Klaus Viehmann
In diesem Land kommt eigentlich niemand mehr auf die Idee einen Bank zu überfallen, um politische Arbeit zu finanzieren. Eine Praxis, die in den 70igern weit verbreitet war und nicht nur zur Finanzierung klandestiner Organisierung diente, sondern deren Ausbeute auch schon mal in den Aufbau eines Kinderladens investiert wurde. Heutzutage wird eine Soliparty nach der anderen gefeiert, böse Zunge behaupteteten sogar, dass dies der eigentliche Grund sei, dass es die Hauptstadtszene überhaupt noch gäbe, bevor Corona dieser Praxis ein vorübergehendes Ende bereitete. Wie auch immer, Banküberfälle besitzen bis heute eine gewisse Popularität in nicht unerheblichen Kreisen der breiten Masse und geglückte Coups, die eine hohe Beute und eine gewisse Raffinesse aufzuweisen haben, wie z.B. der Überfall auf eine Bank in Berlin im Januar 2013, dem monatelange Grabungsarbeiten vorausgingen und den fleißigen Tunnelgräbern eine Beute von um die 10 Mio Euro einbrachte, taugen zur Legendenbildung. Auch wenn es sich in diesem Fall streng genommen nicht um einen Banküberfall, sondern um einen einfachen Einbruch, wenn auch mit hoher Beute, handelte. Wie auch immer, Banküberfälle waren schon immer ein wesentlicher Bestandteil illegaler Organisierung und so setzen wir unsere Reihe mit Texten zum bewaffneten antagonistischen Widerstand in der BRD mit diesem Beitrag von Klaus Viehmann fort, der in dem wunderbaren Sammelband “Va Banque – Bankraub, Theorie, Praxis, Geschichte” von Klaus Schönberger erschienen ist.
Notgroschen der Revolution – »Banken« der Bewegung 2. Juni
„Hohe Werte im volkswirtschaftlichen Kreislauf müssen vor rechtsbrecherischem Zugriff gesichert werden, weil vielfach extreme und radikale Gruppen ihre unlautere Tätigkeit auf dem Wege von Einbruch und Überfall finanzieren.“
(Sicherheitsplanung für Geldinstitute, 1996)
Der „volkswirtschaftliche Kreislauf“ lässt viele wie im Hamsterrad rotieren, während wenige sich dumm und dämlich verdienen: Ein unsoziales System, das nicht zufällig auf den Unwillen der Armen und den Widerstand „extremer und radikaler Gruppen“ stoßen kann.
Politik kostet Geld – militante Politik kostet mehr Geld. Nur der geworfene Stein ist kostenlos, auch der Molli hängt kaum vom Spritpreis und dem der Pfandflasche ab. Utensilien zum Fälschen von Papieren sind schon teurer, illegale Wohnungen und Autos erst recht. Deshalb standen schon die Anfang der siebziger Jahre entstandenen Stadtguerillagruppen wie eigentlich die gesamte Linke vor der Frage: Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld?
Wichtig bei der Beantwortung dieser Frage war, dass – im Gegensatz zur kapitalistischen Normalität – für Geld niemand dran glauben sollte. Die Methoden verzweifelter oder schlicht dummer und rücksichtsloser Diebe und Räuber, die einfachen Leuten die Dreizimmerwohnung durchwühlen oder einen Kioskbesitzer für ein paar Mark halb totschlagen, kamen auf keinen Fall in Frage. Denn da werden keine Kronjuwelen gejagt, da geht es um Glasperlen. Da wird nicht das System in Frage gestellt, da soll sich lediglich in seinem Rahmen persönlich bereichert werden, eine armselige Spiegelung der herrschenden Habgier.
Der alte Werbeslogan „Geldprobleme? Fragen sie ihre Bank!“ legte nahe, sich irgendwie an ein Geldinstitut zu wenden … Geldtransporter zu überfallen hätte ein hohes Risiko von Schießereien mit sich gebracht, auch Überfälle auf einzelne Geldboten konnten schnell in einen heftigen körperlichen Kampf ums liebe Geld ausarten. „Gewaltfreie“ Beschaffungsmethoden wie zum Beispiel Scheckfälschung kamen nicht in Frage, weil sie zuwenig Bargeld einbrachten. Banküberfälle blieben somit das Mittel der Wahl gegen die chronische Unterfinanzierung linker Aktivitäten und sie waren vor 20, 25 Jahren sicher die häufigste bewaffnete Aktion.
Es gab übrigens keine politische Aktionsreihenfolge, dass der Überfall auf eine Bank die Steigerung der eingeworfenen Bankscheibe gewesen wäre. Banküberfälle wurden einfach wegen dem Geld gemacht – selbst wenn die unvermeidlich mit klingenden politischen Botschaften gerne mitgenommen wurden: Umverteilung von oben nach unten, subversiv ohne Lohnarbeit und Ausbeutung zu Geld kommen und die einträglichen Möglichkeiten von Militanz zu demonstrieren.
Die öffentliche Verurteilung der „Terroristen“ stand oft im Widerspruch zur versteckten Bewunderung ihres Mutes und ihrer behaupteten Perfektion. Und so gesichtslos wie sie alle auftreten mussten, so total konnten sie medial verzerrt werden, so sehr eigneten sie sich als Projektionsflächen. In der Hinsicht unterschieden sich „Terroristen“ nicht von den normalen Bankräubern. Politische Banküberfälle fanden aber eine viel größere Öffentlichkeit, selbst wenn sich der Ablauf nicht von dem üblicher Banküberfälle unterschied. Die Unterschiede lagen woanders: Politische BankräuberInnen eigneten sich das „abgehobene“ Geld nie privat an und es landete nie in Konsumtempeln oder bei Luxusreisen. Die anonymen AkteurInnen in den Banken waren keine überschuldeten Arbeitslose oder verzweifelte FamilienernährerInnen, sie waren überzeugte Linke, die auch sonst ihr Auskommen gehabt hätten. Der Unterschied zu anderen Linken in der BRD war, dass die sich nicht mit Bankraub befassten – was für den kläglichen Kassenstand ihrer Projekte sicher mitverantwortlich war.
In Stadtguerillagruppen agierten tatkräftige HandwerkerInnen, ideologiefeste StudentInnen, nervöse stoische Charaktere, last not least Männer und Frauen. Die wenigen Bankräuberinnen in der BRD-Geschichte waren sicher zu 90 Prozent Frauen aus der Stadtguerilla.
Jede Aktionsform erfordert offensichtlich ihren speziellen Mut und eine spezielle Art der Gelassenheit, denn nicht alle GenossInnen waren fähig eine Bank zu machen: „Eine Bank zu machen“ oder noch schlichter: „Banken“ – was man mit denen machen wollte, war eh klar -, war die damalige Ausdrucksweise, nie wurde davon gesprochen, eine Bank zu überfallen oder zu berauben. Manche, die bei anderen Anlässen ihren Mut bewiesen hatten, bekamen hier zittrige Knie und fahrige Hände. Umgekehrt gab es sehr souveräne Bankräuber, die ein vergleichsweise harmloser nächtlicher Autoklau völlig nervös machte, weil sie nachtblind waren und hinter jeder Ecke einen Bullen vermuteten. Und jemand, der bei einer Enteignungsaktion schreckhaft ein im Durchzug zufällig zuklappendes Fenster ins Visier nimmt, sollte seine militante Karriere lieber aufgeben und wieder unbewaffneten Projekten nachgehen – eine Entscheidung, die alle nicht kugelfesten GenossInnen nachhaltig unterstützen werden …
(Von ganz anderen, auffällig mackerhaften und selbstdarstellerischen Figuren, die ohnehin ein Risiko für alle bewaffneten Aktionen sind, sei hier nicht die Rede.)
Wenn nach einer „Bank“ „professionell geplant“ in den Zeitungen stand und der unvermeidliche Pressesprecher der Polizei abends in der Tagesschau die „bisher ergebnislose Fahndung“ verkünden musste, war da viel Wahres dran. Banküberfälle wurden anfangs wirklich sehr gründlich vorbereitet – denn die erste „Bank“ ist immer die schwerste. Das „professionelle“ war dann Resultat einiger Erfahrungen und späterer Abgebrühtheit.
Zu Beginn der Stadtguerillaerfahrung brauchte man noch Wochen, um eine geeignete Bank zu finden, die benötigten Informationen über das Innere, die Kassenboxen und die Türen zu gewinnen sowie die Autos zur Flucht zu klauen. Noch länger hatte es zuvor schon gedauert, sich Waffen zu besorgen. Nach der zweiten oder dritten „Bank“ reichte eine knappe Woche Vorbereitung, in der ein, zwei Leute eine geeignete Filiale aussuchten, nachsahen, wann die Müllabfuhr auf der Fluchtstrecke arbeitete (auf der Flucht in einer schmalen Straße hinter einem Müllauto im Stau zu stecken, erlebt niemand gerne öfter als einmal) und zwei Autos klauten oder mit falschen Papieren mieteten. Ein, zwei weitere GenossInnen kamen am Tag vor der Aktion dazu, wurden eingewiesen und am nächsten Morgen fuhr man/frau vor, kassierte und zischte ab.
Die Regel, dass bei „Banken“ immer zwei „Erfahrene“ und höchstens zwei „Neue“ mitmachten, gab ein Gefühl von Sicherheit, was über das in Kollektiven tatsächlich übliche Sich-aufeinander-verlassen-können noch hinausging. Die Rollenverteilung bei einer „Bank“ erfolgte auch so, dass die Neuen wenig Unsinn anrichten konnten, feste Aufgaben hatten, die sie nur durchziehen mussten. Eine typische Neulingsrolle war Fahren, also vor der Bank im Auto warten und den Bullenfunk abhören, auf die Hupe zu drücken, wenn nach zwei, drei Minuten die Durchsage kam: „Ausgelöster Alarm Bankfiliale XY-Straße – alle verfügbaren Kräfte anfahren“. Dann wussten die in der Bank, dass man sich allmählich trollen musste. Neulinge konnten auch die Position in der Bank direkt hinter der Tür einnehmen um zu verhindern, dass Kunden rausliefen und draußen „Überfall, Überfall!!!“ kreischten, das hört sich nämlich schrecklich an und erzeugt vor der Tür kleine Menschentrauben, durch die man/frau sich später mit Maskierung, klobiger Kleidung, Geldtüte und gezückter Schrotflinte drängeln muss. Außerdem hatte der/die an der Tür die Rolle, ahnungslos eintretenden BankkundInnen nachdrücklich hereinzubitten, damit nicht durch eine lange offenstehende Tür das klassische Bild: Kunde mit offenem Mund in ebenso offener Tür – Passanten Einblicke in ein Geschehen erhalten, dass sie nur aus dem Fernsehen kennen (sollten). Die beiden Erfahrenen hatten mit dem Verscheuchen der Kassierer aus den Kassenboxen und dem Geldeinsammeln genug zu tun. Es einfach zu nehmen und in eine Tüte zu stopfen, war selten möglich. Man sollte meinen, in einer deutschen Bank, bei deutschem Kassenpersonal würde Ordnung herrschen. Weit gefehlt, nur manche Geldbündel lagen ordnungsgemäß in der Geldschublade und auf dem Zählbrett. Mehr wurde in diversesten Schubladen, in der Butterbrotdose oder gar ganz unten im Papierkorb aufbewahrt – kein Wunder, dass man/frau dazu überging, die ganze Kassenbox zu filzen und allen wertlosen Kram auf den Boden zu kippen. In der Hektik konnte es geschehen, auf einen nun von einem Papierstapel bedeckten Alarmknopf zu treten, was neben einem durchdringenden Klingeln (damals gab es noch laute Alarmanlagen) ein mehrstimmiges „Das war ich nicht!“ der Bankangestellten erzeugte. Trotz gewissenhaftester Suche war die Geldsumme, die später am Küchentisch gezählt wurde, gelegentlich geringer als die am nächsten Tag in der Zeitung genannte. Der eine oder andere Kassierer wird sich auf den Schreck ein übersehenes Bündelchen gegönnt haben.
Hartgeld wurde bis auf die obligatorische Münzrolle fürs Flippern oder den Zigarettenautomaten immer liegen gelassen, Gewicht und Wert standen auch bei trainierten jungen Menschen in keinem Verhältnis. Kleine Goldbarren große gab es leider nie -, Goldmünzen oder Blankoschecks wurden hingegen gerne genommen. Es gab auch mal Pseudogeldbündel, die rundherum eine hübsche Banderole, aber nur oben und unten einen echten Geldschein hatten, und sonst aus weißem Papier bestanden. Wer es dem Kassierer überließ, die Tüte zu füllen, bekam nur solche Schwindelpackungen und das im halben Dutzend, selber einpacken war einfach besser. Neue Geldscheine mit durchlaufenden Nummern wurden nicht wie in schlechten Krimis verbrannt, sondern in einem Beutel angefeuchtet, gründlich geknüllt, getrocknet, gebürstet, gefaltet und beim kleinen Einkauf im Kaufhaus gewechselt. Wenn ein Schein tatsächlich ein paar Tage später bei der Landeszentralbank auffiel, war seine Herkunft kaum nachvollziehbar und Fingerabdrücke auf dem Schein – zumindest seinerzeit – nicht mehr feststellbar.
Und wenn tatsächlich mal registrierte Scheine bei einer Verhaftung oder in einer fluchtartig aufgegebenen Wohnung gefunden wurden, dann belasteten sie nur Genossinnen, die eh schon 15 Jahre Knast wegen ganz anderer Aktionen zu erwarten hatten. In puncto Bankraub konnten sie nicht mehr bekommen und ganz ungeniert auftreten.
Kunden und andere
Für den relativ sicheren Ablauf einer „Bank“ sorgte schon die zahlenmäßige Überlegenheit im Kassenraum, drei Leute in einer mittelgroßen Bankfiliale haben kaum ungedeckten Raum im Rücken und Kunden kommen nur bei einzelnen Bankräubern in Versuchung den Helden zu spielen. Demonstrativ gezeigte Bewaffnung und ein freundlich bestimmtes Auftreten taten ihr Übriges. Die Bankangestellten machten sowieso keine Probleme, denn sie hatten spätestens seit dem Münchener Desaster von 1971 die Anweisung, das Geld zügig herauszurücken und eine Geiselnahme zu vermeiden. Viele waren schon in den siebziger Jahren psychologisch geschult und machten selten einen ängstlichen Eindruck. Manche starrten einen weisungsgemäß an, um später eine „gute Personenbeschreibung“ abgeben zu können, andere drückten erst dann auf den Alarmknopf, als man schon dabei war, die Bank zu verlassen (so können die Bullen natürlich nie „rechtzeitig“ kommen – und eine Schießerei auslösen). Die wenigsten waren so unklug, die Verfolgung aufzunehmen.
Es gab Bankangestellte, die sich auf den Schreck pfiffigerweise krankschreiben ließen, es gab aber auch mehr als glaubhafte Schocks. Ein alter Mann, der beim Anblick einer nicht einmal auf ihn gerichteten Waffe panisch „Nicht schießen!“ ausstieß, sah offensichtlich ganz andere Situationen vor seinem inneren Auge. Ein Junge, der – unaufgefordert – die Hände hob und verschreckt so erstarrte, hatte in diesem Moment sicher ein Erlebnis, von dem er noch träumen würde. Solche Bilder brennen sich im Gedächtnis der linken AkteurInnen ein und führen zu Überlegungen, wie sich die Situation während einer „Bank“ entspannen lassen könnte.
Die Zeugenaussagen von Kunden und Angestellten tendierten oft ins Skurrile. Manche beschrieben eine Kalaschnikow hartnäckig als „Spazierstock“ („Der männliche Täter hatte auch einen“), oder eine abgesägte Schrotflinte als „Knüppel“ – zum Glück versuchten sie in ihrem Irrtum nicht, danach zu greifen. So ärgerlich es ist, von verwirrten oder beeinflussten Zeugen fälschlich „wieder erkannt“ zu werden, so grotesk ist es, wenn eine zugegebenermaßen nicht sehr groß gewachsene, aber durchaus längst volljährige Genossin von gleich zwei Bank Kundinnen als „Kind“ erkannt wurde. In ersten Fahndungsmeldungen war wirklich von einem „Pärchen mit Kind“ die Rede. Die Zeuginnen waren immerhin irritiert, dass auch das „Kind“ eine Waffe in der Hand hatte.
Ungewöhnliches Berufsglück hatte ein Radioreporter, der bei einer „Bank“ unter den Kunden war und sich anschickte, seinen Notizblock vollzukritzeln. Noch bevor die Bullen in der ausgeräumten Bank eintrafen, war er auf dem Weg ins Funkhaus. Der Moderator des Radiomagazins zerfloss fast vor Neid und Mitgefühl, als unser rasender Reporter beschrieb, wie er „einer Terroristin“ Auge in Auge gegenüberstand. Die Genossin hatte ihn aufgrund seines sonderbaren Verhaltens wirklich besonders im Auge, sie hatte ihn aber keineswegs für einen Journalisten, sondern für einen möglicherweise gleich abdrehenden Patienten der nicht weit entfernten psychiatrischen Einrichtung gehalten, vor dem das zweite Fluchtauto wartete.
Es wurden immer scharfe Waffen mitgenommen zur „Bank“. Zum einen trugen „lllegale“ sie eh ständig bei sich, zum anderen waren sie die „Sicherheitsreserve“, falls die Bullen doch mal zu früh kommen sollten. Das war glücklicherweise bei den Aktionen der Bewegung 2. Juni nie der Fall. Nur einmal betrat ein uniformierter Polizist zufällig eine Bank, wurde aber von dem an der Tür Postierten abgefangen und mit dem Gesicht zur Wand gebeten, leider übersah er dabei die nicht offen, sondern im Schulterhalfter getragene Dienstwaffe. Zum Glück schoss der Bulle nicht hinter dem abfahrenden Auto her; angeblich, weil er keine Unbeteiligten gefährden wollte, tatsächlich wirkte es so, als hätte er vergessen durchzuladen oder zu entsichern. Dem vernünftigen Glück, sich nicht in oder vor einer Bank zu begegnen, wurde seitens der RäuberInnen durch zügige Eile nachgeholfen, seitens der Bullen auch mal durch Trödelei und gespielte Ver(w)irrtheit. Versessen darauf, einen armen mit einer Schreckschusspistole „bewaffneten“ Arbeitslosen zu fangen, rasten sie los, sobald die erste Meldung eines laufenden Überfalls über ihren Funk kam. Eifrig bestätigten „Südwest“, „Zeppelin“ und wie sie alle hießen, der Einsatzzentrale, auf dem Weg zur Bankfiliale zu sein. Aber nach dem „stummen“ Alarm kam ein Anruf eines Bankangestellten aus dem Filialhinterzimmer mit einer ersten Beschreibung des Geschehens, der ihren Eifer deutlich bremste. „Zentrale an alle! Banküberfall XY-Straße: Unbedingt auf Eigensicherung achten! Bei den Tätern handelt es sich um zwei Frauen und einen Mann (den vor der Tür im Auto hatte der Anrufer nicht gesehen), sind bewaffnet mit Maschinenpistolen!“ Bei so einer TäterInnen- und Waffenbeschreibung war es seinerzeit auch begriffsstutzigen Streifenbullen klar, dass sie es mit gleichwertig bewaffneten „Terroristen“ zu tun hatten. Entsprechend bog eine heranrasende Streife vor der Filiale ab, um 500 Meter querab per Funk um „erneute Einweisung“ zu bitten. Die Einsatzzentrale war fassungslos, dass eine große Straße und eine gut als Bank beschilderte Filiale nicht sofort gefunden werden konnten.
Das Geld
Auch wenn die AktivistInnen sparsam waren, kostete Stadtguerilla viel Geld. Mitte der siebziger Jahre brauchte eine Gruppe von knapp zehn Illegalen um die 20.000 DM pro Monat nur für die laufenden Kosten. Vor Aktionen oder für Ersatzmaterialien und -Wohnungen nach Fahndungsverlusten war schon mehr fällig. Arme Linke können sich das kaum leisten. Viel Geld landete bei Maklern, Reisebüros, Wohnungs- und Autovermietern. Wer dringend eine ruhige Wohnung sucht, nimmt sie zu fast jedem Preis, zahlt für eine wurmstichige Vitrine zähneknirschend Abstand und kann die Mietkaution bei einer unsicher gewordenen Bude schlecht zurückfordern. Flugreisen oder Bahnfahrten gab es auch nicht umsonst und die Mietwagen, die so zuverlässig und unauffällig waren, kosteten einiges. Geld verschlangen auch Druckmaschinen, Kopierer und Werkzeuge – Waffen und Munition waren zwar an sich teuer, schlugen aber in der Gesamtrelation kaum zu Buche.
Ein Teil des Geldes ging in den siebziger Jahren an linke Projekte. (Jugend-)Zentren, Knastgruppen, Zeitungen, Buchveröffentlichungen, Stadtteilaktivitäten und auch die Chile-Solidarität wurden von Banken und Sparkassen unfreiwillig bezuschusst. Manche wussten nicht, wer ihre Spendendosen mit Hunderten voll stopfte – sie sollten es auch nicht wissen, zu ihrem eigenen und der SpenderInnen Schutz. Manche ahnten es und manche haben es gewusst; auch wenn sie später lieber behaupten, sie wären schon immer gegen illegale Methoden gewesen. Das Geld haben sie aber gut gebrauchen können.
Was bleibt?
Banküberfälle haben als linker Gelderwerb ausgedient und sind von Lohnarbeit, Erbschaften, Stiftungs- und Staatsknete abgelöst worden. Das ist legal und ungefährlicher für alle Beteiligten, aber auch viel gesellschaftskonformer und weniger widerständig. Gemessen an der damaligen linksradikalen Praxis, Bankenteignungen zu nutzen, wirkt es erstaunlich, wie sehr sie heute aus der linken Mode gekommen sind. Geld aus Enteignungen zu nehmen prägt linke Politik und Projekte vermutlich ebenso, wie das Hinterherlaufen hinter reichen Erben oder Stiftungshanseln und das Ausfüllen von Antragsformularen. Anders formuliert: Eine Linke, die geklautes Geld nutzt, hat sicher eine andere Haltung als eine, die sich unbedingt legal finanziert. Die Abhängigkeiten sind andere, auch die Einstellung zu staatlichen Stellen, zu reichen Leuten, zu etablierten Organisationen.
Banküberfälle konnten und können nie den gesellschaftlichen Reichtum völlig umverteilen und auch nicht das Einkommen der „pauperisierten Massen“ sichern, aber sie durchbrachen zumindest den Zwang zur Arbeit und die kapitalistischen Regeln des Gelderwerbs – von denen bekannt ist, dass sie nicht weniger räuberisch sind als ein Banküberfall.
So einige sind wegen „Banken“, juristisch: „räuberische Erpressung“, lange Zeit in den Knast gekommen, über den Daumen gepeilt waren es allein bei Aktivistinnen der Bewegung 2. Juni mehr als hundert Knastjahre nur dafür.
Die Frage, ob sich die „Banken“ gelohnt haben, ist die Frage, ob sich linke Politik lohnt. Bei der zählt aber nicht der Gewinn, sondern zu gewinnen. Ohne die „Banken“ wären Stadtguerillagruppen und andere mit dem Geld agierende Projekte wenig effektiv gewesen. Aber ihr politischer Erfolg hing viel stärker von der historischen Situation und der politischen Kräfteverhältnissen ab. Genügend Notgroschen zu haben war da nur ein einzelner Aspekt. Und eine Sorge weniger.
Die „Negerkussbanken“
Kaum eine Enteignungsaktion wurde so populär wie die beiden „Banken“, bei denen „Negerküsse“ verteilt wurden. (Antirassistische Sprachkritik hatte damals noch keine „Schokoküsse“ hervorgebracht.)
Am 30. Juli 1975 zur üblichen Zeit – halb zehn – wird eine Sparkassenfiliale in Berlin-Neukölln von fünf Leuten der Bewegung 2. Juni „gemacht“. Während des Ausräumens der Kassen bietet eine Genossin den KundInnen und Angestellten an, sich aus einem Karton mitgebrachter „Negerküsse“ zu bedienen. Aus Angst oder Verdutztheit greift aber niemand zu, der Karton bleibt auf dem Tresen zurück, das Geld (gut 100 000 Mark) wird mitgenommen. Die Berliner Polizei löst eine Großfahndung aus und durchsucht nach einem Hinweis auch einen ganzen Wohnblock mit mehreren hundert schwerbewaffneten Bullen, die aber morgens um vier ergebnislos abziehen.
Sechs Stunden später werden sie wieder in den Dienst gerufen, denn erneut haben zwei Männer und drei Frauen der Bewegung 2. Juni eine Bank nach dem Muster des Vortages „gemacht“. Die zweite Kiste „Negerküsse“ landete im Polizeilabor und wurde – selbstverständlich vergeblich – auf Betäubungsmittel hin untersucht.
Das in den Banken verteilte Flugblatt fand weniger Eingang in die linke Erinnerung, es war knapp und spielte auf ein Konjunkturprogramm der regierenden SPD-FDP-Koalition an:
„Konjunkturprogramm der Bewegung 2. Juni
Wo alle sagen, dass der Rubel wieder rollen muss, damit die Schornsteine wieder rauchen, will auch unsere Bewegung im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten – schließlich sitzen wir alle im gleichen Latrinendampfer – einen Beitrag leisten. Hoffentlich geht’s gut, also: Her mit der Kohle!!!
Revolutionäre Negerküsse von der Stadtguerilla der Bewegung 2. Juni!“
In den Wochen danach gab es zwei Happenings, bei denen von angeregten Linken in Banken „Negerküsse“ – ohne jede Raubabsicht – verteilt wurden. In München führte das zu einem Polizeieinsatz und nachfolgendem vierstelligem Strafbefehl, in Essen blieb es bei einer Personalienfeststellung. In einer Berliner Szenekneipe gab es noch Jahre später jeweils am 2. Juni „Negerküsse“ gratis.
Für viele sind die Negerkussbanken das Symbol einer „Spaßguerilla“. Hinter so einer Verklärung steht Unwissenheit, die wohl unvermeidlich war. Wer kann auch wissen, dass die „Negerküsse“ eher zufällig ausgesucht wurden – genauso gut hätten es „Saure Drops-Banken“ werden können – und sie nur die taktische Funktion haben sollten, die KundInnen zu beruhigen. Dass das Flugblatt weniger Öffentlichkeit fand als der Süßkram, hat die AktivistInnen sicher am meisten überrascht. Gegen die „Spaßguerilla“-These spricht auch, dass ebenso bei diesen Banken Waffen nicht zum Spaß mitgenommen wurden und zumindest bei der zweiten Bank die Bullen nur sehr knapp zu spät kamen, zudem machte sich eine Autofahrerin zur Verfolgung auf und konnte nur ganz unspaßig mit vorgehaltener Waffe davon abgebracht werden. Und last not least saßen fast alle Beteiligten Ende 1975 bereits im Knast.
Gar nicht lustig ist es auch, wenn nach über 20 Jahren Akten auftauchen, laut denen das Ministerium für Staatssicherheit der DDR „aus erster Hand“ schon kurze Zeit später ziemlich detailliert berichtet bekam, wer angeblich bei diesen „Banken“ teilnahm, wer das Geld einsackte, wer über den Verbleib des Geldes Bescheid wusste, wer es aufbewahrte. Was das MfS mit diesen Informationen machte, kann nur vermutet werden, auf alle Fälle hätte es – ganz abgesehen vom Wahrheitsgehalt der Unterlagen – Folgen haben können, wenn diese Akten vor Ablauf der Verjährungsfristen im Westen bekannt geworden wären.
Guerilla wurde nie als Spaß betrieben – das gilt auch für die „Negerkussbanken“
Klaus Viehmann saß als Mitglied der Bewegung 2. Juni insgesamt 15 Jahre Knast ab, er war Mitautor von Beiträgen, die den Theorieansatz der “Triple Oppression” in der autonomen Linken und darüber hinaus populär machte.