Rückmeldung von den Straßen: Der „Konvoi der Freiheit“ (Frankreich)

Einige Freund*innen von Lundi Matin haben sich am vergangenen Donnerstag spontan dem „Konvoi der Freiheit“ angeschlossen. In dem folgenden Bericht schildern sie ihre kontrastreichen Eindrücke von ihren unerwarteten Reisen. Die eine führte von Toulouse nach Brüssel, die andere von Rennes nach Paris. Der Konvoi knüpfte auf allen Routen an den entschlossenen Sinn des Teilens und für die Straße an, der den Gilets Jaunes eigen ist, und verkörperte darüber hinaus die aktuellen Kämpfe gegen den im Alltag verankerten Gebrauch des Impfpasses, die beschleunigte Inflation und die Regierung. Vor allem aber erfährt man aus den folgenden Zeilen, dass der Konvoi aus sich selbst heraus erstaunlichen Elan und Inbrunst entfachte (einige dachten, sie könnten ganz Paris mehrere Tage lang blockieren), gleichzeitig aber auch an erhebliche Grenzen gestoßen ist. (Vorwort Lundi Matin)

Reisetagebücher von der blauen (westlicher Konvoi) und grünen (südwestlicher Konvoi) Route

Einige von uns waren von Donnerstag bis Montag mit dem „Konvoi der Freiheit“ unterwegs. Hier folgt nun aus erster Hand ein mehrstimmiger Bericht über diesen einzigartigen Roadtrip. Die Reise bis nach Paris, und für einige aus unserer Gruppe sogar bis nach Brüssel, erfüllte uns sowohl mit Zweifel als auch mit Begeisterung. Mehrere intensive Tage auf den Straßen, stundenlange, verwirrende Gespräche, Einheimische, die ihre Häuser öffnen – oder Tanzlokale! – und den Konvoi mit einem Bankett auf Parkplätzen begrüßen, um schließlich an einem Samstagnachmittag unter Tränengasschwaden die Champs-Elysées rauf und runter zu fahren und sich am Ende der Reise in Brüssel zu verlieren. All das erinnert offensichtlich an die Anfangszeit der GiletsJaunes, doch nach zwei Jahren Pandemie steht die politische Landschaft auf dem Kopf, und diese wenigen Tage führten uns diese Tatsache bildhaft vor Augen.

Wir waren in eine Organisierung eingetaucht, die uns nicht nur völlig überforderte, sondern auch unsere Orientierungspunkte erschüttern sollte, insbesondere die uns vertrauten politischen Rechts-Links-Schemata. Wir hätten niemals erwartet, dass die nebulösen Facebook-Gruppen, Influencer und lokalen Kollektive der Anti-Green- Pass-Bewegung in der Lage wären, innerhalb einer Woche die Mobilisierung, Versorgung und Unterbringung von acht motorisierten Konvois zu organisieren, mit dem Versuch, die Hauptstädte Paris und Brüssel zu stürmen. Seit dem Spätsommer sind wir nicht mehr zu Demos gegangen, einige aus Überdruss, weil diese nichts erreichten, andere aus Unsicherheit und wegen der mehr oder weniger versteckten Präsenz der extremen Rechten. Wir kamen also teilweise mit großem Misstrauen zu einer mehrheitlich weißen Bewegung, die in Kanada von Trump und Elon Musk unterstützt wird und in einigen Fällen offen faschistische Symbole zeigt und hielten nach feindlichen Symbolen und Bezeichnungen Ausschau, wie das der Organisatoren des Konvois, die die mulmige Entscheidung getroffen haben, den Namen eines islamfeindlichen kanadischen Kollektivs, La Meute [1], zu übernehmen. Und doch handelt es sich hierbei nicht um eine rechtsextreme „Unterwanderung“ [2], sondern vielmehr um eine Neukonfiguration der Koordinaten des politischen Konflikts.

Es gibt ein offensichtlich geteiltes Vorhaben mit den anderen Beteiligten des Konvois, die Überzeugung darüber, dass etwas Wichtiges passiert – wie jedes Mal, wenn diejenigen, die man mit Kommunikation und Schlagstöcken steuert, es schaffen sich zu versammeln, um zurückzuschlagen. Es war leicht zu verstehen, warum wir froh waren müde zu sein und über Kilometer hinweg gemeinsam Sandwiches zu essen: Denn keineswegs sorgen sich die Gesundheitsmaßnahmen vorrangig um unsere Gesundheit und ein würdiges Leben beschränkt sich nicht auf eine eindimensionale Kurve. Vielmehr wollen wir die Mächtigen daran hindern, ihre Kontroll- und Ausbeutungsinstrumente im Namen einer Erpressung zur Solidarität, die ihnen scheißegal ist, weiter auszubauen [3]. Doch plötzlich tat sich auch ein Abgrund auf, als jemand vom „geronnenen Blut der Geimpften“ sprach und eine andere vom „Völkermord“, der im Gange sei. Unsere eingeschränkten Ansichten überschnitten sich nur partiell und manchmal hatten wir das Gefühl mit unserer wirtschaftlichen Analyse der aktuellen Lage noch Teile des 20. Jahrhundert auf unseren Schultern zu tragen, während wir mit Menschen konfrontiert waren, von denen viele in erster Linie nur aus Protest gegen die Impfung da waren. Es wäre absurd die Forderungen in gute (antikapitalistische) und in schlechte (verschwörungstheoretische) aufteilen zu wollen, wo uns am gerade meisten in dieser Bewegung die Überzeugung irritiert hat, eine Wahrheit zu besitzen, die ebenso „wissenschaftlich“ und unbestreitbar sei wie die der Regierung.

Hier nun also zwei Berichte über diese beeindruckenden Tage. Die Reise war definitiv viel verrückter als ihre sie verfestigenden Momente, auch wenn es jedem gut tut drei Jahre nach den Gilets Jaunes zu sehen, wie Fahrer in schrottreifen Kleinwagen die Räumpanzer auf den Champs verspotteten. Wir sind noch nicht am Ende unserer Überlegungen angelangt und behaupten weder, dass wir verstanden hätten, was sich da abspielte, noch dass wir aufgrund dessen irgendeinen Weg bestimmen könnten: Aber es ist erwiesen, dass sich etwas ereignet, und jeder, der vorgibt den realen Bewegungen, die auf die Körper einwirken und die Regierenden herausfordern, Aufmerksamkeit zu schenken, muss dabei sein.

I. DONNERSTAG, RENNES. AUFBRUCH

Seit einer Woche beobachte ich, wie die Facebook-Gruppe „Le Convoi de la liberté“ zusehends größer wird. Die Beiträge sind berührend und erinnern mich an die besten Zeiten der Gilets Jaunes. Viele schlagen dort vor ihre Türen zu öffnen, um die Teilnehmer der Konvois zu beherbergen, man grüßt, ermutigt und bedankt sich. Das Gefühl, dass etwas Wichtiges im Gange ist, bestätigt sich, als wir am Donnerstagabend auf die beiden bretonischen Konvois am Sammelpunkt in der Nähe von Rennes treffen. In alle Himmelsrichtungen parken Hunderte von Fahrzeugen und man kann darunter alle möglichen Modelle von Wohnmobilen und verschieden ausgestattete Lastwagen finden. Die Leute sind überwiegend guter Dinge und voll aufrechter Freude darüber zusammen zu sein und sich wieder zu finden. Das Kommuniqué des Kollektivs „Grand Ouest“, das den Konvoi organisiert, wird am Mikrofon verlesen. Obwohl für uns nicht eindeutig ist, welche Positionen die Verfasser der Bekanntmachung vertreten, werden darin Positionen und Einsichten dargelegt, die wir größtenteils teilen. Hier ein Auszug:

„(…) Zwei Jahre lang habt ihr gelogen. Ihr, die Politiker, die Medien, die Fernsehstudioärzte, die Pseudo-Experten. Ihr habt ständig und absichtlich gelogen.

Hinsichtlich der Masken habt ihr gelogen.

Hinsichtlich der Ausgangsbeschränkungen habt ihr gelogen.

Bezüglich der Gefährlichkeit des Virus habt ihr gelogen.

Bezüglich des Zustand der Krankenhäuser habt ihr gelogen.

Bezüglich des Impfpasses habt ihr gelogen.

Hinsichtlich der Wirksamkeit des Impfstoffs habt ihr gelogen.

Hinsichtlich seiner Nebenwirkungen habt ihr gelogen.

Hinsichtlich der Impfpflicht habt ihr gelogen.

Was die Impfung von Kindern anbelangt habt ihr gelogen.

Worüber habt ihr noch gelogen und worüber werdet ihr zukünftig noch lügen?

Nach zwei Jahren haben wir jetzt die Daten, haben wir die Zahlen, nicht die von „Verschwörungswebseiten“, nein, die von Euch, die von den offiziellen Seiten. Wir haben Berichte, analysierbare Statistiken. Wir haben jetzt einen Überblick.

Jetzt, nach zwei Jahren, können wir ohne Nachsicht die katastrophale Verwaltung sehen, die von unseren sogenannten Eliten mit Sturheit betrieben wird.

Jetzt sind wir uns über die außerordentliche Manipulation im Klaren, über diese kollektive Hypnose, die ihr gebraucht habt, um Eure Irrwege, Eure Inkompetenz und Eure Korruption zu kaschieren.

Jetzt sehen wir, welche Gesellschaft ihr für Eure kommende Welt aufbauen wollt.

Wir sind hier, um Euch klar zu sagen: NEIN, so nicht!

Wir wollen nicht eure Welt für danach.

Wir wollen keine ständige Überwachung.

Wir wollen kein Krankenhaus, das mit Unterversorgung kämpft.

Wir wollen keinen QR-Code, der unser Leben bestimmt.

Wir wollen keine Welt, in der Pflichten wichtiger sind als unsere Rechte.

Wir wollen keine Welt, die aus Misstrauen, Argwohn und Hass besteht.

Wir wollen auch nicht in die vorherige Welt zurückkehren, in dieselbe Welt, die all dies ermöglicht hat. (…) „

Wer wäre angesichts der zahlreichen Kursänderungen, die wir durch die Gesundheitspolitik in den letzten zwei Jahren erleiden mussten, nicht damit einverstanden den Charakter der Regierung als einen mythomanischen zu bezeichnen? Die Gesundheitspolitik ist von einer starken affirmativen Überstürztheit bestimmt, die sich bis heute dadurch auszeichnet, dass die Regierung Einschränkungen so schnell aufhebt, wie sie sie verhängt. Die Verunsicherung, das Unbehagen und die Machtlosigkeit, die wir seit zwei Jahren empfinden, werden weitgehend geteilt. Wer hatte sich nicht gewundert, dass die Gilets Jaunes nicht schon früher mit dem rasanten Anstieg der Inflation und dem der Energiepreise wieder aufgetaucht sind? Wenn eine größere Protestbewegung auftauchten sollte, so musste sie zwangsläufig über den restriktiven Rahmen der Proteste gegen den Gesundheitspass hinausgehen. Und in ihrem Inneren musste sie in einem Durcheinander sowohl die Inflation, die Kaufkraft, den Ölpreis, die Einschränkungen der Freiheiten, die Infantilisierung der Regierungsreden usw. versammeln.

Was die Menschen in den Konvois vereint, ist einerseits der Überdruss an der Regierungspolitik – egal ob man für oder gegen den Impfstoff ist – und andererseits der tiefe Wunsch, aus der Isolation auszubrechen. Zwei Jahre Pandemie Management haben eine beträchtliche Politisierung zur Folge, die weitgehend durch die sozialen Medien strukturiert wurde. Heute offenbart die Bewegung, dass ihre Verbindungen bei weitem nicht nur virtuell sind.

Natürlich ist es nicht immer leicht zu bestimmen, welche Anspielungen in den Sichtweisen versteckt sind, und es ist keine leichte Aufgabe, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Wenn zum Beispiel einige Leute „Gerechtigkeit für unsere Toten“ fordern, welche Toten sind dann gemeint? Sind es die Toten, die durch das Virus, den Impfstoff oder die massive Komorbidität aufgrund des schlechten Lebenswandels und der ungesunden Ernährung, die der Kapitalismus in den letzten 50 Jahren hervorgebracht hat, verursacht wurden?

Trotz allem, als wir auf diesen Konvoi treffen, beschließen wir, uns auf das Abenteuer einzulassen. Was gibt es Besseres als einen spontanen Roadtrip, um sich auf Augenhöhe zu begegnen? Und was für ein Abenteuer!

II. DONNERSTAG UND FREITAG, GRÜNE STRECKE (TOULOUSER KONVOI)

New Age, Völkermord und Telegram

Am Donnerstagmorgen brechen einige von uns auf, um die Fahrer*innen des Toulouser Konvois zu treffen. Es erinnert stark an einen von den Gilets Jaunes besetzten Kreisverkehr: fast alle hupen und viele singen, während ein Team unter der Brücke einer Umgehungsstraße Sandwiches am laufenden Band zubereitet. Die Logistik ist beeindruckend und die Spenden stapeln sich in Plastiktüten. Schon bald fragt uns jemand, wie wir nach Paris kommen wollen, denn es gibt noch Plätze in einem eigens gecharterten Bus, der für bescheidene 30 Euro von Toulouse nach Brüssel und zurück fährt. Das Angebot ist unwiderstehlich und innerhalb einer Stunde haben alle, die es sich leisten können, ihren Alltag hinter sich gelassen, um sich dem Konvoi anzuschließen.

Das erste, was uns beeindruckte, war der ausgeprägte Organisationsgrad. Ausgehend von einer großen Facebook-Gruppe und den „Anti-Pass“- und „Anti-Vax“-Netzwerken bildeten sich Dutzende von Telegram-Gruppen, die sich um sämtliche logistischen Aspekte kümmern. Vorne im Bus diskutiert eine 50-jährige Frau von „RéInfo Covid Toulouse“ mit den anderen Organisator:innen von „Convoy France“ den Streckenverlauf. In diesem Moment wird uns klar, dass diese Gruppen seit Monaten miteinander diskutieren, gemeinsam demonstrieren, in Schulen Flyer verteilen und stetig größer werden (es gibt mittlerweile allein in Toulouse vier Réinfo-Gruppen).

Die erste Pause des Konvois in Cahors, wo wir mit fast tausend Menschen auf einem Parkplatz einen Imbiss teilen. Am Abend halten wir in Limoges, wo uns ein Sympathisant sein Tanzlokal am Straßenrand für die Nacht öffnet. Alle sind überwältigt von soviel Solidarität: Einige lachen, andere weinen vor Rührung. Viele sind davon überzeugt, dass sie die Reise ihres Lebens machen. Mit jeder weiteren Pause wird uns mehr bewusst, wie groß die Bewegung ist. Bis wir anfangen, selbst daran zu glauben: Was wäre, wenn wir den Élysée-Palast [4] erobern würden?

Der Weg ist lang und der Konvoi langsam, sodass wir reichlich Zeit zum Diskutieren haben. Viele Menschen sind in erster Linie über die Impfpflicht besorgt. Wir waren allerdings überrascht und verwirrt darüber, wie viele Menschen davon überzeugt sind, dass der Impfstoff ein Werkzeug für einen „Völkermords“ sei, mit dem vier Fünftel der Bevölkerung ausgerottet werden sollen. Wenn wir Fragen stellten, wurden wir auf einen Bezugsrahmen verwiesen, den wir kaum oder gar nicht kannten: der Corona-Ausschuss von Reiner Fuellmich, Rémi Monde [5], Bonsens.org, die Human Alliance [6] usf.

Wir lehnen die durch den Gesundheitspass verschleierte Impfpflicht sowie das umfassendere medizinisch-technokratische System, das uns beherrscht, ab. Wir teilen auch die Intuition, dass der Staat nicht über das Schicksal unserer Körper und Seelen, so wie er es macht, Gesetze erlassen sollte. Dennoch halten wir es für völlig abwegig, zu behaupten, dass der Impfstoff das Instrument für einen Völkermord sei. Zum einen, weil das Wort Völkermord eine präzise Bedeutung und eine Geschichte hat, die man die man nicht unterschlagen darf und zum anderen, weil es schwer vorstellbar ist, warum die westlichen Mächte zuerst ihre eigene Bevölkerung massakrieren sollten. Darüberhinaus haben wir nicht gesehen, dass geimpfte Menschen um uns herum „wie die Fliegen umgefallen“ wären. Unsere Argumente wurden von unseren Gesprächspartner:innen manchmal belächelt, sie erwiderten uns dann: „Keine Sorge, du bist einfach schlecht informiert“. Das ist entwaffnend und ärgerlich, denn den staatlichen Manipulationen und Lügen werden andere Zahlen und Worte gegenübergestellt, die genauso fragwürdig sind. Es scheint nur die „Aufgeweckten“ und die „Schlafenden“ zu geben. Diese Rhetorik hat uns zutiefst missfallen. Sie reduziert die Politik auf das sektiererische Teilen eines Glaubens, in dem man für oder gegen den Impfstoff ist. Dabei vertritt die Bewegung in ihren Praktiken und ihren Ambitionen auch eine andere Idee von Politik: das Teilen von Lebensbedingungen und die Entschlossenheit, diese zu verändern.

Wir hatten auch andere Diskussionen, die eher klassisch „politisch“ waren. Es ging in ihnen um das Verhältnis zur Polizei und zur Gewalt, da viele Fahrer:innen den Gendarmen zu winkten, während andere, die stärker von der Gilets Jaunes Bewegung geprägt waren, auf Krawall gebürstet waren. Die Allgegenwärtigkeit der französischen Flagge, dem wichtigsten Erkennungszeichen für die Zugehörigkeit zum Konvoi, brachte auch die Fragen zurück, die während der Gilets Jaunes gestellt wurden: Sollten wir uns das nationale Symbol wirklich wieder aneignen? Unsere Anarchistenherzen schlugen höher, als unsere Fahrerin über CB-Funk fragte, ob es nicht pensionierte Soldaten gäbe, die bereit wären, dem Konvoi mit ihren logistischen Fähigkeiten zu helfen. Wir diskutierten lange, sprachen über die arabischen Revolutionen und den in einem Wochenmagazin veröffentlichten offenen Brief, in dem rechtsextrem gesinnte Generäle zum Putsch aufriefen. Unsere Diskrepanzen waren deutlich und die Diskussionen manchmal hitzig, aber möglich, da wir im selben Bus saßen.

Ansonsten herrschte große Unklarheit. Zweifel waren stets in unseren Köpfen: Wo hielten sich Rechtsextremismus und Faschismus versteckt? Die meisten Menschen zuckten mit den Schultern, wenn man ihnen von Louis Fouchés‘ (ein öffenlichkeitssuchender „Antivax“-Arzt) nachgewiesenen Verbindungen zur Anti-Abtreibungs-Bewegung [7] erzählte. Sie waren skeptisch oder waren nicht auf dem Laufenden. Andere sprachen davon, sich der Protestdemo des souverainistischen Präsidentschaftskandidaten Florian Philippot am Pariser Denfert-Rochereau-Platz anzuschließen. Der Islam oder die Einwanderung waren kein Thema (im Gegenteil, für manche waren die Anschläge der letzten Jahre offensichtlich eine Inszenierung der Regierung) und auch über Antisemitismus wurde nicht geredet. Natürlich müsste man über die sich in den Vordergrund drängenden Gesichter von Convoy France oder La Meute vermehrt Nachforschungen anstellen, aber immer wenn wir uns umhörten, war es unmöglich, eine einheitliche politische Tendenz zu erkennen. Es gab Unterstützer vom komplotistischen, randständigen Politiker Asselineau, Leute in antikapitalistischen T-Shirts und viele Menschen, die weder an die Rechte noch an die Linke glaubten. Für viele war es die erste politische Bewegung, an der sie teilnahmen und sie waren anwesend, weil sie an Naturmedizin glauben oder sich weigern, den Befehlen der Regierung zu gehorchen.

Die Menschenmassen, die die Empfangskomitees bildeten, waren hauptsächlich weiß, recht alt, hatten unterschiedliche Berufe (darunter Landwirte, Feuerwehrleute, Lehrer*innen, Elektriker, Schauspieler*innen, ehemalige Soldaten, Angestellte, Köche und auch viele Arbeitslose, suspendierte Arbeitnehmer usw.) und ihre Körper waren verbraucht.

Unsere politischen Reflexe sind ungenügend, um diese Bewegung verstehen zu können. Sie lässt sich nicht in eine Genealogie von Kämpfen einordnen, außer in die der Gilets Jaunes. Dennoch klingen viele Ideen bei uns an: die Ablehnung von Parteien, der Zwangsimpfungen und der Kontrolltechnologien, die Kritik an den Medien, das Gefühl von Prekarität und Marginalität, der Wunsch nach Horizontalität etc.. Zum ersten Mal nach drei Jahren teilten wir mit Unbekannten unseren Schlafplatz, unser Essen und einen überschwänglichen Enthusiasmus, um diejenigen anzugreifen, die uns regieren.

III. FREITAG, BLAUE ROUTE (WESTLICHER KONVOI)

Der Konvoi hat seine eigene Dynamik, die jeden erblassen lassen würde, der versucht, ihn zu skizzieren, zu erfassen oder zu modellieren. Sein Prinzip ist, dass er mit jeder Etappe größer wird, um sich dann, immer länger werdend, durch die endlose Nacht zu schlängeln. Manchmal bietet ein eigentlich unbedeutender Hügel den kaum zu glaubenden Anblick einer unendlichen Parade von Warnblinkern. Manchmal verlängert ein unglücklicher Fehler beim Abbiegen die Route um mindestens eine Stunde; bis die lange Schlange wieder umgekehrt ist. In jedem Dorf, jedem Weiler und an jedem Kreisverkehr, den wir durchqueren, werden wir von Einheimischen angefeuert, die den Konvoi auf ihre Weise unterstützen, auch wenn sie sicherlich schon seit Stunden in der Kälte auf den ungewöhnlichen Schneckenzug warten. Die Müdigkeit, die sich langsam bemerkbar macht, ist plötzlich verflogen und wir erleben wieder aufgemuntert unser erstaunliches Abenteuer. Mit dem Soundtrack des Films „Convoy“ aus dem Jahr 1978 als Geräuschkulisse und den Gesprächen über den modernen CB-Funk (die Fernfahrer-App „Zello“) könnte man fast bis an das Ende der Welt reisen!

Auf der Landstraße D923 zwischen Le Mans und Chartres stellt sich jeder vor, wie eine Ankunft in Paris aussehen könnte. Ein Jeder mit seinen eigenen Fantasievorstellungen, denn wir sind auf der Fahrspur von einer der „Straßen der Freiheit“, wie die Kilometersteine bezeugen – welch ein Schicksal!

Es ist 22:30 Uhr, als wir in Chartres ankommen. Von Rennes aus haben wir 13 Stunden gebraucht, im Gegensatz zu den sonst üblichen 3 Stunden. Auch wenn es eine echte Tortur ist: Sie gerät durch den herzlichen Empfang, den wir dort erfahren, schnell in Vergessenheit. Jedes Fahrzeug in unserem 35 Kilometer langen Konvoi wird von einem Spalier von Menschen begrüßt, die pfeifen, singen, Feuerwerkskörper zünden, sich gegenseitig anfeuern und beglückwünschen.

Was sollte jetzt getan werden? Welche Entscheidung sollte man um 23 Uhr treffen, angesichts der offensichtlichen Planlosigkeit und der offenkundigen Verspätung des Konvois? Einige schlagen mutig eine Versammlung vor, trotz des Risikos, das es mit sich bringt, um diese Uhrzeit, bei diesem Grad an Aufregung und Müdigkeit eine Vollversammlung zu beginnen. Wider Erwarten gelingt nicht nur die Versammlung, sondern scheint die Wahrnehmung der Situation weitgehend die gleiche zu sein. Eine große Mehrheit möchte nach Paris fahren und um es zeitig dorthin zu schaffen, einigt man sich darauf, um 5 Uhr morgens loszufahren. Versuchen wir also Paris zu blockieren? – Ja, klar!

Mit dem Auto wäre das am Sinnvollsten, denn zu Fuß wären wir nicht viel mehr als ein paar Tausend, die sich bei mindestens vier geplanten Demonstrationen und gegenüber eingespielten Ordnungskräften in der Hauptstadt verlieren würden. Lasst uns also die Stadtautobahn blockieren! Drehen wir auf ihr ein paar Runden, während wir auf die anderen Konvois warten. Die groß angelegte, einen Tag vor Ankunft des Konvois angekündigte Medienkampagne der Regierung über patrouillierende Räumpanzer, der Ankündigung der Mobilisierung von 7200 Ordnungskräften, Abschleppwagen usw. scheint die Entschlossenheit der Konvoifahrer*innen nicht beeinträchtigt zu haben. Das ist erstaunlich. Ebenso erstaunlich ist die Tatsache, dass niemand in der Versammlung vorschlägt, sich der einen oder anderen Demonstration aufgrund seiner politischen Zugehörigkeit anzuschließen.

Diese Versammlung hat die Möglichkeit eine gemeinsame Entscheidung treffen zu können gezeigt, obwohl die Organisatoren von Convoy France ursprünglich beschlossen hatten, Paris zu umgehen und direkt nach Brüssel zu fahren, wobei sie jedoch daran festhielten, dass „jeder frei sei, das zu tun, was er will“.

Am nächsten Tag bricht der Konvoi in die eisige Nacht auf und fährt in Richtung Paris. Unsere Ankunft auf der Stadtautobahn ist aufsehenerregend und wird sehr schnell von den Brav-M-Motorradpolizeieinheiten gestoppt. An dieser Stelle gelingt uns letztlich die einzige erfolgreiche Blockadeaktion neben der über zwei Stunden dauernden Blockade der Porte de Saint Cloud. Leider wurde unser Konvoi aus dem Westen von den anderen Konvois nicht eingeholt und so löste sich dieser mit seinen Tausenden von Fahrzeugen in der Hauptstadt in Luft auf. Mit den bereits über Nacht am Stadtrand von Paris stationierten Konvois konnte keine taktische Koordination für eine konzertierte Aktion aufgebaut werden. Die Péripherie verschluckt die Fahrzeuge, die sich in der überwältigenden Normalität ihres Stroms verloren haben. Dabei waren wir wenige Minuten zuvor noch Tausende! Was bleibt uns noch zu tun? Die Mutigsten schlagen es wagemutig vor: die Avenue der Champs Élysées hochfahren!

IV. SAMSTAG, PARIS. DAS WIEDERSEHEN

Nachdem wir das Nachtlager von unserem Konvoi am Vorabend in Orléans verlassen und die Straßensperren, die den Zugang zur Hauptstadt kontrollierten, durchquert hatten, schlossen wir uns am Morgen der Demo der Gilets Jaunes am Place d’Italie an. Kurz darauf geht ein Gerücht auf dem Kreisverkehr um: Die Champs sind eingenommen! Der Platz ist jedoch von Polizisten umstellt, sodass es unmöglich ist, in einem gemeinsamen Demonstrationszug loszuziehen. Also nehmen wie die Metro.

Als wir um 14 Uhr auf den Champs ankommen, gehen wir sie Richtung Place de l’Étoile hinauf, um die ersten Fahrzeuge zu finden, die in der Mitte der Avenue parken. Die Ergriffenheit uns abermals in diesen Straßen wiederzufinden ist greifbar. Die Sonne brennt auf unseren Schädeln und wir halten unter den Passanten Ausschau nach unseren Freunden, während wir die Gesänge der Gilets Jaunes anstimmen.

Ich unterhalte mich mit einigen Autofahrern. Es sind die ersten aus St. Nazaire, dem Konvoi aus dem Westen. Obwohl wir von Polizeikräften umgeben sind, scheinen sie so glücklich und gelassen zu sein, dass ich es nicht glauben kann. Es scheint, als ob sie sich des Risikos nicht bewusst wären, dass sie bezüglich ihrer Führerscheine und ihrer Autos eingehen und im Hinblick auf die eventuell zu bezahlenden Bußgeldern. Oder vielleicht pfeifen sie einfach drauf, stehen über den Dingen. Andere kommen aus den Alpen der Hautes Provence, genauer gesagt aus Manosque. Es sind Fahrzeuge aus allen Konvois hier. Überall wird gehupt, ohne dass man weiß, ob es sich um verzweifelte Pariser oder wütende Konvoifahrer*innen handelt. Die Präfektur hatte wahrscheinlich entschieden durch ein fast beispielloses Aufgebot den Verkehr aufrecht zu halten und die Geschäfte offen zu lassen, wohl mit dem teilweise geglückten Ziel die Anwesenheit der Konvois zu verschleiern.

Was für seltsame Szenen, in denen die Ordnungskräfte unterschiedslos Demonstranten und Touristen von den Champs zurückdrängen, auch auf die Gefahr hin einige schöne Geländewagen mit Tränengas einzunebeln, nur damit anschließend die Menge wieder die Avenue hochzieht, kurzzeitig Blockaden errichtet und befreundete Fahrzeuge wiederfindet, um sie dann erneut zu zerstreuen. Und das über Stunden. Bis ihre Brutalität schließlich die letzten Träger von Vuitton-Taschen nach Einbruch der Dunkelheit vertreibt.

Die Brav-M und die neue CRS 8-Einheit, die auf die Aufrechterhaltung der Ordnung bei Demonstrationen spezialisiert sind, besetzten die Champs massiv, und das angesichts einer relativ geringen Anzahl von Demonstranten, auch wenn ein Teil der verschiedenen Demonstrationszüge am Ende des Tages doch noch zu uns gestoßen war. Sie schlagen Fensterscheiben ein und beschlagnahmen einige Autos aus dem Konvoi. Jemand schreit „Freiheit“ und wird angegriffen, ein anderer, sehr junger Mann, wird gewaltsam zu Boden gerissen und festgenommen. Insgesamt gab es nach Angaben der Präfektur 97 Festnahmen und 513 ausgestellte Strafzettel.

In dieser Atmosphäre ist es schon eine starke Leistung, an Ort und Stelle zu bleiben, weiter die Avenue hinauf und hinunter zu ziehen und den Verkehr zu stören. Die Entschlossenheit war groß, und wir spielten stundenlang Katz und Maus, ohne dass die Menschen aus den Konvois bestrebt gewesen wären, die Polizei oder Luxusgeschäfte direkt anzugreifen. Und trotz ihrer Brutalität gelang es der Polizei erst um 21 Uhr, nachdem die Luxusgeschäfte geschlossen hatten und der Anteil der Polizeikräfte die Anzahl der Demonstranten und Touristen erreicht hatte, die Champs zu räumen.

Was aus taktischer Sicht bleibt ist, dass die bloße Androhung einer durch Autos erzwungenen Blockade die Machthaber hat erzittern lassen und sie sich mittels einer intensiven Kommunikation am Vortag, etlichen Straßensperren und Umleitungen bemühten, die vollständige Lähmung von Paris zu verhindern. Um die Blockierer zu blockieren musste die Präfektur die Stadt selbst blockieren, denn es war sehr schwierig für sie, zwischen Demonstranten und eigentlich Unbeteiligten zu unterscheiden. Und nichtsdestotrotz gelangten einige mit ihren Autos auf die Champs. Wir merken uns also das Potential von diesen Straßenblockaden, auch wenn sie weitaus effektiver hätten sein können.

V. BRÜSSEL: DIE STAMPEDE

Sonntag

Nach einem durchwachsenen Tag in Paris werden viele Menschen bei „Einheimischen“ aufgenommen, um dort die Nacht zu verbringen. Am nächsten Tag setzt der Konvoi seine Reise fort und fährt fortan nur noch über die Nationalstraßen. Wir treffen ihn in einem Vorort von Lille, in Faches-Thumesnil, auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums. Die Stimmung ist die gleiche wie bei den anderen Stopps des Konvois: Pyros, Feuerwerk, Spaliere von Menschen für die eintreffenden PKWs, Kleintransporter, Lastwagen und Wohnmobile, Gesänge, Fahnen und ausreichende Verpflegung. Über das Mikrofon hören wir, dass der Gemeindebürgermeister von France Insoumise anbietet, eine Halle zu öffnen, um die Kovoyfahrer*innen über Nacht zu beherbergen.

Es ist die Rede davon, eine Versammlung abzuhalten, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Doch anstelle einer Versammlung schließt ein „ziviler Mediator“ ein Mikrofon an einen Lautsprecher und organisiert die Wortmeldungen: Zunächst einige Berichte über das Geschehene, dann eine Scheindiskussion über das weitere Vorgehen. Soll man nach Brüssel fahren oder nicht und wenn ja, wann?

Einige Personen, darunter insbesondere zwei von Convoy France, schlagen vor, nach Straßburg zu fahren, da dort in der kommenden Woche die Abgeordneten tagen würden. Sie berichten sogar von einem Treffen mit den Abgeordneten am nächsten Dienstag. Man erfährt von ihnen auch, dass die Konvois aus anderen Ländern nicht ankommen würden und die erhoffte Konvergenz wahrscheinlich ein Flop wird. Aber einige Kilometer vor Belgien und nachdem sie einen Großteil Frankreichs durchquert haben, will die große Mehrheit nichts davon wissen und skandiert „Brüssel, Brüssel, Brüssel!“ sowie „diese Nacht, diese Nacht!“. Die Option „Straßburg“ gewinnt nicht die Oberhand und die Entscheidung scheint gefallen zu sein, die Grenze zu überqueren, um sich der belgischen Hauptstadt zu nähern. Convoy France veröffentlicht dennoch eine Bekanntmachung, in der dazu aufgerufen wird sich in Straßburg zusammenzufinden und in der gleichzeitig steht, dass „die Freiheit eines jeden Einzelnen“ respektiert wird.

Wir machen uns also völlig unorganisiert auf den Weg zum letzten Pausen- und Versorgungspunkt, diesmal in Belgien, am Rand der Autobahn. Als wir in Faches-Thumesnil losfahren, verteilen zwei französische Polizisten an der Ausfahrt des Parkplatzes Flugblätter, die von der belgischen Polizei an diese geschickt wurden. Es ist tatsächlich das erste Mal, dass wir ein Flugblatt von der Polizei erhalten. Sie „raten“ uns davon ab, an der Demonstration und der Blockade am nächsten Tag teilzunehmen, verweisen aber auf einen Parkplatz sieben Kilometer vom Brüsseler Zentrum entfernt, wo wir „geduldet“ werden würden.

Obwohl wir uns der schicksalhaften Stunde einer angeblichen „Grenzschließung“ nähern, begegnen wir auf dem Weg dorthin keinem anderen Polizisten. Ein neuer Parkplatz, Feuertonnen- und Paletten-Atmosphäre, Pfefferminztee und angeregte Diskussionen. Ein Polizeihubschrauber fliegt über uns hinweg. Wir wissen immer noch nicht, was am nächsten Tag passieren wird, aber wir sind glücklich, zusammen zu sein.

Montag

Wir schalten „Zello“ ein. Die Informationen sprudeln nur so heraus, aber nichts ist klar. Schließlich folgen wir einem vagen Aufruf und treffen uns auf dem Parlamentsplatz, in einem Viertel, in dem mehrere europäische Institutionen ihren Sitz haben. Bei unserer Ankunft ist der Platz fast leer, nur ein paar Polizeiwagen sind zu sehen. Auf den Gehwegen treffen wir auf Gesichter, die wir schon einmal gesehen haben. Ein paar hundert Menschen schaffen es irgendwie sich zusammenzuschließen, aber die Menge ist eindeutig unmotiviert. Nach mehreren vergeblichen und von frustrierten Seufzern begleiteten Versuchen, den Platz als Gruppe zu verlassen, beschließen wir, wie viele andere auch, die Sache hier zu beenden.

Der Tag hinterlässt einen bitteren Beigeschmack: Mehrere Tage lang durch Frankreich gereist zu sein, um dann im entscheidenden Moment unfähig zu sein, sich zu versammeln. Wie kann man den Grund für dieses Scheitern erklären? Gab es letztlich kein wirkliches Ziel? Brüssel blockieren, die europäischen Institutionen blockieren? Haben die Vorschläge von Convoy France die Bewegung desorganisiert? War die Überfülle an Diskussionen in den unterschiedlichen Netzwerken verhängnisvoll? Hat das Polizeiaufgebot die Beteiligten in den Griff bekommen? Bevor man sich auf zweifelhafte Erklärungen stürzt (wie die, dass Rémi Monde ein Freimaurer sei), sollte man vielleicht auch den zu zahlenden Preis für eine derart schnelle Organisation über Netzwerke berücksichtigen, an der mehrere Gruppen beteiligt waren.

SCHLUSSFOLGERUNG

Eine beeindruckende Logistik, interessante Taktiken, die von einer besseren Koordination profitiert hätten, und eine relative Verwirrung um die Ziele, die zweifellos auf Meinungsverschiedenheiten und eine mangelnde Koordination auf der Zielgeraden zurückzuführen war. Zurück in unseren jeweiligen Heimatregionen fragen wir uns, ob diese Blitzaktion eine Fortsetzung erfahren kann. Wir können nicht glauben, dass es dabei bleibt: Die Entschlossenheit ist ungebrochen, ebenso wie der Wille, nach zwei schwierigen Jahren zurückzuschlagen. Es bleibt festzuhalten, dass uns diese Bewegung im wahrsten Sinne des Wortes aus einer gewissen Erstarrung in der aktuellen Situation herausgeholt hat.

Was die Medien oft als eine irrationale und verschwörungstheoretische Opposition gegen die Gesundheitspolitik anprangern, lässt sich nicht einfach auf eine Summe von mehr oder weniger zweifelhaften Meinungen und Überzeugungen reduzieren. Wer sich hierauf beschränkt, bleibt bei den sozialen Medien, der Politik des Bildschirms und der Tastatur, den Fake News und ihren dazugehörigen professionellen Entlarvern stehen. Was übrigens die Meinungen betrifft, so erschienen uns Faschisten und Rechtsextreme in der französischen Version des Konvois (im Gegensatz zu Deutschland oder Kanada) in der Minderheit, was nicht bedeutet, dass sie nicht vorhanden sind oder dass man sich mit ihnen abfinden muss. Man kann die Analysen zu diesen Fragen endlos verfeinern, aber der Konvoi hat trotz seiner inhärenten Grenzen etwas anderes realisiert: Er hat Bewegung erzeugt, Begegnungen, Diskussionen und einen gemeinsamen Einsatz von Menschen aus relativ unterschiedlichen sozialen Bereichen in einer Lage ermöglicht, die seit zwei Jahren eingefroren war. Kurzum, all das, was wir verstärken und ausweiten müssen, wenn wir uns glanzvoll aus der Affäre der trübsinnigen Präsidentschaftswahl und der kommenden Zeit ziehen wollen.

Fußnoten

[1] La Meute OBT, sind neben Convoy France die Hauptorganisatoren der Bewegung und unterstützen die Blockade der Hauptstadt. Ihr fragwürdiges Logo, ein in die Höhe springender Wolf in den Farben Frankreichs, hat uns nachdenklich stimmen lassen. (Sie verteidigen sich auf Telegram gegen jegliche Zugehörigkeit zu kanadischen Rassisten). Es handelt sich bei ihr um eine von Rémi Monde organisierte Gruppe, die beispielsweise eine versuchte Vereinnahmung durch den Berufspolitiker Philippot im Namen einer „politischen Neutralität“ zurückgewiesen hat.

[2] Wir haben keine Flagge, kein Logo, keine virtuelle oder reale Gruppe gesehen, die sich explizit zu einer identitären Ideologie bekennt. (Nach unseren Recherchen ist der „Bloc lorrain“, dem wir in Paris begegnet sind, trotz des unglücklichen Namens in Wirklichkeit eine selbsternannte anarchistische und antikapitalistische Gruppe). Hingegen stießen wir auf eine Vielzahl von Bezugnahmen, Einzelpersonen oder Medien, die der sogenannten „Verschwörungssphäre“ angehören. Auf diese werden wir zu einem späteren Zeitpunkt noch eingehen.

[3] Siehe hierzu die in einem offenen Brief von Convoy France an Emmanuel Macron enthaltenen Forderungen, die wir für durchaus sinnvoll, wenn auch nicht für ausreichend halten: Ende des Ausnahmezustands, Ende der berufsspezifischen Impfpflicht und unabhängige Untersuchungen über den Umgang der Regierung mit der Pandemie, Wiederanstellung von während der Pandemie entlassenen Pflegekräften, Aufhebung des „nationalen Sicherheitsgesetzes“ und die demokratische Kontrolle der digitalen Identität.

[4] Die Bewegung scheiterte teilweise an ihren taktischen Zielen: einerseits weil die Konvois ihre Ankunft nicht koordinieren konnten und so ihre mehreren tausend Fahrzeuge von der Hauptstadt verschluckt wurden und, zweifellos, andererseits, weil die beiden wichtigsten Organisationsstrukturen, La Meute und Convoy France, sich über das Ziel der Operation nicht einig waren: La Meute sowie die meisten Konvoiteilnehmer*innen wollten Paris blockieren, Convoy France machten südlich vor Paris einen Picknickstopp in Fontainebleau, um anschließend nach Brüssel weiterzufahren. Schließlich machte dieser Konvoi eine Kehrtwende Richtung Straßburg, nachdem er erfuhr, dass es keine weiteren großen europäischen Konvois in Brüssel geben würde. Unsere Gruppe reiste hauptsächlich mit Leuten von Convoy France.

[5] Im Stile von den vor Jahren selbsternannten Gelbwestenanführer Éric Drouet, Priscilla Ludowsky oder Fly Rider ist Rémi Monde, der bereits eines der medienwirksamsten Gesichter der Anti-Gesundheitspass-Bewegung war, in den letzten Wochen zu einem der wichtigsten virtuellen Influencer des Freiheitskonvois geworden.

[6] Sie ist eindeutig mit Q-anon verbunden, deren Goodies wir auf Wohnmobilen, Kappen und Drohnen mehrmals gesehen haben. Siehe deren Website: www.ah2020.org

[7] Siehe Artikel auf lundimatin: https://lundi.am/Louis-Fouche-medecin-fasciste-malgre-lui

Anmerkungen der Redaktion von Sunzi Bingfa:

Dieser Artikel erschien am 21. Februar 2022 auf Lundi Matin und wurde von Gianfranco Pipistrello für diese Ausgabe vollständig übersetzt. Wir danken.