Apropos Klima: „Eine totale Zerstörung ist nötig“ – Um dem strategischen Pazifismus ein ende zu setzen

Ein Interview mit Andreas Malm

Während hierzulande FFF und Ende Gelände ihr Hauptaugenmerk auf “Hygiene Konzepte” zu legen scheinen, die den behördlichen Auflagen für den begrenzten symbolischen Widerstand gegen das Ende der Welt, wie wir sie kennen, gerecht werden, sind die Diskurse an anderer Stelle schon weiter. Wir haben deshalb das Interview von Acta Magazin mit Andreas Palm von Anfang September übersetzt, auch weil es aus einer anderen Perspektive als die des privilegierten Nordens spricht. Sunzi Bingfa

Wir sprachen mit Andreas Malm anlässlich der Veröffentlichung seines neuesten Buches, “Comment saboter un pipeline”, herausgegeben von “La Fabrique”. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Klimabewegung seit mehreren Jahrzehnten „zivil, höflich, sanft, fast rührend“ sei, stellt er die Notwendigkeit dar, diesen „Gandhi-Moment“ zugunsten einer „ohrenbetäubenden“ Ausübung politischer Gewalt zu überwinden, die den Antagonismus wieder in den Mittelpunkt der ökologischen Frage stellt.

Unter Hinweis darauf, dass die Bevölkerungen der Länder des Südens am stärksten von den Auswirkungen der gegenwärtigen Klimakatastrophe betroffen sind, plädiert Andreas Malm auch für die Bildung einer „antiimperialistischen Front“ in Westeuropa, die den Konflikt in das Herz der Metropolen des globalen Nordens bringen und so neue Kosten des Internationalismus und des ökologischen Kampfes artikulieren kann. Acta Magazin

ACTA: Andreas Malm, nachdem Sie zwei Bücher über fossiles Kapital und über Natur und Gesellschaft in einer sich erwärmenden Welt geschrieben haben, haben Sie gerade „Wie man eine Pipeline sabotiert“ (erschienen bei La Fabrique) veröffentlicht, in dem Sie schreiben: „Die Klimabewegung hat ihren Gandhi-Moment gehabt, zweifellos ist die Zeit für einen fanonischen Moment gekommen“. Was meinen Sie damit? Was ist die Bilanz, die Sie dazu veranlasst, dies zu schreiben?

Andreas Malm: Die Klimabewegung ist seit mehr als zwei Jahrzehnten zivil, höflich, sanft, fast rührend. Wir haben Fortschritte gemacht, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns, und die Zeit läuft uns davon. Die gandhischen Ideale der Gewaltlosigkeit – die oft als absolute Dogmen verteidigt werden, auch wenn sie grauenhaft widersprüchlich sind – können nicht länger als einziger Bezugspunkt der Bewegung dienen.

Fanons Vermächtnis und seine Theorien über politische Gewalt legen eine Alternative nahe. Sie besteht in erster Linie darin, zwischen verschiedenen Formen von Gewalt zu unterscheiden: Nicht alle Gewalt ist gleich, nicht alle Gewalt hat ein schlechtes ethisches oder politisches Profil: Manche schlagen von oben zu, andere von unten; manche Gewalttaten reproduzieren unterdrückende und zerstörerische Strukturen, andere stellen sie in Frage, manche lassen dem Hass auf untergeordnete Gruppen freien Lauf, andere äußern den Wunsch zu leben und die Wut, die daraus entsteht, dass ihnen ein vollwertiges Leben oder sogar ein Leben überhaupt verweigert wird.

Daraus folgt, wie Fanon argumentiert, dass einige Formen der Gewalt ein emanzipatorisches Potenzial haben können. Angesichts des heutigen Fortschritts der Klima Degradation ist dies, glaube ich, besonders aktuell. Die Art von Gütern, die diesen Planeten verwüsten und täglich töten – nämlich die Maschinen, die fossile Brennstoffe ausgraben und verbrennen – sollten physisch zerstört werden. Das wäre eine Form der Gewalt, auch wenn man – wie es sich gehört und richtig ist – vermeiden muss, jemanden zu verletzen. Diese Form der Gewalt hätte alle positiven Aspekte, die Fanon als emanzipatorisch bezeichnet, doch die gandhi sche Tradition würde sie mindestens ebenso streng verurteilen wie jede andere Form der Gewalt. Ich denke, hier handelt es sich um eine ethische und politische Blindheit, und je schlimmer die Klimakrise wird, desto offensichtlicher – und desto tragischer – wird diese Blindheit für die Bewegung sein.

ATCA: Sie entwickeln eine ausgesprochen taktisch-strategische Herangehensweise an die Frage der politischen Gewalt, indem Sie „strategischen Pazifismus anprangern“. Einerseits beschreiben Sie, wie in der Geschichte der revolutionären Bewegungen die Existenz eines radikalen Flügels immer weitreichende Entwicklungen ermöglicht hat, die mehr oder weniger adäquat auf reformistische Forderungen reagiert haben. Auf der anderen Seite bekräftigen Sie angesichts des derzeitigen Kräfteverhältnisses, dass es notwendig ist, den Umfang des Antagonismus zu erweitern. Können Sie diesen Punkt näher erläutern?

Andreas Malm: Das Klimaproblem ist ein Antagonismus auf allen Ebenen. Es stellt sich also die Frage, ob die Bewegung – und eigentlich jeder, der versucht, eine unkontrollierbare Katastrophe zu vermeiden und sich für die Stabilisierung des Klimas einsetzt – den Antagonismus artikuliert oder versucht, ihn abzumildern, unter den Teppich zu kehren, seine Existenz zu leugnen, über ihn hinwegzugehen. Die Aufgabe der Bewegung sollte darin bestehen, Massen von Menschen um ein ehrliches und kompromissloses Programm für einen radikalen und sofortigen Übergang zum Verzicht auf fossile Brennstoffe zu scharen. Dazu ist es notwendig, einen Feind zu isolieren und ihm entgegenzutreten – am offensichtlichsten ist der Anteil des Kapitals, der von der fortgesetzten Gewinnung fossiler Brennstoffe lebt und davon profitiert. Mein französischer Lieblingsfall, weil wir in einem französischen Kontext sprechen, ist das erste kapitalistische Unternehmen in Frankreich: Total. Es muss aufhören, als Öl- und Gasunternehmen zu existieren. Jeder, der die Gründe für die globale Erwärmung auch nur annähernd kennt, weiß das. Es gibt keine andere Lösung: Total, das größte kapitalistische Unternehmen in Frankreich, muss seine Aktivitäten einstellen. Natürlich impliziert dies einen Antagonismus – seine Definition, sein Axiom -, denn die Eigentümer dieses Unternehmens planen, wie die Eigentümer jedes anderen Öl- und Gasunternehmens, täglich die Ausweitung ihrer Aktivitäten. Sie beabsichtigen, mehr Brennmaterial auszugraben, um das Feuer zu schüren. Jeder Vorstoß, jeder Durchbruch bedeutet, diesem Bruchteil der Kapitalistenklasse eine Niederlage zuzufügen – als minimaler Anfang.

Ich kenne kein Beispiel in der Geschichte, in dem ein sozialer Antagonismus dieser Intensität und dieses Ausmaßes gelöst wurde, ohne ein Element der militanten Konfrontation mit „Eigeninteressen“, um den Standardbegriff der Klimapolitik zu verwenden. Strategischer Pazifismus ist eine Denkschule, die gerne glaubt, dass solche Feinde immer durch absolute Gewaltlosigkeit besiegt worden sind. Ich möchte sie nicht so sehr anprangern, sondern Klimaaktivisten und andere daran erinnern, dass diese Idee sehr wenig mit der historischen Realität zu tun hat. Ich schlage eine kurze Widerlegung des strategischen Pazifismus vor, aber man könnte ganze Enzyklopädien anhäufen, um die Argumente gegen ihn weiter zu untermauern – oder sich einfach anschauen, was heute in der Welt geschieht.

Black Lives Matter ist als Massenbewegung explodiert, nicht nach einer weiteren Runde stiller Mahnwachen und gut durchgeführter Petitionen. Sie explodierte, nachdem Bewohner von Minneapolis die Polizeistation des Dritten Bezirks gestürmt und in Brand gesetzt hatten. Der strategische Pazifismus sagt voraus, dass ein solcher Akt die Massen sofort entfremden und die Bewegung zur Marginalität und Bedeutungslosigkeit verdammen sollte, aber genau das Gegenteil geschah: Der Angriff zeigte, dass die Polizei nicht über dem Gesetz steht, dass sie nicht unantastbar ist, dass sie nicht über der Macht des Volkes steht, sie zu Fall zu bringen, und er war der Katalysator für das größtmögliche Spektrum an antirassistischem und polizeifeindlichem Massenaktivismus in den Vereinigten Staaten und darüber hinaus. Unnötig zu sagen, dass diese ganze Bewegung nicht nur aus militanten Aktionen bestand, wie zum Beispiel der Stürmung von Polizeistationen oder der Demontage von Statuen. Aber die radikale Flanke war ein integraler Bestandteil davon, und ich sehe nicht, wie jemand ernsthaft behaupten könnte, dass die Bewegung weiter gegangen wäre, wenn sie ausschließlich friedlich gewesen wäre und nie etwas verbrannt oder zerstört hätte. Es ist ganz offensichtlich, dass die Zugeständnisse, die diese Bewegung dem amerikanischen Staatsapparat in unterschiedlichem Ausmaß abgerungen hat, ohne das Element des radikalen Aktivismus, das seit der Ermordung von George Floyd zur Schau gestellt wurde, undenkbar sind.

Das Problem der Klimabewegung ist, dass es ihr noch an einer radikalen Flanke fehlt. Es gibt immer noch kein Äquivalent zur Stürmung und Verbrennung einer Polizeistation, obwohl es keinen Mangel an Infrastruktur im Zusammenhang mit fossilen Brennstoffen gibt, die Zentren permanenter Gewalt beherbergt – vor allem gegen nicht-weiße Menschen! Im September 2020 ist die Klimabewegung immer noch gelähmt und stagniert seit Beginn der Covid-19-Pandemie an der gleichen Stelle. 2019 war unser bisher stärkstes Jahr mit einem Höchststand an Mobilisierung in der Bevölkerung, obwohl es immer noch alles völlig pazifistisch ist. Sollte unsere Bewegung wieder in Schwung kommen, könnten zusätzlich fünfzig oder hundert Gigatonnen Kohlendioxid in der Atmosphäre verbleiben. Umso mehr Grund also, den Kampf zu intensivieren (eskalieren).

ACTA: In Ihrer Argumentation arbeiten Sie eine Genealogie von von westlichen Klimaaktivisten normalerweise nicht zur Kenntnis genommenen Kämpfen heraus, von den Black Panthers bis zur Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), vom radikalen Flügel der Suffragetten bis zu den nationalen Befreiungskämpfen, und Sie legen viel Wert auf den Widerstand im Süden. Können Sie uns etwas über einige der „weißen und bürgerlichen“ Merkmale der gegenwärtigen Bewegung im Westen erzählen und darüber, wie wichtig es für die Klimabewegung ist, einen echten Internationalismus neu zu überdenken, der antiimperialistische Elemente einbezieht?

Andreas Malm: Das Leid, das durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe verursacht wird, trifft die Menschen im Süden jeden Tag. Schauen Sie sich nur die letzten Monate an: die katastrophalen Überschwemmungen im Jemen und in Somalia, die Überschwemmungen großer Teile von Bangladesch, die Heuschreckenplage in Ostafrika, die anhaltende Dürre und die Waldbrände in Argentinien – es nimmt kein Ende. Unsere Medien sind besser in der Lage, über Brände in Kalifornien oder Wirbelstürme in Texas zu berichten, aber der größte Teil der Todesopfer ist im Süden zu beklagen. Das bedeutet, dass der Klimakampf mit den Überlebensinteressen der Menschen in Ländern in Einklang gebracht wird, die einst im Zentrum der antiimperialistischen Solidaritätsbewegungen im globalen Norden standen. Es ist an der Zeit, diese Tradition wieder aufleben zu lassen.

Es gibt jedoch einen qualitativen Unterschied: In der Ära der antikolonialen Kämpfe standen die Menschen in der damals sogenannten Dritten Welt dem Feind in ihrem eigenen Leben, in ihren Städten und auf ihren Feldern, von Angesicht zu Angesicht gegenüber und waren daher bestens in der Lage, direkt Vergeltung zu üben. Die Antiimperialisten im Zentrum handelten in sekundärer Solidarität mit diesen Kämpfen vor Ort. Heute leiden die Menschen im Süden unter den Folgen der groß angelegten Verbrennung fossiler Brennstoffe, die weit entfernt von ihnen unternommen, unterhalten und verbreitet wird.

Flüchtlinge im Jemen, deren Zelte von sintflutartigen Regenfällen weggespült wurden, haben eine begrenzte Fähigkeit, den Feind anzugreifen, gerade weil sie so weit weg sind. Aber innerhalb der Metropole ist die Infrastruktur für fossile Brennstoffe überall, und dort sammeln sich die Erträge dieser Infrastruktur an. Das macht den Kampf innerhalb der Metropole noch dringender. Die Algerier könnten die Franzosen auf ihrem eigenen Territorium aus Algerien vertreiben, aber die Jemeniten, die Bangladescher und die Argentinier können das fossile Kapital nicht allein zu Hause besiegen, denn dort hat das fossile Kapital nicht seinen Hauptsitz und seine konzentrierte Technomasse auch nicht. Eine Aktion gegen ein Braunkohlebergwerk in Deutschland ist eine Aktion in ihrem Interesse. Es ist, wenn Sie so wollen, die Dritte Welt 2.0, oder die antiimperialistische Front in Westeuropa, die sich der Klimagerechtigkeit verschrieben hat. Oder es ist das, was passieren sollte, wenn die Klimabewegung ihrer historischen Aufgabe gerecht werden würde.

Aber dies ist nicht der einzige qualitative Unterschied; das Klimaproblem ist natürlich einzigartig konstituiert. Westliche Aktivisten der Ära des Vietnamkrieges argumentierten manchmal, dass die Barbarei, wenn sie in den Peripherien nicht gestoppt würde, schließlich wieder in Form von Faschismus, mörderischer Tyrannei oder einer anderen Geißel dieser Art in die Metropole zurückkehren würde.

Heute stellt diese Dynamik buchstäblich eine materielle Tatsache dar: Wenn die Not des globalen Südens in einer überhitzten Welt ignoriert wird – wie es in den letzten drei Jahrzehnten der Fall war -, wird sie auch den Norden erreichen. Wir erleben nun täglich, wie sich dieses Szenario vor unseren Augen entfaltet, zuletzt zum Beispiel im pazifischen Nordwesten der Vereinigten Staaten. Wenn die Brände, die zuerst die armen Nicht-Weißen verbrennen, nicht gelöscht werden, werden sie schließlich alle verzehren. Umso mehr Grund, im Norden einen militanten Kampf zu führen, und Angst vor seiner Abwesenheit zu haben.

ATCA: Eine Sache, über die Sie in Ihrem Buch nicht viel sprechen, ist die organisatorische Übersetzung Ihrer „Arbeitsteilung“ zwischen einem moderaten und einem radikaleren Flügel. Daraus könnte man folgern, dass Sie der Klimabewegung vorschlagen, die Form einer Front anzunehmen. Aber in anderen Texten behaupten Sie, ein ökologischer Leninist zu sein, Sie studieren den Kriegskommunismus genau, und Sie stehen bestimmten Formen der Horizontalität sehr kritisch gegenüber, sei es in Ihrem ökologischen Aktivismus oder zum Beispiel beim Aufstand auf dem Tahrir-Platz in Ägypten. Können Sie uns das erklären? Welche Organisationsformen halten Sie für angemessen für die Klimabewegung?

Andreas Malm: Ich plädiere für taktischen und organisatorischen Pluralismus. Wir brauchen fast jede Form von Aktivismus und Organisation, die wir bekommen können – mit wenigen Ausnahmen: Wir brauchen keinen Terrorismus; das wäre, wie ich im Buch ausführe, katastrophal für uns. Das bedeutet offene Massenmobilisierungen wie “Friday For Future”, “Extinction Rebellion”, Camps für zivilen und klimatischen Ungehorsam und Wahlkampagnen – und, ja, militante direkte Aktionen, die von kleineren Gruppen von Kadern organisiert werden.

Es bleibt das Missverständnis bestehen, dass direkte Aktionen die ausschließliche Domäne von Anarchisten und anderen Befürwortern horizontaler und „libertärer“ Politik sind. Aber die Geschichte der Linken – auch der europäischen Linken nach 1968 – besteht auch aus leninistischen Gruppen, die einige der gewagtesten direkten Aktionen durchführen. Es gibt keinen Widerspruch zwischen Leninismus und der Praxis der Zerstörung von Eigentum, ganz im Gegenteil. Weder die Black Panthers, noch die PFLP, noch die europäischen Gruppen, die mit ihnen solidarisch handelten, waren Anarchisten. Hier gibt es eine Geschichte neu zu lernen.

ACTA: In Ihrem Buch erwähnen Sie bestimmte Kampagnen, wie das Durchlöchern von SUV-Reifen oder die Sabotage von Pipelines. Gibt es noch andere interessante Praktiken, die durchgeführt werden?

Andreas Malm: Im Moment nicht, da alles ausgesetzt ist… Ich hoffe, dass es schnell wieder losgeht.