Giorgio Agamben
Eine weitere, sinngemäße Übersetzung (unsere italophilen Leser bitten wir um Nachsicht) eines Textes von G. Agamben, der am 7. Oktober auf Quodlibet erschien. Sunzi Bingfa
Alle Lebewesen bewegen sich in einem Raum, den wir Öffentlichkeit nennen, sie offenbaren sich und sie kommunizieren miteinander, aber nur der Mensch hat ein Gesicht, nur der Mensch macht sein Erscheinen und seine Kommunikation mit anderen Menschen zu seiner eigenen Grunderfahrung, nur der Mensch macht sein Gesicht zum Ort seiner eigenen Wahrheit.
Was das Gesicht offenbart und enthüllt, lässt sich nicht in Worte fassen, in diesem oder jenem bedeutsamen Satz formulieren. In seinem eigenen Gesicht setzt sich der Mensch unbewusst selbst aufs Spiel, im Gesicht, vor dem Wort, drückt er sich aus und offenbart sich. Und was das Gesicht zum Ausdruck bringt, ist nicht nur der Gemütszustand eines Individuums, sondern vor allem seine Offenheit, seine Blöße und seine Verständigung mit anderen Menschen.
Deshalb ist das Gesicht der Ort der Politik. Wenn es keine Politik für Tiere gibt, dann nur deshalb, weil die Tiere, die sich immer in einer “Öffentlichkeit” aufhalten, ihre Exposition nicht zu einem Problem machen, sie verweilen einfach darin, ohne sich darum zu kümmern. Deshalb interessieren sie sich nicht für Spiegel, für das Bild als Abbild. Der Mensch aber will vielmehr sich selbst erkennen und erkannt werden, er will sich sein eigenes Bild aneignen, er sucht darin seine eigene Wahrheit. Auf diese Weise transformiert er das Offene in die eine Welt, in das Reich einer fortwährenden politischen Dialektik.
Wenn Menschen immer und ausschließlich nur Informationen hätten, die sie einander mitteilen könnten, immer nur dieses oder jenes, dann gäbe es nie eine wirkliche Politik, sondern nur einen Austausch von Botschaften. Aber da die Menschen einander zunächst einmal ihre Bereitschaft zur Offenheit, d.h. ihre pure Mitteilungsfähigkeit, vermitteln müssen, ist das Gesicht die eigentliche Bedingung der Politik, diejenige, in der alles, was die Menschen sagen und der wahre Austausch begründet ist. Das Gesicht ist in diesem Sinne die wahre Stadt der Menschen, das politische Element schlechthin. Durch den Blick auf das Gesicht erkennen die Menschen einander und sind füreinander geradezu leidenschaftlich, sie nehmen Ähnlichkeit und Vielfalt, Distanz und Nähe wahr.
Ein Land, das beschließt, sein eigenes Gesicht aufzugeben, um überall die Gesichter seiner Bürger mit Masken zu bedecken, ist also ein Land, das alle politischen Dimensionen aus sich selbst ausgelöscht hat. In diesem leeren Raum, der jederzeit grenzenloser Kontrolle unterworfen ist, bewegen sich nun voneinander isolierte Individuen, die das unmittelbare und sensible Fundament ihrer Gemeinschaft verloren haben und nur noch Botschaften austauschen können, die an einen gesichtslosen Namen gerichtet sind. An einen gesichtslosen Menschen.