Sperrstunden Totalität

Der folgende Beitrag erschien unter dem Titel “Wo stehst du mit deiner Kunst, Genosse? auf dem blog der ehemaligen Magazin Redaktion. Er wurde uns freundlicherweise zur Duplizierung überlassen. Sunzi Bingfa

Die Schließung der Kneipen, Restaurants, Spätis ist nur die nächste Eskalationsstufe in der Realinszenierung namens Covid19-Pandemie. Es gilt, sich den zutiefst politischen Charakter dieser wie aller Gesundheitsschutzmaßnahmen bewusst zu machen. Ab Freitag Nacht wird es in Berlin eine Sperrstunde geben: Das ist eben nicht nur ein fundamentaler Angriff auf alle, die ohne gelegentliche nächtliche Zerstreuung ihres persönlichen Digitalkerkerkontinuums, ihres Dahinvegetierens in öden Wohnzellen den Verstand verlieren würden. Der jetzt eingeleitete, nunmehr sanfte, dynamisch handhabbare Lockdown ist eine weitere Manifestation der kommenden Hygiene-Gesellschaft. Deutschlands derzeit einflussreichster Spin Doctor Dr. Drosten hat durchblicken lassen, dass auch ein möglicher Impfstoff nicht das Ende der Pandemie einleiten würde, sondern Kontaktbeschränkungen und AHA-Regeln weiter wichtig bleiben“ werden. Hinter solchem Polit-Jargon verbirgt sich die im Wortsinne asoziale Vision einer dauerhaften Einrichtung der Verhältnisse nach Maßgabe der Virologie. Wir, die wir uns alle schon die drosten’sche Total Reduzierung von lebendigen Menschen auf mögliche Infektionsherde zu eigen gemacht haben, müssen uns vom Virus auf unabsehbare Zeit die Bedingungen diktieren lassen – im Zweifel, so lautet die Botschaft der Unterhändler der Angst, für immer.

Berufung auf den mittlerweile vorhandenen vagen Einspruch durch bürgerliche Virus Skeptiker, das Geheule ‚Es gibt doch Kritik, alles halb so wild‘ gilt nicht: Auch wenn nun ein bisschen mehr und auch vermeintlich sachgerechter palavert wird, niemand hat sich je für die gesellschaftliche Abschaffung von grippeähnlichen Viren entschieden, niemand scheint sich die Kosten dieser Nicht-Entscheidung wirklich vor Augen zu führen. Will man, wie es einst hieß, die Gesellschaft nicht triumphieren lassen, wird man sich doch entscheiden müssen, und zwar ganz grundsätzlich: Ist man für die heraufziehende Diktatur der Gesundheit oder dagegen? Ist man dafür, dass es in einer ohnehin bis ins letzte durchverwalteten Welt weiterhin einige Inseln von Geselligkeit, Ablenkung, Rausch geben darf, die wenigstens teilweise entschädigen oder ersatzbefriedigen könnten für das Leben, um das alle betrogen werden – oder dürfen solche Orte gerne einfach weg? Diese Frage wird sich jeder stellen müssen, der meint, er trete, wie abstrakt auch immer, für so etwas wie Freiheit ein. Wer weiter nur goutiert, soll sich daheim vor seinem Bildschirm verkriechen, braucht sich dann aber nicht einzubilden, politisch überhaupt nochmal ein Wörtchen mitreden zu können. Der Fall ist klar: Die Wirklichkeit läuft Amok, es wird autoritär durchregiert, alle machen mit. Wo bleibt der Aufstand? – so wäre man früher versucht gewesen, zu fragen. Die Antwort heute ist eindeutig: Die Frage ist eine rein rhetorische.

Menschen, die auf normalen Umgangsformen beharren, vielleicht weil sie die Mühen erahnen können, die es gekostet haben muss, eine Geste gleichzeitiger Nähe und Distanz hervorzubringen wie sie ein Händedruck darstellt, Menschen also, die auf eine ganz basale Weise ihr Gegenüber respektieren, sind heute potentiell immer schon des Übergriffs bezichtigt.

Bei aller Willkürlichkeit der aktuell durchs bundesrepublikanische Corona-Dorf getriebenen Säue und der auffallenden Fetischisierung absolut unwichtiger Detailfragen ist es gerade kein Zufall, dass die hausgemachte allgemeine Malaise nun auf die paar Menschen abgewälzt wird, die sich wirklich noch trauen, sich drinnen mit wildfremden Menschen aufzuhalten. Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg – so denkt sich‘s im panikdurchschüttelten Hirn. Geschämt zu werden für Missgunst und Ressentiment braucht sich nicht mehr. Was eine der pandemischen Lage entsprechend akzeptable Haltung ist, wie man mit anderen zusammenkommt, entscheidet je nach Gusto der noch angstdurchtrieftere Bauch. Menschen, die auf normalen Umgangsformen beharren, vielleicht weil sie die Mühen erahnen können, die es gekostet haben muss, eine Geste gleichzeitiger Nähe und Distanz hervorzubringen wie sie ein Händedruck darstellt, Menschen also, die auf eine ganz basale Weise ihr Gegenüber respektieren, sind heute potentiell immer schon des Übergriffs bezichtigt. Unhöflichkeit ist der Ausweis der Menschenfreundlichkeit geworden, und das Lauschen auf die abstrakte Zahlenmystik hat den common sense ausgetrieben. Um die Gesundheit zu schützen, müssen auch bei herbstlichen Temperaturen nun alle draußen sitzen oder wenigstens überall die Fenster und Türen aufgerissen werden, auf dass man sich ganz sicher erkältet. Um sich vor dem äußerst unwahrscheinlichen Fall zu wappnen, durch die Krankheit keine Luft mehr zu bekommen, atmet man lieber freiwillig tagein, tagaus massenweise CO2 wieder ein. Der olle Stofffetzen, was ist schon dabei? Solange alle an die Wirksamkeit glauben, braucht es für die Maßnahmen weder Nachweise noch überhaupt eine Rechtfertigung außerhalb des „Die Zahlen steigen wieder“. Widersprüche hat es nie gegeben: Pandemie-Bekämpfung ist ewig und notwendig, jeder Mensch nur ein Durchgangspunkt der vom medialisierten Gott diktierten Hygiene-Standards, Ketzer dagegen sind für vogelfrei erklärt und werden nun zunehmend mit „aller Härte des Rechtsstaates“ bekämpft.

Die Zerstörung der Möglichkeit nächtlicher öffentlicher Zusammenkunft ist also der logische nächste Schritt. Wo nicht alles restlos durchherrscht ist, droht Gefahr und muss Kontrolle implementiert werden. Wo im Schatten der Nacht vielleicht der ein oder andere Gedanke überspringt in den nächst gelegenen Kopf, wo auch der Verkrampfteste nach ein paar Bier mal seine neurotische Fixierung für einige Zeit vergessen oder wo kurzzeitig ein Gefühl der Verbundenheit aufflackern kann, weil man spürt, dass alle gleich aufgeschmissen sind, dort wittert die herrschende Ordnung genauso zielsicher eine Infragestellung der Menschenmassenhaltung wie beim Antasten der Eigentumsordnung einiger doch ziemlich unsympathischer Linksradikale. Denen, die Montag Nacht ein paar Polizisten in ihr eigenes Revier einsperrten, auf dass diese zuschauen mussten, wie ein bisschen harmloser Sachschaden verursacht wurde – den 40 Menschen, denen man am Freitag in der Liebigstraße in Berlin die Wohnung wegnimmt, muss man dafür mit 2500 Polizisten kommen. Für die Durchsetzung der Corona-Regeln reicht dagegen jedermanns cop inside. Die langsame, aber sichere Abschaffung der verbliebenen Oasen von Zerstreuung ist nichts anderes als die Verwirklichung der in jedem hausenden asozialen Impulse, nunmehr mit einer von allen akzeptierten Begründung. Allein auch das Bedürfnis wird zur materiellen Gewalt, sobald es die Massen ergreift.

Weil sich aber keiner eingestehen kann, wie verdorren er innerlich schon ist, braucht es stets einen Schuldigen. Allenthalben wird munter umher projiziert. Weltweit sind es die Bolsonaros und Johnsons, in Deutschland am liebsten der Trump, der sich – in auffälliger Gesinnungsgemeinschaft mit dem linken Praxiskollektiv in der Reichenberger Straße in Kreuzberg – als Politiker anmaßt, nicht vor dem Virus, sondern vor der Angst zu warnen. Deutschlandweit sind‘s die sittenlosen Barbaren in Berlin, die es wagen, sich in Gruppen im Park zusammenzurotten. Innerhalb von Berlin findet man die Kneipen und Restaurants verantwortlich für die paar lächerlich herbeigetesten Infizierten (dass solche, wie Wodarg und viele andere seit einem halben Jahr rufen, nicht identisch mit wirklich Kranken oder gar Schwerkranken sind, dass der PCR-Test ein Unsinn ist, ja dass die Corona-Stationen in den Krankenhäusern schlicht leer sind, kann man jetzt mit nur ein wenig Verzögerung auch in der bürgerlichen Presse lesen, die alle kritischen Wissenschaftler stets noch weggefactchecked hat). Die Wirte und Restaurantbetreiber stürzen sich indes, mit einigen Ausnahmen, anstatt auf die politischen Verursacher der Zerstörung der eigenen Lebensgrundlage lieber auf die sogenannten schwarzen Schafe in der Branche, die sich bisher geweigert haben, ihre Läden freiwillig zugrunde zu richten. Selbst dort, wo für jeden ersichtlich ist, dass man zusammen attackiert wird, behält die Logik der Vereinzelung die Überhand. Nicht vermag man sich gegen das Unrecht zusammenzuschließen, eher noch fordert man selbst die strengsten Kontrollen ein, auf daß keiner durchs Netz geht.

Es hatte mal Zeiten gegeben, in denen solches nun schon nicht mehr nur temporäres Umkippen der Normalität in den Ausnahmezustand von einigen Kritikern zuverlässig als Vorhut eines noch größeren Unheils benannt wurde. Diese Fraktion, von den Linken gar nicht zu sprechen, und erst recht ihre Fußtruppen, die glücklicherWeise nur mehr noch im Netz ihr Unwesen treiben, haben es anscheinend durch‘s ständige Herumlavieren verlernt, wenigstens verbal auf die Barrikaden zu gehen. Schlimmer noch: Sie sehen allesamt nicht den geringsten Anlass dafür. Theoretische Dogmen, einmal mühsam errungen, verketten ihre Vertreter nur umso fester mit der schlechten Realität und dienen ihnen nur zum Argumentationsgehubere bei der Selbstinszenierung als Blockwart des Denkbaren in einer rapide veränderten Wirklichkeit. Theoretisches Denken, auf das sich allerhand Realitätsverleugner zurückziehen, erliegt der Falle, ihrem Gegenstand, der Welt, Vernunft zuzuschreiben, die sie täglich dementiert. Anzufangen wäre damit, die hiesigen Verhältnisse als Anlass zu nehmen, das Vertrauen in die Welt wieder zu verlernen, auch wenn man sich irgendwie in ihr zurechtfinden muss. Jeder, der einmal im Leben zu sich selbst gesagt hat, er ist nicht bereit, sich dem leeren Fluss der Ereignisse zu überantworten und alles einfach hinzunehmen, sollte einmal innehalten, diese Gesellschaft anzuschauen, und sich ganz ehrlich-existentialist fragen, ob er die Welt affirmieren möchte oder versuchen will, in ihr Orte, Momente, Menschen zu finden, mit denen er sich in freiem Verein verbinden kann. Wer bereit ist, sich den jeweiligen Konsequenzen zu stellen, dem sei vergönnt, gegebenenfalls die Affirmation zu wählen, aber dann soll er das bitte offen aussprechen.