kapitalismus zu festigen: Kein Projekt des „Greenwashing“, in dem nur das Alte mit neuer Farbe übertüncht wird, sondern ein Projekt der kapitalistischen Erneuerung, das behelfsweise angesichts unser eigenen Unzulänglichkeit, die neue Welt in Gänze zu verstehen, „Grüner Faschismus“ genannt werden kann und dessen Potential darin besteht, den Kapitalismus in seiner Krisenhaftigkeit auf eine zu lange Zeit zu stabilisieren: Ausnahmezustand, der propagandistisch Klima Notstand genannt wird, soziale Kontrolle durch Repression und Zerstörung des Sozialen im Namen der Prävention, grüner Kolonialismus in den Lithiumfeldern in Lateinamerika, den Solarparks der weiten Flächen der afrikanischen Wüste, den Wasserstoffkraftwerken an den Küsten und den Löchern seltener Erden auf jedem Fleck dieses Planeten. Truman-Bullerbü-Show und Madmax. Jedes Windrad, jedes E-Auto, jeder Biosupermarkt, jede Begrünung unserer Knäste, die andere Städte nennen, ist Ausdruck dieses Bullerbü. Jedes seiner Designelement, bedeutet Tod an einem anderen Ort auf der Welt, der vor uns sorgfältig mit Mauern und Stacheldraht, mit Netflix und Smartwatches, mit Ausbau von öffentlichem Nahverkehr, Begrünung von Bürgersteigen und Regenwasserauffangstationen, verborgen wird.

  • Wir kotzen ob der Moral, des Paternalismus, des Pietismus, der in Dolby Surround und Richard Wagner Pathos auf uns eindrischt und von uns Verzicht und Besitztumswahrung, Disziplin und Raserei, Bescheidenheit und Verschwendung fordert. Der uns sagt, dass man sich die Hände schmutzig machen muss, um etwas zu erreichen, der uns das Heil im Bösen verspricht, solange es mit Bauchschmerzen getan wird. Auch hier gleicht sich auf vollkommen unterschiedliche und doch gleiche Art die radikale und Bewegungslinke mit dem linksgrün-liberalen Milieu von Baerbock bis Kipping, von Ramelow bis Habeck, von Campact zur interventionistischen Linken. Wir wollen nichts erreichen, wir wollen keine Reformen, wir wollen grundsätzlichen Wandel.

  • Wir ertragen diesen lauwarmen, wohltemperierten Zustand dieser Welt und der Linken nicht mehr. Überall Meinungen und Haltungen, nirgendwo Bewusstsein und Rebellion. Überall Informationen, nirgendwo Wirklichkeit. Wo Linke Chancen und Möglichkeiten, Wege zu einer Transformation sehen, wo sie sagen „immerhin und wenigstens“, sehen wir nur Aussteigerprogramme für eben jene Linke, Beruhigungstabletten und Wohlfühloasen der geheimen Verzweiflung ob der Zustände in der Welt.

  • Wir ekeln uns mittlerweile vor den Begriffen Solidarität und Verantwortung. Sind sie doch Schandmal der deutschen Linken, die sich im Stechschritt 2019 in die herrschende Coronapolitik einreihte. Genauso wie sie jetzt dazu dienen, einen Krieg zu legitimieren. Schmerzlich bewahren wir den Begriff der Solidarität in unseren Herzen, in der Hoffnung, dass er noch nicht tot ist.

  • Es ist wirklich alles zu den Verwerfungen während der zwei Pandemie-Jahre gesagt worden und dennoch ist es ein wichtiger Teil unserer Geschichte und muss daher Erwähnung finden. Neben dem offensichtlichen intellektuellen Versagen der (radikalen) Linken, die kaum noch eine Idee davon hatte, die ureigenste Frage der Linken zu stellen, nämlich „Wie sieht ein gutes Leben für Alle aus“, sondern sich auf das reine Überleben fokussierte, also Politik durch Nihilismus ersetzte, kann man auch noch die sich in Lichtgeschwindigkeit vollziehende Entsorgung linker Wissenschaftskritik und des Internationalismus beobachten. Die Linke richtete sich also in Sterilität, Einsamkeit und moralischer Überlegenheit bzw. Appellen zu Hause ein. Der Staat, als ob es die marxistischen Debatten seit den 1970er Jahren nicht gegeben hätte, wurde zum neogramscianischen Schutzgarant des Überlebens gegen das böse, ja mensch möchte fast sagen, raffendes Kapital. So beobachtete die Linke (eine Differenzierung macht hier kaum Sinn) voller Empörung wie draußen Obdachlose vertrieben wurden, Menschen weiter arbeiten mussten, Jugendliche verprügelt oder in den Tod gejagt wurden und die Impfstoffe und ihre Patente, trotz der Hashtags nicht in Afrika ankamen bzw. die Patente nicht ausgesetzt wurden. „Es war einmal eine Zeit, in der die Linke und sämtliche Befreiungsbewegungen einer anderen Logik folgten. Es war eine Logik, die darin bestand, das Leben aufs Spiel zu setzen und zu riskieren, um das Leben zu gewinnen, gerade auch für diejenigen, die ihr Leben nicht einsetzen konnten. Die Trennung der Forderung nach Brot einerseits und Rosen andererseits war gerade keine Hier und Dort – Forderung. Brot und Rosen waren internationale Maxime!” (1)

  • Ob Covid-Pandemie oder Ukraine Krieg. Ob Transsexuellengesetz/Selbstbestimmung-Gesetz oder Aufhebung des §219a: Der Feminismus scheint um sich zu greifen. Verantwortung, Werte, Gleichstellung und Entkriminalisierung. Keine Emanzipation, keine Revolution, aber dennoch Fortschritt hört man aus linken Kreisen unken. Welch ein Hohn für uns als Kompliz*innen und Betroffene, die sehen, wie das globale Patriarchat mit Händen und Füßen die eigene Position im Kapitalismus verteidigt und absichern will: Feminizid, systematische Ermordung von und Angriff auf queere Menschen und sexuelle Dissident*innen sind das extremste Resultat. Statt Staatsappellen und mehr Sicherheit wollen wir raus aus der Opferrolle. Wie wir sagten: Wir sind brutale Feminist*innen und passen aufeinander auf.

  • Für uns sind weder Baerbock, Ricarda Lang, noch Luisa Neubauer oder Katrin Henneberger Feminist*innen. Sie sind Männer, die den patriarchalen Kapitalismus feminisieren. Grausamer machen durch sein Lächeln. Wo der patriarchale Kapitalismus vorher den dumpfen Schmerz der Faust hinterließ, hinterlässt er heute ein masochistisches Gefühl der Zufriedenheit. Sie arbeiten fleißig am „Grünen Faschismus“ mit, ob nun bewusst oder unbewusst. Sie sind Vertreterinnen ihrer Klasse. Das, was einmal landläufig als zu adressierende fortschrittliche Zivilgesellschaft bezeichnet wurde, ist heute Träger der kapitalistischen Zukunft.

  • Kriege sind nichts Neues. Neu ist, dass fast alle Gefallen an der militärischen Logik von Sieg und Niederlage entwickelt haben. Nach der großen Aufregung im Frühjahr aber ist der Zynismus zurückgekehrt. Kaum jemand hat Interesse, den Krieg in der Ukraine zu beenden: Von den Herrschenden in Russland über Deutschland bis in die USA. Dies sollte jedem, der noch ein paar Gehirnwindungen erübrigen kann, klar sein. Aber selbst in der Linken scheint es kaum jene zu geben, die noch Lust haben zu denken: Die DKP hat kein Interesse, weil sie sonst aus ihrem schönen Traum aufwachen müsste, dass die Sowjetunion bzw. die Blockkonfrontation der vor 90er Jahre, nicht mehr existiert. Teile der radikalen Linken und des anarchistischen Milieus brauchen den Krieg in der Ukraine, um wahlweise über die Forderung nach Waffenlieferungen ihre Heimkehr in den Schoß der Nation vorzubereiten, oder um erneut in die Rosarote Corona-Welt aus Watte einzutauchen, in der klar war, was zu tun ist, wer böse und wer gut war und in der man nichts tun musste, ja sogar dazu aufgefordert war Nichts zu tun. Stattdessen meinen wir, dass den Gefährt*innen und Genoss*innen in der Ukraine zu helfen, egal ob sie eine Waffe, Lebensmittel oder ein Medikit in der Hand haben, nicht bedeutet, sich in die imperiale Neuordnung der Welt einzufügen.

  • Aus aktuellem Anlass kommen wir nicht umhin, unsere Verbundenheit mit den kämpfenden Freund*innen in Rojava auszudrücken, die seit jeher von aller Welt verlassen für eine gerechtere Welt kämpfen und einmal mehr ihren Weg – trotz aller Unerschütterlichkeit – alleine gegen den türkischen Imperialismus und ISIS gehen müssen. Es mag fast zynisch klingen, doch eure Existenz, euer Kampf, bedeutet uns viel und inspiriert uns. Wir werden euch nach dem besten unserer Möglichkeiten unterstützen; in dem Wissen, dass die besten unserer Möglichkeiten nicht reichen. Diese Inspiration erklärt auch, warum sich viele junge Menschen auf der Welt zu euch aufmachen. Voller Respekt sehen wir diese Entscheidungen als Ausdruck der Kraft, die in euren Ideen liegen. Gleichzeitig ruft es uns schmerzlich den Zustand der radikalen Linken in Deutschland in Erinnerung, wenn junge, tatenfreudige Menschen mehr Sinnhaftigkeit und Perspektive darin sehen, in einem anderen Land dem bewaffneten Kampf beizutreten anstatt hierzulande zu kämpfen.

  • All die ach so strategischen Debatten, in denen derjenige Königin* oder König ist, der besonders viele Ambivalenzen, Probleme, Herausforderungen und Fallstricke sieht, der/die/das mit „sowohl als auch“ das Bullshit-Bingo gewinnt, zeugen unserer Meinung nach nur von einer perfektionierten Selbstablenkung vom eigentlichen Problem: Es liegt alles auf dem Tisch, es kommt darauf an die Wirklichkeit in seiner Radikalität anzunehmen und zu handeln.

  • Dieses Schweinesystem muss weg. Es geht nicht mehr um Fortschritt (ob bürgerlich oder kommunistisch), nicht mehr darum, die Weichen für eine gerechte Zukunft zu stellen. Es geht darum den Fortschritt aufzuhalten, die Gleise zu sprengen: Nicht mehr mitzumachen in diesem System. Weder bei revolutionärer Realpolitik, noch beim Landkommunen-Hippie-Sein oder dem Mehrheitstrott. Denn wir leben in Zeiten in denen wir Abends einschlafen und am nächsten Morgen bereits erneut irgendwo auf der Welt eine Regierung gestürzt sein könnte. Dass diese Aufstände bisher nicht zu Revolutionen geworden sind, heißt nicht, dass sie dies nicht noch werden können, genauso heißt dies aber auch, dass sie vielleicht nie zu Revolutionen werden. Es geht darum, sich in unseren Breitengraden die globale Situation bewusst zu machen, sich mit den Aufständen in Beziehung zu setzen, nicht als Riotporn, sondern als das unmittelbar Eigene, das Eigene, weil globale Potential, theoretisch und praktisch. The future is still unwritten.

  • Die Revolution ist notwendiger denn je, deswegen ist sie möglich. Und wo sie umso weiter weg scheint, ist es notwendiger denn je nicht von ihr zu lassen.

  • Wir wollen keine Wahl mehr haben, keine Freiheit, wenn es sich um die Wahlmöglichkeiten und die Freiheit, die uns diese Gesellschaft anbietet, handelt. Die Wahlmöglichkeiten und die Freiheiten, die man uns anbietet, faulen von innen und sperren uns ein.

  • Wir wollen den Kommunismus leben und die Anarchie verbreiten. Eine notwendige, aber noch nicht hinreichende Bedingung dafür zu wissen, wohin uns die Reise führt.

Es geht darum, sich zu organisieren, einen Neuanfang zu wagen. Dabei geht es uns weniger um die nächste Organisation, die Struktur, Ansprechbarkeit, Vermittlung und andere Schlagwörter aus dem Management bemüht, sondern darum, die Unversöhnlichkeit mit den bestehenden Verhältnissen in Theorie und Praxis zu organisieren und das jenseits alter Gewissheiten. Denn auch wenn es kalt ist im Land, die Feuer von Amon Dîn lodern in aller Welt. Wir wissen, dass auch andere Menschen in diese Richtung denken und handeln. Deswegen sind wir uns gewiss, dass sich unsere Wege früher oder später kreuzen werden. Wir sind eine Fraktion, vielleicht sogar nur ein Splitter, ohne Programm und Fahne, wir sind eine Imagination, die sich versucht zu materialisieren. Gegen alle Widerstände, auch die Eigenen.

Menschen und Zusammenhänge aus Wuppertal, Münster, Berlin, Düsseldorf, Bielefeld, Frankfurt

Fußnote:

  1. https://bubishi.noblogs.org/zwischen-katastrophenbesoffenheit-und-nacktem-leben-nihilismus/