Statement der Anarchistischen Initiative Ljubljana

Dies ist erst der Anfang

Bereits in der Sunzi Bingfa No 5 haben wir einen Bericht zu den Protesten in Slowenien unter den Bedingungen des Pandemie Ausnahmezustandes im Heft gehabt, der u.a. auch auf die geschichtliche Entwicklung dieser Proteste und die Rolle der antiautoritären Linken in diesen Protesten eingegangen ist. Eva Avštand hat für diese Ausgabe eine aktuelle Erklärung der Anarchistischen Initiative Ljubljana übersetzt. Angesichts steigender Fallzahlen auch in Slowenien wird dort erneut der Ausnahmezustand erheblich verschärft, was u.a. auch das Recht sich zu versammeln betrifft. Die Repression der Regierung richtet sich zielgerichtet auch gegen die anarchistischen Gefährt*innen. Zur aktuellen Entwicklung in Slowenien lohnt es sich, der Berichterstattung auf dem Twitter account https://twitter.com/altepunks zu folgen.

Ein halbes Jahr nach dem ersten, autoritären Schock, welcher zum Teil durch den massenhaften, selbstorganisierten Widerstand der Menschen gebremst wurde, sieht die Regierung das Wiederaufleben der Covid19 Epidemie, als eine Möglichkeit es mit dem selben Projekt noch einmal zu versuchen. Obwohl die Regierung sechs Monate an den Hebeln der Macht saß, versäumte sie es in der epidemiologischen Pause zwischen den Wellen für weitere medizinische Kapazitäten zu sorgen. Sie bevorzugte es in der Sonne zu baden, während über den Köpfen der Menschen Militärflugzeuge flogen und die Regierung versuchte lediglich ihre Machtmittel auszubauen. .

Anstatt öffentliches Geld, für den Langzeitschutz für die Verletzlichsten der Gesellschaft, während dieser sich langsam wieder entwickelnden Krise bereitzustellen, wird es für riesige Waffenkäufe der Armee eingesetzt. Anstatt den Leuten zu zugestehen sich zu organisieren und politisch frei zu handeln, werden sie schikaniert, bestraft, attackiert und eingeschüchtert durch die Regierung. Anstatt die am Gefährdetsten zu schützen, dies beinhaltet Wohnungs- und Obdachlose, Geflüchtete, migrantische und arme Menschen, werden diese Menschen in Lager eingesperrt, gejagt wie Tiere und von den Straßen in den Städten und entrechtet.

All dies zeigt deutlich, dass es selbst unter den Bedingungen einer Epidemie, für die Regierung am wichtigsten ist, ihre eigene Macht aufrechtzuerhalten und zu festigen. Anstatt einen Beitrag zu leisten, während der Epidemie die Gesellschaft zu fördern und neue Bindungen entstehen zu lassen aus Empathie, Solidarität und Gemeinschaft, verhindert sie dies allzu oft aktiv.

Keine*r sollte also überrascht sein, dass die Zahlen im Moment exponentiell steigen: Die Zahl all jene*r die medizinische Hilfe benötigen, die Zahl der Toten, die Zahl der Leute ohne reguläre oder notfallmedizinische Versorgung, die Zahl der Menschen die ihre Arbeit verloren haben, die Zahl der Menschen die obdachlos zurückgelassen werden, die Zahl jener die bestraft wurden, für ihre Armut oder dafür politisch aktiv zu sein.

Anstatt neue Mitarbeiter*innen im Gesundheitssystem gut auszubilden und zu bezahlen, weitet die Regierung die polizeilichen Befugnisse aus und möchte diese auch Personen übertragen, die früher Soldaten waren oder heute Teil der Steirischen Garden sind. Keine*r sollte also überrascht sein, dass die Zahlen im Moment exponentiell steigen: Die Zahl all jene*r die medizinische Hilfe benötigen, die Zahl der Toten, die Zahl der Leute ohne reguläre oder notfallmedizinische Versorgung, die Zahl der Menschen die ihre Arbeit verloren haben, die Zahl der Menschen die obdachlos zurückgelassen werden, die Zahl jener die bestraft wurden, für ihre Armut oder dafür politisch aktiv zu sein.

Als Gesellschaft haben wir in der ersten Welle verantwortungsbewusst und besorgt umeinander reagiert und die Folgen der Epidemie nach besten Kräften begrenzt. Als Gesellschaft gewöhnen wir uns jetzt daran, dass die Krankheit unter uns ist, wir akzeptieren sie und wir kämpfen erneut, um ihre Folgen so weit wie möglich zu begrenzen. Aber unsere Hände sind oft gebunden, da wir trotzdem zum Arbeiten in Fabriken, Büros, Lagern, auf Märkten, in Schulen, Geschäften und vielen anderen Institutionen und Unternehmen gehen müssen, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Aber es gibt einen Ort, an den wir ihrer Meinung nach nicht gehen sollten: zu den Protesten gegen ihre autoritäre Politik. Derselbe Arbeiter, der jeden Tag in eine abgeschlossene und schlecht belüftete Halle gehen muss, um seinen miserabel bezahlten Job zu behalten, darf am Freitagabend nicht an die frische Luft gehen, um zu protestieren. Dieselbe Arbeitnehmerin, die jeden Tag in einem Supermarkt arbeiten muss, wo sie mit Hunderten von Kunden in Kontakt steht, darf am Freitagabend nicht mit Mitgliedern ihres Haushalts protestieren, selbst wenn sie dieselbe Schutzmaske trägt wie bei der Arbeit und auch wenn sie Abstand zu anderen Menschen hält, sie es auch bei der Arbeit tut.

Es ist klar, dass die Belästigung von Menschen durch die Polizei nichts mit der Sorge um ihre Gesundheit zu tun hat, sondern ausschließlich damit mit der Angst der Behörden vor politischen Aktionen, die nicht unter ihrer Kontrolle sind. Die Tatsache, dass sich die Menschen zum Wohle der Arbeit zusammenschließen müssen und sich gleichzeitig aufgrund einer regierungskritischen Politik nicht zusammenschließen dürfen, bestätigt, dass die erste Loyalität dieser Regierung auch gegenüber dem Kapital liegt.

Der Machtmissbrauch führt verständlicherweise und zu Recht zu Widerstand, der solange er ein authentischer Ausdruck der Ablehnung der autoritären Diktatur bleibt, die Pläne selbst der aggressivsten und gierigsten Clique an der Macht gefährden kann. Letztere benötigt daher eine Verschleierungstaktik bzw, eine Nebelwand, um ihr Projekt der Machtübernahme durchzuführen zu können, hinter dem sie ihre wirklichen Interessen und Motivationen verbergen können. Dieser Vorhang besteht aus Angst, Hass, nicht überprüfbaren Informationen, widersprüchlichen Maßnahmen und einer offensichtlichen Diskrepanz zwischen Zielen und Methoden.

In Zeiten der Epidemie bedeutet dies auch, die Möglichkeit einer vernünftigen Diskussion, über das Ausmaß der Bedrohung und des Schutzes vor dem Virus, zu zerstören. Damit der Vorhang so dick wie möglich ist, braucht er sowohl untergeordnete Medien als auch Medien, die ihr Spiegelbild sind und der parlamentarischen Opposition untergeordnet sind. Universeller Verdacht, Einsicht, Angst und Unsicherheit individualisieren Menschen, trennen sie voneinander und blockieren die Möglichkeit gemeinsamer Reflexion und gemeinsamen Engagements. Voneinander entfremdet sind Menschen eine leichte Beute für Scharlatane durch Manipulationen, gefälschten Nachrichten, erfolgreichen Propaganda-Medien, feindlicher Propaganda und Verschwörungstheorien aus den Händen von Menschen, die sich patriotischer Folklore hingeben, die Wissenschaft verachten und eine ideale Symbiose mit dem aggressiven Ansatz der Regierung eingehen.

Widerstand gegen einen autoritären Staat und Armut sind die grundlegendsten Ausdrücke von Menschlichkeit. Die Welle der Proteste welche sich seit Monaten in Slowenien ereignen, ist vollkommen gerechtfertigt und verständlich. An diesem Punkt, bedeutet Verantwortungsbewusstsein gegenüber sich selbst und gegenüber Anderen, nicht nur das häufige Tragen von Masken und das Verwenden von Desinfektionsmitteln, es bedeutet auch das Zurückweisen des Regimes der Feigheit.

Der Grund für die aggressive Antwort der Autoritäten auf die Proteste im Frühling und auch jetzt, liegt nicht in der Angst vor der Gefahr einer Ausbreitung der Epidemie, sondern ist begründet im Verlangen des Staates den sozialen Status Quo aufrecht zu erhalten, ein System des globalen Kapitalismus, welcher Elend, Konflikte, Krieg und Armut überall erzeugt. Wenn die Eliten ihre Macht über die Menschen erhalten wollen, benötigen sie eine immer autoritärer werdende Politik und in diesem Punkt sind Slowenien und sein glorreicher Führer nicht wirklich speziell.

Ähnliche Prozesse finden in viel grösseren und wichtigeren kapitalistischen Ländern statt, wie den Vereinigten Staaten, Brasilien, Frankreich, aber auch in Chile, Russland, Griechenland, Belarus, Ungarn und in vielen anderen Ländern und Regionen. Der Kampf der Menschen rund um den Globus, für ihre grundsätzlichsten Bedürfnisse und ihre Würde, befeuert auch viele Opportunisten, die versuchen auf den Schultern derer die am meisten riskieren, eine komfortable politische Karriere aufzubauen.

Auch hier, bei uns, versucht die parlamentarische Opposition den Protest zu nutzen um an die Macht zurückzukehren, welche sie so sehr vermisst. Aber keine*r sollte Illusionen haben: Auch wenn eine neue Regierung für manche ein schöneres Gesicht zeigen würde, die fundamentale Ausrichtung einer neuen Regierung würde auch bedeuten, in Kontinuität mit der momentanen Regierung zu stehen. Es kann weiterhin ein Regime der Militarisierung und der Grenzen, eine sich beschleunigende Zerstörung der Natur und der Umwelt, die Limitierung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung und die Unterwerfung unter die Zentren der kapitalistischen Macht, erwartet werden.

Als Teil der Unterdrückten, Verfolten, Ausgelöschten und Ausgebeuten überall auf der Welt, machen wir uns darüber keine Illusionen. Die Corona Epidemie wird auf unabsehbare Zeit weiter gehen. Mit oder ohne ihr, werden die Angriffe auf die Natur, die Umwelt und die Menschen ebenso auf unabsehbare Zeit weiter gehen. Mit oder ohne ihr, werden die Attacken auf Arbeitnehmer*innerechte und sozial Marginalisierte auf unabsehbare Zeit weitergehen. Mit oder ohne ihr, werden die rassistischen Grenzregime, Kriege und das Profitieren vom Krieg auf unabsehbare Zeit weiter gehen. Und doch, trotz allem, müssen wir uns unsere Würde erhalten, unsere Stimmen erhalten und mit Ihnen die Möglichkeit eine Alternative zu diesem System von Tod und Zerstörung aufzubauen. Wir können diese Zukunft nicht alleine bauen, gefangen gehalten von künstlichen nationalstaatlichen Grenzen, schwer tragend am Rucksack unserer Identitäten und durch das Übertragen unserer Verantwortung an diesen oder jenen Repräsentanten jenes Systems, das uns durch Wahlen zerstört. Für uns bedeutet eine Zukunft für die es sich zu kämpfen lohnte, eine vielseitige Zukunft, eine Zukunft die keine Grenzen kennt, kein Patriarchat und keine Ausbeutung. Es gibt Raum in ihr für Alle, ausser für Jene die ihre zerstörerischen und monolithischen Visionen anderen aufzwingen möchten.

Keine Regierung und keine Polizei haben das Recht zu bestimmen, auf welchem Weg wir uns Gehör verschaffen. Jede Regierung die sich dieses Recht trotzdem anmaßt und mit Hilfe von Gewalt durchsetzt, ist eine Diktatur. Egal ob wir uns als Gesellschaft mitten in einem Krieg, einer Pandemie, einer Naturkatastrophe oder einem anderen Unglück befinden. Widerstand gegen jede Diktatur ist gerechtfertigt. Wir werden hier sein, noch lange nachdem die derzeitigen politischen Figuren wieder verschwunden sind.

Deshalb lasst uns umsichtig sein, entschieden und verständnisvoll, selbst in diesen turbulente Zeiten in welche die Geschichte uns platziert hat. Viele werden nicht zu den nächsten Protesten gehen, weil sie die Zahlen über die Ausbreitung der Epidemie mit Sorge erfüllen. Andere werden die Proteste verpassen, weil sie sich keine finanziellen Sanktionen oder andere Formen polizeilicher Repression leisten können. Andere werden teilnehmen und sich fragen ob dies nun der richtige Schritt ist oder nicht. Wiederum Andere werden genau deshalb trotz ihrer Bedenken an den Protesten teilnehmen, weil die Regierung von Ihnen wünscht dies nicht zu tun.

All diese verschiedenen Entscheidungen müssen verstanden und gemacht werden. Was auch immer die Einzelne als Individuum entscheidet, oder auch als Gruppe oder Kollektiv. Es gibt nicht nur den einen vorgezeigten Weg für verantwortliches Handeln. Alle die an den Protesten teilnehmen sollten sich Sorgen machen sowohl um den Schutz vor dem Virus, als auch um den Schutz vor der Polizei. Beides für sich selbst, und Andere. Sie sollten Verantwortung übernehmen für ihr Verhalten, und diese nicht angeblichen Führer*innen oder Verwalter*innen übertragen, egal wie laut diese sind. Wer nicht an den Protesten teilnimmt, sollte versuchen andere Wege zu finden, um die legitimen Anstrengungen die autoritäre Welle zu stoppen, zu unterstützen. Entweder alleine oder in kleinen Gruppen. In ihrer Gemeinschaft, Dorf, wenn möglich an anderen Orten als dem Internet. Das ganze wird nicht so schnell vorbei sein und wir sollten lernen so schwer fassbar wie Wasser und abstoßend wie ein Dorn in der fünften Potenz zu sein . Warten wir nicht, fangen wir an! Graffiti, Poster, Sticker, Agitation am Arbeitsplatz und Zuhause, Besuche von Älteren, Streik und Sabotage. Jeder dieser kleinen rebellischen Aktie ist ein Schritt für Menschlichkeit, Liebe, Leidenschaft, Freund*innenschaft zu erhalten und die beste Garantie die Agenten der Teilung und des Todes zu stoppen.

Lasst uns nicht der Unterdrückung, dem Schweigen, der Ausgangssperre und anderen autokratischen Maßnahmen unter dem Vorwand dringender Maßnahmen zur Bekämpfung der Epidemie zustimmen, die lediglich dazu dienen die Macht des Kapitals zu festigen und die Kontrolle über das Volk zu erhöhen. Lasst uns auch innovativ sein, um Wege zu finden, wie wir in Zeiten, in denen wir mit Individualismus konfrontiert sind, zusammen sein können. Jede autoritäre Regierung hasst die autonome und freie kollektive Initiative am meisten.

In den kommenden Tagen und Monaten wird Solidarität das zentrale Wort sein. Mit den Kranken, mit den Entlassenen, mit den Obdachlosen, mit den Menschen auf die ihre Unterdrückung zielt, mit den Inhaftierten. Lasst uns nicht der Unterdrückung, dem Schweigen, der Ausgangssperre und anderen autokratischen Maßnahmen unter dem Vorwand dringender Maßnahmen zur Bekämpfung der Epidemie zustimmen, die lediglich dazu dienen die Macht des Kapitals zu festigen und die Kontrolle über das Volk zu erhöhen. Lasst uns auch innovativ sein, um Wege zu finden, wie wir in Zeiten, in denen wir mit Individualismus konfrontiert sind, zusammen sein können. Jede autoritäre Regierung hasst die autonome und freie kollektive Initiative am meisten.

Wenn eine Handvoll von uns an einem Tag in der Woche Widerstand leistet, sind wir nervig, aber überschaubar. Wenn unser Ungehorsam jedoch verschiedene Wege findet, die Straßen zu besetzen, sich am Arbeitsplatz, in Schulen und hinter den Mauern von Institutionen zu organisieren, kann dies eine solche soziale Kraft schaffen, dass die Behörden sie nicht länger ignorieren können. Wenn er einmal am Tag erscheint und sich ein zweites Mal in der Nacht entzündet, wenn er sein Aussehen, sein Gesicht und seine Form ändert, werden selbst die Streitkräfte nicht in unser Leben kommen.

Wir haben nicht vor unsere Zukunft aufzugeben!

Passen wir aufeinander auf, auf der Strasse, in der Arbeit und Zuhause!

Lassen wir das Ende der Epidemie den Vorboten einer neuen Gesellschaft sein!

Treffen wir uns!