Rostock Lichtenhagen – Die Tage die alles veränderten

Am 22. August 1992 begann das Pogrom von Rostock Lichtenhagen, das vier Tage dauerte und auf dessen Höhepunkt nur durch Zufälle einer Gruppe von einhundert Menschen, die meisten von ihnen ehemaligen DDR Vertragsarbeitern aus Vietnam, die Flucht aus einem brennenden Hochhaus gelang.

  • Bereits am 23.8. waren etliche organisierte Nazis, darunter viele Führungskader, aus Westdeutschland in Rostock eingetroffen und beteiligten sich an den Angriffen auf die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAST). Aber auch antifaschistische Zusammenhängen waren vor allem aus Berlin und Hamburg angereist um die zahlenmäßig überschaubaren antifaschistischen Rostocker Gruppen zu unterstützen. Am späten Abend gelang es einer größeren Gruppe von Antifas aus der Rostocker Innenstadt fast bis zum Ort des Pogroms vorzustoßen, sie wurde dann aber von den Bullen gestoppt, wobei mehrere Dutzend Antifaschisten festgenommen wurden.

Nachdem die Bewohner der ZAST am 24.8. evakuiert worden war, richteten sich die Angriffe von mehreren tausend Menschen gegen das daneben liegende Wohnheim für die vietnamesischen Vertragsarbeiter. Die Bullen unternahmen wenig, ihre eh sehr überschaubaren Kräfte wurden teilweise weit entfernt vom Brennpunkt der Krawalle eingesetzt. Am 24.8. waren mittlerweile einige hundert Leute vor allem aus Hamburg und Berlin eingetroffen, darunter viele Genoss*innen mit Erfahrungen aus militanten Auseinandersetzungen. Es gelang jedoch den ganzen Abend über nicht, zu einer einem gemeinsamen Handeln zu kommen. Im zentralen Treffpunkt, im Jugendzentrum in der Rostocker Innenstadt, gingen Gruppen rein und andere wieder raus, ständig tagten Plenas, die aber nur wenige Zusammenhänge repräsentierten, die Rostocker waren völlig übermüdet und überfordert, ständig tauchten neue Gerüchte auf, teilweise auch völlig unzutreffende wie das die Nazis vorhätten das Jugendzentrum in der Rostocker Innenstadt anzugreifen, was viele, im Zusammenhang mit fehlenden Ortskenntnissen, dazu brachte, nicht nach Lichtenhagen aufzubrechen. So fuhren immer wieder nur kleine Konvois nach Lichtenhagen, waren aber angesichts von tausenden von Rassisten und Nazis nicht handlungsfähig. Zusammenfassend muss man konstatieren, dass es an diesem Abend bei besserer Koordination vielleicht möglich gewesen wäre, bis zu dem später in Brand gesetzten Wohnheim vorzustoßen. Die Entschlossenheit, dies trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit zu wagen, war bei vielen Genoss*innen vorhanden. So aber kam es nur zu einer symbolischen bundesweiten Demonstration am Wochenende nach dem Pogrom, um die es auch noch viele Konflikte gab, weil die vorbereitenden Gruppen in erster Linie daran interessiert waren, eine “autonome Strafexpedition” in Rostock Lichtenhagen zu verhindern. Der Vorbereitungskreis ging soweit, intern anzukündigen, dass man militante Aktionen in Lichtenhagen mit Gewalt unterbinden würde.

Die Tage von Rostock sorgten im Ausland dafür, dass die Fratze des “hässlichen Deutschen” wieder überdeutlich wahrgenommen wurde, ein Bild, das später unter anderen mit den medial inszenierten “Lichterketten”, bei denen Hunderttausende das “bessere Deutschland” repräsentieren sollten, wieder versucht wurde zu korrigieren. Es folgten die Mordanschläge von Mölln und Solingen, die weitgehende Abschaffung des Asylrechts, und eine linksradikale Grundsatzdebatte über das Verhältnis zum mörderischen deutschen Sonderweg.

Wir erinnern am Jahrestag des Beginns des Pogroms von Rostock Lichtenhagen mit einem Buchauszug aus “Begrabt mein Herz am Heinrichplatz” von Sebastian Lotzer, in dem seine subjektiven Erinnerungen an das Geschehen aufgeschrieben hat , sowie der fünf Jahre nach dem Pogrom entstandene “Blick zurück im Zorn” aus dem Antifa Infoblatt (AIB). Außerdem mit dem 2012 stattgefundenen Gespräch “Es waren nicht die bleiernen Jahre” mit mehreren Leuten aus Berlin und Rostock, die 1992 vor Ort waren (ebenfalls Antifa Infoblatt), sowie der grundsätzlichen Diskussion “Von der aufgezwungenen Selbstverteidigung zur Gegenmacht” aus dem “Telegraph”, ein Gespräch, dass sich auch im empfehlenswerten Buch “30 Jahre Antifa in Ostdeutschland” wiederfindet. Sunzi Bingfa

August 1992 (Sebastian Lotzer)

Vor einer Viertelstunde waren sie mit drei Wagen aus Berlin angekommen.

Sie haben immer noch niemand gefunden, der ihnen sagen kann, wie die Situation in Lichtenhagen ist.

Im Fünf Minuten Takt kommen im Jugend Alternativ Zentrum kleine Gruppen an, während andere sich schon wieder auf den Weg, wohin auch immer, machen. Es gibt keinerlei zentrale Koordination. Ständig treffen neue Meldungen ein, aber es ist unmöglich herauszufinden, welche davon stimmten. Die Leute aus Rostock haben sich völlig erschöpft und überfordert in einen Raum zurück gezogen und wehren alle Versuche von Paul ab, ihnen genauere Infos zu geben.

Gestern war es einer größeren Gruppe, darunter Leute aus Hamburg und Berlin, gelungen, bis fast zu dem belagerten Sonnenblumenhaus vorzudringen. Die ersten Faschos hatten schon die Beine in die Hand genommen, aber dann waren die Bullen dazwischen gegangen und hatten viele Antifas verprügelt und festgenommen. Daraufhin waren viele Auswärtige erst einmal wieder frustriert nach Hause gefahren.

Nach einer halben Stunde quälend unnützer Warterei treffen ein weitere bekannte Gesichter aus Berlin im JAZ ein. Die Genossen sind schon bei dem gestrigen Vorstoß dabei gewesen und gehören zu den wenigen, die in Rostock geblieben sind. Gemeinsam zieht man sich in einen leeren Raum zurück, um sich zu beratschlagen. Während die Genossen ihnen noch vom gestrigen Abend berichteten, kommt eine Frau in den Raum gestürzt. Es gibt angeblich gesicherte Meldungen, dass der Mob aus Nazis und Anwohnern Molotows in das Wohnheim der Vietnamesen wirft, eine Etage soll in Flammen stehen. Allen ist klar, dass sie jetzt sofort etwas unternehmen müssen. Gemeinsam mit einer größeren Gruppe in Richtung Lichtenhagen loszuziehen, erscheint angesichts der chaotischen Situation im JAZ völlig unrealistisch. Grimmig entschlossen wird der Beschluss gefasst, mit den sechs Berliner Wagen gemeinsam nach Lichtenhagen zu fahren. Sie schnappen sich einen Einheimischen und lassen sich auf einer Karte die örtlichen Gegebenheiten erklären. Dann brechen sie auf. Während der Fahrt wird kaum ein Wort gesprochen. Paul wird jetzt klar, dass er mit ganz anderen Vorstellungen angereist war. Er hatte gehofft, dass sich angesichts der bestürzenden Bilder, die im Fernsehen versendet wurden, wesentlich mehr Leute auf den Weg nach Rostock gemacht hätten. Aber offensichtlich ist das nicht der Fall. Sie sind nur einige hundert Leute, die bereit sind, sich dem Pack entgegenzustellen. Und sie sind nicht in der Lage, ihr Vorgehen gemeinsam zu organisieren. Paul hat Angst. Das heute ist ein einziger Albtraum. Sechs Autos, nicht einmal dreißig Leute, was können sie da schon ausrichten? Aber sie können ja nicht einfach im JAZ herumsitzen, während ein Haus voller Menschen vom Pack angesteckt wird.

Sie erreichen Lichtenhagen und parken ihre Wagen am Saum des Neubaugebietes an einer Stelle, die schlecht beleuchtet ist. Sie sind zu wenige, um Leute für den Schutz der Fahrzeuge abzustellen. So können sie nur hoffen, ihre Fahrzeuge mit den Berliner Kennzeichen bei ihrer Rückkehr noch heil vorzufinden. Die Helme werden sie im Auto lassen müssen. Ebenso die langen Holzknüppel. Damit würden sie sofort auffallen. Ihnen bleibt nur das CS Gas und das, was sich sonst noch unter die Jacken stecken lässt. Vielleicht befindet sich darunter auch das eine oder andere Messer. Für den äußersten Notfall. Paul will es lieber gar nicht so genau wissen. Sie setzen sich in Bewegung, möglichst unauffällig in Zweier- und – Dreiergruppen. Die Straßen werden belebter, je weiter sie in die Richtung vordringen, in der das Wohnheim der Vietnamesen liegen muss. Ihnen begegnen keine offensichtlichen Nazis, nur der ganz normalen Querschnitt der Bewohner einer ehemaligen DDR Plattensiedlung. Die Stimmung bei den Leuten auf der Straße ist ausgelassen. Man hat den Eindruck, die Menschen kämen von einem Volksfest. Junge und Alte sind unterwegs. Zu zweit, zu dritt, zu viert. Lauthals scherzend. Pärchen, einander im Arm haltend, ein Lächeln im Gesicht. Worüber freuen sie sich, worauf freuen sie sich? Der ultimative Fick, die sexuelle Ekstase, nachdem man die Zigeuner vertrieben und jetzt die Fidschis angezündet hat? Paul hätte jeden Einzelnen packen und verprügeln können.

Zwei Genossen sind als Spähtrupp vorausgegangen. Sie stoßen auf eine Bulleneinheit mit aufgesetzten Helmen, die eine Straße absperrt. Weit weg vom brennenden Haus. Ganz offensichtlich nur dazu da, linke Gegner des Pogroms ausfindig zu machen und aufzuhalten. So wie ein Teil von ihnen angezogen ist, werden sie nicht an den Bullen vorbeikommen. Und selbst wenn sie es schaffen würden, was dann? Was ist möglich mit ihren wenigen Leuten ? Unschlüssigkeit macht sich unter ihnen breit, niemand weiß, was sie tun sollen. In dieser Situation, mitten auf der Straße, mit dem Risiko von den Bullen oder dem Mob als Linke identifiziert zu werden, ist es nicht möglich, gemeinsam zu diskutieren. Einige treffen für sich die Entscheidung, sofort umzudrehen und so bleibt auch dem Rest nichts anders übrig, als sich diesem Rückzug anzuschließen. Auf dem Rückweg zerstören einige noch die Scheiben von ein paar geparkten Trabis. Sie erreichen ihre geparkten Autos und es findet sich niemand, der noch in Rostock bleiben will. Auf der Rückfahrt nach Berlin kommt zu erbitterten Diskussionen untereinander über die eingeschlagenen Autoscheiben. All die aufgestaute Ohnmacht, die Ungewissheit über die Situation der vom Mob Eingeschlossenen, die Scham über das eigene Versagen, entladen sich in hasserfüllten verbalen Attacken untereinander.

Paul weiß nicht wohin mit seiner Wut, hilflos tritt er gegen die Tür. Die internen Konflikte sind endgültig eskaliert. Am Samstag ist die Demo in Rostock und es sieht alles einfach nur noch beschissen aus.

Schon nach dem Pogrom Einundneunzig in Hoyerswerda hatte es ja geknallt, waren sie aufeinander losgegangen. Überdeutlich erinnerte er sich an die spannungsgeladene VV im überfüllten Versammlungsraum.

Kapitulanten“, tobten die Einen, „Macker Militanz“, tönte es aus der anderen Ecke.

Die eigenen Leuten hatte auf der Demo in Hoyerswerda eine Kette vor den Bullen gebildet, um zu verhindern, dass Steine flogen. So etwas hatte es bis dahin nie gegeben. Ein absolutes No Go.

Achtundachtzig hatten sich mal ein paar von den autonomen Reformisten vor den Plus am O Platz gestellt, um zu verhindern, dass dieser während eines Straßenfestes geplündert wird. Aber beide Seiten hatten die Nerven bewahrt und es war bei verbalen Ausbrüchen geblieben. Ein paar jahrelange Freundschaften waren den Bach runtergegangen, aber der politische Schaden hielt sich noch in Grenzen.

Aber jetzt war nichts mehr zu retten. Wenn sie nach Rostock fahren würden, war eine Massenschlägerei untereinander unvermeidbar. Die andere Seite hatte sich klar positioniert. Wenn es auf der bundesweiten Demo zu Vergeltungsaktionen gegen die rassistischen Anwohner, die sich an dem tagelangen Pogrom beteiligt hatten, kommen würde, würden sie das mit Gewalt zu unterbinden suchen. Diese Leute schienen echt nicht wahrhaben zu wollen, was in diesem Land abging. Seit über zwei Jahren tobte sich diese Melange aus Faschisten und rassistischen Arschlöchern schon aus. Und sie hatten es weder geschafft zu verhindern, dass der Mob sein „Ausländerfreies Hoyerswerda“ feiern konnte, noch brachten ihre Feuerwehr- Politik Ausflüge an den Wochenenden zu den Brennpunkten in den diversen Ost Käffern wirklich etwas. Mittlerweile griff die Scheiße auch schon im Westen um sich.

Am Vatertag hatte sich ein Mob von fünfhundert Anwohnern unter Rufen wie „Asylantenschweine raus“ vor einem Flüchtlingsheim in Mannheim versammelt und damit gedroht, das Heim anzuzünden. Leute aus der Region, vor allem aber aus dem Rhein Main Gebiet hatten daraufhin eine bundesweite Demo am Samstag nach den Angriffen organisiert. Die Demo sollte direkt vor das Flüchtlingsheim in Schönau ziehen, aber daraus war nichts geworden. Ein Teil der Vorbereitungsgruppe war nach einem Verbot der Demo in Schönau durch die Bullen umgefallen und hatte die anreisenden Leute einfach in die Mannheimer Innenstadt gelost.

Paul und die Seinen hatten sich auch auf den Weg nach Mannheim gemacht und hatten sich einem kleinen Frankfurter Konvoi angeschlossen, der direkt nach Schönau fahren wollte. Da davon auszugehen war, dass die Bullen alle wichtigen Zufahrtsstraßen nach Mannheim kontrollieren würden, hatte ch der Konvoi über Nebenstraße und mit weiten Umwegen der Stadt genähert. Zum Schluss war es nur noch im Schritttempo über abgelegene Feldwege vorwärts gegangen. Hatte aber nichts genutzt. Als sie endlich die Stadtgrenze erreicht und ihre Fahrzeuge abgestellt hatten, wurden sie von zwei Hundertschaften gestoppt und gekesselt. Am Ende hatten sie nach zähen Verhandlungen mit den Bullen weitab vom Schuss in Mannheim Sandhausen ziemlich sinnfrei demonstriert, während zeitgleich in der Innenstadt dreitausend Leute unterwegs waren. Nach Schönau war niemand gelangt, und ihr Ziel, den rassistischen Mob zu konfrontieren, hatten sie nicht im geringsten erreicht. Der Mob versammelte sich unterdessen zu Hunderten drohend vor der Flüchtlingsunterkunft. Und die Leute von der wildcat hatten auch nichts besseres zu tun gehabt, als in Mannheim oberdumpfe Flugblätter zu verteilen:

Rebellion ist gerechtfertigt. Aber so geht’s nicht! Es gibt gute Gründe, auf die Straße zu gehen. Wohnungsnot, Mieten, Löhne, kurz gesagt, das Gefühl, ständig ’was weggenommen zu kriegen. Es gibt auch gute Gründe, gegen die Scheiße hier mit Gewalt vorzugehen… Es bieten sich viele Ziele an: Makler, Chefs, Politiker, Banken, Bullen etc. (…). Es ist vollkommen klar, dass die Unterbringung von über 200 Menschen auf engstem Raum, die darüber hinaus noch aus verschiedenen Kulturkreisen kommen, zu Spannungen führt. Es ist nachvollziehbar, wenn es zu Problemen zwischen den Flüchtlingen und der Bevölkerung kommt.

Und nun wiederholt sich in Rostock alles wieder.

Die Ausländer sind die falsche Adresse haut den Politikern auf die Fresse tönt es, nachdem einhundert Menschen nur mit Glück knapp dem ihnen vom Mob zugedachten Flammentod entkommen sind. Sie hatten während der Tage des Pogroms komplett versagt und nun wurden an den Mob pädagogisch aufklärerische Ansprachen gehalten?

Paul weiß, er darf seinem Impuls, trotzdem nach Rostock zu fahren, nicht nachgeben, sie dürfen ihren Impulsen, es darauf ankommen zu lassen, nicht nachgeben. Wenn sie es tun, werden sie sich mit dem Mob, den Bullen und einem Teil der eigenen Leute gleichzeitig prügeln müssen.Und auch wenn ihm eigentlich genau danach ist, weiß er, dass das sinnlos und Kamikaze wäre. Er muss mit seinen Leuten reden und hoffen, dass die das auch so sehen werden. Ihn kotzt einfach alles nur noch an. Er schließt die Wohnungstür und macht sich auf zum Delegiertentreffen.

Blick zurück im Zorn (AIB #41)

Eines ließen die hektischen Wochen seinerzeit nicht zu: kritisch zu betrachten, wie die radikale Linke sich verhielt, den eigenen Anteil und das eigene Versagen völlig zu begreifen. Denn sofern man von einzelnen Ereignissen spricht, war das Pogrom sicherlich eine der bedeutendsten Niederlagen der deutschen Linken nach 1945. Unmittelbar nachdem am Sonntag, dem 23.8.1992, die ersten Übergriffe vom Vorabend bekannt geworden waren, machten sich in verschiedenen Städten Norddeutschlands und in Berlin dutzende von Leuten auf den Weg nach Rostock. Ihre Absicht war, nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres – den Angriffen in Hoyerswerda, Mannheim und anderswo – weitere Pogrome zu verhindern.

Am Nachmittag hatten sich sechzig oder mehr Personen zusammengefunden und berieten, was zu tun sei. Damit keine Missverständnisse auftauchen: Hier standen Leute, die seit Jahren mit militanten Auseinandersetzungen vertraut waren, die in anderen politischen Bereichen und z.T. für weit unwichtigere Fragen lange Gefängnisstrafen oder ihre Gesundheit riskiert hatten, und die nicht prinzipiell Gewalt ablehnten. Aus Lichtenhagen erreichten Augenzeugenberichte das Plenum. Während die Antifas zum Teil noch anreisten, hatten sich bereits wieder erste Gruppen jugendlichen Mobs zusammengefunden, waren aber noch wenig entschlossen.

Aus dem Haus, in dem die VietnamesInnen lebten, kamen Anrufe, die von neuen Angriffen berichteten. Für das jämmerlich unentschlossene Plenum stellte sich die Frage, was nun zu tun sei. Einzelne, gerade diejenigen, die schon vor Ort gewesen waren, plädierten dafür, vor das Haus zu ziehen und weitere Angriffe durch Präsenz zu verhindern, nötigenfalls auch mit Gewalt zurückzuschlagen. Es war eine realistische Einschätzung, dass zumindest die Chance bestand, hiermit die Situation grundlegend zu ändern. Es bestand tatsächlich die Möglichkeit, eine Eskalation der Übergriffe zu verhindern, was unabsehbare Folgen für die weiteren Ereignisse hätte haben können.

Damit bestand aber in diesen zwei oder drei Stunden die reale Chance, die kommende Pogromwelle bereits zu ihrem Auftakt zu unterbinden. Von der Mehrheit des Plenums wurde allerdings die Angst geäußert, dass man gegen den tobenden Mob keine Aussicht habe und die Gefahr bestehe, gelyncht zu werden. Diese Angst war sicher verständlich und wohl nicht ganz unbegründet. Doch die wenigen, die offen für ein sofortiges, direktes Eingreifen stimmten – und ich bekenne, dass ich selbst nicht zu ihnen gehörte ― erklärten, dass es Situationen gebe, in denen man dann im Zweifelsfall bereit sein müsse, die entsprechenden Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Als Weiße und als geschlossene Gruppe sei unsere Situation allemal sicherer als die der eingeschlossenen Flüchtlinge und Vertragsarbeiterinnen. Seit Jahren hatte man mit moralischen Argumenten Zivilcourage eingefordert, den schweigenden AugenzeugInnen etwa des 9. November 1938 zurecht vorgeworfen, durch ihr Zusehen mitschuldig zu sein.

Nun, selbst in eine vergleichbare Situation geraten, war die Angst um den eigenen weißen Hintern offenbar größer. Den moralischen Ansprüchen entsprach kein Bewusstsein darüber, wie man sich in der konkreten Situation selbst zu verhalten habe. Weder hatten wir uns selbst als Faktor der Geschichte ernst genommen, noch hatten wir uns ernsthaft klargemacht, dass in solchen Situationen im Zweifel auch Gefahr für unser eigenes Wohlergehen bestehen kann. Angst als dumpfes Gefühl unterscheidet sich von Furcht – einer rationalen, sachlich begründeten Risikoeinschätzung. Angst entsteht dort, wo eine Situation unvertraut ist; seit den Erfahrungen von Hoyerswerda hätten wir uns aber zumindest theoretisch mit den Notwendigkeiten und Gefahren angesichts eines Pogromes vertraut machen können. Ich schreibe dies, weil ich – mehr als in anderen Situationen – hier ein großes konkretes Versagen der Linken angesichts einer echten historischen Verantwortung sehe, das ich außerdem für ein ganz persönliches Versagen halte.

Denn obwohl ich die Forderung, sofort in Lichtenhagen einzugreifen, für das einzig Richtige hielt, hatte ich nicht den Mut, dies auch offen zu sagen. Ich bin auch nach wie vor der Überzeugung, dass wir echte Chancen hatten, den Mob zu verscheuchen. Wenn Gefahr drohte, dann sicher – wie der weitere Verlauf des Abends zeigte – durch die Polizei, die offenbar den Auftrag hatte, das Pogrom in jedem Falle stattfinden zu lassen. Übrigens nahmen Menschen mit weit weniger entwickeltem antirassistischen »Bewusstsein« als unserem, die Gefahren in Kauf. Ständig waren Deutsche im Haus, die durchaus Gelegenheiten zu individueller Flucht hätten nutzen können. Das Plenum entschied sich für eine Geste der Hilflosigkeit, für eine Demonstration im sicheren Hinterland des Pogroms. Explizit wurde erklärt, dass dieser Schritt weniger gefährlich sei…

Reaktionen

Natürlich war es richtig, zunächst die Verantwortlichen an dem Pogrom, die durch ihre Aktivitäten und ihre Hetze Schuldigen zu benennen, und so schnell wie möglich vor Ort eine zweite und größere Demo zu organisieren. Wir vergaßen darüber, dass man auch durch Unterlassung mitschuldig werden kann. Dem Mob, vor dem wir aus Angst versagten, hat die radikale Linke denn auch nie verziehen. Die Reaktion war mehr als verblüffend. Wie kaum ein anderes Ereignis zeigte doch gerade das Pogrom von Rostock, dass der rassistische Mob für sich selbst genommen nichts ist, zur Gefahr erst dann wird, wenn seine Taten geduldet werden. Das Pogrom enstand – nachweislich! – genau an dem Tag und Ort, wo die politisch Verantwortlichen es wollten; wo eine Bürokratie, welche Menschen verwaltet wie Dinge, die Situation aus Berechnung eskalieren ließ; wo eine zynische, selbstgefällige und unverantwortliche – hier passt das hässliche Wort – Journaille die Hetze aufgegriffen und verbreitet hatte. Sobald Politik und Bürokratie ihr Ziel – die faktische Abschaffung des Asylrechtes – erreicht hatten, als die Angriffe auf andere Immigrantinnen begannen, den vermeintlichen »sozialen Frieden« zu stören, und als das Ansehen Deutschlands im Ausland litt, gelang es den drei Gruppen Politik, Bürokratie und Presse, den Mob der Pogromhelden wieder zur Ruhe zu bringen.

Der Mob ist immer eine diffuse Masse von individuellen Feiglingen, die die Gelegenheit und den Mangel an Widerstand ausnutzen. Wer dies nicht glaubt, muß sich nur noch einmal die Filmaufnahmen in »The trues lies in Rostock« (dt.: »Die Wahrheit liegt/lügt in Rostock«) ansehen. Sie sind in den selben Minuten entstanden, als wir einige Kilometer entfernt unsere Ängste besprachen. Man kann sie als Lehrbeispiel für die Entstehung von Pogromen und die Zusammensetzung des Mob betrachten. Hier bekommen die z.T. sehr jungen Schaulustigen, die jeweils sehr unentschlossenen Grüppchen die Pflastersteine von einigen einzelnen Aufheizern regelrecht in die Hand gedrückt. Dann freilich, und weil niemand sie an ihren Taten hindert, putschen sie sich immer mehr auf, die Meute wächst an, um sich ein paar Tage nach den Übergriffen vollständig aufzulösen, als ob es sie nie gegeben hätte. Schuld an den Übergriffen trägt nicht nur der Mob, sondern eine ganze Gesellschaft.

Aber ob wir mögen oder nicht – dazu gehören nicht nur diejenigen, die jubeln oder unbeteiligt zuschauen, sondern auch diejenigen, die aus Angst gelähmt sind, also auch wir. Indes, die antirassistische Bewegung flüchtete sich in Theoreme vom prinzipiellen Rassismus der Deutschen, in undifferenzierte Beschuldigungen, bei denen die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten von aktiven Brandstiftern, jubelnden Zuschauern, journalistischen Stichwortgebern und bürokratischen Schreibtischtätern zu einem einzigen »nationalen Konsens« verwischt wurden, während die eigene Unterlassungsschuld nie und nirgends offen thematisiert wurde. Sehr bequem. Für die Zukunft müssen wir die Lehre ziehen. Statt stets und überall verbal mit radikalen Parolen um uns zu werfen, statt in jedem Einzelereignis die Nagelprobe zu wittern, müssen wir lernen zu erkennen und zu unterscheiden, wann eine echte historische Verantwortung besteht, wann der Lauf der Dinge von unserem Handeln und Unterlassen tatsächlich mit beeinflusst wird. Dann müssen wir aber auch in der Lage sein, im entscheidenden Moment das richtige zu tun. Zu dieser Fähigkeit gehört es, sich in seinem eigenen Bewusstsein darauf einzustellen. Dass wir selbst dabei Schaden nehmen können, sollten wir uns deutlich vor Augen halten. Wir sollten aber auch lernen, dass es Situationen gibt, in denen wir uns nicht mehr aussuchen können, was wir wie machen. Dann heißt es eben: Hier ist die Rose, hier tanz!

Es waren nicht die bleiernen Jahre“ (AIB 2012)

AIB: Im Rückblick anlässlich des 20. Jahrestags des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen: Welche Szenen aus dieser Woche stehen euch noch besonders vor Augen bzw. welche Szenen könnt ihr immer noch aus dem Gedächtnis abrufen?

Olga: Ich war damals 16 Jahre. Die erste Szene, an die ich mich entsinne: Es ist Sonntag, 23. August 1992, später Nachmittag oder früher Abend: Da sind wir endlich das erste Mal rausgefahren nach Lichtenhagen, mit knapp 100 Leuten. Meine Erinnerung: So stelle ich mir Bürgerkrieg vor, wir versuchen das Sonnenblumenhaus von der Nordseite zu erreichen, schleichen von hinten heran, Hubschrauber kreisen über unseren Köpfen, wir robben durchs Gebüsch, Verstecken, Schleichen, und immer wieder Verstecken, ständig die Gefahr, als Antifas erkannt zu werden, von Polizisten oder Nazis, und immer das Gefühl, im Feindesland zu sein, dazu die Geräuschkulisse der rassistischen Hassparolen. Ein Zustand zwischen Angst und der Entschlossenheit, irgendwie an das Haus heran zu kommen. Wir haben uns von der Rückseite genähert und dann doch entschieden, wieder zurück zu fahren, weil wir zu wenige waren und entdeckt wurden. Ich kann wirklich nicht sagen, wie die Entscheidung zustande kam – Strukturen wie einen Aktionsrat oder ähnliches gab es meines Wissens nach nicht. Danach war das Gefühl nicht Ohnmacht, sondern Wut.

Szene 2.: Endlich – nach stundenlangen endlosen Diskussionen – sind wir nachts gegen 3 Uhr am Sonntag wieder raus gefahren. 300 Leute, haben die Autos geparkt an der Stadtautobahn, haben Ketten gebildet, waren zügig, kraftvoll, laut und wütend, sind voller Hass auf den Mob vors Sonnenblumenhaus losgelaufen und haben die Nazis, die davor standen, vertrieben. Ein unbeschreibliches Gefühl… Wir hätten dort bleiben sollen: Stattdessen sind wir in die Stadt zurück gefahren und wurden auf dem Rückweg festgenommen.

Erwin: Auch wenn es schon zwanzig Jahre her ist, erinnere ich mich noch gut an diese Nacht, die Olga beschreibt. Am 23. August 1992, als wir mit 200 bis 300 Leuten nach Lichtenhagen rausgefahren sind, Autos abgestellt haben und dann wie im Guerilla-Krieg, ohne einen Mucks von uns zu geben, an den Häuserwänden Lichtenhagens entlang geschlichen sind, weil über uns Hubschrauber kreisten. Als wir dann an dem Parkplatz südlich des Sonnenblumenhauses ankamen, haben wir uns formiert, sind mit »Nazis-Raus«-Rufen losgelaufen und haben die Nazis verjagt. Das war schon ein sehr wichtiges Erlebnis, diese Wut, dieser Hass, die Nazis laufen zu sehen. Leider sind wir nicht geblieben.

Karen: Ich erinnere mich noch an mein eigenes Zögern, als der Anruf über die Berliner »Häuser-Telefonkette« bei uns in der WG ankam, dass in Rostock ein Mob aus Nazis und AnwohnerInnen gegen die Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge und ein Vertragsarbeiter_innen-Wohnheim mobil machen würde. Seit dem Pogrom in Hoyerswerda im September 1991 hatten wir fast jedes Wochenende irgendwo in Brandenburg oder Ost-Berlin vor einem Flüchtlingsheim oder einem besetzten Haus gestanden. Und, ganz ehrlich, die erste Reaktion war: ›Uff, schon wieder losfahren?‹ Dann, in Rostock angekommen, gab es quasi ein Open-Air-Plenum, wo Antifas aus Norddeutschland völlig bunt durcheinander gewürfelt zusammen kamen: Die Positionen lagen extrem auseinander – zwischen »los, lasst uns endlich rausfahren nach Lichtenhagen, egal wie viele Nazis da rumstehen« über »was macht eigentlich die Polizei« – denn nach Hoyerswerda dachten viele, dass eine derartige Situation durch die Sicherheitsbehörden auf jeden Fall nicht mehr gewollt sei – bis hin zu großer Angst, weil kaum jemand von uns sich auskannte vor Ort und der Mob in Hoyerswerda kleiner und insgesamt überschaubarer gewesen war.

Paul: In Erinnerung sind noch viele Szenen aus dieser Woche. Wir sind mit Beginn der Ansammlung vor dem Haus am Sonnabend in mehrere Wohnungen der Vietnames_innen. Eine Szene ist, wie die Vietnames_innen, während draußen am späten Abend die Angriffe liefen, relativ ruhig in ihrer Wohnung saßen und das Abendessen zubereiteten, während wir uns die ganze Zeit auf dem Balkon aufhielten und immer wieder Gegenstände von oben herab warfen, um die wenigen Polizisten, die das Haus gegen die Angreifer zu verteidigen versuchten, zu unterstützen. Immer wenn sie zurückgedrängt wurden, haben wir versucht, was uns möglich war. Hinterher bedankte sich der Einsatzleiter bei uns.

Ein weiteres Bild, das ich nicht vergessen werde, waren die ankommenden Wasserwerfer. Über mehrere Stunden worden sie bereits angekündigt, doch sie kamen nicht. Als sie dann eintrafen und wir sahen, wie langsam sie anrollten und bereits dabei ihre Wasservorräte in der Luft versprühten, wussten wir, irgendwas stimmt hier nicht.

Am nächsten Tag, dem Sonntag, kamen viele aus anderen Städten zur Unterstützung und es gab viele Diskussionen. Es gab immer wieder Versuche, in größeren Gruppen nach Lichtenhagen zu gelangen, um dort irgendwie einzugreifen. Ich werde nie vergessen, wie wir mit 50–60 Personen von der Nordseite auf das Haus zustürmen wollten, um entweder hinein zu gelangen oder eine Kette um das Haus zu bilden. Es war verabredet worden, dass gleichzeitig von der anderen Seite eine größere Gruppe versuchen sollte, an das Haus zu kommen. Für mich schien das eine machbare Angelegenheit. Das Ziel war, den weiteren Verlauf des Abends irgendwie zu beeinflussen und so weitere Angriffe zu verhindern. Wir ahnten, dass wenn wir nichts tun, es weiter gehen und wahrscheinlich noch schlimmer werden würde als am Vorabend. Kurz bevor wir loslaufen wollten, sahen wir von der Seite eine Polizeikette in Richtung des Hauses aufziehen, in die wir gerade laufen wollten. Ein Teil der Gruppe lief trotzdem los. Letztendlich waren es aber zu wenige und die Leute waren zu unentschlossen.

AIB: Wie bewertet ihr im Nachhinein die politische und praktische Reaktion von unabhängigen Antifas auf das Pogrom? Das AIB schrieb anlässlich des fünften Jahrestags 1997, die unabhängige Antifa habe die Dimension der historischen Verantwortung, die wir damals gehabt hätten, aus Angst um den »eigenen weißen Arsch« nicht erkannt und versagt, weil wir uns nicht getraut haben, uns dem Mob entgegen zu stellen und das Wohnheim der Vietnames_innen offensiv zu schützen. Was denkt ihr dazu?

Erwin: Ich weiß nicht, ob die historische Verantwortung, die wir zweifellos hatten, für uns damals erkennbar gewesen ist. Ich kann mich nicht daran erinnern, daran gedacht zu haben. Dass es um den »eigenen weißen Arsch« ging, trifft nach meiner Erinnerung nur teilweise zu. Es waren damals viele dazu bereit, ihren »eigenen weißen Arsch« zu riskieren. Und es gab ja auch Versuche, da was zu machen. Es sind ja mehrmals am 23. und 24. August größere Gruppen nach Lichtenhagen rausgefahren. Aber man konnte sich nicht einigen. Die Bedenkenträger_innen – ich mein das auch gar nicht abfällig – waren einfach mehr – und ich glaub, vor allem lauter. Und oft standen auch Polizisten im Weg. Aber klar: Wenn wir die damals verjagt und das Sonnenblumenhaus militant verteidigt hätten, wäre die Geschichtsschreibung der letzten zwanzig Jahren eine andere gewesen.

Olga: Wir haben die historische Verantwortung wahrscheinlich wirklich nicht erkannt, zumindest ich nicht in diesem Moment. Oder wir hatten damals nicht in diesen Dimensionen gedacht. Im Nachhinein hat mich bzw. viele von uns – damit meine ich immer Leute aus Rostock –die Frage »Warum haben wir das Pogrom und die Nacht vom 24. August 1992, als das Vertragsarbeiterwohnheim mit Molotow-Cocktails in Brand gesetzt wurde, nicht verhindern können«, immer begleitet. Ich weiß aber auch, dass viele von uns nicht auf »ihren weißen Arsch » geachtet haben, sondern ständig raus gefahren sind – und sowohl kleine, als auch größere Gruppen im Haus waren… Was aber auch richtig ist, dass wir in der Masse nicht entschlossen waren, nicht einig und die Bedenken bei Teilen der Antifas zu groß waren. Vielleicht doch »der weiße Arsch«, der Angst hatte. Der Rest war nicht laut genug bzw. konnte sich nicht durchsetzen.

Karen: Mir hat der Text aus dem AIB Nr. 41/1997 aus dem Herzen gesprochen, ohne dass ich Olga und Erwin widersprechen würde – in dem Moment waren wir uns ganz sicher nicht bewusst, welche Konsequenzen es haben würde, dass wir nicht entschieden haben, um jeden Preis zum Sonnenblumenhaus zu kommen und zu bleiben. Ich habe oft im Nachhinein gedacht, dass wir dadurch die ganze Dynamik der folgenden 24 Stunden geändert hätten – weil vielleicht viele von uns verletzt worden wären, aber wir hätten damit auch einen Polizeieinsatz provoziert, der die Situation vor Ort verändert hätte. Und ich bin davon überzeugt, dass die Welle der rassistischen Gewalt des folgenden Jahrzehnts und die extrem rechte Hegemonie, die wir heute haben, anders verlaufen wären ohne das Pogrom.

Paul: Ich teile die Einschätzung, dass wir in diesem Moment nicht genügend und mutig genug gewesen sind. Das hatte sicherlich auch mit den unterschiedlichen Erfahrungen von Leuten aus West und Ost zu tun. Wenn wir es geschafft hätten, mit etlichen Leuten vor das Haus zu kommen und auch rein, dann wäre das weitere Geschehen anders verlaufen. Das wäre sicherlich mit einem hohen persönlichen Risiko verbunden gewesen, aber zumindest die Polizei hätte im weiteren Verlauf anders agieren müssen. Womöglich wäre es dann auch nicht zu den vielen weiteren Angriffen auf Flüchtlingsheime in der Art (wie geschehen) gekommen.

AIB: Welche politischen und praktischen Konsequenzen habt ihr nach dem Pogrom aus dieser Erfahrung gezogen?

Olga: Die Straßen nazifrei zu halten, Gegenwehr zu organisieren, die politische Aufarbeitung in Rostock vor Ort voranzutreiben und eine breit getragene Antifapolitik in Rostock zu etablieren. Wir haben linke bzw. linksradikale Inhalte in die Bündnisse tragen können – auch Themen über Antifapolitik hinaus. Wir haben Räume geschaffen und verteidigt. Es ging ums intervenieren, um kontinuierliche politische Arbeit und eine politische, bundesweite, antifaschistische Vernetzung. Und natürlich: Handy erfinden und kaufen…

Erwin: Meines Erachtens gab es in Rostock vier vordringliche Aufgaben, die wir erfüllen mussten. Einen durch ein breites Bündnis getragenen Anti-Nazi-Konsens zu schaffen. Die Nazis auf der Straße zurückzudrängen. Eine Verbesserung der Situation für die Flüchtlinge durchzusetzen, wozu auch eine dezentrale Unterbringung gehörte. Die (radikale) Linke und die alternative Subkultur breit aufzustellen, wozu die Sicherung und Ausweitung der linken Freiräume gehörte, aber auch die linke Szene als akzeptierten lokalen Player zu etablieren.

Karen: Wir sind aus Rostock zurückgekommen und die Spaltung, die sich schon vorher abgezeichnet hatte, vertiefte sich eigentlich: Die einen haben sich auf Antira-Politik konzentriert, die damals noch sehr praktisch ausgerichtet war: Flüchtlinge zu unterstützen, die vor den Angriffen auf die Heime im Osten in die alten Bundesländer und nach Berlin flüchteten und politisch gegen das System der Zwangsverteilung vorzugehen. Für viele andere, und dazu gehörte ich auch, gingen Anti-Nazi-Recherche und Antifa- bzw. linke und autonome Gruppen, vor allem in den kleinen Orten in Brandenburg, unterstützen und deren Strukturen verteidigen, Hand in Hand. Und natürlich die Versuche von bundesweiter Vernetzung. Zusammengekommen sind Antira- und Antifa-Bewegung, aber auch viele bürgerliche Gruppen und Institutionen, die sich heute zu den Themen gar nicht mehr verhalten, dann noch einmal 1993 in den Protesten gegen die Abschaffung des Artikel 16 Grundgesetz, also des uneingeschränkten Rechts auf Asyl.

Paul: Für uns in Rostock ging es in den Jahren danach erstmal ganz einfach darum, uns gegen rechte Mobilisierung, die durch das Pogrom einen kräftigen Schub bekam, zur Wehr zu setzen. Das bedeutete bestehende Freiräume zu verteidigen und auszubauen. Daraus entwickelten wir einen linken Politikansatz, der auf das Schaffen von Bündnissen und Netzwerken ausgerichtet ist, der Menschen überzeugen und mitnehmen will, der eine Auseinandersetzung mit anderen Meinungen und Haltungen nicht scheut, der auf der Basis einer linken Subkultur funktioniert und eher auf Breite statt auf Abgrenzung setzt. Ich glaube, dass wir damit recht erfolgreich waren. Rostock ist ein gutes Beispiel, was damit zu erreichen ist. Das Ereignis Lichtenhagen hat hierfür Räume und Gelegenheiten eröffnet, die es anderswo nicht gab.

AIB: Was hätte die unabhängige Antifabewegung in den 1990ern anders machen müssen – im Rückblick –, wenn wir jetzt sehen, dass es die Generation der durch Rostock-Lichtenhagen politisierten Neonazis ist, die den Kern des NSU-Unterstützungsnetzwerks bildete?

Olga: Eine schwierige Frage, vielleicht hätten wir viel früher, viel eher interventionistische Politikansätze durchsetzen sollen, »no pasaran« und »Dresden Nazi frei« sind aktuelle Beispiele dafür. Was aber war die Antwort damals: Wohlfahrtsausschüsse.

Erwin: Ich würde von mir sagen, dass ich nie in der Antifa-Bewegung war. Antifaarbeit gehörte einfach dazu, wenn man Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre im Osten politisch sozialisiert worden ist. Nur soviel: Ich weiß nicht, ob man als Antifa sicher verhindern kann, dass sich rechtsterorristische Netzwerke herausgebilden. Ansonsten richtet sich die Frage eher an die »Recherche-/Analyse-Abteilung«: In den 1990er Jahren wurde permanent vor Rechtsterrorismus gewarnt. Warum die NSU-Morde nicht als solche erkannt worden sind, war bei uns ein Fehler.

Zur linken Bewegung allgemein: Wir hätten früher und konsequenter gegen den auf Selbstvergewisserung und Selbstbezüglichkeit ausgerichteten Teil der linken Bewegung opponieren müssen und unseren pragmatischen, auf gesellschaftliche Veränderung gerichteten Politikansatz stärker machen müssen. Diese auf Abgrenzung und Ghettoisierung gerichteten Tendenzen in der radikalen Linken, die ab Mitte der 1990er Jahre sehr stark geworden sind, waren verheerend. Wir hätten besser und attraktiver sein können.

Karen: Wir hätten unsere eigenen Analysen ernster nehmen und dann auch entsprechend besser weitervermitteln müssen. Nur ein Beispiel: Das Verhältnis zum Staat und zu Polizei. Spätestens nach den Erfahrungen der frühen 1990er muss allen klar gewesen sein, dass die Polizei im Zweifel weder Flüchtlinge, Migrant_innen noch Linke vor Nazis schützen würde. Und dennoch ist dieses Wissen im Laufe der 2000er Jahre auch bei Teilen der Antifa-Bewegung verschwunden – und das Erstaunen angesichts der Rolle von Polizei und Geheimdiensten im NSU-Komplex nun umso größer. Und noch etwas. Die Reaktionen aus der Antifa-Bewegung auf die NSU-Morde zeigen ziemlich erschreckend, wie weit entfernt wir inzwischen von einer gemeinsamen Praxis oder den selbstverständlichen Kontakten mit Migrant_innen sind. Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass zum Beispiel massenhaft Antifagruppen am Strassenfest der Keupstrasse in Köln anlässlich des achten Jahrestags des NSU-Bombenanschlags oder an den Gedenkveranstaltungen in Kassel oder Dortmund teilgenommen hätten. Und wem das zu staatstragend ist, der oder die sollte sich eben was eigenes dazu ausdenken. Wir haben beim NSU-Komplex als unabhängige Antifas auch im Nachhinein eine Verantwortung, der wir gerade noch nicht einmal ansatzweise gerecht werden. Letztendlich geht es doch noch immer um die Frage, ob und wie wir als radikale Linke gesellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen.

Paul: Ich weiß nicht, was man hätte anders machen müssen. Es kommt immer auch darauf an, an welchem Ort man lebt und agiert. Es gibt sicherlich große Unterschiede, ob man in einer großen Stadt oder in einer Kleinstadt bzw. im ländlichen Raum aktiv ist. Jedenfalls wusste man, schon Mitte/Ende der 90er, dass es zahlreihe quasi-militärische Ausbildungslager gibt und dass die rechte Szene Zugang zu Waffen und Sprengstoff hat. Ich habe mich eher gewundert, dass bei jahrelangem militärischen und ideologischen Drill nicht mehr passiert ist. Einige in der rechten Szene waren sicherlich tickende Zeitbomben. Der Anschlag in Düsseldorf hat dann bestimmt vielen auch außerhalb der Linken die Augen geöffnet, auch wenn bis heute unklar ist wer tatsächlich dafür verantwortlich war.

AIB: Was sind die Themen, die jetzt zum 20. Jahrestag des Pogroms bei den Gedenk- und Erinnerungsveranstaltungen bearbeitet werden sollten ? Was sollte nicht vergessen werden?

Erwin: Es sollte die Gegenwehr nicht vergessen werden. Es waren nicht die bleiernen Jahre. Es waren auch Jahre des Aufbruchs und der Gegenwehr. Sowohl von Antifas als auch von Migrant_innen. Und diese Gegenwehr war auch an nicht wenigen Stellen erfolgreich. Zu zeigen, dass die Pogrome nicht widerspruchslos hingenommen worden sind und welche Möglichkeiten es gab, sich gegen eine so breite faschistische und nationalistische Mobilisierung zu stellen, das kann auch hilfreich sein für die Auseinandersetzungen heute.

Olga: Die Themen, die mir wichtig wären, hat Erwin zum Teil schon genannt: Die Gegenwehr, weg vom bloßen Opferstatus, die migrantische Gegenwehr, aber auch das Aufzeigen von rassistischen Kontinuitäten in all ihren Auswüchsen: Pogrome, die Grundgesetz-Änderung, der NSU, die Schengen-Grenzen und die Festung Europa.

Karen: Differenziert hinzuschauen und einzugreifen – überall!

Paul: Man sollte sich in Erinnerung rufen, welche Bedeutung die quasi-Abschaffung des Artikels 16 GG für die Gesellschaft hat. Eine Politik, die auf den Aufbau von Mauern setzt, wird die Probleme in der Welt letztlich mit militärischen Mitteln zu lösen versuchen. Am Beispiel des Lagers für Flüchtlinge in Horst, die sogenannte Erstaufnahmestelle und Wohnunterbringung, zeigt sich in eklatanter Weise eine menschenunwürdige Politik in der Form von Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen.

AIB: Danke für das Gespräch.

Von der aufgezwungenen Selbstverteidigung zur Gegenmacht (Telegraph)

Knapp 30 Jahre ist es her, seit ihr als Jugendliche begonnen habt euch politisch zu engagieren. Ihr wart an Kampagnen und Gruppen beteiligt, die sich u.a. mit Militarismus, Ökologie, Anarchismus, Marxismus und entwicklungspolitischen Themen befassten. Zum Ende der Achtziger Jahre wurde die neonazistische Organisierung immer deutlicher spürbar. Das Thema unserer Diskussion ist euer Verhältnis zu Militanz. Eure Auseinandersetzung mit Militanz war weniger freiwillig – die hochpolitische `Wendezeit` und die Bedrohung durch Neonazis machte sie allerdings zur Notwendigkeit. Wie seid ihr – ganz persönlich – in dieser Zeit zur Militanz gekommen?

Josephine: Ganz kurz und knapp gesagt, ich bin gar nicht zur Militanz gekommen, sondern die Militanz ist zu mir gekommen. Also es war ja nicht irgendwas, was wir gewollt hätten. Es ging uns nicht darum, uns mit Nazis zu prügeln. Aber wir mussten. Wir sind angegriffen und attackiert worden. Es ging eher um eine Form von aufgezwungener Selbstverteidigung und eine aufgezwungene Auseinandersetzung mit dem Thema. Das steht für mich im Vordergrund.

Paul: Mir geht es ähnlich. Antifa heißt für mich nicht gleich Militanz. Es gab Leute, die, unabhängig von ihrem politischen Engagement, schon etwas Erfahrung mit körperlichen Auseinandersetzungen hatten, z.B. durch Fußball. Für mich und mein Umfeld spielte Militanz zu DDR-Zeiten aber eine untergeordnete Rolle. Relevant wurde sie erst mit der Wendezeit: Wir halfen einer Freundin beim Umzug von Lichtenberg zu uns ins besetzte Haus. Mit 15 Leuten fuhren wir nach Lichtenberg, um die Sachen zu holen, weil wir wussten, dass es dort von Nazis wimmelte. Wir wurden dann auch angegriffen, aber nur zwei von uns hatten den Mut, sich gegen die Nazis zu wehren und das nur, weil sie schon vorher mit Gewalt in Kontakt kamen.

Max: Schon zu DDR-Zeiten gab es in Lichtenberg organisierte Nazis: „Lichtenberger Front“ und „Bewegung 30. Januar“. Die haben Anfang der Neunzigerjahre in der Weitlingstraße ein Haus besetzt. Das Haus war allerdings baufällig, sodass – und das ist echt ein Skandal – die Kommunale Wohnungsverwaltung ihnen dann kurzerhand ein anderes Haus zur Verfügung gestellt hatte. Das war die Weitlingstraße 122, Anfang der Neunzigerjahre das rechtsnationale Zentrum für Nazis aus Deutschland und Österreich. Von da gingen viele Angriffe von Nazis auf die besetzten Häuser im Friedrichshain aus.

Max: Ich denke, potenziert hat es sich mit der Wende. Unsere besetzten Häuser im Prenzlauer Berg waren permanentes Angriffsziel, vor allem ausgehend von Nazis des BFC [Berliner Fußballclub, Anm. d. V.]. Du wusstest, alle 14 Tage samstags war Großalarm. Naja, und eigentlich auch die Tage dazwischen, wo immer was passiert ist. An den Wochenenden war es ein permanentes Verteidigen, Verteidigen, Verteidigen.

Als Jugendlicher bin ich selber regelmäßig zum Fußball gegangen und hatte durchaus schon Erfahrung mit körperlicher Gewalt. In den späten Achtzigerjahren war ich dann in der DDR-Oppositionsbewegung aktiv. Und da spielte Gewalt keine Rolle.

Alex: Ich sehe das anders. Ich bin in Lichtenberg groß geworden und als ich in den Achtzigerjahren politisch aktiv wurde, ging es permanent darum, die eigene Haut irgendwie zu retten. Als Punk musstest du flitzen, wenn du in einen Klub wolltest und nicht die richtigen Klamotten anhattest – schlicht eben nicht kurze Haare, Bomberjacke und Springerstiefel trugst.

Wenn ich in den Achtziger Jahren, also noch vor der Wende, aufs Land gefahren bin – egal ob Mecklenburg, Brandenburg, Potsdam, Frankfurt Oder – und in Klubs gegangen bin, dann war es egal wie ich aussah. Selbst wenn man `normgerecht` angezogen war, man galt sofort als Fremder und hat auf die Fresse bekommen. So zwei- dreimal. Wittenberge oder Strausberg. Oder in Lichtenberg, die Angolaner, Kubaner und Vietnamesen, die in den Wohnheimen am Tierpark lebten. Wenn sie versucht haben in Klubs zu kommen, haben sie immer auf die Fresse gekriegt. Und es gab regelmäßig Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die schon damals alles in Skat gedrückt und verharmlost hat. Also ich habe mir die Gewalt nicht ausgesucht. Man stand irgendwie daneben oder hat es am eigenen Leib erfahren.

Für mich gab es mit der Wende dann eine Veränderung: Aus der Selbstverteidigung der eigenen Person wurde eine Verteidigung der selbsterkämpften Räume. Unsere Häuser, Kneipen oder Läden wurden permanent eingeschmissen und ständig drohten Überfälle von Nazis. Dagegen wurde sich irgendwann gewehrt, so nach dem Motto: Wir wollen jetzt diesen Stadtbezirk nicht den Nazis überlassen!

Max: Du hast schon recht, als Linke, Punks, Gruftis oder so bist du zu Ostzeiten angeeckt und warst mit rechter Gewalt konfrontiert. Aber der Unterschied ist, dass wir selber nicht militant waren und Gewalt nicht von uns ausging. Dass wir Gegenwehr organisieren oder als Antifa über Militanz sprachen, das gab es so eigentlich nicht. Es gab zwar auch Vorfälle, aber die waren nicht geplant, sondern eher Zufall, wie 1989 am Berliner Alexanderplatz. Da gab es eine

schwere Hauerei zwischen Hunderten von Nazis, Punks und Gruftis. Es begann eher zufällig, dass sich Punks mit ein paar Nazis in die Wolle gekriegt haben und dann wurden es immer mehr. Bis irgendwann die VP [Volkspolizei, Anm. d. V.] mit Einsatztruppen kommen musste. Aber das war die absolute Ausnahme. In der Regel war es eher so, dass Leute, die aus Marzahn in die Innenstadt gekommen sind, spätestens um 10 Uhr abends nach Hause mussten, um nicht wieder irgendwelchen Glatzen über den Weg zu laufen, die einen zusammenhauen. Die Erfahrung haben wirklich viele gemacht.

In der Regel haben wir als Antifa nicht über militanten Widerstand nachgedacht. Das war nicht unser Mittel. Als wir anfingen, haben wir über politische Veränderungen nachgedacht. Wir wollten das Thema Nazis in der DDR auf den Tisch bringen, Öffentlichkeit herstellen, uns selber informieren und haben recherchiert. Wir haben versucht irgendwas zu machen, um überhaupt ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es Nazis in diesem Land gibt.

Paul: Ich kann Max da nur beipflichten. Wir haben uns organisiert und wollten auf dem politischen Weg Veränderungen in der DDR erreichen. Ich glaube, wir kannten damals sowas wie den Schwarzen Block gar nicht.

Helge: Auch ich kann da zustimmen. Aber ich würde gern ein Stück zurückgehen, zu meinen eigenen Erfahrungen. Ich komme aus Sachsen-Anhalt und war in meiner Jugend, also Anfang der Achtzigerjahre, Hippie. Da hatte ich noch lange Haare, sah furchtbar aus. Mir ging es da ähnlich wie Alex es beschrieben hat: Du konntest in bestimmte Diskos nur fahren, wenn du genau wusstest, entweder du bist mit genug Leuten unterwegs oder du kennst Leute vor Ort. Wenn du so in bestimmte Kneipen gegangen bist, dann warst du immer die `schwule Sau`, allein nur wegen der langen Haare.

Als wir dann in Potsdam ´87 unsere Antifagruppe gründeten, haben wir […] angefangen uns politisch Gedanken zu machen. Wo kommt das überhaupt her, was ist Faschismus, was sind Nazis, was bedeutet für uns dieses System und so weiter. Von denen, die wieder gegangen sind, gab es einige, die hatten durchaus Gewalterfahrungen, aber ganz unterschiedliche. Im Regelfall sah das so aus, dass die Punks immer von Bullen auf die Fresse bekommen hatten. In den wenigsten Fällen waren es Auseinandersetzung mit Nazis. Es gab aber tatsächlich in Potsdam den Fall, wo ein Großteil unserer Szene, nachdem einer von uns auf die Glocke bekommen hatte, losgerannt ist und haben welche von denen … […]

In der DDR wurde das Naziproblem nicht ernst genommen. Die Nazis hätten immer alles aus dem Westen bekommen, einschließlich der Jacken und der Musik. Die kamen sozusagen vom Mars. Mit der DDR hatte das für die [Öffentlichkeit, Anm. d. V.] ja nix zu tun. Ich habe selber eins, zwei Angriffe miterlebt, wo ich auch ordentlich geflitzt bin. Ich habe mir auch Prozesse gegen die Nazis angeschaut, die gab es im Osten ein-, zweimal. Da hieß es dann über die Nazis, das seien „unsere besten Mitglieder des Sozialistischen Betriebskollektiv. Die sind ganz toll. Die sind ganz knorke“. Es war immer ein Vertreter des betrieblichen Interesses oder wie das damals hieß, der sagte: „Kann ich mir gar nicht vorstellen, kann ich mir gar nicht erklären. Die sind total sauber. Die arbeiten ganz viel“. Für den durchschnittlichen Ostspießer waren die Nazis sauber, fleißig und gingen arbeiten – und wir Linken nicht.

Im Dezember 1990 krachte bei uns im Haus das erste Mal die Tür und die Nazis stiefelten die Treppe hoch. Wir haben uns alle hinter unseren Türen verbarrikadiert und hatten tierischen Schiss. Aber wie das in Potsdam immer so war oder wie das wahrscheinlich in vielen Kleinstädten war, alle kannten sich. Also hat man sich stundenlang belabert, so in der Art „Machst du hier Stress, dann hol ich deinen Bruder“. […]

Helge: In den Kleinstädten war das oft noch vielmehr so, dass sich die Leute alle kannten. In Potsdam gab es die Neubauviertel und auch ein paar Klubs, die die Faschos in der Hand hatten. Aber auch nicht durchgängig. Es waren auch oft Punks unterwegs oder sonst irgendwas. Und dann gab es die großen Klubs, da haben sich die Nasen nicht hin getraut. Erst mit der Wende …

Max: Ich erinnere mich da auch noch an Geschichten in Dresden. Da hast du einen Punk gesehen mit Nazi-T-Shirt. Vor einer Woche war der noch Skinhead, vor zwei Wochen war er Punk, vor drei Wochen war wieder Skinhead. Heute Skins, morgen Punk, morgen links, übermorgen rechts. Jeder säuft mit jedem. Da kriegst du keine Trennung rein.

Euer Anliegen war es, ein Problembewusstsein für Neonazis in der DDR-Gesellschaft zu schaffen. Ihr findet euch also Ende der Achtzigerjahre in einer Situation des politischen Umbruches wieder, in der die Militanz mehr oder weniger zu euch gekommen ist. Wie sah eure Auseinandersetzung mit der politischen Situation aus?

Max: Die Situation war die, es gab überall besetzte Häuser, die nach der Wende relativ schnell entstanden sind. Die Schönhauser 20 in Berlin wurde im Dezember ´89 offiziell besetzt. Oder die Kastanienallee und andere Häuser, der halbe Prenzlauer Berg wurden im Dezember ´89, Januar, Februar, März besetzt. Und ein paar Häuser in anderen Stadtbezirken, wie die Mainzer Straße in Friedrichshain. Oder in anderen Städten: Potsdam, Rostock, Görlitz, Guben – es gab mehr Möglichkeiten. Aber überall wo besetzte linke Häuser waren, wurden sie plötzlich Angriffsziele für die Naziszene. Im Prenzlauer Berg hatten die Nazis auf der Strecke zwischen Alexanderplatz und Cantian-Stadion alle besetzten Häuser angegriffen – einmal auf dem Hinweg, einmal auf dem Rückweg. Es war eigentlich generell Alarmzustand. Das heißt, du begibst dich dann ungewollt in einen Selbstverteidigungsmodus, der erstmal nur da ist, um dein Haus zu sichern. Und dann ging es aber weiter, du fingst an dich zu bewaffnen und das Haus quasi militärisch abzusichern. Wir mussten unser Haus dichtmachen, Etagenbarrikaden. Aus Drahtzäunen von den Grenzschutzanlagen der DDR haben wir Schutzgitter für unsere Fenster gemacht. Unser Haus war komplett vergittert. Wir haben wirklich Waffen gehortet im Haus. Nicht wegen einer möglichen Räumung durch die Bullen, sondern um uns vor den Nazis zu schützen.

Helge: Die Wende war wie eine Wattesituation. Du konntest alles Mögliche machen. Du warst in Watte und hast dich nirgendwo mehr gestoßen. Gleichzeitig saßen wir als Antifa Potsdam in vier oder fünf dieser Bürgerrechtsgremien, am Runden Tisch zur Auflösung von Stasi und sonst was. Völlig bescheuert, weil das eigentlich überhaupt nicht unser Ding war. Parallel dazu haben wir mit anderen Leuten angefangen Häuser zu besetzen. Da lief eigentlich alles andere außer wirklich Antifaarbeit. Also das, was wir vorher als Gruppe hatten, hat sich quasi ein Stück weit einfach in das soziale Leben im Haus verwandelt. Hier ein Infocafé, um die Ecke noch ein Café. Jeden Abend kannst du diskutieren über Bücher, Gott und die Welt. Du fängst an, dich ein bisschen zu verwirklichen in deinem Projekt, in deinem kleinen Kosmos. Und dann kommen die Nazis urplötzlich an und fangen an dir auf den Kopf zu hauen. Die deinen kleinen Nachttisch, den du dir bunt angemalt hattest, anzünden wollen. Zwischen Weihnachten und Silvester war der erste Angriff und dann durchgängig bis Ostern 1990, jeden Freitag, jeden Samstag. Wir mussten unsere Fenster vergittern mit allmöglichen Scheiß. Ich habe mich noch nie so gefreut, dass Brüder von meinem Bekannten aus der NVA kamen, die wussten wenigsten wie man diesen scheiß Stacheldraht wickelt, damit er irgendwas brachte. Wir waren ganz froh, dass wir Beziehungen zu den Russen hatten, was man sich da an Bewaffnung zugelegt hat, ist eigentlich nicht feierlich. Eigentlich ein Wunder, dass damals nicht mehr Leute auf der Straße geblieben sind. Auch unter der Woche sind Nazis vorbeigefahren und haben Steine durch die Fenster geschmissen. Einer ist nur ein Stück neben dem Kinderbett gelandet. Das war die Situation. Wir waren völlig in Anspannung. Wir sind dann auch `Streife` gefahren, hab geguckt wo sind die Nazis, haben uns CB-Funk angeschafft, alles so ein Zeug. Ey. So eine Scheiße.

Max: Ich kann mich entsinnen, dass wir öfter mal nach Potsdam gefahren sind. Ich kann mich auch erinnern mal mit auf Streife gefahren zu sein, in so einem kleinen Auto, das von oben bis unten voll war mit Knüppel und Zeugs. Du musstest erstmal die Waffen bei Seite schieben, um dich ins Auto zu setzen. Und dann sind wir durch Potsdam gefahren: „Da ist ´ne Glatze, hin, Tür auf, los!“.

Josephine: Da könnte man schon die Frage stellen, ob es dabei um´s sich gegen Nazis wehren ging, so wie ich das meinte, oder ob es nicht dann auch zum Automatismus bei einigen Leuten wurde, die das dann auch einfach cool fanden.

Paul: Definitiv. Ich wollte aber noch kurz was Anderes sagen. Nach dem Mauerfall war mindestens ein dreiviertel Jahr, dass die Polizei einen in Ruhe gelassen hat. Bildlich gesprochen: Man konnte hingehen zum Polizisten. Man konnte dem ins Gesicht spucken. Und der hätte gelächelt. Das wäre zu DDR-Zeiten nicht vorstellbar. Was Josephine sagt, dass sich Sachen als Selbstläufer entwickelt haben, das stimmt. Ich weiß noch eine Situation in Guben, das war schon zu Westzeiten, genau weiß ich es nicht mehr. Das war wirklich eine krasse Situation, wir haben uns wirklich wie die Axt im Walde benommen. Später haben uns die Leute von vor Ort gesagt – ich sag es jetzt mal mit meinen Worten – „Habt ihr ´ne Macke, wir müssen hier weiterleben und ihr fahrt wieder nach Hause“. Es gab einige Situationen, wo ich hinterher auch dachte, wir hätten uns sicher wohl anders verhalten sollen. Zum Beispiel in Schwedt wurden nachdem wir dagewesen sind, Leute vor Ort zusammengeschlagen, einer musste operiert werden und hat jetzt eine Platte im Kopf. In der Zeit, so 1991/92, hat sich richtig viel hochgeschaukelt, gerade auch an Militanz.

Helge: Um die Geschichte mit den Bullen abzuschließen: Beim letzten großen Angriff auf unser Haus war es tatsächlich so, da haben die Bullen eine Querstraße weiter gestanden und haben gebibbert und gewartet. Dann haben sie zwei Zivis [Zivilpolizisten, Anm. d. V.] zu uns in die Kneipe geschickt und gesagt, da komm‘ sie [die Neonazis, Anm. d. V.] jetzt. Dann sind wir raus und haben die schon gehört. Dann kamen die dreißig Nazis, aber die wussten nicht, dass wir schon Bescheid wussten und dann gab es richtig Saures. Die Jungs sind nicht wiedergekommen.

Die Bullen haben sich auch nie dafür interessiert, es gab keine Razzien oder so. Am Wochenende, da hat es geknallt und gekracht. Aber es war nicht so, dass die Bullen dann am nächsten Morgen oder so noch in der Nacht, noch irgendwie vor der Tür gestanden hätten. Das war in der Phase überhaupt nicht vorstellbar. Wir hatten das Gefühl, wir müssen es selber in die Hand nehmen, weil die VoPos [Volkspolizei, Anm. d. V.] überhaupt nicht wissen, wo sie stehen.

Alex: Das war so eine Art Machtvakuum. Also der Staat hat sich in Form von Polizei komplett zurückgezogen. Das war so eine Phase von ungefähr einem Jahr, ab dem Fall der Mauer. Die VoPos wussten gar nicht, wie sie sich einsortieren sollen. Niemand war da, der durchgegriffen hat und gesagt hat „Das können wir hier nicht zulassen, diese Freiräume akzeptieren wir hier nicht!“. Es gab nicht die Westberliner Linie, wo innerhalb von 24 Stunden die Häuser zu räumen sind. Das war nicht durchsetzbar. Politisch nicht und gegenüber dem Personal auch nicht. Nach deren Verständnis, oder nach unser aller Verständnis war das ja Volkseigentum. Was soll man da jetzt durchsetzen. Volkseigentum enteignen? Wer wird denn jetzt enteignet und wer kriegt das denn? Also das hat alles nicht funktioniert. Aber mit dem Fall der Mainzer Straße im November [1990, Anm. d. V.] war das vorbei. Die staatliche Macht hat sich mehr oder weniger konsolidiert und die Bullen haben durchregiert von Westberlin bis nach Ostberlin. In dieser Phase kann ich mich erinnern – Lottumstraße im Sommer als die Weltmeisterschaft war – gab es die ersten Formen von Public Viewing am Alex[anderplatz, Anm. d. V.]. Also sind die Nazis vom Alex hoch bis zum Cantian-Stadion, oder wie das da Schönhauser heißt, und wieder zurück. Und haben alles in Schutt und Asche gelegt.

Egal ob es irgendwie besetzte Häuser waren in der Schönhauser, Kastanienallee oder in der Lottum oder irgendwelche Läden. Die Nazis haben sich ausgelebt. Die haben natürlich auch diesen Freiraum genutzt. Später als es sich hochschaukelte, hatte ich das Gefühl, dass sich die Antifas im Osten eher der Doktrin der Westberliner Antifa untergeordnet haben. Dabei waren die Lebenswelten unterschiedlich, die politischen Stile und das militante Agieren. Zum Beispiel eben Guben, ich war ein- zweimal da. Beim zweiten Mal war eine Großdemo angesagt, als `koloniale Bestrafungsaktion`. Da ist ein Riesentrupp aus Berlin hingereist, mitten im Winter, es war dunkel, die Straßen waren leer, niemand wusste, wo es langgeht. Wir sind kreuz und quer mit dem Demozug, im Schwarzen Block, durch die Gegend gerast und haben irgendwas gebrüllt von, weiß ich jetzt gar nicht mehr, aber um so zu symbolisieren, hier marschiert die Antifa und „Wir haben euch was mitgebracht: Hass, Hass, Hass“. Aber es war niemand auf der Straße und es hat einfach niemanden interessiert. Was machen wir eigentlich hier? […] Das war nur symbolische Politik, das war ja nix mit Militanz. Da war ja niemand, keine Nazis – die haben sich verpisst. […]

Paul: Für mich persönlich kann ich sagen, es gab in meinen Augen berechtigte Militanz beziehungsweise gewaltsame Auseinandersetzungen mit Nazis. Aber unsere eigentliche Arbeit, die jahrelange Umlandarbeit, Antifa Berlin-Brandenburg, die hat zur damaligen Zeit sehr große Früchte getragen. Wir haben zum Beispiel Zeitungen und Broschüren rausgebracht, wie die „Hinter den Kulissen“, haben Konzerte, Veranstaltungen und Demos organisiert. In der Arbeit find ich mich eher wieder.

Josephine: Da stimme ich dir zu. Ich bin immer schon eher die Peacer-Fraktion gewesen und fand diese Kloppereien oftmals wirklich blöd. Es gab so bestimmte Aktionen, die fand ich völlig überflüssig und mich gefragt hab, wo unterscheidet man sich jetzt in der Form von der Gewalt und in der Massivität der Gewalt von den Nazis denn überhaupt noch. Wenn ‚drauf drauf drauf‘ und immer noch ‚drauf‘ ohne Nachzudenken. Es ist echt ein Wunder, dass da keiner gestorben ist. Trotz alledem würde ich sagen, dass es auch gut war, dass in bestimmten Orten in Brandenburg und das bestimmt kann man DDR-weit oder deutschlandweit sagen, in bestimmten kleineren Städten es gut war, dass die Nazis ab und zu mal ordentlich eins auf die Fresse gekriegt haben. Sozusagen als Ansage: „Ihr könnt hier nicht machen was ihr wollt!“. Auch wir können uns verteidigen und können uns Freiräume erkämpfen. Auf der einen Seite sehe ich es problematisch, wenn Militanz nur noch einen Selbstzweck hat, also Gewalt zum Selbstzweck wird und gar keine kritische Auseinandersetzung mehr dazu stattfindet. Aber auf der anderen Seite gibt es in meinen Augen trotz alledem ‘ne Notwendigkeit, dass ab und zu mal ne Ansage verteilt wird. […] Ich kann mich erinnern, dass ich am Alex[anderplatz, Anm. d. V.] dazwischen gegangen bin, als die Nazis ein Hakenkreuz gestellt haben. Da ist ein kleiner Skinhead von weiß der Himmel wieviel Leute umzingelt worden. Die haben den vermöbelt bis zum geht nicht mehr. Ich bin dazwischen gegangen und hätte auch fast auf die Fresse gekriegt. Glücklicherweise haben mich Leute erkannt und dann verschont. Ich konnte es nicht ertragen, da zuzugucken. Ich fand das so widerlich.

Ihr habt von unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven auf Militanz und Gewalt gesprochen. Wie habt ihr das damals diskutiert?

Max: In meiner Erinnerung war Militanz selbstverständlich, in allen, also vor allem Berliner Antifa-Zusammenhängen, egal Ost oder West nach der Wende, in denen ich mich bewegt habe. Nur da gab es überhaupt gar keine Diskussion drüber. Es wurde zwar angeschnitten in der Bündnisarbeit. Aber selbst in den bürgerlichen Bündnissen war klar, das Thema müssen wir ausklammern, weil dann würde das Bündnis nicht funktionieren. Weil dann nämlich die Antifa sagen würde „Tschüss“.

Helge: Das habe ich so tatsächlich nicht erlebt. Immer wenn wir irgendwo hingefahren sind, irgendwas gemacht haben, irgendwo anders hin zu einer Demo oder so, haben wir geklärt, was ist da vor Ort. Aber das hat sich auch erst entwickelt. Ich denke, dass es direkt nach der Wende und direkt nach Rostock-Lichtenhagen noch viel selbstverständlicher war, so ‘ne Art Bestrafungsaktionen durchzuziehen.

Max: Ich kann mich auch an Aktionen in Halbe, auch ´91, erinnern. Es gab eine Vorbereitung aus Berlin heraus mit einer Demo in Königs Wusterhausen. Gleichzeitig gab es Sportgruppen, die geguckt haben, wer denn alles so nach Halbe will und die abgefangen haben. Es gab in den Jahren immer die klare Überlegung in der Berliner Antifa, z.B. gab es – ich denke ´92 – eine Kampagne „S-Bahn-Fahren“. Jeden Samstag sind viele Antifaleute verkleidet und konzentriert in den Problembezirken S-Bahn gefahren – in Gruppen durch Lichtenberg, Marzahn, Hellersdorf, Hohenschönhausen.

Helge: Ja, das gab es auch. Aber was ich eigentlich sagen wollte, ich bleib mal bei dem Begriff Bestrafungsaktionen. Auch wenn der salopp ist und dem eigentlichen Kern nicht gerecht. Es waren nicht einfach nur in dem Sinne Bestrafungsaktionen, sondern bei Ereignissen wie Hoyerswerda, wo sich alle einig waren, da gibt es jetzt keine Debatte, da fahren wir jetzt hin, fertig. So war das in Hoyerswerda und Rostock. Da gab es keine Debatten, da war ganz klar, wir fahren da hin. […]

Alex: Bei der Organisierung von den Demos dort vor Ort, in Guben, Lichtenhagen oder Hoyerswerda, ging es auch darum Bündnisse zu schaffen und dann haben sie dir natürlich die Militanzfrage um die Ohren gehauen. Dazu musstest du dich dann positionieren und das war dann immer ein bisschen haarig.

Paul: Für mich war klar während Rostock-Lichtenhagen, die Frage nach Militanz stellt sich nicht mehr. Hätte ich da ein Messer beigehabt, ich hätte bestimmt zwei Leute mitgenommen.

Josephine: Und warum hast du kein Messer bei gehabt?

Paul: Ich wollte das nicht. Ich wollte ausschließen, dass sowas passiert.

Max: Ich denke, dass wir, also die mit denen ich unterwegs war, nicht die wilden Prügeltypen waren, sondern in dieser Gruppe war klar, wir nehmen den Tod nicht billigend in Kauf, sondern wir bewaffnen uns natürlich und wir greifen die Nazis an, wir wollen sie umhauen, aber wir wollen sie nicht ermorden.

War es für dich oder auch für die anderen eine persönliche oder politische Entscheidung eine Grenze zu ziehen und den Tod nicht billigend in Kauf zu nehmen?

Max: Eine politische Entscheidung. Ich denke, das war bei allen so.

Josephine: War es nicht beides, persönlich und politisch?

Paul: Ich würde beides sagen.

Max: Also ich höre das zum ersten Mal, dass jemand sagt, er wäre bereit gewesen, einen Nazi zu töten. Ich wäre dazu nicht bereit gewesen. Das ist eine Schwelle. Also in Kauf zu nehmen, dass er vielleicht auf die Intensivstation muss, aber ich wollte ihn nicht umbringen.

Paul: Nur in der Situation. Das war nicht schön, drei gegen fünfzehn.

Max: Klar hat man da blanken Hass. Da kann einem schon die Sicherung durchbrennen.

Josephine: Ich glaube in Lichtenhagen zum Beispiel ist so einigen eine Sicherung durchgebrannt.

Paul: Zu Recht.

Josephine: In so einem Rauschzustand macht man andere Sachen, die man bei klaren Verstand nicht machen würde.

Max: Ich würde nicht sagen, dass ich in so einer Situation besinnungslos werde und nicht mehr weiß was ich tue. Ich bin Hass gesteuert gewesen, aber ich habe gewusst, was ich tue. Und ich wusste auch wo die Grenze ist, wenn jemand aufm Boden liegt, dann muss ich nicht noch mit dem Fuß nachtreten.

Helge: Ich kann für mich nicht sagen, dass es eine politische Entscheidung war, sondern mehr mein Umfeld und ich nenn es mal: ein sozialer Konsens. Wir haben uns aufgeregt darüber, dass irgendwie mit Ende der Neunziger die Leute urplötzlich Messer dabeihatten. Anfang der Neunziger war das noch gar nicht `in`. Das kam erst später mit Messern, mein ich, glücklicherweise.

Diese Entscheidung Grenzen zu ziehen oder einen bestimmten Punkt nicht zu überschreiten, war eher ein sozialer Konsens. Bei uns in der Stadt gab es auch ein paar – ich sag mal – Verrückte. Da gab es drei Leute, drei Punker, die sind auch alleine in einen Klub mit 30 Nazis gegangen. Am Ende sind die 30 weggerannt. Das war wirklich so, die waren völlig durchgeknallt. Die haben alle in einem dreiviertel Jahr oder so, haben die wirklich alles weggedroschen. Darauf haben sich viele ausgeruht und mussten sich sozusagen die Finger nicht mehr schmutzig machen. Und die drei haben Glück gehabt, dass dabei niemand liegen geblieben ist. Wenn wir losgezogen sind, hatten wir zwar alles Mögliche dabei, aber keine Messer.

Es gab viel viel später, so eine Art Flashback: Die Nazis haben sich immer am Herrentag den Spaß gemacht und sind einfach so provomäßig an unseren Häusern vorbeigelaufen. Da gab es dann auch mal einen Moment von „Jetzt müssen wir es ihnen mal richtig zeigen!“. Aber auch so dumme Geschichten mit drei offenen Armeejeeps, in jedem acht Mann drin, mit Hassis und brennenden Mollis. Dann durch die Potsdamer Innenstadt. Einfach nur um zu zeigen, wir haben hier die dicken Hosen an. Aber gleichzeitig war es in der Zeit auch so, dass uns tatsächlich die Vorstadtviertel oder die Neubauviertel nicht interessiert haben. Wir hatten ja unseren Kiez, da durften die Nazis nicht hin. Aber in Waldstadt oder so, da waren die Hools, die Faschos und die Rocker.

Max: Wir springen auch ständig zeitlich hin und her, das war in ´90, Rostock war ´92. Die Zeit spielt eine Rolle, wann waren wir militant, wann nicht. Ich überlege, wann habe ich eigentlich aufgehört militant zu sein. Ich habe aufgehört militant zu sein, als ich keine Antifa Arbeit mehr gemacht habe. Das geht bei mir tatsächlich bis ´97. 1992 war auch Thälmann-Park: 1. Mai ´92, wir hatten ja die FAP in Prenzlauer Berg, das war ihre Hochburg. Am 1. Mai ´92 machte die FAP einen bundesweiten Aufmarsch am Thälmann-Park, an diesem Ernst-Thälmann-Denkmal. Wir kriegten das ein, zwei Tage vorher mit und es gibt ‘ne Massenmobilisierung, die war legendär. Die FAP wurde wirklich weggeprügelt, weggedroschen, weggehauen. Die Bullen, die die schützen sollten, die haben es nicht auf die Reihe gekriegt. Nach dem 1. Mai hat die FAP im Prenzlauer Berg nur noch Probleme gekriegt, weil alle gemerkt haben, die müssen hier weg. Die hatten ‘ne WG hinterm S-Bahnhof Greifswalder. Da war auch der Harakiri-Laden und so. Da gab es eine richtige Kampagne ‘92, ‘93, ´94, mit der wir es geschafft haben, die wirklich aus dem Kiez zu jagen. Die haben ihre Sachen gepackt und haben sich verpisst. 1993 ging es dann in Schöneweide los. Am 1. Mai ´93, da haben Nazis in Schöneweide versucht zu demonstrieren. Die Demo ist nicht wirklich zustande gekommen. Wir haben die da weggehauen, in Schöneweide wurden sie weggeknüppelt und dann 1. Mai ´94 haben sie versucht eine Demo zu machen in Lichtenberg, in der Weitlingstraße, mitten in ihrer Homebase. Daran kann ich mich noch ziemlich gut erinnern: Die haben eine Demo gemacht, Spalier der Polizei drumherum, lauter unscheinbare Leute und auf ein Signal hin, stürmten von allen Seiten Leute, in normalen Klamotten auf die Nazis zu und haben die Demo auseinandergeprügelt. Das war einfach so, keine Viertelstunde und sie sind die gelaufen und es war zu Ende. Ich finde, sowas sind erfolgreiche militante Aktionen. Würde ich auf jeden Fall immer noch zu stehen. Das ist eine Form von offensivem Antifaschismus, der auf jeden Fall zu begrüßen ist.

Max hat seine aktuelle Sicht eben schon angerissen. Wir schaut ihr denn heute auf die damalige Zeit und euer Verhältnis zu Militanz? Wie schaut ihr im Rückblick auf eure Praxis?

Paul: Meiner Meinung nach gab es definitiv einen Zeitraum, vielleicht so ungefähr ab einem halben Jahr nach der Wende, dann die nächsten vier fünf Jahre, da gab es definitiv für mich berechtigte Gewalt gegenüber Nazis. Und ich bin mir auch ziemlich sicher, wenn – sagen wir mal – sechzig Prozent der gewalttätigen Auseinandersetzungen nicht gelaufen wären, dann denk ich, hätten sich die Nazis definitiv noch mehr ausgebreitet, sowohl in den ländlichen Regionen oder auch in Berlin. Es gab auch gewisse Aktionen wie in Guben, bei denen sich einfach über das Verständnis der Leute von vor Ort hinweggesetzt wurde, einfach wie eine Horde durch das Dörfchen gezogen ist. Das finde ich im Rückblick schwachmatenmäßig. Aber bei einigen Aktionen kann ich nach wie vor nur sagen, die kann ich zu hundert Prozent vertreten und würde es genauso wieder machen.

Max: Militanz braucht einen politischen, ich würde mal sagen einen politisch-intellektuellen Unterbau. In Halle gab es ´88 die SVKs, mit so einem beschissenen Namen „Skinhead Vernichtungskommando“. Das war eine Gruppe von Punks, die im Prinzip die gleichen Voraussetzungen hatten wie wir auch. Nur, dass die eben dann in Halle gesagt haben, wir kriegen von den Nazis hier nur auf die Glocke und haben Angst, wir haben Angst. Wir haben Angst, wir müssen was dagegen tun. Also haben sie sich organisiert, haben Kampfsport gemacht und haben gesagt, wir nehmen den Kampf an und wir jagen die hier aus unserer Stadt. Das war der einzige gemeinsame Nenner. Sie waren sozusagen eine Straßentruppe mit roter Armbinde. Sie sind losgezogen und die Nazis haben sich über eine lange Zeit nicht mehr getraut, irgendwas gegen sie zu machen. Aber damit war der Zweck dieser Gruppe auch weg. Die Gruppe hat sich dann auch in Wohlbefinden aufgelöst, weil der politische Unterbau fehlte. Dagegen haben wir gesagt, man muss auch Überzeugungsarbeit machen, Bildungsarbeit, Aufklären. Wir haben militante Aktionen in den meisten Fällen aus einem bestimmten politischen Antrieb heraus gemacht. Das war keine besinnungslose Gewalt, das war konkrete Gewalt, zielgerichtete Gewalt. Und es war eine Form von Selbstverteidigung.

Alex: Wir hatten nicht immer so einen ideologischen Unterbau. Es ging auch um Hass. Man hat die Nazis gesehen, was sie in Hoyerswerda und Lichtenhagen gemacht haben. Blanker Hass gegen diesen tobenden Mob. Und klar, es gab das Antifa-Infoblatt und es gab Flugblätter. Ich war auch in einer Sportgruppe und wir haben nicht nur trainiert und uns nicht nur geprügelt, sondern uns auch Literatur gegenseitig übergeholfen, darüber diskutiert, bei irgendwelchen Zirkeln einmal im Monat gesessen und palavert. Die Selbstverteidigung war notwendig und sinnvoll, um das eigene Leben zu schützen und die eigenen erkämpften oder erarbeiteten Freiräume zu erhalten und weiter auszubauen. Wenn ich das so Revue passieren lasse und mich frage, was hast du da eigentlich früher gemacht und wie sinnvoll war das? Telefonkette, Fahrdienst, wir hatten einen festen Anlaufpunkt an bestimmten Tagen, der immer gewechselt hat – wir haben da schon ziemlich viel Tohuwabohu gemacht. Wenn ich heute auf eine Nazidemo gehe, kann ich daneben her spazieren und es passiert gar nichts. Wo ich mich frage, Moment mal, wo ist denn das, was wir damals vor 20 Jahren gemacht haben und mit welcher Energie und welcher Kraft wir das gemacht haben, uns denen entgegenzusetzen, was ist davon noch übrig? Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Die Bullen sind bewaffneter, die Überwachung ist viel perfekter und die Gegenseite hat natürlich auch aufgerüstet. Die sind auch mit Waffen unterwegs, mit Messern. Da gibt es den sozialen Konsens nicht mehr, wie noch vor 20 Jahren. Sich damals in seinem eigenen Kiez, in seinen eigenen Strukturen angstfrei bewegen zu können, fand ich einfach super. Und ich finde es nach wie vor so. Dass man mit dem, was man politisch gedacht hat und versucht hat umzusetzen, nicht immer die Mehrheit der Bevölkerung erreicht hat, muss man nun schmerzlich nach 20, 25 Jahren zur Kenntnis nehmen.

Josephine: Ich denke, dass es einfach eine politische und soziale Notwendigkeit war. So wie wir das die ganze Zeit gesagt haben, dass es eine Form von aufgezwungener Auseinandersetzung war und eine Form von Selbstverteidigung, um die man nicht drum rumgekommen ist. Die Frage, ob ich das will, hat sich leider gar nicht gestellt. Ich hatte nämlich saumäßig Schiss und fand es total zum Kotzen und trotzdem musste man das machen. Ich denke, dass auch die Leute, die sehr ängstlich waren, bereit waren, Solidarität zu zeigen und nach Rostock zu fahren, wenn da irgendwie Großalarm war, weil es einen Überfall geben sollte aufs AJZ. Oder weiß der Geier wo hinzufahren, wo man sich fast in die Hosen geschissen hat dabei und dann heilfroh war, dass die blöden Nazis nicht gekommen sind. Das war eine Form von gelebter Solidarität, die total wichtig war. Klar, da sind total viele Fehler gemacht worden, auch im Umgang mit Gewalt. Aber es gab auch, wenn man sich das im Zeitverlauf anschaut, bei einem ganzen Teil Leuten einen Lernprozess und auch Verhaltensweisen und Aktionsformen wurden geändert. So größere Events, so größere Aktionen ziehen natürlich auch Leute an, die bekloppt sind. Und die nicht unbedingt aus einer politischen Notwendigkeit heraus Sachen tun oder sich überlegen, was gibt es für adäquate Handlungsoptionen und ist Gewalt davon eine, oder ein militanter Angriff einer? Darüber gab es meines Erachtens zu wenig Auseinandersetzung. Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns diese Zeit nicht genommen haben, uns darüber ernsthaft auseinanderzusetzen oder ob uns die Zeit nicht gegeben wurde. Ich glaube eigentlich, dass es ein bisschen billig ist, sich rauszuschleichen und zu sagen, dass uns die Zeit nicht gegeben wurde. Ich kann mich schon an Diskussion erinnern, in kleineren Zusammenhängen, z.B. über die Ästhetik dieser Göttinger Antifa M mit ihren Plakaten. Erinnert ihr euch noch daran? Das bunte Plakat mit den Helmen, was alle nur saumäßig cool fanden und in allen Infoläden hing.

Max: Das war autonomer Pop. Das war eben keine gelebte Militanz und kein politischer Unterbau. Das war Kasperle.

Josephine: Ich will gar nicht über Göttingen reden. In den Räumen, in denen wir uns bewegt haben, war Militanz nicht nur autonomer Pop, sondern das war gelebte Realität, dass man sich auseinandersetzen musste. Aber alle fanden diese militante, martialische Ästhetik total cool und haben das auch gelebt und sind auch so rumgerannt und haben groß auf dicke Hose gemacht. Ich fand das damals ätzend und finde es in der Rückschau nach wie vor bekloppt.

Helge: Ich würde in der Rückschau sagen, das war gut und notwendig. Mit allen Rückschlägen. Mit allen Fehlern, die wir gemacht haben, war es gut auch zu wissen: Du kannst in solchen Situationen immer jemanden anrufen, du kannst irgendwo hinfahren und kannst den Leuten helfen, ob das nun eine Wohnung in Rathenow oder ein Haus in Neuruppin oder eine WG in Strausberg ist. Du bist vernetzt. Und auch die Leute vor Ort und ich genauso in meinem Popelpupsnest kann jemanden anrufen und ich kriege Hilfe. Mit allen Fehlern und mit allem Drumherum. Es war scheiße, dass kein ausreichender politischer oder gedanklicher oder sozialer Unterbau dafür da war. Die Entwicklung war ja auch immer wellenförmig. Leute kommen, sind gegangen oder lieber beim Techno oder rund um die Welt, fangen an zu Studieren oder kriegen Kinder. Alles super. Das Problem ist einfach nur, wir haben es damals nicht geschafft, nach der Phase – von uns waren viele auch einfach ausgebrannt – gab es keinen Draht zu der jüngeren Generation. Die haben dich angeguckt, als ob du aus dem letzten Jahrhundert kommst und den Zaren kennst. Deswegen, glaub ich, gab es diesen Unterbau eben nicht.

Alex: Also du meinst, wir haben es nicht geschafft unsere Erfahrungen, unser Gefühl von Vernetzung und Solidarität sinnvoll weiterzugeben?

Helge: Richtig.

Max: Ich denke, die B‘Null [Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO), Anm. d. V.] hat auch viel kaputt gemacht. Die hat aus Antifa und Militanz Pop gemacht. Die hat eine Marke draus gemacht. Buntes Hochglanz. Popmarke. Das Ende der Militanz der Antifa in Berlin würde ich sagen, ist der Beginn der B‘Null. Und das betrifft auch andere Städte. Wo die stark waren, da wurde ein Hebel umgelegt. Die B‘Null hat einen Strategiewechsel vorgenommen, weg von einer wehrhaften militanten Antifa hin zu einer politischen Bewegung, die Militanz nur noch als Label und Fähnchen vor sich herträgt. Und Gewalt als Mittel ausschließt.

Alex: Neben dem ausgebrannt sein, die führenden Aktivisten geben ab und zudem, dass was Max grad sagte, da entsteht was, was so ein propagandistischer Popanz ist, aber nicht aus den gelebten Strukturen entstanden ist. Und dann sind das auch diese Spaltpilze, die dort auftauchen. Da hatte ich keinen Bock mehr drauf. Ich will mit meinem Leben noch irgendwie was Sinnvolleres anfangen, als mich mit diesen Spaltpilzen auseinanderzusetzen.

Helge: Ich denke, dass man das weder alleine der B‘Null anlasten kann, genauso wenig kann man das diesen Spaltsachen anlasten. Genauso wenig kann man das Leuten anlasten, die ausgebrannt sind und dann aussteigen. Eher schon, kann man das Leuten anlasten – wozu ich mich auch zähle, weil in Potsdam waren wir fünf Leute – und das hätte an uns gelegen, das Wissen weiterzugeben. Aber wir haben das nicht gemacht.

Ein Einschnitt, vor allem in der Westberliner Szene, war der Kaindlprozess. Der Neonazi Kaindl starb 1992 nach einem Angriff in einer Kneipe. 1994 lief der Prozess gegen Aktivist_innen. Der Fall wird in verschiedenen Publikationen zur autonomen Bewegung aufgegriffen. Welche Rolle spielte der Prozess für euch?

Helge: Ja, irgendein Hinterzimmer, militante Aktion und am Ende liegt der Herr Kaindl tot danieder, in der Gaststätte. Das hat dazu geführt, dass damals die Westberliner Antifaszene hochgenommen wurde. Mit Prozessen. Mit Haftbefehlen. Im Ergebnis ist es immer noch recht glimpflich ausgegangen. Auch die Szene hat sich ganz gut zur Wehr gesetzt, was aber auch dazu geführt hat, dass unglaublich viele Leute hinterher total ausgebrannt waren.

Paul: Oder verrückt geworden sind.

Max: Und es gab Leute, die gesagt haben, das geht mir zu weit, damit will ich nichts mehr zu tun haben. Und auch eine politische Entscheidung getroffen haben, sich von der Antifa zu distanzieren. Kaindl war eine krasse Nummer.

Helge: Ja, das war eine krasse Nummer und hat damals nicht nur richtig viel kaputt gemacht, sondern war auch sozusagen so ein Moment, genauso wie B‘Null, Spaltungen, das ist in der gleichen Zeit. Natürlich gab es in der Zeit endlose Militanzdiskussionen, völlig neben der Rolle, völlig entglitten, ohne jede Substanz. Alle hatten Schiss, dass sie abgehört wurden und alle ständig kontrolliert werden und wenn sie einen falschen Ton sagen. Da war dann auch durchaus so ein gewisses Misstrauen da in der Szene. Das hat viel kaputt gemacht. Aber es hat immer noch funktioniert, sich zu wehren und der Staat, die Staatsanwaltschaft und die Cops haben nicht erreicht, was sie wollten. Aber das ist auch das einzig Positive in dem Zusammenhang, was man erwähnen kann, dass man sich da nochmal erfolgreich auf einer ganz anderen Ebene, aber zusagen als Nachwirkung von Militanz zur Wehr gesetzt hat, gegenüber dem System und dann eben in dieser juristischen diskursiven Auseinandersetzung mit dem bürgerlichen Milieu.