Die fordistische Stadtplanung: eine Strategie der Gewalt und ihre Krise [Häuserkampf und Klassenkampf Part 9]

Wir setzen unsere Reihe ‘Häuserkampf und Klassenkampf’ diesmal mit einem etwas kürzeren, aber knackigen Beitrag fort, der erst im letzten Jahr erschienen ist, aber nach unserem Eindruck nicht ausreichend gewürdigt worden ist. Er erschien bei den Genoss*innen von hydra world. Sunzi Bingfa

Um den gegenwärtigen stadtpolitischen Angriff zu verstehen, ist es sinnvoll, einen Blick zurückzuwerfen auf die um die Wende zum 20. Jahrhundert lancierte fordistisch/tayloristische Innovationsoffensive gegen die Stadt und ihre Bevölkerung.

Diese Offensive zielte zunächst auf die proletarische Verhaltensautonomie im Arbeitsprozess, in der Fabrik. Die Arbeiter*innen standen zwar unter dem Kommando des Unternehmers. Dieser hatte aber keinen direkten Zugriff auf ihr Arbeitsverhalten selbst. Sie konnten langsam oder schnell arbeiten. Ermüdung vortäuschen und auf diesem Wege Pausen erzwingen. Frederick Winslow Taylor, Exponent einer neuen technokratischen Avantgarde des Kapitalismus, war dies verhasst. Er griff auf den Arbeitsprozess selbst zu, zerlegte ihn in seine einzelnen Bestandteil und Funktionen und setzte diese neu zusammen und begründete damit die neue Macht des Managements. Die Offensive griff nach und nach in alles Bereiche der Gesellschaft bis in die Ausbildung (Curriculumplanung) und schließlich auch auf die Stadt und den Raum.

Auch hier wurden komplexe Lebenszusammenhänge und Autonomien zerstört. Die grundsätzlich unendlichen Möglichkeiten des Raums wurden auf wohldefinierte Funktionen reduziert. Abweichendes Verhalten wurde wie auch in der Arbeitsorganisation leicht fassbar. Vorreiter im Betrieb dieser Strategien war in Europa die Neue Heimat. Sie war ein Produkt des Nationalsozialismus, deren Avantgarden sich stark an tayloristischen Strategien orientierten. (1)

Die Großsiedlungsprojekte der Neuen Heimat zielten darauf, alle Lebensvollzüge in großen räumlichen Komplexen nach tayloristischen Prinzipien zu organisieren: von der Wohnung bis in die integrierten Einkaufszentren. Die schon in den 20er Jahren eingeleiteten Initiativen zur Rationalisierung der Wohnungen und des hier anfallenden Verhaltens (wie etwa in der Küche unter Verwendung typisierten Hausrats) wurden aufgegriffen und der Gestaltung der Wohnungen zugrunde gelegt.

Systematisch wurde das außerhäusliche Umfeld funktional reduziert (Wege, Spielplätze). Das Betreten des Rasens war Verboten. Der Terror des „Rasen betreten verboten“ war ein Signum der Epoche, dessen Sinn sich erst durch seine Funktion im hier skizzierten Gesamtzusammenhang erschließt. Der Rasen, der ja immerhin durch das Grün die Dimension von Natur, Freiheit, Lust signalisiert war der Neuen Heimat so wichtig, dass sie in den 60ern gerichtlich und außergerichtlich um jeden Fußbreit unbetretbaren Rasens kämpfte. Die „Zwangswege“ (so hießen sie im Planerjargon) führten dann ins integrierte Einkaufszentrum. In ihm verdichtete sich die tayloristische Verhaltenslenkung.

Bis hin zu den großen Einkaufszentren war die Planung orientiert an der Einschränkung und Zerlegung in abgezählte Funktionen. Diese wurden analog zur Fabrik seriell angeordnet. Wie das Werkstück auf dem Fließband wurden die sogenannten „kaufkräftigen Bewegungseinheiten“ durch die einzelnen funktional eingeschränkten Situationen geleitet. In Strömen, wobei ihre Flussgeschwindigkeit durch gezielt positioniertes Mobiliar, Pflanzenkübel und ähnliche Gegenstände reguliert wurde. Sie wurden an die Schaufenster gelenkt, um die „Bewegungseinheiten“ dem Liebesblick der Waren auszusetzen.

Angereichert wurde der funktional verarmte Raum durch Sitzgelegenheiten, die so angeordnet waren, dass die Kommunikation zwischen den ruhenden „Einheiten“ erschwert wurde. Es konnten einzelne Einrichtungen zum Amüsement hinzugefügt werden. Aber das war’s dann in der Regel auch schon. Die Autonomie, die sozialen Anlässe im Raum selbst zu gestalten, wie dies früher auf Marktplätzen möglich gewesen war, wurde massiv eingeschränkt, ja zerstört. Abweichendes Verhalten wurde, wie schon am Fließband, so auch unter dem Kaufhausregime sofort sichtbar. Für seine Beseitigung und Ordnung sorgte dann das Sicherheitspersonal der im Zentrenmanagement assoziierten Kaufhäuser und Geschäfte. (2)

Dem Sinn einer derart aufgezwungenen funktionalen Gewalt hat der seinerzeit zu Unrecht als „Humanist“ gerühmte Stadtsoziologe Hans Paul Bahrdt grundsätzlich so Ausdruck verliehen: „Im Hinblick auf soziales Verhalten können unklar definierte Plätze…zum Verfall des durch Alltagsnormen standardisierten Verhaltensstils beitragen.“ Dem müsse dadurch begegnet werden, dass „nur eine begrenzte Auswahl von Nutzungsarten“ angeboten würden. (3)

Dieser Sinn erschließt sich in seiner ganzen Bedeutung erst mit dem Blick auf den historischen Gesamtkontext der tayloristisch/fordistischen Offensive. Sie brauchte zwei Weltkkriege zu ihrer Durchsetzung. Den ersten unter deutscher Initiative zu ihrer Vertiefung in den damals führenden Speerspitzen Deutschland und USA und zur Ausweitung auf die anderen Länder bis nach Russland hinein. Den zweiten zur kriegsökonomischen Überwindung der krisenhaften Blockierung von 1929.

Hier riss Nazi-Deutschland mit seiner „Leistungsvolksgemeinschaft“ die Initiative der kriegsökonomischen Durchsetzung des Taylorismus/Fordismus mit äußerst barbarischen Mitteln erneut an sich und unterfütterte sie als erster mit den monetären Methoden keynesianischer Defizitfinanzierung. (4)

Nach dem Krieg wurde die Offensive von der Fabrik aus verstärkt in alle gesellschaftlichen Bereiche (Bürokratien, Universitäten, Stadtentwicklung Familie) hineingetrieben. Sie etablierte dort das, was Max Weber als einer ihrer ersten Initiatoren die „stahlharten Gehäuse“ nannte, plastischer in der amerikanischen Übersetzung: die „eisernen Käfige“. Mit der Errichtung dieser Käfige im Bereich von Stadt- und Infrastruktur befasste sich – maßgebend in Deutschland, ja in Europa – die „Neue Heimat“, Produkt und zentraler Agent des von den Nazis inaugurierten „sozialen Wohnungsbaus“. Sie perfektionierte die Fabrikisierung des Lebens in der geradezu fließbandartigen Produktion von „eisernen Käfigen“ in der Konstruktion von Siedlungen, Einkaufszentren, Fußgängerzonen zu einem regelrechten „Stadtknast“ (so der Titel einer zeitgenössischen linken Veranstaltung und Broschüre in Köln).

Gegen die gesellschaftliche Fabrik oder fabrikisierte Gesellschaft begannen die Menschen in allen Bereichen und ausgehend von den USA zu revoltieren, gezündet mit der von Rockmusik inspirierten Jugendbewegung. Diese Revolte erfasste die ganze Welt, vereinigte sich mit der „Revolution der Erwartungen“ aus den globalen Peripherien und spitzte sich zum Ende der 60er Jahre zu („1968“). Sie war der tiefere Grund der damaligen „Krise“.

Sie brach auch im Komplex von Wohnen und Kaufen die „eisernen Käfige“ auf, vor allem durch Hausbesetzungen. Beispielsweise besetzten die Bewohner*innen der Berliner Siedlung „Falkenhagener Feld“ das Zentrum und funktionierten es zu einer Begegnunsstätte mit autonom bestimmten kulturellen Aktivitäten um. Dieser breite Ausbruch aus dem „Stadtknast“ verband sich mit Bewegungen gegen die „eisernen Käfige“ in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Sie hatte auch antinazistischen Charakter, denn die „Leistungsvolksgemeinschaft“ dauerte ja als typisch deutsche Ausprägung des „korporatistischen“ Arrangements zur klassenübergreifenden Formierung fort, auch wenn sie vielleicht in „formierte Gesellschaft“ umbenannt wurde.

Aufgefangen wurden die mit den Kämpfen verbundenen ökonomischen Forderungen durch Staatsausgaben im Wege der Überspannung der keynesianischen Defizitfinanzierung, aus der Lohnerhöhungen, Sozial- und Bildungsprogramme finanziert wurden. Sie wurde weltweit mit einer „Stagflation“ beantwortet, einer Stagnation der Investitionen bei gleichzeitiger Inflation bis in den zweistelligen Bereich hinein. Die US-Zentralbank „Fed“ unter Paul Volcker beendete dies 1979 durch den „monetaristischen“ Schock einer massiven Geldmengenverknappung. Das anlagesuchende Kapital suchte seinen Weg in Grundstücksinvestitionen und entfesselte damit eine Welle der sogenannten „Gentrifizierung“ (vgl. den Beitrag: „Die Wellen der Gentrifizierung”).

Fußnoten

1) D. Hartmann, Krisen, Kämpfe, Kriege, Bd. 2. Innovative Barbarei gegen soziale Revolution, Kapitalismus und Massengewalt im 20. Jahrhundert, Kap. 3. 1.

2) Gisela Schmidt, Entwicklung einer Strategie der Gewalt – Einkaufszentrum und Fußgängerzone, Autonomie Neue Folge Nr. 3, S. 33, ein Konzentrat ihrer noch immer faszinierenden Diplomarbeit aus dem Jahre 1977. Dies in die tayloristische Offensive unter der Überschrift „Stadtknast“ einordnend D. Hartmann, Leben als Sabotage, Tübingen 1981, S. 70.

3) H.P. Bahrdt, Humaner Städtebau, Hamburg 1971, S. 112 f.

4) D. Hartmann, Krisen, Kämpfe, Kriege, Bd. 2, Innovative Barbarei gegen soziale Revolution, Kapitalismus uns Massengewalt im 20. Jahrhundert.