Fortsetzung von Carlos Marighella – Handbuch der Stadtguerilla Teil 1.
Dem Erfindungsgeist des Stadtguerillero ist die Entwicklung von Katapulten, Mörsern und anderen Geräten überlassen, mit denen das Propagandamaterial an bestimmte Orte geschleudert werden kann. Andere Formen der Propaganda sind Tonbandaufnahmen, Besetzung von Radiostationen und Lautsprecherzentralen, Bemalen von Hauswänden und anderen, kaum zu erreichenden Flächen. Ihre Anwendung verlangt den Charakter einer bewaffneten Aktion. Mit Briefen, die an bestimmte Anschriften gerichtet sind und die Ziele der bewaffneten Aktionen erklären, kann auf bestimmte Bevölkerungsgruppen Einfluß genommen werden. Unsere Anstrengungen können jedoch nicht erreichen, daß durch Propaganda für die Aktionen der Stadtguerilleros die Unterstützung aller gewonnen werden kann. Es genügt, durch die Popularisierung der folgenden Losung die Unterstützung eines Teils zu gewinnen: „Wer nichts zugunsten der Revolutionäre unternehmen will, soll nicht gegen sie arbeiten.“
Der Nervenkrieg
Der Nervenkrieg oder psychologische Krieg ist eine aggressive Technik, bei der durch die Massenkommunikationsmittel und mündlich weitergegebene Nachrichten die Regierung demoralisiert werden soll. Beim psychologischen Krieg ist die Regierung von vornherein im Nachteil. Sie übt bei den Massenkommunikationsmitteln die Zensur aus und befindet sich in der Defensive, wenn sie verhindern will, daß eine für sie schädliche Nachricht die Zensur umgehen will. Diese Defensive lässt sie verzweifeln und widersprüchlich werden. Sie verliert Ansehen, Zeit und Energien bei der entnervenden Kontrolle, die jederzeit durchbrochen werden kann. Ziel des Nervenkrieg es ist es durch Lügen über Behörden falsche Informationen zu geben. Wenn dies die ganze Bevölkerung tut, wird in der Regierung ein nervöser Zustand der Diskreditierung, der Unsicherheit, der Ungewißheit und der Beunruhigung geschaffen.
Der Stadtguerillero kann im Nervenkrieg auf die folgenden Mittel zurückgreifen:
1. über Telefon und Post an Polizei und Regierung falsche Hinweise über die Stadtguerilla geben, einschließlich der Bomben und Terrordrohungen an öffentliche Büros und Lokale, Entführungs- und Morddrohungen usw. indem die Behörden diesen falschen Informationen Glauben schenken, werden sie abgenutzt;
2. falsche Pläne in die Hände der Polizei kommen lassen, um sie abzulenken;
3. durch Verbreitung von Gerüchten innerhalb der Regierung Unruhe auslösen;
4. durch die verschiedensten Mittel die Irrtümer, Entgleisungen und Korruptionen der Regierung ausbeuten, um sie zu zwingen, durch Selbstdarstellungen und Berichtigungen in den Massenkommunikationsmitteln sich selbst zu demaskieren;
5. bei ausländischen Botschaften, der UNO, dem apostolischen Nuntius (diplomatische Vertretung des Vatikan, Anm. d. Hrsg.), den internationalen Menschenrechts- und Pressefreiheit Kommissionen Anklage erheben gegen jeden tatsächlichen Gewaltakt und jede Verletzung internationaler Rechte, dabei klarstellen, daß der revolutionäre Krieg fortschreiten und vor keinem Feind des Volkes haltmachen wird.
Wie Aktionen durchzuführen sind
Der Stadtguerillero, der seine Ausbildung durchlaufen hat und nun zum Handeln übergeht, muß bei der Aktion der Durchführungsmethode große Aufmerksamkeit widmen, ihm darf bei ihr kein Fehler unterlaufen. jede Nachlässigkeit bei der Erlernung und Anwendung der Methode bedeutet ein sicheres Unheil, wie die tägliche Erfahrung zeigt. Die Marginales machen wegen der von ihnen angewandten Methode oft Fehler; der Stadtguerillero muß sich daher stets bemühen, die revolutionäre Technik und nicht die der Banditen anzuwenden. Es hat niemand den Namen Stadtguerillero verdient, der die revolutionäre Handlungsmethode nicht kennt oder darauf verzichtet, sie bei der Planung und Ausführung der Aktion genau zu beachten. Den Riesen erkennt man an seinen Fingern. Gleiches können wir vom Stadtguerillero sagen, den man von weitem durch die korrekte Anwendung der Methode und die Zuverlässigkeit seiner Mittel erkennen kann. Die revolutionäre Vorgehensweise bei der Aktion verlangt zwangsläufig die obligatorische Aneignung und Anwendung der folgenden Elemente: Nachforschungen und Information; Beobachtung und Wachsamkeit; Durchsuchung und Aufklärung des Gebietes; Studium und Probemessung des geplanten Zeitablaufes; Planung; Motorisierung; Auswahl und notfalls Ablösung des Personals; Auswahl der Feuerkraft; Studium und Übung der Ausführung; Ausübung; Deckung; Rückzug; Zerstreuung; Befreiung; Beseitigung von Spuren; Rettung der Verwundeten.
Der Rückzug ist mindestens ebenso wichtig wie die Operation an sich. Das geht sogar so weit, daß er auch für einen möglichen Fehlschlag geplant werden muß.
Einige Bemerkungen über die Methode
Wenn Aktionen nicht auf Grund von Informationen erfolgen, so können Beobachtungen, Nachforschungen und Nachrichten von beobachtenden Leuten die Grundlage sein. Auch diese Methode zeigt gute Ergebnisse. In allen Fällen ist es notwendig, die Objekte sorgfältig zu überwachen, auch dann, wenn schon eindeutig Informationen vorliegen die dann überprüft werden können. Aufklärung und Erforschung des Geländes, Studium und Aufstellung von Zeitplänen sind sehr wichtig, ohne sie würde man gleichsam einen Sprung in die Dunkelheit riskieren. Im allgemeinen wird die Bedeutung der Motorisierung für die Durchführung von Aktionen unterschätzt und oft leichtsinnig an den Schluss der Vorbereitungen gestellt. Die Motorisierung muß ernsthaft bedacht und lange vor Beginn der Aktion gesichert werden; sie erfordert eine rigorose Planung, und dies beginnt bereits mit den ersten Beobachtungen und Überwachungen, damit sie mit Sorgfalt und Vorsicht durchgeführt werden kann. Das Verbergen, Reparieren, Überprüfen und Umfrisieren der enteigneten Fahrzeuge sind wesentliche Bestandteile der Motorisierung. Gelingt sie nicht planmäßig, dann ist damit die wichtigste Aktion gefährdet, was schwerwiegende materielle und moralische Konsequenzen für den Stadtguerillero nach sich zieht. Bei der Auswahl des Personals ist sorgfältig darauf zu achten, daß Unentschlossene und Schwankende nicht eingesetzt werden, denn ihr Verhalten könnte sich auf die anderen Teilnehmer übertragen.
Der Rückzug ist mindestens ebenso wichtig wie die Operation an sich. Das geht sogar so weit, daß er auch für einen möglichen Fehlschlag geplant werden muß. Dabei ist zu verhindern, daß Rettungsaktionen oder das Umsteigen auf bestimmte Fahrzeuge durch die Mitnahme von Kindern oder auffälligen Dingen erschwert werden empfiehlt sich, Umsteigeaktionen mit größter Selbstverständlichkeit durchzuführen, und zwar an Stellen, an denen das Gelände schwer eingesehen und durch sehr schmale Engpässe das Begegnen mit anderen Fahrzeugen vermieden werden kann. Spurenbeseitigung ist eine zwangsläufige Notwendigkeit; dabei sind vor allem Fingerabdrücke und andere für den Feind wichtige Hinweise zu beseitigen. Mangelhafte Spurenbeseitigung ruft in unseren Reihen Nervosität hervor und ist oft vom Feind ausgenutzt worden.
Die Rettung der Verwundeten
Das Problem der Verwundeten in der Stadtguerilla verdient besondere Beachtung. Während der Aktionen der Stadtguerilla kann es schon einmal vorkommen, daß einer unserer Kameraden von der Polizei verwundet oder angeschossen wird. Wenn sich innerhalb einer Feuergruppe ein Guerillero mit Kenntnissen in Erster Hilfe befindet, so kann dieser den Verwundeten sofort behandeln. Der verwundete Stadtguerillero darf unter keinen Umständen am Kampfort oder in den Händen des Feindes zurückgelassen werden.
Wir müssen daher darauf achten, daß wir kleinere Kurse in Erster Hilfe für Männer und Frauen durchführen, in denen der Stadtguerillero die elementare Technik der Ersten Hilfe erlernt. Der Stadtguerillero, der zugleich entweder Arzt oder Medizinstudent, Krankenhelfer, Pharmazeut ist oder einfach sonst Kenntnisse über Erste Hilfe besitzt, ist eine der Notwendigkeiten des modernen revolutionären Kampfes. Von denen, die auf Grund ihrer Kenntnisse dann in der Lage sind, ist ein Handbuch der Ersten Hilfe für den Stadtguerillero zu verfassen, das dann in hektographierten Blättern verteilt wird.
Bei der Planung und Ausführung der bewaffneten Aktion darf der Stadtguerillero auf keinen Fall die Organisation der ärztlichen Logistik vergessen. Dieses Problem kann durch ein bewegliches Poliklinikum gelöst werden, desgleichen kann eine ambulante Behandlungsstelle in einem Kraftfahrzeug von Nutzen sein. Eine andere Lösung ist die, daß Kameraden und Kameradinnen, die Krankenhelfer sind, in einem bestimmten Haus oder an einem bestimmten Ort mit ihren Instrumenten warten und die Verwundeten dann dorthin zu ihrer Behandlung gebracht werden. Das Ideale wäre, wenn wir eine gut ausgerüstete Klinik besäßen, aber dies würde sehr viel Geld kosten, es sei denn, wir könnten enteignetes Material verwenden.
Wenn die oben genannten Mittel nicht ausreichen, dann ist es oft notwendig, auf legale Kliniken zurückzugreifen, und dafür müssen eventuell die Waffen angewandt werden, um die Ärzte zu zwingen, unsere Verwundeten zu behandeln. Für den Fall, daß auf Blutbanken zurückgegriffen werden muß, um Blut oder Plasma zu kaufen, dürfen keine richtigen Adressen, und noch weniger jene Adressen hinterlassen werden, unter denen die Verwundeten, die sich in unserer Obhut befinden, tatsächlich gefunden werden könnten. Es dürfen auch niemals sonstige Adressen von Mitgliedern der Organisation, die sich bereits durch ihre Untergrundarbeit kompromittiert haben, an die Krankenhäuser und Krankenanstalten gegeben werden, in die wir unsere Verwundeten zur Pflege bringen. Diese Vorsichtsmaßnahmen sind unerläßlich, wenn wir auch die kleinste Spur und den geringsten Hinweis beseitigen wollen.
Die Häuser, in denen die Verwundeten untergebracht werden, dürfen niemanden bekannt sein mit Ausnahme der kleinsten Gruppe von Kameraden, die die Aufgabe hat, sie zu verpflegen und zu transportieren. Laken, blutige Verbände, Arzneien und irgend ein anderer Hinweis auf die Behandlung der im Kampf gegen die Polizei verwundeten Kameraden müssen anschließend unbedingt von dem Ort, an dem diese Kameraden ärztlich behandelt worden sind, weggeschafft werden.
Die Sicherheit des Guerillero
Der Stadtguerillero lebt in ständiger Gefahr, weil immer die Möglichkeit besteht, entdeckt oder angezeigt zu werden. Das wichtigste Problem der Sicherheit ist, die Garantie zu haben, daß wir gut versteckt und gut geschätzt sind und mit Sicherheit verhindert werden kann, daß die Polizei bis zu unserem Unterkunftsort oder unserem Aufenthaltsort kommt. Der schlimmste Feind des Stadtguerillero und die größte Gefahr, der er ausgesetzt ist, ist die Unterwanderung der Organisation durch Spione oder andere Personen, die der Polizei Hinweise über uns geben. Der Spion, der innerhalb unserer Organisation gefaßt wird, muß mit dem Tod bestraft werden. Das gleiche geschieht mit jenen, die desertieren und der Polizei erzählen, was sie wissen. Ein gutes Sicherheitssystem gibt das Bewußtsein, daß der Feind keine Agenten und Spione innerhalb unserer Mitte hat und daß er keine Informationen über uns erhalten kann, auch nicht auf indirektestem und entferntesten Wege. Die wichtigste Maßnahme, um dies sicherzustellen, ist die sorgfältige Prüfung von neuen Mitgliedern bei ihrer Aufnahme in die Organisation.
Es kann auch nicht zugelassen werden, daß sich alle gegenseitig kennen und jeder alles weiß. jeder darf nur das kennen, was sich auf seine Arbeit bezieht. Diese Regelung ist ein wesentlicher Punkt für die Sicherheit des Stadtguerillero. Unser Kampf gegen den Feind ist ein schwerer und schmerzlicher Kampf, denn es handelt sich um einen Klassenkampf. jeder Klassenkampf ist eine Sache von Leben und Tod, wenn die Klassen antagonistische Klassen sind. Der Feind möchte uns vernichten, und er sucht hartnäckig, uns zu entdecken und uns niederzuschlagen, da unsere große Waffe gegen ihn darin besteht, daß wir uns vor ihm verstecken und ihn überraschend angreifen. Besonders ärgerlich ist es, wenn ein Stadtguerillero sich aus mangelnder Vorsicht selbst verrät oder sich durch fehlende Aufmerksamkeit entdecken läßt. Es ist daher unzulässig, daß der Stadtguerillero seine eigenen oder irgendeine andere Untergrund Adresse dem Feind gibt oder daß er ganz allgemein zuviel spricht. An den Rand von Zeitungen geschriebene Bemerkungen, vergessene Dokumente, Visitenkarten, Briefe oder Geldscheine sind Spuren, die die Polizei niemals verachten wird. Die Adressbücher und die Terminkalender, in denen Adressen und Telefonnummern aufgeschrieben werden, müssen abgeschafft werden, und es dürfen keine Papiere geschrieben oder aufgehoben werden. Aufstellungen von legalen oder illegalen Namen, biographische Hinweise, Stadtpläne, Straßen, Lagepläne oder Landkarten dürfen ebenfalls nicht aufgehoben werden. Die Treffpunkte dürfen nicht aufgeschrieben, sondern nur im Gedächtnis aufgehoben werden. Der Stadtguerillero, der diese Normen nicht einhält, muß von dem ersten, der die Übertretung bemerkt, darauf hingewiesen werden, und im Falle der Wiederholung ist die weitere Zusammenarbeit mit ihm zu meiden.
Die Notwendigkeit für den Stadtguerillero, sich ständig zu bewegen, und zwar in relativer Nähe zur Polizei, da diese die Stadt an strategischen Punkten umzingeln kann, bedingt die Einführung von flexiblen Sicherheitsmaßnahmen, die von den Bewegungen des Feindes abhängen. Hierzu ist es notwendig, ein tägliches Informationssystem über die beobachtbaren Bewegungen des Feindes zu besitzen, also über plötzliche Razzien und Umzingelungen der Polizei und über die Punkte und Engpässe, die von dieser kontrolliert werden. Die tägliche Lektüre der Polizei berichte in den Zeitungen ist dafür eine optimale Informationsquelle. Das oberste Prinzip für die Sicherheit des Guerillero ist, daß wir unter keinen Umständen auch nur die geringsten Anzeichen von Nachlässigkeit oder Trägheit bei der Erfüllung der Sicherheitsmaßnahmen und der Wachsamkeit Regeln zulassen dürfen.
Die Sicherheitsmaßnahmen des Stadtguerillero müssen gerade auch im Fall einer Festnahme eingehalten werden. Der verhaftete Guerillero darf der Polizei nichts verraten, was die Organisation schädigen könnte. Er darf nichts sagen, was die Festnahme von anderen Kameraden, die Entdeckung von Adressen und Verstecken, den Verlust von Waffen und Munition usw. zur Folge haben könnte.
Die sieben Sünden des Stadtguerillero
Auch dann, wenn der Stadtguerillero mit großer Exaktheit die revolutionäre Technik anwendet und die Sicherheitsregeln genau erfüllt, ist er nicht vor Fehlern gefeit. Es gibt keinen perfekten Stadtguerillero. Das einzige, was getan werden kann, ist, sich zu bemühen, den Spielraum der Fehler möglichst klein zu halten, denn die Perfektion kann nicht erreicht werden. Ein Mittel, das wir bei der Einengung des Fehlerspielraums anwenden können, besteht darin, die sieben Sünden des Stadtguerillero zu kennen und sie zu bekämpfen.
Die erste Sünde des Stadtguerillero ist die Unerfahrenheit. Der Stadtguerillero, der diese Sünde begeht, glaubt, daß der Feind dumm ist, unterschätzt seine Intelligenz, glaubt, daß die Aktionen einfach durchzuführen sind und hinterläßt Spuren mit katastrophalen Folgen. Infolge seiner Unerfahrenheit kann der Stadtguerillero die Kräfte des Feindes auch überschätzen und ihn daher für stärker halten, als er tatsächlich ist. Läßt er sich von dieser Annahme irreleiten, dann kann er sich leicht einschüchtern lassen und wird unsicher und unentschlossen, gelähmt und ohne Initiative.
Die zweite Sünde des Stadtguerillero ist die, mit den von ihm ausgeführten Aktionen anzugeben und sie in alle vier Himmelsrichtungen auszuposaunen.
Die dritte Sünde des Stadtguerillero ist die, daß ihm der Kamm schwillt. Der Stadtguerillero, der dieser Sünde erliegt, versucht die Probleme der Revolution dadurch zu lösen, daß er Aktionen in der Stadt auslöst, ohne sich dabei um den Beginn und das Überleben der Guerilla auf dem Land zu kümmern. Von den erreichten Erfolgen geblendet, organisiert er eine Aktion, die er für entscheidend hält und in der er alle Mittel und Kräfte der Organisation aufs Spiel setzt. Da die Stadt ein Gebiet innerhalb der strategischen Umzingelung durch die Kräfte der Repression ist, die wir verhindern oder durchbrechen können, wenn die Landguerilla noch nicht entfaltet oder für den Sieg stark genug ist, wird dann der Fehler begangen, der dem Feind den entscheidenden Angriff auf uns erlauben wird.
Die vierte Sünde des Stadtguerillero ist es, seine eigenen Kräfte zu überschätzen und daher Aktionen durchführen zu wollen, deren Voraussetzungen er noch nicht erfüllen kann, da er noch nicht über eine geeignete Infrastruktur verfügt.
Die fünfte Sünde des Stadtguerillero ist die Voreiligkeit. Der Stadtguerillero, der dieser Sünde erliegt, verliert die Geduld, wird nervös, kann nicht abwarten und wirft sich daher stürmisch in die Aktionen, in denen er notwendigerweise unerwartete Rückschläge erwarten muß.
Die sechste Sünde des Stadtguerillero ist, den Feind dann anzugreifen, wenn dieser gerade besonders gereizt und wütend ist.
Die siebte Sünde des Stadtguerillero besteht darin, die Aktionen nicht genau zu planen und sich auf die Improvisation zu verlassen.
Die Unterstützung des Volkes
Es muß eine ständige Sorge des Stadtguerillero sein, sich mit der Sache des Volkes zu identifizieren, um dessen Unterstützung zu gewinnen. Wo sich die Handlungsweise der Regierung als korrupt entpuppt, darf der Stadtguerillero mit seinem Auftreten nicht zögern, und er muß zeigen, daß er die Regierung bekämpft, um so die Sympathien der Massen zu gewinnen. Die jetzige Regierung erlegt dem Volk schwere finanzielle Forderungen auf und verlangt die Zahlung von hohen Steuern. Der Stadtguerillero muß das System der Steuereinziehung angreifen und die Aktivität der Finanzbehörden behindern, indem er gegen sie das gesamte Gewicht der revolutionären Gewalt richtet. Aber der Stadtguerillero wendet sich nicht nur gegen die Steuern und das Einziehungssystem. Es ist genauso wichtig, daß die revolutionäre Gewalt auch die für die Erhöhung der Preise zuständigen Organe der Regierung, der für diese Organe verantwortlichen Personen wie auch die reichsten in und ausländischen Händler und Grundstücksbesitzer erreicht; die Gewalt muß also gegen alle angewendet werden, die riesige Gewinne aus der Verteuerung der Lebenshaltung, durch die Hungerlöhne und durch die Mieterhöhungen scheffeln.
Die ausländischen Trusts, wie z.B. die Besitzer von Kühlanlagen, und die nordamerikanischen Unternehmen, die die Herstellung und Verteilung der Nahrungsmittel monopolisieren, müssen vom Stadtguerillero systematisch angegriffen werden. Die Rebellion des Stadtguerillero und seine ständige Parteinahme in den Angelegenheiten des Volkes sind die besten Mittel, die Unterstützung des Volkes für unsere Sache zu gewinnen. Wir wiederholen und betonen nochmals: Es ist die beste Form, die Unterstützung des Volkes zu gewinnen. Von dem Augenblick an, von dem ein angemessener Teil der Bevölkerung ernsthaft an den Aktionen des Stadtguerillero teilzunehmen beginnt, ist der Erfolg gesichert.
Für die Regierung gibt es keine andere Wahl als ihre Unterdrückungsmaßnahmen zu verstärken. Polizei Razzien, Hausdurchsuchungen, Verhaftungen von Unschuldigen und Verdächtigen, Absperren von Autobahnen und Landstraßen machen das Leben in der Stadt unerträglich. Die Militärdiktatur beginnt eine massive politische Verfolgung. Die politischen Morde und der Polizeiterror werden zu einer Routine Erscheinung. Trotzdem scheitert die Polizei ständig. Die Kräfte des Heeres, der Marine und der Luftwaffe werden mobilisiert, um von nun ab die Polizeifunktionen zu übernehmen. Aber dennoch gelingt es ihnen nicht, Spuren zu finden, die Operationen der Stadtguerilleros zu unterbinden oder die revolutionäre Organisation zu zerschlagen, da diese in kleine Gruppen unterteilt ist, die sich innerhalb des nationalen Gebietes ständig bewegen und den Brand ständig weiter entfachen.
Das Volk weigert sich, mit den Behörden zu kollaborieren, und es entsteht ein allgemeines Gefühl der Empörung über die Ungerechtigkeit der Regierung und ihre Unfähigkeit, den Schwierigkeiten nicht mit anderen Mitteln beikommen zu können als dadurch, ihre Opponenten physisch zu liquidieren. Die politische Situation des Landes verwandelt sich in eine militärische, in der die Gorillas sich immer mehr als die Verantwortlichen für die Fehlschläge und die Anwendung von Gewalt herauskristallisieren, während gleichzeitig die Verschlechterung der Lebensbedingungen des Volkes katastrophale Ausmaße annimmt.
Aber jetzt tauchen die Beschwichtiger auf, die es immer in den herrschenden Klassen gibt, und die rechten Opportunisten, die für den friedlichen Kampf sind. Sie sehen die Militärs und die Diktatur am Rande des Abgrunds und fürchten nun die Folgen des revolutionären Krieges, der sich dann schon auf einer entwickelten und nicht mehr rückgängig zu machenden Stufe befindet. Hinter den Kulissen beginnen sie mit ihren Machenschaften und bitten die Henker um Wahlen, um eine Re-Demokratisierung, um Verfassungsreformen und andere Zutaten, die die Massen betrügen und den revolutionären Kampf der Städte und des Landes bremsen sollen. Aber das Volk hat jetzt seinen Blick auf die Revolutionäre gerichtet, und es versteht nun, daß es eine Farce ist, an Wahlen teilzunehmen, deren einziges Ziel es ist, das Weiterleben der Militärjunta zu garantieren und ihre Morde zu sanktionieren. Mit dem offenen Angriff auf die Wahlfarce und die sogenannte „politische Öffnung“, die den Opportunisten so sehr gefällt, muß der Stadtguerillero noch aggressiver und gewalttätiger werden und unaufhörlich auf Sabotage, Terrorismus, Enteignung, Überfälle, Entführungen, Hinrichtungen usw. zurückgreifen. Dies vereitelt jeden Versuch, die Massen durch die Öffnung des Kongresses und durch die Reorganisierung von Parteien der sowohl die Regierung als auch die Opposition zustimmt zu betrügen, zumal gerade das Parlament und diese Parteien dazu berufen sind, nur im Rahmen von Gnade und Erlaubnis der Militärdiktatur zu funktionieren, ein grandioses gemischtes Spektakel aus Marionettentheater und dressierten Hunden.Um das Volk zu gewinnen, muß der Stadtguerillero weiter kämpfen und dabei die inneren Interessen der Massen berücksichtigen; gleichzeitig muß er die Umstände für die Regierung immer unerträglicher machen. Diese für die Diktatur ausweglose Situation erlaubt den Revolutionären, die Guerilla auf dem Lande zu entfalten, während in der Stadt die Rebellion für die Gorillas immer weniger kontrollierbar wird. Der Stadtguerillero führt die revolutionäre Aktion zugunsten des Volkes aus, sucht durch sie Massen für den Kampf gegen die Militärdiktatur und für die Befreiung des Landes vom Joch der USA zu gewinnen. Indem wir von der Stadt ausgehen und die Unterstützung des Volkes dort gewinnen, wird die Stufe der Landguerilla schnell erreicht und deren Infrastruktur sorgfältig aufgebaut, während in den Städten die Rebellion weitergeht.
Die Stadtguerilla, Auswahlschule des Guerillero
Die Revolution ist ein gesellschaftliches Ereignis, das von Menschen, Waffen und Material abhängt. Waffen und Material sind im Lande vorhanden und können erbeutet werden, aber dazu ist man auf Menschen angewiesen. Ohne sie haben weder Waffen noch irgendwelches Material irgendeinen Sinn. Die Menschen müssen ihrerseits in jedem Fall zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllen:
1. sie müssen eine politisch-revolutionäre Handlungsmotivation haben;
2. sie müssen eine geeignete technisch-revolutionäre Ausbildung besitzen. Wir finden Männer mit politisch-revolutionärer Handlungsmotivation im riesigen unverkennbaren Kontingent der Feinde der Diktatur und der Herrschaft des US-Imperialismus überall im Land. Diese Männer kommen fast täglich in die Stadtguerilla, und das ist der Grund dafür, daß die Reaktion nicht mehr täglich die Vernichtung der revolutionären Gruppen meldet, um am nächsten Tag nicht erneut zugeben zu müssen, daß sie gegen sie kämpfen muß. Die besttrainierten und erfahrensten Männer, die gleichzeitig an der Stadt- und an der Landguerilla teilnehmen, bilden das Rückgrat des revolutionären Krieges und somit der brasilianischen Revolution. Aus diesem Rückgrat entwickelt sich der Kern des revolutionären Heeres der Nationalen Befreiung, das aus der Guerilla hervorgeht.
Es ist dies ein innerer Kern, in dem Bürokraten und Opportunisten, die sich in den Apparaten verstecken, leere Schwätzer und Schreiberlinge von Resolutionen, die auf dem Papier bleiben, keinen Platz finden. Dieser Kern besteht aus Kämpfern. Er besteht aus den Männern und Frauen, die vom ersten Moment an zu allem entschlossen und bereit waren, die persönlich an den revolutionären Aktionen teilnehmen, die weder schwanken noch leere Worte machen. Es ist ein geschulter und disziplinierter Kern, der eine große strategische und taktische Übersicht besitzt, die sich auf die Anwendung der marxistischen Theorie, der Theorie des Leninismus und der Theorien von Castro und Che Guevara auf die konkreten Verhältnisse der brasilianischen Realität gründet. Dieser Kern führt die Rebellion durch die Etappe der Guerilla. Aus ihm werden Männer und Frauen mit einer politisch-militärischen Bildung, die von nun an eine unzertrennliche Einheit bildet, hervorgehen, und sie werden in der Zukunft die Aufgabe übernehmen, nach dem Sieg der Revolution den Aufbau der neuen brasilianischen Gesellschaft zu führen.
Unter den Frauen und Männern, die die Stadtguerilla von nun an auswählt, sind Arbeiter, Campesinos , die die Stadt als Arbeitskräfte angezogen hat, und die sowohl in politischer als auch technischer Hinsicht vorbereitet aufs Land zurückkehren, Studenten, Intellektuelle und Geistliche. Dies ist das Material, mit dem, ausgehend von der Stadtguerilla, die bewaffnete Allianz von Arbeitern und Bauern, Studenten, Intellektuellen und Geistlichen aufgebaut wird. Die Arbeiter besitzen die notwendigen Kenntnisse über die industrielle Sphäre, und sie sind daher für revolutionäre Aufgaben in der Stadt optimal geeignet. Der Arbeiter-Stadtguerillero nimmt am jetzigen Kampf durch die Herstellung von Waffen teil, durch die Sabotage und die Vorbereitung von Sabotage und Dynamit Aktionen, durch die persönliche Teilnahme an den bewaffneten Aktionen oder durch die Organisierung von Streiks und Arbeitsniederlegungen mit Anwendung von Gewalt auf der Seite der Massen in Fabriken, Werken oder anderen Arbeitsstätten.
Die Campesinos besitzen eine hervorragende Intuition für das Terrain, die Schlauheit, dem Feind zu begegnen und die Verfassung und Einstellung, die notwendig ist, mit den Massen der Gedemütigten zu kommunizieren. Der Campesino-Guerillero nimmt schon an unserem Kampf teil, und er ist es, der die Guerillaachsen darstellt, der Stützpunkte auf dem Land errichtet, Verstecke für Personen, Waffen und Munition sowie Nahrungsmittel ausfindig macht, die Saat und die Einbringung von Getreide für den Bedarf der Guerillas organisiert, der die Orte auswählt, an denen das Vieh gezüchtet und die Reittiere ausgebildet und einsatzbereit gemacht werden, der die Führer für die Guerilleros aus der Stadt aussucht und der ein Informationssystem auf dem Land herstellt.
Die Studenten bringen schon von sich aus genügend politische Schroffheit und Rohheit mit, um sämtliche Tabus zu zerstören. Wenn sie sich der Stadtguerilla anschließen, wie es jetzt in großem Maße der Fall ist, dann zeigen sie spezielles Talent für die Ausübung der revolutionären Gewalt, und sie erreichen gewöhnlich einen hohen politisch-militärischen Ausbildungsstand. Die Studenten verfügen über viel Freizeit, da sie systematisch durch die Diktatur von ihren Schulen getrennt, zeitweilig oder ganz relegiert (d. h. verwiesen, Anm. d. Hrsg.) werden, und diese Zeit kann in sehr vorteilhafter Weise der Revolution zur Verfügung gestellt werden.
Die Intellektuellen stellen die zentrale Säule des Widerstandes gegen die Willkür, gegen die gesellschaftliche Ungerechtigkeit und gegen die unmenschliche Inkongruenz der Gorilla Diktatur. Sie geben der Revolution ständig neue Impulse, und sie haben ein riesiges Kommunikationspotential und einen großen Einfluß auf das Volk. Der intellektuelle Stadtguerillero oder der Künstler-Stadtguerillero sind die neuesten Bereicherungen des revolutionären Krieges in Brasilien.
Die Geistlichen, d. h. die Pfarrer und Priester der verschiedensten Hierarchien und Konfessionen, stellen einen Sektor mit einer besonderen Kommunikationsfähigkeit zum Volk dar, insbesondere zu den Arbeitern, den Bauern und den Frauen. Der geistliche Stadtguerillero ist ein sehr aktives Mitglied des brasilianischen revolutionären Krieges, und er stellt eine mächtige Waffe im Kampf gegen die militärische Macht und die Macht des nordamerikanischen Imperialismus dar. Die Teilnahme der brasilianischen Frauen am revolutionären Krieg und hauptsächlich ihre Teilnahme an der Stadtguerilla ist durch unübertreffliche Kampfbereitschaft und Ausdauer gekennzeichnet, und daher ist es nicht zufällig, warum so viele Frauen wegen ihrer Teilnahme an Guerilla-Aktionen an Banken, Kasernen usw. angeklagt worden sind, sich viele von ihnen in den Kerkern befinden und viele von der Polizei gesucht werden.
Die Stadtguerilla ist eine Schule der Selektion, und sie bildet sowohl Männer als auch Frauen aus beide müssen in ihr die gleiche Verantwortung und das gleiche Effizienzniveau erreichen; sie müssen die gleichen Gefahren teilen, indem sie für die Versorgung der Stadtguerilla sorgen, indem sie als Kuriere, als Kraftfahrer, Matrosen oder Flugzeugführer agieren, indem sie geheime Informationen beschaffen, indem sie Propagandaarbeit leisten und an der politischen Schulung teilnehmen.