“Wenn wir leben wollen, müssen wir uns beeilen” – Ein Interview mit den Revolutionären Zellen [Part1)

Dieses Interview aus dem Jahre 1975 ist Teil der Broschüre “Holger, der Kampf geht weiter! Dokumente und Beiträge zum Konzept Stadtguerilla”. Mit diesem langen Interview (das ziemlich einzigartig ist, allzu viele Interviews gibt es trotz einer jahrzehntelangen Praxis nicht) mit einer oder einem Militanten aus dem Zusammenhang der Revolutionären Zellen setzen wir unsere Reihe zum bewaffneten Antagonismus in der BRD fort. Dies nämlich war, entgegen vielleicht heutigen Annahmen radikaler Linker, die Ursprungsintention der Entstehung der RZ: Im Zentrum der Macht Stadtguerilla aufbauen. Einen Versuch, den es ohne die Praxis der RAF wahrscheinlich nie gegeben hätte, wie die RZ wiederholt klar stellten, die den Genoss*innen der RAF immer in kritischer Solidarität verbunden geblieben sind und sich dem Versuch verweigert haben, sich als “nette Feierabendterroristen” in Front gegen die RAF bringen zu lassen: “Die politische Differenz der RZ zur RAF drückt sich im übrigen nicht von Schlagzeile zu Schlagzeile und schon gar nicht als Distanzierung gegenüber unserem gemeinsamen Gegner aus, sondern seit 1973 in dem Versuch, eine andere, sozialrevolutionäre Linie, andere Formen des bewaffneten Widerstandes praktisch zu entwickeln. Nur darum geht es und nicht Scheiße auf Freundinnen und Freunde zu schmeißen, die uns in diesem furchtbaren Land näher sind als die meisten anderen.”

Der Staat legte Übrigens gegenüber den RZ das gleiche extralegale Vernichtungsverhältnis an den Tag wie gegenüber der RAF: Als 1978 Hermann Feiling ein selbstgebauter Sprengkörper, der für das argentinische Konsulat in München gedacht ist, beim letzten Überprüfen buchstäblich unter den Händen vorzeitig explodiert, wird er schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Er verliert beide Beine und sein Augenlicht, sein Körper ist übersät mit Brandwunden. Vollgepumpt mit Medikamenten und unter Schock stehend wird er, abgeschottet von Familie, Freunden und ohne Rechtsbeistand von den Bullen “vernommen”. Erst Monate später ist er in der Lage überhaupt seine Situation zu realisieren und zu verstehen, was in den letzten Monaten in den Verhörsituationen passiert ist.

Dieser Text ist Teil der umfangreichen Online Dokumentation zu den Revolutionären Zellen, die Mitte der 90iger entstanden ist, nachdem ein Verräter umfangreiche Aussagen bei den Bullen gemacht hatte und es zu mehreren Festnahmen kam. Aus Gründen der Praktikabilität haben wir die ursprünglichen Fußnoten beibehalten. Aufgrund der Länge erscheint der Beitrag in mehreren Teilen. Sunzi Bingfa

Frage:

In Österreich wird die Diskussion über das „Konzept Stadtguerilla“ praktisch ausschließlich anhand von Publikationen aus der BRD geführt. Ich will mich in den folgenden Fragen hauptsächlich auf die Kritik beziehen, die linke Gruppen und Organe in der BRD an euch üben und nach den Beziehungen zwischen der legalen Linken und der Stadtguerilla bei euch fragen. Du solltest mal was dazu sagen, wie du zur Guerilla gekommen bist, was eure Gruppe macht und wie lange sie schon existiert, damit man weiß, wie überhaupt so etwas entsteht.

Wo wir vorher Demos gemacht haben, teach- ins organisiert haben usw., da schien es uns jetzt richtig und notwendig, über die Formen des Kampfes hinauszugehen, auch über die des Steineschmeißens, des Molli- Werfens und auch mit den Erfahrungen von Demos, von Agitation, von dem Frust immer wieder von den Bullen demoralisiert zu werden, wo man eins auf die Rübe gekriegt hat, wo Hausbesetzungen nicht geklappt haben, wo nur ein paar Leute zu ’ner Demo gekommen sind usw.

Antwort RZ:

Ich gehöre zur Revolutionären Zelle, die vor ein paar Jahren entstanden ist, zu einem Zeitpunkt, als es die RAF [34] und die Bewegung 2. Juni [35] schon gab. Mit dem Wissen über diese beiden Gruppen – was wir also aus Presse usw. erfuhren – haben wir angefangen. Es waren halt ein paar Genossen, die es richtig fanden, auch die Frage des bewaffneten Kampfes hier und heute auf die Tagesordnung zu setzen, wobei wir auf Erfahrungen aus der politischen Massenarbeit aufbauen konnten. Na ja, was machen so ein paar Leute, die sagen, Propagierung und praktische Aufnahme des bewaffneten Kampfes ist richtig, die aber keine konkreten und praktischen Erfahrungen haben? Die sich sagen, so wie wir bisher die Massenarbeit gemacht haben, reicht es nicht, die sagen, das, was die RAF macht oder der 2. Juni, so wollen wir es auch nicht, die sich also immer nur negativ abgrenzen konnten? Wir waren nicht in der Lage, positiv und konkret was Neues zu benennen und die Genossen haben sich dann gesagt: „Probieren wir’s mal!“. Die einzigen strategischen Überlegungen waren eigentlich die (und die waren dann doch ziemlich konkret), daß man an gesellschaftlichen Konflikten anknüpft. Wo wir vorher Demos gemacht haben, teach- ins [36] organisiert haben usw., da schien es uns jetzt richtig und notwendig, über die Formen des Kampfes hinauszugehen, auch über die des Steineschmeißens, des Molli- Werfens und auch mit den Erfahrungen von Demos, von Agitation, von dem Frust immer wieder von den Bullen demoralisiert zu werden, wo man eins auf die Rübe gekriegt hat, wo Hausbesetzungen [37] nicht geklappt haben, wo nur ein paar Leute zu ’ner Demo gekommen sind usw.

So ging es den anderen und mir eigentlich auch, auch für mich war die ganze subjektive Erfahrung, die man in der Massenarbeit gemacht hat, tragendes Element für die Frage: Wie kann der Kampf eigentlich weiter aussehen, wie könnte eine neue revolutionäre Strategie aussehen? Einschneidend war für mich der Vietnamkonflikt [38] gewesen. Er war ein neuer Anstoß – insbesondere damals die Verminung der Häfen durch die USA [39] – wobei ich eigentlich zweierlei Neues empfand: das erste war, daß ich an der Stelle begriff, daß unsere Kampfformen nicht ausreichen, um wirklich auch neue Positionen einnehmen zu können, so was wie Gegenmacht herzustellen. Das andere war, endlich Subjekt sein zu wollen in diesem Kampf. Das meint, daß ich viele Jahre gekämpft habe mit dem Gefühl, dem Bewußtsein, andere in den jeweiligen Bereichen, wo ich drin war, agitieren zu müssen und zu können und dabei das, was man eigentlich selber ist, das was man an sich selber befreien will, machen will, einsetzen will, daß das in der Phase, wo man ganz intensiv Massenarbeit betreibt, herausfällt. Das soll nicht heißen, daß wir nicht auch das weiterhin tun müssen, aber wir selbst müssen uns in diesem Kampf immer mit verändern und die ungeheure Gefahr vermeiden, die in der Massenarbeit steckt: nämlich sich selbst dabei herauszulassen.

Frage:

Also daß man sich selber als handelndes Subjekt begreift, wird ja von einer ganzen Anzahl linker Kritiker genau anders herum dargestellt und daraus massive Vorwürfe abgeleitet. Zum Beispiel werfen die Autoren entsprechender Aufsätze in Organen wie „links“ [40] oder „Probleme des Klassenkampfes“ [41] euch folgendes vor: „In einem typisch bürgerlichen Mißverständnis wird die proletarische Klassengewalt mit dem privaten Faustrecht einzelner Personen und kleiner Gruppen verwechselt und damit verhöhnt“ und auch andere Linke argumentieren ähnlich. In einem Leserbrief an den „Langen Marsch“ [42] heißt es z.B. die Stadtguerilla bastele sich zunächst eine richtige Linie aus Versatzstücken von Mao [43], Che [44], den Tupamaros [44]. Dann habe sich das Volk gefälligst befreien zu lassen und zwar durch die Guerilla, die beabsichtige, als Minorität auf putschistische Weise, also stellvertretend und für die Massen und selbst gegen deren Willen das System der Klassenherrschaft zu beseitigen.

Antwort RZ:

Der erste Vorwurf ist mir eigentlich am unverständlichsten. Hier scheint die Linke eine schöne Verkehrung vorzunehmen. Man meint, aufgrund unserer Herkunft und unserer politischen Nachsozialisation, die wir von der Studentenrevolte bis zum heutigen Tage erfahren haben, sei der militante Kampf, also die Arbeit einer Stadtguerilla, nur in der Weise zu führen, daß man sich selber unter Druck setzt, sich und andere instrumentalisiert. Es paßt nicht in ihr Bild – weil sie selber so nicht sind – , daß gerade eine Guerilla nur erfolgreich sein kann, wenn die Genossen sich der permanenten Selbst- und gemeinsamen Überprüfung unterziehen, sich im Kampf permanent verändern. Das heißt nichts anderes, als sich selber einzubringen, ohne die Teilung, die die Linke immer noch vornimmt, hier Privatleben, da Politik und zwar auf allen Ebenen. Die andere Seite der Verkehrung liegt in der Politik selber begründet. Der Massenarbeiter [46] ist grundsätzlich in der Situation, jederzeit der Politik den Rücken kehren zu können, die Bereiche zu wechseln, wie es gerade paßt. Also er lässt sich selber Freiräume und Hintertüren offen, macht immer ein Stückchen Freizeitsozialismus. Er glaubt es zumindest, daß er die Möglichkeit hat. Und klar ist auch, daß viele Linke sich so verhalten. Die Zunahme der Repression durch die Staatsgewalt in den letzten drei Jahren in der Wirkung auf eine Masse von Linken bestätigt das.

Die Genossen der Guerilla haben sich für eine Form der Politik entschieden, die das unmittelbar mit einschließt. Die Stadtguerilla-Genossen wissen von vornherein, daß die Repression sie unmittelbar trifft, dass die Existenz, die Wohnung, Beruf, Freund/in usw. im Eimer ist, wenn die Bullen sie kriegen. Also subjektiv doch eine ganz andere Entscheidung. Das heißt natürlich nicht, daß auch die Stadtguerilla ihre Politik immer wieder revidiert, nicht daß wir uns da mißverstehen: Es gibt ja Leute, die behaupten, die Stadtguerilla hätte sich so verrannt, daß sie nicht mehr zurück könne. Man kann alles auch auf eine kurze Formel bringen: ein Guerillero hat sich dafür entschieden, seine Persönlichkeit, Gedanken, Gefühle und Handlungen deckungsgleich werden zu lassen, also daran zu arbeiten, identisch zu werden. Da können Linke ein „privates Faustrecht“ draus machen, das ist lächerlich, weil sie nicht zugeben können oder wollen, daß sie sich momentan in einer Situation befinden, wo sie erkämpftes Gegenmilieu kalt lächelnd wieder aufgeben und den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Und dies noch politisch rechtfertigen! Wenn ich alleine an das Berufsverbot [47] denke! Meine Güte, sprich mit den Leuten und du wirst sehen, wie sie sich hinter dem Berufsverbot verstecken. Fragen, wie kann sich Gegenmacht entwickeln, stehen momentan kaum zur Debatte. Man kann sagen, daß die Linke sich z.Zt. in einer defensiven Phase befindet. Das ist dann einfach, sich einen Feind aufzubauen, nämlich die Stadtguerilla, die natürlich kaum einen historischen Hintergrund in der BRD hat, die sich in der Phase der praktischen Erarbeitung von revolutionärer Strategie befindet. Sie diffamieren uns mit ihrer eigenen zerstückelten Klassikertheorie, bis hin zu der Behauptung, daß die Stadtguerilla der Rechten in die Hände arbeitet und das angeblich selber auch wisse und vergessen dann ganz schnell, daß es die Aufgabe der radikalen Linken ist, Widersprüche auf die Spitze zu treiben, daß das ein Teil unserer Aufgabe ist: den Staat zu entlarven.

Also wenn man es genau betrachtet, werden die Zunahme der Repressionen, also Gesetze usw. und das Bemühen der Stadtguerilla, eine revolutionäre Strategie zu entwickeln, zur Rechtfertigung der eigenen falschen Politik oder besser des falschen Bewußtseins benutzt. Daß sich die Stadtguerilla eine Strategie aus Che, Mao, Marighella [48] zusammenbastelt, ist so bescheuert, daß man nur sagen kann, die Linken, die das sagen, sollen sich davor hüten, weiter Marx, Lenin zu zitieren. Klar, habe ich schon gesagt, die Theorie der Stadtguerilla gibt es in der Dritten Welt, aber nicht in Westeuropa, aber Vorsicht, sie ist im Kommen! Aber nicht, weil wir einen Dutschke [49] oder Rabehl haben, der nichts weiter macht, als sich an den Schreibtisch zu setzen (hat sich sowieso gezeigt, daß nichts als Scheiße bei rauskommt), sondern weil wir als Stadtguerilla und zwar in allen westeuropäischen Ländern, wo es eine Stadtguerilla gibt, versuchen, unsere Theorie mit unserem politischen Hintergrund – also sowohl theoretisch wie praktisch – und dem, was wir tatsächlich machen, zu entwickeln. Ich glaube, das ist auch korrekt. So haben wir immer wieder die Möglichkeit, da, wo wir agieren und intervenieren, die Richtigkeit praktisch zu überprüfen. Und damit entkräftet sich auch der Putschismusvorwurf von allein. Wenn wir putschen wollten, sofern das ginge, setzten wir uns an den Schreibtisch wie Herr Negt [51], machten einen Plan und würden uns einen Scheißdreck um die Massen scheren. Das ist in sich schon so hinterfotzig, weil diese Typen davon ausgehen, daß die Massen das mit sich machen lassen. Die KPD scheint das tatsächlich zu glauben! Aber erstens wollen wir uns selber befreien, wollen wir dieses unmenschliche System bekämpfen und wollen eine solche Politik machen, wo die Guerilla zur Massenperspektive wird. Nicht die Massen sollen sich durch uns befreien lassen, sondern wir wollen uns befreien: wir gehören nämlich dazu! Zu Rudi Dutschkes Rede in Berlin kann ich nur sagen, er scheint irgendwie schon befreit zu sein. Wahrscheinlich ist er schon der neue Mensch? Sicher ein wunderbares Gefühl!

Frage:

Manche der Vorwürfe der Linken sind wohl direkt gegen die RAF gerichtet, zum Teil scheinen sie mir berechtigt. Daher sag mal was ausführlicher über die RAF, weil zum einen die RAF und das, was sie gemacht bzw. was sie nicht gemacht hat, sondern was man ihr nur unterstellt, weil das insgesamt praktisch gleichgesetzt wird mit Stadtguerilla überhaupt.

Antwort RZ:

Entscheidend ist doch dabei, daß die RAF die erste Organisation war, die den bewaffneten Kampf aufgenommen hat und deswegen ist sie auch ein wesentliches Moment für unsere Politik und andere Gruppierungen. Im weitesten Sinne für die ganze Bewegung. Wenn man uns fragt, was unser Verhältnis zur RAF ist und wie wir die Politik der RAF einschätzen, dann müßte man vor allen Dingen erstmal vorab das Verhältnis zwischen der Linken und der RAF erörtern und das nicht nur, weil die unmittelbar was miteinander zu tun haben oder weil die Linke auf die RAF- Politik Einfluss genommen hat, sondern vor allem, weil wir und natürlich auch die RAF aus der Massenarbeit hervorgegangen sind. Deswegen ist es notwendig, mal ganz konkret zu untersuchen, wie die Linke sich zur Politik der RAF verhalten hat.

Alle linken Gruppen haben in den letzten Jahren mit einer Latte von Unterstellungen versucht, die Auseinandersetzung mit der Politik der RAF zu unterlaufen. Diese Geschichte ist ein Leidensweg für alle Linken gewesen. Am liebsten hätten sie sich nicht mit der RAF auseinandergesetzt, aber das ließen RAF und Presse und die Massen nicht zu. Es passierte zu viel, es stand zuviel in den Zeitungen, die Leute redeten viel darüber. Und die Linken hatten Angst und waren unentschlossen.

Frage:

Ja, mach das mal.

Antwort RZ:

Alle linken Gruppen haben in den letzten Jahren mit einer Latte von Unterstellungen versucht, die Auseinandersetzung mit der Politik der RAF zu unterlaufen. Diese Geschichte ist ein Leidensweg für alle Linken gewesen. Am liebsten hätten sie sich nicht mit der RAF auseinandergesetzt, aber das ließen RAF und Presse und die Massen nicht zu. Es passierte zu viel, es stand zuviel in den Zeitungen, die Leute redeten viel darüber. Und die Linken hatten Angst und waren unentschlossen. Die K- Gruppen [52], das sind KPD – damals AO, KBW und KPD/ML hatten es anfangs drauf, zum Teil die Bild- Zeitung von links zu überholen. Sie überschlugen sich und diffamierten: kleinbürgerliche Putschisten, Provokateure im Sold der herrschenden Klasse, faschistische Anschläge, das sind keine Genossen mehr. Die RAF stört offensichtlich die Aufbauphase dieser Miniparteien, die ausgezogen sind, beste kommunistische Tradition der 20er Jahre fortzusetzen. Ich muß allerdings hinzufügen, daß sich speziell bei der KPD/ML der Standpunkt etwas verändert hat, verbal, daß sie ungeheuer militante Artikel in ihrem Blatt schreiben, praktisch distanzieren sie sich aber auch heute von der Politik der Stadtguerilla. Der KBW ist der Linie der Verteufelung treu geblieben. Am taktischsten hat sich die KPD verhalten, die die RAF als Genossen wiederentdeckt hat, natürlich mit der falschen Linie und die, wie in allem, den Eindruck vermitteln will, als hätten sie dieses Problem fest im Griff – mit ihrer richtigen Linie. Naja, das wird sich zeigen.

Am ärgsten gebeutelt wurde die Sponti- Linke. [53] Die hatten nie die Sicherheit der ZK- Anweisung, der richtigen Linie. Sie bekamen auch mit, daß eine Menge Leute die RAF ganz dufte fanden und sie selbst fanden die RAF manchmal auch ganz gut. Und sie hatten Angst und waren moralisch und kannten Baader [54] von früher. Diese Mischung bekam der politischen Auseinandersetzung nicht gut. Sie hielten sich lange mit dem Vorwurf über Wasser, die RAF würde keine politischen Aktionen machen, sondern nur Logistik betreiben. Und Baader kennt man ja. Dann, als die Aktionen kamen und die Hetze der Presse und die Fahndung lief, kam die Angst und der erste Vorwurf war vergessen. Jetzt glaubten die Spontis, das alles richtet sich vor allem gegen sie selbst. Und die Aktionen würden nicht vermittelbar und zu groß sein. Als die Genossen verhaftet wurden, löste sich der Druck von den Spontis und sie konnten moralisch sein, als die Vernichtungshaft bekannt wurde. Aber diese Moral hält nicht lange. Als Holger ermordet wurde, große Empörung und Rache [55] für Holger, als einen Tag später Holger gerächt wurde, griff die Angst die Spontis wieder und sie fühlten ihre Kampagne von der Drenkmann [56]– Erschießung kaputtgemacht. Das ist alles grob und verkürzt, klar, aber ich glaube, wenn man auch die Nebenlinien dieser Geschichte noch genauer untersuchen müßte, die vor allem daher kamen, daß wir alle der bürgerlichen Presse immer wieder zu viel geglaubt haben, würde das hier zu umfangreich.

Frage:

Das sehe ich nicht ganz ein. Ich halte den Moralismus für einen wichtigen Teil jeder linken Politik.

Antwort RZ :

Ich meine ja auch nicht, daß Moralismus grundsätzlich falsch wäre, sondern der Moralismus der Linken, d.h. also unserer Erziehung, die wir so mitbekommen haben, mit den gesamten Normen usw. hat eine wesentliche Rolle bei der Distanzierung gespielt. Das zeigen Beispiele wie die Ermordung des Genossen Georg von Rauch [57] und die Auseinandersetzung zwischen der Staatsgewalt und dem Genossen Grashof [58] bis zum heutigen Tage eigentlich auch die Verhaftungen, im Hungerstreik, in der gesamten Knastsituation, in der Frage der Verräter usw. Um es nochmal an dem Beispiel Georg von Rauch und Grashof klarzumachen: Ich meine, daß ein wesentliches Moment war, warum die Linke sich zu Georg von Rauch anders verhalten hat als zu der Verhaftung von Grashof, daß durch die gesamte Presse und durch das, was die Linke versucht hat zu recherchieren, erkennbar wurde, daß Georg von Rauch bei dem Schusswechsel mit den Bullen offensichtlich keine Knarre dabei hatte, der Grashof aber sehr wohl eine hatte und sich offensiv zur Wehr gesetzt und einen Bullen erschossen hat. Das, was danach gefolgt ist, war, daß zu Georg von Rauch ne Masse geschrieben worden ist in den verschiedenen Organen der Linken. Daß große Demos stattgefunden haben, also Solidarität mit Georg von Rauch, und die Bullen waren da die großen Schweine, und die Staatsgewalt hat sich wieder einen mordsmäßigen Übergriff geleistet. Bei dem Genossen Grashof, wo ja nahezu das Gleiche gelaufen ist, daß sie ihm aufgelauert haben und Grashof dann in der Situation, wo er kapiert hat, daß die Bullen auf ihm drauf sind, sich noch ernsthaft gewehrt hat, um aus der Situation rauszukommen. Da ist schon absolut nichts mehr gelaufen an Demos oder sonstigen Sachen. Und ich meine schon, daß das ein ganz entscheidendes Beispiel ist, woran sichtbar wird, daß nicht politische Kategorien maßgebend dafür gewesen sind, in welcher Weise man auf bestimmte Konflikte reagiert, also nach außen hin Propaganda macht, sondern daß hier die uns eingepflanzten humanitären Normen voll durchschlagen und sonst nichts. Das genau zeigt sich also eigentlich bis zum heutigen Tag, zeigt sich nicht nur an diesem genannten Beispiel, sondern hat sich auch an den Aktionen, die die RAF gemacht hat, gezeigt. Da, wo z.B. US- Schweine bei einer Aktion umgekommen sind, zeigt sich bei den ersten Verhaftungen von Genossen aus der RAF, zeigt sich bis hin eigentlich zu dem Hungerstreik, daß immer wieder die Linke sich mit ihrem gesamten Moralismus in die Waage wirft oder sich in ner ganz bestimmten Weise distanziert.

Frage:

Was sagst du aber zu der Kritik an der RAF von den Anarchisten [59] (Berlin), die sagen, die RAF sei völlig unemanzipiert, „terroristisch nach innen, gegen sich selbst und die eigenen Genossen und damit mehr auf die Erhaltung herrschender Verhaltensweisen bedacht, als auf deren notwendige Zerstörung“. Die Frage wäre also, ob du diese Einschätzung teilst, woher – wenn es stimmt – diese Struktur der RAF kommt und ob eine andere Verhaltensweise überhaupt in dem Zusammenhang, in dem die RAF existiert, denkbar gewesen wäre oder denkbar ist.

Antwort RZ:

Also erstmal halte ich diese Kritik sowieso für ausgemachten Blödsinn, weil das für mich eigentlich gar keine andere Qualität hat, als die diffamatorischen Äußerungen, die ja auch fast alle anderen Linken gebracht haben, also immer wieder das gleiche: hierarchische Strukturen, daß sie sich gegenseitig in die Fresse gehauen haben, daß es Kader gegeben hat und Fußvolk, sehr starke Unterschiede zwischen den einzelnen Genossen und so weiter. Mir scheint es eher so zu sein – und deswegen halt ich’s auch für ausgemachten Blödsinn – daß diese Genossen sich absolut nicht überlegen, daß es auch möglich sein könnte, unter den Bedingungen, unter denen die Genossen von der RAF existiert haben, Politik gemacht haben, nämlich also auch immer unter dem Druck, den Bullen in die Hände zu fallen, es sehr wohl möglich ist, sich trotzdem emanzipativ zu verhalten. D.h. also auch mit der Knarre in der Hand und also auch irgendwo damit, nichts mehr zu verlieren zu haben, und die bürgerliche Existenz für diese Genossen gleich Null war, daß das irgendwo gleichbedeutend ist damit, daß sie auch nach innen ein terroristisches Verhalten haben müßten; und das ist natürlich ’ne Sache, die so absolut nicht läuft, denn das hieße eigentlich, daß jede Guerilla notwendigerweise auf ne Selbstbefreiung oder so verzichten müßte. Außerdem kann die Innenstruktur einer Gruppe nur im Zusammenhang mit der Politik, die sie macht, gesehen werden. Kleine bewaffnete Gruppen sind ganz stark aufeinander angewiesen und können es sich nicht leisten, heute so und morgen mal wieder anders. Sie sind in ganz starkem Maß darauf angewiesen, sich zu emanzipieren und immer auch die eigene Befreiung im Auge zu haben und sich entsprechend zu verhalten. Fragen des Verdrängungsapparates z.B. und des Sich- Gehen- Lassen oder ausgeflippt sein oder so müssen in ganz anderer Weise bearbeitet werden. Jeder ist für jeden verantwortlich.

Frage:

Damit hast du aber nur den allgemeinen Charakter der Innenstruktur einer Stadtguerilla beschrieben. Nach wie vor steht die Frage, ob derartige Tendenzen bei der RAF sichtbar waren und womit das zusammenhängt. Ich würde dir durchaus zugestehen, daß die Innenstruktur gar nicht losgelöst betrachtet werden kann von der eigentlichen Politik, aber dann mußt du dazu was sagen.

Antwort RZ:

Du hast recht, ich habe den allgemeinen Charakter beschrieben, aber ich werde dazu auch gar nichts anderes sagen. Ich kann nur immer wieder wiederholen, man muß sich davor hüten, bürgerliche Presse und sonstiges Geschwätz und das Bild, das die Herrschenden von der RAF aufgebaut haben, ernsthaft zu glauben.

Ich will nochmal unsere Kritik an der RAF in folgenden Zusammenhang stellen, wo dann vielleicht das Verhältnis von Innenstruktur und Politik sichtbarer wird:

Das erste ist – und da schließen wir uns ganz klar mit ein – ohne die RAF wären wir nichts, d.h. gäbe es uns wahrscheinlich gar nicht. Damit meine ich einfach nur, daß sie historisch für uns eine ganz wichtige und notwendige Funktion hatte, daß sie initiiert hat, was es bisher nur in der Diskussion um die Dritte Welt gegeben hat, wo Emotionen da waren, wo man dafür war, aber dieses Dafür Sein sich absolut nicht übertragen hat auf die bundesrepublikanische Situation und auch gar keine faktischen Auswirkungen gehabt hat. Für uns hat die RAF z.B. ganz konkrete und praktische Auswirkungen gehabt. Wir haben uns gefragt – und das fehlt eben wieder bei Kramer [60] genauso wie bei der Linken überhaupt – wie kann das, was sie ansetzt und anzeigt an neuer Politik, wie kann sowas umgesetzt werden in revolutionäre Strategie. Das heißt, wie kann man ein Verhältnis herstellen zwischen dem, was es hier an Bewegung in der BRD gibt und dem, was wir meinen, was wichtig und notwendig ist zu tun – heute schon, ohne daß dafür schon eine ganz konkrete Grundlage gegeben ist. Die andere Seite ist unsere Kritik an der RAF. Da müssen wir uns auf die Praxis der RAF beziehen, d.h. auf ihre Aktionen, auf ihre Papiere und auf ihre Wirkung auf die politische Situation, auf die Leute hier.

Die Aktionen sind das einfachste: sie waren richtig. Wir haben daran nichts zu kritisieren, außer, was sie selbst schon kritisiert haben, nämlich, daß sie Springer [61] nicht als das Schwein eingeschätzt haben, das er ist, als er in Hamburg das Haus nicht räumen ließ, weil er Leichen und Verletzte wollte, um sie zu vermarkten. Die Kommuniques sind abstrakt und militärisch, d.h. dem tatsächlichen Stand des Kampfes und der Widersprüche damals unangemessen, z.T. etwas großmäulig, sicher in ihrer agitatorischen Wirkung gering. Bei den Papieren der RAF blicken wir selbst nicht richtig durch, obwohl wir eine ähnliche Praxis haben. Wir wissen nicht, warum sie die Lenin- Exegese geschrieben haben. Wir sind davon nicht überzeugt worden. Auch die anderen Papiere sind für die Linke geschrieben, allerdings so, daß die sie zu leicht kritisieren und abtun konnte.

Auch wir meinen, daß die Papiere oft den Alleinbesitz der richtigen Linie, der Wahrheit hinknallen, wo eigentlich Probleme und Widersprüche aufgezeigt werden müßten. Beispiel dafür ist die Avantgarde Problematik und der verkürzte Automatismus des zwangsläufigen Kampfes der unterdrücktesten Schichten des Volkes. Und wir müssen sagen, daß uns die Papiere in der Lösung unserer theoretischen und praktischen Fragen nicht viel weitergebracht haben. Das ist die Hauptseite der Kritik.

Die politische Wirkung der RAF kritisieren wir an dem Punkt, wo sie unserer Meinung nach nicht alles getan hat, um die Hetze der bürgerlichen Presse wenigstens zu neutralisieren. Mit mehr Phantasie hätte man sicher was ändern können, d.h. wir glauben, daß sie dem Problem des Meinungskampfes in den Massen für oder gegen die Guerilla zu wenig Aufmerksamkeit schenkten. Und damit machten sie es auch der Linken einfach sich so zu verhalten, wie sie sich verhalten hat.

Das sind die wichtigsten Punkte unserer Kritik. Wir sind vorsichtig, weil wir die konkreten Bedingungen der RAF nicht kennen. Wenn wir mal Zeit haben, schreibt sicher mal einer von uns mehr über das Problem, weil das logisch für unsere eigene Diskussion wichtig ist. Denn was die Linke bisher an Kritik an der RAF auf die papiernen Beine brachte, ist – bis auf ganz wenige Ausnahmen – ziemlicher Unsinn.

Frage:

Nun zu einem Argument, das von liberalen Kreisen und auch verschiedenen linken Fraktionen benutzt wird: „Auch der Klassenfeind ist ein Mensch und wie kann man einen menschlichen Kampf entfalten?“ Die Frage, ob nicht die Kampfformen, die Kampfinhalte und die Kampfmethoden vom Kapital bestimmt sind und daß sie deswegen ebenfalls autoritär, machtorientiert, gewaltinfiziert, inhuman, terroristisch sind, ist ja wohl in dem Satz enthalten.

Damit im Zusammenhang steht dann auch immer die auftauchende Behauptung, die Massen lehnen eure Aktionen ab, überhaupt euren Kampf und durch diese Art der Kampfführung erreicht ihr mit Sicherheit eine immer größer werdende Isolierung von den Massen und ganz aktuell werdet ihr dafür verantwortlich gemacht, wenn Solidaritätsbewegungen nicht mehr laufen können, wie z.B. der Hungerstreik der RAF- Genossen. [62] Wo also die ganze Linke so gerade eben richtig breit ihre Solidaritätsbewegung entfalten wollte und dann die Stadtguerilla den von Drenkmann umgelegt hat. Und das ist nicht der erste Fall, es hat schon bei vergleichbaren Anlässen die Argumente gegeben: die Appelle an die Öffentlichkeit usw. sind nicht mehr möglich, gehen völlig unter angesichts der Terror Taten, die inzwischen von Linksradikalen ausgeübt wurden.

.aber wenn der Satz „von Chile lernen“ irgendeinen Sinn haben soll, neben einigen anderen Sinnen natürlich, dann doch den, daß sämtliche Beispiele, die uns irgendwie zugänglich sind, gezeigt haben: Die Herrschenden in Ländern wie unserem oder in unterentwickelt gehaltenen Ländern lassen sich nicht durch gute Wünsche wegzaubern und nicht durch Verweigerungskampagnen und Streiks zum Verschwinden bringen und sind auch nicht durch den Aufbau einer Gegenkultur wegzuschaffen, durch Gegenmilieu. Soviel Narrenfreiheit zuzubilligen sind sie allemal bereit, solange nicht die Grundfesten ihres Systems erschüttert werden.

Antwort RZ:

Zunächst zu der möglichen Verhinderung von Solidaritätsdemonstrationen durch unsere Praxis: Wer die Demos und Kampagnen verhindert, sind doch nicht wir, sondern das sind diejenigen, die das Argument gebrauchen; wenn es einen Anlaß gibt für eine Kampagne, z.B. wegen des Todes von Holger Meins und gegen die Haftbedingungen, ne Kampagne in der Öffentlichkeit, dann ist der Anlaß doch nicht dadurch weg, daß die Stadtguerilla Drenkmann erschießt. Die Linken, die sich hier hinter diesem Argument verstecken, wollen nicht mit uns in einen Topf geworfen werden – in Presse und „öffentlicher Meinung“. Sie haben auch zuvor keine Hungerstreik Kampagne gemacht oder sie wünschen sich eine Kampagne aufbauend auf einem moralischen und humanitären Selbstverständnis, ohne daß ihnen was dabei passiert und ohne daß irgendwie zu viel Unruhe entsteht. Daneben gibt es natürlich noch Leute, die überhaupt den Klassenkampf ablehnen, also Reformisten aller Schattierungen, z.B. die Führer von DKP [63] oder Sozialistischem Büro 2000 [64]; in Bezug auf die hat eine Aktion wie die der Stadtguerilla im Fall von Drenkmann natürlich eine positive Funktion insofern, als daß eine Polarisierung innerhalb der Linken beschleunigt und schneller und klarer zu sehen ist, wer hat einen revolutionären Anspruch und wer ist schon längst auf dem reformistischen Dampfer abgefahren.

Zur Frage der Mittel, der „Gewalt-Methoden”: Man kann da sagen, daß zum einen ja aus den Sachen, die ich vorhin gesagt habe, hervorgeht, daß Stadtguerilla ja nicht eine militärische Fetischisierung von Gewalt ist, eine Rote Armee, sondern daß Guerilla eine ganz umfassende Sache ist. Was die gewaltsamen Formen jedoch betrifft, so ist natürlich klar, daß wir ebenfalls Waffen verwenden, wie sie die andere Seite verwendet und mit Revolvern und Bomben und Erpressung und Entführung arbeiten müssen – aber wenn der Satz „von Chile lernen“ irgendeinen Sinn haben soll, neben einigen anderen Sinnen natürlich, dann doch den, daß sämtliche Beispiele, die uns irgendwie zugänglich sind, gezeigt haben: Die Herrschenden in Ländern wie unserem oder in unterentwickelt gehaltenen Ländern lassen sich nicht durch gute Wünsche wegzaubern und nicht durch Verweigerungskampagnen und Streiks zum Verschwinden bringen und sind auch nicht durch den Aufbau einer Gegenkultur wegzuschaffen, durch Gegenmilieu. Soviel Narrenfreiheit zuzubilligen sind sie allemal bereit, solange nicht die Grundfesten ihres Systems erschüttert werden. Es zeigt sich jedoch, sobald irgendeine Widerstandsform anfängt, für sie gefährlich zu werden, daß sie dann – ganz egal, ob die Widerstand Leistenden bewaffnet sind, nicht bewaffnet sind, Kinder sind oder erwachsen oder sonst was – daß dann mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, einschließlich der brutalsten gewaltsamen Mittel dieser Widerstand gebrochen wird. Und wenn es mal durch Aufklärung der Volksmassen und einen weiter entwickelten Bewusstseinsstand über ihre Lage und deren Ursachen passiert und durch Wahlen, wie z.B. in Chile, dann wird auch alles versucht, die Umsetzung der Wünsche und Ideen und Programme der Leute und ihrer Parteien und Vertreter zu verhindern; und wenn das alles mit halbwegs friedlichen und diplomatischen und intrigenhaften Mitteln nicht möglich ist, dann wird ganz brutal zugeschlagen und es gibt die größten Massenabschlachtereien, die man sich vorstellen kann. Deswegen halten wir das Argument, ob der Terror auf die gewaltsam Widerstand Leistenden zurückfällt, für philosophisch angesichts der Wirklichkeit, der wir uns gegenübersehen, angesichts der grausamen Herrschaftsmethoden, über die Menschen verfügen, die die Macht haben, die angewandt werden und gegen die wir uns zur Wehr setzen müssen. Und die wir nur mit Gewalt endgültig beseitigen können, wobei „wir“ natürlich wieder nicht Stadtguerilla- Grüppchen meint, sondern natürlich – wie gesagt – nur eine Guerilla praktiziert von Massen. Außerdem: Wie die Formen der Auseinandersetzung in zig Jahren aussehen werden, will ich nicht prophezeien. Das kann völlig anders sein, als wir uns das heute vorstellen können. Aber das ändert nichts an der jetzigen Einschätzung und an den Konsequenzen, die wir notwendigerweise jetzt und immer wieder neu daraus ziehen müssen.

Also: Es gibt zwei Arten von Gewalt, es gibt zwei Arten von Toten. Die eine Seite der Gewalt ist die Gewalt der Herrschenden, zur Sicherung ihrer Herrschaft, zur Unterdrückung der Massen der Ausgebeuteten und Beleidigten, auf der anderen Seite gibt es den Widerstand kleiner Teile des Volkes, den Widerstand von Massen, den Widerstand auf verschiedenen Ebenen und in allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen mit allen nur denkbaren Mitteln. Genauso wenig also, wie man sagen kann, die Leiche von Drenckmann und die Leiche von Holger Meins sind beides Opfer sinnloser Gewaltanwendung oder sind in beiden Fällen Grund, sich zu solidarisieren oder gegen „die“ Gewalt aufzutreten, genauso wenig kann man davon sprechen, daß die Übernahme der „gleichen“ Mittel, nämlich Gewalt, Pistolen, Revolver, automatisch auch systemerhaltende Verhaltensweisen reproduziert. Inhuman wäre es, wenn man mit dem Wissen, jedoch unter Zuhilfenahme solcher Scheinargumente, auf die Aufnahme des Kampfes verzichten wollte oder die Aufnahme des Kampfes verschieben und abschieben wollte auf andere Leute.

Frage:

Es wird behauptet, daß durch die Stadtguerilla zaghafte Ansätze klassenbewußter Aktionen der Arbeiter sofort zertreten werden, so daß die Stadtguerilla praktisch dazu beiträgt, daß sich in diesem Land eine starke klassenbewußte Arbeiterbewegung gar nicht erst bilden kann.

Antwort RZ:

Daß die Ansätze von Klassenbewußtsein im Proletariat und Klassenkämpfe selbst durch die Stadtguerilla zerstört werden, kann gar nicht stimmen. Daß die Gewerkschaften das machen, das stimmt wohl, also bitte nicht den Feind aus den Augen verlieren. Die SEW hat bei den Berliner Wahlen im Wahlausschuss, als es um die Zulassung der Parteien BFD, KPD und KBW ging, als einzige gegen KPD und KBW gestimmt und sich beim rechten Bund Freies Deutschland der Stimme enthalten. Ich mein ja nur …

Also: Bisher hat unsere Praxis das nicht bestätigt, das einzige, was ich überhaupt akzeptieren würde, ist die Gefahr – aber das trifft die gesamte Linke – daß man bestimmte gesellschaftliche Konflikte falsch einschätzt und dann auch dementsprechend falsch interveniert. Das ist hundertmal, bei der Hochschulpolitik, Betriebsarbeit, Hausbesetzung, Straßenbahnkämpfen passiert. Eben weil wir falsche Einschätzungen hatten, haben wir immer wieder Niederlagen erlitten. Aber wir lernen noch! Und wir befinden uns in einem Prozeß permanenter Überprüfung. Deswegen bin ich eigentlich ganz hoffnungsfroh, wenn ich auch die Einschätzung des Genossen Mahler [65] nicht teilen kann, der zu meinen scheint, das Proletariat würde ihm die Mauer hinweg fegen, bevor er seine Zeit sowieso abgesessen hat. Und da wir als Revolutionäre Zelle nicht losgelöst von der Massenarbeit sind, das also mit Grundlage unserer Politik ist, sehe ich nicht, warum wir weniger Kontrollmöglichkeiten haben sollten, als die Sponti-Linke.

Frage:

Was sagst du zu folgenden Einwänden gegen das Konzept Stadtguerilla, Einwände, die man gerade bei linken Zeitungen, Gruppen sehr oft hört und die selbst von bürgerlichen Kommentatoren herangezogen werden, um einerseits zu rechtfertigen, daß es in Südamerika solche Bewegungen gibt und andererseits die Guerilla in Ländern wie dem unseren abzulehnen. Das geht dann so, daß man sagt: der Zeitpunkt, zu dem ihr den bewaffneten Kampf angefangen habt, sei verfrüht oder es heißt: bewaffneter Kampf gut und schön, aber in Chile, in Palästina, in Uruguay oder sogar in Spanien, in Italien, bloß nicht bei uns, denn hier fehle so was wie der soziale Hintergrund. In diesem Zusammenhang kannst du dich vielleicht auch beziehen auf dieses Modell von Revolutionen, wie es z.B. die KPD im Kopf hat, wo sich nämlich das Proletariat wie ein Mann erhebt, zu den Waffen greift und die Gefängnismauern des kapitalistischen Systems und wer weiß, was noch alles, hinweggefegt.

Antwort RZ:

Ja, das ist verhältnismäßig einfach zu beantworten. Also, ich hab es ja schon ein paar Mal gesagt: Es hat in Deutschland keine starke Widerstandsbewegung, keine Resistance wie etwa in Frankreich gegeben, und das bedeutet für uns, daß wir auf einem solchen Hintergrund nicht aufbauen können. Nicht umsonst gibt es auch so große Schwierigkeiten, in den Betrieben weiter zu kommen; aber die Leute, die behaupten, der Zeitpunkt für die Stadtguerilla wäre verfrüht, müßten dann konsequenterweise sagen, daß die Massenarbeit der Linken auch verfrüht ist. Denn auch dafür gibt es ja nun sehr wenig reale Grundlagen. Aber das ist natürlich albern, weil wir – und das habe ich auch schon gesagt – der Überzeugung sind, daß dieses System der „Herrschaft von Menschen über Menschen“ bekämpft werden muß. Es gibt ja nun mal die objektive Tatsache, daß wir in einem kapitalistischen System leben, das uns unterdrückt, ausbeutet und kaputt macht. Das Erkennen, das Empfinden und auch das Darunter- Leiden müssen ins Verhältnis gesetzt werden zu einer richtigen Strategie. Wir versuchen – um es etwas plump zu sagen – die gegenwärtige Situation zu analysieren und dann zu handeln. Wir meinen eben einfach, daß wir mit unserem Vermögen, mit der Möglichkeit, ständig Konfrontationen ausgesetzt zu sein, in der Lage sind, zu kämpfen und was wir noch meinen ist, daß so ein Zeitpunkt nie auf einen selber zukommt und auch nicht, wie die KPD meint, daß die Arbeiterklasse eines Tages wie ein Mann zum Gewehr greift. Das wäre so schön einfach, ich kann mir gut vorstellen, daß viele sich das wünschen, dann brauchten sie selber nicht für sich die Frage der Revolution zu entscheiden. Die Idee von Revolution ist kaum noch von Evolution zu unterscheiden, daß sich irgendwann einmal alles verändert, von selbst. Nun gut, das sind wir nicht. Wir meinen – und da spricht die Geschichte für uns – daß wir und alle, die schon ebenso bewußt unter diesem System leiden, also wo die objektive Situation zur subjektiven wird, eben in dem Moment anfangen müssen, für die Befreiung zu kämpfen. Daß für die Sponti-Linke der MIR oder die Roten Brigaden [66] eine größere Bedeutung hat als wir oder zum Teil als sie selber, hat etwas zu tun mit ihrem Verständnis von revolutionärer Bewegung. Chile ist ein Land, wo die objektiven Bedingungen so klar sind, (nur die Münchner Theoriewichser [67] meinen, die chilenischen Massen haben sich den Putsch selber zuzuschreiben, weil sie nicht genügend Kapitalstudium betrieben haben) daß es notwendig ist, den bewaffneten Kampf zu führen, um erfolgreich zu sein. In der BRD aber erscheint es nicht so. Ein Gutteil ist es der Kapitalismus selber, der mit seinen Mechanismen und Möglichkeiten, also der gesamten Ideologie, gegen die wir ja auch nicht ein für allemal gefeit sind, uns weismachen will, daß wir in einem demokratischen sozialen Rechtsstaat leben. Und der andere Teil ist der uns noch gelassene Raum, in dem wir agieren können. Ihn gibt es und es ist richtig, ihn voll und ganz auszuschöpfen, ihn politisch optimal zu erzwingen, ihn sich immer wieder zu nehmen. Aber wir müssen auch das nehmen, was uns dieser Staat sicher nicht freiwillig geben wird.