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Zwanzig weitere Anmerkungen zu den gegenwärtigen Konfliktualitäten und Perspektiven. (21-40) Der erste Teil des Post Covid Riot Prime Manifest findet sich u.a. hier, bzw. kann in gedruckter Form als Broschüre hier bestellt werden. Der Beitrag erschien zuerst in vier Teilen auf Non Copyriot. Im Beitrag findet ihr Post Covid Riot Prime Manifest – Next Level auch als PDF Datei (Online lesen und Print)
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Einundzwanzig: Die Imaginäre Partei muss aus dem Schatten treten und real werden. Darunter geht es nicht. Zu dem Faktor der Zeit, auf den wir schon im PCRPM 1 eingegangen sind, die Auslöschung der Welt, wie wir sie kennen, durch die Barbarei, die sich Zivilisation nennt, kommt jetzt die Zuspitzung des innerimperialistischen Krieges, der sich vorerst in der begrenzten Konfrontation in der Ukraine materialisiert, in sich aber die Tendenz und Möglichkeit der Ausweitung und Generalisierung trägt. In der Totalität des Krieges werden viele unserer Waffen aus den Aufständen der letzten 15 Jahre stumpf werden und da die Linke historisch gescheitert und sich im Begriff der Auflösung befindet (indem sie Teil der Macht wird oder gesellschaftlich bedeutungslose Sektiererei) existiert keine reale Kraft, die jenseits von Symbolik (Sabotage, Fahnenflucht, humanitäre Hilfe, hilflose, appellative [Massen]demos) Gegenmacht in dieser historischen Zuspitzung zu konstituieren in der Lage ist. Da der innerimperialistische Krieg, jenseits aller damit verbundenen Grausamkeiten, ganz konkret die Bedingungen der Klassenkampfes signifikant zu unseren Ungunsten verändert und den Horizont des Aufstandes verdeckt, müssen wir jetzt in eine neue Epoche eintreten, unabhängig davon zu wissen, wohin dieser Sprung führen wird. In den Abgrund oder in die Fähigkeit auf dem Niveau der konkreten historischen Situation agieren zu können.
“Die intensivsten Kämpfe unserer Zeit stehen an einem Abgrund und kehren dann um. Weiter zu gehen würde bedeuten, ins Unbekannte zu springen. Niemand will der erste sein, der springt, um zu sehen, ob er Neuland entdeckt oder sich einfach im freien Fall wiederfindet. Wir wissen noch nicht, wie schließlich eine Situation geschaffen wird, die jedes Umkehren unmöglich macht und in der die Bedingungen selbst schreien: ‘hic Rhodus, hic salta!’“ (1)
Zweiundzwanzig: “Für die europäische Bourgeoisie hingegen ist der Weg nach vorn derjenige der historischen Formierung eines jeden Staates: Neben dem Geld wird das Schwert benötigt. In diesem Sinne ist die Wiederbelebung des Projekts der „europäischen Verteidigung“ durch unsere Herren, und in der Zwischenzeit das der Atomkraft in ihrem neuen ideologischen Gewand der grünen Wirtschaft, in doppelter Hinsicht von Bedeutung: für die Energieversorgung des europäischen Kapitalismus und für die Aufrüstung.” (2)
Viele zeigten sich überrascht und irritiert, wie schnell und vor allem geschlossen die Reaktion des westlichen Imperialismus auf die Invasion Russlands in der Ukraine ausfiel. Bedingungen dieser unmittelbaren Reaktion war die strategische Bedeutung der Ukraine im erweiterten Zentrum Europas [im Gegensatz zu Tschetschenien oder Kasachstan, wo das von Russland angeführte Militärbündnis OVKS intervenierte, nachdem Proteste gegen steigenden Energiepreise innerhalb weniger Tage in allgemeine Riots und dann in einen Aufstand umschlugen, und das Regime, nach dem Überlaufen erster Polizei-und Militäreinheiten, nur durch diese Intervention zu retten war (3) und die Macht der Gelegenheit. Anders gesagt, so wie die Corona Pandemie ein zufällig gehobener Schatz für das Empire war, den historisch notwendigen Schritt in den permanenten Ausnahmezustand zu realisieren (die “grüne Governance” vor dem Hintergrund der Klima – und Verwertungskrise) und zugleich in einem Kriegsmanöver unter realen Bedingungen die Internierung und Disziplinierung eines Großteils der Weltbevölkerung zugleich zu simulieren wie durchzuführen und zu evaluieren, so schafft der Einmarsch Russlands die Bedingungen, die insbesondere der westeuropäische Imperialismus benötigt, um im Dreieck der Konkurrenz USA/Russland/China nicht nur wirtschaftlich mithalten zu können, sondern sich auch auch macht-und geopolitisch jenseits der atomaren Bewaffnung GB und Frankreichs als eigenständiges Machtzentrum auf Dauer behaupten zu können. Dafür ist die Aufrüstung der BRD eine unverzichtbare strategische Ressource, die dann ja auch von Scholz fast staatsstreichartig mit dem 100 Milliarden Konjunkturprogramm für die Bundeswehr (ohne Absprache mit den Regierungsfraktionen, die Tendenz zum Regieren per Dekret, faktisch oder de jure, wurde ja in der Maßnahmenpolitik der letzten 2 Jahre erfolgreich implantiert) umgesetzt wurde, “schicksalträchtig” unter stehenden Beifall des Bundestages, während nur wenige hundert Meter entfernt über 100.000 Menschen “für den Frieden”, aber nicht in Fundamentalopposition zu dieser (Kriegs)Politik demonstrierten.
Dreiundzwanzig: Alles ist im Fluss, dies betrifft auch grundsätzliche strategische Prognosen und Realitäten. Die Chancen, die sich daraus ergeben, müssen erkannt und genutzt werden. Sah es 2 Jahre lang so aus, als wenn der chinesische Staatskapitalismus im Gefolge der Corona Pandemie und der fast überall gewählten staatlichen Maßnahmenpolitik sich als führender Player in der weltweiten Konkurrenz etablieren würde, bricht dies alles innerhalb weniger Wochen mit dem verzweifelten Versuch, die Zero Covid Strategie um jeden Preis aufrechterhalten zu wollen, zusammen. Gegen den Kurswechsel prominenter Regierungsberater setzt die Parteiführung weiterhin auf die totale Eindämmung, riegelt komplette Millionenstädte ab, darunter das wirtschaftlich unverzichtbare Shanghai mit seinen 25 Mio Einwohnern im Großraum. Während die meisten Menschen einer vollkommenen Ausgangssperre unterliegen, die Zugangstore zu den Wohnblocks zugeschweißt werden, die Belegschaften strategischer Betrieben an ihren Arbeitsplätzen eingesperrt werden, bricht die Wirtschaftsleistung innerhalb von vier Wochen um über 3 Prozent ein. Massenhafte Suizide, verzweifelte Menschen auf der Suche nach Nahrung, da die staatliche Versorgung mit Lebensmittel nur unzureichend funktioniert, Hunderttausende in aus dem Boden gestampften Quarantänecamps Internierte, mittlerweile werden jeden Tag aus anderen Orten Revolten gegen die Abriegungsmaßnahmen und die wirtschaftliche Not gemeldet. Der Imperialismus ist ein Papiertiger. Auch der chinesische, dem unter Umständen seine umfassendste Delegitimierung seit 1989 bevorsteht. (4)
Vierundzwanzig: “Damit etwas kommt muss etwas gehen, die erste Gestalt der neuen Hoffnung ist die Furcht, die erste Erscheinung des Neuen der Schrecken” (Heiner Müller). Sprache, Herz, Syntax, Konditionierung, kollektives Unterbewusstsein, Neurose, Zwang, Herrschaft. Jedes Bemühen, eine aufständische Perspektive anzueignen kommt nicht an den Umprogrammierungen der letzten beiden Jahren vorbei. Freiheit heisst in diesem Sinne Dekodierung zu leisten. Sobald von notwendigen Opfern, Einschränkungen und Begrenzungen zum Zwecke der Allgemeinwohls und im Namen der Solidarität die Rede ist, handelt es sich um einen kriegerischen Akt zur Aufrechterhaltung der herrschenden, todgeweihten Ordnung. “Die soziale Frage, die in unseren Ohren so positiv klingt, weil sie in den letzten zwei Jahrhunderten von so vielen Reformern und Revolutionären, die sich törichterweise auf sie gestürzt haben, mit so vielen guten Absichten aufgeladen wurde, ist ein Manöver. Sie dient dazu, die Enteignung der Menschen von ihrer Welt zu verhüllen und die Vergewaltigung ihrer Einschreibung in die ihnen vertrauten Orte zuzulassen. Sie zielt darauf ab, Aliens zu produzieren, die man beliebig verlagern kann, deren Land man verwüsten und deren Lebensräume man vergiften kann. Und man kann sie in Fabriken produzieren. So entwurzelt, so isoliert, so geschwächt, wehren sie sich weniger dagegen, als unterschiedslose Materie ohne eigene Eigenschaften und Bestimmungen behandelt zu werden, als eine Art Knetmasse für die Regierungstechnik.” (5)
Es kann also um nicht weniger gehen, als sich in der jetzigen historischen Zuspitzung, die sich im Bermuda Dreieck zwischen Corona-Pandemie-Maßnahmen, Klimakatastrophe und (inner)imperialistischen Krieg abspielt, überhaupt wieder eine eigene Subjektivität zu erkämpfen, um eine antagonistische Front aufzubauen. Das heisst in der Übersetzung Kampf um jeden Meter Begrifflichkeit, auch und gerade gegen die falschen Freude aus der Linken, die in den letzten Jahrzehnten systematisch, unter diversen Vorwänden und Ausreden, die Selbstentwaffnung der revolutionären Kräfte betrieben haben. Wir stehen vor den Trümmern unserer Geschichte und in dieser Kulisse führen linke Hofnarren Tag für Tag ihre verstaubten Klassiker auf. Entweder werden wir Wir oder wir werden scheitern. In Schönheit, voller Hingabe und Liebe, mit Wut und Hunger im Bauch, aber scheiternd.
Fünfundzwanzig: Wir leben am Vorabend der Revolution. Wir wissen bloß nicht, wann sie kommen wird und ob sie siegreich sein wird. Aber alle Notwendigkeiten und Anzeichen drängen in Richtung eines generalisierten Aufstandes. Dies ist auch die Exegese der Niederschriften der Revolten der letzten Jahre, die sich häufig innerhalb weniger Tage und Wochen von diffusen Protesten zu allgemeinen Erhebungen transformiert haben und ihre eigentliche Begrenzung nicht in der Brutalität der Konterrevolution sondern in der nicht stattgefundenen Etablierung von Gegenmacht gefunden haben. Nicht reif für den Bürgerkrieg, örtlich begrenzt, idealisierend in ihrer Verhaftung des Commune Charakters gelang nicht der notwendige Sprung in die neue Qualität der Klassenauseinandersetzung. Aber selbst wenn dieser Sprung zukünftig gelingen wird, wir also real die vorrevolutionäre Qualität erfahren, mit allen Sinnen, stehen wir vor dem Dilemma wie sich diese neue Qualität ausdrückt, ihre Form findet. Historisch gibt es wenig, worauf wir zurückgreifen können, so radikal haben sich die Realitäten verändert. Umso dringender braucht es den Austausch, den Diskurs zwischen den Aufständischen, die neue Internationale wird sich in einer Ausprägung neu erfinden müssen, die kaum etwas mit dem zu tun haben wird, was wir kennen oder zu verstehen glauben.
Vor allem heißt es aber Zuversicht zu streuen, die zeitgemäße Agenda der Counterinsurgencystrategen heißt Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit. Reden wir also von der Reife der Zeit. (6) Auch in unseren dunkelsten Nächten.
Sechsundzwanzig: Die Reife der Zeit, greifen wir dies auf. Das Empire ist am Ende, es hat nur noch Elendsverwaltung zu bieten. Elend diverser Prägungen, für große Teile des Weltproletariats, für das Surplus Proletariat, nur noch elende Verwertung ohne Aussicht auf ökonomische Teilhabe jenseits des nackten Überlebens, in der Gleichförmigkeit der weltweiten künstliche Lebensrealitäten gibt es nur noch Schattierungen, Grautöne, in denen der Gesang der Vögel so irritierend werden wird, dass es irgendwann keine Rolle mehr spielen wird, ob es nur noch vom Band stammen wird oder nicht. Die Konditionierungen der letzten zwei Jahre lassen Rückschlüsse zu auf das was noch auf uns zukommen wird, alles ist denk -und sagbar geworden. Aber! Ja, aber! Das Empire steht am Rande des Abgrunds. Es gibt kein Projekt, keine imperialen Zukünftigkeiten mehr, für die sich zu leben und zu kämpfen lohnt. Die Verlagerung der Akteure auf dem Schlachtfeld hin zu den Vorzügen einer KI wird sogar die Generalitäten obsolet machen. (Der Krieg in der Ukraine, die “Erfolge” der ukrainischen Seite fußen nicht zufällig auf den massiven Einsatz von ‘intelligenter Militärtechnik’, Drohen schalten einen russischen Panzer, einen russischen Militärkonvoi nach dem anderen aus. Die russische Lufthoheit ist nichts wert angesichts einfach zu bedienender Lenkwaffensysteme, ein ganz wesentlicher Faktor ist das von Elon Musk bereitgestellte Starlink Satelliten System (7), die russische Seite hinkt mit ihren Wagner – und tschetschenischen Söldnern in der Privatisierung des Krieges um Jahrzehnte hinterher. Und natürlich hat Russland noch diverse Sondereinheiten und modernstes Kriegs Equipment in der Hinterhand, aber es ist weder bereit, dem Westen vorzuführen, zu was diese im großen Konflikt in der Lage wären, noch wird es sich in diesem begrenzten Konflikt, der unter keinen Umständen seine territoriale Integrität bedrohen wird, entblößen und diese Ressourcen zum Einsatz bringen).
Was bleibt ist also nur die wirre Version einer Zukünftigkeit, in der die Klimakrise, also das Ende der Welt wie wir sie kennen, verwaltet, die Ausbeutungsbedingungen, die dieses Ende herbeiführen, bis zum letzten Atemzug und mit allen Mitteln (und natürlich auch Krieg und Genozid!) verteidigt werden. Doch es gibt kein zu ersehnendes ‘Danach’ (8), die einzige imperiale Perspektive ist die der Transhumanität (9), die aufscheint und in der sich sogar die neurotischen Ängste der linken Kleinbürger mit ihren Wünschen nach ewiger Gesundheit wiederfinden. So oder so, jeder der in sich noch das letzte leise Seufzen seiner Seele zu vernehmen in der Lage ist, wird sich ohne Zweifel lieber für den Tod als für das Grauen der Transformation entscheiden. Deshalb und genau deshalb sollen wir alle nur noch Träger des nackten Lebens werden, dass zu verteidigen, zu behüten, uns angesichts dieser Zukünftigkeit völlig belanglos erscheint. Wir werden soylent green fressen, Tag für Tag und nichts wird uns daran anstößig erscheinen, wir werden uns sogar unserer angeborenen Ekel nicht mehr erinnern.
Aber! Aber, all dies wird nicht eintreten, weil Wir das verhindern werden. In Wahrheit sind ja nicht Wir es, die mit dem Rücken zur Wand stehen, sondern unsere Todfeinde, die Todfeinde der Menschheit. Schon im März 2020 schrieben die Gefährten vom ‘Wu Ming Kollektiv’ aus Italien, dass die Art und Weise, wie die Macht auf die Corona Pandemie reagiere, dafür sprechen würde, dass wir am Vorabend der Revolution leben. Der ganze Datenstrom, diese mediale Endlosschleife soll uns bloß die Augen verschleiern, uns den Blick auf den Horizont des generalisierten Aufstandes, der revolutionären Umwälzung verstellen. All dies ist gemeint, wenn wir von der Reife der Zeit sprechen, wir sitzen mitten im Lokschuppen, um uns herum die die Lokomotiven der Geschichte, wir müssen sie nur noch auf die Drehscheibe hinausfahren und sie in alle Richtungen in Bewegung setzen. Nicht mehr und nicht weniger. Die größte Leistung der Macht ist ohne Zweifel, dass sie uns von uns selbst entfremdet hat. Alle aufständischen Suchbewegungen der letzten 10, 20 Jahren trugen in sich das Merkmal, sich eine revolutionäre Identität anzueignen, die auf etwas anderes zugreift als die gescheiterte Erzählung der historischen Linken.
Siebenundzwanzig: Reden wir von den Bedingungen, die wir vorfinden. Reden wir von dem, was sich auf den ersten Blick als unsere Schwäche präsentiert, real aber die kommenden Kämpfe zu unseren Gunsten entscheiden wird. Reden wir von den Niederlagen, die im Rückblick unvermeidbar waren. Gehen wir dabei von der Reife der Zeit aus. Zwei mächtige Explosionen ereigneten sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Maschinenräumen der westlichen imperialistischen Macht in Europa innerhalb von nicht einmal 10 Jahren. Der Mai 68 in Frankreich, der von einer Studentenrevolte in eine proletarische Erhebung umschlug mit zahllosen wilden Streiks und Betriebsbesetzungen, an denen sich Millionen von Proleten beteiligten, wilden Kämpfen mit den Bullen, die dann mit Unterstützung der Gewerkschaften und der kommunistischen Partei, die zwischenzeitlich ein generelles Demonstrationsverbot forderte, niedergeschlagen wurden. Die 77er Revolte in Italien, Hunderttausende von Militanten auf den Straßen und teilweise im Untergrund, diverse bewaffnete Formationen, mit einer unglaublichen Verbreitung und Sympathie unter den proletarischen Schichten, besonders unter den aus dem Süden Italiens immigrierten Wanderarbeitern. Das Ende der Revolte auch hier nur möglich unter tätiger Mithilfe der kommunistischen Partei, die den ‘historischen Kompromiss’ als neue Generallinie ausrief. Wir verstehen, die Reife, oder Unreife der Zeit. Es gab objektiv keine Möglichkeit eine kämpfende Partei zu konstituieren, die auf der Höhe der Zeit zu agieren in der Lage war. (Die diversen Parteigründungen, bewaffnet oder unbewaffnet, waren eben genau dies nicht, eine kämpfende Partei auf der Höhe der Zeit. Erst mit der endgültigen Niederlage der historischen Linken ergibt sich nun die Möglichkeit diese kämpfende Partei zu konstituieren. Alle vorigen Versuche waren, weil sie verfangen waren in dem ideologischen und analytischen Konstrukt von 1917 ff, aufgrund der Unreife der Zeit zum Scheitern verurteilt. Es brauchte die endgültige Niederlage der historischen Linken, um dies zu verstehen. “Siegen wird der, der weiß, wann er kämpfen muss und wann nicht.” Sun Tzu
Achtundzwanzig: Sprechen wir von der Partei. Sprechen wir von der Unvermeidlichkeit kämpfende Partei zu werden. Es wäre Zeitverschwendung, mit den überkommenen Vorstellungen einer Partei aufzuräumen. Es hieße sich an etwas abzuarbeiten, was aus der Zeit gefallen ist. Alle die das Unsichtbare Komitee und Tiqqun gelesen haben, wissen, was wir meinen, wenn wir von der (imaginären) Partei sprechen. Alle die sich in den letzten 15 Jahren mit den realen weltweiten Revolten und Aufständen befasst haben, wissen um die Notwendigkeit dass diese imaginäre Partei aus dem Schatten tritt und zur kämpfenden Partei wird. Es gibt keinerlei reale Machtoption für uns, was den Idealisten unter uns Freude bereiten wird, aber in WIRKLICHKEIT und angesichts der Zeit, die uns noch geblieben ist, Grund zur Verzweiflung gibt. Eine Verzweiflung, die wir gerade begonnen haben hinter uns zu lassen. Es ist unvermeidlich, dass die Subjekte der Aufstände, und zwar diese und niemand anderes, den Sprung wagen in die kämpfende Partei. Die Viralität des Endgames des Empires die sich im Ukraine Krieg materialisiert, macht diesen nächsten Schritt konkret jetzt zur Notwendigkeit. Die neue Internationale wird diese kämpfende Partei sein. Sie generiert sich jenseits der Begrenzungen der gescheiterten Linken. Sie wird den Aufständischen gehören und nur diesen.
Neunundzwanzig: Das Ende der Geschichte ist die Geschichte vom Ende. Viele weigern sich sich das zu vergegenwärtigen, sie werden nicht umhin kommen, die Realitäten anzuerkennen. In ihren letzten Momenten, in ihrem letzten Atem, oder in ihrer neuen Existenz als Cyborg.
Dreißig: Also schreiben wir unsere Geschichte selbst. Und lassen wir es nicht zu dass noch einmal andere sich unsere Geschichte aneignen und zum Teil ihrer Erzählung machen. Die wichtigste Lehre aus den letzten 2 Jahren Pandemie Ausnahmezustand war es, dass die eigentliche Macht bei denen liegt, die über die Narrative herrschen. Es gab nur 1 und Null, dazwischen gab es nichts mehr. Nur ein leises Rauschen im Hintergrund, das manchmal ganz kurz auftauchte. Dieses Rauschen sind wir, dieses Rauschen erzählt unsere Geschichte. Lernen wir es dem Drang zu widerstehen, uns in irgendeiner Beziehung zu 1 oder Null zu setzen, gehen wir nicht in diese Falle. Wir werden uns verlieren.
“Die Triebkräfte der Gegenwart sind im Grunde genommen kindlicher Natur. Um sie vollständig zu begreifen, müssen wir nur nicht vergessen, was wir bereits wissen. Wir dürfen nicht auf Geständnisse der Regierenden warten, die unsere Wahrnehmungen bestätigen. Das Bedürfnis nach Beweisen ist unendlich. Es ist dazu bestimmt, nicht gestillt zu werden. Der Beweis für den Beweis fehlt immer und so weiter. Es ist ein Verhältnis zur Welt, das verschwindet, nicht eine Bitte an sie. Wie wir sehen werden, ist über diese Welt und ihre ‘Arkanität’ alles geschrieben. Es ist alles gesagt. Man muss nur an der richtigen Stelle suchen und es schaffen, daran zu glauben.
Die Schockwirkung, die Atemlosigkeit angesichts der gegnerischen Offensive, die angestrebte Wirkung des Terrors besteht darin, uns von allem, was wir genau wissen, abzuschneiden. Uns den roten Faden jeglicher Gewissheit verlieren zu lassen. Uns den Boden unter den Füßen verlieren zu lassen. Das ist der eigentliche Great Reset.” (10)
Ohne Zweifel stellt vieles von dem was wir an dieser Stelle vorschlagen, scheinbar unsere Welt der bisherigen Wahrnehmung und Begrifflichkeit auf den Kopf. Wir ALLE aber haben schon lange keinen wirklichen Begriff mehr davon, wie sehr unser Denken und Fühlen bereist manipuliert und kolonialisiert worden ist. Die Schock Strategie, mit der uns das Empire mit dem Corona Ausnahmezustand überfahren und eingesperrt hat wendet sich nun gegen das Empire selbst. Die Härte des Aufpralls hat unsere Bordcomputer durcheinander gebracht, mühsam manövrierten wir, auf uns selbst zurückgeworfen, uns ganz ohne die bekannten Routine Manöver durch den Nebel aus Angst und Einsamkeit. Viele sind mitten im Nebel aufgewacht. Viele stellen sich nur noch schlafend, aber sinnen mit jedem Atemzug auf Rache.
Einunddreißig: “Es geht nicht nur um die ebenfalls nicht zu vernachlässigende Tatsache, dass Kriege, wie Juristen und Politikwissenschaftler schon vor einiger Zeit festgestellt haben, nicht mehr formell erklärt werden und, in Polizeieinsätze umgewandelt, die Charakteristika annehmen, die üblicherweise Bürgerkriegen zugeschrieben wurden. Entscheidend ist heute, dass der Bürgerkrieg, indem er mit dem Ausnahmezustand eine Art Symbiose bildet, wie dieser in ein Herrschaftsinstrument verwandelt wird.” (11)
Wir sehen am “Großen Krieg” in der Ukraine wie Recht Agamben hat, die russische Führung hat die Invasion in der Ukraine als Operation zur „Entnazifizierung“ und „Entmilitarisierung“ deklariert. In dem absoluten Versagen der Linken eine Analyse der Intervention Russlands zu leisten manifestiert sich erneut ihr historisches Scheitern. Ihr überkommener Antiimperialismus lässt sie sich entweder auf die Seite Russlands zu schlagen (ein Verteidigungskrieg, eine Reaktion auf die Provokationen der NATO, etc.), auf die Seite der Ukraine (legitimer Widerstand der Ukraine, Unterstützung von “anarchistischen Selbstverteidigungseinheiten”, etc.) oder zur Schaffung einer “neuen Friedensbewegung” (als wenn das Elend der “alten Friedensbewegung” nicht schon schlimm genug gewesen wäre) aufzurufen, bzw. geht sie mit der Parole ‘no war but classwar’ hausieren, als wenn sie in irgendeiner Form diesen Klassenkrieg zu repräsentieren, geschweige denn zu organisieren in der Lage wäre. Im Kern ist es ja sie selber es gewesen, die die Befähigung zur Führung des sozialen Bürgerkrieges seit Jahrzehnten sabotiert hat, sodass der Bürgerkrieg heute nur noch als Machtoption des Empire existiert. Wir sehen, der Krieg in der Ukraine ist im Kern der Katalysator in dem Prozeß der Etablierung des permanenten Ausnahmezustandes mit dem die Macht die Wertschöpfungskette bis zum bitteren Ende verteidigen wird. Man könnte auch sagen, um auf die Thesen der sudanesischen Gefährt*innen zurückzukommen, das Empire steht am Abgrund und hat den Sprung gewagt, während alle Aufstände zögern.
Zweiunddreißig: “Von dieser Angewohnheit, dem Bürgerkrieg einen Anfang, ein Ende und einen beschränkten Raum zuzuweisen, das heißt in ihm eher eine Ausnahme vom normalen Lauf der Dinge zu sehen, als über die unendlichen Verwandlungen im Verlauf von Zeit und Raum nachzudenken, kann man sich erst lösen, wenn man das Manöver entlarvt, das sie verschleiert.” (12)
Um es auf die gegenwärtige Situation herunterzubrechen, den Krieg in der Ukraine kann man nicht begreifen, wenn man nicht den Pandemie Ausnahmezustand der letzten 2 Jahre als Manöver im Klassenkampf begreift, bzw. als Operation im sozialen Bürgerkrieg von oben. Begriffen haben dies von Anfang jene, die unmittelbar diesem Angriff ausgesetzt waren und eine ungeschönte Begrifflichkeit ihrer realen Situation haben, die Knackis, die Jugendlichen der Vororte und die Wanderarbeiter in Afrika und auf dem indischen Subkontinent. Anders gesagt, wenn wir von der Notwendigkeit sprechen, die Imaginäre Partei aus dem Schatten treten zu lassen und in eine Kämpfende Partei zu verwandeln, sprechen wir von dem unmittelbaren Bewusstsein über die eigene Situation im sozialen Bürgerkrieg, der sowieso geführt (von oben) wird, als dringendste Voraussetzung. Das heißt, wir müssen ausgehen von dem stattgefundenen Widerstand gegen den Pandemie Ausnahmezustand, und von nichts anderem, weil dies das Schlachtfeld in der aktuellen Formierung des Empire in den letzten beiden Jahren war und alle Zukünftigkeiten auf diesen Prozeß fußen.
Dreiunddreißig: Eine gescheiterte Linke kann sich, weil sie nur in der Lage ist, ihre erfolglosen Anläufe wieder und wieder zu reproduzieren, nichts anderes mehr vorstellen als zu unterliegen, bzw. selbst Teil der Macht zu werden. Ihre “Aktivisten” agieren heute noch als Bewegungsmanager um morgen Beraterfunktionen in den Institutionen zu bekleiden, die die Macht verkörpern oder ziehen gleich, wie im Fall Chile, selbst in die Präsidentenpaläste ein. So oder so, der linke Horizont kennt nur die geschichtliche Niederlage.
Aber: “Deserteure im Geiste gibt es überall. Es kommt darauf an, das soziale Eis zu brechen. Die Bedingungen für die Möglichkeit einer Kommunikation von Seele zu Seele zu schaffen. Es muss gelingen, eine Begegnung zu organisieren. Und so einen konspirativen Plan zu weben, der sich ausdehnt, verzweigt, komplexer und tiefgründiger wird…. Kühne Angriffe auf logische Ziele. Und die Gewissheit, dass wir das endlich siegreiche Leben sind.” (13)
Die Partei, die den Sprung wagen wird, ist im Entstehen begriffen, die letzten Jahren haben eine unglaubliche Ausweitung der Qualitäten der Aufstandsbewegungen gesehen. Von den brillant geplant und durchgeführten Car Lootings in den USA (14) über die tief in den proletarischen Vierteln verwurzelten Revolten in Chile und Kolumbien hin zu der massenhaften Kaperung rechter Proteste gegen die Pandemie Maßnahmen wie in den Niederlanden (15). Wenn wir uns versuchen vorzustellen, wie Optionen gegen den Krieg in der Ukraine aussehen könnten, müssen wir uns davon lösen, dass der Gegner das Schlachtfeld dieser Auseinandersetzung definieren darf. Wir schlagen da zu, wo es am wenigsten erwartet wird, unser Widerstand nimmt Formen an, die überraschend sind, unsere Allianzen sind neu, wild und gewagt. „Wiederholen Sie nicht die Taktik, die Ihnen einen Sieg beschert hat, sondern lassen Sie Ihre Methoden durch die unendlichen Umstände regulieren.“ – Sun Tzu
Vierunddreißig: Sich Verabschieden. Von allem. Gewissheiten. Sicherheiten. Normen. Regularien. Gewissen Vorstellungen. Falschen Freunden. Von allen Dünkeln. Vom Schmerz, der damit einhergeht, der aber Phantom bleibt, wenn wir etwas wagen. Wagen. Endlich etwas wagen. Atmen. Durchatmen. Fühlen. Leben. Der Tod ist sowieso gewiß. Kein Aber. Nie wieder.
Fünfunddreißig: Das Dringlichste. Austausch und Freundschaften. Im brennenden Haus, um erneut mit Agamben zu sprechen, bekommt alles Gesagte einen neuen Sinn, der dem der spricht, weder bewusst noch im Moment des Sprechens deutlich ist. Anders gesagt, wir erschaffen unsere eigenen Zukünftigkeiten. Wir erinnern uns an ein eigenes Genre, dem visionären Science Fiction, vielleicht kann dies hilfreich sein, sich überhaupt vorstellen zu können, dass es jenseits dem alles überlagernden Narrativ noch andere Wahrheiten gibt. Die genauso relativ sind, wie alle Wahrheiten, aber eben jenseits dieser einzigen universellen Wahrheit. Wir fragen uns, was eine Reise nach Solaris bei uns an Verdrängten und Unbewussten an die Oberfläche gespült hätte, wir fragen uns, was wir mit diesen Projektionen angefangen hätten. Wir stellen uns unserem Schatten, wir begegnen unser Angst. Wir begreifen die Dimension mit der wir manipuliert worden sind. Wir begreifen, dass wir für immer in Ohnmacht geworfen sind, wenn wir all dem alleine gegenübertreten. Wir werden reif für die Reife der Zeit und werden so in der Lage sein, uns einen Sieg überhaupt wieder vorstellen zu können. Denn dies ist ohne Zweifel die größte List unseres Gegners, uns einzureden wir seien nicht in der Lage wirklich frei zu sein. Denn was ist eine Revolution anderes, als die Verdinglichung unserer Sehnsüchte und unseres Begehrens nach Freiheit. Und wie lange haben wir uns schon mit seelischen Junk Food abspeisen lassen. “”reden wir dazu von uns, von unseren wunden, unserem hass, unserer freiheit. das ist unser blues. werden die brüder und schwestern schon hören und verstehen…” (16)
Sechsunddreißig: Es wird ein heißer Sommer. So oder so. Die Frage ist nur, wo und ob wir uns wiederfinden werden. Zwei Jahre voller Demütigungen, eingesperrt, überall Bullen und Militär, wir wurden mit Hubschrauber gejagt, als wir an der Atlantikküste frische Luft schnappen wollten, die Jugend wurde aus den Parks gejagt, sie haben auf uns geschossen, den Alten wurde nicht einmal gestattet, ein paar kluge Worte oder ein paar schöne Verse in einem Buch auf einer Parkbank zu lesen, der Tod fand uns einsam und trostlos vor, weil uns die Besuche, Küsse und haltende Hände verweigert wurden, in ihren Abschiebezentren für die Alten, wo man den Tod weggesperrt aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein. Wir konnten uns von unseren Toten nicht verabschieden, unseren Brüdern, Schwestern, Eltern, Freunden, Genossen, zu früh gegangen Kindern. Sie wurden verscharrt, wir hatten einander nicht, um uns zu küssen und zu umarmen, zu trösten. Sie haben uns unsere Würde gestohlen, das einzige was wir noch hatten in dieser kaputten Welt, die sie eingerichtet haben, um ihre Todesmaschine aus Verwertung und Krieg am Laufen zu halten. Millionen von Proletariern sind immer noch, während diese Zeilen entstehen, in ihren Hochhäusern in Shanghai und anderen Städten Chinas eingesperrt, die Tore zu diesen unmenschlichen Wohnmaschinen zugeschweisst, jede Nacht erklingen die verzweifelten Rufe nach Nahrung und Freiheit aus abertausenden Kehlen, während Drohen und Roboterhunde über allem schweben und durch die menschenleeren Straßen patrouillieren, die nur von den seelenlosen Dienern des Empires in ihren weißen Schutzanzügen bevölkert werden. Jetzt also “noch der Krieg”, der eigentlich schon die ganze Zeit tobt, nur dass dies sonst in den Peripherien der Verwertungsmetropolen geschieht. Wir aber haben die Belagerung von Aleppo nicht vergessen, die Fassbomben die gezielt auf Schulen und Krankenhäusern geworfen wurden, wir erinnern uns mit jeder Träne an die ausgemergelten Gestalten in den Trümmerlandschaften von Jarmuk, wir wissen, dass jeden Tag und jede Nacht Menschen, Frauen, Männer, Kinder, im Mittelmeer ertrinken oder an den Außengrenzen der EU in Osteuropa mitten im Winter im Wald campieren, ohne Nahrung, medizinische Versorgung, ohne wärmende Behausung. Wir haben gesehen, wie die Bullen die provisorischen Camps der Flüchtlinge bei Calais zerstören, Tag für Tag, genauso wie sie die Flüchtlinge mitten in Paris von Ort zu Ort jagen. Wir sehen die Mauern die sie an der Südgrenze der USA errichtet haben, wir sehen die Mauern und Zäune die sie an der Ostgrenze der EU errichten, während immer mehr Gelder in die Flüchtlingsjagdeinheiten der FRONTEX gepumpt werden. Wir wissen, dass das sudanesische Militärregime, dass seit seinem Putsch gegen die sudanesische revolutionäre Bewegung über 100 Demonstranten ermordet hat, Militärhilfe aus China, Russland, Saudi Arabien erhält, dass das Militär Heckler und Koch Sturmgewehre gegen die Demonstranten einsetzt. Wir wissen dass immer noch alle 10 Sekunden ein Kind auf der Welt verhungert, wir wissen dass dies nicht zufällig oder schicksalhaft geschieht, wir wissen, dass die Verantwortlichen dieses Massensterben mit einem Fingerschnippen beenden könnten. Wir wissen, dass sie nicht mit dem Finger schnippen werden. Wir haben gesehen, wie innerhalb von Tagen und Wochen im Pandemie Ausnahmezustand unglaubliche Verschiebungen und Mobilisierungen möglich waren. Das Fingerschnippen um den Hunger zu beenden würde nicht einen Bruchteil an Bemühungen davon kosten. aber dieses Fingerschnippen verspricht keinen Gewinn, weder ökonomisch noch ideologisch. Wir wissen, “dass Krieg herrscht”, wir wissen dass es eine Lüge ist, “dass der Krieg jetzt ausgebrochen ist”, ein weiteres Narrativ, dass sie setzen um ihre fragile Herrschaft zu stabilisieren. Immer “ein kleineres Übel erschaffen” ist die gegenwärtige Logik mit der sie uns dazu bringen wollen, dass wir ihnen in den Abgrund folgen. Ans Ende der Zeit. Diesmal haben sie sich verzockt, wir durchschauen ihre Taschenspielertricks, wir lassen nicht davon ab, dass wir Vergeltung fordern. Für die letzten zwei Jahren, für die letzten zweitausend Jahre. Wir lassen uns nicht von der “Notwendigkeit die NATO zu stärken” blenden, es ist nicht “unsere Freiheit”, die verteidigt werden soll, sondern ihre Wettbewerbsposition. Ökonomisch, geopolitisch, militärisch. Sie sind bereit jeden Tag neue Lügen und Manipulationen zu streuen, uns Sand ins Gesicht werfen, damit wir unter Tränen nicht das naheliegendste erkennen. “Die entstehende Dystopie ist nicht das Produkt eines Komplotts, das von irgendwelchen geheimen Regierungen ausgeheckt wurde, sondern das Ergebnis eines zufällig stattfindenden Moments der Rationalisierung des Kapitalismus, der seine konstitutive Irrationalität noch lange nicht aufheben wird. Das vielfältig improvisierte und mit allen verfügbaren Mitteln ausgestattete Getue, mit denen die Staaten auf die Epidemie reagieren, ist der deutliche Beweis dafür. Ihre Meinungsverschiedenheiten, Lügen, Ungereimtheiten und offensichtlichen Versäumnisse zeigen vielmehr, auf welch schwachem Fundament die kybernetische Dystopie aufgebaut ist, die vorgibt, in all ihren Aspekten die Verwendung unserer Leben zu bestimmen. Vielleicht wird sie in dem Moment, in dem sie sich für allmächtig hält, am Verwundbarsten sein. Aber hierfür muss der Wunsch nach Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit so weitreichend und tief verwurzelt sein, bis er unsere Kräfte bündeln kann. Wenn wir keine neue utopische Bresche schlagen, werden wir ewig im Tag danach leben.” (17)
Siebenunddreißig: Die Reife der Zeit, also der Moment vor dem Sprung, der unmittelbare Moment, ist die vorrevolutionäre Situation, die wir vorfinden. Dieser behauptete Moment ist subjektiv, wie alle geschichtlichen Momente, entgegen der vorherrschenden (linken) Geschichtsschreibung. Subjektiv in dem Sinne, dass nicht die Bedingungen nicht objektiver Natur seien, sondern die Bereitschaft jetzt das Mögliche zu tun. Anders gesagt, den Schatten zu verlassen und zur Kämpfenden Partei zu werden, die in der Lage ist, die Geschichte umzuschreiben. Die Aufstände sind gekommen und haben alle Erwartungen übertroffen, im historischen Kontext des Niedergangs der Linken war es wieder möglich einen Blick auf den Horizont des Umsturzes zu werfen. Keine ideologischen Nebelkerzen mehr, kein kleinbürgerlicher Moralismus mehr, kein falsches Vertrösten, kein ständiger ruchloser Verrat. Es gibt keinen “Sozialismus des 21. Jahrhunderts” mehr, kein “progressives Lager”, kein “Projekt”, das zu verwirklichen wäre. Die letzten zwei Jahre haben unmittelbar klar gemacht, wer wo steht. Wer sich hinter den Staat und seine Bullen und seine Militärs gestellt hat, wir waren nicht wirklich schockiert darüber, wer sich alles im Lager unserer Feinde wiederfand. Wir haben das schon länger analysiert und gesagt und wurden dafür gescholten. Jetzt liegt alles offen da. Wer jetzt immer noch nicht bereit ist hinzuschauen, dem ist nicht mehr zu helfen. Wir sehen den Horizont, jetzt dürfen wir ihn nicht mehr aus den Augen verlieren.
Achtunddreißig: Wir werden uns hüten, die konkreten nächsten Schritte zu proklamieren. Die ist die Erfahrung fast aller Aufstände, die meisten “Programme” sind im Kern konterrevolutionär. Jede Erhebung ist ein Suchprozess, eine neugierige Erkundung des gesellschaftlichen Körpers, ein lustvolles Erforschen von Möglichkeiten, Begegnungen, die ungewohnt sind, Beziehungen, die auf etwas neuem, und doch altbekannten, fast archaischen fußen. “Der Revolutionär”, “die Revolutionärin”, sind Erfindungen einer politischen Kaste, er gibt keine “Revolutionäre”, es gibt nur Menschen, die die Revolution machen. Menschen, die Barrikaden bauen, plündern, Waffen klauen, Gefängnisse stürmen, die wilde Versammlungen abhalten, die ständig durcheinander reden. Die keinem Kommando gehorchen, außer sie haben sich entschlossen, temporäre Koordinationszentren zu betreiben. Die Träger der Kämpfenden Partei benötigen keine Ṕroklamationen, keine Abzeichen, keinen Rang. Sie sind schon seit Jahren dabei, voneinander zu lernen, sich auszutauschen, Bündnisse und Verschwörungen zu schmieden. Sie haben sich unter den Bedingungen des permanenten Ausnahmezustandes reorganisiert. Zur Verwunderung der Linken haben die weltweiten Aufstände in den letzten beiden Jahren an Intensität zugenommen, während die Linke dem Empire ideologisch den Rücken gestärkt und darauf gewartet hat, dass sie ihre alten Beschäftigungsspiele wieder aufnehmen können.
Neununddreißig: Aber natürlich dürfen wir nicht blind werden, uns zu früh an dem nahen Sieg berauschen. So wie es vielen vermessen erscheint, von einem nahem Sieg zu sprechen, so vermessen wäre es, diesen als gegeben anzunehmen. Unser Gegner hat die Einsätze erhöht, er versucht wieder die Bedingungen des Klassenzusammenstoßes zu kontrollieren. Der gegenwärtige Formierungsprozess im Kontext des Ukraine Krieges zeigt dies. Nicht zufällig tritt der Westen in eine “Kriegswirtschaft” ein, nicht zufällig ist es ein grüner “Superminister” der wichtigsten europäischen Wirtschaftsmacht, der diese “Kriegswirtschaft” im strategischen Energiebereich wesentlich mit ausgestaltet. Unisono wird von “den notwendigen wirtschaftlichen Einschnitten” gesprochen, die im Kern nichts anders als eine radikale Umverteilungspolitik bedeuten, die Kosten der “Kriegsbereitschaft” werden die Proletarier zu zahlen haben, dem Mittelstand soll nach dem Bündnisangebot der “Abwendung der Klimakatastrophe” das nächste Angebot in Form der “Verteidigung der westlichen Freiheit” gemacht werden, am Ende stehen wieder die Barbaren vor Rom, die Türken vor Wien, eine letzte “zivilisatorische Zuflucht” als Panikraum, der Pöbel wird der nächste Endgegner sein, die Weichen dafür wurden auch schon in den letzten beiden Jahren gelegt. Die “Aufgeklärten”, die “der Wissenschaft Folgenden”, die “wahren Humanisten”, der Gegner im besten “unaufgeklärt” (die “schlecht informierten Migranten”), im schlimmsten Fall der “asoziale Pöbel”, ungeimpft, Maßnahmenkritiker, mit Faschisten durchsetzt, dem man im Bedarfsfall die “gesellschaftliche Teilhabe” und das Grundrecht auf medizinische Versorgung entziehen kann und darf. Der zukünftige Faschismus, der in der Zuspitzung als unvermeidliche Formierung gegen den revolutionären Druck, den “Ansturm der Barbaren” errichtet werden wird, wird “aufgeklärt” und “fürsorglich” daher kommen. Die Totalität des Zugriffs auf alle Lebensbereiche wird Orwells 1984 wie eine mild zu belächende Gute-Nacht-Geschichte für Kinder erscheinen lassen. Insofern ist es dringend notwendig, sich theoretisch und analytisch auf der Höhe der Zeit zu bewegen, das heisst auf dem Niveau der gesellschaftlichen Faschisierung. Antifaschismus heißt in diesem Kontext alle Kräfte für die notwendige Erhebung zu sammeln, darunter geht es nicht mehr.
Vierzig: Keine Blaupause. Kein fertiges Werk. Arbeitsskizze für Arbeitsskizze. Immer wieder den ganzen Rahmen umreißen, aber dabei nicht ins offene Messer der vom Gegner aufgezwungenen Konfrontation laufen. Sich den Diskursen verweigern. Radikal. Allen. Wirklich allen. Die Partei lieben, aber nicht verehren. Verstehen, was Partei meint. Du und ich. Wenn wir Uns treffen. Reden. Zuhören. Verstehen. Uns vertraut machen. Unersetzlich. Fremde kennenlernen. Nah. Weit weg.Und doch wieder nah. Vertraut. Konspiration. Aber kein Getue. Kein Wichtigmachen. Flugblätter verteilen. Im Vorort. Plündern. Teilen. Auch die letzte Zigarette. Die Erde beweinen. Verteidigen. Den Sommer kaum erwarten können. Glühende Sehnsucht, die den Atem raubt. Alles in diesen Sommer legen. Alles auskosten. Verstehen, nein Begreifen, das unsere Zeit gekommen ist. Die Nacht endet. Unsere Träume niemals verraten. Uns nicht verkaufen. Nicht für das nackte Leben, nicht für die trostlose Existenz, die man uns anbietet. Partei ist wie eine Jugendliebe die niemals vergeht. Sie war schon immer da. Wahrscheinlich haben wir sie anders genannt. In einem anderen Leben. Haben gelernt ihr zu misstrauen, weil sie immer recht hat. Hat man uns beigebracht. Oder weil so viele Verbrechen in ihrem Namen begangen wurden. Haben unser Herz an sie verschenkt und verloren. Wenigstens das. Der Sommer ist nah, wir werden Geschichte schreiben. “Und immer auf dem Sprung, mit brennend braunen Augen, die haben viel geseh’n und sind richtig jung.” Wir sehen uns. Werden uns erkennen. An dem Lächeln, das noch immer unsere Münder umspielt. Bis gleich.
Fußnoten:
- ‘Thesen zur sudanesischen Commune’, auf deutsch auf Sunzi Bingfa https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2021/05/03/thesen-zur-sudanesischen-commune/, auf englisch auf https://illwill.com/theses-on-the-sudan-commune
- ‘Krieg dem Krieg der Bosse’, auf deutsch auf Sunzi Bingfa https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2022/03/07/krieg-dem-krieg-der-bosse/#more-2060, im Original (ital.) https://ilrovescio.info/2022/03/01/8513/
- ‘The Kazakh Insurrection’ https://illwill.com/print/the-kazakh-insurrection, liegt bisher nicht auf deutsch vor
- ‘Als die Kommunisten die internationale Arbeiterbewegung zerschlugen – Der Kampf der Arbeiter auf dem Platz des Himmlischen Friedens…’ https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2021/08/23/als-die-kommunisten-die-internationale-arbeiterbewegung-zerschlugen-der-kampf-der-arbeiter-auf-dem-platz-des-himmlischen-friedens-war-der-transformationspunkt-von-einer-welt-in-die-naechste/
- Auszüge aus dem ‘Manifeste conspirationniste’ finden sich in der Sunzi Bingfa, das Zitat ist aus dem übersetzten Schlusskapitel https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2022/03/07/this-is-the-end-my-only-friend-the-end-manifest-conspirationniste/,
- ‘Was ist dieser Moment’ von Ghassan Salhab https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2022/03/07/was-ist-dieser-moment/
- Bericht der Deutschen Welle: “Ukraine nutzt Musks Starlink für Drohnenangriffe” https://www.dw.com/de/ukraine-nutzt-elon-musks-starlink-f%C3%BCr-drohnenangriffe/a-61261207
- “Der Tag danach liegt hinter uns” von Joël Gayraud auf Lundi Matin https://lundi.am/Derriere-nous-le-jour-d-apres, deutsch auf Sunzi Bingfa https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2022/04/04/der-tag-danach-liegt-hinter-uns/
- Yuval Noah Harari on ‘world economic forum’ – “What entities will replace humans?” https://www.youtube.com/watch?v=sZv1J0EkKrY
- Aus dem ersten Kapitel des Manifeste conspirationniste, auf deutsch auf Sunzi Bingfa https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2022/02/07/ein-manifest-der-verschwoerung/#more-1991
- ‘Stato di eccezione e guerra civile’, Giorgio Agamben https://www.quodlibet.it/giorgio-agamben-stato-di-eccezione-e-guerra-civile auf deutsch ‘Ausnahmezustand und Bürgerkrieg’ in der Sunzi Bingfa vom 2. Mai 2022
- Anleitung zum Bürgerkrieg; Tiqqun, auf deutsch bei LAIKA, hier als PDF
- Aus dem Schlusskapitel des ‘Manifeste conspirationniste’ , deutsch auf Sunzi Bingfa nhttps://sunzibingfa.noblogs.org/post/2022/03/07/this-is-the-end-my-only-friend-the-end-manifest-conspirationniste/#more-2022
- Siehe dazu: ‘Bay Area Guerrilla – Über die endlose Welle der Kriminalität’ auf deutsch auf Sunzi Bingfa https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2021/12/13/bay-area-guerrilla-ueber-die-endlose-welle-der-kriminalitaet/, das Orginal ‘Guerillia Bay Area: On the Endlese Crimewave’ hier https://thetransmetropolitanreview.wordpress.com/2021/12/04/guerrilla-bay-area-on-the-endless-crimewave/
- Siehe: ‘Ein Bericht und Überlegungen zu den Unruhen am 19. November in Rotterdam’ auf Sunzi Bingfa https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2021/11/20/ein-bericht-und-ueberlegungen-zu-den-unruhen-am-19-november-in-rotterdam/. Im Original auf ‘Its Going Down’: ‘Reflections And Report On The Nov. 19 Riots In Rotterdam, NL’
https://itsgoingdown.org/reflections-and-report-on-the-nov-19-riots-in-rotterdam-nl/
- Gudrun Ensslin, Kassiber aus dem Knast 1973. Aus dem Buch ‘Das Info- Briefe von Gefangenen aus der RAF (1973-1977), Hg. Pieter Bakker Schut, erschienen beim Malik Verlag, als PDF hier
- Der Tag danach liegt hinter uns – Joël Gayraud, auf deutsch auf Sunzi Bingfa https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2022/04/04/der-tag-danach-liegt-hinter-uns/#more-2162 im Original DERRIÈRE NOUS, LE JOUR D’APRÈS auf Lundi Matin #241 https://lundi.am/Derriere-nous-le-jour-d-apres