Anatomie der Autonomia – Italien [Part3]

Franco “Bifo” Berardi

Es folgt der dritte und letzte Teil der Übersetzung eines Textes von Franco “Bifo” Berardi über die Geschichte der italienischen Autonomia. Teil 1 findet Ihr hier, den 2. Teil könnt Ihr hier lesen.

  1. BÜRGERKRIEG: DIE ROTEN BRIGADEN

Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir das für die Analyse des Klassenkampfes in Italien absolut zentrale Problem des „Terrorismus“ völlig ignoriert. Der bewaffnete Kampf war eine Form der Agitation, die ab einem bestimmten Punkt immer mehr zunahm und sich schließlich im September 1977 breit durchsetzte. Das Problem des “Terrorismus” kann mit Sicherheit  nicht losgelöst von dem ganzen Komplex der Erfahrungen betrachtet werden, die mit der Organisation der Bewegung in den Fabriken und in der Gesellschaft verbunden sind.

Andererseits ist es aber auch wahr, dass die gesamte Analyse der wichtigsten Momente des Klassenkampfes in diesem Jahrzehnt, die wir bisher vorgenommen haben, unvollständig und lückenhaft bleibt. Wir haben absichtlich eine Analyse der Beziehung zwischen der Massenbewegung und klandestinen Organisationen oder bewaffneten Aktionen vernachlässigt. Der Grund für dieses Versäumnis liegt darin, dass wir im Rahmen unserer notwendigerweise vereinfachten „Geschichte“ die Erfahrungen des bewaffneten Kampfes als eine symptomatische Tatsache betrachten möchten, als ein Symptom der von der Massenbewegung nicht gelösten Probleme.

Dieser Standpunkt ist heute sicherlich nicht mehr ausreichend fundiert. In den letzten Jahren hat der bewaffnete Kampf mehr und mehr eine „terroristische“ Konnotation angenommen; nicht mehr “innerhalb der Massenbewegung”, hat er die Bewegung vollständig ersetzt und nimmt den gesamten verfügbaren Raum ein.

Die erste und wichtigste bewaffnete Organisation in Italien – die Roten Brigaden – ist aus dem Kampf der Arbeiter in den ersten Jahren der 70er Jahre hervorgegangen. Die Kämpfer der Roten Brigaden kommen aus den großen Fabriken in Mailand, Turin und Genua. Die ersten bewaffneten Aktionen (Entführung von Fabrikmanagern und Sabotageakte) standen im Zusammenhang mit dem Kampf der Arbeiter gegen die Fabrikhierarchie.

Aber nach diesen ersten Aktionen (1971, 1972) verfolgten die Roten Brigaden rasch eine Strategie der frontalen, „politischen“ – im schlimmsten, abstraktesten Sinne des Wortes – Opposition gegen den Staat. Von diesem Zeitpunkt an begannen sie, sich wie eine tatsächliche Partei zu verhalten, deren Aktionen und Ziele weder mit der Epoche noch mit den Formen des Massenkampfes verbunden oder von ihnen abhängig sind. In dieser neuen Phase erreichten die Brigaden einen kritischen Punkt, an dem sich in der kämpfenden Organisation die extremen „ML“-Denkweisen (marxistisch-leninistisch im dogmatischsten und avantgardistischsten Sinne) durchsetzten. Darüber hinaus ist die theoretisch-politische Basis der Militanten in den Brigaden ausgesprochen stalinistisch. Ein Teil ihres Hintergrunds, insbesondere ihr sozialer Kontext (die Fabriken), stammt von der „harten“ stalinistischen Basis der Kommunistischen Partei. Der soziale Kontext der Brigaden – mehr noch als die Wahl eines geheimen Modus Operandi – unterschied sie bereits 1974 von anderen; 1977 waren die Unterschiede zwischen der sich entwickelnden Autonomiebewegung und den Brigaden noch größer geworden.

Der Höhepunkt in der Entwicklung der Roten Brigaden war die Entführung und Ermordung des Präsidenten der DC, Aldo Moro. Diese Ereignisse fielen in eine Zeit, in der sich die Bewegung in einem Zustand der Krise und Immobilisierung befand, was weitgehend auf das „Scheitern“ des September-Kongresses (s. Part 2, d.Ü.) zurückzuführen war. Es war gerade die durch den Kongress herbeigeführte Immobilisierung, die immer größere Teile der Bewegung, insbesondere diejenigen, die durch repressive Maßnahmen schikaniert wurden, dazu brachte, sich für ein Leben im Verborgenen zu entscheiden. Viele andere Kampforganisationen, die kleiner waren als die Roten Brigaden, wurden gebildet. Diese kleineren Organisationen verfolgten Ziele, die eng mit den sozialen Kämpfen verbunden waren (Sabotageakte, Brandanschläge auf Arbeitsämter), während die Aktionen der Roten Brigaden fast ausschließlich politische Auswirkungen hatten, da sie auf die DC oder das Zentrum der Mehrheitspartei gerichtet waren.

Die Frage des „bewaffneten Kampfes“ brachte in diesen Jahren eine Reihe von zweifelhaften Thesen hervor, sei es innerhalb der Bewegung, in der Presse oder in der Propaganda der Regierungskräfte. Der “Terrorismus” wurde als direkter Ausdruck der Kampfformen der Bewegung betrachtet. Die Bewegung hat sicherlich Formen des gewalttätigen Kampfes entwickelt und praktiziert, wenn Gewalt ein notwendiges Mittel zur Verteidigung der organisatorischen Ebenen darstellte (auf die Straße gehen, Gebäude besetzen, Streikposten aufstellen), aber sie hat sich immer geweigert, die militärische Organisation als autonome politische Präsenz oder als „bewaffnete Partei“ zu sehen. Die Stärke der Roten Brigaden ist also direkt proportional zur Schwäche der Bewegung.

In dem Maße, in dem die Unterdrückung des Regimes schwerer auf der Bewegung lastet, nimmt die Macht der bewaffneten Organisation zu. Andererseits müssen wir auch anerkennen, dass sich der Staat seit dem Frühjahr 77, als die Stärke der Massenbewegung eine Krise des institutionellen Gleichgewichts und des historischen Kompromisses herbeiführte, verpflichtet hat, seine Stabilität und sein institutionelles Gleichgewicht auf der Grundlage des “Kampfes gegen den Terrorismus” wiederherzustellen. Die Politik der „nationalen Einheit“ – die auf eine Stärkung der christdemokratischen Regierung (immer eine fragile Mehrheit) mit unkritischer Unterstützung der PCI hinauslief – wurde als Notmaßnahme angesichts des Angriffs der Roten Brigaden beschlossen. Und am selben Tag, an dem Moro entführt wurde, beschloss die PCI, eine DC-Regierung zu unterstützen, was völlig inakzeptabel war. Für diese Strategie zahlte die PCI mit ihren Verlusten bei den Wahlen im Juni 1979. Aber das ist von geringem Interesse. Interessant ist, dass der “Terrorismus” eine Krisensituation für die revolutionäre Bewegung schuf oder sich vielmehr in eine bereits bestehende Krise der Bewegung einfügte. Und so fügte er sich selbst ein, akzentuierte und konsolidierte die Krise, indem er einerseits die Repression von der einen Seite verstärkte und andererseits den revolutionären Prozess auf einen Pfad ohne Ausweg, ohne alternative Wege beschränkte.

Wir müssen also anerkennen, dass die Ausweitung des bewaffneten Kampfes und die großen Auswirkungen der bewaffneten “terroristischen” Aktion (zu unterscheiden von einer Praxis der Massengewalt, die durch die Bedürfnisse des Proletariats gerechtfertigt ist) in direktem Zusammenhang mit der Krise der Bewegung stehen, die sich nach 77 entwickelt hat. Wir können sagen, dass die bewaffnete “terroristische” Aktion ein Symptom für die Unfähigkeit der revolutionären Bewegung ist, ein Programm umzusetzen, und auch ein Symptom für die kulturelle Verarmung der Bewegung.

Nach 77, und insbesondere nach der Moro-Affäre, begannen Sektoren der Autonomie all dies zu realisieren. Und hier muss unsere Studie komplexer werden, wenn wir die jüngste Periode der italienischen Geschichte, d.h. die Ereignisse vom 7. April 1979, verstehen wollen.”

77 waren die von der Bewegung zum bewaffneten Kampf vertretenen Positionen ungenau. Die gesamte Bewegung hatte sich zu Recht geweigert, die Massengewalt (wie vom bürgerlichen Regime und seinen Parteien gefordert) zu verurteilen. Der März-Aufstand war eine regelrechte Explosion gewesen, an der Zehntausende von Proletariern und Jugendlichen beteiligt waren, und dieses Maß an Gewalt war eine unvermeidliche Etappe, die der Bewegung den Handlungsspielraum gab, der ihr von den Institutionen stets verweigert wurde. Aber beim Thema der “terroristischen” Aktionen war die Debatte immer konfuser. Alle Fraktionen der Bewegung erkannten die proletarischen und revolutionären Ursprünge der kämpfenden Formationen an (einige Idioten versuchten tatsächlich, die bewaffneten Formationen zu “exkommunizieren” oder sie zu Agenten des Außenministeriums oder reaktionärer Gruppen zu erklären – aber jeder weiß, dass die Kämpfer in diesen Formationen Genossen sind, die aus der Agitation in den Fabriken oder in den Elendsvierteln kommen, aus den Erfahrungen, die wir alle in diesen Jahren gemacht haben). Das Problem wurde also mit dem Begriff „Legitimierung“ umschrieben.

Innerhalb der Bewegung gibt es zu dieser Frage der „Legitimität“ zwei Meinungen.

Die eine Fraktion betrachtet die bewaffnete klandestine Aktion als eine einfache „Ausdehnung“ der Massengewalt, eine „Ausdehnung“ des proletarischen Widerstandes an den vom Kapitalismus auferlegten gesetzlichen Grenzen. Andere wiederum widersprechen und behaupten, dass diese Sichtweise (im Namen der spontanen Sympathie) den radikalen Widerspruch zwischen dem autonomen Verhalten der proletarischen Schichten (die Träger eines Befreiungspotenzials sind) und der stalinistischen Politik oder sogar dem staatsähnlichen Verhalten der BR unterschätzt.

Die Positionen zur Legitimität des “Terrorismus” unterscheiden sich innerhalb der verschiedenen Teilen der Bewegung. Der “Bologna-Flügel”  (der sogenannte „kreative Flügel“) erkannte ohne Zögern den Widerspruch zwischen “Terrorismus” und Massenbewegung an. Die Komitees der Autonomen Arbeiter (Autonomia Operaia) in Rom (die „Volsci“) übten heftige Kritik an der Politik der Roten Brigaden, während andere Gruppen eine problematischere Position einnahmen, um den “Terrorismus” und die radikalsten Praktiken der Bewegung nicht in einen Topf zu werfen. Doch während die „ideologische“ Diskussion über den “Terrorismus” weiterging, verlor man den “Terrorismus” als Spektakel aus den Augen, seine Fähigkeit, auf der Bühne des Klassenkampfes immer mehr Platz einzunehmen. Und als dieser Aspekt des “Terrorismus” näher betrachtet  wurde (nach der Entführung der Moro), begann eine neue Operation: Man versuchte nicht, den Terrorismus zu verurteilen oder zu exorzieren (wie es die großen bürgerlichen Journalisten taten, und im Anschluss daran die “kleinen Journalisten” von Lotta Continua), ja nicht einmal, ihn zu unterstützen, um etwas aus ihm zu gewinnen. Stattdessen versuchte man, ihn zu verdrängen. Die Verdrängung des “Terrorismus” wurde für die revolutionäre Bewegung zum wahren Problem. Da die Kampfformationen ein Produkt einer Fraktion darstellten, die die Bewegung nicht hatte verdrängen können, war es notwendig, diese Fraktion und ihre “terroristischen” Manifestationen zu verdrängen. Es war notwendig, sich an diesen Bemühungen zu beteiligen. Wir können sagen, dass die intellektuellen und militanten Segmente der Autonomie nach dem Tod von Moro darum bemüht waren, Methoden zur Überwindung des “Terrorismus” zu finden. Diese “Verdrängung des Terrorismus” bedeutete nicht, sich an der faschistischen Vernichtung zu beteiligen, die die “Superpolizisten” (wie General Dalla Chiesa, Befehlshaber der Antiterror Einheiten) mit “Schleppnetzen”, wahllosen Verhaftungen, Korruption und Spitzeln, Folter und Internierungslagern zu bewirken versuchten. Die Überwindung des “Terrorismus” bedeutete vielmehr, eine Grundlage für die “Befriedung” (der zugespitzten quasi-militärischen Konfrontation, d.Ü.) und den Wiederaufbau der für den Klassenkampf notwendigen Bedingungen zu schaffen. “Befriedung” bedeutete offensichtlich, das Hindernis aus dem Weg zu räumen, das die mehr als eintausend politischen Gefangenen darstellten. Die Befreiung der politischen Gefangenen, die Amnestie, die Beseitigung der Lager und die Entlassung von Dalla Chiesa. All dies sind Ziele der “Befriedung,” die ihren Ursprung in der Bewegung haben, Ziele, die die politischen Strategen der Autonomie zu den Zielen einer Masseninitiative machen wollen, die in der Lage ist, die Bedingungen für eine Wiederaufnahme des Klassenkampfes in einer strategisch autonomen Form zu schaffen, die nicht mehr von den schwierigen Bedingungen eines Bürgerkrieges bestimmt wird.

Doch plötzlich, gerade als die Möglichkeit einer “Ablösung des Terrorismus” wahrgenommen wurde und zu reifen begann, griff die staatliche Repression mit aller Macht ein, die sie auf den Plan rufen konnte. Wir haben die Ereignisse des 7. April erreicht.

Der Wunsch des Staates, jeden Versuch, den “Terrorismus” zu verdrängen, zu unterbinden, wurde noch deutlicher, als die Herausgeber von Metropoli verhaftet und die Veröffentlichung unterdrückt wurde. Metropoli ist in der Tat eine Zeitschrift, die sich speziell dem Ziel widmet, den “Terrorismus zu überwinden” und autonome Bedingungen für den Klassenkampf wiederherzustellen.

DIE VERHAFTUNGEN VOM SIEBTEN APRIL

Die revolutionäre Bewegung wird sich noch geraume Zeit mit den Aktionen des Staates am 7. April auseinandersetzen müssen. Selbst über die Frage der Befreiung der verhafteten Genossen hinaus sind einige grundlegende Zweifel aufgekommen, und die Möglichkeit eines Übergangs in eine neue Epoche im Prozess der Befreiung von der kapitalistischen Herrschaft ist auf dramatische Weise gefährdet.

Sich dieser letzten zehn Jahre zu entledigen und gleichzeitig die dem Befreiungsprozess innewohnende Kontinuität aufzudecken – das sind zwei scheinbar widersprüchliche Schritte, die aber gleichzeitig vollzogen werden müssen. Das ist das Problem, vor dem wir im Augenblick stehen. Aber die Maßnahmen der Regierung zielten darauf ab, jeden Übergang unmöglich zu machen.

Die Aufführung vom 7. April hat also gezeigt, dass die Machtstruktur heute den Krieg gewinnen kann, indem sie in das Reich der Phantasie eindringt. Und nachdem sie das Reich der Fantasie erobert haben, wuchern die Machtstrukturen nun ausufernd und demonstrieren eine Gewalt, die keine Präzedenzfälle kennt, und eine Arroganz, die totalitär ist.

DIE SIMULATION DER MACHT, DIE MACHT DER SIMULATION

In der Kampagne, die die Herrschaftsstruktur gegen die Autonomie gestartet hat, ist alles falsch: nicht dieses oder jenes Detail, nicht diese oder jene Behauptung, sondern alles – die Beweise, die Aussagen, die Umstände. Alles ist falsch, und die Machtstruktur weiß es, sie erklärt es sogar. Für die Machtstrukturen spielt es keine Rolle, ob etwas wahr ist oder nicht. Das ist der Geist hinter der Operation der Regierung. Die abschreckende Kraft der Operation liegt in ihrer Fähigkeit, eine gewalttätige Kampagne von ungeheurem Ausmaß zu entfesseln, eine Kampagne, die auf SIMULATION beruht. Die wirklichen Agenten der Offensive sind nicht die Richter, sondern die Presse, das Fernsehen und die Performance. So ist die Offensive jenseits der Politik, endlich befreit von jeder verbleibenden Verbindung zur Wahrheit, befreit von jeder Korrespondenz mit der Wirklichkeit. Eine unendliche Anzahl von Kriegsszenarien zu simulieren und sie auf die Leinwand der Massenimagination zu projizieren – das ist die Strategie. Denn in Wahrheit wird der wirkliche Krieg in diesem Territorium der Imagination ausgetragen. Auf der einen Seite der Schlacht steht die Abschreckung (die unendliche Macht des Staates, das allsehende Auge, das allwissende Gehirn, der allvorstellende Verstand), auf der anderen Seite die Befreiung der schöpferischen Energien eines Proletariats, dessen intellektuelles Potenzial immens ist, dessen materielle Existenzbedingungen aber beengt und elend sind. Das ist der eigentliche Widerspruch, der eigentliche Krieg.

Die Aufführung vom 7. April hat also gezeigt, dass die Machtstruktur heute den Krieg gewinnen kann, indem sie in das Reich der Phantasie eindringt. Und nachdem sie das Reich der Fantasie erobert haben, wuchern die Machtstrukturen nun ausufernd und demonstrieren eine Gewalt, die keine Präzedenzfälle kennt, und eine Arroganz, die totalitär ist.

DIE LÄHMUNG DER ORGANISIERTEN AUTONOMIE

Wie kann man leugnen, dass die Herrschaftsstruktur „gewonnen“ zu haben scheint? Hat sie sich mit diesem Simulationsschlag nicht doch das Recht angemaßt, ein ganzes Jahrzehnt vor Gericht zu stellen? Sie hat sich selbst zum Richter vor Gericht gemacht. Und so steht nun das Jahrzehnt der Gleichmacherei und Solidarität, das Jahrzehnt der Kollektivierung und der Ablehnung von Arbeit vor Gericht. Gibt es eine bessere Einführung, eine bessere Voraussetzung für eine „Gegenreaktion“, die eine Rückkehr zur normalen Produktion verspricht, zu der üblichen, alltäglichen Gewalt, die in der Familie und am Arbeitsplatz auftritt?

In der Zwischenzeit, während sich die Machtstruktur darauf vorbereitet, unser ganzes Jahrzehnt als kriminell, subversiv und paranoid vor Gericht zu stellen – nun, hier sehen wir die Kräfte, die die bestehende Bewegung repräsentieren, unfähig, die Bedeutung dieser von der Machtstruktur eingeleiteten Operationssimulation zu verstehen, unfähig, tatsächlich etwas zu begreifen, und unfähig, in irgendeiner Weise zu reagieren.

Das trifft also auf die Organisierte Autonomie zu. Ihre Lähmung ist vollständig. Seit dem 7. April ist sie ins Wachsfigurenkabinett der Politik verschoben worden. Angesichts der Machtstruktur, angesichts jenes Spiegelspiels, das die Simulation ist, haben die guten kleinen bad boys der Autonomie mit der Überzeugung geantwortet, dass ihre Gruppe (mit all ihren heiligen, ewigen Prinzipien wie der „aktiven Enthaltung“…) mit dem Staat Regiment für Regiment mithalten kann. Aber der Staat operiert auf hundert Schlachtfeldern, während die Partei der Autonomie nicht einmal auf dem einzigen Feld operieren kann, das sie für sich selbst gewählt hat – die Straßen sind tabu, und für diejenigen, die unfähig sind, in anderen Begriffen als Straßenkampagnen zu denken, sind die Straßen selbst unbrauchbar geworden. Diejenigen, die auf die simulierten Machtstrukturen mit der Macht (aber gibt es sie?) der Wahrheit und der Gegeninformation antworten wollen, werden ihre Worte im Mund zu Staub zerfallen sehen.

…der Haltung von jemandem, der historische Prozesse, Kämpfe, Programme, Leidenschaften und Niederlagen untersucht, als ob sie Naturphänomene wären, als ob in ihnen nicht das Pulsieren einer subjektiven Intensität und die Möglichkeit einer Störung und eines Umsturzes des gesamten Szenarios läge. Heute, nach den Ereignissen vom 7. April, ist es die Machtstruktur, die das Szenario simuliert, in dem die Machtverhältnisse bestimmt werden. Die Wahrheit bestimmt nichts.

INTELLEKTUELLE, LEGALITÄT UND LEGITIMITÄT

Lassen Sie uns auch diejenigen untersuchen, deren Sache es ist, sich um Garantien der Freiheit zu kümmern. Die Intellektuellen – ja, selbst sie versuchen, ihre Rolle zu bekräftigen, indem sie nach der „Wahrheit“ suchen. Schauen Sie sich an, was Umberto Eco in der Ausgabe von La Repubblica vom 22. April zu sagen hat. Nachdem er eine halbe Seite lang nach der „Wahrheit“ gesucht hat, und zwar mit Methoden, die eines Kriminalromans würdig sind, verkündet er, dass sich die Grenze zwischen Legalität und Illegalität je nach dem Moment und den Umständen verschieben kann. Machtverhältnisse, sagt er. Aber natürlich! Es ist wahr: Die Legalität wird durch die Machtverhältnisse bestimmt, die zwischen Alt und Neu, zwischen der Befreiung des Möglichen und der Diktatur der Gegenwart herrschen. Je größer die Kraft jener Bewegung ist, die sich anstrengt, die in der Gegenwart komprimierten Möglichkeiten zu befreien, desto weiter werden die Grenzen der Legalität verschoben. Denn die Legalität ist nur die Sanktionierung (durch Strukturen, durch Richter, durch die Polizei) des gegenwärtigen Zustands, des Rechts der Gegenwart, die Energien, die Kreativität und die Erfindungskraft des proletarischen Teils der Gesellschaft zu unterdrücken. Gut gedacht, Eco. Außer dass die Leute, die diese Grenzen der Legalität setzen, Leute (wie Eco) sind, die für La Repubblica schreiben. Und die Leute, die darüber entscheiden, wohin die Grenzen verschoben werden sollen, sind Wahrheitssucher der Art von Eco – als ob es möglich wäre, mit der Haltung des Entomologen fortzufahren, die er zeigt, der Haltung von jemandem, der historische Prozesse, Kämpfe, Programme, Leidenschaften und Niederlagen untersucht, als ob sie Naturphänomene wären, als ob in ihnen nicht das Pulsieren einer subjektiven Intensität und die Möglichkeit einer Störung und eines Umsturzes des gesamten Szenarios läge. Heute, nach den Ereignissen vom 7. April, ist es die Machtstruktur, die das Szenario simuliert, in dem die Machtverhältnisse bestimmt werden. Die Wahrheit bestimmt nichts.

UTOPIE, MESSIANISMUS, ZUSAMMENBRUCH ODER BARBAREI

Oder nehmen Sie den Fall von Luigi Barzini, der am 10. April auf der Titelseite des Corriere della Sera die am 7. April verhafteten Genossen als messianische Visionäre definiert, die einer irrationalen Bewegung ein Programm liefern, das ständig die utopischen Impulse der Massen junger Menschen nährt, die sonst zerstreut, verzweifelt oder resigniert wären. Nun, das ist wahr genug. Aber diese hartnäckige Wut, mit der das revolutionäre Denken in Italien die Wünsche und Bedürfnisse der Massen von Proletariern und Jugendlichen genährt hat, hat nichts Irrationales an sich. Es ist die Realität der sozialen Widersprüche in den städtischen Gebieten, die dramatische Realität des Widerspruchs zwischen Mensch und Natur, die das radikale Element ist – nicht unsere Wünsche. Es ist die Realität, die uns vor die Wahl zwischen Utopie und Barbarei stellt, zwischen einem Zusammenbruch des gegenwärtigen Systems und der ständigen Bedrohung durch Zerstörung, Ökokatastrophe und Psycho-Katastrophe. Und die Wahl wird sehr bald, sehr schnell getroffen werden müssen. Die Beschleunigung des Tempos in den Städten, die wahnsinnige Unmenschlichkeit der Beziehungen zwischen den Menschen, die halluzinatorische Qualität jeder Ausdrucksform und jeder Existenzform und die zunehmende Militarisierung – all diese Entwicklungen führen dazu, dass die Revolutionäre vor eine dringende Wahl gestellt werden: Zusammenbruch oder Barbarei. Und selbst wenn die Möglichkeiten eines Zusammenbruchs sehr begrenzt wären, selbst wenn alles in eine Richtung tendieren würde, die der Möglichkeit entgegensteht, die technischen, wissenschaftlichen, kreativen und erfinderischen Energien der Menschheit von der zerstörerischen Herrschaft des Kapitalismus und der Ökokatastrophe zu befreien, selbst wenn die Idee der Befreiung dieser Potentiale eine Utopie wäre, so wäre doch die einzig realistische Wahl die Revolution. Wenn wir am Leben interessiert sind, dann ist nur die Revolution eine realistische Alternative.

Die gegenwärtige Situation – in der ein totalisierendes Funktionieren ohne die Totalität existiert und in der die Macht ohne eine Regierung existiert – hat in der Tat gesehen, dass die Macht sich als bloße Taktik, als „Tagespolitik“ darstellt, die nur unter diesem Deckmantel funktionieren kann. Das Funktionieren dieser Art von Politik wird nicht von einer kohärenten strategischen Planung geleitet, sondern von einem Spiel der internen Selbstregulierung.

DIE NICHT-ZENTRIERTE FORM DER MACHTSTRUKTUR UND -PRODUKTION

Die Situation in Italien stellt ein gesellschaftliches Laboratorium von außergewöhnlichem Interesse dar, sowohl vom Standpunkt der kapitalistischen Herrschaft als auch vom revolutionären Standpunkt aus. Die wichtigste Tatsache für das Verständnis der gegenwärtigen Situation ist die Tatsache, dass die zentralisierten und kohärenten Formen der Kontrolle über den sozialen Sektor ein Ende gefunden haben und die Gesellschaft und die Kräfte, die im sozialen Sektor zirkulieren, somit nicht mehr von der Politik regierbar sind.

Das eigentliche Rätsel der italienischen Situation besteht darin, wie ein Herrschaftsapparat über die sozialen Wesen durch ein Funktionieren aufrechterhalten werden kann, das mit den verschiedensten und widersprüchlichsten Verhaltensweisen, welche man sich vorstellen kann, umgehen und diese organisieren muss. Das wirkliche Problem besteht darin, wie das Funktionieren der Herrschaft und die Wertzuweisung des kapitalistischen Systems durch einen unkonzentrierten Konflikt hergestellt werden kann. Es gibt einen Funktionsfaden, der sich durch Diskontinuität, Fragmentierung und Konflikt zieht. Die Frage ist, wie der Arbeitsmarkt weiterhin funktionieren kann, wenn eine enorme Menge an Mehrwert von einem politisch und kulturell ungehorsamen, in seiner Mobilität äußerst flexiblen Segment der Erwerbsbevölkerung produziert wird, das nicht bereit ist, die feste Anordnung der entlohnten Produktion zu akzeptieren und gezwungen ist, eine relativ hohe Einbehaltung des produzierten Mehrwerts in Kauf zu nehmen. Die Verbindung von Ungehorsam und Produktivität, von Konflikt und Funktionieren ist der Ausgangspunkt für eine neue Allianz zwischen kapitalistischer Entwicklung und proletarischer Befreiungsbewegung. Dieses Bündnis stellt das einzig mögliche Mittel zur Lösung der gegenwärtigen Krise dar, die einzige Möglichkeit, die Bedingungen für eine produktive Autonomie statt einer verknöcherten Unterordnung zu schaffen.

Die gegenwärtige Situation – in der ein totalisierendes Funktionieren ohne die Totalität existiert und in der die Macht ohne eine Regierung existiert – hat in der Tat gesehen, dass die Macht sich als bloße Taktik, als „Tagespolitik“ darstellt, die nur unter diesem Deckmantel funktionieren kann. Das Funktionieren dieser Art von Politik wird nicht von einer kohärenten strategischen Planung geleitet, sondern von einem Spiel der internen Selbstregulierung. Diesem Mechanismus der Selbstregulierung entgegenzutreten (in dem die offiziellen Erklärungen und die angekündigten Strategien nur Simulationen taktischer Szenarien sind, die die Kräfte, die sie hervorrufen, nicht wirklich kontrollieren können) – diesem Mechanismus der Selbstregulierung entgegenzutreten, indem man eine kohärente alternative Strategie anbietet – wie es die Organisierte Autonomie versucht hat -, läuft nur darauf hinaus, in einem Spiel gefangen zu bleiben, dessen Regeln keiner der Spieler umsetzen kann. Also: Es gibt keine Strategie, kein Wahrheitskriterium in der Taktik. Aber es gibt einen Berührungspunkt – zumindest auf der taktischen Ebene – zwischen dem aufdringlichen Wunsch des Proletariats nach Befreiung von der Sklaverei der Arbeit und den Interessen des Kapitalismus an der Erhöhung der relativen Mehrwertrate und der Steigerung der sozialen Produktivität. An diesem Berührungspunkt kann man gelegentlich die Macht jener Herrschaft brechen, die der Autonomie zuvorkommen will, die die intellektuellen Energien des Proletariats hemmt, die Wissen und Know-how in einem funktionalen Design organisiert, das darauf abzielt, die Form des Kapitals und die Form des Wertes zu reproduzieren, so dass der Weg zur Befreiung des Lebens von der Arbeit versperrt wird, so dass das in der Intelligenz und Aktivität des Individuums enthaltene Potential in Schach gehalten wird, während es gezwungen ist, sich zu entindividualisieren und sich der Umwandlung in abstrakte Arbeit zu unterwerfen.

DIE UNBESTIMMTHEIT DES RECHTS UND DIE SELBSTREGULIERUNG DES IMAGINÄREN

So stehen wir vor dem Paradoxon einer Herrschaft, die ohne jede Regierung ausgeübt wird, einer Kontrolle des Systems ohne eine Regierung des Systems. Wenn ein System sehr komplex wird und zahlreiche unabhängige Variablen aufweist, dann scheint das Sprichwort „ein leerer Geist ist ein offener Geist“ zu gelten. Es ist die Abwesenheit von „Planung“, die das System kontrollierbar macht. Das „volle Gewicht“ eines artikulierten Plans neigt dazu, die Gesellschaft zu polarisieren, indem es die Menschen dazu bringt, „Mauern des Urteils“ zu errichten. In komplexen Systemen wird die Polarisierung beseitigt, und die Mittel der Regulierung stehen tendenziell im Einklang mit der Unbestimmtheit des Systems. Diese Faustregel setzt sich auch auf ideologischer und juristischer Ebene durch. Untersuchen wir also noch einmal die am 7. April gestartete Justizkampagne.

Das aufgebaute „Schloss“ von Anschuldigungen hat kein „Fundament“. Aber genau das sollten die Maßnahmen der Regierung zeigen: Die „Gerechtigkeit“ offenbart ihre fehlende „Grundlage“ im „Recht“ in einer fast obszönen Weise. Nur auf diese Weise kann „Gerechtigkeit“ in eine „Verbrechens-Anklage“-Beziehung zu sozialen Wesen treten, die sich sehr voneinander unterscheiden.

Erhellend für die Untersuchung dieses Phänomens sind die Enthüllungen gewisser Intellektueller, die uns glauben machen wollen, dass sie einst „Pflanzen“ innerhalb der Bewegung waren. Betrachten wir einige der würdigeren Bekenntnisse: „Verzeihen Sie mir, wenn ich auf diesem Punkt bestehe, aber diese Version der „Potere Operaio“ (d.h. des venezianisch-emilianischen Zweiges, zu dem Cacciari gehörte) hat überhaupt nichts mit der Version zu tun, die nach 1968 entstanden ist“. (Cacciari, in einem der Repubblica gewährten Interview, 4.10.79). Oder dies: „Mein letztes politisches Gespräch mit Negri hatte ich vor mehr als zehn Jahren. . Seit dieser Zeit habe ich ihn nicht mehr gesehen…” (Asor Rosa, in La Repubblica 24.4.79). Sie kennen das Sprichwort: „Die Leute verraten sich selbst“! Und das ist der Mechanismus, den die Kräfte der „Gerechtigkeit“ in Gang setzen wollen: Der Einzelne muss autonom das Bedürfnis verspüren, sich zu entschuldigen oder sich vom Angeklagten zu trennen, um das „Vergnügen, überlebt zu haben“ auszukosten – um einen Satz von Canetti zu übernehmen.

Der Mangel an Grundlagen des Gesetzes wird auffallend deutlich, wenn das „Gesetz“ im „Ausnahmezustand“ lebt, wenn es zu einer „gerichtlichen Notstandsmaßnahme“ wird. Notstand bedeutet aber eine Abtrennung der Rationalität; daher muss sich der Hype als Hype zeigen – er kann nur wirksam sein, wenn er als Hype gelebt wird. Das „Gesetz“ empfindet die Notwendigkeit, sich unbestimmt zu machen, um all jene Wesen strafrechtlich verfolgen zu können, die von der Gesellschaft bestimmt sind, um jede Bestimmung zu kontrollieren.

Die Unbestimmtheit des „Gesetzes“ läuft in der Tat auf die Unbestimmtheit gesellschaftlicher Typen hinaus: Was ist schließlich der typische Revolutionär von heute? Dieses unbestimmte „Gesetz“ ist trotz des Anscheins und trotz des Preises, den die Avantgardebewegungen bezahlt haben, nicht darauf aus, diese Bewegungen zu verfolgen (wenn es das wäre, dann wäre das „Gesetz“ eine ganz bestimmte Sache, hätte Grundlagen – das ist die Position der PCI), sondern es richtet seine Aufmerksamkeit auf unbestimmte Elemente. Ein amerikanischer Forscher schrieb in einer neueren Analyse des Phänomens des Terrorismus, dass „das „moralische Empfinden“ des Normalbürgers sich nicht sehr von dem des Terroristen unterscheidet“ (Jan Schreiber), da in einem komplexen System, in dem die „Vermittlung“ als Struktur versagt hat, jede Gruppe bis hinunter auf die Ebene des Individuums dazu neigt, sich autonom zu definieren und sich nicht in Beziehung zu „anderen“ zu sehen. In ähnlicher Weise hat Brian Jenkins den Terrorismus als das „Instrument zur Erreichung autonom festgelegter politischer Ziele“ definiert. Die Unbestimmtheit des „Gesetzes“ dient als Mittel zur Verfolgung sozialer Wesen, die sich autonom definieren, soweit sie nicht mehr durch ihren sozialen „Status“ identifizierbar sind. So bedeutet „strafrechtlich zu verfolgen“, dass das Recht sich so weit „unpersönlich“ machen muss, dass es zu einer symbolischen Darstellung, einer Aufführung oder einem Spektakel der Anklage und des Prozesses wird. Es zielt nicht darauf ab, Privatpersonen strafrechtlich zu verfolgen, sondern symbolische Figuren, Produkte einer kollektiven Vorstellungskraft; die schuldige Partei ist ein Produkt der Vorstellungskraft aller. Auf dieser Abstraktionsebene der Wesen kann sich das Gesetz nicht mehr selbst erhalten und braucht Abstraktionen, die von den Massenmedien verkündet werden. Unbestimmtheit erfordert eine Beziehung zu den Massenmedien – nur dann kann das „Theater der Grausamkeit“ inszeniert werden.

Das Gesetz verwandelt sich in eine Kombination aus Notstand und Massenmedien, existiert in der Form des Notstands, wie es mit den Massenmedien identifiziert wird, ist das eine in der Tugend, das andere zu sein.

Es gibt keine „persönliche“ Bestrafung mehr, sondern nur noch eine symbolische Bestrafung. Der traditionelle Prozess im Gerichtssaal ist angesichts der von den Massenmedien inszenierten (d.h. von der Phantasie inszenierten) imaginären Prozesse irrelevant geworden. Was nicht physisch bestraft werden kann, wird stattdessen durch einen universellen Opferritus bestraft, d.h. durch die symbolischen Prozesse, die die Massenmedien in der Imagination der Kollektivität inszenieren. Es ist die Imagination, die tatsächlich vor Gericht steht.

Das gerichtliche Handeln bewegt sich im Bereich der Eventualitäten, nicht nur, weil es ein System von Taktiken ist, das die Grenzen der Legalität je nach den individuellen Umständen verschiebt – wie Umberto Eco behauptet -, sondern auch, weil heute jede Grenze außerhalb des Geltungsbereichs des klassisch kodifizierten Rechts liegt, weil es keinen Sinn mehr hat, „private“ Wesen zu verfolgen. Entscheidend ist nicht so sehr der Ausgang des Gerichtsverfahrens, sondern vielmehr der durch die Massenmedien in Gang gesetzte symbolische Prozess. Und das Ziel des Gerichtsverfahrens ist nicht so sehr die Aufrechterhaltung der Ordnung, sondern vielmehr die sofortige Schaffung einer kollektiven Anerkennung der „Grenzen“ – eine Anerkennung, die nur geschaffen werden kann, wenn Unordnung herrscht. Es gibt keine „persönliche“ Bestrafung mehr, sondern nur noch eine symbolische Bestrafung. Der traditionelle Prozess im Gerichtssaal ist angesichts der von den Massenmedien inszenierten (d.h. von der Phantasie inszenierten) imaginären Prozesse irrelevant geworden. Was nicht physisch bestraft werden kann, wird stattdessen durch einen universellen Opferritus bestraft, d.h. durch die symbolischen Prozesse, die die Massenmedien in der Imagination der Kollektivität inszenieren. Es ist die Imagination, die tatsächlich vor Gericht steht. Der Prozess zielt darauf ab, bestimmte Haltungen und Einsichten zu schaffen und unbestimmte soziale Wesen dazu zu zwingen, autonom und nach eigenem Gutdünken eine Identität anzunehmen, die für sie von den Gerichten definiert wird.

Zu diesem Zweck sind lexikalische Elemente aus Negris Texten und Ideen vor Gericht gestellt worden; es ist nicht von Interesse, wessen Lexikon es ist – vielmehr ist es das Lexikon, die Ideen des imaginären sozialen Wesens, das angeklagt wurde. Die Anklage sucht nicht einen einzelnen Schuldigen, sondern den Schuldigen – die kollektive Vorstellung des Schuldigen. Die Dekonstruktion und Konstruktion von Texten und Lexikon sind funktionale Elemente bei der Feststellung des lexikalischen und sprachlichen Schuldigen. Es ist kein Zufall, dass Umberto Eco das Bedürfnis verspürt, in seinem Artikel Zweideutigkeiten zu verwenden. Worte vor Gericht zu stellen, ist im Gerichtssaal nicht möglich; dies geschieht stattdessen in den Massenmedien und im symbolischen Prozess.

SCHLUSSFOLGERUNGEN

Nachdem wir so weit gekommen sind, müssen wir nun eine operative Synthese erstellen, die in der Lage ist, die Prämissen, die die Machtstruktur durch ihre Aktionen vom 7. April auferlegt hat (sowie alle anderen Prämissen, die die Machtstruktur in jüngster Zeit auferlegt hat), umzustürzen. Das Ziel, das das revolutionäre Element in den letzten Jahren (mehr oder weniger bewußt) zu erreichen versucht hat, ist die Befreiung jenes Autonomiepotentials, das in der Gesellschaft durch die Bemühungen der gegenwärtigen Form der organisierten Autonomie propagiert wurde. Dieses Ziel ist gleichbedeutend mit dem Ziel, einen Übergang von den 1970er zu den 1980er Jahren zu vollziehen und gleichzeitig strukturelle Bedingungen aufrechtzuerhalten, die die Befreiung des Lebens von der Arbeit gewährleisten und die die vom Kapitalismus des nuklearen Zeitalters verbreitete Logik der Vernichtung und Öko-Destruktion vermeiden.

Die Offensive, die die Machtstruktur in den letzten Monaten unternommen hat, zielt darauf ab, diesen Übergang unmöglich zu machen, d.h. sie zielt darauf ab, dem Staat die Initiative zurückzugeben und gleichzeitig zu verhindern, dass die für eine Revolution notwendigen strukturellen Bedingungen weiter bestehen.

Macht, die ohne den Versuch zu regieren ausgeübt wird, akzeptiert ein sehr hohes Konfliktniveau. So hat die Machtstruktur gelernt, auf einem diskontinuierlichen Terrain zu überleben und die Kontinuität ihres Funktionierens über diese Diskontinuität hinweg wiederherzustellen. Revolutionäre Impulse dürfen in jedem sozialen Milieu, in jeder Art von Produktionsfunktion wirken, mit Ausnahme jener grundlegenden Funktion, die die durch das Wissen konstituierte Funktion ist. Die heutige städtische Gesellschaft kann in der Tat als mittelalterliche Lehensgüter aufgefasst werden: Wegelagerer und Verrückte können auf der Suche nach Beute umherirren oder in Anfällen von Wahnsinn schwelgen, aber nur, wenn sie auf dem Land, in den Wüstenorten und in den Wäldern bleiben und nicht auf das Gutsgelände kommen. Das Herrenhaus in der Metropole der 1980er Jahre ist der Ort, an dem Wissen produziert wird, das technologische Herz der Produktion. Die Zufahrtswege zu diesem Gutshof werden streng bewacht, während in den Straßen und Häusern der Metropole alles möglich ist.

Das Zentrum der sozialen Organisation liegt in jener Zone, in der Wissen produziert wird und funktioniert. Aber es wäre vereinfachend zu folgern, dass die Revolution deshalb eine leninistische Inbesitznahme des Wissens durch eine leninistische Inbesitznahme des Staates ersetzen muss. Das Problem ist in Wirklichkeit viel komplizierter, da nicht nur die Eigenschaften und der Gebrauch des Wissens, sondern auch seine Struktur durch seine kapitalistische Funktionsweise bestimmt werden. Und der Prozess der Umkehrung des Funktionierens des Wissens (das Wissen funktioniert heute als Kontrolle und Wertzuweisung, aber in ihm liegt die Möglichkeit einer Selbstverwandlung in eine unendlich produktive Kraft, die in der Lage ist, Segmente der sozialen Existenz schrittweise von den Zwängen der Arbeit zu befreien) – dieser Prozess der Umkehrung ist mit einer wiederholten, langfristigen (vielleicht extrem langfristigen) Verlagerung der Modi, der Verfahren und der Instrumente der Wissensproduktion verbunden (ein Übergang von der Machtstruktur zu einer autonomen sozialen Anordnung). Und nur dieser lange Prozess der wiederholten Dislokation und Aneignung der Modi und Instrumente der Wissensproduktion wird die Erkenntnisstruktur und damit die operative Struktur des Wissens verändern können.

Aber die Formen und die Politik, die an diesem Prozess beteiligt sind, sind uns noch völlig unbekannt. Das heißt, wir haben keine Theorie des „Übergangs“ (um dieses schreckliche und unpräzise Wort zu benutzen) ausgearbeitet. Die einzige Theorie der Macht und des Übergangs, die wir besitzen, die Theorie, auf die wir uns ständig beziehen müssen – vielleicht, um von ihr abzuweichen, obwohl wir in gewisser Weise immer in ihr gefangen bleiben – ist die leninistische. Im Wesentlichen lässt sich die leninistische Theorie wie folgt formulieren: Das Proletariat muss den Staat in Besitz nehmen, die Staatsmaschinerie und die Herrschaft des Staatswillens über die Gesellschaft stärken, um den Kapitalismus abzuschaffen (erst danach wird die Auslöschung des Staates möglich sein). Seit fünfzig Jahren, von der Zeit des „Kriegskommunismus“, von der Zeit der NEP (Neue ökonomische Politik, wirtschaftspolitisches Konzept der SU ab 1921, d.Ü.), über die Zeit des Stalinismus, bis hin zur chinesischen Erfahrung, bis hin zur schrecklichen Realität des heutigen Sozialismus, haben wir den Traum, dieses Programm zu verwirklichen, im Kopf. Der Kapitalismus ist weder abgeschafft noch transformiert worden, sondern eher erstarrt, da der Staat, der den Willen zur Verdrängung verkörpern sollte, nichts anderes als die Verdinglichung der vom Kapitalismus ererbten Produktionsverhältnisse war. Mit anderen Worten, der Staat hat eine Zwangsrekapitalisierung der bestehenden Produktionsweisen in terroristischer Manier dargestellt, eine Drosselung jeder möglichen Autonomiebestrebung im Gesellschaftssystem.

Somit scheint die Zeit nun reif zu sein, eine Hypothese über den „Übergang“ zu formulieren. Die Hypothese, die wir als Voraussetzung für weitere theoretische Arbeiten aufstellen, ist eine exakte Umkehrung der Leninschen Theorie. Das heißt, wir versuchen, eine „Ignoranz-Aktion“ gegenüber dem Staat zu verdinglichen („Ignoranz“: adaptiert von der deutschen Ignoranz-Aktion – eine Aktion, die jene formalen Grenzen, die der Staat auferlegt, ignoriert, nicht anerkennt), eine Abschaffung des Mechanismus der staatlichen Kontrolle zu verdinglichen und eine politische Formalisierung des Bündnisses zwischen mobilen Schichten der Arbeiterschaft und dem dynamischen Kapitalismus, zwischen kapitalistischer, postindustrieller, elektronischer Entwicklung und proletarischem Ungehorsam gegenüber der Arbeitsethik zu verdinglichen. Es ist interessant, dass neo-libertäre Hypothesen in der Ökonomie gegenwärtig wieder verstärkt in den Blickpunkt gerückt werden. Das Interesse, das viele revolutionäre Marxisten für die ökonomischen Hypothesen der neo-libertäre Tendenz bekundet haben, wird dadurch verständlich.

ZUM ÜBERGANG

Revolutionäres Denken muss seine kritische Fähigkeit auf das Problem des Übergangs konzentrieren, und sei es nur, um das Konzept zu liquidieren und zu verdrängen. Wie L. Berti sagte, können das Konzept des „Übergangs“ und das System der Kategorien, das es beinhaltet, ein reales Szenario „produzieren“ – eine Vision des revolutionären Prozesses hervorbringen, die der Befreiung im Wege steht. Sich diesem Konzept zu entziehen, bedeutet, sich einer Praxis und einer ideologischen Projektion zu entziehen und sich somit letztlich einer Wirkung der Realität zu entziehen. Sich von der Idee zu befreien, dass Kapitalismus und Kommunismus Systeme sind, die in einem diachronen Schema aufeinander folgen, läuft auf die Erkenntnis hinaus, dass in einer Revolution von der Wurzel des Kapitalismus die einzige Möglichkeit für eine Bewegung der Autonomie von der kapitalistischen Herrschaft liegt. Diese Bewegung der Autonomie beinhaltet die Befreiung von der Arbeit und die Unterdrückung der allgemeinen formalen Bedingungen der kapitalistischen Herrschaft. Der Zusammenbruch dieser Herrschaft kann also als subjektiver Modus (in der Bewegung zur Autonomie) eines Prozesses verstanden (und in die Tat umgesetzt) werden, in dem das Kapital die materiellen Bedingungen für den Wiederaufbau bestimmt, ohne die formalen Bedingungen des vorherigen Systems zu reproduzieren. Die Trennung der materiellen Organisation des Know-hows von der Form des Wertes wird dann – nicht eine natürliche Tendenz, sondern das strategische Ziel, der Operationsplan der revolutionären Bewegung.

Der Text wurde Anfang der 80iger auf italienisch in einer Broschüre veröffentlicht, die später im Reprint auf englisch erschien. Franco “Bifo” Berardi ist heute einer der wenigen linksradikalen intellektuellen Köpfe in Europa, neben seinen Buchveröffentlichungen hat er sich auch im Corona Ausnahmezustand wiederholt mit kritischen Beiträgen zu Wort gemeldet. Einige seiner Wortmeldungen wurden ins deutsche übersetzt. [1] [2]