Dancing In The Rain – L 34

Sebastian Lotzer

Lautstark schiebt sich die Menge durch die enge Gasse in Richtung Hackescher Markt, vorneweg eine knappe Hundertschaft. Pünktlich hat der Nieselregen eingesetzt, die Nässe kriecht durch die Ritzen und Poren, macht die Beine klamm. Die Bordsteinschwalben haben unter einem Vorsprung Unterschlupf gesucht, zücken ihre smartphones, Lächeln im Gesicht, mal was anderes als die immer gleichen Touristenvisagen. Aus den Bereitstellungsräumen strömen weitere Hundertschaften, Bundespolizei und andere Auswärtige. Der erste Fehler: Arroganz. Unterschätze nie einen angeschlagenen Gegner.

Und während die Bullen noch ihr Spalier aufziehen, gehen schon die ersten Scheiben zu Bruch. Irgendwelche Läden mit irgendwelchen Kram, den keiner braucht, oder sich kaum einer leisten kann. Aber heute ist vieles nicht wie sonst, kein Zögern, keine Panik, schnellen Schrittes weiter. Da wo das Spalier aufhört ein weiterer militanter Kern, Pyros fliegen auf die Bullen, die ersten Steine. Die Demo biegt in Richtung Alex ab, immer mehr Feuerwerk und Rauchbomben, irgendwo klirren weitere Scheiben, die Bullen verlieren den Überblick. Neue Bullentrupps eilen herbei, kurzfristig flutet der hintere Teil der Demo zurück, noch mehr Steine und Pyros für die Bullen, die Leute fassen sich ein Herz, die Lücke wird zu gelaufen, die Bullen erleichtert, der Plan, stoppen vorne auf, arbeiten am Spalier. Zweiter Fehler: Mangelnde Flexibilität.

Während die Bullen damit beschäftigt sind, den Frontblock dreifach zu umstellen, setzen sich hinten Grüppchen ab. Manchen wird es zu hart, manche haben Pläne. Mit Hämmern und Steinen werden all die netten kleinen Shops bearbeitet, in denen man Handtaschen kaufen kann, die ungefähr so viel kosten, wie manche Proletenfamilie im Monat hat, um nach dem Abzug von Miete, Versicherung und Strom über die Runden zu kommen. Der Frontblock setzt sich wieder in Bewegung, die Bullen haben völlig den Überblick verloren, irgendwo landet aller möglicher Kram auf der Straße, Alarmanlagen heulen, Autos brennen.

Die Zivis stehen planlos in kleinen Gruppen rum, haben heute Schiss näher ran zu gehen.

Die Demo hat sich reorganisiert, nur noch die Hälfte, aber die ist gut drauf. Es regnet immer noch, irgendwie sind jetzt alle Klamotten nass, aber das spielt jetzt auch keine Rolle mehr. Rechts und links die Bullen, aber es werden weiter die Parolen in den Regen gerufen und heute weniger trotzdem sondern gerade. Es geht einmal um den Block, immer wieder illuminiert bengalisches Feuer die Nacht. In der Alten Schönhauser wollen die Bullen es dann wissen, greifen mit voller Wucht den Frontblock an, der hält sich aber hinter Transparenten und Regenschirmen und die Bullen ziehen zurück. Einige Meter weiter der nächste Angriff, sie erbeuten ein Transparent, das war es aber heute schon mit ihren Erfolgen.

Dann diskutiert der Führungssbulle der Bundesbullen vor der Demo mit seinem Berliner Kollegen. Die Demo muss lange auf der Stelle verharren. Wie die Irren verlegen die Bullen Kräfte, teils zu Fuss hetzen Hundertschaften durch die Straßen auf die weitere Demoroute, Panik was noch komme könnte, vielleicht suchen sie aber auch die Unbekannten, die die Autos in Brand setzen und die Scheiben einwerfen. Vielleicht suchen sie aber auch nur ihre Selbstherrlichkeit und Souveränität, Berlin ist Chaos und nicht der Truppenübungsplatz in Blumberg oder sonstwo.

Dann darf die Demo weiter, jetzt sind es noch ein Drittel der ursprünglich Dreitausend, die durch die diesen ewigen Regen ziehen, immer noch ihre Wut in die Nacht schreien. Es geht in den Prenzlauer Berg, das Tuntenhaus grüsst mit flammenden Herzen, das letzte Stück in die Eberswalder, dann ist es geschafft, schnell löst sich die Menge auf, die Bullen tätigen noch Festnahmen für ihre Statistik, während in Friedrichshain schon wieder Leute am Start sind. Dann fällt Berlin in die Sperrstunde und die Nächte gehören wieder den Bullen. Vorerst.