Der Aufstand gegen den Besuch – Papst Johannes Paulus II in den Niederlanden

Riot Turtle

Im Mai 1985 kam der Papst in die Niederlande, es sollte ein Desaster werden. Nicht nur wegen der stundenlangen Straßenkämpfe während des Besuchs von Papst Johannes Paulus II in Utrecht, sondern auch, weil der Papst in den Niederlanden schlichtweg nicht willkommen war. Auch viele Katholiken gingen auf die Straße, um gegen den Besuch zu protestieren. Sunzi Bingfa

Bis in die sechziger Jahre waren die Niederlande ein Musterland für Katholiken. Die Verzuiling‘ (Versäulung’), ein typisch holländisches Gesellschaftsmodell, in dem jeder Glaube seine eigene Zeitung, politische Partei, Rundfunkanstalt, Vereine und Schulen hatte, machte die holländischen Katholiken zu einer engen, loyalen Gruppe von Glaubensgenoss*innen. Doch das begann sich in den 1960er Jahren zu ändern. In 1966 antworteten die Niederlande auf das Zweite Vatikanische Konzil mit einem Pastoralrat. Rom hatte den Grundstein für das religiöses Leben im 21. Jahrhundert gelegt, eine offene, warme Kirche, in der jeder willkommen sei. Aber die niederländische Interpretation dessen, im Pastoralrat, ging dem Vatikan viel zu weit. Es wurde offen über Homosexualität, Verhütung, weibliche Priester und die Abschaffung des Zölibats diskutiert. Der Papst intervenierte und ernannte eine Reihe von konservativen Bischöfen. Die Beziehungen zwischen dem Vatikan und den Niederlanden wurden deutlich kühler. Der Basis für das Desaster in 1985 wurde schon damals gelegt.

„Katholiken in den Niederlande: Papst nicht willkommen“, titelte die Wochenzeitung Elsevier am Vorabend des Papstbesuches. Eine Umfrage ergab, dass der Besuch des Papstes von nur 3% der niederländischen Katholiken begrüßt wurde. Woche für Woche wurde der Papst in einer satirischen Fernsehsendung als „Popie Jopie“ porträtiert.

Gleichzeitig liefen die Autonomen Sturm gegen den bevorstehenden Besuch von Papst Johannes Paulus II, der vom 11. bis 15. Mai 1985 geplant war. Ein berüchtigtes Plakat wird veröffentlicht: Eine temporäre Koalition der Militanten Autonomen Front, het Noordelijk Terreurfront (Deutsch: Terroristischen Front des Nordens), der Autonomen ’80 und der ‘’Autonomia Operaia Paese Bassi haben eine Belohnung von 15.000 auf den Kopf des Papstes ausgesetzt. Auf dem Plakat wird ihm vorgeworfen, Mitglied einer kriminellen und faschistischen Organisation zu sein, die sich seit Jahrhunderten der Folter (Inquisition), der Erpressung und des Betrugs an den Ärmsten und der Verfolgung der Juden schuldig gemacht hat.

Wie schon bei der Krönung von Beatrix im Jahr 1980 gelang es der Gruppe, die sich hinter die Aktion verbirgt, mit diesem Plakat eine angespannte Atmosphäre rund um den Papstbesuch zu erzeugen. Überall in den Niederlanden machen die Bullen mit unterschiedlichem Erfolg Jagd auf Plakate des Papstes. Aber auch im Rest der Welt erregt das Plakat Aufsehen. Die Empörung über diese Provokation ist groß, oft mit direkten Folgen. In Südamerika zum Beispiel erhielt ein niederländisches Profi-Radsportteam, das an einem Etappenrennen in den Anden teilnahm, Morddrohungen wegen des Plakats.

Auf das Plakat, das den Stein ins Rollen brachte, folgt eine weiteres , das eine Demonstration in Utrecht ankündigt. Autonomen rufen zu einem „Anti-Papst-Aufstand“ in Utrecht auf. „Damit eines klar ist: Bringt Helm, Knüppel und Molotovs mit!“ In der Wochenzeitung Nieuwe Revu’ posoert eine Gruppe von Autonomen mit vorgehaltenen Gewehren vor dem Plakat, das zur Ermordung des Papstes aufruft. Die gezielte Provokationen funktionieren, die Medien übernehmen ungewollt ein großer Teil der Mobilisierungsarbeit für die Demonstration gegen den Papstbesuch in Utrecht. Weder die katholische Kirche, noch der Staat bestimmen die Erzählung des Papstbesuches, sondern die Gegner*innen. Nachdem die beiden Plakate ihre Arbeit getan hatten, wurde eine Reihe von religionskritischen Texten veröffentlicht. In ihnen wurde sowohl die katholische Kirche als Institution als auch die Religion im Allgemeinen diskutiert. Auch kritische katholische Gruppen veröffentlichten auch eine Reihe von Texten über die Institution der katholische Kirche. Die Diskriminierung u.a. von Queers und Frauen in der Kirche war auch vielen Katholiken ein Dorn im Auge und der erzkonservative Papst Johannes Paulus II ein rotes Tuch.

Das Komitee Anti-Papst (KAP) Besuch, die Koalition, die die Demonstration gegen Papst Johannes Paul II in Utrecht organisiert besteht aus sehr unterschiedlichen Akteure.Bei den Vorbereitungstreffen der KAP gibt es große Auseinandersetzungen zwischen den Aktivist*innen der KAP und den Autonomen. Aber die Zusammenarbeit klappte am Ende besser als ich gedacht hatte. Die Autonomen hatten ursprünglich ihren eigenen Ort, von dem aus sie am 12. Mai losgehen wollten. Aber kurz vor der 12. Mai wurde doch noch eine Einigung erzielt, es wurde beschlossen das es eine gemeinsame Demo mit einem autonomen Block geben würde.

Am Samstag, den 11. Mai, 1985, landete der Papst am Nachmittag auf dem Welschap Flughafen in Eindhoven.Der Empfang am Flughafen war bereits ein Omen für das, was kommen sollte. Statt der Hunderttausenden von Menschen, die normalerweise an Papstbesuchen teilnehmen, standen nur ein paar tausend Zuschauer*innen vor dem Eindhovener Flughafen. Ein Teil der Zuschauer hat den Papst während seiner Ankunft ausgepfiffen. Am gleichen Tag wird als Vorgeschmack auf die Demo die am 12. Mai in Utrecht stattfinden wird, eine Puppe, die Papst Johannes Paulus II darstellt, auf dem Dam Platz in Amsterdam verbrannt. In Utrecht werden an diesem Tag zwei Aktivist*innen verhaftet, als sie eine Anti-Papst-Parole auf ein besetztes Haus in der Voorstraße malen.

Viele Genoss*innen sind erst am 12. Mai in Utrecht angekommen. Unsere Bezugsgruppe war bereits am Vortag in Utrecht. Die Bullen waren nicht mehr dieselben wie in 1980 und 1981, sie waren deutlich besser ausgebildet und auch besser ausgerüstet. Wir rechneten damit, dass die Bullen Vorkontrollen machen würden, deshalb hatten wir zuvor zusammen mit einigen Ortskundigen ein paar Depots auf und rund um die Demoroute vorbereitet. Der Papst würde in Utrecht mit seinem Papamobil eine sehr kurze Strecke fahren: vom Irenehal zu den Jaarbeurs Hallen. Das sind nur etwa 500 Meter. Wir hatten also nicht viele Möglichkeiten, auf die Strecke zu kommen, und es war für die Bullen nicht allzu schwierig, dieses Gebiet zu kontrollieren. Wir wussten also, dass wir irgendwo durchbrechen mussten, um ihr Konzept durcheinander zu bringen. Damals gab es noch keine „roten Zonen“ wie bei den heutigen Gipfeltreffen, aber die Bullen hatten vor der Demonstration deutlich gemacht, dass sie keine Demonstrant*innen „auf der anderen Seite der Gleise“ dulden würden. Wir liefen mit etwa 5000 Menschen auf die Jaarbeurs Hallen in Utrecht zu, wo der Papst hinkommen würde. Bald standen wir vor einem Eisenbahnviadukt in der Nähe des Einkaufszentrums Hoog Catharijne. Die offizielle Demonstration endet hier. Die Bullen stehen unter dem Eisenbahnviadukt. Der Mob läuft auf die Bullen zu, erste Steine fliegen. Die Bullen haben uns zurückgeschlagen, hier war kein Durchbruch möglich.

Am Leidsveertunnel verlor ein Bulle seine Einheit. Er wurde von einer kleinen Gruppe von Demonstrant*innen eingekesselt, auf die er mit scharfer Munition schießt. Wie durch ein Wunder trifft er niemand. Aber meine Knien schlotterten. Es war meine erste Erfahrung mit Schusswaffen. Man gewöhnt sich übrigens nicht daran, wenn Menschen mit Pistolen schießen. Ich bin kein Held und ich habe diese Erfahrung danach öfters gemacht, meine Knie fingen immer an zu schlottern, allerdings habe ich im Laufe der Zeit gelernt meine Ängste zu kontrollieren. Nachdem wir zurückgeschlagen wurden, brachen wir bei einem anderen Eisenbahntunnel durch. Auf zur Bleekstraße!

Ein Bullen Jeep wurde auseinander genommen und die Scheiben vom „Papsthaus“ gingen zu Bruch. Da wollte der Papst ursprünglich auch noch hin, daraus wurde aber nichts. Es ging so einiges zu Bruch. Es gab nun mehrere Orte in der Innenstadt von Utrecht wo es Auseinandersetzungen mit den Bullen gab. Der Bullenfunk wurde gekapert und die Bullen hörten nun „Popie Jopie“ in Dauerschleife. Währenddessen schafften es immer mehr Kleingruppen auf die Route vom Papst zu gelangen. Wir schafften es auch, aber leider war einer unsere Depots in der Nähe von den Bullen entdeckt und leer geräumt worden. Es flogen ein paar Steinen Richtung Papstmobil, aber durch die nun fehlende Accessoires aus dem Depot ging nicht viel mehr. Allerdings dürfte der Papst noch nie so laut ausgebuht worden sein. Durch die immer noch weitergehenden Auseinandersetzungen musste seine sehr kurze Route nochmals gekürzt werden und der Papst wurde gezwungen durch ein Hintereingang in die Jaarbeurshallen zu gehen. Der rote Läufer vor dem Haupteingang war zu gefährlich geworden.

Nachdem der Papst vorbeigekommen war, verließen wir zunächst seine Route. Unsere Bezugsgruppe hatte zusammen mit einigen anderen Gruppen beschlossen, sich nicht mit den großen Auseinandersetzungen mit den Bullen zu beschäftigen.Wir wollten ihm die Abreise erschweren, indem wir uns schnell durch die Stadt bewegten und überall Straßen zugemacht haben. Auf dem Weg dorthin fanden wir noch einige weitere Ziele, die wir immer schnell angriffen und zum nächsten Ziel aufbrachen und gleichzeitig schnell die nächste Straße sperrten. Die Idee war, die Bullen permanent zu beschäftigen und aus dem Konzept zu bringen, indem wir permanent an immer wieder neuen Orten Unruhe stiften und kurze, aber heftige Angriffen starteten. Hit and run.

Der Papst wurde nach seinem Besuch in den Jaarbeurs-Hallen schnell weggezaubert. Ein Bad in der Menge war nicht möglich. Der Papst-Besuch in Holland war denkwürdig, mehr als das, wir hatten es geschafft es zum absoluten Desaster zu machen und Religionskritik wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Noch nie waren die Straßen während eines Papstbesuches so leer und gleichzeitig militante Aktivist*innen so nah am Staatsbesucher. Und noch nie zuvor hat der Papst bei einem einzigen Besuch eine unerwartet donnernde Predigt, eine plakatgroße Todesdrohung und fünfmal das gleiche Essen bekommen. Kurzum, selten ist ein Papstbesuch so dramatisch gescheitert. Einer der wichtigsten Organisatoren des Papstbesuches, Pater Van Munster, gab hinterher zu: „Das hätte nie passieren dürfen. “ Er meinte den Papstbesuch an sich.